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Über dieses Buch:

Büffelfrau – überall auf der Prärie kennt man ihren Namen, und sogar die Häuptlinge verneigen sich vor ihr. Schon als Kind ist sie lieber bei den rauen Spielen der Jungen dabei, sie kann mit Pfeil und Bogen umgehen und gehört zu den besten Reitern ihres Volkes. Als sie ihre seherischen Fähigkeiten entdeckt, schließt sie sich einem alten Schamanen an und lernt die geheimnisvolle Welt der Geister kennen. In dem tapferen Weißer Biber findet sie einen Mann, der ihr ebenbürtig ist und die gleichen Träume hat. Als er im

Kampf umkommt, und die heiligen Pfeile in die Hände des Feindes fallen, begibt sie sich auf den Kriegspfad ... um Rache zu nehmen und ihr Volk zu retten.

Über den Autor:

Thomas Jeier wuchs in Frankfurt am Main auf, lebt heute bei München und „on the road“ in den USA und Kanada. Seit seiner Jugend zieht es ihn nach Nordamerika, immer auf der Suche nach interessanten Begegnungen und neuen Abenteuern, die er in seinen Romanen verarbeitet. Seine über 100 Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet.

Bei dotbooks erscheint auch:

Biberfrau

Die Tochter des Schamanen

Weitere Titel sind in Vorbereitung.

Die Website des Autors: www.jeier.de

Der Autor im Internet: www.facebook.com/thomas.jeier

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eBook-Neuausgabe Oktober 2017

Copyright © der Originalausgabe 1994 by Franz Schneekluth Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/JPL-Designs (Landschaft), bastinda 18 (Symbol)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-96148-026-5

 

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Thomas Jeier

Das Lied der Cheyenne

Roman

dotbooks.

Es ist ein Gesetz,
daß alle Dinge in einer Frau
geboren werden müssen,
sogar die Dinge, die von Männern
erfunden werden.

Agnes Whistling Elk

1
Donnervogel

Das Krächzen eines großen Donnervogels drang durch die Nacht. Seine schwarzen Flügel hoben sich unheilvoll gegen den Mond ab und warfen einen dunklen Schatten auf das Tipi des Schamanen. Niemand sah den Vogel, seine flammenden Blitze erhellten nur den Traum des alten Sieht-hinter-die-Berge. Ein Windstoß fegte durch das Dorf und ließ die Zeltplanen flattern. Die beiden Pferde, die vor dem Tipi angebunden waren, scharrten unruhig mit den Hufen, und die Hunde zerrten an den Leinen. Eine tiefe Stimme geisterte durch die Nacht und rief den Namen des Medizinmannes.

Sieht-hinter-die-Berge schreckte aus dem Schlaf. Er rieb sich den Schweiß von der Stirn und stützte sich auf die Ellenbogen. Die Glut der Feuerstelle warf einen roten Schein auf sein Gesicht und ließ die langen weißen Haare leuchten. Seine dunklen Augen brannten. Was war geschehen? Er spannte seine Sinne an und starrte in die Dunkelheit. Als keine Antwort kam, stimmte er ein leises Lied an. Er hatte keine Angst vor den Geistern, weil er mehrmals am Tag betete und regelmäßig zum Fasten in die Berge ging. Aber er spürte eine innere Unruhe und wollte es nicht darauf ankommen lassen. Die Geister waren sehr empfindlich. Vielleicht hatte irgend jemand im Dorf ein Tabu verletzt oder die Geister auf andere Weise erzürnt.

Er stand auf, öffnete die Zeltklappe und ging nach draußen. Irgend jemand hatte ihn gerufen. In einem Traum, an den er sich nicht mehr erinnern konnte, und von dem er nicht wußte, ob er gut oder schlecht gewesen war. Ich werde alt, dachte er bekümmert, es wird Zeit, daß sich ein anderer um das heilige Bündel kümmert, und ich in meinen letzten Sonnenuntergang reite.

Sieht-hinter-die-Berge hatte mehr als siebzig Winter gesehen, aber immer noch keinen würdigen Nachfolger gefunden. Hatten sich die Geister endlich entschieden? Hatten sie einen jungen Mann gefunden, der das zweite Gesicht hatte und die Heilkraft aller lebenden Dinge kannte? Hatten sie ihn deshalb geweckt?

Er blieb nachdenklich stehen. Ein lauer Nachtwind wisperte in den nahen Weiden am Flußufer und kühlte den Schweiß auf seinem Gesicht. Einige Pferde schnaubten und stampften nervös mit den Hufen, als hätten sie denselben Traum wie der alte Mann gehabt. Aus dem Nachbartipi drang das laute Schnarchen von Büffelhöcker, der bis in die späte Nacht mit einigen Freunden getanzt hatte. Das Trommeln war laut gewesen, und der eintönige Gesang hatte den alten Schamanen lange wach gehalten. Sieht-hinter-die-Berge wohnte allein in seinem Tipi, und die jungen Krieger hatten viel zuviel Respekt vor ihm, um ihn zu einem Fest einzuladen. Manche hatten sogar Angst vor ihm. Er war der alte Mann mit den vielen Falten im Gesicht, der mit den Geistern sprechen konnte und sah, was auf der anderen Seite der Berge geschah. Er entdeckte die Büffel, bevor der erste Krieger aufgeregt ins Dorf geritten kam, und er spürte ein Gewitter, bevor der Donnervogel seine brennenden Pfeile auf die Erde schleuderte.

Er ging ein paar Schritte, blieb dann stehen, um wieder zu lauschen. Das Schnarchen war immer noch zu hören, und auch die Pferde waren nicht ruhiger geworden. Auf der Westseite des Dorfes war Babygeschrei zu hören, und er sah den Schatten einer Frau, die mit ihrem Kind in den nahen Wald verschwand, um die anderen nicht zu stören. Ein Bussard zog krächzend über das Dorf und badete im bleichen Licht des halben Mondes. Er rief etwas, aber der Schamane verstand ihn nicht. »Was willst du mir sagen, Bussard?« fragte er, aber der dunkle Nachtvogel glitt über ihn hinweg.

Sieht-hinter-die-Berge hatte gelernt, seiner inneren Stimme zu folgen, wenn ihn etwas beunruhigte. Alles im Leben hatte seinen Sinn. Die Geister hätten ihn niemals geweckt und aus seinem Tipi gelockt, wenn es keinen Grund dafür gab. Er ging weiter und verließ das Dorf, das unweit eines kleinen Flusses in einer Senke errichtet worden war. Nach alter Sitte waren die Zelte in einem Halbkreis errichtet worden, dessen offene Stelle nach Osten zeigte. Dort ging die Sonne auf, die von den Hügelleuten als Ursprung des Lebens verehrt wurde. Er hatte keine Waffen dabei. Er vertraute dieser inneren Stimme, die ihm sagte, daß es keine Anzeichen für einen nächtlichen Überfall gab. Die Ho-he waren weit nach Norden gezogen, und die Shar-ha waren vor zwei Wintern vernichtend von den Hügelleuten geschlagen worden und hatten sich seitdem nicht mehr blicken lassen. Er lächelte, als er an die blutige Schlacht dachte. Er hatte damals vier Tage in den nahen Bergen gefastet und einen weiteren Tag auf einem bemalten Büffelschädel gestanden, um die Geister auf den Kampf gegen die Shar-ha einzustimmen. Sie hatten das Opfer angenommen und sich auf die Seite der Hügelleute geschlagen. Die Shar-ha waren blind in die Falle gelaufen, und die Hügelleute waren mit Skalpen beladen ins Dorf zurückgekehrt. Aiee, das waren gute Tage gewesen.

»Bist du das, Onkel?« fragte die Stimme eines Jungen. Er war unbemerkt aus der Dunkelheit getreten, das Gesicht mit nasser Erde beschmiert. Er blickte den Schamanen erstaunt an. »Was tust du hier, wenn alle anderen schlafen?«

Sieht-hinter-die-Berge erkannte den jungen Gelber Wolf, der bei Büffelhöcker und seinen beiden Frauen lebte, seitdem seine Eltern bei einem Überfall der Ho-he ums Leben gekommen waren. In Friedenszeiten durfte er die Pferdeherde bewachen, die nachts auf den nahen Hügelhängen weidete.

»Du hast scharfe Augen und gute Ohren«, lobte er den Jungen, »ich habe dich nicht gesehen.« Er legte ihm eine Hand auf die Schultern und fuhr lächelnd fort: »Alte Männer wie ich haben oft seltsame Träume. Wir sehen dunkle Gestalten und hören seltsame Stimmen, die uns am Schlafen hindern.«

»Ich habe nichts gehört, Onkel«, sagte Gelber Wolf. Er war nur mit einem Lendenschurz bekleidet, und das Mondlicht glänzte auf seinem fettbeschmierten Körper. Der Respekt vor dem Schamanen verbot es ihm, ihn weiter auszufragen.

Sieht-hinter-die-Berge spürte die Neugier des Jungen, verriet aber nichts von seinem Traum. »Paß gut auf die Pferde auf«, meinte er stattdessen, »sei wachsam und halte Ausschau nach unseren Feinden. Dann wirst du ein großer Krieger.«

Gelber Wolf winkte ab. »Die Shar-ha lassen sich so schnell nicht mehr blicken. Sie sitzen bei ihren Weibern und Kindern und lecken ihre Wunden. Sie sind Feiglinge.«

Sieht-hinter-die-Berge sah das Leuchten in den Augen des Jungen. Es verriet die Ungeduld des jungen Mannes, der darauf brannte, auf seinen ersten Kriegspfad zu gehen. Er dachte an seine eigene Jugend und mußte lächeln. Er war genauso ungeduldig wie Gelber Wolf gewesen und früh in den Krieg gezogen. Erst dann war er in den Bergen seinem Schutzgeist begegnet und hatte seine wahre Berufung erfahren.

»Wenn die Büffel kommen, werde ich zum ersten Mal gegen die Shar-ha reiten«, prahlte der Junge. »Ich werde Coups schlagen und viele Pferde rauben. Ich will ein großer Krieger werden wie Büffelhöcker.«

»Dann geh zu den Pferden zurück und paß auf deinen Skalp auf«, antwortete der Schamane schmunzelnd. »Sonst stehlen dir die Shar-ha die Pferde unter dem Hintern weg, und dein Skalp baumelt an der Lanzenspitze eines dieser feigen Krieger.«

Der Junge wurde blaß und kehrte zur Herde zurück. Sieht-hinter-die-Berge beobachtete, wie er sich hinter einen Felsen kauerte und den Bogen schußbereit von der Schulter nahm. Der Schamane ging lächelnd weiter. Seine nackten Füße teilten das Präriegras, das ihm schon bis zu den Knöcheln reichte. Trotz seines hohen Alters ging er aufrecht. Er hatte seinen Wanderstock im Tipi gelassen und auch nicht daran gedacht, eines seiner Pferde zu besteigen. Das hatten die Geister nicht gewollt, sonst hätten sie es ihm ausdrücklich befohlen. Er wanderte wie ein Einsiedler über die Prärie, und er würde erst stehenbleiben, wenn ihn eine innere Stimme dazu aufforderte.

Die Prärie umgab das Zeltdorf der Hügelleute wie ein erstarrter Ozean. Mit Büffelgras bewachsene Hügel erstreckten sich zu beiden Seiten des Flusses, der im Osten des Dorfes vorbeifloß. Vereinzelte Bäume rauschten im leichten Wind, und der schwere Duft von Salbei hing in der Luft. Im Nordosten erhoben sich schroffe Felsen aus dem Gras und bildeten ein Labyrinth aus verzweigten Schluchten und Tälern. In der Dunkelheit waren die Felsen nur als Schatten zu erkennen. Der Mond war hinter Wolken verschwunden.

Nach einem zweistündigen Marsch erreichte Sieht-hinter-die-Berge die Felsen. Er stieg über einen schmalen Pfad zu den Sternen empor. Seine Füße brannten auf dem steinigen Boden, und seine Knochen schmerzten von der Anstrengung. Er bereute jetzt, seinen Wanderstock nicht mitgenommen zu haben, und hielt sich immer wieder an den Felsen fest, um auszuruhen. Der Pfad war steil und führte in vielen Windungen nach oben. Der alte Mann war diesen Weg noch nie gegangen, aber er wußte plötzlich, daß es jetzt nicht mehr weit war, und die Antwort auf seine Fragen jenseits der großen Felswand auf ihn wartete. Sie ragte wie das Ende der Welt in den Himmel empor, und der Pfad würde durch sie hindurch zum Licht führen.

Das wußte Sieht-hinter-die-Berge, und seine Ahnung trog ihn nicht. Als jeder andere längst umgekehrt und vor dem unheilvollen Schatten der Felswand zurückgewichen wäre, tat sich eine tunnelartige Öffnung in dem grauen Stein auf. Am Ende des dunklen Ganges flackerte Licht. Er kletterte mit letzter Kraft hindurch und blieb erstaunt stehen.

Vor ihm erstreckte sich eine sumpfartige Wiese. Nebelfetzen waberten über dem Gras und verbreiteten einen modrigen Geruch. Als der Mond hinter den Wolken hervorkam, erkannte Sieht-hinter-die-Berge einen großen Büffel, der wie ein Schatten aus dem Nebel tauchte. Das mächtige Tier schwebte über dem Boden und hatte anscheinend auf ihn gewartet. Seine Hörner sprühten helle Funken.

»Du bist gekommen«, sagte der Büffel. Sein Fell leuchtete im Mondschein wie flüssiges Silber. Seine Augen waren rot und erinnerten den Schamanen an einen Traum, den er vor vielen Wintern gehabt hatte. Auch damals war ihm der Büffel erschienen. ›Ich bin dein Schutzgeist‹, hatte er gesagt, ›und ich werde dich rufen, wenn die Geister zu dir sprechen wollen.‹

»Ja, ich bin gekommen«, antwortete Sieht-hinter-die-Berge. Er hatte seinen Schutzgeist erkannt und fürchtete sich nicht. Der Büffel meinte es gut mit ihm. »Was hast du mir zu sagen?«

Der Büffel bewegte sich langsam. Seine Flanken zitterten, als sei er von weither gekommen, und aus seinem Maul tropfte Schaum. »Nur dies: Es werden seltsame Dinge geschehen im Dorf der Hügelleute. Der Hund wird schnauben wie ein Pferd, und das Pferd wird schreien wie ein Adler. Es wird kalt, wenn die Sonne scheint, und warm, wenn der eisige Wind aus dem Norden kommt. Die Feinde werden eure Krieger verlachen und Angst vor euren Frauen haben.«

»Du meinst, wir werden alle hohnuhk?« fragte der Schamane verwundert. Die hohnuhk oder ›Gegenteil-Leute‹ waren eine kleine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die große Angst vor Blitz und Donner hatten und immer das Gegenteil von dem taten, was sie gerade beabsichtigten. Sie liefen rückwärts, wenn sie vorwärts gehen wollten, und sie saßen auf dem Rücken und streckten die Beine in die Luft. Ihre Aktionen wurden vom ganzen Stamm belächelt, aber sie genossen großen Respekt, weil sie Kranke heilen konnten.

Der Büffel bewegte sich träge im Nebel und schnaubte leise. »Nein, die Hügelleute werden keine hohnuhk«, beruhigte er den verstörten Schamanen. »Aber es wird eine Frau kommen, die euer Volk vor großen Gefahren bewahren kann. Nimm dich ihrer an, Sieht-hinter-die-Berge. Sorge für sie und weihe sie in deine Geheimnisse ein. Nur wenn sie die Geheimnisse kennt, kann sie die tsis tsis tas vor dem Untergang retten.«

So nannten sich die Hügelleute selber. Der Name, den die anderen Stämme kaum aussprechen konnten, bedeutete ›auserwähltes Volk‹. Von den weißen Händlern mit den Haaren im Gesicht wurden sie ›Cheyenne‹ genannt, und die Lakota im Norden sagten ›sha-hi-yena‹, ›Volk einer anderen Sprache‹.

»Wie erkenne ich die Frau, mein Geist?«

»Du wirst sie erkennen.« Mit diesen Worten verschwand der Büffel, der Nebel verzog sich, und aus der sumpfigen Wiese wurde ein geröllübersäter Abhang, der still und verlassen im Mondlicht lag. Ein Bussard stieg aus den Felsen empor und verschwand krächzend zwischen einigen Büschen.

Sieht-hinter-die-Berge war allein. Als er nach dem Büffelgeist rief, antwortete nur das Echo, das vielfach von den kahlen Felswänden zurückgeworfen wurde. Enttäuscht stieg er über den gewundenen Pfad nach unten. Er hätte gern etwas mehr erfahren über die geheimnisvolle Frau. Wie sah sie aus? Wo kam sie her? Vor welchen Gefahren sollte sie das Volk retten? Warum sollte er sie in die Geheimnisse seiner Kunst einweihen? War sie die neue Medizinfrau? War seine Zeit abgelaufen? Hatten die Geister beschlossen, einer Frau das heilige Bündel zur Aufbewahrung zu geben?

Noch gab es keine Antworten auf diese Fragen. Sieht-hinter-die-Berge dachte darüber nach, während er zum Dorf zurücklief. Er blieb immer wieder stehen und beschwor die Geister mit seinem Gesang, aber es kam keine Antwort. Sein Schutzgeist hatte ihm alles berichtet. Er hatte gesagt, was gesagt werden sollte, und es blieb dem Schamanen überlassen, sich darauf einen Reim zu machen.

Sieht-hinter-die-Berge erreichte das Dorf im Morgengrauen. Das schimmernde Gold der aufgehenden Sonne warf seinen Glanz auf die Tipis und ließ das Büffelgras geheimnisvoll leuchten. Auf den Büschen glitzerte der Tau. Die Erde roch frisch und würzig, und aus einigen Zelten stiegen bereits Rauchfahnen. Kinder liefen zum Fluß hinunter und badeten im kühlen Wasser. Pferde schnaubten, Hunde bellten, und Windfrau kam aufgeregt aus dem Tipi von Büffelhöcker und rannte über den freien Platz. Sie rief die Namen ihrer Freundinnen und kehrte mit ihnen zum Tipi zurück. »Beeilt euch!« rief sie. »Es ist soweit! Weidenfrau ist soweit!«

Der alte Schamane wußte, was die Aufregung zu bedeuten hatte. Weidenfrau war die jüngere der beiden Frauen, die bei dem Krieger der Hundesoldaten wohnten, und sie war schwanger. Wenn sie soweit war, bekam sie jetzt ihr Baby. Sieht-hinter-die-Berge eilte in sein Tipi und kehrte bereits angezogen und mit dem heiligen Kopfschmuck und den heiligen Gegenständen zurück, als die Frauen nach ihm schickten.

Weidenfrau lag auf einem Büffelfell beim Feuer und hatte große Schmerzen. Die Wehen hatten schon vor einigen Stunden eingesetzt und waren so heftig geworden, daß sie es kaum noch aushielt. Aber sie war eine starke Frau, und in ihren Augen waren keine Tränen. Der Schamane kniete vor ihr nieder und flößte ihr etwas von der Rindenmedizin ein, die er in einem Gefäß aus Büffelhorn mitgebracht hatte. Dann begann er zu singen, und das eintönige Geräusch seiner Rassel erfüllte das Tipi. Er beschwor die Geister, ihr die Geburt zu erleichtern und ein gesundes Kind zur Welt kommen zu lassen.

Weidenfrau bäumte sich auf, und das Kind kam aus ihrem Leib. Ihre Schwester wickelte die Nabelschnur einmal um ihren Finger und zertrennte sie mit einer Pfeilspitze. Dann wurde das Kind gebadet, mit dem Pulver eines Pilzes eingepudert und in weiche Decken gehüllt. Die Mutter nahm das Bündel entgegen und drückte es an ihre Brust. Sie war stolz und glücklich. »Es ist ein Mädchen«, sagte Büffelhöcker, der im hinteren Teil des Zeltes ausgeharrt hatte. Er klang ein bißchen enttäuscht, er hatte sich einen starken Sohn gewünscht.

Sieht-hinter-die-Berge sah die Enttäuschung in den Augen von Büffelhöcker und erkannte, daß dieses Mädchen nicht zufällig bei seiner Rückkehr geboren worden war. Diese Geburt hatte etwas zu bedeuten. »Hör mich an, Büffelhöcker«, sagte er, »deine Frau hat ein besonderes Kind geboren. Es steht unter dem Schutz der Geister und wird zu einer stattlichen Frau heranwachsen. Ich werde sie in die Geheimnisse meiner Kunst einweihen und sie zu meiner Nachfolgerin erziehen.«

Der Krieger blickte ihn erstaunt an. »Meine Tochter, eine Medizinfrau? Woher willst du das wissen, Onkel?« Er gebrauchte die respektvolle Anrede des Volkes.

»Sie wird eine Medizinfrau und noch viel mehr«, antwortete der Schamane, »das haben mir die Geister erzählt. Behandelt sie gut, und bereitet sie auf ihre große Aufgabe vor.« Er stand auf und verließ würdevoll das Tipi.

2
Magische Kräfte

Der Ausrufer verbreitete die Nachricht von der Geburt im ganzen Dorf. Er begann seinen Ritt im Osten des Lagers und lenkte seinen Schecken langsam an den Tipis vorbei. Die Frauen verließen ihre Kochstellen, vom Fluß kamen die Männer und die Kinder herauf und hörten Dachs neugierig zu. Dachs war ein schüchterner Mann und wurde oft wegen seiner Hautkrankheit belächelt, die sein Gesicht wie einen ungeschälten Birkenstamm aussehen ließ. Als Ausrufer kannte er die Befehle des Häuptlings und fast alle wichtigen Neuigkeiten zuerst, deshalb wagte niemand, ihn wegen seiner Krankheit zu hänseln.

»Hört, was ich euch zu berichten habe«, rief er mit seiner dunklen und weittragenden Stimme. »Weidenfrau hat eine Tochter geboren. Noch hat sie keinen Namen, aber Sieht-hinter-die-Berge sagt, daß sie seine Nachfolgerin werden soll. Das haben ihm die Geister berichtet. Freut euch mit Büffelhöcker und seinen Frauen, und kommt alle zu seinem Fest. Der tapfere Häuptling der Hundesoldaten wird Geschenke mitbringen, und es wird für jeden genug zu essen geben. Kommt alle!«

Den anderen Neuigkeiten schenkte kaum jemand Beachtung. Wer wollte schon wissen, daß der hundertjährige Berührt-die-Wolken seine Muschelkette verloren hatte und Läuft-rückwärts seine Donnerlanze vermißte. Die Nachricht von der Geburt des Mädchens und dem bevorstehenden Fest war viel wichtiger. Endlich durfte wieder einmal gefeiert werden. Die Büffel waren zahlreich, die Shar-ha verhielten sich ruhig, es war schon fast langweilig geworden. Ein großes Fest gab den jungen Kriegern die Gelegenheit, sich auszutoben.

Büffelhöcker, der zu den reichsten und tapfersten Kriegern der Hügelleute gehörte, hatte vor allem den mittellosen Witwen und Waisen wertvolle Geschenke versprochen. Man sprach davon, daß er sich von einem seiner besten Pferde trennen wollte. Als Anführer der einflußreichen Hundesoldaten blieb ihm keine andere Wahl. Die Hundesoldaten waren der stärkste Kriegerbund des Volkes und wurden als tapfere Polizei und Militärmacht gefürchtet. Sie ritten immer als erste in einen Kampf und schreckten niemals vor einem Feind zurück. »Ein Hundesoldat hat ein kurzes Leben«, sagten die Hügelleute, und das galt besonders für Büffelhöcker, der diese tollkühnen Krieger anführte.

Er war ein starker Mann mit einem kantigen Gesicht, das von zahlreichen Narben entstellt wurde. Die Federn in seinem Haar erzählten von mutigen Taten und langen Kriegszügen. Er strotzte vor Gesundheit und hätte seine Kraft gern auf einen Sohn vererbt, aber die Weissagung des Schamanen hatte seine Enttäuschung bei der Geburt vertrieben. Eine Medizinfrau, die das geheime Wissen besaß und die Geschicke des Stammes entscheidend mitbestimmte, war genauso wertvoll. Schon deshalb würde er eines seiner besten Pferde verschenken. Die anderen sollten merken, wie wichtig ihm die Geburt seiner Tochter war. Sie sollten Respekt vor ihr haben und schon jetzt die auserwählte Schamanin in ihr sehen. »Seht sie an«, sagte er zu jedem, der das Baby in der Wiege bewunderte, »eines Tages wird sie die Häuptlinge mit ihrer Weisheit beschämen.«

Die Hügelleute freuten sich mit ihm, lediglich der alte Sieht-hinter-die-Berge hatte Bedenken. Sein Schutzgeist hatte davon gesprochen, daß die Medizinfrau großen Schaden von ihrem Volk abwenden konnte. Welche Gefahren waren das? War sie stark genug, um gegen die fremden Mächte anzukämpfen? Der Schamane verbrachte auch die folgenden Nächte in den Hügeln und rief nach seinem Schutzgeist, um eine Antwort auf diese Fragen zu bekommen, aber der Büffel ließ sich nicht mehr blicken.

Seine Gedanken behielt er für sich. Es würden viele Winter vergehen, bis die Hügelleute der Gefahr begegneten, und es hatte keinen Sinn, die anderen schon jetzt zu beunruhigen. Das hatte Zeit, bis die Phase der Prüfungen gekommen war und die Medizinfrau mit ihrem Schutzgeist gesprochen hatte. Vielleicht lebte er dann gar nicht mehr. Nein, solange er die volle Wahrheit nicht wußte, wollte er schweigen. So hatte er es immer gehalten. Im Sommer, als die Sterne vom Himmel gefallen waren, hatte er auch geschwiegen. Die bösen Geister hatten den tsis tsis tas gezürnt und angedroht, das ganze Dorf mit ihrem Sternenregen zu vernichten, aber Sieht-hinter-die-Berge hatte kein Wort gesagt und tagelang in den Hügeln gefastet, bis die Geister ein Einsehen hatten und die Sterne auf die offene Prärie schickten. Aiee, was war das für eine Nacht gewesen! Er war aus den Hügeln gekommen, das Gesicht wie ein Hundesoldat bemalt, und alle hatten geglaubt, er habe die Macht der Sterne erfahren und die andere Seite des Lebens gesehen.

Während der folgenden Monate gab es keinen Grund zur Besorgnis. Büffelhöckers Tochter entwickelte sich prächtig und wuchs zu einem stattlichen Kind heran. Der Schamane erinnerte sich an die Weissagung seines Schutzgeistes und beobachtete es aufmerksam, aber es gab keinen Unterschied zu anderen Kindern. Weidenfrau sorgte sich rührend um das Mädchen und trug es in weiche Decken gewickelt durch das Dorf, und als es nach drei Monaten in eine Trage gelegt wurde und vor dem Tipi in der Sonne stand, blieben auch die anderen Frauen stehen und bewunderten das Kind, das von den Geistern zur Medizinfrau auserkoren war. Büffelhöcker lief mit vorgereckter Brust durch das Dorf und betonte immer wieder, daß seine Tochter einmal die Geschicke des Volkes lenken würde.

Das Mädchen war drei Jahre alt, als seine magischen Kräfte zum ersten Mal deutlich wurden. Sieht-hinter-die-Berge waren schon Zweifel gekommen, weil das Kind, das noch keinen Namen hatte, sich kaum von den anderen unterschied. Vielleicht hatte sein Schutzgeist ein anderes Mädchen gemeint? Hatte nicht Scheues Reh nur einen Tag später einer Tochter das Leben geschenkt? Und war nicht einen Mond später wieder ein Mädchen geboren worden? Sieht-hinter-die-Berge betete allein in seiner Hütte und versuchte die Wahrheit zu finden, aber niemand zerstreute seine Zweifel. Bis zu jenem Tag im Mond, wenn die Kirschen reif sind. Es war die Zeit der Büffeljagd, und sie lagerten in einem langgestreckten Tal, das mit seiner Blumenpracht vor allem den Frauen gefiel.

Büffelhöckers Tochter spielte mit den anderen Kindern am nahen See. Sie warfen Steine in das Wasser und schauten interessiert zu, wie ein Kreis nach dem anderen aus seiner Mitte entsprang und sich im See ausbreitete. Weidenfrau und Scheues Reh saßen auf einem Felsbrocken und beaufsichtigten die Kinder. Sie freuten sich über den Frieden, der nun schon fünf Winter anhielt, und fragten sich, ob die Shar-ha den Ho-he nach Norden gefolgt und aus ihren Jagdgründen verschwunden waren. Sie hatten nicht einmal versucht, die Pferdeherde der Hügelleute zu stehlen. Lediglich die Ni-mou-sin waren aus dem Süden gekommen und hatten einen Kleinkrieg mit Büffelhöcker und seinen Hundesoldaten begonnen. Die Comanchen, wie sie von den bärtigen Männern im Süden genannt wurden, hatten sich blutige Nasen geholt.

Am Seeufer ging Sieht-hinter-die-Berge spazieren. Er hatte seinen Wanderstock dabei und beobachtete einen einsamen Kranich, der im Uferschilf watete. Dann schweifte sein Blick wieder zu dem Mädchen, das ausgelassen in dem flachen Wasser tobte. Soviel Energie hatte er selten bei einem Kind gesehen. Oder lag es nur daran, daß er selber alt wurde? Sein Körper war schwächer geworden, und er spürte, daß ihn die Geister nur am Leben ließen, weil er das Mädchen in die Geheimnisse seiner Kunst einweihen mußte. Wenn das geschehen war, würde er seinem Schutzgeist auf die andere Seite folgen und im ewigen Licht der Sonne müßig sein.

Ein großer Rabe stieg aus den Weiden am Ufer empor. Er flog krächzend über den See und ließ sich am Rand einer Pfütze nieder. Es hatte während der vergangenen Tage stark geregnet und das hohe Büffelgras war immer noch feucht. Der schwarze Vogel rief etwas, das nur seine Artgenossen verstanden, und erhob sich in die feuchtwarme Luft. Büffelhöckers Tochter war als einziges Kind auf den Raben aufmerksam geworden und blickte ihm neugierig nach. Sie stand in dem knöcheltiefen Wasser, den Blick zum Himmel erhoben, und ließ sich auch von den aufgeregten Jungen nicht ablenken.

Sieht-hinter-die-Berge stützte sich auf seinen Wanderstock. Sein Blick hing an dem kleinen Mädchen und folgte dem krächzenden Raben, der über den See nach Osten flog und zwischen einigen Cottonwood-Bäumen verschwand. »Er will uns ein Zeichen geben«, sagte der Schamane leise. Er ging an den beiden Frauen vorbei zum Dorf zurück und verharrte schwer atmend vor dem Häuptlingstipi. Er war viel zu schnell gegangen. Als er wieder Luft bekam, schlug er mit seinem Wanderstock gegen die Zeltklappe. »Ich bin es, mein Häuptling«, sagte er, »Sieht-hinter-die-Berge. Ich habe dir etwas zu sagen.« Bärenkopf bat ihn herein, und er trat in das Tipi und blieb rechts vom Eingang stehen, wie es die Höflichkeit bei den Hügelleuten gebot.

»Setz dich«, forderte Bärenkopf ihn auf. Er war ein großer und stattlicher Mann mit schulterlangen Haaren, die er zu doppelten Zöpfen gebunden trug. Sein Blick strahlte viel Güte aus. Als Häuptling der Hügelleute hatte er einen Platz im Rat der Vierzig Anführer, die über die Politik und das Schicksal des Volkes entschieden. Zusammen mit Kleiner Wolf, Weißer Frosch und Wolfsgesicht gehörte er zu den vier Oberhäuptlingen der tsis tsis tas. Sie repräsentierten die zehn Gruppen des Volkes.

»Ich habe den Raben gesehen«, kam er gleich zur Sache, »er flog über den See nach Osten. Er hat mir das Zeichen gegeben.«

Bärenkopf verstand ihn ohne weitere Worte. Nach dem Glauben der Cheyenne zeigte der Rabe die Richtung an, in der sich die Büffel befinden mußten. »Das ist gut«, erwiderte er, »wir brauchen Fleisch für die kalte Zeit. Sind es viele Büffel?«

»Das hat der Rabe nicht gesagt.«

»Ich werde Späher ausschicken«, entschied der Häuptling. »Die Hundesoldaten sollen nach den Büffeln suchen und dafür sorgen, daß die jungen Krieger keine Tiere abschießen. Wir wollen die Herde nicht erschrecken. Wenn die Sonne zum zweiten Mal aufgeht, soll die große Jagd stattfinden.«

So geschah es. Im Morgengrauen des zweiten Tages holten die Krieger des Stammes ihre besten Pferde aus der Herde und sammelten sich außerhalb des Dorfes. Unter der Führung von Bärenkopf und Büffelhöcker ritten sie am Ufer des Sees entlang nach Osten. Die Herde graste nur einen kurzen Ritt entfernt in einer Senke, und der Häuptling hatte die Frauen angewiesen, dem Jagdtrupp in angemessener Entfernung zu folgen. Sie durften die Jagd von den nahe gelegenen Hügeln aus verfolgen. Sie sollten die Pferde mit den Schleppbahren mitbringen und den Kriegern helfen, das Fleisch zu zerteilen und aufzuladen.

Sieht-hinter-die-Berge ritt mit den Frauen. Er hielt sich neben Weidenfrau und Windfrau, die stämmige Ponys bestiegen hatten und aufgeregt miteinander schwatzten. Eine Büffeljagd war mit anstrengender Arbeit verbunden, aber sie war aufregend und sorgte für Abwechslung. Sie bot den jungen Kriegern Gelegenheit, ihren Mut zu beweisen, und sie war ein Zeichen dafür, daß sie am Leben waren und im Einklang mit der Natur lebten. Die Büffel bestimmten den Kreislauf des Lebens, sie waren heilige Tiere und gaben den tsis tsis tas alles, was sie zum Leben brauchten. Die Zunge, die Nase und die rohe Leber galten als Delikatessen, das Fleisch wurde gebraten, gekocht oder getrocknet, und aus den Knochen und Sehnen wurden Werkzeuge und Waffen hergestellt. Das Fell wurde gegerbt und zu Zeltplanen und Kleidungsstücken verarbeitet.

Weidenfraus Tochter lag auf der Schleppbahre, die von dem Braunen getragen wurde. Die beiden Tipistangen, die an den Seiten des Sattels festgebunden waren, schleiften durch das kniehohe Büffelgras. Sieht-hinter-die-Berge ließ sich ein paar Meter zurückfallen und beobachtete lächelnd, wie das Kind in den Decken schaukelte und hell jauchzte, wenn die Stangen durch eine Pfütze schleiften, und schmutziges Wasser spritzte.

»Aiee, das wird eine gute Jagd!« sagte der Schamane.

»Woher willst du das wissen?« fragte Weidenfrau. Sie war eine anmutige Frau mit ebenmäßigen Gesichtszügen und einer sehr hellen Hautfarbe. In ihrem Haar glänzten silberne Spangen.

»Deine Tochter weiß es«, antwortete der Schamane.

Auf einem Hügelkamm stiegen Sieht-hinter-die-Berge und die Frauen von den Pferden. Die Kinder sprangen von ihren Ponys oder Schleppbahren und tollten ausgelassen herum. Die Frauen standen in Gruppen beisammen, scherzten, lachten und redeten aufgeregt durcheinander. Der Schamane stützte sich auf seinen Wanderstock und blickte in die Senke hinab. Die Jäger hatten es geschafft, die durchgehenden Büffel in eine Kreisbahn zu zwingen und griffen die Tiere auf ihren Pferden an. Ihre wilden Schreie und das Stampfen der Herde verschmolzen zu einem einzigen Dröhnen und brachten die Erde zum Zittern.

Sieht-hinter-die-Berge bekam feuchte Augen. Seine Gedanken führten ihn viele Winter in die Vergangenheit, als er selbst auf einem der stämmigen Ponys zur Büffeljagd geritten war und viele Tiere erlegt hatte. Ho, er war ein tapferer Jäger gewesen. Auch jetzt wäre er gern mit den jungen Männern geritten, aber seine Knochen waren zu brüchig, und er schaffte es kaum noch, ein Pferd zu besteigen. Ihm waren nur seine Erfahrung und seine Weisheit geblieben, und es blieb ihm vorbehalten, den Kontakt zu den Geistern zu halten. Er streckte beide Arme der aufgehenden Sonne entgegen und begann zu beten.

Die Geister meinten es gut mit den Hügelleuten, die viele Büffel erlegten. Gelber Wolf, der zu einem starken und mutigen Krieger herangewachsen war, legte eine Mutprobe ab, als er auf den Rücken eines ausgewachsenen Bullen sprang und ihn mit zwei Messerstichen in die Nierengegend erlegte. Büffelhöcker traf mit jedem Pfeil und ritt siegestrunken durch die aufspritzende Erde. Läuft-rückwärts hing auf der linken Seite seines Ponys, ritt den stampfenden Büffeln entgegen und schoß unter dem Bauch seines Pferdes hindurch. Er tötete einen Büffel mit drei Pfeilen und stieß den Kriegsruf der Hügelleute aus. Er gehörte zu den beiden Gegenteil-Leuten des Volkes und zog viel Gelächter auf sich, aber auf der Jagd und im Krieg war er einer der Tapfersten.

Sieht-hinter-die-Berge beobachtete zufrieden, wie immer mehr Büffel unter den Pfeilen seiner Stammesbrüder fielen. Die Jagd war gut, und die Fleischlager des Volkes würden bis an den Rand gefüllt sein. Niemand brauchte zu hungern, wenn die Flüsse und Seen zufroren. Sie würden ein großes Fest feiern, und Büffelhöcker würde dem Waisen Gelber Wolf einige Pferde schenken und ihn aus seiner Obhut entlassen. Heute war einer der Tage, an denen zahlreiche Jungen zu erwachsenen Kriegern wurden. Maheo, der oberste Gott der tsis tsis tas, war seinen Kindern wohlgesonnen.

Der Schamane nahm die Arme herunter und griff nach seinem Wanderstock, den er in den weichen Boden gerammt hatte. Er suchte nach dem Mädchen und sah es im hohen Gras spielen. Es hatte sich von seiner Mutter entfernt, war einige Meter den Hang hinabgelaufen und roch an den bunten Blumen. Es ahnte nicht die Gefahr, in der es schwebte, und auch Weidenfrau und ihre Schwester waren viel zu sehr in ihr Gespräch vertieft. Nur Sieht-hinter-die-Berge sah den mächtigen Büffelbullen, der sich von der Herde gelöst hatte und schnaubend auf das Mädchen zugerast kam.

»Weidenfrau!« rief der Schamane.

Die Mutter des Kindes fuhr herum und erkannte entsetzt die Gefahr. Der Bulle war nur noch wenige Meter von ihr entfernt und würde ihre Tochter in den Boden stampfen. Es gab keine Möglichkeit, das arme Kind zu retten. Es war zu weit entfernt, um die Schreie ihrer Mutter zu hören, die vom lauten Stampfen der großen Herde übertönt wurden. Hilflos war es dem wilden Bullen ausgeliefert. Selbst auf das hektische Winken der Frauen reagierte es nicht. Wenn sie es sah, glaubte sie wohl, es galt den jagenden Kriegern in der Senke. Nein, es gab keine Rettung. Sie würde unter den Hufen des Bullen sterben.

Das Mädchen war ahnungslos. Das Dröhnen der Herde erstickte das Stampfen und Schnauben des angreifenden Bullen. Die Tochter des tapferen Hundesoldaten hielt eine rote Blume umklammert und roch gedankenversunken daran. Erst als der Büffel unmittelbar vor ihr war, entdeckte sie ihn und fuhr mit ausgestreckten Armen herum. Sie erschrak nicht. In ihren Augen war ein freundliches Leuchten, als begrüße sie einen guten Bekannten, und ihrem Mund entsprang das freudige Jauchzen, das Sieht-hinter-die-Berge schon am See gehört hatte.

Der Büffelbulle knickte in den Vorderhufen ein und blieb stehen. Nur wenige Meter vor dem Mädchen sank er zu Boden, und ein ehrfürchtiges Schnauben entrang sich seiner Kehle. Er schien gegen eine unsichtbare Wand gelaufen zu sein. Er blieb keuchend liegen und wartete auf Büffelhöcker, der den Hügel hinaufgesprengt kam. Der Krieger stieß den hellen Triumphschrei der Hügelleute aus und jagte einen Pfeil in die Nierengegend des Bullen. Der Büffel hauchte sein Leben aus und schloß langsam die Augen.

Büffelhöcker sprang von seinem Pferd. Er blickte seine Tochter an und wandte sich an den Schamanen. Er verstand nicht, was geschehen war.

»Deine Tochter hat magische Kräfte«, antwortete Sieht-hinter-die-Berge auf die unausgesprochene Frage. Er ging zu dem toten Büffel und zog ihn an den Hörnern herum, bis das Gesicht nach Osten zeigte. Mit seinem Messer schnitt er das Tier auf und riß die Niere aus der blutigen Bauchhöhle. Die Arbeit war anstrengend, aber die Tradition des Volkes verlangte, daß der alte Mann das Ritual ausführte. Sieht-hinter-die-Berge hielt die tropfende Niere in alle vier Himmelsrichtungen, gegen Himmel und Erde und legte sie auf den Büffeldung.

Er wandte sich an das kleine Mädchen und sagte: »Mögest du lange leben und deine magischen Kräfte zum Wohle deines Volkes einsetzen. Mögest du immer Glück haben.«

Der Häuptling der Hundesoldaten nickte dankbar und tauchte seine Hände in das Blut des toten Bullen. Er beschmierte das Gesicht seiner Tochter damit und sagte: »Ich danke den Geistern für ihre Güte und will dir einen Namen geben. Von nun an sollst du Büffelfrau heißen.«

3
Kindheit

Mit sieben Jahren erlegte Büffelfrau ihr erstes Kaninchen. Sie spürte es im hohen Gras am Flußufer auf und tötete es mit dem ersten Pfeil. Stolz brachte sie die Beute nach Hause. Sie legte das Kaninchen vor ihren Eltern auf den Boden und beobachtete zufrieden, wie Büffelhöcker es aufhob und bewundernd ansah.

»Du bist eine gute Jägerin«, sagte er, »du bist besser als die meisten Jungen des Dorfes. Ich bin stolz auf dich.«

Büffelfrau verbeugte sich respektvoll und lief hach draußen. Nur der Glanz in ihren braunen Augen verriet, wie stolz sie war. Sie ging anmutig wie ihre Mutter, und die jungen Krieger warfen ihr schon jetzt bewundernde Blicke zu. Ihre Augen waren groß und ausdrucksvoll, der Mund weich und geschwungen, und die hervorstehenden Wangenknochen und die ausgeprägte Nase verliehen ihr eine herbe Schönheit. Sie war groß geworden, und die tiefschwarzen Haare reichten ihr bis über die Schultern. Das Gesicht der jungen Otterfrau mochte schöner und weiblicher sein, aber kein anderes Mädchen strahlte diese katzenhafte Energie und diesen ungezügelten Willen aus. »Sie wird eine starke Frau«, sagten die anderen über sie, »sie hat die magischen Kräfte der Geister und wird uns eine gute Medizinfrau sein. Behandelt sie gut, Hügelleute!«

Büffelhöcker trank von dem frischen Tee, den Weidenfrau aus roten Blättern gebraut hatte. Er saß gegen seine Rückenstütze aus Rippenknochen gelehnt und genoß die ruhige Stunde vor der Dämmerung. »Büffelfrau ist ein gutes Mädchen«, sagte er, »ich bin sehr stolz auf sie«.

»Ich weiß«, sagte Weidenfrau. Sie stand am Feuer und rührte in einem Topf mit Antilopenfleisch, Wurzeln und frischen Beeren. »Ich verstehe, daß ein tapferer Krieger wie du sich darüber freut. Aber ich mache mir Sorgen. Unsere Tochter sollte mit Puppen spielen und mir beim Kochen helfen. Sie sollte mit den anderen Mädchen in den Wald gehen und Beeren sammeln. Stattdessen übt sie mit dem Bogen, den du ihr geschenkt hast. Sie benimmt sich wie ein Junge und tobt herum.«

Weidenfrau hatte recht. Ihre Tochter spielte fast jeden Tag mit den Jungen und machte sogar bei den Ringkämpfen mit. Sie ging mit ihrem kleinen Bogen in den Wald und zielte auf Baumstämme. Dieser Sport war eigentlich den Jungen vorbehalten, die schon im Kindesalter den erfahrenen Kriegern nacheiferten, aber Büffelfrau hatte mit Puppen und kleinen Wiegen aus Weidenholz nie viel im Sinn gehabt und fühlte sich bei den Jungen, die Weißer Biber, Roter Mond und Kleiner Falke heißen würden, viel wohler. Sie sprach oft davon, mit ihnen auf den Kriegspfad zu gehen, wenn sie einmal groß war.

Büffelhöcker nickte seiner zweiten Frau zu, die mit Holz beladen in das Tipi kam. Weidenfrau und Windfrau kamen gut miteinander aus und waren selten eifersüchtig aufeinander. Sie waren Schwestern und kannten einander zu gut. Weidenfrau war jünger und stillte die Leidenschaft des starken Kriegers. Sie bestieg ihn fast jede Nacht und würde ihm noch viele Kinder schenken. Windfrau konnte keine Kinder bekommen und hatte keinen Spaß daran, mit ihrem Mann unter die Felle zu kriechen. Sie war ihm eine gute Freundin, und sie war sehr praktisch veranlagt und kümmerte sich vor allem um den Haushalt.

»Büffelfrau ist ein schönes Mädchen«, erwiderte der Häuptling, »und ich merke, daß ihr die Jungen schon jetzt bewundernde Blicke zuwerfen. Noch vier, fünf Winter, und sie wird sich einem tapferen Mann hingeben. Das weiß ich, Weidenfrau.«

»Kann sie denn alles gleichzeitig sein?« fragte die jüngere der beiden Ehefrauen. »Medizinfrau? Kriegerin? Ehefrau?«

»Wer sagt denn, daß sie Kriegerin wird?« erwiderte Büffelhöcker erstaunt. »Die Prophezeiung sagt nur, daß sie die Nachfolge von Sieht-hinter-die-Berge antreten wird.«

»Ich spüre es, mein Mann.«

»Und wenn«, erwiderte Büffelhöcker. Ihm war der Gedanke gar nicht so unangenehm. »Es hat immer wieder Frauen gegeben, die für unser Volk in den Krieg gezogen sind. Erinnerst du dich an Sonnenfrau? Sie hat meinen Vater auf einem Kriegszug gegen die Ho-he begleitet und ist im Kampf gestorben.«

»Du hast oft davon erzählt«, bestätigte Weidenfrau. »Ich wurde damals gerade geboren. Aber sie war keine Medizinfrau, und soweit ich weiß, war sie niemals verheiratet.«

»Unsere Tochter ist etwas Besonderes«, beendete Büffelhöcker die Unterhaltung, »sie hat die magische Kraft.«

Seit jenem Tag, als sie den Büffelbullen mit der Kraft ihres Geistes aufgehalten hatte, war es zu keinem Zwischenfall mehr gekommen. Büffelfrau war lebhaft und energiegeladen, und sie spielte am liebsten mit den Jungen, aber sonst war sie ein ganz normales Kind. Wenn es donnerte und blitzte, weinte sie, und wenn die Sonne schien, tollte sie im Fluß oder im See herum. Sie hatte dieselben Rechte und Pflichten wie alle Kinder und lernte, die Erwachsenen zu respektieren. Sie blieb ruhig sitzen oder verließ das Tipi, wenn Krieger zu Besuch kamen und mit ihrem Vater die Pfeife rauchten, und sie rollte sich erstaunt in ihre Felle, wenn ihr Vater und ihre Mutter laut wurden und sich wie Tiere benahmen.

Büffelhöcker und Weidenfrau liebten sich jede Nacht, aber es hatte sich kein weiterer Nachwuchs eingestellt. Einmal war die Monatsblutung ausgeblieben, und sie hatten schon gehofft, daß sie jetzt endlich schwanger war, aber die Blutungen hatten sich nur verspätet, und alle Hoffnung war umsonst gewesen. Einige Zeit nach der Geburt ihrer Tochter war die junge Ehefrau zu Sieht-hinter-die-Berge gegangen und hatte dem alten Schamanen ihr Leid geklagt. Der Medizinmann hatte andächtig geraucht und vermutet, daß Maheo nicht wollte, daß sie ein zweites Kind bekam. »Er will, daß du deine ganze Liebe der Tochter schenkst. Sie wurde geboren, um ihrem Volk zu dienen und ihm einen großen Dienst zu erweisen.«

Weidenfrau hatte sich in ihr Schicksal gefügt, die Hoffnung aber nie aufgegeben. Büffelhöcker hatte nur gelächelt, als sie ihm vorgeschlagen hatte, eine dritte Frau zu nehmen und ihr ein Kind zu machen. Er brauchte keinen Sohn, wenn die Prophezeiung in Erfüllung ging und Büffelfrau zu einer bedeutenden Schamanin und Heilerin heranwuchs. Man würde auf der ganzen Prärie von ihr sprechen und auch den Namen ihres Vaters an den Lagerfeuern im Munde führen.

Einen Mond, nachdem sie das Kaninchen gefangen hatte, stellte Büffelfrau ihrem Vater eine seltsame Frage. »Vater«, sagte sie, »wann ziehst du wieder in den Krieg?«

Die Frage, die schon in seinen Träumen lautgeworden war, beschämte den tapferen Anführer der Hundesoldaten. Es war schon einige Winter her, daß er gegen die Ho-he und Shar-ha gekämpft und die vielen Skalpe erbeutet hatte, die in seinem Tipi an einer Lanze hingen. Das Scharmützel mit den Ni-mou-sin war nicht der Rede wert gewesen. Er hatte einige Coups geschlagen und zwei Pferde erbeutet, die er sofort nach der Ankunft im Dorf verschenkt hatte, aber großen Ruhm hatte ihm dieser Kampf nicht eingebracht.

»Du hast recht«, sagte er zu seiner Tochter, »zu viele Winter sind vergangen, seitdem ich das letzte Mal auf dem Kriegspfad war. Ich bin schwach und bequem geworden, und ich sitze in der Sonne und sehe dir beim Spielen zu. Das ist eines Kriegers nicht würdig. Es wird Zeit, daß ich den anderen zeige, warum sie mich zum Anführer gewählt haben. Wenn die Sonne untergeht, werden wir tanzen, und wenn der Morgen kommt, werden wir in den Krieg ziehen.«

»Wen soll ich einladen?« fragte Büffelfrau. Ihre Aufgabe war es, die tapfersten Krieger der Hügelleute ins Tipi zu rufen.

Büffelhöcker nannte zwanzig Namen. Auch der von Gelber Wolf war dabei. Der Junge war jetzt dreizehn Jahre alt und brannte darauf, auf den Kriegspfad zu gehen. Er wollte sich den Hundesoldaten anschließen, und das konnte er nur, wenn er viele Coups geschlagen und seinen Mut bewiesen hatte. »Sag ihnen, sie sollen in unser Tipi kommen. Wir wollen die heilige Pfeife rauchen und über den Krieg sprechen.«

Weidenfrau, Windfrau und Büffelfrau verließen das Zelt, als die Männer über ihre Pläne sprachen. Es ziemte sich nicht, bei den Männern zu sein, wenn es um so wichtige Dinge ging. Sie gingen in den Wald und sammelten Holz, während ihre Herzen schwer wurden, und sie darüber nachdachten, ob Büffelhöcker aus dem Krieg zurückkehren würde. Als Anführer der Hundesoldaten ritt er als erster in die Schlacht, und die Gefahr, daß er starb, war besonders groß. Das wußten die Frauen, und das wußte auch Büffelfrau, aber die Tradition der Cheyenne verlangte, daß sich die Männer immer wieder im Krieg bewiesen, es gab keine andere Möglichkeit. Der Krieg gehörte zum täglichen Leben.

Alle Krieger, die zu Büffelhöcker kamen, rauchten die Pfeife mit ihm und taten dadurch kund, daß sie mit ihm reiten wollten. »Wir wollen viele Pferde erbeuten«, sagte der Häuptling. »Unsere Feinde sollen wissen, daß es uns noch gibt. Die tsis tsis tas sind die Herren der Prärie, und es gibt keinen, der tapferer ist als die Hundesoldaten. Hokahey, dies ist eine gute Zeit, um Pferde zu rauben, und wir wollen nicht länger warten.«

Seine Stammesbrüder stimmten ihm zu und kehrten zufrieden in ihre Tipis zurück. Es galt, die Waffen zu überprüfen und den Proviant zu packen. Die Shar-ha waren den Büffeln nach Norden gefolgt, und der Ritt würde länger als einen Mond dauern. Auch die Frauen verlangten ihr Recht. Sie wollten mit ihren Männern schlafen, bevor es auf den langen Kriegspfad ging.

Büffelfrau spielte vor dem Tipi und wartete neugierig darauf, was ihr Vater als nächstes unternahm. Sie beobachtete, wie er zum Zelt des Häuptlings ging, und sie wartete geduldig, bis er mit Bärenkopf gesprochen hatte und wieder herauskam. Was für ein starker Mann ihr Vater doch war. Wie gerade er sich hielt, und mit welch federnden Schritten er den freien Platz zwischen den Zelten überquerte. Er war unbesiegbar, davon war sie fest überzeugt, er würde ewig leben und immer für sie da sein.

»Warum spielst du nicht weiter?« fragte das Mädchen, das den Namen Otterfrau bekommen würde. Sie war ihre beste Freundin und hielt einen Ball unter dem Arm.

Büffelfrau hörte nicht hin. »Siehst du meinen Vater?« fragte sie. »Er ist der tapferste Krieger unseres ganzen Volkes. Wenn ich groß bin, gehe ich mit ihm auf den Kriegspfad.«

»Du? Du bist ein Mädchen!«

»Ich gehe mit ihm.«

»Die Krieger würden dich auslachen«, erwiderte Otterfrau. »Du bist ein Mädchen, und Mädchen gehen nicht auf den Kriegspfad. Du sollst heiraten und viele Kinder bekommen, so wie meine Mutter, die hat sieben Kinder, und meine andere Mutter hat nochmal drei. Eine Frau gehört zu ihrem Mann, sagt sie immer, sie soll für ihn sorgen und ihm den Haushalt führen.«

»Ich will nicht kochen.«

»Kochen macht Spaß.«

»Ich will mit den Männern wegreiten und unseren Feinden die Pferde rauben«, sagte Büffelfrau beinahe trotzig. »Ich will so stark wie mein Vater werden.«

»Das kannst du nicht.«

»Das kann ich wohl.«

»Außerdem sagen alle, daß du bei dem alten Schamanen in die Lehre gehen wirst. Willst du verheiratet sein und die Kranken heilen und mit den Männern in den Krieg ziehen?«

»Du wirst es sehen.«

Otterfrau lachte und fuhr sich mit der freien Hand durch die schulterlangen Haare. Sie war stolz auf ihre schwarzen Haare, und sie hatte gemerkt, daß man die Jungen damit verlegen machen konnte. Roter Mond, der vier Winter älter als sie war und nachts die Pferdeherde bewachte, blieb auch jetzt wieder stehen und blickte sie lange an. Das Mädchen hatte keine Ahnung, warum er so verlegen wurde und nicht zu wissen schien, was er sagen sollte, aber sie genoß das Gefühl, ihn aus der Fassung zu bringen. Roter Mond war der tapferste unter den jungen Männern seines Alters und wurde sonst nie verlegen.

»Was ist, Roter Mond?« fragte Otterfrau. »Warum bist du nicht bei den Männern? Nimmt Büffelhöcker dich nicht mit?«

»Meine Zeit wird kommen«, antwortete der Junge mürrisch, »im Mond der reifen Kirschen werde ich auf meine erste Büffeljagd gehen und den größten Bullen erlegen.«

»Dein Bogen ist viel zu klein.«

»Mein Bogen ist groß genug«, erwiderte Roter Mond. Er warf sich in Pose und klopfte auf den neuen Bogen, den er wie eine Trophäe auf dem Rücken hängen hatte. »Du wirst sehen, bevor drei Monde vergehen, werde ich einen Namen haben und auf meinen ersten Kriegspfad gehen. Ich werde so tapfer sein wie Büffelhöcker und mit Skalpen behangen ins Dorf zurückkehren.«

»Du führst große Reden, Roter Mond.«

»Und du bist ganz schön frech für ein Mädchen!«