Die Herausforderung unserer Zeit besteht darin, sich in einer Vielfalt von Möglichkeiten zurechtzufinden. Dies betrifft den Lebensstil und die Lebensführung, inklusive die Bereiche der Berufswahl, der Partnerschaft sowie der Familien- und Wohnform. Vieles befindet sich in ständigem Wandel und Entwicklung. Eine Herausforderung stellt auch der Umgang mit Nahrung dar. Während früher der »Mangel« an Nahrung im Vordergrund stand, stellt heute die ständige Verfügbarkeit teilweise hochkalorischer Nahrungsmittel und die reduzierte körperliche Aktivität im Alltag bei gleichzeitigem Streben nach einem extremen Schlankheits- und/oder Muskelideal für viele Menschen eine ständige Belastung dar. Dabei wird häufig suggeriert, dass der bewusste Umgang mit Nahrung einfach zu erreichen ist, dass es sich um eine Frage des »Willens« handelt und dass das Erleben von Unkontrollierbarkeit mit »Schwäche« assoziiert ist.
Während früher vor allem die Essstörungen Anorexia nervosa (Magersucht) und Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) bekannt waren, die häufiger bei jungen Frauen vorkommen, sind heute Frauen und Männer auch von der Essanfallsstörung bzw. der Binge-Eating-Störung (BES) betroffen. Die Essanfallsstörung gehört zu den häufigsten Essstörungen und kommt insbesondere bei übergewichtigen bzw. adipösen Menschen oft vor.
Im Vordergrund der Essanfallsstörung stehen als unkontrollierbar erlebte Essanfälle, bei denen mehr gegessen wird, als dies andere Menschen in ähnlichen Situationen tun würden. Betroffene berichten, nicht kontrollieren zu können, was oder wie viel sie essen. Treten diese Essanfälle wiederholt auf, so kommen Gefühle der Scham, Schuld und Hoffnungslosigkeit auf. So befürchten Betroffene häufig, sich aus dem Teufelskreis von Essanfällen und anschließender Verzweiflung nicht mehr lösen zu können.
Trotz der Belastung, die mit dem Erleben regelmäßiger Essanfälle verbunden ist, gibt es Grund zur Zuversicht: Die Behandlungsforschung im Bereich der Binge-Eating-Störung hat gezeigt, dass eine gut geplante und auf der Grundlage überprüfter therapeutischer Vorgehensweise aufgebaute »Hilfe zur Selbsthilfe« äußerst wirksam sein kann. Es gibt allerdings Situationen – etwa wenn die Essanfälle sehr häufig vorkommen und sehr schwer ausfallen, oder wenn weitere psychische Probleme oder schwierige Lebensumstände dazu kommen – in denen Betroffene einen Psychotherapeuten aufsuchen sollten.
Wenn Sie unter Essanfällen leiden, gilt: Ihnen kann geholfen werden und Sie können sich selbst helfen. Also nicht verzweifeln: sich mit dem eigenen Problem auseinanderzusetzen ist der erste und einer der wichtigsten Schritte!
Auch wenn Sie als Angehöriger Rat suchen, ist es hilfreich, über das Störungsbild und über die Möglichkeiten, es zu behandeln, Bescheid zu wissen. Essanfälle sind kein Schicksal, dem man nicht entrinnen kann. Mit Ihrer andauernden Unterstützung geht es leichter!
Haben Sie den Mut und gehen Sie den nächsten Schritt auf dem Weg, den Sie gewählt haben. Wir wünschen Ihnen viel Glück dabei!
Fribourg und Basel, im Herbst 2017
Simone Munsch, Andrea Wyssen und Esther Biedert