Wie alles begann

Artus war ein Junge, wie es in England viele Jungen gab. Er war groß, blond und dünn, und er träumte davon, einmal ein Ritter zu sein und gefährliche Abenteuer zu bestehen.

Bislang aber war Artus nur ein Knappe auf der Burg seines Vaters Sir Ector. Dort tat er tagein, tagaus alles, was Knappen tun müssen. Er striegelte die Pferde, putzte und reparierte die Rüstungen und trug die Waffen, wenn Sir Ector in ein Turnier ritt.

Artus selbst hatte auch ein Schwert. Kein so großes wie sein Vater, und stumpf war es noch dazu, aber Artus hatte ihm trotzdem einen Namen gegeben: »Drachentöter«. Alle berühmten Schwerter aller berühmten Ritter haben schließlich einen Namen. Und da Artus einer von ihnen werden wollte, nannte er sein Schwert eben »Drachentöter«.

Weil aber weit und breit kein Drache in Sicht war, kämpfte Artus gegen seinen Bruder Kay. Kämpfen lernen und üben gehört nämlich auch zur Knappenausbildung.

Jeden Nachmittag, wenn Artus seine anderen Pflichten erfüllt hatte, tobten die beiden Brüder durch den Burghof. Sie fochten mit ihren stumpfen Schwertern, dass die Funken sprühten. Sie übten Ausweichen und Angreifen und wie man sich abrollt. Und immer war Kay der Sieger. Das war aber auch kein Wunder. Denn Kay war etwas älter als Artus. Er war auch stärker und geschickter. Vor allem aber war Kay schon ein Ritter. Vor wenigen Wochen, am Allerheiligentag, hatte der Erzbischof von Canterbury Kay zum Ritter geschlagen. Seither hieß er auch nicht mehr einfach nur Kay, sondern Sir Kay.

Wenn man zum Ritter geschlagen wird, bekommt man eine Rüstung, echte Waffen und ein Pferd. Aber ein richtiger Ritter ist man trotzdem erst, wenn man wahren Mut bewiesen und einen Kampf gewonnen hat. Und deshalb hoffte Kay genauso wie Artus, dass bald etwas Spannendes passieren und die Zeit der Abenteuer endlich anbrechen würde.

Noch aber saßen sie auf Burg Cynwrig und froren.

 

Es war wenige Tage vor Weihnachten, und der eisige Wind pfiff durch die Mauerritzen und rüttelte an den Fensterläden von Burg Cynwrig. Eine Burg im Winter zu heizen, ist fast unmöglich. Die Mauern sind zu kalt und zu dick und die Räume zu groß. Burg Cynwrig stand noch dazu auf einem Hügel, ohne Bäume, die den kalten Wind hätten abhalten können.

Als Artus an diesem Morgen aus dem Bett kletterte, war das Wasser in der Waschschüssel gefroren, so kalt war es. Artus zog sich schnell an und ging dann hinaus in den Hof, um Schnee zu schippen. Zuerst bahnte er sich einen Weg zum Stall, um die Pferde zu füttern.

»Hallo, Pferde. Guten Morgen!«, rief er, als er die Tür öffnete. Alle Pferde schnaubten zur Begrüßung und scharrten vor Freude mit den Hufen. Artus verteilte das Futter und streichelte seinem Lieblingspferd Goblin noch einmal über den Nasenrücken, bevor er die große Stalltür wieder schloss. Dann schaufelte Artus den Weg zur Zugbrücke frei und auch noch den Wehrgang. Denn dort müssen die Wachen auf und ab gehen und aufpassen, dass niemand die Burg angreift. Und das hätte jederzeit passieren können. Denn seit König Uther vor einigen Jahren gestorben war, gab es ständig Krieg im Land. Sir Ector hatte es Artus erzählt.

Jeder englische Ritter, jeder Lord und jeder König wollte König Uthers Nachfolger werden. Denn Uther Pendragon war nicht nur ein König, sondern der Hochkönig von England gewesen. Er war eine Art Oberkönig, der Herrscher über andere Könige und deren Reiche.

Aber Uther Pendragon hatte keinen Erben ernannt, und Kinder hatte er nicht. Und so stritten und kämpften die Lords untereinander um den Thron. Ritter gegen Ritter. König gegen König. Sie überfielen sich gegenseitig und zerstörten ihre Burgen. Dabei kam es auch vor, dass sie ganze Dörfer anzündeten und die Felder und Äcker verwüsteten, sodass die Bauern nichts mehr anbauen konnten und bald nichts mehr zu essen hatten. Die Bauern nicht und auch nicht die Ritter.

Artus konnte nicht verstehen, dass die Lords so große Not über das Reich brachten, nur um Hochkönig zu werden. Und doch war immer noch keiner dieser Ritter stark und mächtig genug, um den Kampf zu gewinnen und sich so zum neuen König zu machen.

Die Kämpfe der Ritter waren aber nur das eine Unheil. Mindestens genauso gefährlich waren die Überfälle fremder Krieger. Nordmänner nannte Sir Ector sie. Ganze Horden von ihnen kamen mit Schiffen über das kalte Meer nach England. Man wusste nie, wann es so weit war. Manchmal blieb monatelang alles ruhig. Aber dann, ganz plötzlich, waren sie da. Wie ein böser Sturm fegten sie über das Land. Sie raubten und mordeten. Dann, so schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden die Nordmänner wieder. Wie ein Gewitter, das vorüberzieht.

Vor diesen Kriegern hatte Artus so große Angst, dass er manchmal nachts nicht schlafen konnte. Dann lag er in seinem Bett und hörte auf das Geräusch des Windes, der um die Burgzinnen heulte. Und oft genug glaubte er, darin das Flüstern fremder Stimmen zu hören und das Klirren von Waffen.

Es waren aber keine Nordmänner, die Artus an diesem Morgen von der Burgmauer aus entdeckte. Auch keine feindlichen Ritter, sondern ein einzelner Reiter auf einem Pferd. Sein Mantel flatterte im Wind, als er den Burghügel hinaufgaloppierte.

Artus ließ sofort die Schneeschaufel fallen. Er schlitterte den Wehrgang entlang, die Stufen hinunter in den Hof und rannte in die große Halle.

»Vater, Vater, wir bekommen Besuch.«

Es kam selten vor, dass Fremde auf Burg Cynwrig kamen. Dazu war die Burg zu abgelegen. Die Wälder drum herum waren voller Räuber und das Wetter in dieser Gegend meistens schlecht. Außerdem war Sir Ector weder besonders reich noch besonders berühmt.

Was also wollte der Fremde? Wer war er? Woher kam er? Und was konnte ihn dazu bringen, mitten im Winter eine so gefährliche Reise zu unternehmen? Artus wusste es nicht, aber eines war ihm klar: Es musste etwas sehr Wichtiges sein.

 

Eigentlich wäre es Artus’ Aufgabe gewesen, den fremden Ritter willkommen zu heißen. Ihm den Mantel abzunehmen und ihm etwas zu trinken anzubieten. All das aber hatte er plötzlich vergessen. Er stand einfach neben seinem Vater und seinem Bruder Kay und starrte den Fremden an, als dieser die Halle betrat.

»Ich bin ein Bote aus London«, sagte der große Mann und verneigte sich leicht vor Sir Ector. Sein schwarzer Mantel reichte bis auf den Boden. Darunter schimmerte ein Kettenhemd, und am Gürtel trug der Mann ein langes Schwert. »Der Bischof von Canterbury schickt mich.«

Artus hätte bestimmt noch lange so dagestanden und die Waffen des Fremden bewundert, wenn Sir Ector ihn nicht angestoßen hätte.

»Artus, bring unserem Gast einen Becher heißen Wein«, sagte Sir Ector und bot dem Fremden einen Platz am Feuer an. »Was ist so wichtig, dass Ihr mitten im Winter hierherkommt?«

Der bärtige Mann setzte sich und rieb sich die kalten Finger. »Der Bischof fordert alle Ritter und Edlen Englands auf, am Neujahrstag nach London zu kommen. Mit Gottes Hilfe werden wir schon bald einen neuen König haben.«

Beinahe hätte Artus den dampfenden Wein verschüttet.

»Einen neuen König, sagt Ihr?« Sir Ector blickte den Fremden nachdenklich an. »Schon bald?« Etwas lag in seinem Blick, das Artus noch nie zuvor an seinem Vater gesehen hatte. Eine Mischung aus Angst, Trauer und Sorge. Aber was sollte seinem Vater solchen Kummer bereiten?

»Wer sollte das sein, dieser neue König?«, fragte Kay und riss Artus aus seinen Gedanken.

»Das weiß niemand«, sagte der Bote, »es heißt aber, dass wir ihn durch ein Wunder erkennen werden. Außerdem wird am Neujahrstag ein großes Turnier in London stattfinden. Alle Ritter des Landes sind eingeladen.«

Artus liebte Turniere! Einige Male schon hatte er als Knappe seinen Vater begleiten dürfen. Artus wusste also, wie es bei einem Turnier zugeht: Lauter edle Ritter treffen sich zu einem Wettkampf, um herauszufinden, wer der beste Kämpfer unter ihnen ist. Es gibt Gaukler und Musikanten und eine Menge guter Dinge zu essen. Das allein reichte normalerweise schon, um Artus überglücklich zu machen. Aber diesmal war da noch etwas anderes. Denn diesmal sollte nicht nur ein Turnier stattfinden, sondern ein Wunder sollte geschehen.

Artus hatte noch nie ein Wunder erlebt, und eigentlich wusste er nicht einmal genau, was er sich unter einem Wunder vorstellen sollte. Und wie das alles mit dem neuen Hochkönig von England zusammenhängen sollte, war ihm auch nicht klar. Aber der Bote hatte es gesagt. Durch ein Wunder würden sie den neuen König erkennen.

»Vielleicht erscheint der neue König ja aus dem Nichts, wie ein Gespenst?«, sagte Artus zu Kay, als sie an diesem Abend ins Bett gingen. Seit der Bote weg war, redeten sie über nichts anderes mehr.

»Unsinn! Das hat was mit dem Turnier zu tun. Bestimmt wird der Sieger des Turniers auch König!«, antwortete Kay und blies die Kerze aus. »Und vielleicht ist es ja jemand, mit dem keiner gerechnet hat.«

Das Wunder

Eigentlich sind alle Marktplätze gleich. Überall und schon immer.

Ein großer Patz mit Häusern drum herum und mit einer Kirche. Der Marktplatz von London aber war viel größer als alle anderen Marktplätze. Und erst die Kirche! Wie eine düstere Burg sah sie aus. Mit einem hohen Glockenturm, der sich bedrohlich in den grauen Winterhimmel reckte. Vom Marktplatz führten breite Treppen hinauf zum Eingang der Kirche.

Es war der Morgen des Neujahrstages. Der Tag, an dem das Wunder geschehen sollte. Und es war bitterkalt. Hierher, auf den großen Marktplatz vor die St.-Pauls-Kirche, hatte der Erzbischof von Canterbury alle Adligen des Reiches bestellt. Und fast alle waren gekommen. Da standen sie und froren und atmeten kleine Dampfwolken in die Morgenluft. Manche trugen pelzbesetzte Umhänge und goldene Ketten um den Hals, andere prachtvolle Rüstungen. Aber alle machten sie grimmige Gesichter.

Denn es war ja so, dass sich die meisten Ritter und Lords untereinander gar nicht leiden konnten. Jeder von ihnen wollte selbst gerne der neue König von England werden. Manche hatten sich sogar schon gegenseitig überfallen. Aber jetzt standen sie da, alle nebeneinander, und warteten auf das Wunder. Artus wartete auch, zusammen mit Sir Ector und Kay. Sie standen ganz hinten, am Rand des Marktplatzes.

»Wissen die Männer Bescheid?«, sagte ein großer, fetter Mann gerade zu einem Burschen. Sie standen genau vor Artus, sodass er jedes Wort verstehen konnte.

»Sie sind überall verteilt, und jeder hat sein Schwert dabei, wie Ihr es befohlen habt, Mylord!«, antwortete der Bursche und deutete in die Menge. »Auf Euer Zeichen schlagen sie los.«

Der dicke Mann drückte dem Jungen ein Goldstück in die Hand.

»Schön. Wunderkönig hin oder her. Wenn alles gelingt, wird dieser Wunderkönig heute selbst noch ein Wunder erleben.« Der Mann lachte, dass sein ganzer Körper wackelte. Und da begriff Artus plötzlich, was er gerade mitangehört hatte. Eine Verschwörung! Sobald der neue König sich zeigen würde, würde der dicke Mann gegen ihn kämpfen. Und was noch schlimmer war: Der Dicke war nicht alleine! Er hatte seine Männer mitgebracht. Irgendwo in der Menge standen sie und warteten nur auf das Zeichen zum Angriff. Die Männer würden ihre Waffen ziehen und losschlagen, und der neue König würde tot sein, bevor er seine Krone aufsetzen konnte. Das also bedeutete es, ein König zu sein. Ein König hat Feinde, auch wenn er sie gar nicht kennt und ihnen nie etwas zuleide getan hat. Ein König hat Feinde, weil er der König ist und die anderen es nicht sind. Artus atmete auf. Wie gut, dass er nur ein Knappe war und niemals König werden konnte. Trotzdem musste er etwas tun. »Kay«, flüsterte Artus, »wir müssen hier weg. Wir müssen zum Erzbischof. Der König darf sich hier nicht zeigen.«

Aber Kay verstand wie so oft mal wieder gar nichts. »Artus, du bist ein Esel. Wir haben doch noch gar keinen König.«

Artus hätte ihm gerne alles erklärt, aber dazu kam er nicht mehr. Denn genau in diesem Augenblick fingen die Kirchenglocken an zu läuten. So laut, dass der Boden zitterte. In diesem Dröhnen konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen, und außerdem wollte Artus auch gar nicht schreien. Nicht, solange der fette Mann immer noch genau vor ihm stand.

Dann wurde es still. Die Kirchentüren öffneten sich, und der Erzbischof von Canterbury kam heraus. Er war klein und ging gebeugt. Sein weißer, goldbestickter Mantel schleifte über den Boden, als er nach vorn trat. Von der obersten Stufe herab betrachtete er die Menge und rieb sich die kalten Hände. Dann sagte er:

»Lords von England! Wir sind hier, um unseren neuen König zu krönen!«

Sofort wurde es unruhig auf dem Marktplatz.

»Wer ist es?«, schrie eine Männerstimme.

»Nehmt mich! Ich bin der Reichste von allen!«, brüllte eine andere, und viele weitere Rufe kamen dazu.

»Das Land braucht einen klugen König, außerdem bin ich beliebt!«

»Ich sage, der Sieger des Turniers wird König!«

»Ich bin’s! Ich bin der Richtige, weil ich so tapfer bin!«

Alle schrien durcheinander. Endlich hob der Bischof die Hände, und es wurde wieder still. »Gott wird uns zeigen, wer der neue König ist.«

Vielleicht war es Artus in der ganzen Aufregung nur nicht aufgefallen, aber plötzlich stand ein zweiter Mann neben dem Bischof. Er trug einen grauen Mantel, sein Bart reichte ihm bis zum Gürtel, und er hatte einen Hut auf dem Kopf. In der Hand hielt er einen langen Stock. Mit dem klopfte er jetzt auf den Boden. Artus bekam eine Gänsehaut. Vielleicht, weil es so kalt war und der Wind durch seine Wollhosen blies, vielleicht aber auch, weil die Augen des Alten ihn gestreift hatten. Augen, wie Artus sie noch nie an einem Menschen gesehen hatte. Eisblau und sonderbar strahlend und so klar wie ein Gebirgssee. Vielleicht war das ja der neue König?

Aber das zumindest war er nicht, denn jetzt sagte der Alte:

»Es steht schon lange fest, wer der neue König wird. Er ist unter euch, in diesem Moment.«

Der Alte bewegte eine Hand, und mit einem Mal war es so hell, dass Artus nichts mehr sehen konnte. Genau so, wie wenn ein kräftiger Blitz den dunklen Gewitterhimmel erhellt. Als Artus wieder sehen konnte, lag auf dem Marktplatz, genau vor der Kirchentreppe, ein Felsbrocken. Und in dem Felsbrocken steckte ein goldenes Schwert. Die Klinge war so weit hineingetrieben, dass nur noch der Griff herausragte.

»Wer dieses Schwert aus dem Stein ziehen kann, der ist der neue und rechtmäßige König von England«, sagte der Alte.

Das Turnier

Auf dem Marktplatz vor der St.-Pauls-Kirche hatte sich eine lange Schlange gebildet. Das Turnier war erst einmal vergessen. Alle Ritter des Landes wollten versuchten, das Schwert aus dem Stein zu ziehen und so der neue König von England zu werden.

Um die Ritter herum drängten sich die Zuschauer. Männer, Frauen und Kinder, Alte und Junge. Auch der Mann mit dem Bart und dem langen Stock stand noch immer auf der obersten Kirchenstufe. Alle wollten dabei sein, wenn das Wunder geschah. Aber niemand schaffte es, das Schwert im Stein auch nur zu bewegen.

Ein Ritter in einer roten Rüstung zerrte so heftig, dass auch sein Gesicht dunkelrot anlief. Ein anderer versuchte, das Schwert mit einem Hammer aus dem Felsblock herauszuschlagen. Aber sosehr der Ritter auch darauf einschlug, von dem Felsen splitterte nicht ein winziges Stück ab.