Selbst die Ruinen der Griechenwelt
lehren uns, wie in unserer modernen
Welt das Leben uns erträglich gemacht
werden könnte.


Richard Wagner.

Der gelehrte Prodicos von Kéos, welcher um das Ende des V. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung blühte, ist der Autor der berühmten Lehrfabel »Herkules auf dem Scheidewege zwischen der Tugend und der Wollust«, welche der heilige Basilius den christlichen Betrachtungen empfahl. Wir wissen, daß Herkules die Tugend wählte, was ihm gestattete, eine gewisse Anzahl großer Verbrechen gegen die Hirschkühe, die Amazonen, die goldenen Äpfel und die Riesen zu begehen.

Hätte Prodicos sich damit begnügt, dann hätte er wohl nur eine Fabel von einem ziemlich leichten Symbolismus geschrieben; allein er war ein gutmüthiger Philosoph und seine Sammlung von Erzählungen »Die Horen«, in drei Abschnitte eingetheilt, stellte die moralischen Wahrheiten unter den verschiedenen Formen dar, welche sie je nach den drei Lebensaltern annehmen. Den kleinen Kindern stellte er die sittenstrenge Wahl des Herkules als Beispiel hin; den jungen Leuten erzählte er die wollüstige Wahl des Paris; den reifen Männern sagte er – wie ich mir vorstellen kann – ungefähr Folgendes:

– Als Ulysses eines Tages am Fuße des delphischen Gebirges jagte, traf er auf seinem Wege zwei Jungfrauen, die sich an der Hand hielten. Die Eine hatte Veilchenhaare, durchsichtige Augen und Lippen von einem ernsten Ausdruck; sie sagte ihm: »Ich bin Arètê«. Die Andere hatte schwache Augenlider, schmale Hände und zarte Brüstchen. Sie sagte: »Ich bin Triphê«. Und Beide fügten hinzu: »Wähle zwischen uns«. Doch der schlaue Ulysses antwortete klug und weise: »Wie könnte ich wählen? Ihr seid unzertrennlich. Die Augen, welche die Eine ohne die Andere von Euch gesehen, haben nur einen hohlen Schatten gesehen. Gleichwie die wahre Tugend sich der ewigen Freuden nicht beraubt, welche die Wollust ihr bietet, würde auch die Weichlichkeit ohne eine gewisse Seelengröße wenig taugen. Ich werde Euch beiden folgen. Zeiget mir den Weg«. Kaum hatte er geendet, als die beiden Erscheinungen ineinanderflossen. Ulysses erkannte, daß er mit der großen Göttin Aphrodite gesprochen. Die Frau, welche den ersten Platz in dem vorliegenden Roman einnimmt, ist eine Courtisane des Alterthums. Zur Beruhigung des Lesers will ich sogleich hinzufügen: sie wird sich nicht bekehren.

Sie wird weder von einem Mönch, nach von einem Propheten, noch von einem Gott geliebt werden. In der Litteratur unserer Tage ist sie eine Originalität.

Sie wird sich als Buhlerin zeigen mit dem Freimuth, dem Eifer und auch mit dem Stolze jedes menschlichen Wesens, welches einen Beruf hat und in der Gesellschaft einen frei gewählten Platz einnimmt. Sie wird den Ehrgeiz haben, sich bis zum höchsten Punkte erheben zu wollen. Sie wird gar nicht auf den Gedanken kommen, daß ihr Leben einer Entschuldigung oder einer Verheimlichung bedürfe. Dies soll erklärt werden.

Die modernen Schriftsteller, die sich an ein Publikum gewendet haben, welches weniger voreingenommen ist als die jungen Mädchen und die jungen Normalschüler, haben sich bis zum heutigen Tage einer mühseligen List bedient, deren Heuchelei mir mißfällt. Sie sagen: »Ich habe die Wollust so geschildert wie sie ist, um die Tugend umso höher zu stellen.« Ich verschmähe es rundweg, an der Spitze eines Romans, dessen Handlung sich in Alexandrien abspielt, mich eines solchen Anachronismus zu bedienen.

Die Liebe mit allen ihren Folgen war für die Griechen das tugendhafteste Gefühl, am fruchtbarsten an großen Thaten. Sie verbanden mit ihr niemals jene Ideen von Unzüchtigkeit und Unbescheidenheit, welche die jüdische Überlieferung mit der christlichen Lehre unter uns gebracht hat. Herodot (I, 10) sagt uns ganz einfach: »Bei einigen barbarischen Völkern ist es eine Schande nackt zu erscheinen.« Wenn die Griechen oder die Lateiner einen Mann beschimpfen wollten, welcher mit Freudendirnen Umgang hatte, nannten sie ihn »Maechus«, was Ehebrecher heißt. Wenn ein Mann und eine Frau, die durch kein anderes Band mit einander verknüpft waren, sich vereinigten, – und selbst wenn es öffentlich geschah und ohne Rücksicht auf ihre Jugend – so ließ man sie ungestört, als Leute, die ja Niemandem schadeten.

Wie man sieht, darf das Leben der Alten nicht nach jenen moralischen Ideen beurtheilt werden, die uns heutzutage aus Genf übermittelt werden.

Ich habe dieses Buch mit jener Einfachheit geschrieben, mit welcher ein Athener ähnliche Begebenheiten erzählt haben würde. Ich wünsche, daß man es in dem nämlichen Geiste lese.

Wollte man die alten Griechen nach den heute angenommenen Ideen beurtheilen, dann dürfte man keine einzige genaue Übersetzung ihrer größten Schriftsteller einem Schüler in die Hände geben. Wenn Herr Mounet-Sully seine Oedipus-Rolle ohne Streichungen spielen sollte, würde die Polizei die Aufführung untersagen. Hätte Herr Leconte de Lisle seine Theokrit-Übersetzung nicht vorsichtigerweise gesäubert, sie wäre am Tage des Erscheinens mit Beschlag belegt worden. Man hält Aristophanes für eine Ausnahme, allein wir besitzen bedeutende Bruchstücke von 1440 Komödien, geschrieben von 132 anderen griechischen Dichtern, deren einige, wie z. B. Alexis, Philetairos, Strattis, Euboulos, Cratinos uns wunderbare Verse hinterlassen haben, und noch hat Niemand es gewagt, diese ebenso herrliche wie unzüchtige Sammlung zu übersetzen.

Um die griechischen Sitten zu vertheidigen, zitirt man immer einige Philosophen, welche die geschlechtlichen Freuden tadelten. Allein, das heißt die Dinge verwirren. Diese wenigen Philosophen verpönten alle sinnlichen Ausschreitungen im Allgemeinen und machten keinen Unterschied zwischen den Ausschweifungen des Bettes und jenen der Tafel. Einer, der heute in einem Pariser Restaurant straflos ein Diner zu sechs Louis für sich allein bestellt, würde von ihnen ebenso strafbar befunden worden sein, wie ein Anderer, der auf offener Straße ein allzu intimes Rendezvous geben und für diese Handlung durch die in Geltung stehenden Gesetze zu einem Jahr Gefängniß verurtheilt werden würde. Übrigens wurden diese sittenstrengen Philosophen in der alten Welt als kranke und gefährliche Narren betrachtet, auf allen Schaubühnen verhöhnt, in den Straßen geprügelt; die Tyrannen zogen sie als Spaßmacher an ihren Hof, die Bürger verbannten sie, wenn sie sie nicht der Todesstrafe werth erachteten.

Es ist demnach eine bewußte und willkürliche Täuschung, wenn die modernen Erzieher, von der Renaissance angefangen bis auf den heutigen Tag, vorgeben, aus der antiken Moral die Eingebungen für ihre engbrüstigen Tugenden zu schöpfen. Wenn diese Moral groß war und in der That verdient, als Vorbild genommen und befolgt zu werden, so ist es deshalb, weil keine andere es besser verstanden hat, Recht und Unrecht nach dem Kriterium der Schönheit zu unterscheiden und das Recht zu verkünden, welches der Mensch besitzt, sein Glück innerhalb jener Schranken zu suchen, welche das gleiche Recht seiner Nebenmenschen ihm setzt und zu erklären, daß es unter dem Himmel nichts Heiligeres gibt als die physische Liebe und nichts Schöneres, als der menschliche Körper.

Das war die Moral jenes Volkes, welches die Akropolis erbaut hat; und wenn ich hinzufüge, daß diese Moral diejenige aller großen Geister geblieben, so wird dies nur ein Gemeinplatz sein, so sehr ist es erwiesen, daß die überlegenen Geister von Künstlern, Schriftstellern, Heerführern und Staatsmännern die erhabene Duldsamkeit dieser Moral niemals unerlaubt gefunden haben. Aristoteles beginnt sein Leben damit, daß er sein väterliches Erbtheil mit Buhlerinen vergeudet; Sapho gibt einem eigenen Laster den Namen; Caesar ist der »kahle Ehebrecher«; – Racine ist den Theaterdamen nicht abhold und Napoleon übt nichts weniger als die Enthaltsamkeit. Die Romane Mirabeau's, die griechischen Verse Chénier's, die Korrespondenz Diderot's und die Schriften Montesquieu's kommen an Kühnheit dem Werke eines Catullus gleich. Und Buffon, dieser sittenstrengste und frömmste aller französischen Autoren – durch welche Maxime hat er die Liebes-Intriguen angerathen? »Liebe! Warum bist du das Glück aller Wesen und das Unglück des Menschen? – Weil von dieser Leidenschaft die physische Seite allein gut ist, die moralische aber nichts taugt.«

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Woher kommt das? und wie ist es zu erklären, daß trotz dem Umsturz der Ideen des Alterthums die große Sinnlichkeit der Griechen gleichsam ein Strahl auf den erleuchtetesten Stirnen geblieben ist?

Weil die Sinnlichkeit die mysteriöse aber nothwendige und schöpferische Bedingung der geistigen Entwicklung ist. Jene, welche die Forderungen des Fleisches nicht bis an ihre Grenze empfunden haben, sei es um sie zu lieben, sei es um ihnen zu fluchen, sind schon dadurch unfähig, die Forderungen des Geistes in ihrer vollen Ausdehnung zu begreifen. Gleichwie die Schönheit der Seele das ganze Antlitz erhellt, so vermag die Männlichkeit des Körpers allein das Gehirn zu befruchten; der schmählichste Schimpf, welchen Delacroix Männern zufügen konnte und welchen er thatsächlich den Verhöhnern eines Rubens und den Verleumdern eines Ingres zurief, war das furchtbare Wort: »Eunuchen!«

Ja noch mehr: es scheint, daß das Genie der Völker, wie dasjenige der Individuen, vor Allem sinnlich ist. Alle Städte, welche die Welt beherrscht haben, Babylon, Alexandrien, Athen, Rom, Venedig, Paris waren vermöge eines allgemeinen Gesetzes je ausschweifender desto mächtiger, gleichsam als wäre ihre Zügellosigkeit zu ihrem Glanze nothwendig gewesen. Jene Städte, wo der Gesetzgeber eine künstliche, engbrüstige und unfruchtbare Tugend einzuführen sich bemühte, sahen sich vom ersten Tage angefangen zu vollständigem Tode verurteilt. So war es mit Sparta, welches inmitten des wunderbarsten Aufschwunges des menschlichen Geistes, zwischen Corinth und Alexandrien, zwischen Syrakus und Milet uns keinen Dichter, keinen Maler, keinen Philosophen, keinen Geschichtsschreiber, keinen Gelehrten zurückgelassen, kaum den volksthümlichen Ruhm eines sonderbaren Helden, der sich mit dreihundert Männern in einem Gebirgspaß tödten ließ, ohne auch nur den Erfolg des Sieges für sich zu haben. Und darum können wir noch nach zweitausend Jahren die Nichtigkeit der spartanischen Tugend ermessend, nach der Ermahnung Renan's »den Boden verfluchen, wo diese Beherrscherin düsterer Irrthümer gestanden, und sie beschimpfen, weil sie nicht mehr ist.«

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Werden wir jemals die Tage von Ephesus und Kyrene wiederkehren sehen? Ach, die moderne Welt geht in einer Überschwemmung des Häßlichen unter. Die Zivilisationen ziehen sich nach dem Norden zurück, in Nebel, Frost und Koth. Welche Nacht! Ein schwarz gekleidetes Volk treibt sich in den schmutzigen Straßen herum. Woran denkt es? Man weiß es nicht mehr. Aber unsere fünfundzwanzig Jahre frösteln in der Verbannung unter Greisen.

So möge denn wenigstens Jenen, die stets bedauern werden jene entzückte Jugend der Erde, die wir das antike Leben nennen, nicht gekannt zu haben, so möge ihnen wenigstens gestattet werden, kraft einer fruchtbaren Illusion jene Zeit von Neuem zu durchleben, wo die menschliche Nacktheit – die vollkommenste Form, die uns zu kennen und zu fassen gegönnt ist, da wir sie nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen glauben – sich unter den Zügen einer geheiligten Buhlerin enthüllen durfte, in Gegenwart von zwanzigtausend Pilgern, welche die Gestade von Eleusis bedeckten; jene Zeit, wo die sinnlichste Liebe, die göttliche Liebe, aus der wir geboren werden, ohne Schmutz, ohne Schande, ohne Sünde war; es möge ihnen gestattet sein, achtzehn barbarische, heuchlerische und häßliche Jahrhunderte zu vergessen, vom Sumpfe zur Quelle, zur ursprünglichen Schönheit zurückzukehren, den großen Tempel beim Klange der bezauberten Flöten wieder zu erbauen und den Heiligthümern des wahren Glaubens mit Begeisterung ihre Herzen zu weihen, die für immer der unsterblichen Aphrodite gehören.

Pierre Louÿs.

VII.
Chrysis' Haare

Inhaltsverzeichnis

»Schau, schau! sagte Rhodis. Da kommt Jemand.«

Die Sängerin schaute: fern von ihnen ging ein Weib mit schnellen Schritten das Ufer entlang.

»Ich erkenne sie, sagte das Kind von Neuem. Es ist Chrysis. Sie trägt ein gelbes Kleid.«

– Wie? wäre sie schon angekleidet?

– Ich verstehe nichts daran. Gewöhnlich geht sie nie vor Mittag aus; jetzt aber ist kaum die Sonne aufgegangen. Es ist ihr Etwas zutheil geworden, wahrscheinlich eine große Freude; sie hat so viel Glück!

Sie gingen ihr entgegen und sagten ihr:

»Sei gegrüßt, Chrysis!«

– Seiet gegrüßt. Wie lange seid Ihr schon hier?

– Ich weiß nicht, es war schon Tag, als wir ankamen.

– War Niemand auf dem Strande?

– Niemand.

– Nicht ein Mann? seid Ihr dessen sicher?

– Oh! ganz sicher. Warum fragst Du Das?

Chrysis antwortete nicht. Rhodis sagte wieder:

– Wolltest Du Jemanden sehen?

– Ja ... Vielleicht ... ich glaube, es ist besser, daß ich ihn nicht gesehen habe. Alles ist gut. Ich hatte Unrecht wieder zu kommen; ich konnte mich nicht davon abhalten.

– Aber was geht denn vor, Chrysis, wirst Du es uns sagen?

– Oh! nein.

– Selbst uns nicht? selbst uns nicht, Deinen Freundinen?

– Ihr werdet es später erfahren, mit der ganzen Stadt.

– Das ist freundlich.

– Ein wenig früher, wenn Ihr wollt, aber diesen Morgen ist es unmöglich. Es gehen außerordentliche Dinge zu, meine Kinder. Ich sterbe vor Verlangen sie Euch zu sagen; aber ich muß schweigen. Ihr wolltet schon nach Hause gehen. Kommt zu mir schlafen. Ich bin ganz allein.

– Oh! Chryse, Chrysidion, wir sind so müde! In der That, wir wollten eben nach Hause gehen, aber es war um zu schlafen.

– Nun, Ihr werdet nachher schlafen. Heute ist der Tag vor den aphrodisischen Festen. Ist das ein Tag, wo man ausruht? Wenn die Göttin Euch beschützen und im nächsten Jahre glücklich machen soll, müßt Ihr in den Tempel kommen mit Augenlidern, so dunkel wie Veilchen, und Wangen so weiß wie Lilien. Wir werden das Nöthige thun; kommt mit mir.

Sie nahm Beide um den Leib, höher als der Gürtel, schloß ihre liebkosenden Hände auf den fast nackten Brüstchen, und zog sie schnellen Schrittes mit sich.

Rhodis aber war noch immer nachdenklich.

– Und wenn wir in Deinem Bette sein werden, begann sie von Neuem, wirst Du uns dann noch nicht sagen, was Dir geschieht, was Du erwartest?

– Ich werde Euch vielerlei sagen und Alles was Euch gefällt; aber Das werde ich verschweigen.

– Selbst dann, wenn wir in Deinen Armen sein werden, nackt, ohne Licht?

– Laß ab, Rhode. Du wirst es erst morgen erfahren. Warte bis morgen.

– Wirst Du sehr glücklich sein, oder sehr mächtig?

– Sehr mächtig.

Rhodis machte große Augen und rief aus:

– Du schläfst mit der Königin?

– Nein, sagte Chrysis lachend, aber ich werde so mächtig sein wie sie. Bedarfst Du meiner? Wünschest Du etwas?

– Oh! ja!

Und das Kind ward wieder nachdenklich.

– Nun, und was ist es? fragte Chrysis.

– Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Warum sollte ich es verlangen?

Myrtocleia redete für sie:

– Wenn in Ephesus, in unserem Vaterlande, zwei Mädchen, die mannbar und noch jungfräulich sind, wie Rhodis und ich, einander lieben, so erlaubt das Gesetz, daß sie einander heirathen. Sie gehen zum Tempel der Athene, um ihren doppelten Gürtel zu weihen; dann zum Heiligthum der Iphinoë, um eine vermengte Locke ihrer Haare darzubieten und endlich unter den Säulengang des Dionysos, wo man der männlicheren von beiden ein dünnes Goldmesserchen und ein weißes Tuch, um das Blut abzuwischen, übergiebt. Am Abend wird diejenige, welche die »Braut« ist, auf einem Blumenwagen zwischen ihrem Manne und der Paranymphe, von Fackeln und Flötenspielerinen umgeben, nach ihrer neuen Wohnung gebracht. Und von nun an haben sie alle Rechte der Eheleute; sie können kleine Mädchen an Kindesstatt annehmen und sie ihrem intimen Leben zugesellen. Sie stehen in Ehren. Sie haben eine Familie. Das ist Rhodis Traum. Aber hier ist es nicht Sitte ...

– Man wird das Gesetz abändern, sagte Chrysis; Ihr werdet einander heirathen, ich nehme mich der Sache an.

– Oh! ist es wahr? rief die Kleine roth vor Freude aus.

– Ja; und ich frage nicht, welche von Euch beiden der Mann sein wird. Ich weiß, daß Myrto All das hat, was nöthig ist, um diese Täuschung hervorzubringen. Du bist glücklich, Rhodis, solch eine Freundin zu besitzen. Was man auch sagen mag, sie sind selten.

Sie waren bis zur Thür gekommen, wo Djala, auf der Schwelle sitzend, ein leinenes Tuch wirkte. Die Sklavin stand auf und ließ sie vorüber gehen; dann folgte sie ihnen auf dem Fuße.

In einem Augenblicke waren die Flötenspielerinen ihrer einfachen Kleider entledigt. Sie leisteten einander, in einem grünen Marmor-Gefäße, das sich in das Badebecken entleerte, peinlich genaue Waschungen. Dann wälzten sie sich auf das Bett.

Ohne sie zu sehen schaute ihnen Chrysis zu. Bis in's Unendliche wiederholten sich in ihrer Erinnerung selbst die geringfügigsten Worte des Demetrios. Sie fühlte nicht, wie Djala stillschweigend ihren langen gelben Schleier löste und entfaltete, wie sie ihr den Gürtel abnahm, die Halsbänder öffnete, die Ringe, die Siegel, die Spangen, die Silberschlangen und die goldenen Nadeln abnahm; aber das Kitzeln des herunterfallenden Haares weckte sie aus dem Traume.

Sie verlangte nach ihrem Spiegel.

War sie von Angst gequält, nicht schön genug zu sein, um ihren neuen Geliebten zurückzuhalten – denn sie mußte ihn festhalten – nach den tollen Unternehmungen, die sie von ihm verlangt hatte? Oder wollte sie durch die Prüfung jeder ihrer Schönheiten irgend eine Besorgniß zerstreuen und ihr Zutrauen begründen?

Sie näherte den Spiegel allen ihren Körpertheilen, den einen nach dem anderen berührend. Sie beurtheilte ihre weiße Hautfarbe, schätzte durch lange Liebkosungen ihre Weichheit, ihre Wärme durch Berührungen. Sie prüfte die Fülle ihrer Brüste, die Festigkeit ihres Bauches, die Enge ihres Leibes. Sie maß ihr Haar und beurtheilte seinen Glanz. Sie versuchte die Stärke ihres Blickes, den Ausdruck ihres Mundes, das Feuer ihres Athems und von dem Rande der Achselhöhle bis zur Falte des Ellenbogens zog sie langsam einen Kuß, längs des nackten Armes.

Eine außerordentliche Erregung, zusammengesetzt aus Überraschung und Stolz, aus Sicherheit und Ungeduld, bemächtigte sich ihrer bei der Berührung ihrer eigenen Lippen. Sie drehte sich um sich selbst, als ob sie Etwas suchte, doch als sie auf dem Bette die beiden Ephesierinen erblickte, deren sie vergessen hatte, sprang sie mitten zwischen dieselben, trennte und umarmte sie mit einer Art verliebter Wuth, und ihr langes, goldenes Haar umwallte die drei jungen Köpfe.

VII.
Das Märchen von der verzauberten Leier

Inhaltsverzeichnis

Er ging sehr schnell, in der Hoffnung, Chrysis noch auf dem Wege zur Stadt einzuholen, denn er fürchtete, wenn er länger wartete, wieder in Entmuthigung und Willenlosigkeit zu verfallen.

Der Weg war von der Hitze so blendend weiß, daß Demetrios, wie bei der Mittagssonne, die Augen schloß. So ging er ohne vor sich hinzuschauen, weiter und er war im Begriff vier schwarze Sklavinen anzurennen, welche an der Spitze eines neuen Zuges daherschritten, als eine leise, singende Stimme sich vernehmen ließ:

»Vielgeliebter! wie bin ich froh!«

Er hob den Kopf: es war die Königin Berenike, die auf ihre Ellenbogen gestützt in ihrer Sanfte lag.

Sie befahl:

»Haltet an, Träger!« und streckte dem Geliebten die Arme entgegen.

Demetrios war sehr verdrossen, aber er konnte nicht nein sagen und so stieg er mürrisch in die Sänfte.

Da schleppte sich die Königin Berenike, toll vor Freude, auf den Händen bis in den Hintergrund und wälzte sich mitten in den Kissen herum, wie eine Katze, die spielen will.

Denn diese Sänfte war ein Gemach und vierundzwanzig Sklaven trugen dieselbe. Zwölf Weiber hätten sich auf dem dicken, blauen Teppich, der mit Kissen und Stoffen bedeckt war, darin bergen können; und die Sänfte war so hoch, daß man die Decke selbst mit einem Fächer nicht hätte erreichen können. Sie war länger als breit, nach vorn und auf drei Seiten von drei gelben, sehr leichten Vorhängen, welche in hellem Lichte strahlten, geschlossen. Der Hintergrund war aus Zedernholz, mit einem langen Schleier aus orangegelber Seide überzogen. Ganz oben, auf dieser glänzenden Wand, dehnte der goldene Sperber Aegyptens seine steifen Flügel aus; weiter unten, aus Elfenbein und Silber geschnitzt, öffnete sich das antike Symbol der Astarte über einer brennenden Lampe, die in unfaßbaren Lichtreflexen mit dem Tageslichte kämpfte. Unterhalb der Lampe lag die Königin Berenike zwischen zwei persischen Sklavinen, welche mit zwei weißen Büscheln von Pfauenfedern ihr Kühle zufächelten.

Sie zog mit den Augen den jungen Bildhauer an ihre Seite und wiederholte:

»Vielgeliebter, ich bin froh.«

Sie legte ihm die Hand an die Wange:

»Ich suchte Dich, Vielgeliebter. Wo warst Du? Seit vorgestern habe ich Dich nicht gesehen. Wenn ich Dich nicht getroffen hätte, wäre ich jetzt vor Kummer gestorben. Allein in dieser großen Sänfte langweilte ich mich so sehr. Als ich über die Hermesbrücke kam, warf ich all meinen Schmuck in's Wasser, um Wellenkreise zu sehen. Du siehst, ich habe nichts mehr, weder Ringe noch Halsbänder. Ich sehe aus wie ein kleines armes Mädchen, das Dir zu Füßen liegt.«

Sie wandte sich ihm zu und küßte ihn auf den Mund. Die beiden Fächerträgerinen kauerten etwas weiterhin nieder und als die Königin Berenike anfing leise zu sprechen, drückten sie die Finger an die Ohren, um so zu thun, als ob sie nichts hörten.

Aber Demetnos antwortete nicht, hörte kaum zu und blieb in seine Gedanken versunken. Er sah von der jungen Königin nur das rothe Lächeln des Mundes und das schwarze Kissen ihrer Haare, die sie immer sehr lose kämmte, um ihren müden Kopf darauf zu betten.

Sie sagte:

»Vielgeliebter, ich habe in der Nacht geweint. Mein Bett war kalt. Wenn ich erwachte, streckte ich meine nackten Arme nach den beiden Seiten meines Körpers aus und nirgends fühlte ich Dich, und meine Hand konnte Deine Hand, die ich heute küsse, nicht finden. Ich wartete des Morgens auf Dich und seit dem Vollmonde bist Du nicht gekommen. Ich habe Sklaven in alle Viertel der Stadt geschickt und habe sie eigenhändig getödtet, als sie ohne Dich zurückkamen. Wo warst Du? Warst Du im Tempel? Du warst nicht im Garten mit diesen fremden Frauen? Nein, ich sehe es an Deinen Augen, daß Du nicht geliebt hast. Und was thatest Du dann, immer ferne von mir? Warst Du vor der Statue? Ja, ich bin dessen sicher. Du warst dort. Du liebst sie jetzt mehr, denn mich. Sie sieht mir ganz ähnlich, sie hat meine Augen, meinen Mund, meinen Busen; Sie ist es, die Du aufsuchst. Ich bin eine arme Verlassene. Du langweilst Dich mit mir, ich merke es wohl. Du denkst an Deine Werke von Marmor und an Deine häßlichen Statuen, als ob ich nicht schöner wäre als sie alle, und wenigstens lebendig, verliebt und gut, bereit zu Allem, was Du annehmen willst, auf Alles verzichtend, was Du verweigerst. Aber Du willst nichts. Du wolltest nicht König, Du wolltest nicht Gott sein, in Deinem eigenen Tempel angebetet. Du willst mich fast nicht mehr lieben.«

Sie zog die Füße unter ihren Körper ein und stützte sich auf die Hand.

»Ich würde Alles thun, um Dich im Palaste zu sehen, Vielgeliebter! Wenn Du mich dort nicht mehr suchst, sage mir, wer Dich anzieht: sie wird meine Freundin sein. Die ... die Frauen meines Hofes ... sind schön. Ich habe deren zwölf, die seit ihrer Geburt in den Frauengemächern behütet werden, und die noch nicht wissen, daß es Männer giebt ... Sie alle sollen Deine Geliebten sein, wenn Du mich, nach ihnen, besuchen willst ... Ich habe andere bei mir, die mehr Liebhaber gehabt haben, als die geweihten Hetären, und welche in der Liebe vielerfahren sind. Sage nur ein Wort, ich habe auch tausend fremde Sklavinen: Diejenigen, welche Du haben willst, sollen befreit werden. Ich werde sie in gelbe Seide, in Gold und Silber kleiden.«

»Aber nein, Du bist der schönste und der kälteste der Männer. Du liebst Niemanden, Du läßt Dich lieben. Du leihst Dich aus Barmherzigkeit Denen, welche Deine Augen in Liebe entflammen. Du erlaubst, daß ich meine Freude an Dir finde, so wie eine Kuh sich melken läßt, indem sie in eine andere Richtung schaut. Du bist voll Herablassung. Ach! Ihr Götter! ach! ihr Götter! Ich werde Dich endlich entbehren können, junger Geck, den die ganze Stadt anbetet und den Keine zum Weinen bringt. Ich habe nicht blos Frauen in meinem Palaste, ich habe kräftige Aethiopier, die Brüste von Erz haben und von Muskeln schwellende Arme. In ihren Umschlingungen werde ich schnell Deine Mädchenbeine und Deinen hübschen Bart vergessen. Der Anblick ihrer Leidenschaft wird für mich den Reiz der Neuheit haben und ich werde mich in ihren Armen von der Liebe erholen. Aber an dem Tage, wo ich sicher sein werde, daß Dein abwesender Blick mich nicht mehr betrübt, und daß ich Deinen Mund ersetzen kann, lasse ich Dich von der Hohe der Hermesbrücke hinunter stoßen, um meinen Halsbändern und Ringen Gesellschaft zu leisten, wie einen zu lange getragenen Schmuck. Ach! Königin sein!«

Sie richtete sich auf und schien zu warten. Allein Demetrios blieb kaltblütig und rührte sich nicht mehr, als wenn er Nichts gehört hätte. Wüthend begann sie von Neuem:

»Du hast nicht verstanden?«

Er lehnte sich nachlässig hin und sagte mit sehr ruhiger Stimme:

»Mir ist ein Märchen eingefallen:«

— — — — —

»Einst, bevor Thrazien von den Vorfahren Deines Vaters erobert worden, war es von wilden Thieren und einigen scheuen Menschen bewohnt.

Die Thiere waren sehr schön; es waren Löwen, so roth wie die Sonne, Tiger, gestreift wie der Abend, und Bären so schwarz wie die Nacht.

Die Menschen jenes Landes waren klein und plattnasig, mit alten, enthaarten Fellen bekleidet, mit plumpen Lanzen und unschönen Pfeilbogen bewaffnet. Sie schlossen sich in Berghöhlen ein, hinter ungeheueren Felsblöcken, die sie mit vieler Mühe hinwegrollten. Ihr Leben verbrachten sie mit der Jagd. In den Wäldern gab es viel Blut.

Das Land war so traurig, daß die Götter es mieden. Wenn bei Morgengrauen Artemis den Olymp verließ, führte ihr Weg sie niemals nach Norden. Die Schlachten, welche dort geschlagen wurden, kümmerten Ares nicht. Die Abwesenheit der Flöten und Zithern hielt Apoll fern. Die dreifache Hekate allein glänzte dort wie ein Medusengesicht über einer versteinerten Landschaft.

Doch einst kam ein Mann dorthin wohnen, der von einer glücklicheren Rasse war und der nicht, wie die Wilden der Berge, mit Fellen bekleidet einherging.

Er trug ein langes, weißes Gewand, das er ein wenig hinter sich nachschleppte. Er liebte es Nachts in den Lichtungen, im Mondscheine umherzuirren, ein kleines Schildkrötenschild mit zwei Auerochsenhörnern, zwischen welchen drei silberne Saiten befestigt waren, in der Hand haltend.

Wenn seine Finger die Saiten berührten, ging eine süße Musik davon aus, viel milder als das Rieseln der Quelle, oder die Stimme des Windes in den Bäumen, oder die Bewegung der Haferähren. Als er zum ersten Male spielte, erwachten drei schlafende Tiger, so wunderbar bezaubert, daß sie ihm kein Leid anthaten, im Gegentheil so nahe als möglich an ihn herantraten und sich, als er zu spielen aufhörte, zurückzogen. Den nächsten Tag waren es noch viel mehr Tiger und Wölfe und Hyänen und Schlangen, welche sich auf ihren Schwänzen in die Höhe reckten.

So daß nach kurzer Zeit die Thiere von selbst kamen, um sein Spiel zu erbitten. Es geschah ihm oft, daß ein Bär allein zu ihm kam und mit drei wunderbaren Akkorden zufrieden wieder weiter ging. Für seine Gefälligkeiten brachten ihm die wilden Thiere seine Nahrung und beschützten ihn gegen die Menschen.

Aber er wurde dieses herrlichen Lebens überdrüssig. Er wurde seines Genies und der Freude, die er den Thieren verursachte, so sicher, daß er sich nicht mehr Mühe gab gut zu spielen. Wenn nur er es war, waren die Thiere immer zufrieden. Bald weigerte er sich ihnen selbst diese Befriedigung zu bieten und aus Lässigkeit hörte er überhaupt auf zu spielen. Der ganze Wald trauerte, aber die Fleischstücke und die saftigen Früchte fehlten deßhalb nicht an der Schwelle des Musikers. Man fuhr fort ihn zu nähren und liebte ihn um so mehr. Das Herz der Thiere ist nun einmal so geschaffen.

Doch eines Tages stand er an seine offene Thüre gelehnt und betrachtete die Sonne, die hinter den unbeweglichen Bäumen unterging. Da kam eine Löwin in der Nähe vorüber. Er machte eine Bewegung um sich zurückzuziehen, als ob er unliebsame Bitten fürchtete. Die Löwin schritt einfach vorbei und kümmerte sich nicht um ihn.

Da fragte er verwundert: »Warum bittest Du mich nicht zu spielen?« Sie antwortete, daß ihr nichts daran liege. Er sagte ihr »Kennst Du mich denn nicht?« und sie antwortete: »Du bist Orpheus.« Da begann er von Neuem: »Und Du willst mich nicht hören?« Sie wiederholte: »Ich will nicht.« – »Oh!« rief er aus, »oh! wie beklagenswerth bin ich! Gerade für Dich hätte ich spielen wollen. Du bist viel schöner als die Anderen und sicher verstehst Du viel mehr davon. Wenn Du mir nur eine Stunde lang zuhörst, werde ich Dir Alles bieten was Du wünschest!« Sie antwortete: »Ich verlange von Dir, daß Du den Menschen der Ebene ihr frisches Fleisch stiehlst. Ich verlange von Dir, daß Du den Ersten, den Du antriffst, tödtest. Ich verlange von Dir, daß Du die Thiere, die sie Deinen Göttern geopfert haben, nimmst, und sie mir zu Füßen legst.« Er dankte ihr, daß sie nicht mehr verlangte und that, was sie von ihm gefordert.

Eine Stunde lang spielte er vor ihr, dann zerbrach er seine Leier und lebte als ob er todt wäre.«

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Die Königin seufzte:

»Ich verstehe die Allegorien nie. Erkläre mir. Vielgeliebter, was es heißen soll?«

Er erhob sich.

»Ich erzähle Dir das nicht, damit Du verstehest. Ich habe Dir ein Märchen erzählt, um Dich ein wenig zu beruhigen. Jetzt ist es spät. Lebe wohl, Berenike.«

Sie begann zu weinen.

»Ich war dessen sicher! ich war dessen sicher!«

Er legte sie wie ein Kind auf ihr Bett von weichen Stoffen, drückte einen lächelnden Kuß auf ihre unglücklichen Augen und stieg ruhig von der großen Sänfte herab.

VI.
Begeisterung

Inhaltsverzeichnis

Die Sache war also gethan. Chrysis hatte den Beweis.

Wenn Demetrios sich entschlossen hatte das erste Verbrechen zu begehen, mußten die anderen kurz darauf gefolgt haben. Ein Mann seines Ranges mußte Mord und Tempelschändung für weniger entehrend halten als Diebstahl.

Er hatte gehorcht, also war er gefangen. Dieser freie, ruhige, kalte Mann duldete ebenfalls den Sklavendienst, und seine Herrin, seine Gebieterin, war sie, Chrysis, Sarah aus dem Lande Genezareth.

Ah! daran denken, es wiederholen, es laut sagen, allein sein! Chrysis eilte aus dem geräuschvollen Hause hinaus und lief schnell, gerade vor sich hin, das Angesicht durch den endlich frisch gewordenen Morgenwind abgekühlt.

Sie folgte bis zur Agora der Straße, die zum Meere führte und an deren Ende, ungeheuren Ähren gleich, die Masten von achthundert Schiffen eng beisammen standen. Dann wandte sie sich nach rechts, angesichts der ungeheuern Dromos-Straße, wo sich Demetrias Wohnung befand. Sie wurde von einem Schauer des Stolzes umweht, als sie vor den Fenstern ihres zukünftigen Geliebten vorbeiging; aber sie war nicht so ungeschickt, auch nur zu versuchen ihn zuerst zu sehen. Sie durchschritt die lange Straße bis zum Thor von Canope, und warf sich zwischen zwei Aloës auf den Boden.

Er hatte Das gethan! Er hatte Alles für sie gethan, mehr als je ein Liebender wahrscheinlich für ein Weib gethan hatte. Sie wurde nicht müde ihren Triumph zu wiederholen und zu bekräftigen. Demetrios der Vielgeliebte, der unmögliche Traum so vieler Frauenherzen, hatte sich ihretwegen willig allen Gefahren, allen Schanden, allen Gewissensbissen ausgesetzt. Er hatte sogar das Ideal seines Denkens verleugnet, er hatte sein Werk des wunderbaren Halsbandes beraubt und dieser aufgebende Tag wird den Geliebten der Göttin zu Füßen seines neuen Götzenbildes sehen!

»Nimm mich! nimm mich!« rief sie aus. Jetzt betete sie ihn an. Sie rief ihn, sie wünschte ihn. Die drei Verbrechen verwandelten sich in ihrem Geiste in Heldenthaten, zu deren Belohnung sie nie genug Zärtlichkeit, nie genug Leidenschaft zu geben haben wird. In welcher unvergleichlichen Flamme wird diese einzige Liebe zweier gleich jungen, gleich schönen Wesen brennen, die von einander gleich geliebt waren und für immer, nach so viel überwundenen Hindernissen, vereint waren!

Sie würden beide wegziehen, die Stadt der Königin verlassen, sie würden nach geheimnißvollen Landen segeln, nach Amathont, nach Epidaurus oder nach der unbekannten Stadt Rom, welche die zweite der Welt nach dem ungeheuern Alexandrien war, und welche im Begriffe war die Welt zu erobern. Was würden sie nicht thun, wo immer sie auch seien! Welche Freude würde ihnen fremd sein, welches menschliche Glück würde das ihre nicht beneiden, und nicht vor ihrer zauberischen Erscheinung erbleichen!

Chrysis erhob sich wie geblendet. Sie streckte die Arme aus, drückte die Schultern zusammen, reckte ihren Oberkörper vor. Ein Gefühl von Mattigkeit und Lust wuchs in ihrer gehärteten Brust. Sie machte sich wieder auf den Weg, um heimzukehren.