Cover

Kurzbeschreibung:

Schluss mit Liebe – Millionär gesucht! Diesen Vorsatz haben die drei Freundinnen Alex, Jess und Miranda gefasst, um auch einmal auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. In Nizza hat Jess einen dicken Fisch an der Angel. Wenn nur nicht dieser gutaussehende junge Mann wäre, der ständig ihren Weg kreuzt! Wie wird ihr Herz sich entscheiden...?

Lily Taylor

Millionär gesucht: Nizza


Roman


Edel Elements

1

Okay, sie würde es tun.

Entschlossen stieg Jessica von ihrem alten klapprigen Hollandrad und machte es an dem Fahrradständer neben dem Pier fest. Heute würde sie es tun. Ganz bestimmt. Also, vorausgesetzt, er kam ins Café.

Aber dann würde sie es tun.

Zu ihrer Linken breitete sich der Hafen von Nizza aus, ein wogendes Meer aus weißen Jachten und Segeln, die sich gemächlich in der milden Brise blähten. Es war nicht viel los um diese Tageszeit, so kurz nach Mittag. Die meisten Jachtbesitzer hatten sich unter Deck geflüchtet, um Siesta zu halten. Erst am späteren Nachmittag würde der übliche Rummel losgehen.

Das Café, in dem sie arbeitete, befand sich am Ende des Piers, auf einer kleinen Plattform direkt über dem Hafenbecken. Von der Terrasse aus konnte man die Marina überblicken und weit hinaus aufs Mittelmeer schauen, dessen sanfte Wellen ein beständiges Glitzern und Funkeln auf der Oberfläche erzeugten, welches an einen Teppich aus geschliffenen Diamanten erinnerte.

„Du siehst gut aus! Hast du irgendetwas mit deinen Haaren gemacht?“, bemerkte ihre Kollegin Linda ein wenig spitz, als sie im Waschraum aufeinandertrafen.

Verlegen strich Jessica sich die dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht, die ihr vor die Augen gefallen war. „Naja, ich – hab es heute mal mit einem lockeren Chignon probiert …“

„Du weißt, dass dem Boss das nicht gefallen wird. Alles streng nach hinten gekämmt oder zusammengefasst, damit wir ein einheitliches Erscheinungsbild präsentieren“, zitierte Linda aus den Arbeitsvorschriften. Dabei ließ sie selbst ständig den obersten Knopf ihrer Bluse offen, um ihren Busen zu betonen. Wenn sie von Monsieur Bertolli darauf angesprochen wurde, heuchelte sie jedes Mal grenzenloses Erstaunen und erklärte scheinheilig, da müsse sie wohl wieder ein wenig zugenommen haben …

Der Boss kann mich hoffentlich bald! Und du auch, dachte Jess bei sich. Laut erwiderte sie: „Naja, ich hab sie doch zusammengefasst …“

„Ich bin neugierig, was er sagen wird“, entgegnete Linda schnippisch und rauschte davon.

Blöde Kuh! Mit einem tiefen Seufzen schloss Jess die Augen, dann trat sie vor den Spiegel und zupfte die widerspenstige Strähne zurecht, sodass sie sich sanft um ihr Ohr schmiegte. Dagegen konnte doch wirklich nichts gesagt werden?

Rasch zog sie einen farblosen Lipgloss aus der Tasche, um ihre Lippen wenigstens ein wenig zu betonen. Gegen die schwarze Mascara, die ihre grünen Augen erstrahlen ließ, hatte ihr Chef zum Glück nichts einzuwenden. Andernfalls sollte er lieber Nonnen einstellen, dachte Jess amüsiert.

Als sie den Waschraum verließ, kam Monsieur Bertolli ihr entgegen. „Jess, Linda, vite, vite! Die Mittagstische sind noch nicht abgeräumt!“

Zum Glück war er so mit diesem unmittelbaren Problem beschäftigt, dass er keinen Blick an Jess‘ Haare verschwendete. Monsieur Bertolli stand – ganz der umtriebige Gastronom – ständig unter Strom. Da sein Café ein gern besuchter Treffpunkt am Hafen war, gab es für ihn kaum Zeit zur Erholung. „Vite, vite – schnell, schnell!“, war der französische Lieblingsausdruck des gebürtigen Italieners.

Jess eilte auf die Terrasse. Eigentlich wäre es Aufgabe der Mittagsschicht gewesen, die Tische abzuräumen, aber da sie nicht unnötig Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte, hielt sie lieber den Mund.

In der Geldtasche, die sie zum Kassieren umgebunden trug, fiepte ihr Handy. Eine neue Nachricht. Nachdem sie die mit schmutzigem Geschirr beladenen Tabletts in die Küche balanciert hatte, warf Jess einen raschen Blick aufs Display. Es war eine Snapchat-Nachricht von Alex, aus ihrer „Millionär gesucht“-Gruppe.

„Bin in Monte Carlo angekommen. Die Stadt ist wunderschön, meine Aussichten sind es weniger. Eine billige Unterkunft habe ich zwar gefunden, aber jetzt brauche ich einen Job, sonst wird es ein kurzer Aufenthalt“, stand unter einem Foto des Hafens von Monte Carlo, der dem von Nizza sehr ähnlich war. Die gleichen Jachten, das gleiche tiefblaue Meer. Immerhin waren sie nur ein paar wenige Kilometer voneinander entfernt.

Rasch schoss Jess ein Foto von ihrem vollbeladenen Tablett und schrieb dazu: „Wie wäre es mit Tellerwaschen? Kann ich sehr empfehlen!“

„Nun mach schon, Jess! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“, trieb Linda sie ärgerlich an.

Seufzend machte Jess sich wieder an die Arbeit. Das war der einzige Grund, warum sie bei dieser „Millionär gesucht“-Sache mitmachte. Weshalb sie das Ganze überhaupt in Erwägung zog. Weil ihr die Aussicht, für den Rest ihres Lebens Teller zu schleppen, nicht wirklich zusagte.

Es war Alex‘ Idee gewesen. Eines Abends, als sie in ihrer Mädchen-WG in East Croydon in London beisammensaßen und Zukunftspläne schmiedeten, hatte Alex diesen Spruch kreiert:

„Wir, die Mitglieder des Clubs der zukünftigen Millionärinnen, schwören feierlich, nicht eher zu rasten und zu ruhen, bis wir einen Millionär fürs Leben gefunden haben.“

Jess und Miranda waren eher skeptisch gewesen. Miranda, weil sie ohnehin nur für ihre Musik lebte. Und Jess, weil sie felsenfest an die große Liebe glaubte. Aber diesen Glauben hatte Paul mittlerweile mehr als erschüttert.

Immer noch konnte Jess ihn genau vor sich sehen: Groß war er, fast 1,90, mit dunklen, lockigen Haaren, die ihm tief in die Stirn fielen, und einem unbezwingbaren, strahlenden Lächeln. Und sie war darauf hereingefallen. Hatte all seine Liebesschwüre für bare Münze genommen. Dabei suchte er nur jemanden, der ihn für eine Weile aushielt. Ihm zu Füßen lag (und auch sonst wo) und sein Essen bezahlte.

Alles hatte sie für ihn aufgegeben. Hatte Hals über Kopf ihre Zelte in London abgebrochen, kaum dass sie ihren Abschluss an der Camden Academy for Music and Dramatic Arts in der Tasche hatte. In der Londoner Schauspielschule hatte sie mit ihren zwei Freundinnen zusammen studiert und mit ihnen den Traum von der großen Karriere geteilt.

Bis ihr in einer Bar Paul begegnet war. Bis über beide Ohren verliebt war sie ihm nach Frankreich gefolgt, wo er mit seiner Band auf Tour ging.

Sie hatte für die Band gekocht, Konzerttermine organisiert und Hotelzimmer gebucht. Aber im Grunde ihres Herzens wusste sie wohl immer, dass die Sache nicht von Dauer sein würde. Dazu war Paul zu unbeständig und freiheitsliebend.

Bis nach Nizza waren sie gekommen, dann war Paul eines Morgens einfach verschwunden. Und ihre wenigen Ersparnisse mit ihm, sodass sie gezwungen war, in diesem Café anzuheuern, um sich über Wasser zu halten.

Aber schön ist die Zeit doch gewesen, dachte Jess mit einem melancholischen Lächeln. Wenn nur die Trennung nicht so verdammt wehgetan hätte. Wehtun würde. Seit dem Reinfall mit Paul hatte sie von romantischen Anwandlungen jedenfalls die Nase gründlich voll. Von jetzt an würde sie auf die Brieftasche eines Mannes sehen und nicht mehr in sein Gesicht, das hatte sie sich geschworen.

Das, und nur das, war – mal abgesehen von der Sache mit dem Tellerwaschen – der Grund, weshalb sie sich entschlossen hatte, es Alex gleichzutun und sich auf die Suche nach einem Millionär zu begeben.

„Wenn ich einen Nummer-Eins-Hit lande, stelle ich euch als meine persönlichen Assistentinnen an“, schrieb Miranda tröstend zurück.

Ihre Kleine! Mit knapp zweiundzwanzig war Miranda das Nesthäkchen ihres Trios. Jess und Alex konnten immerhin schon auf sechsundzwanzig Jahre Lebenserfahrung zurückblicken. Und ausgerechnet ihr Baby wollte den Sprung über den großen Teich wagen, um in den USA Karriere als Sängerin zu machen. Davon hatte sie immer schon geträumt.

Nachdem sie vor ein paar Monaten einen amerikanischen Musikproduzenten kennengelernt hatte, der sie für Probeaufnahmen nach Miami einlud, schien dieser Traum in Reichweite gerückt zu sein. Trotzdem hatte Jess ein ungutes Gefühl bei der Sache. Wenn diesem DJ Randy nur zu trauen war! Aber da musste Miranda allein durch.

Während der nächsten zwei Stunden war Jess damit beschäftigt, die Terrasse wieder auf Hochglanz zu bringen und alles für das Nachmittagsgeschäft bereitzumachen. Die Tische wurden neu gedeckt, Servietten gefaltet und auf den Damast-Tischdecken drapiert, der Blumenschmuck erneuert.

Das Bertolli’s war schließlich nicht irgendein Café, hier verkehrte die Crème de la Crème der feinen Gesellschaft von Nizza. Und hier hatte Jess auch „Le Capitain“ kennengelernt. So wurde er genannt, weil er bevorzugt blaue Blazer und eine Kapitänsmütze trug und stets mit einer Pfeife im Mund anzutreffen war.

Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass sein wahrer Name Serge Beaulieu lautete. Er war ein französischer Unternehmer, schwerreich, ein sogenannter Selfmade-Millionär, der sich vom einfachen Arbeiter zum Chef eines Imperiums hochgearbeitet hatte, das sein Geld mit Bauprojekten und Immobilien machte. Mehrere teure Apartmentblocks im Zentrum von Nizza gehörten zu seinem Besitz.

Dort besaß er auch eine luxuriöse Penthouse-Wohnung, dennoch zog er es vor, seine Zeit hauptsächlich auf seiner Jacht zu verbringen, die im Hafen vor Anker lag. Seine Frau war vor fünf Jahren gestorben, wie Jess wusste, und es gab noch keine Nachfolgerin.

Gelegentlich wurde Monsieur Beaulieu bei seinem Besuch im Bertolli’s von einer eleganten älteren Dame Gesellschaft geleistet. Doch Jess hatte in Erfahrung bringen können, dass es sich dabei um die Gräfin de la Tour handelte, die eine enge Freundin seiner Frau gewesen war. Die Gräfin war selbst verwitwet und lebte ansonsten sehr zurückgezogen.

Zwar war Monsieur Beaulieu bereits etwas graumeliert – Jess schätzte, dass er Ende fünfzig sein musste – aber er war sehnig und durchtrainiert, ein stattlicher Mann in den besten Jahren. Und er war genauso, wie sie sich immer einen Gentleman vorgestellt hatte. Ein Kavalier der alten Schule, der seiner Begleiterin den Stuhl zurechtrückte und ihr in den Mantel half.

Von genauso einem Mann hatte Jess immer geträumt. Naja, vielleicht ein bisschen jünger, aber man konnte eben nicht alles haben. Jedenfalls war sie wild entschlossen, sich Le Capitain zu angeln und mit ihm die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen.

Schlecht standen ihre Chancen nicht, wie sie glaubte. Immerhin sah sie nicht übel aus: Sie hatte lange Beine, eine schlanke Figur und üppiges, dunkelblondes Haar. Mit diesem Startkapital hätte sie vom Fleck weg an jedem Finger zehn Verehrer haben können. Es kamen genug Männer in das Lokal, die nur auf ein schnelles Abenteuer aus waren.

Aber da waren sie bei Jess an der falschen Adresse. Sie besah sich die Männer, die sie Tag für Tag bediente, mit kritischem Blick, bildete sich ihre Meinung über sie – Angeber, Aufreißer, Windhund, Hochstapler – und traf schließlich ihre Wahl.

Und auch Le Capitain schien ihr gewogen zu sein. Wenn sie ihn bediente, gab er ihr jedes Mal ein fürstliches Trinkgeld; seine blauen Augen in dem wettergegerbten Gesicht zwinkerten ihr dabei verschmitzt zu. Auch wenn er noch nie versucht hatte, näher mit ihr in Kontakt zu treten, war Jess sicher, dass sie seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Jedes Mal, wenn sie seinen Tisch passierte, schenkte sie ihm ihr strahlendstes Lächeln. Doch leider war es bisher bei diesem Lächeln geblieben.

Aber heute wollte Jess ihr Glück wagen und ihn ansprechen. Ganz bestimmt. Sie hatte es sich fest vorgenommen. Falls er ins Café kam. Was allerdings sehr wahrscheinlich war, weil er jeden Nachmittag auf der Terrasse von Bertolli’s seine Bloody Mary trank.

Gegen fünf Uhr fiepte ihr Handy erneut. „Einen Job habe ich ergattert. Morgen fange ich an. Und heute Abend geht es ins Casino! Wünscht mir Glück!“, schrieb Alex. Das dazugehörige Foto zeigte die Eingangstür eines Lokals mit dem Namen Rose Club. Die Tür war verwittert und abgeschlagen, aber immerhin – Alex war auf dem Weg, ihr Glück beim Schopf zu packen. Daran sollte ich mir ein Beispiel nehmen, sagte Jess sich.

Sie lugte hinaus auf die Terrasse, um zu sehen, ob Le Capitain schon im Anmarsch war. Tatsächlich! Eben erklomm er leichtfüßig die Stufen, die zur Terrasse führten, und steuerte auf seinen üblichen Tisch an der Balustrade zu, von dem aus er das Meer überblicken und wohl auch seine Jacht im Auge behalten konnte.

Die Paloma, benannt nach seiner verstorbenen Ehefrau, wie Jess herausgefunden hatte, dümpelte majestätisch nur wenige hundert Meter entfernt am Eingang zum Hafen vor sich hin. Wie es wohl war, auf einer Jacht zu leben? hatte Jess sich schon oft gefragt. Völlig ungebunden zu sein. Jederzeit den Anker lüften und davonsegeln zu können. Das war wahre Freiheit!

Von einem solchen Leben war sie selbst Lichtjahre entfernt. Sie musste zusehen, dass sie rechtzeitig den Tisch des Kapitäns erreichte, um seine Bestellung aufzunehmen. Sie konnte sehen, dass auch ihre Kollegin Linda darauf zueilte. Natürlich hatte Linda ebenfalls ein Auge auf Le Capitain geworfen.

Unvorsichtigerweise hatte Jess ihr irgendwann von dem Pakt mit ihren Freundinnen erzählt. Wir, die Mitglieder des Clubs der zukünftigen Millionärinnen, schwören feierlich, nicht eher zu rasten und zu ruhen, bis wir einen Millionär fürs Leben gefunden haben. Seitdem schien Linda den Kampf um Le Capitain als sportliche Herausforderung zu sehen. Aber Jess war schneller.

Etwas außer Atem begrüßte sie ihren Gast in perfektem Französisch. Das zumindest hatte sie von ihrem Abenteuer mit Paul zurückbehalten. „Bon soir, Monsieur Beaulieu. Was darf ich Ihnen bringen?“

„Wie immer, Mademoiselle. Wie immer“, erwiderte Serge Beaulieu fröhlich. Jess lächelte.

„Eine Bloody Mary mit viel Eis.“

„Exactement!“, rief Le Capitain. „Sie haben ein gutes Gedächtnis, Mademoiselle!“

Jess bemühte sich, verführerisch zu klingen. „Das ist bei einem Gast wie Ihnen nicht schwer, Monsieur.“

Als sie sich umdrehte, um zur Bar zu eilen, erwartete sie halb, dass Monsieur Beaulieu ihr auf den Hintern klatschen würde, aber so viel Vertraulichkeit war selbstverständlich nicht sein Stil. Obwohl sie beinahe ein wenig enttäuscht war.

„Eine Bloody Mary für Tisch 12“, wies sie den Barkeeper an. „Beeilung.“