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Dr. Max. S. Justice

Manager Attentat

Deutsche Wirtschaft Inside

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© 2017 Dr. Max. S. Justice

Paperback: 978-3-7439-8065-5

Hardcover: 978-3-7439-8066-2

e-Book: 978-3-7439-8067-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vorwort

Es ist der 1. Dezember. Es ist kalt im Norden Deutschlands. Die Temperaturen haben es nicht mehr in den positiven Bereich geschafft und der Ostwind lässt alles noch kälter anfühlen. Das exakte Jahr spielt keine Rolle. Wir sind in modernen Zeiten, in denen viel möglich ist, das ist von Bedeutung, vieles, was nicht unbedingt vernünftig ist, aber dennoch passiert und völlig legal ist.

Das Wetter passt zu dem Thema. Es geht um den Niedergang einer Firma, einer mit ihren Produkten weltweit führenden Firma, verursacht durch einzelne, wenige Personen.

Das gibt es nicht?

An diesem Tag fange ich an, die Geschichte aus meinen Aufzeichnungen zusammenzuschreiben. Wer muss sich Romane ausdenken, wenn das reale Leben schon so spannend ist.

Jedem, der an einem authentischen Insider-Bericht mit Episoden zum Schmunzeln und zum Kopfschütteln aus aktueller deutscher Wirtschaftsrealität Interesse hat, wird dieses Buch Kurzweil bereiten.

Alle Ähnlichkeiten oder Parallelen zu real existierenden Personen und Sachverhalten in einem Unternehmen, das der eine oder andere kennen mag, sind aus rechtlichen Gründen rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Aber gehen wir zu meinen Anfängen in der Firma zurück und dieses Buch beginnt, in meinem 1. Jahr in der Firma.

Viel Spaß.

Teil 1

Die Firma und ihre Manager

Jahr 1 bis Jahr 6

Die Anfänge, (gute) alte Zeiten

Am Montagmorgen, dem 4. Januar, trat ich meinen neuen Job bei der Firma an.

Aber wer bin ich überhaupt?

Ich bin mit Sport, mit Leistungssport, groß geworden. Das war zu Jugendzeiten mein ein und alles, das hat mich geprägt und auch danach habe ich noch lange Wettkampfsport betrieben. Wer besser ist als der andere gewinnt. Der, der besser ist, hat meist vorher mehr trainiert, hat mehr gearbeitet. So ist es richtig und in Ordnung. Und Betrügereien durch ein Doping im weitesten Sinne nehme ich hier ausdrücklich aus.

Leistung, Fairplay und Gerechtigkeit, das sind meine zentralen Begriffe.

Ich habe Maschinenbau studiert, an der Universität, mit Schwerpunkt auf die Produktionstechnik. Nach Studienende bekam ich Post von gleich 2 Instituten der Universität, ob ich nicht bei ihnen als sogenannter wissenschaftlicher Mitarbeiter anfangen wollte zu arbeiten. Ich tat es, bei einem, arbeitete an Forschungsvorhaben, formulierte neue und betreute Studenten bei ihren Studien- und Diplomarbeiten.

Nach knapp 6 Jahren legte ich meine Promotion vor. Es war der Prototyp einer verbesserten Anlage, die es so auf diesem Planeten vorher noch nicht gegeben hatte. Die Verbesserungen konnte man messen, klar quantifizieren, brauchte sie nicht herbeireden oder hineininterpretieren. Alles war selber erarbeitet, nichts wegkopiert und in der Literaturrecherche zu Beginn der Dr.-Arbeit waren die fremden Stellen richtig und vollständig zitiert. Ich verließ das Universitätsinstitut als frischer Dr.-Ing. der Produktionstechnik in die freie Wirtschaft.

In meiner 1. Firma arbeitete ich gut 6 Jahre. Es bot sich keine Perspektive für mich, also suchte ich eine neue Stelle. Dies war meine 2. Firma in der Wirtschaftswelt.

Das Bewerbungsprozedere in meiner neuen Firma hatte einige Zeit gedauert. Insgesamt waren es 4 Gespräche in unterschiedlichen Konstellationen gewesen. Dann hatte ich einen Vertrag als Technischer Leiter und Stellvertreter des Werkleiters unterschrieben und fristgerecht im September in meiner 1. Firma zum Jahresende gekündigt.

Ich war also der frische Technik-Chef, die Nummer 2 des Standortes, des Stammwerkes der Firma mit damals 700 Mitarbeitern.

Vor über 70 Jahren hatten die einstigen Firmengründer unser Produkt erfunden, das sich noch heute großer Beliebtheit erfreut. Die Firma war weltweit führend mit diesem Produkt und in Amerika, Asien und Europa sehr aktiv, auch wenn die Firma wenig bekannt war, da sie nur an die Getränke- und Lebensmittelhersteller verkaufte, nicht an die Endverbraucher, B2B, Business to Business, wie es heißt. Die Märkte und der Wettbewerb waren übersichtlich.

In Deutschland betrug der Marktanteil rund 50%. Welcher Hersteller kann das von sich sagen.

Die Firma war in einen großen internationalen Konzern mit deutscher Leitung eingebunden, der unterschiedliche Verpackungen für Getränke und Lebensmittel produzierte. Jede Produktgruppe hatte ein eigenes den internationalen Standorten übergeordnetes Management. Genau genommen waren es sogar zwei, eines für Nord- und Südamerika und eines für Europa und Asien. So waren die Produktionsstandorte zugeordnet. Der gesamte Konzern mit seinen weltweit rund 9.000 Mitarbeitern wurde als Aktiengesellschaft von einem Vorstand geführt.

Alle Produktgruppen hatten eine Gemeinsamkeit. Man brauchte viele kostenintensive Maschinen und Anlagen, um zu produzieren und verhältnismäßig wenig Menschen, die diese Maschinen und Anlagen bedienten. Das war in der Langfristbetrachtung gut für den Produktionsstandort Deutschland, da die Lohnkosten nicht an erster Stelle auf der Ausgabenseite standen.

Es hieß in meinen Anfängen, dass der, der einmal hier angefangen hatte, nicht wieder weggeht, sondern in der Firma bis zu dem Eintritt in den Ruhestand weiterarbeitete. Einige, je nach Figur, fügten noch hinzu, dass jeder hier im Laufe der Jahre zugenommen hatte, was ich mir als immer noch begeisterter Sportler mit 39 nicht vorstellen wollte. Und Trägheit sollte es doch wohl auch nicht signalisieren.

Im Blick zurück waren es rosige, ja, gute, alte Zeiten. Die Firma war ein Teil eines deutschen Konzerns, die Manager waren Typen, teilweise eckig, aber letztendlich standen alle hinter der Firma und arbeiteten für sie.

Das ganze Jahr hindurch wurde nonstop 6 Tage die Woche produziert, 24/6, wie es heißt, und im verkaufsschwachen Winter waren die Lagerhallen voll bis unters Dach. Sogar ein externes Lager wurde zusätzlich angemietet. Es wurde akzeptiert. Die Produktionsanlagen sollten laufen und niemand beschwerte sich über eine sicher unnötige Kapitalbindung durch die viel zu hohen Bestände.

Schließlich war man Weltmarktführer mit Produktionsstätten in Nord- und Südamerika, Asien und Europa, mit seinem Stammwerk in Deutschland, in Hannover, dem einzigen deutschen Werk.

Es wurde nicht so genau auf die Finanzzahlen geguckt und mich erschlug es in meinem ersten Jahr, permanent massiv überzogene Instandhaltungsausgaben verantworten zu müssen. Es tröstete mich nicht, wenn mein Chef und Werkleiter mir mitteilte, dass es im Vorjahr noch schlimmer gewesen war und man eigentlich nie mit dem hinkäme, was vorgesehen war.

Hier kommt die erste Hauptperson dieser Geschichte mit ins Spiel, mein Chef, mein damaliger Werkleiter, nennen wir ihn KleinJo. Mich überraschte seine Einstellung zu den überzogenen Kosten, denn wer hat schon gern ein überzogenes Konto, und schon gar nicht um einen siebenstelligen Betrag.

Ich konnte sein Verhalten seiner Zeit noch nicht so interpretieren, lernte ich ihn doch gerade erst kennen.

Neben den massiv zu hohen Ausgaben, lagen noch andere Themen für mich bereit. Die Instandhaltungsmitarbeiter im Werk hatten einen miesen Ruf, die Ingenieure meiner Werkstechnik waren sich nicht grün mit den Produktionsverantwortlichen und die Instandhaltungsmeister, die keine außertariflichen Angestellten wie meine Ingenieure waren, hatten die Zeitkonten weit über Anschlag bei 250 Überstunden. Denn sie spekulierten darauf, über kurz oder lang, die Stunden in Geld ausgezahlt zu bekommen.

Das hatte KleinJo unter der Hand immer so getan, mehrfach Gelder vertuscht, die sicher so nicht geplant gewesen waren. Auch dies trug zu den negativen Abweichungen bei.

Ich ging mit meinen Mitarbeitern einige Nachmittage und Abende aus dem Werk heraus. Wir buchten ein externes Besprechungszimmer in einem nahen Hotel und arbeiteten zunächst an unserer Teambildung, dann an einem neuen Konzept zur Instandhaltung. Denn, wie gesagt, wer hat schon gern ein überzogenes Konto.

Die Meister glaubten mir als Neuem wohl schnell, dass es keinen Anspruch auf Extrageld durch ausgezahlte Überstunden gab und ich dies nicht tun würde. Schließlich war dies im Gesamtgefüge des Werkes gesehen eine Ungerechtigkeit, die nicht sein durfte.

Sie bekamen die Aufgabe, ihre Arbeitszeit selber zu analysieren. Mehr als 7 Stunden täglich durften es im Mittel nicht sein, denn es herrschte die 35 Stundenwoche. Lief das Arbeitszeitkonto voll, galt es, zeitnah einen Ausgleichstag zu nehmen, denn ausgezahlt wurde nicht mehr.

Mit KleinJo führte ich zusammen die Gespräche mit der Arbeitnehmervertretung und wir formulierten eine neue Betriebsvereinbarung, in der geregelt war, wie mit Überstunden umzugehen war, natürlich gültig für alle Mitarbeiter im Werk, nicht nur für meine Meister.

Die Instandhaltungsmitarbeiter wurden anders eingesetzt, auch dies mit Zustimmung des Betriebsrates, denn sonst geht es nicht, und nach einem Jahr hatten wir die Kostenseite im Griff, konnte eine bessere Leistung für 20% weniger Ausgaben bieten.

Jede Aktion an einer Produktionsanlage wurde nun gründlich vorbereitet. Wir hatten Wartungschecklisten ausgearbeitet und die Einhaltung der Wartungszeiten wurde besser. Das ließ die Instandhalter stolz auf ihre Arbeit sein, ihr Ansehen bei den Kollegen aus der Produktion verbesserte sich und wir hatten hierdurch einen guten Schritt nach vorn getan.

Die Teambildung in der Technik war quasi auf die Produktion ausgedehnt worden und als nächster Schritt wurden die Anlagenführer mit in die Wartungsarbeiten integriert. Wenn jemand jeden Tag an ein und derselben Anlage steht, dann kennt er sie, alles, jedes kleine Detail, auch Dinge, die nicht im Maschinenhandbuch stehen. Dieses Wissen gilt es zu nutzen.

Wir waren auf dem Weg zu einer sich permanent verbessernden, zustandsorientierten Instandhaltung. So wie es bei einem modernen Auto ist, das dem Fahrer anzeigt, wie viele Kilometer es noch bis zum nächsten Service sind, abhängig von den Fahrbedingungen, eben zustandsorientiert.

Es mag eine Frage des Menschenbildes sein oder eine Frage des eigenen Führungsverständnisses. Passen die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter, wollen die meisten Mitarbeiter auch arbeiten. Und Arbeitsbedingungen zu gestalten, ist die Aufgabe der Führungskräfte.

Wenn es besonders gut läuft, kann man den sportlichen Ehrgeiz einiger Mitarbeiter ansprechen. In der damaligen Zeit baute ich ein Team zum Umrüsten der verketteten Produktionsanlagen auf. Es waren fitte, sportliche Leute, auch ein älterer war mit dabei. Das Team stoppte selber die Zeiten für ihre Anlagenumbauten, wollte sich verbessern und schneller werden.

Eigener Arbeits-Erfolg schafft Motivation. So einfach ist das.

Während wir im Werk arbeiteten, war der deutsche Konzern mehrheitlich von einem Finanzinvestor übernommen worden. Das bedeutete nichts Gutes, aber noch zog kein Sturm auf.

Das Schwesterwerk in Holland traf es. Es wurde geschlossen, rund 200 Menschen brauchten einen neuen Job. Den angesehenen Werkleiter hatte man zuerst rausgenommen, das heißt, vorher gekündigt und ihn sofort von der Arbeit freigestellt, ihm den Zutritt zu seinem Werk verwehrt.

Es ärgerte mich schon damals, dass in unserem Werk sofort neidgetriebene Gerüchte über Abfindungszahlungen für den Werkleiter durch die Hallen geisterten. Wie unsinnig, der Mann war nun unverschuldet gezwungen, eine neue Führungsposition zu finden und Abfindungssummen für normalsterbliche Manager verbrauchen sich schneller als erwünscht, gerade nach Abzug der Steuern.

Der Finanzinvestor verkaufte die Firma an einen australischen Konzern. Die Australier schluckten unsere Produktgruppe und auch noch eine zweite. Der Rest wurde von Amerikanern gekauft. Der bestehende Konzern wurde damit zerschlagen und der über 100 Jahre alte Name des deutschen Konzerns verschwand auf Nimmerwiedersehen. Er wurde aus dem Handelsregister gelöscht.

Es hatte jetzt auch in meinem Werk gerumst, obwohl wir uns zusätzliches Produktionsvolumen, einen guten Teil von dem aus Holland, hatten an Land ziehen können. 70 Mitarbeiter wurden entlassen. In meiner Werkstechnik gab es keine Veränderungen. Ich hatte für meine Leute gekämpft und konnte sie halten. Im Gegenzug reduzierten wir die externen Dienstleistungs- und Instandhaltungsarbeiten, um einen sinnvollen Beitrag zur Kostenreduktion zu leisten.

Es traf die Produktionsmitarbeiter. Wir hatten schnellere, leistungsstärkere Anlagen installiert und jetzt waren Leute über. Betriebswirtschaftlich gesehen sind die Menschen an den Produktionsanlagen in den variablen Kosten, genauso wie Material und Energie, und aus diesen Größen wird die Wirtschaftlichkeit einer Investition ermittelt. Geht die Rechnung mehr Output bei verminderten Ressourceneinsatz nicht auf, gibt es keine neuen Anlagen solange die alten noch vernünftig laufen.

Die Arbeitgeberseite bestimmt nicht nach Lust und Laune wer geht oder bleibt. Es werden Funktionen abgebaut, nicht spezifische Personen und die Funktion hieß Anlagenführer in der Produktion. Dafür müssen Sozialkriterien berücksichtigt werden, so wie die Zahl der unterhaltspflichtigen Personen aus dem familiären Umfeld des Mitarbeiters, das Alter und seine Betriebszugehörigkeit. Diese Daten werden vor dem Aussprechen der Kündigungen von allen Mitarbeitern erhoben. Kann eine von Personalabbau bedrohte Arbeitergruppe in 3 Monaten die Tätigkeiten einer andern erlernen, sind die beiden Gruppen vergleichbar. Es sind viele Dinge zu berücksichtigen und es geht eben nicht nach Nasenfaktor, was auch gut ist.

Die Sozialauswahl wurde in 3 Altersklassen durchgeführt, um eine Überalterung der verbleibenden Mannschaft zu vermeiden. Seiner Zeit war dies rechtlich zulässig und der Werkleiter, der Personalchef und ich besuchten deshalb einen Tag ein Rechtsseminar, das von einem Richter des Landesarbeitsgerichts gehalten wurde.

Lange verhandelten wir mit der Arbeitnehmerseite darüber, um einen sogenannten Interessenausgleich zu finden. Der Personalabbau war nicht zu ändern. Über die Sozialauswahlkriterien und die Berechnung der Abfindungszahlungen im Sozialplan konnten wir in Alternativen denken. Auch die Gewerkschaft, die IG Metall, saß mit am Tisch, ohne dass dies irgendetwas anders machte. Unsere gekündigten Mitarbeiter gingen fast alle in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft über, die ein gewerkschaftsnaher Anwalt initiiert hatte. So hatten wir es mit dem Betriebsrat schlussendlich vereinbart.

Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, die BQG, brachte reduziertes, aber dafür verlängertes Geld für unsere Leute vor der drohenden Arbeitslosigkeit. Leider wurde der eigentliche Sinn und Zweck, die Mitarbeiter für einen neuen Job zu qualifizieren, es waren viele Ungelernte dabei, nicht erreicht.

So oder so wurde neben dem Firmenanteil alles von den Steuerzahlern bezahlt, ob als Strukturkurzarbeitergeld in der BQG oder dann später als Arbeitslosengeld.

Für den Arbeitgeber hatte es den Vorteil gebracht, keine Kündigungsschutzklagen und damit langwierige Rechtsstreite vor den Arbeitsgerichten zu bekommen, da sich die Mitarbeiter auf Anraten von Betriebsrat und Gewerkschaft freiwillig in die BQG verändert hatten. Das angestrebte Ziel, die Menschen schnell wieder in Arbeit zu bringen, wurde verfehlt. Keine 10 % kamen aus der BQG in einen neuen Job.

Auch mit den Australiern wurde es eigentlich nicht viel anders. Das Werksmanagement blieb und das übergeordnete europäische auch, zunächst.

Aber aus Sicht des Werksmanagements änderte sich doch etwas Entscheidendes. Das europäische Management unserer Produktgruppe veränderte seinen Standort. Es kam zu uns nach Hannover, zum Werk, in ein kaum mehr genutztes, großes Verwaltungsgebäude.

Vor der Zerschlagung des deutschen Konzerns gab es zwischen dem Werk, seinen europäischen Chefs unserer Produktgruppe und dem übergeordneten Konzernvorstand einen Sicherheitsabstand von knapp 300 km. Alle Häuptlinge, auch die der anderen Produktgruppen mit dem Verantwortungsgebiet Europa und Asien, waren auf 2 schicken und repräsentativen Etagen eines auffälligen Bürogebäudes in der Nähe von Düsseldorf konzentriert, umgeben von ihren Stäben.

Natürlich wussten wir, wenn ein Besucher im Auto auf dem Weg zu uns saß.

Jetzt organisierte einer meiner Mitarbeiter, der für die gesamte Gebäudetechnik zuständig war, die Renovierung eines ungenutzten Bereiches eines unserer 3 Verwaltungsgebäude, damit alles vor dem Umzug beziehungsweise Einzug der Damen und Herren auch fein war. Und natürlich gab es für das europäische Headoffice oder, ganz schnöde auf Deutsch, die Hauptverwaltung, die oberste Etage.

Es war wirklich ein erstaunliches vorher und nachher auf dieser Etage, wirklich besser als die klassischen Fotos von vermeintlich verschönerten Personen in den Illustrierten, vorher traurig und hässlich, hinterher lächelnd und nur wenig hübscher.

Dann zogen die Herren und wenigen Damen um, aufs große Werksgelände, zu dem Werk, in dem es laut und warm war. Es kam unser Präsident mit seinen 3 Vize Präsidenten für Produktion, Verkauf und Finanzen, und das Gefolge.

Es war den Präsidenten schwer zu vermitteln, dass es Spielregeln in dem Werk gab, die für alle galten, für den Werkleiter und jeden Arbeiter, eben jeden Mitarbeiter. Das Tragen von Gehörschutz, Sicherheitsschuhen und Kittel im Produktionsbereich waren mit dabei. Sicherheitsschuhe und Kittel schienen die Bosse irgendwie gar nicht zu mögen. Dabei ist es doch so sinnvoll. Wie schnell kann man sich einen Schrapper auf dem Schuh oder einen Fleck auf dem Hemd holen. Und dunkle Anzüge scheinen einen ganz besonderen Magnetismus für helle Fusseln und Staub zu haben.

Unseren Vize Präsidenten Produktion fingen wir wirklich oft wieder ein, meist am späten Nachmittag, und appellierten so lange an seine Vorbildrolle für die Mannschaft, bis er es endlich akzeptierte. Seine normale Antwort lautete, dass er doch nur einmal schnell zu den neuen Produktionslinien wollte, schauen, wie die denn liefen.

Er war absolut technikverliebt, viel zu viel für seine Managementebene, schraubte am liebsten auch noch selber und brachte vor Ort meist nur Unruhe rein, wenn er mit dem Anlagenführer versuchte, die Maschine schneller laufen zu lassen.

Für einen Marathonläufer ist es schön, wie ein Sprinter die 100 Meter in 10 Sekunden oder weniger laufen zu können. Erfolgreich ist er, wenn er die Marathonstrecke in gut 2 Stunden bewältigt. Bei Produktionsanlagen ist es genauso. Die dauerhafte Leistung ist relevant, nicht ein paar schnelle Minuten vor einem Stopper und einer nachfolgenden Störungsbehebung, in der dann gar nichts produziert wird.

Und wie man weiß, sind zu viele Köche nicht gut für den Brei. Für zu viele Chefs vor Ort gilt diese Erkenntnis auch.

Es waren die alten Zeiten, auch wenn diese nur gut 10 Jahre zurückliegen. Es gab endlose Spätnachmittags-Gespräche zwischen meiner Werkstechnik und dem Vize Präsidenten Produktion mit seinem technischen Stab, um die beste technische Lösung zu finden. Werkleiter KleinJo hielt sich aus alledem lieber raus und bezog keine Position. Um es schwarz-weiß zu formulieren, wollte ich mit meinem Team die Marathon-Technik, der Vize Präsident mit seinen Ingenieuren sah die Zukunft in Ultra Highspeed.

Highspeed, das war das generelle Thema des Vize Präsidenten Produktion. Mit ihm wollte wirklich niemand im Wagen mitfahren, denn er fuhr wie ein Henker. Ich habe es selber erlebt. Sein Punktekonto in Flensburg war stets prall gefüllt. War es besonders kritisch, fuhr er mit autonomer Strick-Sturmhaube, um auf dem eventuellen Blitzerfoto nicht erkannt werden zu können. Es war ja schließlich ein Dienstwagen, der nicht auf ihn persönlich zugelassen war, sondern auf die Firma, ein BMW 530 Diesel. In diesem Outfit hatte es ihn einmal erwischt. Wir kannten das Foto, schick in schwarz weiß, nur Augen und Mund frei. Er hatte es uns gezeigt.

Eine andere Begebenheit aus alten Zeiten. Jeder Standort, jedes Werk, denn in jedem Land gab es nur 1 Werk, hatte am Jahresende den vollständigen Geschäftsplan für das kommende Jahr dem europäischen Management vorzustellen. Bei Politikern heißt das Bundes-Haushalt, bei uns in der Firma hieß das Budget. Ich saß also mit meinem Chef KleinJo und unserem Controller in dieser je Standort etwa halbtägigen Veranstaltung. Wir präsentierten den deutschen Haushalt und die Präsidenten-Riege fragte nach, von links nach rechts, rauf und runter, vor und zurück, nach unseren Annahmen und Zahlen, die letztendlich in ein Jahresergebnis mündeten, in einen Gewinn vor Steuern und Zinszahlungen, dem EBIT, die Earnings before interests and taxes, denn die Firmensprache war Englisch.

Sinn und Zweck jeder Unternehmung, eines jeden Betriebes, ist es, einen Überschuss zu erwirtschaften, damit es weiter geht mit dem Unternehmen und damit alle beschäftigten Mitarbeiter davon leben können. Das ist das Prinzip.

Neuverschuldungen zusätzlich zu Bergen von vorhandenen Schulden gibt es in der Wirtschaft im Normalfall nicht, Sonderfälle wie Opel einmal ausgenommen. Es gibt auch keinen Nachtragshaushalt, nicht einen, wenn das Geld aus irgendwelchen Gründen nicht gereicht hat.

Kein Wirtschaftsmanager ist stolz auf ein rotes Ergebnis und sinniert dann darüber, dass es nicht so viel rot ist, dass es hätte roter sein können, denn rot ist rot. Er lobt sich selbst nicht für eine geringe Neuverschuldung. Er wird auch nicht stolzer, wenn eine schwarze Null unterm Strich übrig bleibt. Eher wird er sich einen neuen Job suchen müssen, denn rote Ergebnisse dürfen dauerhaft nicht vorkommen, sonst ist man insolvent und wird insolvenzverwaltet und abgewickelt.

Und das ist auch gut so.

Also spreche ich doch lieber von Budget und nicht von Haushalt.

Wie es denn meistens in solchen Veranstaltungen ist, liegt in dem vorgestellten Jahresplan das Ergebnis unter den Erwartungen des übergeordneten Managements, das dieses entweder weiter nach oben in der Firmenhierarchie berichten oder bei einer Aktiengesellschaft es letztendlich seinen Aktionären offenbaren muss, die dann auf eine mehr oder eben minder große Ausschüttung hoffen können. Und so weiter.

Na klar, es sollte mehr sein, so wie immer. Das heißt für einen Produktionsstandort, mehr zu produzieren und zu verkaufen oder weniger auszugeben, meint unter Umständen Personal abzubauen.

Es waren die alten Zeiten, in denen die oberste Chefetage, die Präsidentenriege, noch wusste, dass sich alle für ein und dieselbe Firma anstrengten, auf allen monatlichen Gehaltsbenachrichtigungen derselbe Firmenname stand, jeder in seiner Funktion, ob in seinem Büro oder an seiner Maschine.

Der Präsident gab die Richtung für mehr Ergebnis vor und stieg in die geplanten Produktionsvolumina für die großen Kunden ein. Er hatte über seine Jahre selber gute Kontakte zu unseren Kunden aufgebaut und setzte diese für die Firma ein. Der an seinen Verkaufs Vize Präsidenten gerichtete Satz Du verkaufst doch sicher noch mehr, Hannover braucht noch mehr Produktion ist wirklich unvergessen.

Es ging unserem alten und hoch angesehenen Präsidenten gesundheitlich nicht gut. Es ging ihm gar nicht gut und er wollte sich mit Ende 50 zurückziehen. Die Firmenzentrale und der Vorstand in Australien hatten dies akzeptiert und einen neuen Präsidenten ausgesucht.

Jahr 6, Herbst

Neue Zeiten und der Anfang vom Abstieg

Im Herbst kamen neue Akteure auf den Plan. Zunächst kam der neue Präsident, 2 Wochen später ein neuer Vize Präsident für die Finanzen. Der Vorhandene wurde entsorgt, entlassen, ganz ohne soziale Auswahl, bei Managern bzw. exponierten Einzelfunktionen geht dies. Warum und wieso wusste niemand im Werk und ich habe es auch später nie erfahren.

Beide Neuen kamen aus einem völlig anderen Business, kannten weder die Märkte mit unseren Kunden, noch unsere internen Abläufe und Prozesse. Nicht nur Techniker verstehen schnell, dass Großanlagenbau und Massenfertigung essentiell unterschiedlich sind. Das eine ist sehr groß, teuer und wird in geringer Stückzahl kundenspezifisch und personalintensiv gebaut und montiert, das andere ist klein, kostet einzeln im Cent-Bereich und wird in Milliarden Stück jährlich hochautomatisiert produziert, mit wenig Personal.

Wir hatten damit ein neues europäisches Managementteam mit 2 neuen und 2 alten Teammitgliedern. Wer am Drücker saß und wer nichts mehr zu melden hatte, war sehr schnell klar. Die erfahrenen Vize Präsidenten für die Produktion und den Verkauf waren de facto abgemeldet. Das war gefährlich.

Da uns der neue Präsident 5 Jahre managen sollte, hat er so viel Aufmerksamkeit verdient, hier namentlich genannt zu werden. Sein Name ist Vernichter1.

Der Mann war damals 40 Jahre alt, smart, schlank und trug nur dunkle Anzüge. So förmlich war unser altes Europa-Management sonst nicht gewesen. Er hatte, so wie ich, ein paar Jahre nach mir an derselben Universität studiert. Sein Schwerpunkt war die Messtechnik gewesen, nicht wie bei mir, die Produktionstechnik.

Nicht nur meine Studienfreunde würden dies mit einem das musst du wollen kommentieren. Da war er ja mindestens ein halber Physiker, meint maximal ein halber Ingenieur.

Danach war er gleich als junger Hochschulabsolvent in die Unternehmensberatung gegangen, hatte später noch einen MBA nachgelegt und schwups hatte eine Firma den Fehler gemacht, ihn gleich auf Geschäftsführungsebene einzustellen. Jetzt hatten wir ihn, als Präsident. Schließlich kannte der australische Vorstandsboss ihn noch aus gemeinsamen Tagen der weltweit bekannten Unternehmensberatung. So geht das und so was verbindet doch ungemein.

Bei seinem Lebenslauf verwunderte es nicht, dass der Mann sehr zahlenorientiert war, ihn die firmeninternen Abläufe wenig, die Menschen des Unternehmens gar nicht interessierten.

Seine Intelligenz war unbestritten, das zweifelte niemand an, die ganzen Jahre nicht. Aber theoretisch schlau allein reicht eben nicht. Erst durch überlegtes Handeln hat man Geschäftserfolg. Und dieser geht immer nur mit anderen Menschen. Müssen sich die internen Mitarbeiter einiges vom großen Boss gefallen lassen, so ist das bei Kunden anders. Da hilft und zählt schlau gar nicht, Benehmen von oben herab erst recht nicht.

Seine ersten Besuche bei großen und wichtigen Kunden waren eine Katastrophe. Der Vize Präsident Verkauf, der ihn quasi dort vorstellte, war entsetzt. Schon vor Weihnachten wusste der Standort, den kannst du nicht zum Kunden lassen. Der macht alles kaputt.

Unser Präsident hatte die Angewohnheit, langatmige Volksreden zu halten, elendige Monologe vorzutragen, ohne Luft zu holen. Dabei kreiste er seine Zuhörer immer ein, lief um den Tisch und die Stühle in den Sitzungszimmern herum, ständig dozierend, in seiner oftmals sehr überheblichen Art.

Ich kannte einige unserer Kunden-Geschäftsführer von Besuchen und Rundgängen im Werk. Da waren auch echt anstrengende Alpha-Männchen mit dabei. Es war total klar, dass die nicht miteinander konnten.

Wenn auf der Beziehungsebene zwischen den Geschäftsführern etwas kaputt geht, helfen keiner Firma mehr gute Produktqualität, hohe Liefertreue und sinnvolle Preise. Der Kunde ist weg. So einen Vernichter1 lässt er sich nicht bieten. Da kauft er woanders.

Und es passierte. Ein großer Kunde verließ uns ultimativ.

Die private Beziehung unseres Präsidenten ging niemand was an. Ich traf ihn einmal an einem Samstagmittag in einem Einrichtungshaus. Die attraktive, blonde Frau an seiner Seite war vermutlich seine, mit ihren beiden Töchtern. Es gab nur ein kurzes Hallo, mehr nicht.

Der Mann war von morgens bis teilweise spät abends in der Firma. Auch die Vize Präsidenten wussten nicht, ob er noch mit den Australiern telefonieren wollte oder musste oder was er noch tat. Die Australier, das heißt der Vorstand, ließen dem europäischen Management lange Leine, solange die Zahlen passten.

Die tägliche eigene Late Night Show schien für ihn Usus zu sein. Der altgediente Vize Präsident Produktion berichtete mir einmal, dass er von Vernichter1 völlig ernsthaft gefragt worden war, ob er sich am Vortag einen halben Tag Urlaub genommen habe. Er war um 18.00 Uhr nach Hause gefahren.

Urlaub, wozu überhaupt 30 Tage Urlaub, vielleicht 15 oder 20. Nur weil der Urlaubsanspruch da war, musste man ihn ja nicht ausschöpfen. Es war Ehrensache, Urlaub wegfallen zu lassen. Als Manager engagierte man sich für die Firma. Da braucht man doch keinen Urlaub.

Er schien das amerikanische Modell zu leben, schon unter australischer Herrschaft. Radikalisiert hieß das die Ks für sie, die Fs für ihn. K wie Kinder, Köter und Kreditkarten und F wie Firma, Freiheit und Freiwildmitarbeiter.

Jahr 7

Anfang des Jahres hatte sich Vernichter1 wohl mit allem genug vertraut gemacht, um zu wissen, dass es so nicht weitergehen konnte. Im großen Stil, ein anderer kam für ihn nicht in Frage, holte er seine alten Kumpanen von der weltweit bekannten Beratungsgesellschaft ins Unternehmen, bei der er selbst in jungen Jahren nach Studienabschluss einmal gearbeitet hatte.

Es wurde ein internes Kernteam gebildet, das aus einem Verkaufsgebietsleiter, einem Logistiker und meinem Chef, Werkleiter KleinJo, bestand. Die 3 wurden komplett aus ihrer normalen Arbeit herausgezogen.

Schaut man hinter die Psychologie dieses Ansatzes, bot er für Vernichter1 mehrere große Vorteile. Er holte eine renommierte Beratung, schnell, nach kurzer Zeit, ohne zu zögern, bildete ein Team aus erfahrenen Führungskräften des Unternehmens, die die Firma gut kennen sollten, stellte diesen genug Zeit zur Verfügung, ließ sich regelmäßig berichten und war somit nicht direkt selbst in die Ideenfindung und die Arbeit involviert. Letzteres bedeutete, wenn nun doch etwas schief ging, waren die 3 Sündenböcke bereits festgelegt, allerbest.

Sicher hatte er seinem Vorgesetzten sechs- bis siebenstellige Beraterkosten zu erklären. Aber wenn man das Beste will, kostet das eben was. Das weiß ja jeder. Das Geld ist doch ganz untergeordnet für jemand, der eine Veränderung will. Wenn später ein Verantwortlicher geschlachtet werden soll, kann es ja nicht der mutige Veränderer sein, sondern nur das Gefolge.

Dieses Handeln ist Manager-Politik. Und außerdem, nicht vergessen, Vernichter1 ist doch erst 40. Der Mann will noch weiter. Seine Karriere ist noch nicht zu Ende. Nach dem 5-Jahresvertrag darf es keine Verlängerung auf gleichem Level geben, sondern etwas Höheres, wie auch immer sich dieses Höhere definiert. Up or Out lautet die Devise und diese Berateraktion mit seinen alten Weggefährten brachte ihm sicher einen starken Bullet Point in seinem CV ein, seinem Lebens- oder Karrierelauf. Der erste Bullet Point in seiner neuen Position.

Auch für mich bedeutete dies eine Veränderung, denn mir oblag es als zweitem Mann im Werk, dieses nun als Stellvertreter zu führen, zusätzlich zu meiner Werkstechnik. Fast jeden Morgen flitzte ich zu KleinJo in sein Projektbüro und berichtete ihm kurz über Aktualitäten. Niemand wusste, was kam, und natürlich wollte er über sein Werk informiert sein. Das war völlig klar und in Ordnung.

Ich war heilfroh, nur selten von den Beratern zu einem Interview bestellt zu werden. Das hätte ich zeitlich nicht mehr geschafft, denn jetzt hatte ich 2 Vollzeit Jobs.

Einen Nachmittag hatte ich einen Termin mit einem jungen Berater, einem Australier, was für ein Zufall. Ich fragte ihn nach seinem Background und ob er sich im produktiven Umfeld, idealerweise in einer Massenfertigung, etwas auskennen würde. Er hatte Jura studiert und wusste nichts.

Der Mann hatte einen vorgefassten Fragebogen, von dem er mir eine Frage nach der nächsten stellte. Er verstand weder die Fragen, noch meine Antworten. Was sollte dann bloß von ihm aus meinen Aussagen analysiert und ausgewertet werden? Es war absurd.

Ich versuchte, dem Mann den elementaren Unterschied zwischen einer Investition, in zum Beispiel eine Maschine, und Kosten oder Aufwand, für zum Beispiel eine Instandhaltung dieser Maschine, zu erklären. Eine Investition wird auf x Jahre, je nach Regularien, abgeschrieben. Die Abschreibungen sind in den Fixkosten enthalten und über die Laufzeit, die Abschreibungszeit, der Maschine monatlich gleich verteilt. Die Kosten für eine Wartung sind einmalig und gehen direkt nach Durchführung der Arbeiten in die monatliche Kostenbelastung.

Die Feinheiten, eine große Überholung der Maschine als wertsteigernde Investition und somit wieder aktivierungsfähig mit monatlichen Abschreibungen zu sehen oder für eine anstehende Wartung in einem finanziell guten Monat, eine Rückstellung zu bilden, die dann im Monat der Wartung wieder aufgelöst wird und somit keinen negativen Kosteneffekt bringt, ließ ich lieber gleich weg.

Wenn es keine Schnittmenge des Wissens gibt, findet kein Austausch, kein Dialog statt. Warum belästigte mich dieser Jungschnösel mit Fragen, die er nicht verstanden hatte. Der Jurist war wohl gerade frei gewesen und sollte auch mit beraten. Dennoch war es absolute Zeitverschwendung, die die Firma doppelt bezahlte. Einmal bezahlte sie meine Zeit und zum anderen die für den ungeeigneten Berater. Eine Verschwendung von Geld on top.

Passend zu der Gutsherrenart von Vernichter1 war der Samstag im Berater-Projekt als normaler Arbeitstag in den meisten Fällen mit hinzugekommen. Seine Vize Präsidenten kannten schon davor diese Spezialität von ihm. Ihm fehlte wohl privat die Alternative oder er wollte nicht jeden Samstag mit seiner Familie durch ein Einrichtungshaus gehen, wo er nur normaler Mensch und kein diktatorischer Präsident war.

Linkspolitiker und Medien schüren seit Jahren Neid in Deutschland. Manager sind per se böse und zu beneiden. Das ist die Botschaft und der Kontext sind die Jahresvergütungen der Vorstandschefs der deutschen Vorzeige-Großunternehmen. Was ein Manager ist, dass das Gehaltsspektrum von klar unter 100.000.- €/a bis zu den genannten wenigen Ausnahmepersönlichkeiten im zweistelligen Millionenbereich geht, das spielt keine Rolle. Immer drauf lautet die politimediale Devise.

Es sei hier allen gesagt, die nur auf den Gehaltszettel von außertariflich Angestellten schielen, ohne ihn letztendlich lesen zu können, dass sie mal einen Stundenlohn ausrechnen sollten. Kommen eben Abende oder Samstage zu den normalen 10- bis 12-Stundentagen mit hinzu, wird er deutlich kleiner. Es gibt keine Überstundenzuschläge, keine ausgezahlte Mehrarbeit oder ein Zeitkonto.

Den Stundenlohn eines langgedienten Tarif-Mitarbeiters von Volkswagen Nutzfahrzeuge mit seiner 28 Stundenwoche knacken die allermeisten AT Mitarbeiter und Normalo-Manager nicht. Das dürfte in Hannover der unangefochtene Benchmark sein.

Und, ein für alle Mal, der so oft gehörte Satz, dass für die Arbeiter Überstunden angeordnet wurden, ist falsch. Arbeitszeiten sind generell mitbestimmungspflichtig. Über Mehrarbeit wird zuerst mit dem Betriebsrat gesprochen. Ohne Zustimmung der Arbeitnehmerseite gibt es keine Überstunden, auch keine bezahlten, Punkt aus.

Trotz aller Projektpower zog es sich hin. Und es menschelte durchaus, auch mit der Unternehmensberatung im Haus. 2 der 3 Kernteam-Mitglieder hatten sich im Frühjahr neu erfunden und neu installiert. Ob dies mit oder ohne Beraterunterstützung gelungen war, spielte keine Rolle, es war letztendlich egal, da fragte später sowieso niemand mehr nach.

Für den einen wurde sein Verkaufsgebiet größer und die ihm unterstellten Mitarbeiter mehr. Der andere wurde oberster Logistiker und Produktionsplaner auf europäischer Ebene mit einem neu kreierten Stab. Via Matrixorganisation konnte er außerdem auf die lokalen Fachverantwortlichen zugreifen.

Diese Synergien wollte man natürlich schnell heben. Und zu der sofortigen Umsetzung gehört schließlich auch der Umzug in ein größeres Büro mit dazu.

Hat jemand etwas anderes erwartet?

Nur das weitere Schicksal von KleinJo war noch nicht geklärt und meines damit auch noch nicht. Schließlich konnte die Werksstruktur doch nicht so bleiben, wie sie war, nicht wenn diese namhafte Unternehmensberatung im Haus war. Im Juni flog ich mit extremer Ungewissheit in Urlaub. Als ich nach 2 Wochen wieder in die Firma kam, war die neue Struktur klar.

Der altgediente Vize Präsident Produktion hatte die Nase vom neuen Präsidenten gestrichen voll. Dafür hatte es keinen Berater gebraucht. Das hatte Vernichter1 mit seiner einfühlsamen, sympathischen Art ganz allein gekonnt. Der Mann wollte sich nicht länger rumschubsen lassen wie ein dummer Junge und hatte für sich entschieden, sich zum Jahresende kündigen zu lassen. Abfindung, Arbeitslosengeld, Ende in der Wirtschaft, mit Ende 50, eigentlich noch viel zu früh und ganz viele Jahre Erfahrung waren verloren.

Bereits zum 1. Juli würde er offiziell sein Amt abgeben. KleinJo würde sein Nachfolger werden als Vize Präsident Produktion. So war es seit Urzeiten in dieser Firma gewesen und gut. Der Werkleiter des Stammwerkes, das gleichzeitig das weltweit größte und mit den modernsten Anlagen ausgestattet war, rückte nach und übernahm die Verantwortung für alle europäischen Werke.

Die europäischen Werke waren, ganz nebenbei, gerade weniger geworden. Das kleine Werk in Ungarn wurde abgestellt und aufgelöst. Dafür musste man da gar nicht hinfliegen, man hatte ja Zahlen gesehen. Die Produktion wurde nach nebenan, nach Polen und Italien hin verteilt, vom neuen Logistikcenter, ohne sich vorher Gedanken darüber zu machen, ob denn dort das spezifische technische Equipment vorhanden war oder nicht.

Wir wollen Savings, Einsparungen. Wer kennt diesen Satz nicht?

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass dieses Wort in den folgenden Jahren eine zentrale Bedeutung bekommen würde. Die Erklärung kommt im Laufe der Geschichte.

Wir haben bis jetzt also nur ein bisschen die Organisation umgestrickt. Ein Werk abzuschalten, nicht weiter wild, und eine Altersnachfolge, wie die von KleinJo, zählt dabei sowieso nicht. Was sollen die vielen lokalen Stützpunkte für den Kundendienst? Weniger Leute und den Rest zentralisiert, genauso wie die verteilten Verkaufsbüros, weg, ein zentrales BackOffice. Die Verkäufer ins Home Office, aus die Maus.

Wieder zurück ins Werk. Der deutsche Standort war eben Werk, europäisches Management und Zentralabteilungen. Wie wird die größtmögliche Veränderung sichtbar?

Genau, durchmischen. Außerdem wurde die Altersnachfolge von KleinJo aufgewertet, denn er blieb Werkleiter, war jetzt beides in Personalunion, Chef eines Werkes und Chef aller Werke. Der Interessenkonflikt war damit vorprogrammiert, denn jedes Werk kämpfte für seinen Standort, um Investitionen, um Produktionsvolumina. Was für ein organisatorischer Unfug.

Im Nachhinein denke ich, dass dieses Konstrukt nicht der Unternehmensberatung zuzuschreiben war. Es war sicher die undurchdachte Idee von KleinJo, sein selbstkonstruiertes Sicherheits-Fall Back, wenn er es als Vize Präsident nicht schaffen sollte. Aber sowas gibt es nicht auf diesem Level. Du bist es und du machst es sehr gut. Machst du es nicht, bist du es auch nicht mehr und gehst raus, nicht wieder runter, im Normalfall, eine Stelle zum Merken.

Die Werksbereiche Personal, Einkauf und Rechnungswesen wurden gemischt, meine Werkstechnik nicht, die wurde aufgelöst und integriert, in die beiden Produktionsbereiche, die Mitarbeiter den beiden Produktionsleitern unterstellt. Diese Idee stammte sogar ein Stück weit von mir und wurde eine Notwendigkeit. Ich sah es als nächsten logischen Schritt an, die Mitarbeiter aus Produktion und Technik noch näher zusammenzubringen und schon durch die Struktur ihre Kooperation weiter zu verbessern.

Die Notwendigkeit bestand darin, dass ich die Leitung des gesamten operativen Bereiches übernahm und nicht mehr als technischer Leiter zur Verfügung stand. Und, wir denken an die Savings, so war eine Führungsposition eingespart, denn aus 3 macht 2. Der scheidende Vize Präsident Produktion war weg, keiner kam nach.

Jetzt hieß ich Betriebsleiter, nach fast einem halben Jahr als agierender stellvertretender Werkleiter. Mit den aus dem Werk genommenen Bereichen Personal, Einkauf und Rechnungswesen wurde es schwieriger. Sie sollten für das europäische Management und das Werk arbeiten, hatten also jetzt 2 Chefs. Und die Prioritäten waren klar. Erst die Aufträge des europäischen Managements, dann die des Werkes. War europäisch Ruhe, brauchte man sich für das Werk trotzdem nicht beeilen, denn ich wusste es ja nicht.