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WILLIAM VOLTZ

 

 

 

GRIFF

NACH

ATLANTIS

 

Roman

 

 

 

 

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WING Publishing

 

Cover

Über den Autor

Zum Buch

Vorwort

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

Impressum

 

Über den Autor

 

William Voltz wurde am 28.Januar 1938 in Offenbach geboren. Er interessierte sich bereits in früher Jugend für Science Fiction, wurde Mitglied im SFCD und war Mitbegründer des SF-Clubs STELLARIS in Frankfurt.

William Voltz begann mit dem Schreiben von Kurzgeschichten und auch ein Buch mit dem Titel STERNENKÄMPFER wurde veröffentlicht. Für seine Stories, die sich großer Beliebtheit erfreuten, bekam er im Jahr 1961 den »Besten Fan-Autor Preis«.

Sein Engagement ebnete ihm 1962 den Weg ins damals noch junge und kleine PERRY RHODAN - Team.

Bis zu seinem viel zu frühen Tod am 24. März 1984 schrieb der Autor nicht nur für diese und andere Serien, sondern veröffentlichte auch Serien unabhängige Romane und Kurzgeschichten.

Bookwire gab uns die Möglichkeit, diese William Voltz Veröffentlichungen als e-books anzubieten.

Zum Buch

 

Die Gefahr nimmt ihren Ausgang von Balam, einem sterbenden Planeten. Cnossos, der Dimensionsforscher, hat eine Möglichkeit entdeckt, seinem Volk eine neue Lebenschance zu bieten, indem er eine fremde Welt erobert, die jenseits des Abgrunds von Raum und Zeit liegt. Das Zentrum dieser Welt ist Atlantis, eine friedvolle Insel, deren Bewohner den Machenschaften der Balamiter hilflos ausgeliefert zu sein scheinen ...

Vorwort

 

Zu seinen Lebzeiten hat William Voltz seinen Romanen oder Story-Kollektionen, die in dieser Taschenbuchreihe erschienen, stets einleitende Worte vorangestellt. Wir wollen diese Tradition beibehalten, zumal dafür auch ein begründeter Anlass besteht.

 

GRIFF NACH ATLANTIS, der vorliegende Roman, sowie DER UNTERGANG VON ATLANTIS, der in einem Monat erscheinende UTOPIA CLASSICS Band 77, sind die letzten Werke, die unser unvergessener Freund noch kurz vor seinem Tod am 24.3.84 für die Taschenbuchauflage überarbeitet hatte. Die Originalmanuskripte – es sind drei im Frühjahr 1973 erschienene Heftausgaben mit den Titeln GRIFF NACH ATLANTIS, MEISTER DER DIMENSIONEN und UNTERGANG VON ATLANTIS – entstanden am Höhepunkt von Willis Schaffen im Sommer 1972 während eines Urlaubs, den der Autor mit seiner Familie in Griechenland verbrachte.

 

Leser, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit utopisch-phantastischer Literatur befassen, wissen spätestens bei Nennung der obigen Titel, dass es sich ursprünglich um DRAGON-Romane handelt, und zwar um die ersten drei Bände dieser Serie. Wenn der Name »Dragon« in der Neuauflage nicht mehr erscheint, so hat das rechtliche Gründe. Willi jedenfalls hat seinen Helden beim zweiten Anlauf »Wakan« genannt – und so wollen wir es denn auch halten.

 

Ob Dragon oder Wakan, Willis Romane, als unabhängige Einstandsbände für DRAGON (Söhne von Atlantis, die erste deutsche Fantasy-Serie) konzipiert, sind im eigentlichen Sinn eher der Science Fiction als der Fantasy zuzuordnen, wie Sie sicherlich bei der Lektüre feststellen werden. Auch damit hat es eine besondere Bewandtnis, die wir Ihnen hier und heute nicht verschweigen wollen.

 

Da residierte und dominierte seinerzeit Kurt Bernhardt in der Münchener Niederlassung des Pabel-Verlags als Chefredakteur. Nachdem er den ursprünglichen Dragon-Band Nr. 1 angelesen hatte, verwarf er ihn wütend (Kurt Bernhardt war zeit seines Lebens ein echter Choleriker!) und sagte sinngemäß: »Da fehlt der Untergang von Atlantis, und der muss unbedingt rein!« Und so machten wir uns daran, Treatments zu erstellen, die Willi zu drei Romanen verarbeitete.

 

Somit wurde aus dem ursprünglichen Dragon-Band 1 der Band 4, und wir können Ihnen hiermit den ersten Teil des unabhängigen Atlantis-Zyklus präsentieren, dessen Ausarbeitung Willi, wie er uns persönlich versicherte, großen Spaß gemacht habe – und das im Urlaub, wohlgemerkt, unter griechischer Sonne und am Strand der Ägäis.

Günter M. Schelwokat, Dezember 1984

1.

 

Beim achten Schrei des Riesen hatte Wakan die Spur des Yülschs, dem er eine Nacht und fast den ganzen Tag gefolgt war, am Rand des Kupferwaldes verloren. Auf dem oxydierten Waldboden zeichnete sich die Schleimspur nur sehr schwach ab und verflüchtigte sich schnell. Seit dem achten Schrei irrte Wakan durch den Kupferwald und versuchte die Fährte wiederzufinden. Im Licht der tiefstehenden Sonne funkelten die Drahtäste der Kupferbäume wie feurige Arme. Myriaden elektrisch aufgeladener Partikel schwirrten zwischen den Bäumen hin und her und irritierten Wakan bei seiner Suche. Vor etwa zweihundert Jahren hatte ein Forscher drei dieser Bäume von einer Expedition im großen Kohlensack-Nebel mitgebracht und abseits von Muon eingepflanzt. Überraschenderweise hatten sie sich schnell vermehrt und ausgebreitet und bis in die heutige Zeit erhalten. Ständig waren ein paar Atlanter mit Schweißbrennern an der Arbeit, um eine weitere Ausbreitung des Kupferwaldes zu verhindern. Junge Bäume, die sich außerhalb des Waldgebiets anzusiedeln versuchten, wurden kurzerhand abgebrannt und eingeschmolzen.

Wakan blieb stehen und suchte nach einem Platz, wo er sich ein bisschen ausruhen konnte. Im Zwielicht wirkte sein schlanker, aber muskulöser Körper bronzefarben, seine blauen Augen leuchteten wie zwei vom Wasser blank gewaschene Kiesel und bildeten einen reizvollen Kontrast zu seinen dunklen Haaren.

Wie immer, wenn er auf die Jagd ging, trug er einen kurzen Lederrock mit einem breiten Gürtel, an dem er sein Schwert befestigt hatte. Den Korb mit dem Troll darin hatte er auf dem Rücken befestigt und über der Brust festgeschnallt. Im Gegensatz zu vielen anderen Atlantern verzichtete Wakan bei der Jagd auf jede wissenschaftliche Ausrüstung. Er liebte das Risiko und die Gefahr, denn sie gaben ihm immer wieder Kraft, bei seiner Arbeit im Rat der Wissenschaftler bestehen zu können. Das war für Wakan, den Sohn eines Sternfahrers und einer Eingeborenen, nicht immer ganz leicht.

Wakan entdeckte eine Wurzel, und er ließ sich darauf nieder. Mit der einen Hand stützte er sich auf sein Schwert, mit der anderen löste er den Korb mit dem Troll von seiner Schulter und hob ihn auf sein rechtes Knie.

Wakan brauchte Flotox' Unterstützung bei der Suche nach dem Yülsch und überlegte, wie er ihn wach bekommen konnte, ohne ihn zu sehr zu verärgern.

Drachenberater Flotox hatte sich im Korb zusammengerollt und schmatzte genüsslich, ein Zeichen, dass er gerade einen besonders angenehmen Traum erlebte.

Auf Atlantis hielten sich selten mehr als ein halbes Dutzend Trolle auf, und Wakan war froh, dass er die Freundschaft eines dieser seltsamen Wesen hatte erringen können. Die Trolle besaßen keine eigenen Raumschiffe, sondern reisten mit den Händlern und den Nachrichtenschiffen.

Wakan schüttelte mit einer Hand den Korb, so dass Flotox sich den Kopf anstieß und erwachte. Flotox war nur einen Fuß groß und sah verwachsen aus. Sein Gesicht mit der knollenartigen Nase schien nur aus Falten zu bestehen. Er trug ein blaurot gestreiftes Wams und ein Käppchen mit einer Fellkugel daran.

Flotox gähnte und entblößte dabei zwei Reihen stummelförmiger Zähne.

»Du hast mich geweckt!«, stellte er griesgrämig fest. »Du bist ein unbarmherziger Schuft, Wakan! Wenn du dich nicht besserst, werde ich dich verlassen und mir einen anderen Freund suchen.«

Wakan lächelte nachsichtig.

»Ich habe die Spur des Yülsch beim achten Schrei des Riesen verloren und seither nicht wiedergefunden. Du musst mir helfen, denn es wird Zeit, dass wir nach Muon zurückkehren.«

Flotox verschränkte die Ärmchen über der Brust und machte ein abweisendes Gesicht.

»Du willst also, dass ich ein Wunder vollbringe?«

»Nur ein kleines!«, schwächte Wakan ab.

»Kleines Wunder – großes Wunder!«, keifte der Zwerg. »Ich sehe darin keinen Unterschied, du Schwachkopf. Ein Wunder ist ein Wunder.«

Wakan seufzte.

»Du willst mir also bei der Suche nach dem Yülsch nicht behilflich sein?«

»Ich habe heute schon ein Wunder vollbracht!«, erinnerte der Troll. »Denkst du, das könnte ständig so weitergehen? Ein Wunder am Tag genügt. Du kannst mich nicht ständig schamlos ausnutzen. Heute morgen habe ich dich zur Aser-Quelle geführt, das genügt für heute.«

Natürlich konnte Wakan dem Troll nicht nachweisen, dass er die Quelle auch ohne Hilfe gefunden hätte.

»Ich werde Mura sagen, dass du dich schlecht benommen hast, Flotox!«, drohte er dem Troll.

Beleidigt kletterte der Drachenberater aus dem Korb und ließ sich auf einem Sonnenstrahl zu einem Drahtast hinaufgleiten. Wakan, der dieses Phänomen nicht zum ersten Mal erlebte, war aufs neue davon fasziniert. Nur Trolle besaßen diese ungewöhnliche Fähigkeit.

»Komm herunter!«, rief er Flotox zu. »Ich werde die Suche nach dem Yülsch ohne deine Hilfe fortsetzen.«

In diesem Augenblick schrie der Riese zum neunten Mal. Beim zehnten Schrei würde die Sonne untergehen. Das Gebrüll des Riesen war über die gesamte Insel hinweg hörbar, so dass alle Bewohner von Muon sich danach orientieren konnten. Freunde von Wakan, die den Nordkontinent besucht hatten, wussten zu berichten, dass man die Schreie des Riesen bei günstigem Wind sogar an der Küste dieses großen Landes hören konnte.

Der Riese wurde in einem großen Öltümpel mitten in der Stadt gefangen gehalten. Er war an einen Mechanismus gefesselt, der ihn vornüber beugte und den Kopf in regelmäßigen Abständen aus der Flüssigkeit zog. Jedes Mal, wenn der Riese Luft bekam, begann er wütend zu schreien, aber immer nur so lange, bis er wieder in das Öl getaucht wurde.

Wakan wusste, dass die Riesen einmal einen großen Teil der Galaxis beherrscht und versklavt hatten, aber das war für ihn noch lange kein Grund, ein Mitglied dieses Volkes auf diese schreckliche Art und Weise zu quälen.

Aber selbst Tobos, den er für einen klugen und gerechten Mann hielt, lächelte nur, wenn Wakan die Sprache auf den Riesen brachte. Kein Atlanter schien gewillt zu sein, den Riesen zu erlösen.

»Du hast nur noch eine Pause Zeit, um den Yülsch zu finden und zu erlegen!«, schrie Flotox von seinem Hochsitz aus. »Ganz Muon wird in Gelächter ausbrechen, wenn der berühmte Wakan ohne Beute von seinem Jagdausflug zurückkehrt.«

»Komm herunter!«, rief Wakan geduldig. »Ich setze jetzt die Suche fort.«

»Immer nur Beschimpfungen anhören und Wunder vollbringen, zu mehr tauge ich nicht!«, jammerte der Troll, als er sich zu Wakan herabgleiten ließ. »Das ist vielleicht ein Leben! Wenn es nach dir ginge, würdest du den gesamten Tag auf deinem Lager zubringen und darauf warten, dass ich dich mit meinen Wundern versorge. Dick und faul bist du geworden, Wakan.«

Er schlüpfte in den Korb und schimpfte pausenlos weiter.

Wakan ignorierte ihn. Er wusste längst, dass die Wundertätigkeit eines Trolls begrenzt war.

Der junge Atlanter befestigte den Korb wieder auf dem Rücken und wollte seine Suche fortsetzen, als etwas Unheimliches geschah.

Jemand oder Etwas sah Wakan an.

Dieses Gefühl brach so plötzlich und mit solcher Intensität über Wakan herein, dass er sich wie unter Schmerzen zusammenkrümmte und einen Schrei ausstieß.

Was immer ihn beobachtete, es schien so nahe zu sein, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte, um es zu fassen.

Doch da war nichts!

Wakan drehte sich blitzschnell um die eigene Achse, aber seine Augen sahen nur die Kupferbäume und ihre leuchtenden Äste mit den hin und her schwebenden Partikeln.

Das Gefühl, dass etwas Schreckliches in seiner unmittelbaren Nähe war, verstärkte sich noch und ließ Wakan zum ersten Mal in seinem Leben Furcht empfinden. Er begann am ganzen Körper zu zittern und spürte, dass ihm der Schweiß ausbrach. Instinktiv umklammerte er mit einer Hand den Knauf seines Schwertes, aber da gab es nichts, gegen das er hätte kämpfen können.

Dann war es vorüber.

Wakan richtete sich auf und atmete tief die reine Luft ein. Alles hatte ihn an einen kurzen, aber schrecklichen Traum erinnert.

Er hörte Flotox im Tragekorb leise wimmern. Auch der Zwerg hatte es also gespürt! Fast war Wakan darüber erleichtert, denn es bewies ihm, dass er keiner Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war.

»Was ... was war das?«, brachte der Drachenberater stockend hervor.

Wakan sah sich um. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Auch als Wakan die nähere Umgebung absuchte, konnte er nichts finden, was ihm irgendwie verdächtig erschienen wäre. Der Zwischenfall wirkte dadurch nur noch mysteriöser.

Wakan war Wissenschaftler, der noch nie an übernatürliche Erscheinungen geglaubt hatte. Es musste eine Erklärung für dieses Ereignis geben.

»So etwas habe ich noch nie erlebt!«, bekannte Flotox, der allmählich seine Fassung wiederfand. »Du großer Tölpel bringst mich in immer schlimmere Situationen. Denkst du vielleicht, so etwas ließe sich mit einem Wunder wieder in Ordnung bringen?«

»Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht!« Wakans Lächeln wirkte gezwungen. »Ich werde mit Tobos über diesen Zwischenfall sprechen, vielleicht hat er eine Erklärung dafür.«

»Warum fragst du nicht Bhutor?«, erkundigte sich der Zwerg.

Wakans Gesicht verfinsterte sich. Allein die Nennung dieses Namens genügte, um sein Blut in Wallung zu bringen. Bhutor konnte nicht vergessen, dass Wakan ihn im Wettbewerb um die Gunst der schönen Mura geschlagen hatte. Da Bhutor Wakans Vorgesetzter war, ließ er keine Gelegenheit vergehen, um den Rivalen zu schikanieren oder zu demütigen.

»Ich werde Bhutor niemals um einen Rat oder um eine Gefälligkeit bitten«, sagte Wakan ärgerlich.

Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, noch weiter nach dem Yülsch zu suchen, denn das Tier war nachtsichtig und ihm nach Einbruch der Dunkelheit in jeder Beziehung überlegen.

Immer noch unter dem Eindruck des rätselhaften Zwischenfalls stehend, machte Wakan sich auf den Heimweg.

Drachenberater Flotox war so aufgeregt, dass er nicht einschlafen konnte. So vergnügte er sich damit, Wakan wegen dessen angeblicher Tollpatschigkeit zu beschimpfen.

»Der Korb schaukelt so heftig, dass ich mir ständig den Kopf anstoße!«, beklagte er sich. »Kannst du nicht ein bisschen vorsichtiger sein. Wenn du wie ein Narr durch diesen Wald stürmst und ständig über Wurzeln stolperst, wirst du mich noch verletzen.«

Wakan war nicht in der Verfassung, dem Troll zu widersprechen. Seine Gedanken beschäftigten sich noch immer mit diesem Zwischenfall, den er so schnell nicht vergessen würde.

Dann stand er plötzlich vor dem Yülsch.

Er hatte den Rand des Kupferwalds fast erreicht und war gerade im Begriff, eine Lichtung zu überqueren, als das sechs Fuß große Tier zwischen den Bäumen hervortrat und ihn anfauchte. Es hatte sich auf den Hinterbeinen aufgerichtet, seine krallenbewehrten Vordertatzen schlugen in die Luft. Die Drüsensäcke, mit deren Sekret der Yülsch seine Schleimspur erzeugte, hingen schlaff von der Brust des Tieres herab. Der Kopf des Yülsch glich einem dreieckigen Helm, auf dessen Unterseite sich der Rachen befand. Von ein paar schwarzen Tupfen abgesehen, war der Pelz des Yülsch so weiß wie Schnee. Vom Nacken bis zum Schwanzstummel erstreckte sich ein Kamm, den das Tier jetzt steil aufgerichtet hatte: ein Zeichen äußerster Gereiztheit und Kampfbereitschaft.

Obwohl der Raumfahrer, aus dessen Schiff der Yülsch ausgebrochen war, Wakan gewarnt hatte, war der junge Atlanter doch überrascht von der ungewöhnlichen Größe und Wildheit dieses Tieres.

Fauchend kam der Yülsch auf Wakan zu.

Der Wissenschaftler riss das Schwert heraus und kniff die Augen zusammen, um vom Licht der tiefstehenden Sonne nicht geblendet zu werden.

Die Lichtung war für den Yülsch ein ausgezeichneter Kampfplatz, deshalb wich Wakan langsam bis zu den Bäumen zurück.

»Was hältst du von diesem Wunder?«, rief der Troll. »Du siehst, dass ich noch immer dein Freund bin, obwohl du mich so schlecht behandelst.«

Wakan hatte den Zwerg fast vergessen.

»Verschwinde aus dem Korb!«, rief er ihm zu. »Auf dem Rücken bist du vor den Hieben des Yülsch nicht sicher.«

Flotox wartete, bis er von einem Sonnenstrahl getroffen wurde und glitt hastig auf ihm davon.

»Wunder oder nicht!«, sagte Wakan grimmig. »Wir haben den Yülsch doch noch gefunden, und ich werde ihn besiegen.«

Er packte das Schwert fester.

So standen sie sich gegenüber: der Yülsch, den abenteuerlustige Atlanter von einem fernen Planeten zur Erde gebracht hatten, und Wakan, Sohn einer Eingeborenen und eines Atlanters.

Gleichsam als Eröffnungssignal des Kampfes schrie der Riese zum zehnten Mal, die Sonne versank, und gegen den blutrot gefärbten Horizont wirkte der Kupferwald wie ein unendlich fein gewobenes Netz aus Metall.

Mit einem mächtigen Sprung warf sich der Yülsch auf den jungen Mann, der ihm kräftemäßig weit unterlegen war. Doch geringere Muskelkraft machte Wakan durch Klugheit und Gewandtheit wieder wett.

Wakan wich zur Seite, aber der Yülsch bewies, dass er blitzschnell reagieren konnte, und bog sich im Sprung herum, so dass seine Tatzen Wakans Rücken erreichten und blutige Linien hineingruben. Das Schwert wirbelte durch die Luft, doch der plötzliche Schmerz im Rücken ließ Wakan unkonzentriert zustoßen, so dass er das Tier nicht traf. Gewarnt durch diesen ersten Angriff, warf Wakan sich zu Boden und rollte seitwärts. Der Yülsch fauchte; in einer einzigen wunderbar geschmeidig wirkenden Bewegung folgte er Wakan und sprang abermals. Diesmal war Wakan besser vorbereitet. Er täuschte einen Sprung zur Seite vor, der Yülsch fiel prompt auf den Trick herein und machte die Bewegung instinktiv mit. Wakan blieb jedoch an seinem Platz stehen und holte mit dem Schwert weit aus.

Er traf den aufbrüllenden Yülsch an der Flanke und fügte ihm eine schwere Wunde zu.

Doch bevor er das Schwert zurückziehen konnte, krümmte sich der Yülsch zusammen, und seine unkontrolliert arbeitenden Muskelbündel rissen Wakan die Waffe aus der Hand.

Mit dem Schwert in der Flanke stand das Tier schwer atmend vor Wakan und starrte ihn aus seinen kleinen Augen bösartig an.

Wakan wagte nicht, eine Bewegung zu machen, weil der Yülsch dann sofort angreifen würde.

Die Gedanken des jungen Mannes wirbelten durcheinander.

Was sollte er tun?

Der Yülsch duckte sich zum Sprung.

Wakan wappnete sich. Er musste irgendwie ausweichen und dem Tier das Schwert aus dem Körper ziehen, sonst war er verloren.

In diesem Augenblick wiederholte sich das Ereignis, das Wakan bereits beim ersten Mal so beunruhigt hatte.

Jemand sah Wakan und dem Yülsch zu!

Die Bedrohung durch das Unsichtbare erschien dem Atlanter fast noch schlimmer als der Yülsch. Aber auch das Tier schien sich der Nähe von etwas Fremdem deutlich bewusst zu sein, denn es sträubte den Kamm und wich knurrend zurück. Blut quoll aus seiner Wunde und färbte den weißen Pelz dunkelrot.

Wakan löste sich aus der unerklärlichen Starre, die seinen Körper gefangen hielt. Wenn er diesen Kampf überstehen wollte, musste er die Chance nutzen, die er durch die Intervention des Unbekannten bekam.

Während der Yülsch noch verwirrt über den Boden kroch und knurrte, machte Wakan einen Satz auf ihn zu und riss ihm das Schwert aus der Seite. Bevor das Tier zur Besinnung kam, stieß Wakan ihm die Waffe tief in den Nacken.

Der Yülsch ächzte dumpf und streckte sich. In wenigen Augenblicken war er tot.

Wakan fühlte sich elend. Er hatte das Gefühl, etwas Unmoralisches getan zu haben. Weniger die Tötung des Tieres erschien ihm verwerflich als die Tatsache, dass man ihn dabei beobachtet hatte. Etwas Unsauberes verfolgte ihn und ließ ihn nicht mehr los. Wakan glaubte sogar eine Lüsternheit der unsichtbaren Beobachter zu spüren, eine unmenschliche Gier, die kaum noch zu zügeln war.

Niemals zuvor in seinem Leben war Wakan mit etwas Ähnlichem konfrontiert worden.

Er versuchte sich davon zu lösen, doch es gelang ihm nicht.

Doch dann ging das Gefühl wieder vorüber.

»Flotox!«, rief Wakan. »Komm zu mir! Der Yülsch ist tot. Wir müssen jetzt nach Muon zurück.«

»Kannst du mir sagen, wie ich das machen soll, du Dummkopf?«, erklang die vertraute Stimme. »Die Sonne ist längst untergegangen.«

Wakan sah den Troll auf einem Ast in der Nähe sitzen. Er ging zu ihm und setzte ihn in den Korb.

»Es ist wieder passiert, nicht wahr?«, fragte Flotox kleinlaut.

»Ja.«

»Was kann es bedeuten, Wakan?«

»Ich habe keine Erklärung dafür, Drachenberater. Aber ich fühle, dass es etwas Schlimmes ist, etwas, das wir fürchten müssen.«

Er schnallte den Korb auf den Rücken und verließ den Wald. Als er offenes Land erreicht hatte, säuberte er sein Schwert und machte sich auf den Weg in die Stadt.

2.

 

Wenn Orob durch das achteckige Fenster des Sulfs hinausblickte, konnte er die Staubschleier sehen, die wie dichter Nebel über der Straße lagen und nur noch selten von den schwachen Winden vertrieben wurden. Orob war ein alter Mann, allein durch seine Erfahrung hob er sich aus dem Kreis der jüngeren Wissenschaftler heraus. Nur Cnossos, obwohl wesentlich jünger, besaß ein ähnliches Wissen wie Orob – er war dem alten Mann vielleicht sogar in einigen Dingen überlegen.

Jedes Mal, wenn Orob auf die Straße hinausblickte, war er sich der Tatsache bewusst, dass seine Augen eine sterbende Welt sahen. Es fiel ihm schwer, seine ungeheure Müdigkeit abzuschütteln und sein Interesse an den Experimenten wach zu halten.

Manchmal fühlte Orob eine fast körperliche Verbundenheit mit seiner Heimatwelt. Von hier aus war sein Volk in alle Gebiete der Galaxis vorgestoßen, hatte Planeten besiedelt, andere Völker unterjocht und ein mächtiges Imperium aufgebaut. Doch über die Grenzen der Galaxis hinweg waren sie niemals gelangt, das Nichts zwischen den Sterneninseln hatte sich als unüberwindbares Hindernis erwiesen.

Von Balam ausgehend, hatte der Zerfall des Imperiums begonnen. Angesichts der Tatsache, dass ihrem Expansionsdrang Grenzen gesetzt waren, hatten die Balamiter ihre Außenpositionen vernachlässigt und waren allmählich degeneriert. Dieser Prozess war nicht plötzlich eingetreten, sondern hatte sich wie eine schleichende Krankheit entwickelt. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung war Orob geboren worden, und in diesem alten Mann steckte schon mehr von der allgemeinen Lethargie, als er manchmal wahrhaben wollte.

Immer öfter nahm Orob die Gestalt eines Sandläufers an und wanderte tagelang ziellos durch die Wüsten von Balam. Aber auf die Fragen, die ihn beschäftigten, fand er keine Antwort.

Nun war etwas geschehen, was die verhängnisvolle Entwicklung nicht nur aufhalten, sondern sogar umkehren konnte. Die Balamiter hatten eine Entdeckung von unvorstellbarer Tragweite gemacht.

Orob erinnerte sich an seine Studienzeit. Schon damals hatte ein alter Wissenschaftler (Orob erinnerte sich nicht einmal an den Namen dieses Mannes) die Theorie von den Parallelwelten in den verschiedensten Dimensionen aufgestellt. Den Beweis für seine Behauptung war er jedoch schuldig geblieben.

Die Sache war wieder in Vergessenheit geraten, bis einige Experimente in jüngster Zeit endlich den unerwarteten Erfolg gebracht hatten.

Orob verließ seinen Platz am Fenster. Wenn er sich im Sulf aufhielt, trat er gewöhnlich in seiner normalen Gestalt auf. Wie alle Balamiter war er langbeinig und blauhäutig. Sein Brustkasten war nicht so ausgeprägt wie bei jüngeren Männern, und seine Hand war überraschend zart.

Die Männer und Frauen, die sich im Sulf versammelt hatten, um einen Blick durch das Dimensionsauge zu werfen, waren alle Wissenschaftler wie Orob, aber sie erschienen ihm trotzdem wie Fremde. Er teilte auch nicht ihre Begeisterung für dieses Projekt, wenn er auch die Notwendigkeit der Experimente einsah.

Manchmal, wenn er tief in sich hinein lauschte, spürte Orob ein starkes Unbehagen. Unterschwellig fürchtete er die Folgen der Experimente mit den Dimensionen, obwohl ihm sein Verstand sagte, dass weder sein Volk noch er etwas zu verlieren hatten.

Das zerfallene Imperium, die sterbende Heimatwelt, der Lebensüberdruss vieler Balamiter, das alles waren unübersehbare Warnsignale. Von diesem Standpunkt aus gesehen, erschien dem alten Mann die Erfindung des Dimensionsauges wie ein Geschenk, das ein glücklicher Zufall den Balamitern gerade noch rechtzeitig gemacht hatte. Andererseits glaubte Orob nur ungern an Zufälle, er sah in allem, auch in der Willkür der Natur, eine gewisse Ordnung, die sich bedauerlicherweise seinem Begriffsvermögen entzog.

Orob sah Cnossos am Schaltkasten des Dimensionsauges stehen. Das Auge selbst war eine trichterförmige Energiespirale, die bis weit unter das Kuppeldach des Sulfs reichte und an ihrer weitesten Öffnung einen Bildausschnitt von der Oberfläche der Parallelwelt reflektierte. Doch weitaus interessanter als der fünfte Planet des Parallelsystems war die dritte Welt.

Diese Welt nannten die Balamiter Chron und ihre Bewohner, die sich in erster Linie auf einer großen Insel angesiedelt hatten, nannten sie Chroniter.

Als das Dimensionsauge zum ersten Mal die Oberfläche von Chron abgetastet hatte, war Orob von einer wilden Erregung ergriffen worden.

Dort, so hatte er überlegt, war ein Gebiet, wo die Balamiter ihren alten Ehrgeiz und ihre längst verloren geglaubte Entschlusskraft zurückgewinnen konnten.

Zwischen Orob und Cnossos hatte bereits nach dem ersten Experiment mit dem Dimensionsauge unausgesprochenes Einverständnis darüber geherrscht, dass alles getan werden musste, um die Parallelgalaxis zu erreichen.

Hinter der Parallelgalaxis, die man entdeckt hatte, konnten noch unglaublich viele andere Parallelsysteme liegen. Der Gedanke, dass man nach und nach in sie vorstoßen könnte, war für Orob berauschend. Das Blut jagte schneller durch seine Adern, wenn er seiner Phantasie nachgab und sich ausmalte, was noch alles während seines Lebens passieren konnte.