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Heiner Mic

Der Schatz von Amalfi





BookRix GmbH & Co. KG
81371 München

1. Teures Schweigen

Oben tat sich was. Es rumpelte über Professor Delius. Offenbar hoben sie die schweren Holzbohlen zur Seite. Die eiserne Falltür quietschte, als sie geöffnet wurde. Professor Delius stand auf und blinzelte aus dem Verlies nach oben. Im Schein einer Gaslampe, die auf dem Boden abgestellt war, standen Dino und Beppe.

„Professore, bei Ihnen da unten stinkt’s“, rief Dino. Er rümpfte die Nase beim Blick zum Eimer, in dem die Notdurft des Professors schwamm. Außer dem Blechkübel und Philipp Delius befand sich nichts in dem quadratischen Beton-Loch, zu dem nur die Falltür führte. Der Professor fühlte sich lebendig begraben, wenn sie die Luke verriegelten und es im Verlies stockdunkel war.

„Wir kommen runter und leisten Ihnen Gesellschaft“, rief Dino, der seinen Kompagnon aufforderte, die Leiter zu holen.

Nachdem der dicke Beppe die Holzleiter hinuntergestellt hatte, stieg Dino die Sprossen hinab. In der Hand hielt der durchtrainierte Mann, den Philipp Delius auf Ende 20 schätzte, eine Pistole mit Schalldämpfer. Als Dino unten war, kniete sich Beppe keuchend an den Rand des Lochs und reichte ihm die Lampe. Dino leuchtete in das Gesicht des Professors und schob mit dem Schalldämpfer der Pistole dessen Kinn hoch. Der Schweiß lief dem Professor von der hohen Stirn.

„Ihre Kleidung ist schmutzig und Sie kommen ungepflegt rüber“, sagte Dino und zupfte Philipp Delius dabei am weißen Polohemd und an der beigefarbenen Bundfaltenhose. „Dass Sie schon abgenommen haben, dürfte ein angenehmer Nebeneffekt sein. Allerdings fehlt Ihnen eine gesunde Gesichtsfarbe. Kleiner Tipp: Sie müssten mal wieder an die frische Luft.“

„Und stinken tut der Professore auch“, rief Beppe von oben.

„Schnauze“, befahl Dino seinem ein Jahr älteren Begleiter.

Als ob ein Schalter umgelegt worden wäre, verschwand das Grinsen aus Beppes Gesicht. Er drückte sich mit den Händen vom Boden ab und stand auf, was ihm wegen seiner Leibesfülle sichtlich schwer fiel.

Dino strich sich über die dunklen, zurückgegelten Haare und sagte: „Professore, Sie sitzen nun schon lange genug hier unten. Sie sind ein älterer Herr. Was glauben Sie, wie viel Zeit der liebe Gott Ihnen noch schenkt? Genießen Sie lieber Ihr Leben. Sie wissen, wie Sie freikommen können. Sagen Sie, was Sie zu uns geführt hat und schon können Sie gehen.“ Dabei schnippte Dino mit den Fingern und zog die Waffe von Philipp Delius’ Kinn.

Der Professor schwieg.

„Beppe, komm runter. Der Professore braucht ein Erfrischungsgetränk, das ihm die Zunge löst.“

Beppe nahm einen kräftigen Zug aus einer Wasserflasche, bevor er sie am Rand des Verlies’ abstellte und die unter seinem Gewicht ächzende Leiter hinabstieg. In der rechten Hand hielt der Glatzkopf einen Messbecher.

Unten baute sich Beppe vor dem Professor auf. Er schaute verächtlich auf Philipp Delius herab, den er um eine Kopflänge überragte.

Fragend schaute Beppe zu Dino, der mit dem Kopf nickte.

Beppe schob den Saum seines Unterhemdes hoch, das seine Wampe überspannte. Mit einem Ratsch zog er den Reißverschluss seiner Hose auf und fummelte sein Ding aus den Boxershorts.

„Los, Beppe, mach hin“, sagte Dino.

Der Dicke zielte mit seinem Gemächt in den Messbecher und pinkelte hinein. Dabei schaute er Philipp Delius an.

„Das ist was Feines“, sagte Beppe zum Professor. Nachdem der Dicke auch den letzten Urintropfen in den Messbecher geschnickt hatte, steckte Beppe sein Ding wieder weg und zog den Reißverschluss hoch.

„Also, Professore“, sagte Dino. Er gab Beppe die Lampe in die freie Hand und entsicherte die Pistole. „Entweder Sie sagen uns jetzt, was Sie hierhin geführt hat, oder Sie trinken Beppes gelbe Erfrischung.“

Während Dino mit der Pistole auf Philipp Delius’ Kopf zielte, hielt Beppe dem Professor den Messbecher hin.

Das Einzige, was in diesem Moment zu hören war, waren die Atemzüge des ehemaligen Hochschullehrers.

Dino drückte das kalte Schalldämpfer-Ende auf die Stirn des Professors.

„Los, Professore“, zischte Dino. „Pisse oder Quatschen.“

Philipp Delius nahm mit zitternder Hand den Messbecher und führte ihn zum Mund. Einen Zentimeter vor seinen Lippen hielt der Professor inne.

„Das ist ein leckeres Tröpfchen“, sagte Beppe grinsend.

Der Professor schaute ihn an, kniff die Augen zusammen und schüttete Beppe mit Schwung dessen eigene Pisse ins Gesicht. Ein hohles Geräusch war zu hören, als Philipp Delius den leeren Messbecher auf den Betonboden fallen ließ.

Für einen Moment schien Beppe nicht zu wissen, was gerade passiert war. Urin rann ihm übers Gesicht und tropfte vom Kinn auf sein Unterhemd. Dann packte er den Professor mit seiner riesigen rechten Pranke am Hals und drückte so fest er konnte zu.

„Ich mach dich tot“, schrie Beppe immer wieder.

Die Augäpfel quollen aus dem Schädel des Professors, der kurz vor der Ohnmacht stand.

Dino griff Beppes rechten Arm und versuchte, ihn vom Professor wegzuziehen.

„Schluss“, brüllte Dino und Beppe löste seine Hand von der Kehle des Professors.

Mit beiden Händen hielt sich Philipp Delius den Hals, japste nach Luft und sank auf den Boden.

Dino flüsterte Beppe etwas ins Ohr. Anschließend stiegen sie die Leiter wieder hoch.

„Hier, was zu trinken“, rief Dino und warf eine Plastikflasche hinunter, die der Professor fing, bevor sie auf dem Betonboden zerplatzte. Während Beppe die Leiter wieder hochzog und sie längst gegen eine Kellerwand stellte, schraubte Philipp Delius die Wasserflasche, so schnell er konnte, auf und trank sie, ohne abzusetzen, halb leer.

„Professore, hier noch was zu essen“, rief Beppe von oben herunter. Er zielte und warf ein Stück Weißbrot direkt in den Exkremente-Eimer. Der Professor musste zusehen, wie sich das frische Brot vollsog und langsam im Kübel versank.

Philipp Delius schaute zu Beppe hoch, der mit dem Finger drohte. Dabei rief der Dicke: „Wir zwei sind noch nicht miteinander fertig.“ Beppe schloss die Falltür und verriegelte sie. Nachdem er und Dino die Holzbohlen wieder über den Zugang zum Verlies gelegt hatten, wurde es still. Professor Delius schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Der Auftrag

Na wartet, dachte Rob und lief den beiden Jungs hinterher. Sie bogen mit ihren Fahrrädern in die Fußgängergasse, die den Johannisplatz mit der Preysingstraße verband. Rob rannte, so schnell er konnte, und kam einem der Kerle immer näher. Der Junge schaute sich mit aufgerissenen Augen um. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ihm Rob bis in die Preysingstraße nachlaufen würde.

Vor Pedros Obst- und Gemüsegeschäft packte Rob den Jungen an der Kapuze seines Pullis. Der Bursche zuckte zusammen, riss den Lenker herum und krachte in Auslageregale auf dem Bürgersteig. Äpfel, Birnen und Tomaten kullerten über den Gehweg. Passanten versuchten am Obst vorbeizutänzeln. Flutsch machte es zweimal kurz hintereinander, als Fußgänger Tomaten mit ihren Schuhen platt traten. Die Passanten fluchten, während sie sich die Sohlen an der Bordsteinkante sauber rieben. Es knackte und spritzte, als Reifen vorbeifahrender Autos die Äpfel, Birnen und Tomaten, die auf die Straße gerollt waren, zermalmten.

Pedro kam aus seinem Laden gelaufen.

„Rob, was ist passiert?“, fragte der kleine Mann.

„Reg dich nicht auf. Der junge Herr hier wird alles wieder in Ordnung bringen“, antwortete Rob außer Atem. Er packte die Kapuze noch einmal fester und führte den Burschen neben Pedros Laden, wo er sein Fahrrad abstellte.

„Ran an die Arbeit“, sagte Rob zu dem blonden Jungen, den er auf zehn oder elf Jahre schätzte und dessen Kumpel sich längst aus dem Staub gemacht hatte.

Pedro brachte eine Tüte, in die der Bursche das Obst, das auf dem Bürgersteig lag, hineinsteckte. Mit Handtuchpapier, einem Eimer Wasser und einem Schrubber musste der Bengel die Spuren der zertretenen Tomaten auf dem Bürgersteig beseitigen.

„Wer ersetzt mir den Schaden?“, fragte Pedro, als der Junge ihm die Tüte mit dem angedetschten Obst gab.

„Hast du Geld dabei?“, fragte Rob den Burschen, den er immer noch an der Kapuze festhielt.

„Zehn Euro.“

„Also, Zahltag“, sagte Rob.

Der Junge holte aus seiner Hosentasche einen Zehn-Euro-Schein und gab ihn Pedro.

Der Händler reichte dem Burschen die Tüte zurück und sagte: „Deine Mutter kann Obstsalat daraus machen. Du musst ja nicht sagen, dass du beim Händler in die Auslage gefahren bist. Sag, dass du das Obst günstig bekommen hast.“

Während Pedro in den Laden zurückging, führte Rob den Burschen zu dessen Fahrrad.

„So, mein Freundchen. Du kommst jetzt mit.“

Der Junge hing die Plastiktüte an den Lenker, trat den Fahrradständer zurück und sprang aufs Rad.

Weil Rob so überrascht war, dass der Junge abhauen wollte, glitt ihm die Kapuze aus der Hand. Mit der Tüte am Lenker reichte der Antritt des Jungen aber nicht aus, um seinen Verfolger abzuhängen. Rob packte ihn am Arm und ließ ihn absteigen.

„Wir haben noch etwas vor“, sagte Rob und führte den Jungen, der sein Rad schieben musste, zurück zum Johannisplatz. Dort gingen sie in den Keller des Eckhauses, in dem Rob zur Miete wohnte.

Im Werkzeugverschlag sagte Rob: „Nimm dir eine Schaufel.“

Der Junge packte eine Schippe und musste mit Rob vor die Tür des Wohnhauses gehen. Auf dem Bürgersteig lag der Müll der Abfalltonnen, die Rob herausgestellt hatte, kurz bevor die beiden Jungs auf den Rädern vorbeikamen und jeder eine Tonne im Fahren umtrat. Rob war auf dem Weg zurück ins Mietshaus gewesen, als er dies mitbekommen hatte und den beiden Burschen hinterhergespurtet war.

„War’s dir das wert?“, sagte Rob zu dem Jungen, der volle Windeln, Zigarettenkippen, Fischreste, Kaffeefilter und Kartoffelschalen zurück in eine der beiden Abfalltonnen schaufelte. „Erst wirst du zehn Euro los und jetzt kannst du auch noch allein den Müll wegschippen.“

Der Junge gab darauf keine Antwort.

„Hey, Rob. Was ist denn los?“, rief Karl. Der Wirt des „Mardi Gras“ stand auf der Treppe zu seiner Kneipe, die im Erdgeschoss des Eckhauses lag.

„Ach, der Junge schippt einfach gerne Müll“, antwortete Rob, der den Burschen weiter an der Kapuze festhielt.

„Sag mal, hast du heute Abend Zeit?“, fragte Karl und kratzte sich am Rastalockenkopf.

„Warum?“

„Marja hat eben angerufen. Sie ist krank. Kannst du für sie heute Abend bedienen?“

„Okay. Ich komme um sieben.“

„Danke, Rob. Wenn man dich braucht, bist du da. Bis heute Abend dann“, sagte Karl und ging zurück ins „Mardi Gras“.

Das Bedienen in der Kneipe war eine Einnahmequelle, die Rob den Lebensunterhalt sicherte. Gegen einen Mietrabatt machte er zudem den Hausmeister im renovierungsbedürftigen Eckhaus, in dem hauptsächlich Studenten wohnten. Rob war Mädchen für alles. Er stellte die Mülltonnen vor die Tür, schippte im Winter Schnee, reparierte und tauschte aus, was kaputtgegangen war. Wenn dadurch auf einen Handwerker verzichtet werden konnte, bekam Rob die Hälfte des Geldes, die der Hausbesitzer sparte. Da das in München nicht reichte, um über die Runden zu kommen, arbeitete er zusätzlich in einer Sicherheitsfirma. Robs Wunsch war es, allein von seiner Detektei leben zu können. Aber zu diesem Zeitpunkt liefen die Geschäfte so gut wie der Verkauf von Schneeketten im Sommer. Rob hatte nicht einen Auftrag.

Als der Junge mit dem Schippen fertig war und die Mülltonnen wieder zugeklappt am Straßenrand standen, sagte Rob zu ihm: „Schönen Gruß an deinen Kumpel. Macht in Zukunft etwas Vernünftiges.“ Ohne sich noch einmal umzudrehen, fuhr der Junge mit der Obsttüte am Lenker davon.

Rob brachte die Schaufel zurück in den Kellerverschlag. Als er gerade seine Wohnung im zweiten Stock aufsperren wollte, klingelte das Mobiltelefon in seiner Hosentasche. Er holte es heraus und schaltete den Anruf frei.

„Robert Sycora.“

Es meldete sich niemand.

„Hallo“, sagte Rob.

Eine Frauenstimme fragte mit einem leichten italienischen Akzent: „Sind Sie der Privatdetektiv?“

„Ja. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich habe Ihre Telefonnummer aus dem Branchenbuch. Im Inserat steht, dass Sie ein international tätiger Detektiv sind.“

Rob musste schmunzeln. Seine Formulierung im Branchenverzeichnis war schon etwas hochstaplerisch. Er hatte einmal einen Münchner Geschäftsmann beschattet, der eine Affäre mit einer Fitnesstrainerin hatte. Im Auftrag der Ehefrau des Unternehmers war er dem Paar bis zu ihrem Liebesnest in Österreich gefolgt. Darauf beschränkte sich seine Auslandserfahrung als Privatdetektiv. Aber Rob fand, dass sich „international tätiger Detektiv“ gut anhörte und vollkommen gelogen war es nun auch nicht.

„Ja, ich übernehme auch Aufträge im Ausland“, sagte Rob nach einer Pause.

„Welche Öffnungszeiten hat Ihre Detektei?“, fragte die Frau.

Rob besaß kein eigenes Büro. Als Geschäftsanschrift hatte er bei der Gewerbeanmeldung die Adresse des Eckhauses angegeben. Und seine Wohnung war klein: ein Zimmer, Küche, Bad. Da er mit seinem kombinierten Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer als Privatdetektiv nicht seriös rübergekommen wäre, sagte er zu der Frau: „Zum Service meiner Detektei gehört es, dass wir unsere Kunden zu Hause besuchen oder uns mit ihnen an einem Ort treffen, an dem sie sich wohlfühlen.“ Obwohl Rob Einzelunternehmer war, sprach er immer in der Mehrzahl. Wohl auch, damit potenzielle Klienten nicht glaubten, sie hätten es mit einer Klitsche zu tun, was nun mal der Fall war.

„In vertrauter Umgebung fällt Kunden das Sprechen über private Angelegenheiten leichter“, sagte Rob und hoffte, dass die Frau auf sein Argument einging.

„Hallo?“, fragte Rob ins Handy, nachdem er rund 20 Sekunden keine Antwort gehört hatte.

„Sprechen Sie Italienisch?“, fragte die Frau.

„Nein.“ Rob glaubte, dass sich damit der mögliche Auftrag erledigt hatte. Deshalb war er überrascht, als die Frau ihn fragte: „Können Sie morgen zu mir nach Grünwald kommen?“

„Sehr gerne. Wann soll ich bei Ihnen sein?“

„Passt Ihnen 15.30 Uhr?“

„Das ist perfekt. Wo wohnen Sie in Grünwald?“

„In der Gabriel-von-Seidl-Straße 88.“

„Welcher Ortsteil ist das?“

„Geiselgasteig.“

Grünwalds beste Gegend, dachte Rob.

„Ich werde morgen Mittag da sein“, sagte er.

„Bitte seien Sie pünktlich.“

„Selbstverständlich.“

Nachdem sich die Frau verabschiedet hatte, sperrte Rob die Wohnungstür auf und setzte sich an seinen Schreibtisch am Fenster. Er räumte ein paar Rechnungen und Zeitungen beiseite und schrieb die Adresse der Frau auf einen Zettel. Ein paar Mal drückte Rob auf die Handy-Tasten, bis auf dem Display die Daten des letzten Anrufs erschienen. Die Telefonnummer der Frau notierte er sich ebenfalls. Das könnte ein großes Ding werden, hatte Rob im Gefühl.

 

Am nächsten Tag fuhr Rob hinaus nach Grünwald. Er parkte seinen zerdellten, goldenen Opel Corsa in einer Seitenstraße, damit die alte Karre die potenzielle Klientin nicht abschreckte. Mit der Aktentasche aus feinstem Leder unterm Arm machte sich Rob auf den Weg in die Gabriel-von-Seidl-Straße. Er trug seinen einzigen Anzug, eine blaue Seidenkrawatte, ein weißes Hemd und seine auf Hochglanz polierten Maß-Lederschuhe, die er sich in Kiew hatte anfertigen lassen. Für Robs Verhältnisse waren die Klamotten sündhaft teuer gewesen, ließen ihn aber blendend aussehen. Robs Ziel war, den Eindruck eines seriösen und bereits erfolgreichen Privatdetektivs beim Klienten zu erwecken. Wenn schon im normalen Leben die ersten paar Sekunden beim Kennenlernen eines fremden Menschen von größter Bedeutung sind, so gilt dies noch viel mehr für einen Detektiv, meinte Rob. Es geht schließlich um persönliche Dinge. Und die vertrauen Menschen nicht dem nächstbesten Typen an.

Nach einem kurzen Spaziergang blieb Rob vor der gusseisernen Eingangstür stehen, die den Weg auf das riesige, von einer pastellgelben Mauer umgebene Anwesen mit der Hausnummer 88 versperrte. Rob richtete noch einmal den Knoten seiner Krawatte, räusperte sich und drückte den Klingelknopf.

Es rauschte in der Sprechanlage, die in eine Bronzeplatte im Mauerstück zwischen Eingangstür und Garagentor eingelassen war.

„Ja, bitte“, sagte eine junge Frauenstimme.

„Guten Tag. Mein Name ist Robert Sycora. Ich bin Privatdetektiv aus München und habe hier um 15.30 Uhr einen Termin.“ Rob schob den Ärmel seines Jacketts hoch. Auf seiner Armbanduhr war es 15.26 Uhr.

„Herzlich willkommen“, schallte es aus dem Lautsprecher. Ein Summton erklang, und Rob drückte die Gusseisen-Tür auf. Über Kopfsteinpflaster ging er zum Portal der ebenfalls pastellgelben Villa. Das Vordach des Eingangs trugen dorische Säulen. An das Haus war eine Garage mit drei Holztoren angebaut. Davor stand ein schwarzes Porsche Cabriolet, dessen Verdeck geschlossen war.

An der offenen Eingangstür wartete ein Hausmädchen, das Rob lächelnd begrüßte: „Guten Tag, Herr Sycora. Bitte treten Sie ein.“ Die Bedienstete schloss hinter Rob die Tür und machte eine einladende Handbewegung: „Bitte folgen Sie mir.“

Sie gingen durch die Eingangshalle, auf deren weiß gekacheltem Boden ein riesiger Perserteppich lag. Das Dienstmädchen öffnete die Tür zum Salon. Am Panoramafenster stand eine schwarz gekleidete Frau. Die Dame schaute hinaus in den Garten, in dem Marmor-Skulpturen und ein Monopteros standen. Auf dem Dach des Säulen-Rundbaus lag wie an anderen Stellen im Garten noch Schnee. So spät im April hatte es lange nicht mehr geschneit. Doch die Frühlingssonne ließ nun die weißen Flecken unerbittlich schmelzen und vertrieb endlich den hartnäckigen Winter.

„Herr Sycora“, sagte das Hausmädchen zur Frau am Fenster, die sich umdrehte. Von einem Ledersessel, der am Panoramafenster stand, sprang ein kleiner weißer Hund und sauste mit herausgestreckter Zunge auf Rob zu.

„Toto. Bei Fuß“, rief die schwarz gekleidete Dame, die Rob entgegenging. Doch Toto ließ sich nicht aufhalten. Das Fellknäuel sprang an Robs Beinen hoch und kläffte ihn wild an. Rob lächelte, während er dachte: Wenn du meine Hose ansabberst, kicke ich dich im hohen Bogen durchs Zimmer.

Toto beruhigte sich, als die Dame vor Rob stand und ihm zur Begrüßung die Hand schüttelte. „Guten Tag, Herr Sycora. Ich bin froh, dass Sie so schnell kommen konnten. Setzen wir uns.“ Die Frau zeigte auf die Leder-Sitzgruppe, die um einen flachen Holztisch stand. Während sie durch den Salon gingen, fragte Rob: „Zu welcher Hunderasse gehört Ihr Hund?“

„Toto ist ein Havaneser“, sagte die Frau und setzte sich aufs Sofa.

Nachdem Rob auf dem Sessel Platz genommen hatte, von dem der Hund gesprungen war, stellte er die Aktentasche auf dem Boden ab.

Der Havaneser schnüffelte an der Tasche, bis sein Frauchen „Toto“ rief und mit der Hand auf die Couch klopfte. Mit Anlauf sprang das Hündchen aufs Sofa und legte sich auf seine Decke.

„Wollen Sie etwas trinken, Herr Sycora?“, fragte die Dame.

„Ein Kaffee wäre toll.“

Die Hausherrin schaute ihre Bedienstete an, die den Raum verließ.

„Oh, verzeihen Sie“, sagte die Frau mit ihrem leichten italienischen Akzent. „Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Momentan bin ich wegen der Sache vollkommen durch den Wind.“ Sie strich sich ihren Rock glatt und setzte sich aufrecht hin. „Mein Name ist Coletta Delius.“ Dabei schüttelte sie dem Detektiv noch einmal die Hand.

Rob schaute der attraktiven Mittfünfzigerin ins Gesicht. Sie hatte tiefe Ringe unter den Augen und ihre Haut war fahl.

„Darf ich fragen, wie alt Sie sind, Herr Sycora? Sie kommen mir sehr jung vor.“

„Ich bin 28 Jahre.“ Rob wusste, dass Frau Delius mit dieser Frage seine Kompetenz in Frage stellte. Deshalb sagte er: „Ich bin schon seit fünf Jahren im Geschäft. Parallel zu meinem Jura-Studium habe ich meine Privatdetektei aufgebaut. Wenn mir jemand vorwirft, dass ich für meinen Beruf zu jung bin, sage ich immer: Das mache ich mit meinem Engagement wett.“

Coletta Delius schob sich eine Strähne ihrer schulterlangen, dunkelbraunen Haare hinters Ohr, während sie sagte: „Ich wollte Ihnen auf keinen Fall die Qualifikation absprechen. Aber Sie wirken sehr jung. Und die Sache, die mich bedrückt, dürfte nicht so einfach zu lösen sein.“

Eine Nebentür ging auf und das Hausmädchen brachte den Kaffee.

„Das ging aber flott“, sagte Rob und zeigte auf das Tablett, das die Bedienstete auf dem flachen Holztisch abstellte.

„Ich trinke jeden Nachmittag um diese Uhrzeit Kaffee“, antwortete Coletta Delius. „Aber Sie haben recht. Unsere Monika ist von der schnellen Truppe.“

Das Hausmädchen deckte den Tisch mit Silberuntertellern und -tassen, der passenden Kanne, Milchkännchen, einer Silber-Zuckerdose, einer Schale mit Gebäck sowie zwei Gläsern Wasser.

„Milch und Zucker?“, fragte das Dienstmädchen Rob.

„Nur Milch bitte.“

Die Hausangestellte goss Kaffee in Robs und Frau Delius’ Tasse, bevor sie die Milch einschüttete. Während das Dienstmädchen den Raum mit dem leeren Tablett verließ, griffen Coletta Delius und Rob nach den Untertellern und balancierten darauf ihre Kaffeetassen vor die Brust. Rob passte höllisch auf. Zu Hause verzichtete er auf Untertassen. Zudem wusste er, dass ein Lapsus wie das Umkippen eines Getränks zur Folge haben könnte, dass er den Auftrag nicht bekommt. Die potenziellen Klienten ziehen in der Kennenlernphase aus Kleinigkeiten Schlüsse. Ob es nun gerechtfertigt war oder nicht. Es war einfach so.

Rob trank einen Schluck Kaffee und stellte das Geschirr unfallfrei zurück auf den flachen Tisch. Phase zwei konnte beginnen: das Schildern des Problems. Rob griff nach seiner Aktentasche und legte sie auf den Schoß. Hündchen Toto stellte sich auf die Vorderbeine, um zu sehen, was der Fremde machte. Rob öffnete die Laschen der Aktentasche, holte einen Block sowie einen teuren Kugelschreiber heraus und legte die Sachen auf den Tisch.

„Ich will mir Notizen machen, wenn Sie mir von Ihrem Fall erzählen“, erklärte Rob, während er die Aktentasche zurück auf den Boden stellte.

Coletta Delius rührte ihren Kaffee um und trank einen Schluck. Weil ihre Hände etwas zittrig waren, klapperte die Tasse auf dem Unterteller, als sie das Geschirr zurück auf den Tisch stellte.

Nachdem sie durchgeatmet hatte, sagte sie: „Es geht um meinen Mann.“

Rob nahm Block und Kugelschreiber vom Tisch und begann, sich Notizen zu machen. Damit wollte er vermitteln, wie engagiert und korrekt er arbeitet.

„Ich habe seit eineinhalb Wochen nichts mehr von ihm gehört“, fuhr Coletta Delius fort, während sich Hündchen Toto wieder hinlegte.

Rob schaute kurz hoch und sah, dass die Frau mit den Fingern an ihrer Perlenkette spielte, die sie über einer schwarzen Seidenbluse trug.

„Ist das schon einmal passiert, dass sich Ihr Mann so lange nicht gemeldet hat?“

„Nein, noch nie. Selbst wenn er auf Wissenschaftskonferenzen oder Geschäftsreisen war, hat er sich mindestens einmal am Tag gemeldet.“ Coletta Delius seufzte. „Ich mache mir große Sorgen.“

Rob hätte gerne gefragt, ob sich das Ehepaar gestritten hatte. Er ließ es aber bleiben, um das Gespräch nicht abzuwürgen.

„Wann hat sich Ihr Mann zuletzt bei Ihnen gemeldet?“, fragte Rob.

Coletta Delius musste nicht lange nachdenken. „Es war am 15. April gegen 17 Uhr, als mich mein Mann anrief. Philipp sagte, er sitze gerade auf der Piazza Duomo in Amalfi und lasse sich beim Blick auf den Dom einen Espresso schmecken.“

„Amalfi?“, fragte Rob.

„Ja, mein Mann ist vor zweieinhalb Wochen nach Italien gereist.“

„Allein?“

„Ja.“

„Warum machte Ihr Mann diese Reise ohne Sie?“ Rob glaubte, über diese Frage das Verhältnis der beiden Ehepartner ausloten zu können.

„Ich bin nicht mitgefahren, weil mein Mann dort unten keinen Urlaub machen wollte.“

„Sondern?“

„Er suchte nach … etwas Wertvollem.“

„Können Sie konkreter werden?“

„Mehr möchte ich im Augenblick nicht dazu sagen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis, Herr Sycora.“

Normalerweise wäre dies der Moment für einen Privatdetektiv gewesen, das Gespräch abzubrechen. Denn mit Aufträgen von Klienten, die nicht mit der ganzen Wahrheit herausrückten, gab es in der Regel Ärger. Rob schaute sich im Salon um. In Vitrinen standen Porzellanfigürchen. Die Sammlung hatte wohl ein Vermögen gekostet. An der Wand hing ein Aquarell. Auch wenn sich Rob nicht wirklich auskannte, hätte er Geld darauf gesetzt, dass dieses Bild ein William Turner war. Über den Maler musste er am Gymnasium mal ein Referat halten. Und das Bild schien kein Druck zu sein. Dieser offenbare Reichtum sog Rob an wie ein Strudel.

Er fragte: „Sie und Ihr Gatte scheinen sehr wohlhabend zu sein. Womit verdient Ihr Mann sein Geld?“

Coletta Delius schlug ein Bein über das andere und antwortete: „Philipp ist habilitierter Finanzwissenschaftler. Er hat sich neben seinem Lehrstuhl an der Münchner Universität ein Investment-Beratungsunternehmen aufgebaut, um das er sich schließlich Vollzeit gekümmert hat. Mittlerweile leitet die Firma ein Geschäftsführer. Und mein Mann widmet sich fast rund um die Uhr seinem großen Hobby.“

„Das wäre?“

Coletta Delius schlug das Bein zurück, beugte sich zum Tisch und nahm ihre Kaffeetasse vom Unterteller. „Das Hobby, eigentlich kann man es gar nicht so nennen, die Leidenschaft meines Mannes sind die Archäologie und die Geschichte.“ Coletta Delius trank einen Schluck Kaffee, während sie die Tasse mit gespreiztem kleinen Finger hielt. „Wissen Sie, Herr Sycora, bedauernswert sind die Menschen, die schon fast zu spät erkennen, dass sie in ihrem Leben eigentlich immer etwas anderes machen wollten. Mein Mann ist mit seiner Investment-Firma zwar reich, aber nicht glücklich geworden. Jetzt jagt er verzweifelt in der Weltgeschichte umher, um spektakuläre Entdeckungen zu machen.“

„Und das ist nichts für Sie?“, fragte Rob und machte sich weiter Notizen.

„Offensichtlich nicht. Sonst würde ich nicht in Grünwald auf der Couch sitzen.“

„Könnte es sein, dass Ihr Mann entführt worden ist? Gibt es eine Lösegeldforderung?“

„Ich habe keine bekommen. Mein Mann reist aber auch nicht so aufwendig, dass jeder gleich denken muss, Philipp sei ein reicher Mann.“ Coletta Delius stellte ihre Tasse zurück auf den Unterteller.

„Wissen Sie, ob Ihr Mann in Italien Geld abgehoben hat?“

„Ja. Ich habe auf den Online-Konten nachgeschaut. Vier Tage nach seiner Ankunft hat Philipp 1000 Euro an einem Geldautomaten in Amalfi abgehoben.“

„Hat Ihr Mann Feinde?“

„Nicht dass ich wüsste. Konkurrenten hatte und hat er sicherlich. Aber Feinde würde ich sie nicht nennen.“

„Frau Delius, ich muss Ihnen auch Fragen stellen, die Sie vielleicht als unverschämt auffassen könnten. Es geht mir darum, ein möglichst realistisches Bild Ihres Mannes zu bekommen. Deshalb seien Sie bitte nicht böse, wenn ich Sie frage: Hatte Ihr Gatte Affären?“

Coletta Delius lachte auf. „Philipp? Der ist mittlerweile mehr mit der Geschichte verheiratet als mit mir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine andere Frau bei seinem Verschwinden eine Rolle spielt.“

Rob hatte schon mehrere Male erlebt, wie sich langjährige Ehefrauen gerade in diesem Punkt im Gatten täuschten. Er kritzelte das Wort „Affäre“ in seinen Block und machte ein Fragezeichen dahinter.

„Haben Sie bei der italienischen Polizei eine Vermisstenmeldung gemacht?“, fragte Rob.

„Ja. Zwei Tage nach dem Verschwinden meines Mannes. Die Carabinieri haben aber nach drei Tagen die Suche eingestellt.“

„Mit welcher Begründung?“

„Es konnten keine konkreten Hinweise gefunden werden. Solange sich das nicht ändert, werden sie sich nicht wieder mit dem Fall meines Mann befassen.“

„Seit dem Einstellen der Suche sind einige Tage vergangen. Warum haben Sie sich erst gestern bei mir gemeldet?“

„Ich habe mich zuerst mit meiner älteren Tochter Cati beratschlagt. Danach hatte ich zwei andere Detekteien kontaktiert.“

„Und warum haben Sie dann bei mir angerufen?“, fragte Rob.

„Weil Ihre Kollegen den Fall nicht übernehmen wollten.“

Rob wäre fast der Kuli aus der Hand gefallen. Auch wenn er versuchte, sich seinen Schreck nicht anmerken zu lassen, wollte er mehr wissen: „Mit welchen Begründungen haben Ihnen die Kollegen abgesagt?“

„Einer wollte grundsätzlich nicht in Italien ermitteln. Der andere sagte, ihm sei die Sache zu vage.“

Wen wundert’s, dachte Rob.

Dennoch fragte er weiter: „Wenn ich mich nicht irre, haben Sie einen leichten italienischen Akzent. Stammen Sie aus Italien?“ Er nahm sich einen Keks aus der Schüssel auf dem Tisch, steckte das Gebäck in den Mund und schrieb kauend weiter. Rob hatte Hunger, weil er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.

„Ich stamme aus Mailand und bin während meines Studiums nach München gekommen. Hier habe ich meinen Mann kennen gelernt, der damals ein junger Dozent an der Universität war. Wir haben uns verliebt, geheiratet und zwei Töchter bekommen.“

Rob fiel auf, dass Coletta Delius nicht viel über ihre Herkunft erzählt hatte. Deshalb bohrte er nach: „Haben Sie noch Verwandte in Italien?“

„Selbstverständlich.“

„Wissen Ihre Angehörigen in Italien, dass Ihr Mann verschwunden ist?“

„Außer meiner älteren Tochter Cati weiß dort niemand davon. Sie hat gerade ihren Doktor gemacht und arbeitet am Mittelalter-Institut an der Sapienza Universität in Rom.“

Rob blickte von seinem Block auf, und er glaubte in Coletta Delius’ Gesicht aufrichtigen Stolz auf ihre Tochter zu sehen. Auch das vermerkte er in seinen Notizen.

„Warum haben Sie und Cati Ihre italienischen Verwandten nicht darüber informiert, dass Ihr Mann verschwunden ist?“, fragte Rob.

„Wir wollen sie nicht beunruhigen.“

„Und warum beauftragen Sie keinen italienischen Privatdetektiv mit dem Fall?“

Coletta Delius schlug wieder ein Bein über das andere und legte ihre Hände auf den Schoß: „Ihr Vorteil ist, dass Sie kein Italienisch sprechen, Herr Sycora.“

Rob schaute verwundert auf.

„Wir wollen keinen italienisch sprechenden Privatdetektiv, weil der sich verplappern könnte. In der Sache meines Mannes wollen wir keine schlafenden Hunde wecken. Außenstehende sollen nicht erfahren, was mein Mann an der Amalfiküste macht und dass er ein wohlhabender Mann ist.“

„Und wie soll ich mich vor Ort mit Einheimischen unterhalten?“, fragte Rob und fügte hinzu: „Wenn ich den Fall übernehme.“

„Meine Tochter Cati würde Sie begleiten. Sie spricht fließend Italienisch, weiß, wie mein Mann aussieht. Und nicht zuletzt ist sie auch pfiffig.“

Bei Rob schrillten alle Alarmglocken. Es war im Grunde schon inakzeptabel, dass Coletta Delius nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken wollte. Dass ein Familienmitglied des Verschwundenen Rob nun auch noch begleitet sollte, kam seinem schlimmsten Albtraum gleich. Normalerweise löste Rob seine Fälle am liebsten allein. Wenn er Unterstützung brauchte, dann mussten das Profis sein und keine Amateure wie die Tochter der potenziellen Auftraggeberin. Amateure können selbst erfahrene Privatdetektive in die größte Gefahr bringen. Rob quälte das schlechteste Gefühl, das er jemals bei einem Fall gehabt hatte.

„Lassen Sie uns über Geld reden“, sagte Coletta Delius und riss Rob damit aus seinen Gedanken. „Wie viel nehmen Sie?“

Rob sah die Honorar-Frage als Chance, elegant aus der Sache herauszukommen.

„In Ihrem speziellen Fall beträgt mein Honorar 2000 Euro pro Tag plus die Übernahme aller Spesen. Und wenn ich Ihren Mann gefunden habe, ist zusätzlich eine Erfolgsprämie in Höhe von 25000 Euro fällig. Zu den Summen kommt noch die Mehrwertsteuer. Zudem fallen für meinen Besuch in Ihrem Haus sowie das Aufsetzen des Vertrags weitere 1500 Euro an.“ Rob war sich sicher, dass Frau Delius niemals auf diese Konditionen eingehen würde. Da er nicht mit sich verhandeln lassen wollte, wäre das Geschäft gescheitert.

Va bene“, sagte Coletta Delius.

Rob schaute sie mit großen Augen an.

„Ach ja. Sie verstehen kein Italienisch. Einverstanden. Wir sind im Geschäft.“ Dabei streckte sie dem Detektiv die Hand hin.

Rob schaute ungläubig, als ob er die Pranke eines Ungeheuers schütteln sollte. Hatte er eben richtig gehört? Sie war bereit auf diese Konditionen einzugehen? Warum? Weil sie keinen Dümmeren für den Job fand? Immerhin hatten Detektiv-Kollegen bereits abgesagt. Oder bedeutete ihr Geld so wenig und ihr Mann so viel? Rob fiel die Zeile eines Abba-Lieds ein, die übersetzt hieß: Geld muss lustig sein in der Welt der Reichen. Aber Rob konnte die Kohle gut gebrauchen. Und vielleicht wäre die erfolgreiche Lösung dieses Falls der Durchbruch für seine Detektei. Auch wenn Rob wusste, dass er den Auftrag nicht annehmen sollte, konnte er seinen Beinen einfach nicht den Befehl geben aufzustehen und zu gehen. Gegen alle Bedenken schlug Rob in das Geschäft ein. Anschließend beugte er sich nach vorne. Bevor er die Kaffeetasse vom Tisch nahm und einen Schluck lauwarmen Kaffee trank, klopfte er drei Mal leise auf die Tischplatte. Rob war sich sicher, dass er bei diesem Auftrag Glück brauchen würde.

„Ich benötige noch ein paar persönliche Daten Ihres Mannes“, sagte Rob und blätterte eine neue Seite im Block auf. „Wie alt ist er?“

„61 Jahre“, antwortete Coletta Delius.

„Körpergröße?“

„1,77 Meter.“

„Augenfarbe?“

„Grau-blau.“

„Hat Ihr Mann besondere körperliche Merkmale?“

„Er hat eine kleine Narbe direkt über der rechten Augenbraue, die von einem Verkehrsunfall stammt.“

Rob ging noch einmal die Angaben durch und sagte: „Okay, Frau Delius. Ich denke, wir sind so weit durch. Aber ich bräuchte noch ein paar Fotos Ihres Mannes.“

„Sollen es bestimmte Bilder sein?“

„Am besten wären ein relativ aktuelles Passfoto und Bilder, die Ihren Mann in normalen Lebenssituationen zeigen. Haben Sie Filmaufnahmen von Ihrem Gatten?“

„Ja. Ich kann Ihnen eine DVD vom 60. Geburtstag meines Mannes mitgeben.“

„Das wäre optimal.“

Coletta Delius verließ den Salon, um Fotos und die DVD zu holen.

Wie erstarrt saß Rob für einige Zeit im Sessel. Dann beugte er sich nach vorne, weil er ein paar Kekse aus der Schüssel nehmen wollte. Hündchen Toto schnellte von der Decke hoch und knurrte. Für einen Moment wich Rob tatsächlich zurück.

Nachdem der Detektiv über sich selbst gelächelt hatte, drohte er Toto mit dem Zeigefinger: „Wenn du nicht sofort den Bettvorleger machst, gibt’s was auf die Schnauze.“ Zu Robs Verwunderung legte sich Toto wieder auf die Decke und schloss die Augen. Rob langte in die Keksschüssel und stopfte sich den Mund voll. Während er mit vollen Backen kaute, ging die Haupttür des Salons auf. Das Zimmer betrat aber nicht Coletta Delius oder Hausmädchen Monika, sondern eine junge Frau mit kurzen, blondierten Haaren, die Rob um die 20 Jahre schätzte. Sie kam offenbar gerade vom Joggen. Jedenfalls trug sie Laufklamotten und ihr Gesicht war leicht gerötet.

Die junge Frau ging schnurstracks auf Rob zu und streckte ihm die Hand hin. „Hallo, ich bin Laura Delius.“

Mit vollen Backen schüttelte Rob ihre Hand. Es dauerte, bis er die Kekse so klein gekaut hatte, dass er sie hinunterschlucken konnte. Schließlich stellte er sich vor: „Robert Sycora, Privatdetektiv.“

„Oh, ein Detektiv. Übernehmen Sie den Fall?“

„Frau Delius und ich sind uns einig geworden. In welcher Beziehung stehen Sie zu ihr?“

„Ich bin die jüngere Tochter“, antwortete Laura, setzte sich auf die Armlehne der Couch und kraulte Toto am Hals. Der Hund machte kurz die Augen auf und döste dann weiter. Laura nahm das Wasserglas ihrer Mutter vom Tisch und trank daraus. Als sie das Glas zurückgestellt hatte, fuhr sie sich mit der Zunge über die Oberlippe.

„Sie werden meiner Schwester Cati gefallen“, sagte Laura. „Sie haben ein schönes Gesicht, offenbar einen guten Körper und Ihr halblanges Haar steht Ihnen super.“

„Ich glaube nicht, dass mein Aussehen für das Lösen des Falles von Bedeutung sein wird.“

„Das vielleicht nicht, aber es kann Ihnen die Zeit versüßen. Meine Schwester hat momentan keinen Freund.“ Laura zwinkerte Rob zu. Sie beugte sich nach vorne, so dass Rob in den Ausschnitt ihres Shirts gucken konnte, und streichelte seine rechte Hand.

Als eine Nebentür aufging und Coletta Delius in den Salon trat, zog Laura ihre Hand blitzschnell zurück.

„Ich sehe, Sie haben meine jüngere Tochter kennen gelernt. Hat Sie schon Ihre momentane Paraderolle als Femme fatale gespielt?“

„Mama“, rief Laura und wurde im Gesicht noch etwas roter.

„Sie studiert an der Hochschule für Fernsehen und Film“, sagte Coletta Delius.

„Ich will mit nach Italien fliegen und helfen, Papa zu finden“, forderte Laura. „Vielleicht stoße ich dabei auf eine tolle Geschichte.“

Nicht das noch, dachte Rob.

Zu seiner Erleichterung sagte Coletta Delius, die neben ihm stand und Fotos sowie eine DVD in den Händen hielt: „Du bleibst hier, Laura, und schreibst deine Hausarbeiten.“

Coletta Delius gab Rob zunächst die Bilder ihres Mannes. „Können Sie damit etwas anfangen?“

Rob schaute die Fotos durch. Sie zeigten einen älteren Herrn unter anderem bei einem Vortrag, in einer geselligen Runde und auf einem Segelschiff. Wie gewünscht war auch ein Passbild dabei.

„Perfekt“, sagte Rob und schob die Bilder sowie die DVD, die ihm Coletta Delius gereicht hatte, in seinen Block, den er mit dem Kugelschreiber zurück in die Aktentasche steckte.

„Ich lasse Ihnen so schnell wie möglich den Vertrag zukommen. Sobald er unterschrieben ist und die Summe von drei Tageshonoraren auf meinem Konto eingegangen ist, werde ich nach Italien fliegen“, sagte Rob. Er schloss seine Aktentasche und stand vom Sessel auf.

Coletta Delius gab Rob einen gelben Zettel. „Meine Tochter Cati finden Sie an der Sapienza Universität in Rom. Das hier ist die Adresse. Damit Sie sich mit Cati verabreden können, habe ich die Telefonnummer und die E-Mail-Adresse meiner Tochter dazugeschrieben.“

Rob nahm den Notizzettel und steckte ihn in die Innentasche seines Sakkos.

„Auf Wiedersehen“, sagte Rob zu Laura und streckte ihr die Hand hin.

„Das hoffe ich auch“, antwortete Laura, die aufgestanden war und Robs Hand schüttelte.

Der Detektiv nahm seine Aktentasche. Als er Coletta Delius zur Haupttür des Salons folgen wollte, hielt ihn Laura am Arm zurück. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte Rob ins Ohr: „Seien Sie vorsichtig. Cati will immer der Boss sein.“

Laut sagte Laura zu Rob: „Viel Glück und bringen Sie bald meinen Papa nach Hause.“

„Ich werde mein Bestes tun“, antwortete Rob und ging zu Coletta Delius, die bereits an der offenen Haustür stand.

Sie gab Rob zum Abschied die Hand und sagte: „Bitte finden Sie meinen Mann.“

Als Rob ins Freie trat, atmete er tief durch. Hatte er wirklich diesen Fall angenommen? Er konnte nicht glauben, was er eben getan hatte.

 

Mit einem unguten Gefühl setzte Rob am Abend in seiner Wohnung den Vertrag auf, druckte zwei Exemplare aus und unterschrieb sie. Danach schaute er sich am Laptop die DVD von Philipp Delius’ 60. Geburtstag an. Rob hatte bei Nahaufnahmen den Eindruck, dass der Jubilar auf der aufwendigen Feier zeitweise in Gedanken woanders war. Etwas schien Delius zu beschäftigen.

Am nächsten Morgen schickte Rob den Vertrag in zweifacher Ausführung per Express-Sendung nach Grünwald. Nur einen Tag später erhielt er das Rückschreiben. Robs Vertragsexemplar trug nun auch die Unterschrift von Coletta Delius, war aber um einen Paragraphen handschriftlich ergänzt worden. Rob sollte auf jeglichen zusätzlichen Finderlohn verzichten. Nur die vereinbarten Zahlungen sowie die 25000-Euro-Erfolgsprämie seien maximal zu leisten. Rob hatte mit diesem Passus kein Problem. Nachdem die ersten drei Tageshonorare auf seinem Konto eingegangen waren, buchte er eine Maschine nach Rom und flog in die italienische Hauptstadt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3. Beppes Rache

„Kommen Sie, Professore“, rief Beppe ins Verlies.

Philipp Delius rappelte sich auf und kletterte mit weichen Knien die Leiter hoch, die der Dicke hinuntergestellt hatte. Dabei musste der Professor die Augen zusammenkneifen, weil das elektrische Licht im Kellerraum für ihn so grell war. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangenen war, seit er Beppe den Urin ins Gesicht geschüttet hatte.

„Professore, schön Sie zu sehen“, sagte Dino, der an einem festlich gedeckten Tisch saß. „Bitte nehmen Sie Platz.“ Dino zeigte auf den freien Stuhl an seiner linken Seite.

Nachdem Philipp Delius sich gesetzt hatte, packte Beppe die Arme des Professors, umwickelte die Handgelenke mit einem Seil und band sie an der Rückenlehne fest. Als Philipp Delius den Mund aufmachte, um zu protestieren, steckte der Dicke ihm ein zusammengerolltes Tuch in den Mund, dessen Enden er am Hinterkopf des Professors verknotete. Auch wenn Philipp Delius mit den Beinen strampelte, hatte Beppe keine großen Probleme, dessen Fußgelenke an den Stuhlbeinen festzubinden.

Dino zündete mit einem Stab-Feuerzeug die fünf Kerzen an, die in einem Tischleuchter steckten. „Mamma mia, habe ich einen Kohldampf“, sagte er. Im selben Moment knurrte der Magen des Professors.

„Ich glaube, es gibt in diesem Raum mindestens eine Person, die noch mehr Hunger hat als ich“, sagte Dino, zupfte einen dunklen Faden von seinem weißen Hemd und ließ ihn zu Boden fallen. Dino musterte Philipp Delius, bevor er sagte: „Professore, ich muss Ihnen sagen, Sie sehen nun noch etwas schlechter aus als das letzte Mal.“ Während Beppe Rotwein in die Gläser schüttete, beugte sich Dino nach vorne und stützte sich mit einer Hand an der Tischkante ab. „Professore, Sie haben doch Hunger. Wenn Sie wollen, können Sie mit uns essen. Sie müssen Beppe und mir nur sagen, was Sie zu uns geführt hat.“

Professor Delius sagte etwas, aber wegen des Knebels war es nicht zu verstehen.

„Nimm ihm das Tuch aus dem Mund“, befahl Dino seinem Kompagnon. Als Beppe die Enden aufgeknotet hatte, spuckte Philipp Delius den Stofffetzen aus und brüllte: „Ihr verdammten Schweine.“

Dino schüttelte den Kopf und sagte: „Leider ist das die falsche Antwort auf meine Frage.“ Während Beppe dem Professor den Knebel wieder anlegte, nahm Dino sein Rotwein-Glas vom Tisch und prostete Philipp Delius zu: „Cin cin, Professore. Wenn Sie sich entscheiden sollten, meine Frage zu beantworten, grunzen Sie einfach noch einmal laut. Wir werden dann unser Festmahl kurz unterbrechen und uns anhören, was Sie zu sagen haben.“ Nachdem Dino einen Schluck Wein getrunken hatte, sagte er zu Beppe: „Hol die Vorspeise. Ich halte es vor Hunger kaum noch aus.“

Beppe kehrte mit einem Tablett Crostini zurück, stellte es auf den Tisch und nahm gegenüber von Dino Platz.

„Schauen Sie, Professore. Was für eine Kreation: Prosciutto, Feigen und Minze auf warmem Weißbrot“, sagte Dino. Dabei nahm er eine Röstbrotscheibe vom Tablett und hielt sie dem Professor vor die Nase.

Philipp Delius lief das Wasser im Mund zusammen.

Langsam zog Dino das Brot zurück und biss genüsslich hinein. Schmatzend sagte er: „Beppe, du bist ein Künstler. Das schmeckt wie ein Gedicht. Du hast dich mal wieder selbst übertroffen.“

Beppe winkte ab, während er eine Röstbrotscheibe mit Büffelmozzarella und Chili in sich hineinstopfte. Mit vollem Mund sagte er: „Warte ab, Dino. Es kommen noch hervorragende Gänge.“

Als Dino und Beppe einige Crostini verdrückt hatten, nahm der Dicke das Tablett vom Tisch, auf dem noch Röstbrotscheiben lagen.

„Professore, wir sind keine schlechten Gastgeber. Sehen Sie, Beppe hat für drei Personen gekocht. Sie müssen nur mit der Information herausrücken und schon sitzen an diesem Tisch drei statt zwei Esser.“

Professor Delius starrte vor sich und ließ keinen Mucks hören.

Nach den Antipasti brachte Beppe den nächsten Gang: Spaghetti alla trapanese.

Der Dicke hielt dem Professor die riesige Schüssel unter die Nase. Die Pasta roch so verführerisch, dass Philipp Delius versuchte, seine Hände aus den Fesseln zu winden. Jede Bewegung bereitete dem Professor Schmerzen, weil Beppe das Seil so straff gebunden hatte, dass es in die Haut einschnitt.

„Mit welcher Leckerei verwöhnst du uns jetzt?“, fragte Dino, während Beppe die dampfende Schüssel auf den Tisch stellte.

„Das sind Spaghetti mit Mandel-Basilikum-Pesto und Tomaten“, antwortete der Dicke und füllte zwei große Teller. Einen reichte er Dino, den anderen stellte Beppe an seinen Platz, bevor er sich setzte.

Mit einem Lächeln nahm Dino eine Gabel vom Tisch und steckte sie in die Spaghetti. Nachdem er einen Batzen aufgedreht hatte, beugte sich Dino über den Teller und schob die Gabel in seinen weit geöffneten Mund. Mit einem lang gezogenes „Mmh“ genoss er das Essen.

Dino nahm sein Rotweinglas und stieß direkt vor Professor Delius’ Augen mit Beppe klirrend an.

„Dicker, du bist ein Teufelskoch“, sagte Dino. Auf Beppes Gesicht legte sich ein Lächeln, ehe er wie sein Kompagnon einen kräftigen Schluck Rotwein trank.

Beppe wickelte Spaghetti auf seine Gabel und hielt sie Philipp Delius unter die Nase: „Na, Professore. Sie sagen ja gar nichts? Mögen Sie den Geruch von Spaghetti alla trapanese?“

Philipp Delius riss den Kopf zur Seite, um nicht mehr die duftenden Nudeln riechen zu müssen. Doch Beppe folgte einfach der Nase des Professors, der seinen Kopf immer wieder in eine andere Richtung drehte. Der Dicke lachte, als Philipp Delius aufgab und er ihm in aller Ruhe die Spaghetti-Gabel unter die Nase halten konnte. Beppe stopfte sich die Nudeln in den Mund, stand auf und beugte sich zum Professor. Einen Zentimeter vor dessen linkem Ohr kaute er laut schmatzend die Spaghetti.

„Professore, Sie sind doch ein schlauer Mann. Begreifen Sie nicht, dass hier nach unseren Regeln gespielt wird?“, sagte Dino und schob sich Nudeln in den Mund.

Philipp Delius’ Magen knurrte so laut, dass es sich fast wie ein Hilfeschrei anhörte.

„Oh, höre ich da nicht wieder den unbekannten zweiten Gast?“, fragte Dino. „Der Mensch darf nicht nur seiner Vernunft gehorchen, sondern muss auch auf sein Bauchgefühl hören.“

Beppe verschluckte sich vor Lachen an den Spaghetti. Sein Husten hallte im fensterlosen Kellerraum wider.

„Beppe, nicht so laut“, ermahnte Dino.

Als die Teller leer geputzt waren, räumte der Dicke das Geschirr ab und balancierte den kleinen Stapel auf seinem linken Unterarm aus dem Kellerraum.

Dino rieb sich den Magen. Dabei sagte er: „Professore, Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht.“

Während sich Dino Rotwein nachschenkte, brachte Beppe den zweiten Hauptgang.

Dino streckte die Nase in die Luft: „Das Essen duftet fantastisch. Nicht wahr, Professore?“

Philipp Delius sah, dass Beppe nicht nur für Dino und sich einen Teller füllte, sondern auch ihm einen hinstellte mit drei Stücken Lammfleisch, schwarzen Oliven, gegrillten Paprika- und Zucchini-Scheiben sowie Kopfsalat.

„Guten Appetit euch beiden“, sagte Beppe, setzte sich auf seinen Stuhl und begann zu essen.

Dino sagte zum immer noch gefesselten Professor: „Was ist? Warum essen Sie nicht? Sie beleidigen Beppes Kochkunst.“

Philipp Delius schaute Dino mit einem stechenden Blick an. Entgegen seines Charakters hatte der Professor in diesem Moment große Lust, dem schönen Dino in die Fresse zu hauen.

Auf Dinos Zunicken stand Beppe auf und nahm ein Stück gegrillte Paprika von dem Teller, der vor Philipp Delius stand. Er hob und senkte die rote Scheibe vor den Augen des Professors, als ob das Paprikastück ein auf Wellen reitendes Boot wäre.

Dino beugte sich nach vorne, löste den Knebel und zog ihn aus Delius’ Mund.

Als der Professor nach der Paprika schnappte, biss er in Beppes rechten Zeigefinger.

„Scheiße“, rief der Dicke und stieß den Kopf des Professors zurück. Er ließ das Paprikastück auf die weiße Tischdecke fallen und schlug dem Professor mit der flachen Hand ins Gesicht.

Nachdem Dino und Beppe ihre Teller leer gegessen hatten, räumte der Dicke wieder ab.

„Was ist Professore? Wollen Sie uns sagen, was Sie zu uns geführt hat? Nicken Sie einfach“, sagte Dino.

Als Beppe mit einem Tablett zurückkam, sagte Dino zu ihm: „Der Professore hat keinen Hunger. Du kannst abräumen.“

„Schade drum“, sagte Beppe, nahm den Teller mit dem Lammfleisch und kippte das Essen in den Mülleimer neben dem Tisch. Den leeren Teller stellte er wieder vor Professor Delius.

„Sehr gerne“, antwortete Dino.

Als Dino die Hälfte seines Kuchenstücks gegessen hatte, fragte ihn Beppe: „Warum sagst du nichts? Schmeckt dir das Brombeerteil nicht?“

Torta di morteTorta di more

„Warum lässt du den Professore nicht kosten?“, fragte Dino.

„Ups“, sagte Beppe, als er den Kuchen ins Gesicht des Professors klatschte und verrieb.

„Mann, bin ich satt“, sagte Dino und schob seinen leeren Teller samt Gabel von sich. Nachdem Beppe ein zweites Stück Kuchen gegessen hatte, befahl ihm Dino: „Bring den Professor wieder in seine Suite.“

Da Philipp Delius nicht von allein aufstand, packte ihn Beppe unter den Achseln und stellte ihn auf die Beine. Am Oberarm zog er ihn zum Verlies.

Philipp Delius stieg hinab. Nachdem der Dicke die Leiter hochgezogen hatte, entknotete der Professor im Verlies den Mundknebel. Dabei traf ihn ein warmer Strahl auf den Kopf.

„Sauberkeit muss sein“, rief Beppe von oben herunter.