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Die Aufgabe des Schaffenden besteht darin, Gesetze aufzustellen, und nicht, Gesetzen zu folgen

Ferruccio Busoni

Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst

Für Adelheid und Martin

Ulrich Siegele

Johann Sebastian Bach komponiert Zeit

Tempo und Dauer in seiner Musik

Band 4

Tänze und Suiten

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© 2018 Ulrich Siegele

Autor: Ulrich Siegele

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN:

978-3-7469-1532-6 (Paperback)

978-3-7469-1533-3 (Hardcover)

978-3-7469-1534-0 (e-Book)

Umschlagabbildung: Wilhei

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

TÄNZE FÜR TASTENINSTRUMENTE

Die Stammsätze

Zur Orientierung

Allemande, Courante, Sarabande

Corrente und Gigue

Canarie und Loure – ein Exkurs

Die Galanterien

Menuet

Gavotte und Bourrée, Passepied

Die freien Stücke

Das Capriccio

Eine Systematik der Tanzarten

SUITEN FÜR TASTENINSTRUMENTE

Die Englischen Suiten

Die normative Disposition und ihre Darstellung

Die vier Préludes in Rahmenform

Die Ausführung der Rahmenform

Das Prélude der vierten Suite
Das Prélude der zweiten Suite
Das Prélude der fünften Suite
Das Prélude der sechsten Suite
Allgemeine Merkmale

Die beiden anderen Préludes

Das Prélude der ersten Suite
Das Prélude der dritten Suite
Die Ordnung der Tonarten

Die sechs Suiten und ihre Tanzsätze

Die erste Suite
Die dritte Suite
Die von der vierten Suite gesetzte Norm
Die zweite, fünfte und sechste Suite
Die Struktur der Disposition

Die Französischen Suiten

Unterschiede

Die Disposition

Die drei kürzeren Suiten

Die drei längeren Suiten

Die Suiten Es-Dur (BWV 819/819a) und a-Moll (BWV 818/818a)

Die Französischen Suiten als Werk

Die Partiten

Die Disposition des Werks

Der ökonomische Gesichtspunkt

Der grafische Gesichtspunkt

Frühere Fassungen und spätere Ergänzungen

Die Disposition der einzelnen Partiten

Die beiden verkürzten Partiten I und III
Die beiden mittleren Partiten II und V
Die beiden gedehnten Partiten IV und VI

Konstruktion und Individualität

Dramaturgie der Zeitstruktur

Tempostufen und Bewegungsgrade
Die beiden verkürzten Partiten I und III
Die beiden mittleren Partiten II und V
Die beiden gedehnten Partiten IV und VI

Die drei Fugen der Partiten VI, II und IV

Die Fuge der Partita VI
Die Fuge der Partita II
Die Fuge der Partita IV

TÄNZE UND SUITEN FÜR ANDERE BESETZUNGEN

Die Suiten für Violoncello

Aspekte der Disposition

Taktvorzeichnung und Tempostufe

Die Aufgabe
Die Galanterien
Prélude und Allemande
Courante, Sarabande, Gigue

Die Disposition der einzelnen Suiten

Die Fuge der fünften Suite

Die Partiten für Violine

Die dritte Partita

Die erste Partita

Die zweite Partita

Anhang: Das Solo für Querflöte

Die Ouvertüren

Eingangssatz und Tanzsätze

Die Tanzsätze

Die Eingangssätze

Der Rahmen
BWV 1066
BWV 1067
BWV 1069
BWV 1068
Die Ouvertüre der Klavierübung II
Gemeinsamkeiten

Die einzelnen Satzfolgen

Die Satzfolgen und ihre Gliederung

Ausblick: Die Inventionen und Sinfonien

Kompositorische Eigenschaften

Die Disposition der beiden Hälften

Ein Lehrbuch

Verzeichnis der zitierten Literatur

Vorwort

Die Tänze der Suiten Bachs zeigen beispielhaft einerseits die Herausbildung von Satztypen und die Variationsbreite ihrer Merkmale, andererseits die Zusammenfügung dieser Satztypen zu bestimmten Satzfolgen. Zugleich eignet jeder Art der Tänze ein individuelles Tempo, das durch die Tradition gegeben ist. Somit steht der vorliegende vierte Band der Reihe über Tempo und Dauer in Bachs Musik vor zwei grundlegenden Fragen: Wo fügt sich ein jeder Tanz in das System des Bachschen Tempos ein? Und: Wie sind die Satzfolgen, die die Satztypen bilden, organisiert?

Die drei Werke für Tasteninstrumente, nämlich die Englischen und die Französischen Suiten, dazu die Partiten, sind aufeinander bezogen und bilden eine Gruppe; dabei sind wie in der Neuen Bach-Ausgabe den Französischen Suiten die beiden Suiten in a-Moll und Es-Dur zugeordnet. Die Untersuchung der Werke dieser Gruppe ist in zwei Teile, die Tänze und die Suiten, gegliedert, auch wenn das gelegentlich zur Verdoppelung einer Aussage führt. Jedoch werden so zunächst das Gemeinsame jeder Tanzart und hierauf die Eigenart eines jeden der drei Werke sichtbar.

Die Suiten für andere Besetzungen umschließen solistische Besetzungen für Violoncello, Violine und Querflöte, von denen allerdings nur die Suiten für Violoncello die Sechszahl eines Werks erreichen; dazu treten die Ouvertüren für Ensemble (üblicherweise Orchestersuiten genannt). Bei diesen Suiten in anderen Besetzungen ist die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Gruppe nicht gegeben. Deshalb fasst ein dritter Teil für jede Besetzung die Betrachtung der Tänze und der daraus gebildeten Suiten in eins zusammen. Die Ouvertüre der Klavierübung II ist, obwohl für ein Tasteninstrument bestimmt, den Ouvertüren für Ensemble zugeordnet, weil im Zusammenhang dieser Gattung ihre Eigenheiten deutlicher hervortreten.

Taktart und Tempostufe sind die beiden Merkmale, die im Allgemeinen die Art eines Tanzes bestimmen. Die Taktart nennt die metrische Gliederung des Takts; die Zuordnung zu einer der sechs Tempostufen der Bachschen Musik fixiert die Stellung des gegebenen Takts im zeitlichen Ablauf. Diese beiden Bestimmungen sind in der Überschrift, die jedem Tanz vorangestellt ist, vereinigt. Das bedeutet einen Vorzug gegenüber allen sonstigen Gattungen. Denn der Name eines Tanzes erteilt Auskunft über die Taktart und die Tempostufe, denen er jeweils zugehört. Die Taktart ist am Beginn des Notentexts ausdrücklich genannt, nicht dagegen die Tempostufe. Das Ziel ist deshalb, den regulären Ort jeder Tanzart innerhalb der sechs Tempostufen zu bestimmen. Zur raschen Orientierung ist die Übersicht über die Tempostufen in derselben Form wie in früheren Bänden am Ende des Vorworts beigegeben.

Zu Taktart und Tempostufe tritt als drittes Merkmal der Bewegungsgrad. Der Bewegungsgrad ergibt sich aus der Multiplikation der Tempostufe mit der Zahl der Unterteilungswerte ihres Bezugswerts. Wenn also in einem Takt zu vier Vierteln der Tempostufe p, die sich auf das Viertel bezieht, dieses Viertel in vier Sechzehntel unterteilt ist, folgt daraus der Bewegungsgrad 4 p. Oder: Wenn in einem Takt zu drei Achteln der Tempostufe 3 p, die sich auf das Achtel bezieht, dieses Achtel in zwei Sechzehntel unterteilt ist, folgt daraus der Bewegungsgrad 6 p. Obwohl die reguläre Skala der Bewegungsgrade von 2 p bis 12 p reicht, sind 4 p und 6 p die beiden häufigsten Bewegungsgrade, die für die Organisation einer Satzfolge, nämlich die Dramaturgie ihrer Zeitstruktur, eine Rolle spielen.

Tatsächlich gibt es zwei Fälle, in denen eine Tanzart nicht durch eine einzige Taktart und Tempostufe, sondern durch zwei oder drei Taktarten und Tempostufen bestimmt ist; gerade hier aber bildet jeweils der Bewegungsgrad das gemeinsame Merkmal, das die unterschiedlichen Ausprägungen zusammenhält. Er stimmt in den beiden Tanzarten überein und bleibt aufgrund der unterschiedlichen Mechanismen, nach denen in jeder von beiden die Taktart und Tempostufe wechseln, stets gleich. Das bedeutet, dass der Bewegungsgrad dem Zusammenwirken von Taktart und Tempostufe vorgeordnet ist und das Ergebnis steuert. Die Kombinationen von Taktart und Tempostufe sind das Mittel, mit dem er sich realisiert; denn er lässt nur die Kombinationen von Taktart und Tempostufe zu, die jeweils seinen Wert ergeben. Insofern gilt ein Bewegungsgrad auch für die übrigen Tanzarten; sie sind allerdings auf seine regulative, einheitsstiftende Funktion nicht angewiesen, da die Kombination von Taktart und Tempostufe innerhalb jeder dieser Tanzarten stets gleichbleibt.

Jedoch zeigt sich, dass der Wechsel der Taktvorzeichnung, insbesondere zwischen dem undurchstrichenen und dem durchstrichenen Halbkreis, kein zuverlässiges Merkmal darstellt. Insofern bleibt als einziges gültiges Mittel, um Bewegungsgrad, Tempostufe und Taktart zu bestimmen, der Name des Tanzes, der stets beigeschrieben ist. Er gibt über die Einordnung in das Raster der zeitlichen Möglichkeiten erschöpfende Auskunft. Um das zu belegen und den Vergleich der einzelnen Tänze einer Art zu ermöglichen, sind später in den Notenbeispielen die Incipits der Tänze nach ihren Namen zusammengestellt. Diese genaue Fixierung der zeitlichen Einordnung durch den Namen eines Tanzes ist die Voraussetzung für Angaben wie „Tempo di Minuetta“, nämlich im Maß eines Menuets, ohne dass es sich im strengen Sinn um ein Menuet handelt.

Im Übrigen gibt es von den regulären Werten in allen Bereichen seltene Ausnahmen, die indessen den üblichen Modifikationen zuzurechnen sind und innerhalb der Tänze für Tasteninstrumente nur in bestimmt umgrenzten Fällen die Tempostufe berühren. Die Suiten sind in zwei Gattungen gegliedert, in Suiten ohne ein eigens notiertes Prélude und Suiten, denen ein solches Prélude vorangestellt ist. Obwohl diese Préludes nicht eigentlich zu den Tänzen zählen, habe ich ihrer Besprechung oft reichlichen Raum gewährt, zumal sie innerhalb einer Suite meistens in einem proportionalen Verhältnis zur Folge der Tanzsätze stehen. Die Tanzsätze der Suiten sind ihrerseits in die Stammsätze und die Galanterien gegliedert; auf der Seite der Stammsätze stehen Allemande, Courante und Corrente, Sarabande, Gigue, auf der Seite der Galanterien, um nur die wichtigen Arten zu nennen, Menuet, Gavotte, Bourrée, Passepied, dazu die freien, nicht an Tänze gebundenen Stücke.

Der hier vorgelegte Entwurf beruht auf einer fundamentalen Annahme, die auch den anderen Bänden der Reihe zugrunde liegt und der gängigen Praxis diametral widerstreitet. Er geht von der Voraussetzung aus, dass, abgesehen von den seltenen Ausnahmen und Modifikationen, die Tänze einer Art nicht nur ein und derselben Taktart, sondern auch ein und derselben Tempostufe angehören. Den einzelnen Tänzen einer Tanzart liegt deren Satztypus gewissermaßen als Archetypus zugrunde.

Diese Vorstellung betont zunächst das Allgemeine und Allgemeinverbindliche, während die gängige Praxis vor allem das Individuelle hervorzuheben pflegt. Die individuelle Ausprägung geht indessen nicht im Allgemeinen des Typus unter, sondern daraus hervor. Taktart und Tempostufe stehen zwar fest; auf dieser Grundlage aber entfaltet sich die einmalige Ausprägung, die zwar nicht die strukturelle Basis verändern, wohl aber die darauf errichtete Ausarbeitung individualisieren kann. Es geht also darum, ein anderes Beziehungssystem von Allgemeinem und Besonderem wiederzugewinnen und zu akzeptieren.

Was darunter zu verstehen ist, werden diejenigen wahrnehmen, die sich der Mühe unterziehen, die Tänze einer Tanzart der Reihe nach auf der gegebenen Tempostufe zu lesen oder zu spielen. Nach einer derartigen Vorbereitung kann dann auch die differenzierte Folgerichtigkeit der Satztypen einer Suite einleuchten. Dafür bietet die Studie ihre Hilfe an.

Unter anderen Gesichtspunkten haben sich zwei Bücher in anregender Weise näher mit dem Tanz in Bachs Musik befasst; das eine stammt von Doris Finke-Hecklinger (Tanzcharaktere in Johann Sebastian Bachs Vokalmusik, Trossingen 1970, Tübinger Bach-Studien 6), das andere von Meredith Little und Natalie Jenne (Dance and the Music of J. S. Bach, Expanded Edition, Bloomington 2001). Auf Dezember 2013 hatte mich Helmut Loos zur Riemann-Vorlesung nach Leipzig eingeladen, wo ich einen ersten Versuch über das Thema des vorliegenden Bands vorgetragen habe. Eine kurze Zusammenfassung über die Tempostufen der Tänze findet sich im letzten Abschnitt meines Beitrags Compositional Technique zu dem von Robin A. Leaver herausgegebenen Sammelband The Routledge Research Companion to Johann Sebastian Bach (Abingdon und New York 2017, S. 398–434). Ruth Tatlow hat, mit freundlicher Genehmigung des Verlags und des Herausgebers, diesen letzten und den vorletzten Abschnitt als Vorabdruck in die online-Publikation Understanding Bach 11 (2016), S. 67–82 aufgenommen (http://www.bachnetwork.co.uk/understanding-bach/ub11/). Ihnen allen gilt mein Dank. Er schließt Siegbert Rampe ein, mit dem ich mich regelmäßig über den Fortgang der Arbeit unterhalten habe, und richtet sich, wie immer, besonders an meine stets verlässliche Gesprächspartnerin Linda Maria Koldau für ihre freundschaftliche Unterstützung und unbestechliche Kritik.

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TÄNZE FÜR TASTENINSTRUMENTE

Die Stammsätze

Zur Orientierung

Die Tanzarten der Suiten gliedern sich in Stammsätze und Galanterien. Zwar gibt es gute Gründe, den Begriff der Galanterien auf alle Tanzsätze der Suite zu beziehen. Mit Rücksicht auf eine rasche Verständigung mache ich indessen von der alternativen Möglichkeit Gebrauch, unter dem Begriff die Tanzsätze zusammenzufassen, die keine Stammsätze sind, und sie so von diesen zu unterscheiden.

Die Stammsätze umfassen die Allemande, die Courante oder die Corrente, die Sarabande und die Gigue. Allemande, Courante und Sarabande bilden die eine, Corrente und Gigue die andere der zwei Gruppen, in die die Stammsätze unterteilt sind.

Die Notenbeispiele, die hier folgen, beziehen sich auf die Tänze der Englischen und Französischen Suiten und der Partiten der Klavierübung I, die mit E, F, P und der hinzugefügten Zählung abgekürzt sind; die den Französischen Suiten zugeordneten Suiten in a-Moll und Es-Dur werden mit ihren BWV-Nummern 818 und 819 benannt.

Die Notenbeispiele verzeichnen jeweils die Incipits der Tänze einer Art der Reihe nach, zunächst der Stammsätze, später der Galanterien. Die Incipits zitieren stets die Oberstimme, obwohl es auch wünschenswert sein könnte, den vollständigen Tonsatz einzufügen. Jedoch würde das mehr Platz benötigen, was die Übersichtlichkeit einschränkte. Denn es kommt darauf an, möglichst viele Tänze einer Art mit einem Blick übersehen und vergleichen zu können. Darauf nämlich zielen die Notenbeispiele ab; sie sollen einerseits das Gemeinsame einer Tanzart, andererseits die Abweichungen von ihrer Norm veranschaulichen.

Der erläuternde Text thematisiert die fundamentalen Gesichtspunkte. Sein Ergebnis führt schließlich zu einer Systematik der Tänze, die den Suiten der drei Sechsergruppen einbeschrieben ist.

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Allemande, Courante, Sarabande

Die Allemande eröffnet als erster Stammsatz stets die Reihe der Tänze. Dieser eröffnenden Funktion wird sie durch ihre Norm gerecht; denn sie zeigt den Normaltakt zu vier Vierteln und die prinzipielle Tempostufe p. Als Taktvorzeichnung steht der undurchstrichene Halbkreis (mit Ausnahme von P II, wo er durch den durchstrichenen Halbkreis ersetzt ist, ohne dass das die Tempostufe beeinflusst). Der Bezugswert des Viertels wird in der Regel in vier Sechzehntel unterteilt; das führt zum Bewegungsgrad 4 p. Die Sechzehntel ergänzen sich, wenn nicht in einer Stimme, so doch im Satz, zu einer durchgehenden Bewegung. Die Allemande repräsentiert die Normalität; als Ausgangspunkt der Folge der Tänze zeigt sie keine hervortretenden Merkmale.

Allerdings wird diese Normalität von sechs Allemanden überhöht. Zwei, E IV und P V, führen Sechzehnteltriolen ein und steigern den Bewegungsgrad auf 6 p, drei, F II, P III und P VI, führen Zweiunddreißigstel ein und steigern den Bewegungsgrad auf 8 p; eine schließlich, P IV, fügt beide kleinere Notenwerte hinzu. Je eine dieser Allemanden befindet sich unter den Englischen und den Französischen Suiten und kann innerhalb ihrer Sechsergruppe als Ausnahme gewertet werden. In den Partiten dagegen nimmt die Einführung der kleineren Notenwerte den Charakter einer Modifikation an; sie erfolgt nach den im Bewegungsgrad normalen Allemanden der ersten und zweiten Partita bei den übrigen vier Partiten. Die Allemanden der dritten und sechsten Partita tragen die Diminution am weitesten; diese beiden Partiten eröffnen das Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach von 1725, waren also vor Beginn der Publikation der Klavierübung I bereits vorhanden. Die Allemanden besonders der vierten, aber auch der fünften Partita dagegen schlagen den Weg der Individualisierung ein, der die Partiten der Klavierübung I auszeichnet.

An der Stelle des zweiten Stammsatzes stehen Courante oder Corrente, die beide in einem einfachen Dreiertakt notiert sind. Das offenkundige Merkmal des Unterschieds besteht darin, dass die französische Courante stets, die italienische Corrente nie den 3/2-Takt zeigt. Diese Unterscheidung hat Vorrang vor der Bezeichnung; denn häufig wird auch eine Corrente als Courante bezeichnet, nie jedoch eine Courante als Corrente. Von den drei Suitensammlungen für ein Tasteninstrument enthalten die Englischen Suiten nur Couranten, die Französischen Suiten auch Correnten, die aber weiterhin Courante genannt werden; erst in den Partiten kommt der Unterschied auch terminologisch zum Vorschein. In der chronologischen Abfolge der drei Sammlungen treten die Correnten neben die Couranten, ohne sie jedoch abzulösen; auch nach dem Hinzutritt der Correnten leben die Couranten weiterhin fort.

Hier geht es zunächst um die Couranten. Für ihren 3/2-Takt gilt stets die Tempostufe p, bezogen auf die Halbe. Die Halben sind regulär in vier Achtel unterteilt. Der Bewegungsgrad der französischen Couranten beträgt somit 4 p. Gelegentlich kommen, zumal als Diminution, auch Sechzehntel vor, wodurch sich der Bewegungsgrad momentan auf 8 p erhöht. Die Allemanden und die Couranten unterstehen beide der Tempostufe p, die sich bei den Allemanden auf das Viertel, bei den Couranten auf die Halbe bezieht. Folglich unterscheiden sich die beiden Arten der Tänze hauptsächlich in einem einzigen Punkt. Die Allemanden stehen in einem Takt zu vier, die Couranten in einem Takt zu drei Bezugswerten der gemeinsamen Tempostufe p.

Die Suite E I ist in einer Frühfassung überliefert, die ebenso wie die spätere Fassung zwei Couranten enthält. Die zweite dieser Couranten zeigt in den beiden Fassungen eine unterschiedliche Anordnung. In der Frühfassung folgt auf die Courante, deren Bass in durchgehende Achtel diminuiert ist, die Courante precedent avec la Basse Simple. In der endgültigen Fassung steht diese Courante mit vereinfachtem Bass an erster Stelle, gefolgt zunächst von einem neuen Double I, das zahlreiche Sechzehntel bietet, und danach von dem Double II, das den Bass mit durchgehenden Achteln enthält und in der Frühfassung an erster Stelle stand. In F III ist die Taktvorzeichnung ausnahmsweise durch 6/4 ersetzt, ohne dass ein Einfluss auf die Tempostufe besteht. P II und P IV sind mit Sechzehnteln versehen, die den Zweiunddreißigsteln in den Allemanden der Partiten entsprechen.

Die Sarabande an dritter Stelle der Stammsätze steht im 3/4-Takt, der bisweilen durch die Vorzeichnung einer 3 gekennzeichnet ist (E III Les agréments, F IV, BWV 818); die Tempostufe p bezieht sich auf das Viertel. Die Sarabande der Suite E VI ist ausnahmsweise im 3/2-Takt notiert, was der leichteren Notierbarkeit und besseren Übersichtlichkeit des hinzugefügten Doubles zuzuschreiben ist; die Tempostufe p bezieht sich hier auf die Halbe. Es könnte scheinen, als entspräche generell die Sarabande einen Notenwert kleiner der Courante. Jedoch weisen die Sarabanden E II und F I darauf hin, dass die unverzierte Grundform der Sarabande den Bezugswert des Viertels nur in zwei Achtel unterteilt, also den Bewegungsgrad 2 p repräsentiert. Courante und Sarabande bieten also die gleiche Tempostufe p und den gleichen Takt von drei Bezugswerten, der nur bei der Courante einen Notenwert größer, bei der Sarabande einen Notenwert kleiner notiert ist; der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass der Bezugswert in der Courante vierfach, in der Grundform der Sarabande zweifach unterteilt ist.

Wie die agréments der Sarabanden E II und E III ausdrücklich erklären, kann die Grundform einer Sarabande mit Diminutionen versehen werden. Auch in den anderen Sarabanden scheint die Grundform teils deutlicher, teils weniger deutlich durch, sind die Diminutionen teils karger, teils reicher ausgearbeitet. Das Zweite gilt besonders für die Partiten. Dort zeigen P IV und P VI zwei verschiedene Arten der Diminution, die sich in P IV auf die Oberstimme bezieht und in P VI im Verlauf des Stücks den Satz durchzieht; hier ist sie zeitweise am weitesten überhaupt, nämlich bis zu 64steln (oder der überschießenden Tempostufe 16 p) vorangetrieben.

Die erste Gruppe der Stammsätze untersteht durchgängig der Tempostufe p. Sie bezieht sich bei der Allemande auf die Viertel eines Takts zu vier Bezugswerten, bei der Courante auf die Halben eines Takts zu drei Bezugswerten und bei der Sarabande auf die Viertel eines Takts zu drei Bezugswerten. Beim Übergang von der Allemande zur Courante wird der Takt von vier Bezugswerten in den Takt zu drei Bezugswerten geändert; die Unterteilung der Bezugswerte in vier dagegen bleibt erhalten. Beim Übergang von der Courante zur Sarabande bleibt der Takt zu drei Bezugswerten erhalten; die Unterteilung der Bezugswerte dagegen wird von vier in der Courante auf zwei in der Grundform der Sarabande vermindert, auch wenn die Diminution weitere Unterteilungen vornehmen kann. Auf diese Weise sind die drei Tanzarten der Gruppe einerseits miteinander verbunden, andererseits voneinander unterschieden.

 

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Corrente und Gigue

Die Gruppe von Corrente und Gigue ist dadurch gekennzeichnet, dass jede der beiden Tanzarten nicht nur einer einzigen Taktart und Tempostufe angehört. Die Corrente umfasst drei, die Gigue zwei Taktarten und Tempostufen, die jedoch nicht frei nebeneinanderstehen, sondern in jeder der beiden Tanzarten eigentümlich aufeinander und auf den gemeinsamen Bewegungsgrad bezogen sind.

Die Correnten rücken statt der Couranten an die zweite Stelle der Stammsätze. Sie werden in der Regel im 3/4-Takt notiert, der in drei verschiedenen Ausprägungen erscheint. Diese unterschiedlichen Ausprägungen beziehen sich auf die Unterteilungen des Bezugswerts dieses Takts; denn seine Viertel können entweder zwei Achtel oder drei triolierte Achtel oder vier Sechzehntel enthalten. Im Gegenzug zur steigenden Zahl der Unterteilungswerte fallen die Tempostufen. Der Unterteilung in zwei Achtel ist die Tempostufe 3 p, der Unterteilung in drei triolierte Achtel die Tempostufe 2 p, der Unterteilung in vier Sechzehntel die Tempostufe 3/2 p zugeordnet. Diese Wechselbeziehung hat den stets gleichen Bewegungsgrad zur Folge. Er beträgt 6 p und fungiert als gemeinsames Merkmal der italienischen Correnten, die dadurch von den französischen Couranten und deren Bewegungsgrad 4 p abgehoben sind.

Die erste Art der Unterteilung in zwei Achtel mit der Tempostufe 3 p wird von F II verkörpert. Ein zweites Beispiel findet sich in P V. Es bildet darin eine Ausnahme, dass es den Satztypus nicht im 3/4-Takt, sondern einen Notenwert kleiner im 3/8-Takt notiert; entsprechend bezieht sich die Tempostufe 3 p nicht auf das Viertel, sondern auf das Achtel. Ob diese Änderung der Notationsform dadurch beeinflusst ist, dass die Partita im Druck veröffentlicht wurde, muss offenbleiben. Die zweite Art der Unterteilung in drei Achteltriolen mit der Tempostufe 2 p ist in F IV und P I belegt. Die dritte Art der Unterteilung in vier Sechzehntel mit der Tempostufe 3/2 p erscheint in F V und F VI, den beiden Französischen Suiten, die, anschließend an den Beginn der Allemande von F V, in Leipzig nachkomponiert worden sind.

Eine Ausnahme bilden die Correnten von P III und P VI. Beide Correnten beziehen sich auf die erste Art der Unterteilung in zwei Werte mit der Tempostufe 3 p, P III auf die Norm im 3/4-Takt, P VI auf die Ausnahme im 3/8-Takt. In beiden Fällen werden die Unterteilungswerte der Zählzeit ein weiteres Mal unterteilt, bei P III die beiden Achtel in vier Sechzehntel, bei P VI die beiden Sechzehntel in vier Zweiunddreißigstel, wo überdies in beträchtlichem Umfang Synkopen hinzutreten. Das veranlasst die Mäßigung der Tempostufe um einen Grad von 3 p auf 2 p, was zu einer Beschleunigung des Bewegungsgrads von 6 p auf 8 p führt. Auch bei den Correnten bringen die beiden Partiten, die bereits im Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach von 1725 enthalten sind, eine Beschleunigung des Bewegungsgrads mit sich.

Die Giguen bilden üblicherweise den vierten Stammsatz und Abschluss einer Suite. Sie lassen sich in zwei Typen gliedern, die beide im Ergebnis den Bewegungsgrad 6 p zeigen. Die Typen unterscheiden sich jedoch in dem Weg, auf dem sie das Ergebnis erreichen. Beide gehen von dem prinzipiellen Wert p aus. Der eine Typus unterteilt den prinzipiellen Wert zunächst in drei Werte, jeden dieser Unterteilungswerte hierauf in zwei Werte; daraus folgt als Tempostufe für jeden der Unterteilungswerte 3 p. Der andere Typus unterteilt den prinzipiellen Wert zunächst in zwei Werte, jeden dieser Unterteilungswerte hierauf in drei Werte; daraus folgt als Tempostufe für jeden seiner Unterteilungswerte 2 p. Die Reihenfolge der beiden Schritte der Unterteilung ist also zwischen den beiden Typen vertauscht; 3 – 2 beim ersten und 2 – 3 beim anderen Typus stehen einander gegenüber. Die unterschiedliche Reihenfolge der Schritte führt jedoch zu ein und demselben Ziel, dem Bewegungsgrad 6 p, der zugleich eine Verwandtschaft zu den Correnten stiftet.

Die beiden Typen und die ihnen zugeordneten Tempostufen sind eindeutig gekennzeichnet. Der erste Typus wird im 3/8-Takt notiert, der zum 6/8-Takt verdoppelt und, wie später zu zeigen ist, in einer der Partiten für Violine allein sogar zum 12/8-Takt vervierfacht werden kann; die vorherrschenden Notenwerte sind duolisch gruppierte Sechzehntel. Dieser Typus untersteht der Tempostufe 3 p, bezogen auf das Achtel. Hierher gehören zwei Giguen der Englischen Suiten (E I und E V), drei der Französischen Suiten (F II, F III und F VI) und eine der Partiten (P V). Von den Giguen der Französischen Suiten zeigt eine (F II) die Merkmale der Canarie; über diese Sonderform und ihre Beziehung zur Loure handelt der anschließende Exkurs.

Der zweite Typus im 6/8- oder 12/8-, auch 12/16-Takt untersteht der Tempostufe 2 p, bezogen auf eine Dreiergruppe, je nachdem der Achtel oder der Sechzehntel. Dieser Typus erscheint in zwei Formen; die eine zeigt sich, wenn auch meist imitatorisch, so doch eher monodisch, die andere fugiert. Notiert wird die monodische Form im 6/8- und 12/8-Takt in je einer der Englischen Suiten (E II und E IV) und, ausnahmsweise unter dem Zeichen C im triolisch unterteilten 4/4-Takt, in einer der Partiten (P I). Die fugierte Form bedient sich des 12/8-Takts in je einer der Englischen Suiten und der Partiten (E III und P III) und des 12/16-Takts in je einer der Englischen und der Französischen Suiten (E VI und F V); der 9/16-Takt einer der Partiten verkürzt die vier triolisch unterteilten Werte ausnahmsweise auf drei (P IV). Die Englischen Suiten folgen einer bemerkenswerte Systematik: Von den Giguen sind je zwei dem ersten Typus und den beiden Formen des zweiten Typus zugewiesen, und zwar jeweils eine in einer der beiden regulären Taktarten.

In den Giguen des zweiten Typus ist der Notenwert, aus dem die Dreiergruppen bestehen, der kleinste Notenwert, der vorkommt; er wird generell nicht unterschritten. Nur die Gigue der Partita III umspielt die Schlussakkorde der beiden Reprisen einen Notenwert kleiner. Jedoch machen die Giguen zweier Suiten, die dem zweiten Typus zugehören, eine Ausnahme; denn sie enthalten Sechzehntel, die dieser Typus sonst meidet. Davon sind die Giguen einer der Französischen Suiten (F IV) in geringerem und einer der Suiten aus ihrem Umkreis (BWV 818 und 818a) in größerem Umfang betroffen.

In F IV findet sich in sieben Takten jeweils zweimal unmittelbar nacheinander das rhythmische Modell eines Achtels gefolgt von vier stufenweise fallenden Sechzehnteln (T. 19 und dreifach am Ende beider Reprisen T. 23–25, 57– 59), außerdem zweimal je dreimal aufeinanderfolgend das rhythmische Modell eines punktierten Achtels und dreier Sechzehntel als Vorbereitung eines Viertels mit Triller samt zwei Sechzehnteln seines Nachschlags (T. 30–32, 51–53), schließlich zweimal in einem auftaktigen Achtel eine Auszierung, an der hier und dort ein Sechzehntel und zwei Zweiunddreißigstel beteiligt sind (T. 20 und 44).

In BWV 818 erscheint das rhythmische Modell eines Achtels gefolgt von vier Sechzehnteln häufiger, die Sechzehntel nicht nur stufenweise fallend, sondern auch in Form eine Doppelschlags, außerdem paarige Sechzehntel an erster und zweiter Stelle einer triolischen Gruppe, vor allem aber durchgehende Sechzehntel über sieben Zählzeiten (T. 28b–31), die, nahe der oberen Grenze des Tastenumfangs beginnend, bis zu seiner unteren Grenze hinabstürzen (an der Stelle, wo in T. 30 die linke die rechte Hand ablöst, eine bemerkenswerte Verbesserung der jüngeren gegenüber der älteren Gestalt). Alle diese Sechzehntel, besonders aber der eben angeführte ausgedehnte Lauf, lassen es wenig einleuchtend erscheinen, dass hier die dem zweiten Typus eigene Tempostufe 2 p für das punktierte Viertel zutrifft; denn die Sechzehntel erreichten dann den extremen Bewegungsgrad 12 p. Deshalb ist anzunehmen, dass die Tempostufe auf 3/2 p retardiert wird; das ergibt für die Sechzehntel den Bewegungsgrad 9 p, der immer noch eine Beschleunigung um die Hälfte gegenüber dem regulären Bewegungsgrad 6 p bedeutet. Diese Anhebung des Bewegungsgrads von 6 p um die Hälfte auf 9 p unterscheidet die Sonderfälle der Giguen von den Sonderfällen der Correnten, die den Bewegungsgrad von 6 p nur um ein Drittel auf 8 p anheben.

Eine weitere Sonderform wird von den zwei Giguen F I und P VI repräsentiert. Sie sind dadurch charakterisiert, dass sie im geraden Takt notiert sind, die Gigue F I zu vier Vierteln und in den Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach von 1722 und 1725 unter dem durchstrichenen, in der allgemeinen Überlieferung unter dem undurchstrichenen Halbkreis. Die Gigue von P VI ist im Klavierbüchlein von 1725 ebenfalls zu vier Vierteln unter dem durchstrichenen Halbkreis notiert, in der gedruckten Veröffentlichung der Klavierübung I jedoch eine Notenklasse größer zu vier Halben unter dem durchstrichenen vollen Kreis. Diese Verdoppelung der Notenwerte erfolgte vermutlich aus ökonomischen Gründen, um den Stich zu vereinfachen und zu verbilligen, vielleicht auch aus grafischen Gründen, um das Notenbild übersichtlicher zu machen; auf die Tempostufe bleibt die Maßnahme jedenfalls ohne Einfluss.

Diese beiden Giguen ersetzen die Unterteilung der Schlagzeit des punktierten Viertels in drei triolische Achtel durch die vierfache Unterteilung der Schlagzeit des Viertels in vier Sechzehntel oder der Halben in vier Achtel. Diese Änderung der Unterteilung der Schlagzeit veranlasst hier ebenfalls die Retardierung der Tempostufe von 2 p auf 3/2 p (worauf übrigens auch der durchstrichene Halbkreis in den beiden Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach hinweist). Die vierfache Unterteilung der Schlagzeit unter der Tempostufe 3/2 p führt ebenso wie die dreifache Unterteilung der Schlagzeit unter der Tempostufe 2 p zum Bewegungsgrad 6 p, der somit beibehalten wird. Infolgedessen verschärft sich das triolische Verhältnis 2:1 auf das Verhältnis der Punktierung 3:1. Häufig jedoch wird die Schlagzeit achtfach unterteilt, was für diese Unterteilungswerte, von denen allerdings nie mehr als vier in Folge meist stufenweise auftreten, den extremen Bewegungsgrad 12 p ergibt. Sie kommen in beiden Giguen vor, markant in F I in der Form, dass von den acht Unterteilungswerten fünf auf einen Ton und drei auf drei einzeln folgende Töne entfallen. Die Gigue von P VI stellt, wenngleich vor Beginn der Publikation überliefert, einen satz- und spieltechnischen Höhepunkt der Klavierübung I dar.

Canarie und Loure – ein Exkurs

Der Exkurs weicht in zwei Punkten von den Grundsätzen des Kapitels ab; er beschränkt sich nicht auf eine Tanzart, sondern vergleicht zwei Tanzarten, und er beschränkt sich nicht auf Tänze für Tasteninstrumente, sondern bezieht Tänze anderer Besetzungen ein. Das Ziel ist, das Verhältnis der zwei Tanzarten Canarie und Loure zu klären.

Das Notenbeispiel geht von der Gigue der zweiten Französischen Suite aus. Die Gigue zeigt den hüpfenden Rhythmus einer Canarie, der innerhalb eines 3/8-Takts ein punktiertes Achtel, ein Sechzehntel und ein Achtel aneinanderreiht; sie beginnt mit dem Auftakt eines Sechzehntels und eines Achtels, sodass die Figur auf dem punktierten Achtel im Niederschlag des folgenden Takts endet. Dieses rhythmische Muster tritt beinahe durchgehend auf, entweder in beiden Stimmen zugleich oder wenigstens in einer von beiden. Die Gigue der Ouvertüre der Klavierübung II fasst zwei 3/8-Takte zu einem 6/8-Takt zusammen; sie bietet die gleiche Bildung des Auftakts und eine ähnliche Verteilung des rhythmischen Musters. Die Gigue der fünften Suite für Violoncello allein begnügt sich mit dem Auftakt eines Viertels, hält aber den hüpfenden Rhythmus weitgehend durch. Allerdings teilt sie das letzte Achtel des 3/8-Takts häufig in zwei Sechzehntel, die zusammen mit dem vorhergehenden Sechzehntel stufenweise aufeinanderfolgen und dabei meistens den ersten Ton des nächsten Takts umspielen. Wenn für die Ouvertüre der Klavierübung II die Frühfassung in c-Moll gewählt wird, stehen alle drei Giguen in dieser Tonart. Die Variation 7 der Goldberg-Variationen, in Bachs Handexemplar mit der autografen Beischrift al tempo di Giga versehen, muss innerhalb der Reihe der Variationen selbstverständlich auf diese Tonart und den Auftakt verzichten, beharrt aber im 6/8-Takt auf dem charakteristischen Rhythmus und fügt zudem Tiraden in Zweiunddreißigsteln ein, die meistens steigen und ebenso in der Gigue der Klavierübung II hervortreten (vgl. Bd. 1 dieser Reihe, S. 163–166).

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Wenn mit diesen Giguen in der Art einer Canarie die beiden Beispiele einer Loure in der Partita III für Violine allein und der fünften Französischen Suite verglichen werden, bieten sie, einen Notenwert größer im 6/4-Takt notiert, Merkmale der Canarie. Ja, die Oberstimme der Loure der fünften Französischen Suite stimmt am Anfang mit der Oberstimme der Gigue der Ouvertüre der Klavierübung II einen Notenwert größer rhythmisch genau überein. Die Tempostufe der Canarie beträgt 3 p, die Tempostufe der Loure 3/2 p. Die Loure zeigt die verdoppelten Notenwerte und die halbierte Tempostufe der Canarie, die Canarie die halbierten Notenwerte und die verdoppelte Tempostufe der Loure.

Die Galanterien

Menuet

Die vier Stammsätze der Suite, Allemande, Courante oder Corrente, Sarabande und Gigue, haben einen obligaten Status; sie sind, von seltenen Ausnahmen abgesehen, stets vorhanden. Die Galanterien dagegen haben einen fakultativen Status; sie können vorhanden sein oder fehlen. Wenn sie vorhanden sind, befindet sich ihr normaler Ort zwischen den beiden letzten Stammsätzen, zwischen Sarabande und Gigue. Die Zahl der Galanterien schwankt; häufig bilden sie Paare alternierender Sätze. Außer der im vorhergehenden Exkurs erwähnten Loure sind als Galanterien zu nennen Menuet, Gavotte, Bourrée und Passepied. Davon ist das Menuet die Tanzart, die unter den Galanterien der hier betrachteten Suiten am häufigsten vorkommt; es erreicht die gleiche Anzahl der Auftritte wie Gavotte, Bourrée und Passepied zusammen. Zu diesen Tanzsätzen treten freie Stücke, die keine Tanzsätze sind, aber den Status der Galanterien einnehmen; sie werden oft als Air bezeichnet.

Das Menuet steht regulär im 3/4-Takt; die Taktvorzeichnung kann zwischen 3/4 und einer bloßen 3 in verschiedenen Stücken und selbst bei ein und demselben Stück in verschiedenen Fassungen und Überlieferungen schwanken; wenn das der Fall ist, wird es im Notenbeispiel vermerkt. Die Tempostufe beträgt 2 p, bezogen auf das Viertel. Das Viertel pflegt in zwei Achtel unterteilt zu werden, die so den Bewegungsgrad 4 p repräsentieren. Demnach kann das Menuet als rasches Gegenstück zur Sarabande betrachtet werden, die, beim gleichen Bezugswert des Viertels, die halbe Tempostufe p und in ihrer Grundform den halben Bewegungsgrad 2 p zeigt. Die Bewegung des Menuets verläuft häufig in durchgehenden Achteln, die sich auf eine Stimme konzentrieren oder sich zwischen zwei Stimmen des Satzes ergänzen können.

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Die Häufigkeit des Menuets verteilt sich ungleich auf die verschiedenen Folgen der Suiten. In den Englischen Suiten fügt sich stets zwischen Sarabande und Gigue das alternierende Paar einer Art der Galanterien ein. Gegenüber den je zwei Paaren der Gavotte und der Bourrée und dem einen Paar des Passepieds erscheint das Menuet in E IV ebenfalls als einzelnes Paar. Es tritt gegenüber den anderen Arten der Galanterien eher zurück, jedenfalls nicht auffällig hervor.

Das ändert sich fundamental in den Französischen Suiten. Dort bietet jede der sechs Suiten ein alternatives Paar von Menuets, allerdings mit zwei Ausnahmen; die fünfte Suite verzichtet ganz auf diese Art der Galanterie, die vierte begnügt sich aus einem an anderer Stelle anzudeutenden Grund mit einem einzelnen Menuet. Bemerkenswert aber ist, dass die Menuets von drei der mittleren Suiten auf Nachträgen beruhen (während für die erste und die sechste Suite die Überlieferung diesbezüglich die Auskunft verweigert). Die Nachträge erfolgen entweder bereits im Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach von 1722 (abgekürzt AMB 1722) oder in der jüngeren Gestalt der Fassung B. Die beiden Möglichkeiten äußern sich in den einzelnen Suiten so, wie im Notenbeispiel vermerkt: F II Menuet I in einem ersten Nachtrag in AMB 1722, Menuet II in einem zweiten Nachtrag in Fassung B; F III beide Menuets in einem Nachtrag in AMB 1722; F IV in einem Nachtrag in Fassung B. Bei F VI erscheint die Polonaise der Fassung A in Fassung B als Menuet polonais und gibt auf diese Weise Auskunft über die Tempostufe des Satzes; das Petit Menuet ist vermutlich als am Ende nachgetragener Alternativsatz des Menuet polonais einzuordnen.

Die erste Partita bietet zwei Menuets. Da jedoch ein entsprechender Vermerk fehlt, muss offenbleiben, ob die beiden Menuets als Alternativsätze (mit Wiederholung des zweiten nach dem ersten) oder als zwei einzelstehende Galanterien (ohne eine solche Wiederholung) zu verstehen sind. Das erste Menuet zeigt Zweistimmigkeit und die Bewegungsform in durchgehenden Achteln, während sich das zweite sowohl durch die Vierstimmigkeit als auch durch die Bewegung in Vierteln vor allen anderen Menuets heraushebt. Auch die drei anderen Menuets der Partiten lassen Besonderheiten erkennen. Die Burlesca von P III (im Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach von 1725 als Menuet bezeichnet, was zugleich die Tempostufe nennt) ist zwei- bis dreistimmig und steigert die Bewegung zu durchgehenden Sechzehnteln (vielleicht ein Anlass für die Umbenennung).

Das Menuet von P IV ist durch die Steigerung von der Zwei- bis zur Freistimmigkeit und der Bewegung vom Bezugswert der Viertel über Achtel bis zu Achteltriolen bemerkenswert. Darin ist ihm das nachgetragene Menuet der jüngeren Gestalt der Suite BWV 818a ähnlich, das einen Notenwert kleiner im 3/8-Takt notiert ist und die Tempostufe 2 p auf das Achtel bezieht. Es bietet ebenfalls die Steigerung von der Zwei- bis zur Freistimmigkeit, nimmt allerdings den Bezugswert der Achtel zurück und konzentriert sich auf Sechzehntel und Sechzehnteltriolen. Am weitesten entfernt sich der Tempo di Minuetta überschriebene Satz in P V von der Norm. Er verläuft weithin einstimmig und akzentuiert die Bewegung der Achtel in zweimal drei; nur die Kadenzen sind durch Dreistimmigkeit und Gliederung in dreimal zwei hervorgehoben. In der Suite BWV 819 ist das Trio des Menuets in der Variante es-Moll durch die durchgeführte Dreistimmigkeit zweier Oberstimmen über einem Bass, der hauptsächlich die Achtelbewegung unterhält, zu notieren.

Gavotte und Bourrée, Passepied

Gavotte und Bourrée verfügen beide über die gleiche Taktart, nämlich unter der Vorzeichnung einer 2 oder des durchstrichenen Halbkreises, über einen Takt zu zwei Halben, ferner über die gleiche Tempostufe, nämlich 3/2 p, bezogen auf die Halbe, schließlich, infolge der normalen Teilung der Halben in vier Achtel, über den gleichen Bewegungsgrad 6 p. In diesen drei Merkmalen stimmen die beiden Tanzarten überein; aufgrund dieser drei Merkmale lassen sie sich nicht unterscheiden. Um eine Unterscheidung vornehmen zu können, ist ein Gesichtspunkt heranzuziehen, der bisher unberücksichtigt geblieben ist, weil die anderen Tanzarten nach den drei genannten Merkmalen unterschieden werden können. Das bedeutet indessen nicht, dass er bei den anderen Tanzarten nicht vorhanden und unwichtig wäre; vielmehr weise ich mit Nachdruck auf diesen Gesichtspunkt hin, auch wenn ich nur hier Anlass habe, ihn zu berücksichtigen. Es handelt sich um die innere metrische Gliederung.

Im folgenden Notenbeispiel sind die ersten Reprisen der ersten Gavotte aus E III und der zweiten Bourrée aus E II übereinandergestellt. In beiden Stücken umfassen die ersten Reprisen acht Takte; die ersten und zweiten vier Takte sind jeweils auf die beiden Zeilen aufgeteilt. Dabei wiederholt in beiden Tänzen die erste Hälfte der zweiten die erste Hälfte der ersten Zeile. Den ausgearbeiteten Beispielen liegen zwei charakteristische Muster zugrunde, um die es geht.

Die Gavotte beginnt in der Mitte eines Takts auf dem Schlag. Auf jeden vierten Schlag fällt die Ultima einer Kadenz, die schwächer oder stärker ausgebildet ist; dieser vierte, gerade Schlag ist der erste Schlag eines Takts und somit in einem zweizeitigen Takt der reguläre Ort für die Ultima einer Kadenz. Die Ultima wird während dieses vierten Schlags ausgehalten, wie das im Notenbeispiel unter dem System angedeutet ist. Der nächste, fünfte Schlag ist der erste Schlag der nächsten Vierergruppe der Schläge, weshalb er im Notenbeispiel durch einen doppelten Taktstrich nach dem vierten Schlag abgetrennt ist; er fällt wieder in die Mitte eines Takts.

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Die Bourrée beginnt, vorbereitet durch einen Auftakt, auf dem Schlag, und zwar auf dem Schlag am Beginn eines Takts. Daraus folgt, dass die Ultima der Kadenz auf jeden dritten Schlag fällt; denn dieser dritte, ungerade Schlag ist hier der erste Schlag eines Takts und somit der Ort für die Ultima der Kadenz im zweizeitigen Takt. Die Ultima wird während dieses dritten Schlags in den vierten Schlag hinein ausgehalten, bis der Auftakt der nächsten Vierergruppe eintritt; deren erster Schlag fällt wieder auf den Beginn eines Takts. Die beiden gegensätzlichen Muster markieren den Unterschied zwischen Gavotte und Bourrée.1

Gavotte und Bourrée sind in den Englischen Suiten mit je zwei Paaren vertreten, die Gavotte in E III und E VI, die Bourrée in E I und E II (während E IV von einem Paar der Menuets, E V von einem Paar der Passepieds beansprucht wird). In beiden Paaren der Gavotte stimmen die ersten vier Schläge der beiden zusammengehörigen Sätze rhythmisch überein, wie im nächsten Notenbeispiel zu sehen ist. In den Französischen Suiten ist das Verhältnis zwischen den beiden Tanzarten weniger ausgeglichen. Die beiden ersten Suiten werden völlig ausgespart. Die Gavotte erscheint in vier Suiten, nämlich F III bis F VI, die Bourrée in zwei Suiten, nämlich den beiden letzten, wozu noch die Suite BWV 819/819a hinzukommt.

Die Gavotte in F III macht insofern eine Ausnahme, als sie auf dem ersten Schlag eines Takts beginnt; vielleicht ist das der Grund, dass sie später als Anglaise bezeichnet wird. Die Gavotte der Suite F V ist im Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach von 1722 und in Fassung B mit dem durchstrichenen Halbkreis, in Fassung A mit dem undurchstrichenen Halbkreis versehen; diese Verteilung könnte als Hinweis darauf verstanden werden, dass ein Wechsel der Taktvorzeichnung auch auf die Gewohnheit eines Schreibers (oder seiner Vorlage) zurückgehen kann. Hier scheint die Änderung des durchstrichenen Halbkreises, der für Bachs Autograf und auch für Fassung B bezeugt ist, in den undurchstrichenen Halbkreis der Fassung A auf einer Gewohnheit Altnickols oder seiner Vorlage zu beruhen, von wem sie auch geschrieben sei. Die Suite F VI ist im Klavierbüchlein zwar nicht enthalten, bietet aber für die Gavotte in der Fassung B und der Fassung A die gleichen Verhältnisse wie F V, sodass auf ein entsprechendes Verhältnis geschlossen werden kann.

In der Suite F V, die gewiss, und der Suite F VI, die wahrscheinlich erst in Leipzig nachkomponiert worden sind, heben sich die Gavotten in der genannten Weise von den übrigen Gavotten, die alle die Taktvorzeichnung 2 tragen, ab. Die Bourrée von F V stimmt in dieser Hinsicht mit den Gavotten überein, während die Bourrée von F VI die übliche Vorzeichnung einer 2 trägt. Ähnlich bietet die Bourrée der Suite BWV 819 in der älteren Gestalt den undurchstrichenen Halbkreis, in der jüngeren Fassung eine 2. Die Nachlässigkeit, die sich hierin äußert, deutet darauf hin, dass bei den Tanzarten der Suiten für die Tempostufe nicht die Taktvorzeichnung maßgebend ist, sondern der Titel eines Tanzes.

Der Auftritt von Gavotten und Bourréen ist in den Englischen Suiten mit vier und vier ausgewogen. In den Französischen Suiten dagegen überwiegen die Gavotten; hier beträgt das Verhältnis der beiden Tanzarten vier zu zwei. Denn für die Gavotten von F III und F IV bieten die Bourréen keine Entsprechung; wohl aber verbindet der gemeinsame Auftritt der beiden Tanzarten die beiden nachkomponierten Suiten F V und F VI. Mit dem Abschluss der Sechszahl der Französischen Suiten findet auch die Komposition von Gavotten und Bourréen ein Ende; die Partiten verzichten auf diese beiden Tanzarten. Denn es bereitet Schwierigkeiten, den Tempo di GavottaTempo di Gavotta