Karl Erhard Schmöger

 

Anna Katharina Emmerick

Das Leben einer Augustinerin im ehemaligen Kloster Agnetenberg in Dülmen in Westfalen

anna

 

 

 

 

 

 

Herausgeber: Alois Bockhorst

 

Cover, Design, Layout und Satz aischab

ISBN 978-3-946182-38-2

 

© Copyright aischab Münster 2017

1. Neuauflage Münster 2014 (PRINT ISBN 978-3-943312-32-4) im Verlag EMPIRE, Erstausgabe erschienen in der Laumannschen Verlagshandlung und Buchdruckerei Dülmen in Westfalen 1875 unter dem Titel „Das Leben der gottseligen Anna Katharina Emmerich“

 

 


Dok1

http://sammlungen.uni-muenster.de



EINFÜHRUNG

 

Anna Katharina Emmerich – eine Mystikerin, eine Frau mit imaginativer Fantasie - wurde in Dülmen in einer Grabeskirche bestattet, um ihrer zu gedenken. Der Name Emmerich ist eine alte Bezeichnung und wird heute unter Emmerick geführt. In dieser Grabeskirche, der Heilig Kreuz Kirche in Dülmen, wurden ihre Gebeine in der Krypta beigesetzt. Ihre Seligsprechung erfolgte im Jahr 2004.

Ein Buch aus dem Jahr 1875 von Karl Ehrhard Schmöger schildert ihr Leben, beschreibt die wichtigsten Phasen ihrer Erlebnisse, bringt in prägnanter Weise zum Ausdruck, wie sie verehrt und gehasst wurde. Dem Hass, Misstrauen, Neid und Missgunst besetzten Verhalten durch Kirchen- und Behördenvertreter bot ihr starker Wille, vom Glauben geführt, Halt, auch wenn sie selbst streckenweise darunter sehr gelitten hat. Doch Leiden gehörte für Anna Katharina von Anfang an zum Leben, sie erkrankte früh an Rachitis bis zu ihrem Tode. Diese Krankheit wurde nie erkannt, geheilt und bestimmte ihre Glaubens- und eigene Lebenswelt.

Ihr Lebenslauf ist schnell skizziert, doch findet sich in den neueren Schriften aus dem Jahr 2010 (Scholz, Infoblatt der katholischen Gemeinde Heilig-Kreuz / Emmerick Bund und Dülmen Marketing eV) kein Hinweis auf eine angeordnete Untersuchung von der damaligen preußischen Regierung für drei Wochen wegen Betrug Verdachts. Anna Katharina wurde auf behördliche Anordnung durch den Oberpräsidenten Münster und den Landrat in das Schloss Darfeld gebracht, dort weggesperrt und auf unwürdige Art und Weise untersucht und rund um die Uhr von zwei abgestellten Beamten beobachtet. Dies war noch schlimmer als alle anderen Untersuchungen durch bischöfliche Weisungen zuvor.

Ihrem Bestreben, die von Gott ausgehende Liebe zu leben, um dem Leid in der Welt ein Zeichen zu setzen und dem Verfall des christlichen Glaubens entgegenzuwirken, hat sie bis zu ihrem Tode Zeugnis abgelegt. Ihr kindliches Gemüt bewahrte sie vor Irrwegen und Ablenkungen. Sie begann nach der Bibel den göttlichen Weg als ihre Berufung und Aufgabe zu verstehen. Ihre andersartigen geistigen Fähigkeiten verschafften ihr das Grundgerüst, den Leidensweg von Jesus Christus selbst zu erfahren, nachzuerleben und jedwedem Unheil zu trotzen. Selbst Krankheiten waren für sie kein Anlass, von dem einzigartigen Weg abzuweichen, so dass sie die Kreuzigung als Selbsterfahrung durchlebte und die Folgen daraus sichtbar, erfahr- und für alle Anwesenden spürbar wurden.

Nächstenliebe war für sie nicht nur ein Wort sondern gelebte und wahrgenommene Wirklichkeit. Dies waren ihr Vermächtnis und ihre Begabung zugleich, Gedankenbilder zu erkennen und zu beschreiben, so dass Sie ihrem Begleiter ihre Visionen von den verfolgten Christen lebhaft schilderte.

 

Nach einer ersten Öffnung des Grabes stellte man fest, dass ihr Körper kaum verwest war. Sie hatte sich selbst durch Nahrungs- und Wasserentzug mumifiziert und unsterblich werden lassen.

Der Herausgeber


LEBENSLAUF

 

1774

8. September in Coesfeld/Flamschen als fünftes von neun Kindern, getauft am selben Tag in St. Jakobi Coesfeld

1786

Erstkommunion in der Pfarrkirche St. Jakobi, Strenge Eigenerziehung von Beginn an, Tragen eines Bußgürtels, Abtötungen menschlicher Neigungen, Fürbitten für Verstorbene, Fähigkeit       vergangene und zukünftige Ereignisse sehen zu können

1786-1788

Magd beim Großbauern Emmerich

1789-1793

Lehrmädchen als Näherin in Coesfeld

1794-1798

Haus- und Wandernäherin, Nähstube im elterlichen Hause

1796

Firmung durch Weihbischof K. M. von Droste-Vischering, Erster Kontakt bei den Augustinerinnen in Borken, Nachfrage bei den Klarissen in Münster

1799-1802

Wirtschafterin bei Kantor Söntgen zwecks Erlenen des Orgelspiels

1802

Stigmatisation durch eine imaginäre Dornenkrone

1802

Eintritt in das Augustinerinnen-Kloster Agnetenberg in Dülmen

1803

Ablegen des Ordensgelübdes

1811

Aufhebung des Klosters im Zuge der Säkularisation

1812

Schwer erkrankt an Rachitis und Wechsel in neue Unterkunft als Haushälterin bei Abbé Lambert im Haus der Witwe Roters (heutige Münsterstraße)

1812

Stigmatisation durch Wundmale an Händen, Füßen, dem Kopf, zwei Kreuzen auf der Brust, Wunde an der rechten Seite

1813 – 21

Wechsel der Unterkunft bei Abbé Lambert mit Schwester Gertrud in eine größere Wohnung im       Hinterhaus des Gastwirts Franz Limberg

1813

Überprüfung der Glaubwürdigkeit durch die Kirche

1818-24

Freundschaft mit Clemens Brentano, der ihre Visionen dokumentiert

1819

Gefangennahme in das Schloss Darfeld zwecks amtlicher Untersuchung (4. bis 31. August) durch den Oberpräsidenten Münster und Landrat im Hause des Kammerrates Mersmann, danach Rückkehr in das Hinterhaus von Gastwirt Franz Limberg

1821-24

Tod von Abbé Lambert, Umzug zum Beichtvater Clemens Limberg (heutige Tiberstraße)

1824

Tod am 9. Februar 1824, Begräbnis unter großer Teilnahme der Bevölkerung am 13. Februar


Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

TAUFE UND ERSTE JUGENDZEIT

 

Die gottselige Anna Katharina wurde am 8. September (Mariä Geburt) 1774 in der Bauerschaft Flamske bei Coesfeld geboren. Ihre Eltern waren Bernhard Emmerich und Anna Hillers. Die Ehe war mit neun Kindern gesegnet, darunter war Anna Katharina das fünfte. Schon von ihrer Geburt an war sie außerordentlich begnadigt.

In der heiligen Taufe ward ihr mit der heiligmachenden Gnade und den göttlichen Tugenden auch das übernatürliche Licht der Weissagung in besonderem Maße eingegossen. Hören wir darüber ihre eigenen Worte. Am 8. September 1821 erklärte sie: „Ich erhielt heute ein Gesicht von meiner Geburt und Taufe und war dabei gegenwärtig in einem ganz seltsamen Gefühle...

Ich fühlte mich mit vollem Bewusstsein den ganzen Weg von unserer Hütte in Flamske bis in die Jacobi-Pfarrkirche in Coesfeld tragen: Ich fühlte und sah alles um mich her. Ich sah die ganze heilige Taufhandlung an mir verrichten und es gingen mir dabei die Augen und das Herz auf eine wunderbare Weise auf. Ich sah, als ich getauft ward, meinen Schutzengel und meine Namenspatrone, die heilige Anna und Katharina, bei der heiligen Taufhandlung gegenwärtig. Ich sah die Mutter Gottes mit dem Jesukindlein und wurde mit ihm durch Darreichung eines Ringes vermählt. Es ward mir alles Heilige, alles Gesegnete, alles, was mit der Kirche zusammenhängt, so lebendig fühlbar, als es nur irgend jetzt der Fall ist. Ich fühlte die Gegenwart Gottes im Allerheiligsten Sakramente und sah die Gemeinde der Heiligen in der Kirch erleuchtend und erkannte die Heiligen, die über ihnen erschienen. Ich sah alle meine Vorfahren bis zu den zuerst unter ihnen Getauften und erkannte in einer langen Reihe von Sinnbildern alle Gefahren meines zukünftigen Lebens...

Als ich aus der Kirche wieder nach Hause über den Kirchhof getragen wurde, hatte ich ein lebhaftes Gefühl von dem Zustande der Seelen der hier bis zu Auferstehung ruhenden Leiber, unter denen ich einige Leiber hell und herrlich leuchtend mit Ehrfurcht bemerkte.“

Der Gabe dieses Lichtes entsprach eine andere Zierde mit der Anna Katharina gleichfalls in der Taufe begnadigt wurde. Es war die Gabe höchster Reinheit des Leibes und der Seele. Der Glanz dieser Reinheit, der auf dem Kinde lag, zog die Herzen seiner Eltern, Geschwister sowie der einfachen Landleute, unter denen es seine Jahre zubrachte, wunderbar an. Derselbe verlieh demselben einen unwiderstehlichen Liebreiz und gab, als es älter wurde, seinem Tun und Lassen eine Weihe, die äußerst wohltätig auf seine nächste Umgebung einwirkte. Eine Wirkung dieser Reinheit war es, dass Anna Katharina bis zu ihrem Tode die arglose Einfalt eines demütigen, unschuldigen, nur in Gott lebenden Kindes bewahrte.

Die Bewahrung dieses Schatzes aber war für sie an die Bedingung unausgesetzter Überwindung, Entsagung und Abtötung geknüpft. Sie erkannte dieses klar, weshalb sie von der Zeit an, wo sie überhaupt im Stande war, sich eine freiwillige Abtötung aufzulegen, mit dem größten Eifer anfing, sich darin zu versuchen.

In einem Winkel der Scheune hatte sie ein Bildchen der Mutter Gottes mit dem Jesuskinde aufgehängt und davor ein Stück Holz gestellt, das einen Altar bedeuten sollte. Hierher trug sie alles, was sie von ihren Eltern und Bekannten zum Geschenke erhalten hatte. Gar oft geschah es, dass ihre Gaben vor dem Bildchen verschwanden, was ihr die frohe Gewissheit gab, das Jesuskind selbst habe sie in Empfang genommen. Noch keine vier Jahre alt erlaubte sie sich nie mehr eine volle Sättigung bei der Mahlzeit. Ihrem Gaumen tat sie auf alle Weise Abbruch: sie aß so wenig, dass es unbegreiflich schien, wie sie damit ihr Leben fristen konnte.

Gar groß war ihr Mitleid mit den Leiden anderer. Hörte sie von irgendeinem Übel, so machte dies einen solchen Eindruck auf sie, dass sie erblasste und wie starr da saß, als wäre sie im Begriff, in Ohnmacht zu fallen. Mit heißen Bitten flehte sie zum Herrn, er möge auf sie die Leiden anderer legen, damit diesen geholfen werde. Sie ging so weit in ihrem Mitleidsgefühl, dass sie selbst die Kleidungsstücke vom Leibe weggab. Wenn sie einen Hungrigen fand, so sagte sie:

„Wartet, ich will euch Brot aus dem Hause holen.“

Sie wusste durch die innigsten Bitten von ihren Eltern die Zustimmung zu erhalten, dass sie ihr letztes Hemdchen einem Bettelkinde schenken durfte.

Sah oder hörte sie von einer Sünde, so war sie von heftiger Betrübnis ergriffen und vergoss bittere Tränen. Aber über nichts freute sie sich so sehr, als über Gott und alles, was auf dessen Verherrlichung Bezug hatte. Anderseits fühlte sie sich über nichts so betrübt, als wenn Gott verunehrt und beleidigt wurde, ja, man kann sagen, dass dies ihr einziges Leid, ihre einzige Betrübnis gewesen. Oft bat sie in einem Alter von erst drei Jahren Gott aufs Eindringlichste, er möchte sie nur sterben lassen, weil man Gott später oft mit großen Sünden beleidige. Wenn sie aus dem Hause ging, so dachte sie oft:

„Möchtest du doch gleich tot vor der Tür niederfallen, so beleidigtest du Gott nicht!“

Sie tat alles, sie opferte sich förmlich auf, um die Sünden selbst oder ihre bösen Folgen zu verhindern. So stand sie einmal, etwas in ihrem vierten Lebensjahre, in einem fremden Hause an der Wiege eines totkranken Kindes. Ihr zur Seite befand sich dessen Mutter. Da schleuderte der aus irgendeiner Ursache zornig aufbrausende Vater nach ihr ein Beil, das dem kranken Kinde den Kopf zu zerschmettern drohte. Rasch trat Anna Katharina vor, um den Wurf aufzufangen. Das Beil streifte ihren eigenen Kopf und glitt von der Wiege ab. Das Kind war gerettet. Auch mit den Juden hatte sie inniges Mitleid.

„Die armen, amen Juden!“, rief sie aus, „wie bejammernswert sind sie, wie musste ich oft weinen, dass sie so harten Herzens sind und das Heil nicht finden wollen.“

In ihrem vierten Jahre bereits lag Anna Katharina der Übung des nächtlichen Gebetes ob. Sie setzte dieselbe ihr ganzes Leben hindurch fort. Das war gewiss eine ganz erstaunliche Abtötung, zumal sie so früh schon unternommen wurde. Nachts erhob sie sich von ihrem Lager und betete mit ihrem Engel zwei bis drei Stunden lang, manchmal sogar bis zur Morgendämmerung. Wenn die Witterung es gestattete, so schlich sie sich aus dem Hause, begab sich zu einem etwas höher liegenden Felde und betete, nach den Kirchen von Coesfeld blickend, mit ausgestreckten Armen. Um auf jede Weise die Ruhe sich unbequem und schmerzhaft zu machen, legte sie Stricke oder Holz in ihr Bett. Auch versah sie sich mit Bußgürteln. Sie trug ein hartes Unterkleid von dem gröbsten Tuch, das sie finden konnte, und peinigte sich mit Abhärtungen jeglicher Art.

Was aber trieb sie zu solch eifrigem, mit so empfindlicher Abtötung verbundenen Gebete an? Es wurden ihr in einer Reihe von Bildern Unglückliche der verschiedensten Art gezeigt, und sie wurde belehrt, dass diese ohne ihr Gebet der Hilfe beraubt bleiben würden. Besonders erschütternde Bilder wurden ihr zu Teil mit dem Ausbruche der französischen Revolution (1789). So wurde sie unter anderem im Geiste in das Gefängnis der später enthaupteten Königin Maria Antoinette von Frankreich geführt. Sie forderte ihre Umgebung zu Gebeten für die Unglückliche auf. Allein man hielt ihre Mitteilungen für Träumereien und sagte wohl gar, wer so umher geführt werde und alles sehe, müsse eine Hexe sein. Sie wohnte auch im Geist vielen Hinrichtungen bei, um durch ihr Gebet den Sterbenden Trost zu bringen. Dies war besonders der Fall bei der Hinrichtung Ludwigs XVI. von Frankreich (1793).

Einen großen Teil ihres Gebetes opferte sie den armen Seelen im Fegefeuer auf. Diese näherten sich ihr häufig hilfesuchend. In späteren Jahren äußerte sie sich hierüber also:

„Da ich noch Kind war, wurde ich von einer mir unbekannten Person an einen Ort geführt, der mir als das Fegefeuer erschien. Ich sah dort viele Seelen in großen Leiden, die mich um Fürbitte anflehten. Es war mir, als würde ich in einen tiefen Abgrund geführt. Ich sah einen weiten Raum, der einen schrecklichen und dabei doch rührenden Eindruck machte. Denn es saßen da so stille, traurige Menschen, die etwas in ihrem Visionen hatten, als ob noch Freude in ihrem Herzen wäre, und als dächten sie an die Barmherzigkeit Gottes.

Ich fühlte, dass die armen Leute innerlich sehr große Schmerzen litten...Wenn ich recht lebhaft für die armen Seelen betete, hörte ich oft Stimmen um mich, welche sprachen: „Ich danke dir, ich danke dir!“ Als ich älter geworden, ging ich zur Frühmesse nach Coesfeld. Um besser für die armen Seelen beten zu können, ging ich einen einsamen Weg. War es noch dunkel, so sah ich arme Seelen paarweise vor mir schweben, wie glänzende Perlen in einer trüberen Flamme. Der Weg wurde mir ganz hell und ich freute mich, dass sie um mich waren, weil ich sie kannte und sehr liebte, denn auch Nachts kamen sie zu mir und begehrten meiner Hilfe.“

 


Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

VISIONEN

 

 

Ihr Vater Bernhard fand nach getaner Arbeit seine Erholung darin, dass er Anna Katharina auf die Knie nahm und sich von ihr erzählen ließ.

„Anntrienken“, pflegte er zu sagen, „nu büs du in min Kämmerken, nu vertell mit wat!“

Dann erzählte sie ihm lebhaft von den Bildern aus dem Alten Testament, die sie geschaut, so dass er in Tränen ausbrechend fragte:

„Kind, woher heft du dat?“

Sie antwortete einfach, das sei ja so, das sehe sie so. Der Vater fragte dann nicht weiter. Sie sah diese Bilder wachend zu jeder Tageszeit und unter jeglicher Beschäftigung. Da sie meinte, alle Menschen hätten die Gerichte in ähnlicher Weise wie sie, so sprach sie unbefangen davon. Da sie aber dabei auf Widerspruch stieß und die ernste Ermahnung erhielt, sich derlei nicht einzubilden, so wurde sie vorsichtiger und schwieg zuletzt ganz davon.

Die Gerichte selbst aber hörten nicht auf. Es waren die zwölf Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses, die nach dem Lauf des Kirchenjahres in unendlich reichen Bildern an ihrer Seele vorüberzogen Der Schauplatz der heiligen Geschichte und die Persönlichkeiten des Alten Testamentes waren ihr deutlicher und bekannter, als der Kreis ihrer täglichen Umgebung. Es waren aber derartige Anschauungen für sie ein wahrhaftiges Miterleben des Geschauten und ein Mithandeln. Es würdigte sich der Heiland selber, in dem reichen Gebiet der ihr zu Teil gewordenen Visionen ihr Führer zu sein und ihr das Verständnis der verbotensten Geheimnisse zu eröffnen.

Vermöge einer besonderen Gnade war sie im Stande, ihr Schauen mit ihrem äußern Tun und Lassen im Einklang zu erhalten. Wiewohl sie Tage lang in ununterbrochenem Schauen sich befand, so ging ihr doch jede Arbeit so rasch von statten, als wäre ihre ganze Aufmerksamkeit nur dieser zugewendet. Alle für das gewöhnliche Leben erforderlichen Kenntnisse und die Ausübung derselben erhielt sie als ein Geschenk vom Herrn, ohne sich dieselben durch Erlernen und Übung erst allmählich aneignen zu müssen. Wie sie zu lesen wusste, sobald sie nur ein Buch öffnete, so gelang ihr auch jegliche Arbeit, die sich ihr gerade darbot.

Die Visionen waren ein Mittel in der Hand des Herrn, sie zu einer höheren Vollkommenheit zu führen. So zeigte er sich ihr als ein mit dem Kreuz beladenes Kind, worauf sie, gerührt von seiner Geduld, ein schweres Stück Holz betend trug, solange ihre Kräfte es gestatteten. Auch zeigte er sich ihr betrübt über die Ausgelassenheiten frecher Kinder, und dieser Anblick trieb sie oft in Dornen oder Nesseln, um dem Herrn eine Genugtuung zu leisten. Betete sie den Kreuzweg, so kam er zu ihr und gab ihr sein Kreuz zu tragen. War sie auf dem Felde, oder beim Hüten der Kühe, was sie von ihrem fünften Jahr an tun musste, so war die von ihm besucht und belehrt, wie sie alles zur Ehre Gottes einzurichten habe.

Als ich anfing, “ erzählt sie, „die Kühe zu hüten, kam das Jüngsken auch zu mir und bewirkte, dass die Kühe sich selber hüteten. Wir redeten zusammen von allerlei guten Dingen: wie wir Gott dienen und das Christkind lieben wollten, und wie Gottes alles sehe. Ich war sehr oft mit dem Jüngsken zusammen und wir konnten alles miteinander. Wir nähten und machten Mützen und Strümpfe für arme Kinder. Alles, was ich wollte, konnte ich, hatte auch alles, was ich brauchte. Wunderlich war es, dass ich immer alles anordnete und glaubte, ich mache es, und es war eigentlich das Jüngsken, das alles machte.“

Auch Johannes der Täufer kam gleich einem Jugendgespielen zu ihr. Hütete sie die Kühle, so rief sie nach ihm:

„Jänsken met sin Fell sall to mi kuemen!“, worauf er sogleich kam und bei ihr weilte.

Die heilige Jungfrau kam als eine gar majestätische, schöne und gütige Frau zu ihr auf Feld und Wiese. Von dem, was sie in den Visionen sah, ward sie aufs Tiefste ergriffen und zum entsprechenden Handeln bestimmt. So war sie in der Nacht vor Christi Geburt in so lebhafter Anschauung der Ankunft der heiligen Jungfrau im Stalle zu Betlehem, dass sie voll zärtlicher Sorge ein Feuer anzündete, damit Maria nicht durch Kälte leide oder eine Speise sich bereite. Was sie an Liebesgaben spenden konnte, hielt sie bereit, um es der göttlichen Mutter anzubieten. Durch den innigen Verkehr mit Gott und den Heiligen musste in ihr das Gefühl für alles Reine mächtig erstarken und der Abscheu gegen alles Unreine immer größer werden. So konnte denn ihr Gewissensführer (Overberg) bezeugen: