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Margret Bürgisser

Partnerschaftliche Rollenteilung – ein Erfolgsmodell

ISBN Print: 978-3-0355-0725-6

ISBN E-Book: 978-3-0355-0894-9

 

Fotos: Reto Schlatter

 

Das Titelbild zeigt Hildegard und Adrian Kaufmann (unten), Nuria und Marko Ristin-Kaufmann mit Enkel Aljosha Ristin (o. l.) und Ilias Kaufmann mit Cecile Buffenoir (o. r.)

 

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 hep verlag ag, Bern

 

www.hep-verlag.com

 

 

 

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Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:

http://mehr.hep-verlag.com/partnerschaftliche-rollenteilung

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Einleitung

TEIL I
ZEHN PORTRÄTS VON ELTERNPAAREN MIT PARTNERSCHAFTLICHER ROLLENTEILUNG

Vorbemerkungen zu den Porträts

Caroline und Urs Mendelin

Rochelle Allebes und Ronnie Gundelfinger

Verena und Peter Voser

Susanne Sorg-Keller und Florian Sorg

Rita Scholl Born und Jürg Born

Jeannette Schwager und René Meier

Hildegard und Adrian Kaufmann

Eleonora Riz à Porta und Ueli Bürgi

Corinne Haffter und Dani Schaffner

Corina Elmer und Markus Brandenberg

TEIL II
FORSCHUNGSSTAND ZUR EGALITÄREN ROLLENTEILUNG
(Verena Witzig)

Die Ebene der Eltern

Egalitäre Rollenteilung in der Familie – Definition und Bewertung

Die demografische Verbreitung des egalitären Modells

Verbreitung von Teilzeitarbeit in der Schweiz

Mütter im Erwerbsleben

Väter und Teilzeitarbeit

Arbeitsteilung im Haushalt

Familienergänzende Kinderbetreuung in der Schweiz

Betreuung versus Bildung

Gemeinsam Eltern bleiben nach Trennung oder Scheidung

Die Ebene der Kinder

Zum Wandel der Elternrollen im Zeitverlauf

Befunde aus der Elternforschung

Berufswahl von Jungen und Mädchen

Junge Erwachsene und ihr Familienmodell

Institutionen, Politik und Arbeitgebende

Schweizer Familienpolitik: für die Familie oder eher für die Wirtschaft?

Familienrecht

Sozialstaatliche Rahmenbedingungen

Wirtschaft und Vereinbarkeit

Fazit

Literatur Teil II

TEIL III
ERGEBNISSE DER ELTERNBEFRAGUNG

Erfahrungen mit der Rollenteilung im Zeitverlauf

Motive zur Wahl der partnerschaftlichen Rollenteilung

Bereitschaft zur Wiederwahl des egalitären Modells

Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Rollenmodells

Aufgaben(ver)teilung im Haushalt

Plädoyer für familienergänzende Kinderbetreuung

Vorbild- und Orientierungsfunktion für andere Paare

Was anders machen?

Entwicklung der Kinder aus Elternsicht

Allgemeine Informationen zu den Kindern

Bisherige Entwicklungen und Bildungsverläufe

Schwierige Entwicklungsverläufe

Unterschiedliche kindliche Charaktere und Interessen

Spezielle Kompetenzen und Fähigkeiten

Ablösungsmuster: Nesthocker versus Nestflüchter

Aktuelle Mitarbeit der Kinder im Haushalt

Eltern-Kind-Beziehung heute

Merkmale der heutigen Eltern-Kind-Beziehung

Vater und Mutter als unterschiedliche Bezugspersonen

Art der Kontakte zwischen Eltern und Kindern

Kinder und Rollenprägungen

Eltern als Vorbilder

Spezifische Rollenprägungen und -wünsche der Kinder

Sympathien für Teilzeitarbeit

Erwerbsarbeit und Existenzsicherung

Berufliche Merkmale der befragten Paare

Erwerbssituation egalitär organisierter Elternpaare

Kontinuität und Weiterentwicklung

Stagnation und Handlungsengpässe

Standortbestimmung und Leistungscheck

Auswirkungen des Strukturwandels

Berufliche Selbstständigkeit

Wünsche und Pläne für die Zukunft

Teilzeitarbeit, Weiterbildung und Karrierechancen

Erfahrungen mit Teilzeitarbeit früher und heute

Grenzen der Teilzeitarbeit

Vorgesetzte als Förderer und Verhinderer

Bildung als Schlüssel zum beruflichen Erfolg

Karrierechancen Teilzeit arbeitender Elternpaare

Zeitverwendung, Pensionierung und Zukunftsperspektiven

Zeitverwendung im Laufe der Zeit

Aufstockung des Arbeitspensums

Pensionierung vollzogen oder bevorstehend

Finanzielle Situation im Rentenalter

Neue Engagements nach der Pensionierung

Engagements für die eigenen Eltern und die Enkelkinder

Scheidungen und Trennungen

Jedes Paar ist ein Einzelfall

Wesens- und Verhaltensunterschiede als Trennungsgrund

Work-Life-Konflikte als Beziehungskiller

Rollenteilung nach der Trennung

Auswirkungen von Trennungen auf die Eltern-Kind-Beziehung

Finanzielle Aspekte rund um Trennung oder Scheidung

War die Rollenteilung für die Trennung (mit)verantwortlich?

Partnerschaftliche Rollenteilung im gesellschaftlichen Umfeld

Rahmenbedingungen für die Wahl des egalitären Modells

Den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden

Mehr familienergänzende Betreuungsangebote schaffen

Traditionalisierungstrend bei jungen Menschen

Stärken und Chancen des egalitären Modells

Schwächen und Nachteile des egalitären Modells

Voraussetzungen zur Wahl des egalitären Modells

Zukunftschancen des Modells

Zusammenfassung der Elternbefragung

Literatur Teil III

Teil IV
Ergebnisse der Kinderbefragung

Einleitung

Erfahrungen und Beurteilungen

Wahrnehmung der elterlichen Rollenteilung

Weitere als bedeutsam erlebte Aspekte

Von den Eltern erfahrene spezifische Förderung

Nutzen des von den Eltern Gelernten

Egalitäre Rollenteilung – Chance oder Belastung?

Reaktionen vonseiten des sozialen Umfelds

Eltern-Kind-Beziehungen

Bedeutung der Beziehung zu Mutter und Vater

An den Eltern bewunderte Eigenschaften und Verhaltensweisen

Persönliche Ziele und Wünsche

Partnerschaft, Wohnsituation und Hausarbeitsteilung

Wichtige persönliche Ziele, Wünsche und Präferenzen

Beurteilung von Vor- und Nachteilen der Teilzeitarbeit

Gewünschte Formen künftiger Arbeitsteilung

Begründung der persönlich bevorzugten Rollenteilung

Vom Partner beziehungsweise der Partnerin bevorzugtes Rollenmodell

Gleichstellung in der Schweiz

Einschätzung des Gleichstellungsstandes in der Schweiz

Als notwendig erachtete Gleichstellungsmaßnahmen

Zusammenfassung der Kinderbefragung

Literatur Teil IV

SCHLUSSBETRACHTUNGEN

ANHANG

Verzeichnis der Grafiken und Tabellen

Hinweise zum methodischen Vorgehen

Dank

Vorwort

Vorwort

Margret Bürgisser beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Thematik rund um die partnerschaftliche Rollenteilung und hat dazu mehrere Publikationen verfasst. Schon für ihr Buch »Beruf und Familie vereinbaren – aber wie?«, das 2011 im hep verlag erschienen ist, habe ich das Vorwort geschrieben. Dies vor allem deshalb, weil ich selbst ein Pionier des egalitären Rollenmodells war und bin: Meine Frau und ich teilen uns Haus- und Familienarbeit.

Im vorliegenden Werk hat die Autorin nach 1994 und 2004 die gleichen egalitär organisierten Eltern nochmals befragt. Die Ergebnisse sind ermutigend und korrelieren mit meinen Erfahrungen. In meinem näheren Umfeld sieht das typische Modell junger Familien heute so aus: Die Frau arbeitet 60 bis 80 Prozent, der Mann 70 bis 80 Prozent, die Kinder gehen je nachdem zwei bis drei Tage in die Kita respektive Tagesschule. Und die Rückmeldungen zum egalitären Modell aus diesen Familien sind durchweg positiv. Es braucht aber den Willen beider Partner, diese Familienstruktur zu leben und daran zu arbeiten. Es gibt nämlich nichts schön zu reden: Wir leben nach wie vor in einer von Männern dominierten Welt, viel zu wenig Frauen sind in Kaderpositionen und Verwaltungsräten. Und viele Männer tun sich immer noch schwer mit der eignen »neuen« Rolle als Hausmann, Vater und Mitverantwortlicher im Haushalt, aber auch mit der »neuen« Rolle der Frau, die nicht mehr nur Hausfrau sein möchte. Sie verschanzen sich nach wie vor gerne hinter fadenscheinigen Argumenten. Dabei gibt es mittlerweile viele Beispiele, die belegen, dass Karriere und Teilzeitarbeit durchaus zu vereinbaren sind. Tatsache ist ebenfalls, dass rechtsbürgerliche und religiös-konservative Kreise weiterhin das traditionelle Frauen- und Familienbild propagieren und auf politischem Weg versuchen, Beiträge für externe Kinderbetreuung zu verhindern. Und genau das ist in der Schweiz ein Knackpunkt: Im Gegensatz zu vielen andern Ländern sind die Kosten für Kitas und Tagesschulen in der Schweiz zu hoch. Da ist bei vielen Politikerinnen und Politikern noch ein Umdenken nötig.

Als überzeugter Befürworter des egalitären Rollenmodells bin ich froh und stolz, auch dieses Werk von Margret Bürgisser im Programm haben zu dürfen. Es passt zum innovativen hep verlag, der genau solche Familienmodelle unterstützt.

 

Peter Egger

Verleger und Präsident des Verwaltungsrates

Einleitung

Einleitung

Befragt man junge Menschen zu ihrer Zukunft, so äußern viele den Wunsch nach einer Familie. Fragt man weiter, wie sie sich deren Organisation vorstellen, sagen Frauen – immer öfter aber auch Männer –, sie wünschten sich eine egalitäre[1] Rollenteilung. Damit ist die partnerschaftliche Aufteilung von Gelderwerb, Kinderbetreuung und Hausarbeit gemeint. Viele Paare möchten in diesen Bereichen die Verantwortung gemeinsam tragen und dadurch ihre Erfahrungsvielfalt vergrößern.

Diese Wünsche sind bei jungen Menschen seit Jahren hoch im Kurs. Doch nur wenige wagen es, mit der partnerschaftlichen Rollenteilung Ernst zu machen. Traditionelle Rollenprägungen und ungünstige gesellschaftliche Entwicklungen halten sie davon ab. Auch die Bedingungen am Arbeitsplatz erscheinen vielen unvorteilhaft. »Wir würden ja gerne, aber es geht einfach nicht«, meinen sie entmutigt. Aus Angst vor negativen Konsequenzen, zum Beispiel einem Karriereknick, entscheiden sie sich schließlich für eine konventionelle Rollenteilung. Der Mann arbeitet dann Vollzeit, die Frau Teilzeit. Oder sie bleibt ganz zu Hause bei den Kindern. Oft führen solche Konstellationen jedoch zu Unzufriedenheit. Die Mütter klagen, sie würden den Bezug zur Arbeitswelt verlieren. Und die Männer bedauern, zu wenig Zeit für ihre Kinder zu haben.

Das egalitäre Rollenmodell weist einen Ausweg aus diesem Dilemma. Es bietet Frauen wie Männern die Chance, Beruf und Familie zu vereinbaren. Gespräche mit Teilzeit arbeitenden Paaren, die das egalitäre Modell seit zwanzig, dreißig und noch mehr Jahren praktizieren, beweisen, dass es zur Zufriedenheit aller funktionieren kann. Es bietet Eltern die Möglichkeit, sowohl am Erwerbsleben als auch an der Entwicklung der Kinder teilzuhaben. Und es gewährleistet, dass die Hausarbeit – das ungeliebte Stiefkind – auf beide Partner aufgeteilt wird.

Im Rahmen der vorliegenden Langzeitstudie wurden 28 Elternpaare aus der deutschen Schweiz in Abständen von ca. zehn Jahren dreimal zu ihrer partnerschaftlichen Rollenteilung interviewt.[2] 2016 wurden ergänzend auch die inzwischen erwachsenen Kinder über ihre Erfahrungen und Rollenpräferenzen befragt. Die Ergebnisse der beiden Studien sind ermutigend: Nicht nur auf kurze Dauer, sondern auch im Zeitverlauf sind egalitär organisierte Paare mit ihrem Rollenmodell mehrheitlich zufrieden. Praktisch alle würden es wieder wählen.

Die Vorurteile, das partnerschaftliche Rollenmodell mindere Lebens- und Karrierechancen, werden aus Sicht der Befragten weitgehend widerlegt. In den Anfängen des Arrangements haben einige Väter und Mütter solche Nachteile zwar durchaus erlebt. Aus heutiger Sicht beurteilen die meisten Paare ihre familiäre Entwicklung aber als stimmig und bereichernd. Wie einige Beispiele in diesem Buch zeigen, ist eine Karriere – mit zeitlicher Verzögerung – auch für Teilzeit arbeitende Eltern möglich. Wenn die Verantwortung für die Erwerbsarbeit auf zwei Schulternpaaren ruht, verteilt sich zudem die Last der Existenzsicherung.

Dieses Buch vermittelt einen Überblick über die Erfahrungen und Beurteilungen der »Rollenteilungspioniere«, deren Kinder inzwischen herangewachsen sind. Es dokumentiert die Vielfalt an interessanten und berührenden Aussagen aus dem Paar- und Familienalltag. Weiter zeigt es auf, wie die inzwischen erwachsenen Kinder die im Elternhaus erlebte Rollenteilung beurteilen und wie sie sich ihre eigene Zukunft vorstellen. Es ist unverkennbar, dass die jungen Menschen von Vater und Mutter positiv geprägt wurden und mehrheitlich planen, auch die eigene Beziehung partnerschaftlich zu gestalten.

Das vorliegende Werk versteht sich als Mutmacher für junge Paare, die das egalitäre Experiment ebenfalls wagen wollen. Wenn beide Partner eine partnerschaftliche Rollenteilung befürworten und wenn gewisse Rahmenbedingungen gegeben sind, kann das Modell für Eltern wie Kinder sehr bereichernd sein. Das Buch ist aber nicht nur für junge Menschen gedacht, sondern auch für Fachleute, die diese beraten und begleiten: Vereinbarkeitsfachleute, Lehrpersonen, Dozierende, Fachleute in Berufs- und Laufbahnberatung, Gleichstellungsbeauftragte, therapeutisch Tätige, Sozialarbeitende und wissenschaftlich Forschende. Ihnen allen kann das Buch helfen, die Vorzüge der partnerschaftlichen Rollenteilung zu erkennen und bestehende Vorurteile zu korrigieren.

 

 

Luzern, April 2017

 

Margret Bürgisser

TEIL I ZEHN PORTRÄTS VON ELTERNPAAREN MIT PARTNERSCHAFTLICHER ROLLENTEILUNG

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VORBEMERKUNGEN ZU DEN PORTRÄTS

»Seeing is believing«, meinte die Verhaltensökonomin Iris Bohnet in einer TV-Sendung:[3] Sehen heißt glauben. Was man sehen kann, entwickelt Überzeugungskraft. Das gilt auch für das Thema dieses Buchs. Die Skepsis gegenüber dem egalitären Rollenmodell ist nach wie vor groß. Junge Paare möchten es wählen, wagen es aber nicht aus Angst vor negativen Konsequenzen. Es braucht konkrete Vorbilder, die zeigen, dass das egalitäre Modell über einen längeren Zeitraum zur Zufriedenheit aller funktionieren kann.

Solche Vorbilder vermitteln die nachstehenden »Porträts«. Zehn Elternpaare berichten darin über ihren Alltag und halten Rückschau auf ihr Leben. Sie haben die egalitäre Rollenteilung über mehr als zwei Jahrzehnte praktiziert und wandelnden Bedürfnissen angepasst. Ihre Aussagen belegen den Erfolg des egalitären Modells, verschweigen aber auch dessen Schwächen und Schwierigkeiten nicht.

Die befragten Eltern haben sich bereit erklärt, im Buch mit Namen und Foto zu erscheinen. Sie haben die vorliegenden Texte zum Gegenlesen erhalten und für diese Publikation autorisiert. Der Zürcher Fotograf Reto Schlatter hat sie an ihrem Wohnort[4] – zusammen mit ihren Kindern und deren Partnerinnen und Partnern – im Bild festgehalten. Sie werden dadurch zu konkreten »role models«, an denen sich interessierte Paare orientieren können. Alle Altersangaben beziehen sich auf den Zeitpunkt des Interviews.

Ich stelle diese Porträts bewusst an den Anfang des Buchs. Sie sollen den Einstieg ins Thema erleichtern und zeigen, dass egalitäre Rollenteilung mehr ist als ein bloßes Forschungsthema. Sie ist gelebte Realität und – wie die vorgestellten Beispiele zeigen – langfristig eine Erfolgsgeschichte.

CAROLINE UND URS MENDELIN

»Im Haushalt hat sich einiges verändert, seit die Kinder groß sind«

Von der Haltestelle »Talwiesen« aus zu Fuß dem Höfliweg entlang. Links eine neuere Großüberbauung, rechts alte Reihenhäuser. Der Vorplatz von Haus Nr. 7 ist unspektakulär, die Briefkästen grau und alt. Beim Eintreten ein Gang mit Durchblick in den Keller, wo allerlei Geräte lagern. Oben die Wohnung der Mendelins. Sie wohnen nun schon über zwanzig Jahre hier und bilden mit anderen Wohnungsbesitzern eine Hausgemeinschaft.

Berufliche Entwicklung Beruflich haben sich gegenüber unserem letzten Gespräch vor zehn Jahren Änderungen ergeben. Caroline Mendelin (50) arbeitet nicht mehr im von ihr gegründeten Gestaltungsatelier mit, sondern hat eine Leitungsfunktion im Zürcher Lehrmittelverlag übernommen. »Das war ein Glücksfall«, erklärt sie. »Ich wusste, dass ich Karriere machen und in absehbarer Zeit eine Abteilung übernehmen kann.« Sie wollte diese Chance ergreifen und etwas Neues anpacken, auch im Hinblick auf die gemeinsame Perspektive. »Wir haben es als Versuch definiert«, erklärt Urs, »und wollten schauen, wie es funktioniert. Die Firma lief normal weiter, Caroline hätte auch wieder einsteigen können.«

Die neue Konstellation erhöhte die materielle Sicherheit – »es ist viel Existenzdruck von uns gewichen« –, zog aber auch Einschränkungen bezüglich Autonomie und Gestaltungsfreiheit nach sich. Urs Mendelin (53) ist nun allein in der Firma, lässt sich aber in gestalterischen Fragen weiterhin von seiner Frau beraten. Da ihm das Alleine-Arbeiten zu einsam wurde, suchte er Anschluss an eine Bürogemeinschaft. »Ich bin schon ein Einzelkämpfer«, begründet er, »aber das war zu viel. Jetzt habe ich ein gutes Umfeld.« Beide arbeiten nun in hohen Pensen. Für Caroline ist klar, dass sie beruflich Karriere gemacht hat. Für Urs war eine solche nie zentral. »Ich würde es als Entwicklung bezeichnen, nicht als Karriere.« Gleichwohl ist er mit seiner beruflichen Situation zufrieden. »Der Vorteil der Selbstständigkeit ist, dass ich meine Zeit selbst einteilen kann. Der Nachteil ist, dass ich – seit ich alleine bin – sehr schnell an meine Grenzen stoße. Wir haben ja viel miteinander gearbeitet und uns gegenseitig unterstützt. Jetzt muss ich alles selbst machen.«

 

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Weiterbildungsbestrebungen Beide haben viel in Weiterbildung investiert und tun es heute noch. Caroline qualifizierte sich als »Multi Media Producer«, Urs als »Leiter Marketing / Kommunikation«. Um die Zukunft ihrer beruflichen Position zu sichern, absolviert Caroline eben eine Zusatzausbildung in Betriebswirtschaft. Urs bildet sich für die Herausforderungen im Internetbereich vor allem »on the job« weiter. »Der Wandel ist stetig, aber spannend. Wir haben nie etwas anderes gekannt. Darum ist es nichts, was mich überfordern würde.«

Rollenteilung und Hausarbeit Die Rollenteilung ist nach wie vor unbestritten, wurde aber an die neuen Gegebenheiten angepasst. Da Caroline ganztags auswärts arbeitet, ist Urs mehr im Haus präsent und auch stärker der Ansprechpartner für die Kinder und andere Angehörige. »Wenn ich im Geschäft bin«, betont Caroline, »kann ich mich nicht noch um Privates kümmern, das macht nun Urs.« Dieser präzisiert: »Im Haushalt hat sich einiges verändert, seit die Kinder groß sind und mithelfen. Das ist kein großer Aufwand mehr. Wir haben auch jemanden, der putzt; das ist eine große Entlastung.«

Rückblick auf die Anfänge der Rollenteilung Die Rückblende auf 25 Jahre partnerschaftlicher Rollenteilung spannt einen weiten Bogen: Urs ist in einer Familie mit traditioneller Rollenteilung aufgewachsen, Caroline als Tochter einer alleinerziehenden Mutter. »Meine Eltern sind geschieden und lebten in zwei Welten. Für mich war von Anfang an klar, dass ich nicht in ein solches Zweiweltenmodell hineinrutschen möchte.« Der Anstoß für die egalitäre Rollenteilung kam denn auch von Caroline. »Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich schwanger war und wir unsere Zukunft planten. Wir haben miteinander vereinbart, dass wir Beruf und Familie teilen. Das haben wir ganz bewusst zusammen entschieden, und das haben wir auch durchgezogen.«

Zum Zeitpunkt der Familiengründung arbeiteten die beiden im Jobsharing (je 60 Prozent) als Typografen in einem grafischen Atelier. Sie machten damals im eigentlichen Sinne »halbe-halbe«. Urs arbeitete von Montag bis Mittwochmittag, Caroline von Mittwochnachmittag bis Freitagabend. Wer zu Hause war, war für Haushalt und Kinder verantwortlich. Am Mittwochnachmittag übernahmen die Großmütter die Kinderbetreuung, damit die Arbeit im Geschäft reibungslos übergeben werden konnte. So war es möglich, ohne institutionelle Kinderbetreuung auszukommen.

Urs fand seine Situation als Teilzeit arbeitender Vater nicht immer einfach. Im Geschäft nahm man eher die Nachteile als die Vorteile der Teilzeitarbeit zur Kenntnis (organisatorischer Mehraufwand usw.). Es erstaunte ihn auch, wenn Kollegen zu ihm sagten: »Oh, morgen hast du ja frei!« Als ob Familienarbeit bloße Freizeit wäre. Auf dem Spielplatz war er oft der einzige Mann; damals war das noch außergewöhnlich.

Caroline hingegen war mit der Rollenteilung sehr zufrieden. Nach der Geburt des ersten Kindes hatte sie es belastend gefunden, ausschließlich zu Hause zu sein. Schließlich hatte sie noch eine Zusatzausbildung absolviert und war deshalb an der Fortsetzung der Erwerbsarbeit sehr interessiert. Sie erkannte auch, dass es unmöglich ist, das volle Verständnis für die Arbeit des Partners zu entwickeln, wenn man selbst nicht berufstätig ist.

Gemeinsam kreativ tätig sein Zu einem späteren Zeitpunkt gründete Caroline eine eigene Firma – die Mendelin Grafik. Auch Urs gab nach einiger Zeit seine Festanstellung auf und engagierte sich im gemeinsamen Unternehmen. Innert Kürze arbeiteten beide Partner 100 Prozent. Caroline nannte es 2003 »die nachteilige Seite dieser Geschichte, die sonst nur Vorteile hat«. Obwohl viele Leute vermuteten, die große räumliche Nähe und die berufliche Zusammenarbeit müssten zu Konflikten führen, erlebte das Paar die Situation als konstruktiv und bereichernd. Caroline lernte in dieser Zeit, die Kinder loszulassen und Urs mehr Raum zu geben. Die Kundenkontakte liefen anfänglich stärker über sie, und so hatte Urs viel Zeit, sich um die Kinder zu kümmern.

Kinderbetreuung im Haus Ergänzend wurde die Kinderbetreuung nun durch eine Kinderfrau wahrgenommen. Diese kam ins Haus und betreute vor Ort vier bis sechs Kinder – jeden Tag in einer anderen Wohnung. Die Mendelins nutzten diesen Betreuungsservice, bis die Kinder älter waren und ihn nicht mehr benötigten.

Diese damals entstandenen Freundschaften waren für die Eltern wie auch für die Kinder sehr wichtig und haben heute noch Bestand. Gleichwohl würde Caroline heute mehr Fremdbetreuung in Anspruch nehmen und – ergänzend zu den Großeltern – auf eine Krippe zurückgreifen. Dieses System bietet ihres Erachtens eine höhere Verlässlichkeit als private Lösungen, wo sich terminlich immer wieder etwas ändern kann. In der Anfangszeit der Selbstständigkeit fand sie das oft problematisch. Urs betont, er würde es nicht anders machen. »Das mit der Belastung stimmt zwar, aber das gehörte in einem gewissen Sinne einfach dazu. Man hatte ja noch gar nicht das Geld, um eine Fremdbetreuung zu bezahlen. Daher waren gewisse Rahmenbedingungen gegeben. Nein, ich würde nichts anders machen.«

Entwicklung der Kinder Caroline und Urs scheinen sich auch jetzt zu ergänzen, berichten von keinerlei ernsthaften Krisen und freuen sich, dass ihre Kinder sich gut entwickelt haben. Beide haben das Gymnasium absolviert und nachher ein Zwischenjahr eingelegt. Meret (22) studiert nun im dritten Jahr Germanistik, kombiniert mit Filmwissenschaften, und wird in einem Jahr abschließen. Sie sieht ihre Zukunft im Journalismus und möchte sich nach dem Master am MAZ[5] weiterbilden. In den Semesterferien arbeitet sie schon seit drei Jahren regelmäßig bei einer Zeitschrift.

Oliver (25) hat in Genf internationale Beziehungen studiert und sein Studium 2014 abgeschlossen. Nach einem Praktikum hat er sich für den Master beworben, sodass sich seine Ausbildung um weitere zwei Jahre verlängert. Er sieht seine Zukunft in der Diplomatie, zum Beispiel als Botschafter.

Bezüglich Hausarbeit ist es bei den Mendelins so, dass sich die Familie als Team versteht. Bereits früher wurden die Kinder – ohne festgelegten Aufgabenplan – bei allen Dingen einbezogen. Auch heute müssen sie sich an der Hausarbeit beteiligen, wenn sie bei den Eltern sind. Alle müssen ihren Teil beitragen, aber alle haben ja auch ein großes Arbeitspensum. Caroline betont, es gehe dann wie in einer Wohngemeinschaft zu und her.

Eltern-Kind-Beziehungen Die Beziehung zu ihren Kindern bezeichnen die Eltern als lebendig und offen. Urs betont: »Ich glaube, beide sind sehr selbstständig – waren es von Anfang an – und haben ihren Weg selbst gefunden. Sie wussten und haben gespürt, wo sie hinwollen. Beide haben eine gute Entwicklung gemacht.« Doch kaum brauchten die Kinder weniger Zuwendung, wurde diese von den eigenen Eltern gefordert. »Es gab eigentlich einen fließenden Übergang«, erzählt Caroline. »Als die Kinder weg waren, fing es mit der Betreuung der Eltern an. Diese war in den letzten Jahren sehr intensiv, es sind in dieser Zeit drei Elternteile gestorben. Das beanspruchte einen großen Anteil der Freizeit. Die Kinder hatten natürlich durch die Betreuung zu allen Großeltern ein sehr enges Verhältnis. Sie waren nicht sehr aktiv in der Betreuung der Großeltern, ihnen aber emotional schon sehr nah.«

Impulse für die Partnerschaft Die Mendelins haben auch als Paar von ihrer Rollenteilung und der gemeinsamen Arbeit profitiert. Urs betont: »Man hat mehr Verständnis füreinander, weil man nicht in zwei verschiedenen Welten lebt. Das Zusammenarbeiten und die Selbstständigkeit haben das noch verstärkt.« Caroline ergänzt: »Wir haben beide gesagt, wir ziehen am gleichen Strick und haben das gleiche Ziel vor Augen. Eigentlich haben wir das immer als sehr positiv erlebt. Wir haben gemeinsame Interessen – und sogar die neuen Freiheiten können wir zusammen genießen. Unsere Beziehung würde ich nach wie vor als gut, lebendig und aktiv beurteilen.«

Zukunftsperspektiven In Bezug auf die Zukunft sind die beiden flexibel. Die Arbeitszufriedenheit von Caroline lässt aktuell einige Wünsche offen. Es ist eine Überführung des Unternehmens in eine AG geplant. Je nachdem, wie sich das entwickelt, wird sie eventuell wieder in die Firma zurückkehren. Urs denkt, dass er bis zur Pensionierung so weitermachen wird wie bisher. Er hat keine Mühe, sich technologisch weiterzuentwickeln, doch ist er auch äußeren Einflüssen ausgesetzt. »Wir arbeiten relativ stark im Internetbereich«, erklärt er. »Man weiß deshalb nie, wie lange man mit den Jungen noch mithalten kann. Die Kunden werden auch alt, und dann kommen neue Leute an diese Stellen. Es wäre mein Wunschtraum, dass jemand Junges in die Firma kommt und Zugkraft übernimmt, wenn ich älter bin. Dann könnte ich mich etwas zurücknehmen.«

ROCHELLE ALLEBES UND RONNIE GUNDELFINGER

»Ich konnte es mir nur mit dieser Rollenteilung vorstellen, Kinder zu habe

Mein Besuch führt mich nach Bäch am Zürichsee, wo Rochelle Allebes (64) und Ronnie Gundelfinger (61) ihre Sommerferien verbringen. Rochelle holt mich am Bahnhof ab und fährt mich zu dem kleinen Haus am See, das sie – zusammen mit ihrem Schwager – ganzjährig gemietet haben. Jetzt, zur heißesten Jahreszeit, ist es mit seinem lauschig-schattigen Garten und dem direkten Seeanstoß eine wahre Idylle. Im Gespräch mit den beiden erfahre ich, was sich in den letzten Jahren in ihrem Leben alles ereignet und verändert hat.

Entwicklung der beruflichen SituationenRochelle hat noch eine Weile beim Elternnotruf gearbeitet, dann aber – nach 22 Jahren – gekündigt. »Seit 2006 habe ich eine Stelle im Team des Ausbildungsinstituts für systemische Therapie und Beratung in Meilen. Seither gebe ich dort Kurse und mache Supervisionen. Und in meiner Praxis arbeite ich mit Paaren und Familien.« Auf freiberuflicher Basis ist Rochelle in verschiedenen Projekten engagiert und arbeitet insgesamt etwa 70 Prozent. Sie wird die Tätigkeit in Meilen 2019 allerdings aufgeben. »Das Vorbereiten der Kurse ist eine stressige Arbeit. Ich finde auch, dass man irgendwann zu alt und zu weit weg ist von allen neuen Entwicklungen. Die Praxis würde ich langsam abbauen.« Nachher möchte sie vermehrt in Amsterdam weilen, wo sie ursprünglich herkommt und wo sie jetzt eine Wohnung gekauft hat.

Ronnie ist nach wie vor, seit annähernd dreißig Jahren, beim kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst des Kantons Zürich tätig. Als leitender Arzt ist er in diesem Umfeld quasi der »Silberrücken«, d. h. eine Person mit Erfahrung und Autorität. Sein Arbeitspensum hatte zwischenzeitlich ein fast unzumutbares Maß erreicht (bis 130 Prozent auf der Basis von 50 Wochenstunden). Jetzt hat es sich wieder bei etwa 100 Prozent eingependelt. Rund 60 Prozent seiner Arbeitszeit wendet Ronnie für das Thema Autismus auf, das zu seinen Spezialgebieten zählt. Daneben nimmt er diverse Leitungsfunktionen wahr.

 

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Karriere trotz früherer Teilzeitarbeit Für Ronnie war die Beförderung zum leitenden Arzt ein Karriereschritt. »Es hatte auch damit zu tun, dass der Dienst gewachsen ist und dass zusätzliche Hierarchiestufen geschaffen wurden. Es gab neue leitende Stellen, und eine davon habe ich dann bekommen.« Er ist nun der Dienstälteste und hat zwei wesentlich jüngere Chefinnen. Die direkte Vorgesetzte, zehn Jahre jünger, bringt Ronnie sehr viel Wertschätzung entgegen. »Sie ist schon froh, dass sie mich hat. Ich kenne den Laden einfach gut und kann sie bei Bedarf in Sachen unterstützen, für die sie keine Zeit mehr hat.« Rochelle ist von der Frau begeistert, da sie sich für vernünftige Arbeitszeiten einsetzt und Teilzeitarbeit fördert. »Sie ist für mich ein Vorbild. Ich erwähne sie in Coachings immer als Beispiel dafür, wie man das offenbar auch machen kann.«

Beide Partner betrachten die jüngere Entwicklung als erfreuliche Karriereschritte. Rochelle betont: »Meilen ist für mich ein schöner abschließender Karriereschritt gewesen. Ich habe Erfahrung und Wissen an eine nächste Generation weitergegeben, und das ist ein sehr schöner Abschluss.«

Zukunftsperspektiven Was nach der Pensionierung kommt, ist noch ungewiss. Rochelle denkt daran, sich in einem innovativen Projekt zu engagieren. »Es gibt ein neues Modell in der Schweiz, Paare während der Scheidung zu begleiten. ›Collaborative Law and Practice‹ heißt das. Man denkt darüber nach, gemeinsam mit Anwälten und Coaches eine kleine Institution auf die Beine zu stellen. Ich könnte mir vorstellen, da für ein paar Jahre mitzumachen.«

Ronnie hat beruflich mehrere Optionen: vorzeitig aufhören, bis 65 weitermachen oder über den Pensionierungszeitpunkt hinaus weiterarbeiten. Kinderpsychiatrisches Know-how sei Mangelware, betont er, seine Arbeit deshalb nach wie vor geschätzt. Allerdings findet auch Ronnie die Option interessant, Zeit in Amsterdam zu verbringen. Dafür will er sich einen Freiraum schaffen. »Ich werde darauf achten, dass ich mich nicht zu sehr verpflichte. Ich werde vielleicht einige Tage arbeiten und dann wieder vier Wochen gar nicht. Diese Freiheit möchte ich dann schon haben.«

Zum Stellenwert der Teilzeitarbeit Im Bildungs- und Beratungsbereich, in dem Rochelle arbeitet, ist Teilzeitarbeit schon länger an der Tagesordnung. Auch Ronnie stellt einen wachsenden Anteil an Teilzeit Arbeitenden fest. Reduzierte Pensen sind heute in der Psychiatrie – selbst bei Oberärzten – akzeptiert, was mit der zunehmenden Zahl an Ärztinnen zusammenhängt. »Auf der Stufe, auf der ich damals als Oberarzt war, gibt es keinen mehr, der 100 Prozent arbeitet. Bei den Assistenzärzten ist das anders, weil sich die Ausbildungszeit verlängert, wenn man Teilzeit arbeitet. Da gibt es Leute, die noch keine Familie haben und das durchziehen möchten. Wir haben aber auch viele Assistenten und Assistentinnen, die schon Kinder haben und Teilzeit arbeiten. Es hat sich sehr geändert; wir haben ganz viele Teilzeitstellen.«

Hausarbeitsteilung Die Rollenteilung im Haushalt richtet sich nach den beiderseitigen Fähigkeiten und Vorlieben. Es steckt da nicht mehr viel Zündstoff für Konflikte drin. »Es ist heute sicherlich viel einfacher«, stellt Ronnie fest. »Es gibt weniger zu tun, es wird weniger gekocht und eingekauft. Wenn es nur Brot und Käse gibt, ist es auch gut. Die Wäsche mache immer noch ich.« Rochelle bestätigt: »Ich glaube auch, die Rollenteilung ist noch etwa gleich. Ich arbeite und koche, und Ronnie tut es auch. Auch wenn er 100 Prozent und mehr gearbeitet hat, hat sich Ronnie immer sehr aktiv am Haushalt beteiligt. Er ist extrem effizient.«

Rückblick auf die partnerschaftliche Rollenteilung Beide Partner finden das egalitäre Rollenmodell auch aus großer zeitlicher Distanz eine gute Lösung. »Wir konnten es sehr gut organisieren«, betont Rochelle. »Anfangs hatten wir an einem Tag die Woche eine Kinderfrau, dann Krippe, Tagesschule. Ich würde es nicht anders machen.« Ausschließlich Mutter und Hausfrau zu sein, wäre für Rochelle nie infrage gekommen. »Ich komme aus einer sehr traditionellen Familie. Meine Mutter war eine typische Fünfzigerjahre-Mutter, die sehr unzufrieden war. Für mich war sie ein Antivorbild. Ich konnte es mir nur mit dieser Rollenteilung vorstellen, Kinder zu haben. Sonst hätte ich auf Kinder verzichtet.«

Auch Ronnie ist in einer traditionellen Familie aufgewachsen. »Der Impuls zur Rollenteilung kam klar von Rochelle. Rückblickend ist das gut gewesen. Ich bin extrem froh, dass ich für meine Kinder Zeit hatte.« Rochelle bestätigt: »Ich verdanke Ronnie, dass wir überhaupt Kinder haben, und er verdankt mir, dass er zu ihnen auch eine Beziehung hat.«

Was ist aus den Söhnen geworden? Die Söhne Micha (27) und Jonah (24) wohnen schon länger nicht mehr zu Hause. Micha, der Arzt geworden ist und sich auf Innere Medizin spezialisiert, wird demnächst seine aus Südafrika stammende Freundin Amy heiraten. Auch sie ist Ärztin.

Micha hatte es nicht eilig, auszuziehen. »Ich habe eine Wohnung gefunden, da Freunde dort ausgezogen sind«, erzählt der Vater. »Dann habe ich Micha gesagt, er habe eine Woche Zeit, um zwei Leute für eine Wohngemeinschaft zu finden. Das hat er dann gemacht und fand es auch gut. Aber von sich aus hat es ihn nicht aus dem Haus getrieben.«

Jonah will Sekundarlehrer werden und legt an der Pädagogischen Hochschule demnächst die Bachelor-Prüfungen ab. Er ist gleich nach der Matura zu Hause ausgezogen und lebt nun in einer Wohngemeinschaft. Während der Ausbildung hat Jonah auch gearbeitet und Geld verdient. »Es war ein recht anspruchsvolles Studium«, berichtet der Vater, »und er hat jede Prüfung beim ersten Mal bestanden. Jetzt geht er für ein Jahr nach Amsterdam, um den Master anzufangen.« Jonah wird dabei in der Wohnung seiner Eltern wohnen.

Beziehungen zwischen Eltern und Kindern Rochelle und Ronnie bezeichnen die Beziehungen zu ihren Söhnen als anregend, offen und vertrauensvoll. »Grundsätzlich haben wir ein gutes Verhältnis«, berichtet der Vater. »Wir sind vor einem Jahr wieder einmal zu viert für eine Woche in die Ferien gefahren. Das fanden sie gut und sagten, dass wir das auch wiederholen könnten.« Rochelle betont, ihre Söhne seien recht unterschiedlich, entsprechend unterscheide sich auch der Kontakt zu ihnen. »Mit Micha machen wir viel zusammen, und man kann mit ihm über alles reden. Da werden wir sehr einbezogen; das war schon immer so. Jonah sehen wir weniger. Aber wenn man ihn sieht, ist er sehr präsent. Es ist klar, dass er uns sehr gern hat und wir ihn auch.«

Bedeutung der Rollenteilung für die SöhneOb die Rollenteilung bei ihren Jungen Spuren hinterlassen hat, können Rochelle und Ronnie nicht mit Sicherheit sagen. Rochelle stellt jedoch fest, »dass ihre Freundinnen auf Augenhöhe sind. Es gehört zu ihren Kriterien, dass jemand interessant und spannend sein muss.« Sie ist überzeugt, dass ihre Söhne Frauen als gleichwertig respektieren. »Wie sie Frauen auswählen, wie sie mit ihnen umgehen, wie sie auf Sprüche über Frauen reagieren. Es passt ihnen nicht, wenn diese abschätzig sind.«

Die Rollenteilung der Eltern haben die Söhne bisher nicht groß kommentiert. »Einerseits hat es für sie etwas Selbstverständliches«, meint Ronnie,»weil es einfach so war. Gleichzeitig haben sie viele Familien um sich herum gesehen, die traditionell waren. Jonah äußert sich ziemlich kritisch über diese Paare und Familien.«

Kinderkosten Als die Kinder klein waren, beliefen sich die Kosten für familienergänzende Kinderbetreuung auf monatlich bis zu 2500 Franken. Auch später kosteten die Kinder viel Geld, wie der Vater berichtet. »Es war richtig teuer, als beide in der Privatschule waren; es gab damals noch kaum Tagesschulen. Da haben uns unsere Eltern unterstützt. Das fiel dann weg, als sie in die öffentliche Schule kamen. Das Studium ging eigentlich gut. Die Jungen haben ein wenig gearbeitet und etwas beigetragen. Größere Kosten wie Krankenkasse und Studiengebühren haben wir aber übernommen.«

Neue Betreuungspflichten Seit die Söhne erwachsen sind, fühlt sich das Paar sehr entlastet. Allerdings benötigt Ronnies Mutter nun vermehrt Betreuung. Sie lebt seit Kurzem in einem Altersheim, wo sie nur wenig Kontakt zu anderen Mitbewohnenden hat. Alle Familienmitglieder achten darauf, regelmäßig bei der alten Dame vorbeizugehen und sie, wenn nötig, zu unterstützen. Ronnie umschreibt das Engagement so: »Wir müssen sie nicht betreuen, weil sie gut versorgt wird, aber sie zu besuchen, ist sehr wichtig. Ich habe noch einen Bruder, der auch in Zürich wohnt. Er und ich gehen jeweils zweimal die Woche hin, Rochelle und die Jungs kommen auch vorbei. Im Prinzip bekommen wir es so hin, dass fast jeden Tag jemand vorbeischaut.«

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Das Paar findet, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die partnerschaftliche Rollenteilung hätten sich insgesamt verbessert. Insbesondere seien die Väter mehr interessiert, sich an der Betreuung ihrer Kinder zu beteiligen. Ronnie findet auch, das Betreuungsangebot sei stark ausgebaut worden. »Es gibt mehr Krippenplätze, es gibt gute und weniger gute Krippen. Es gibt zweisprachige Krippen, Förderprogramme, private Krippen. Es wurde auch zum Business.« Als Facharzt für Kinderpsychiatrie beurteilt Ronnie diesen Trend eher skeptisch. »Ich glaube, dass das Kind davon profitiert, wenn es mit anderen Kindern zusammen ist, aber nicht im ersten Lebensjahr. Es muss auch eine Vertrautheit aus der Alltagsversorgung geben. Die hat man nicht, wenn das Kind fünf Tage die Woche von Krippenfrauen übernommen wird.« Rochelle teilt Ronnies Vorbehalte. »Ich habe von Frauen, die in Krippen arbeiten, schon gehört, dass Mütter die Kinder so früh wie möglich bringen und auf den Mutterschaftsurlaub verzichten möchten. Sie bringen sie so lang wie möglich in die Krippe. Solche Geschichten erschrecken mich.«

Karriere um jeden Preis?Auch den Trend, dass Frauen um jeden Preis Kinder und Karriere verbinden wollen, beurteilt Rochelle skeptisch. Sie bezweifelt, dass Beruf und Familie ohne Verzicht vereinbart werden können, sofern man das Wohl der Kinder ins Zentrum stellt. »Es gibt heute einen gesellschaftlichen Druck, dass man Karriere machen und zeigen muss, dass man das auch mit Kind unter einen Hut bekommt.« Sie findet das unrealistisch. »Karriere und Kind ist too much. Es geht einfach nicht, wenn man es für die Kinder gut genug machen will.« Partnerschaftliche Rollenteilung beinhaltet nach Rochelles Meinung, »dass beide wirklich Teilzeit arbeiten und auf eine steile Karriere verzichten. Ich denke, man kann dabei trotzdem eine interessante Arbeit machen.«

Ronnie weist auf jene Familien hin, die sich ein egalitäres Rollenmodell aus finanziellen Gründen nicht leisten können. »Es gibt am anderen Ende des Spektrums diejenigen, bei denen beide arbeiten müssen, weil es für sie eine finanzielle Notwendigkeit ist.« Rochelle pflichtet ihm bei. »Sie können sich die Krippenplätze kaum leisten. Es gibt zwar welche, aber sie sind für viele Leute noch zu teuer. Das ist überhaupt nicht gelöst.«

Großeltern als »Sandwichgeneration« Rochelle stellt neuerdings fest, dass »die ältere Generation unter Druck gesetzt wird, kostenlose Betreuungsarbeit zu leisten. Das ist auch ein volkswirtschaftlicher Faktor, wenn das der neue Trend wird. Wenn man mal nein sagt, ist man heutzutage sofort eine Rabengroßmutter!« Rochelle anerkennt, dass »der Faktor Sorge nicht vernachlässigt werden sollte. Das ist ein Wert. Aber das bedeutet nicht, dass man Leute unter Druck setzen darf, Gratisarbeit zu leisten.« Ronnie doppelt nach: »Du kannst das Gleiche auch über die Altenbetreuung sagen; das ist ein vergleichbares Thema. Rein demografisch verschiebt es sich massiv, weg von der Kinder- hin zur Altenbetreuung.« – »Wir sind die neue Sandwichgeneration«, vermutet Rochelle. »Frauen in unserem Alter müssen auf die Enkel aufpassen und gleichzeitig die Eltern unterstützen. Und das in einer Phase, wo sie gerade mit der Arbeit fertig sind!« Das findet sie für viele eine Überforderung.

 

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VERENA UND PETER VOSER

»Die Flexibilität war für mich nie ein Opfer, sondern eine Abwechslung«

Hoch über dem Zugersee, am Ende einer verwinkelten Straße, findet sich das Mehrfamilienhaus, in dem Verena und Peter Voser wohnen. Ihr Leben ist seit jeher durch ein »doppeltes Halbe-Halbe« geprägt. Zur Hälfte gehen sie einer existenzsichernden Erwerbsarbeit nach, zur anderen Hälfte ihrer künstlerischen Tätigkeit. Verena hat ihr Atelier außer Haus, Peter in der Wohnung.

Ihre Tätigkeiten sind über einen langen Zeitraum annähernd gleich geblieben. Peter ist in einem Verlag als Korrektor/Lektor tätig, dies, obwohl er das Rentenalter bereits erreicht hat. Bei der Pensionierung machte man ihm das Angebot, 25 Prozent weiterzuarbeiten. Man bemühte sich sehr um ihn und bot ihm – zu gleichen Konditionen – einen Aushilfsvertrag an. Peter genießt es, in einem kleinen Pensum weiter beschäftigt zu sein und zu erfahren, dass seine Arbeit nach wie vor geschätzt wird.

Verena arbeitete früher als schulische Heilpädagogin an einer Oberstufe. Inzwischen hat sie eine Stelle als Fachperson für Heterogenität übernommen. Ihre Aufgabe beinhaltet vor allem die Begleitung von Lernenden und Lernbegleitern. Sie trägt dazu bei, der Unterschiedlichkeit der Schüler und Schülerinnen möglichst gut gerecht zu werden. Erwerbsarbeit ist für Verena primär eine Notwendigkeit: »Ich muss Geld verdienen«, betont sie, »sonst kann ich auf dieser Welt nicht bestehen. Wenn ich es aus dieser Perspektive betrachte, ist es eine interessante und gut bezahlte Arbeit. Mein Herzblut fließt aber nicht dafür.« Nun steht Verena kurz vor der Pensionierung und freut sich auf den Freiraum, den ihr diese eröffnen wird.

Wahl der partnerschaftlichen Rollenteilung Die beiden haben sich durch gleiche Interessen kennengelernt und früh auf eine egalitäre Rollenteilung geeinigt. Peter Voser stammt aus einfachen Verhältnissen. In seiner Kindheit erfuhr er, dass auch Frauen den Unterhalt einer Familie teilweise (oder ganz) übernehmen können. Peter arbeitete seit jeher Teilzeit. »Ich habe gewusst, dass ich nicht jeden Tag in eine Firma gehen und arbeiten möchte, nur damit ich mir einen BMW leisten kann. Der Auslöser war, dass ich Kunst machen wollte. Dafür habe ich Zeit gebraucht.« Als Peter Verena kennenlernte, sagte er ihr, dass er nicht der Haupternährer sein möchte, und sie hat das sofort akzeptiert. Verena erkannte die Chancen dieser ungewohnten Konstellation. Die egalitäre Rollenteilung eröffnete ihr einen Freiraum, »der es mir ermöglicht, meine Zeit in Kunst zu investieren oder auch mal nichts zu tun oder etwas Überraschendes, das ich nicht geplant habe«. Zudem konnte sie finanziell unabhängig bleiben, was ihr wichtig war. Seit sich das Paar kennt, führen die beiden getrennte Kassen und Konten.

Verena Vosers Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit wurzelt in ihrer Kindheit. Ihre Familie hatte häufig finanzielle Probleme, was Verena in ihrem Wunsch bestärkte, einmal anders zu leben. Die Mittelschul- und Lehrerinnenausbildung, die sie hart erkämpfen musste, ermöglichte ihr den Aufbau eines eigenständigen Lebens. Die Bedingungen im Bildungsbereich waren dafür gut; schon damals galten gleiche Löhne für Mann und Frau.

Als Tochter Céline geboren war, entwickelte Verena Voser mit einer Kollegin den Plan, eine Lehrerstelle im Jobsharing zu teilen. Es gelang ihnen, die Schulbehörden zu überzeugen, und so unterrichteten die beiden Frauen sechs Jahre lang dieselbe Klasse. Verena teilte mit der Kollegin jedoch auch die Kinderbetreuung, sodass Vosers Tochter mit deren Kindern wie mit Geschwistern aufwuchs. Alle vier Elternteile engagierten sich zu gleichen Teilen in der Betreuung der Kinder, je nachdem im einen oder anderen Haus. So war es möglich, dass Verena und Peter neben Erwerbsarbeit, Haushalt und Kinderbetreuung genügend Zeit für ihr künstlerisches Schaffen fanden. Die Zeit, die sie im Atelier verbrachten, belief sich auf fünfzehn bis zwanzig Stunden pro Woche. Diese Lebensform bewährte sich sehr, erforderte aber auch viel Energie und eine Reduktion der materiellen Ansprüche.

Peter ist als Kind in verschiedenen Familien aufgewachsen und betont, er habe davon sehr profitiert. »Ich würde deshalb empfehlen, dass man die Kinder in andere Familien, in Spielgruppen oder in einen Frühkindergarten geben sollte.« Dem ist auch Verena nicht abgeneigt. Sie findet Kitas gute, »professionelle Orte«, von denen Kinder profitieren können. »Die Kinderbetreuung ist heute besser – es gibt ein größeres Angebot. Wenn man aber wenig Geld verdient, braucht man eine subventionierte Krippe. Das war bereits früher ein Problem und ist es auch heute noch.«

Aufteilung der Hausarbeit Die Hausarbeit wird auch heute noch partnerschaftlich geteilt, jedoch eher »en passant« erledigt. »Wir haben konkrete Zuständigkeiten«, erklärt Verena. »Die haben sich durch Ausprobieren und durch Erfahrungen mit Dingen, die nicht funktioniert haben, nach und nach ergeben.« Verena putzt Bad und WC, Peter Küche und Wohnzimmer; dazu jeder sein eigenes Zimmer. Konflikte über die Aufteilung der Hausarbeit und unterschiedliche Sauberkeitsstandards haben im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren. Verena kann heute akzeptieren, dass Peter für manches Überwindung braucht. Sie hat auch gelernt, die beiderseitige Andersartigkeit und die unterschiedlichen Ansprüche zu akzeptieren.

Peter fragt sich, ob die Rollenteilung weiter funktionieren wird, wenn auch Verena pensioniert ist. »Ich kann dir garantieren, dass das nicht anders wird«, meint diese. »Ich erledige den Haushalt viel zu wenig gerne, als dass ich diese 50 Prozent aufstocken würde.« Peter versteht Verenas Standpunkt. »Ich hoffe, dass sie ihre Zeit nicht dafür einsetzen wird, Dinge zu erledigen, die ich vielleicht schon seit Längerem hätte machen sollen.«

Neue Engagements für die junge Generation Was wird die Zukunft an Neuem bringen, wenn beide pensioniert sind? Peter wünscht sich, dass beide weiterhin souverän bleiben und gewisse Aktivitäten auch getrennt unternehmen. Er betont zudem, er sei nicht wirklich pensioniert, denn er betreue neben seinem Aushilfsjob jede Woche zwei Tage seinen Enkel Amelio. Verena möchte durch die Pensionierung zeitlichen Freiraum gewinnen und damit »spielen«. Einen Tag pro Woche wird auch sie den Enkel betreuen. Zu einem weitergehenden Engagement ist sie nicht bereit. »Ich werde mir sicherlich Zeit für ihn nehmen – aber in einem beschränkten Rahmen.«

Weitere Betreuungsaufgaben haben Verena und Peter nicht. Ihre Eltern sind schon lange tot. Peter hatte aber vorübergehend Verpflichtungen gegenüber einer Tante. Und Verena übernahm – vor längerer Zeit – administrative Aufgaben, als ihre Mutter noch im Pflegeheim war. »Die ganze Administration und zu schauen, dass das Geld reinkommt, um die Pflegekosten zu decken – das war ein großer Aufwand.«

Beziehung zur Tochter Céline und ihrer Familie

Rollenverständnis der Tochter Der Tochter Céline (31) war ihre Unabhängigkeit wichtig. Frühere Beziehungen – auch mit Musikern – gingen auseinander, weil der Partner sich eine traditionelle Rollenteilung wünschte. Der Schwiegersohn hingegen legt selbstverständlich Hand an im Haushalt. Es war von Anfang an klar, dass die Hausarbeit geteilt wird. Wie Peter erzählt, hat das junge Paar im Freundeskreis bereits eine Art Vorbildfunktion. »Céline und Andi leben ihren Freunden das Modell vor und stecken sie damit an. Ich habe kürzlich gehört, dass andere Musiker sie aufgrund ihres Rollenmodells als Patentante und Patenonkel für ihr zukünftiges Kind gewählt haben.«

Geld ist unentbehrlich – und doch nicht so wichtig Ohne Geld keine Existenzsicherung, das gilt auch für die Vosers. Trotzdem betont Verena, Geld sei für sie nur »ein Randthema. Wenn es nach mir gehen würde, möchte ich am liebsten ohne Geld leben. Wenn das jemandem aber wichtig ist – Karriere, ein großer Lohn, der Erwerb von Eigentum usw. –, ist das nicht negativ. Es ist legitim, wenn man solche Wünsche hegt.«

Erfahrungen mit der Teilzeitarbeit Der Wunsch, in einem reduzierten Pensum tätig zu sein, wurde in beiden Arbeitsbereichen recht wohlwollend aufgenommen. Peter Voser spürte anfänglich zwar Vorbehalte gegenüber Männern, die reduziert arbeiteten. »Teilzeitarbeit und gar keine Arbeit war damals fast dasselbe. Sie hatten den Eindruck, dass ich nur hobbymäßig arbeite. Das ist heute nicht mehr so. Das Verständnis ist größer geworden.« Das hat auch damit zu tun, dass sich Peter seinem Arbeitgeber gegenüber immer sehr flexibel zeigte. Seine Arbeitsleistung war deshalb gleichwohl geschätzt. Auch das soziale Umfeld reagierte mit Verständnis auf die Art, wie die Vosers lebten. Diese erklären sich das Wohlwollen vor allem damit, dass sie neben der Arbeit seit jeher auch künstlerisch tätig sind.

 Zwei Wochen vor der Pensionierung ist Verena sehr zufrieden, »dass es mir über Jahrzehnte gelungen ist, in meiner künstlerischen Arbeit unbeirrt vorwärtszukommen. Gleichzeitig konnte ich mich unabhängig durchs Leben bringen und der Tochter eine gute Ausbildung ermöglichen.« Peter betont, das sei ihnen vor allem dank viel Flexibilität und günstigen Umständen – auch am Arbeitsplatz – gelungen. »Die Flexibilität war für mich aber nie ein Opfer, sondern eine Abwechslung.« Verena ist stolz darauf, »dass wir die richtige Balance gefunden haben. Es war eine Flexibilität innerhalb von gegebenen Strukturen. Es war uns über all die Jahre möglich, in diesen Strukturen beweglich zu bleiben, und ich habe das auch genutzt.«