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Fotos: Angie Hasselmann

Satz & Gestaltung: Verena Kessel

Lektorat: Lisa-Marie Adams

ISBN Taschenbuch

978-3-86476-102-7

ISBN E-Book EPUB

978-3-86476-650-3

ISBN E-Book PDF

978-3-86476-651-0

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Verlag Waldkirch KG

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© Verlag Waldkirch Mannheim, 2018

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags.

Angie Hasselmann

Der Caminho ist das Ziel

Mein Jakobsweg zurück ins Leben

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Inhalt

München – Porto

Porto – Matosinhos

Lavra – Póvoa de Varzim

Póvoa de Varzim – Rio Alto

Rio Alto – Marinhas

Marinhas – Viana do Castelo

Viana do Castelo – Caminha

Caminha – Vila Nova de Cerveira

Vila Nova de Cerveira – Tui

Tui – O Porriño

O Porriño – Redondela

Redondela – Pontevedra

Pontevedra – Caldas de Reis

Caldas de Reis – Kloster Herbón

Kloster Herbón – Teo

Faramello – Santiago

Santiago

Santiago – Fisterra

Fisterra – Santiago

Santiago – Porto

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München – Porto

Es ist 4:45 Uhr morgens und mein Mann bringt mich zum Flughafen München. Endlich soll mein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehen: Der Jakobsweg. Für mich wird es nur die abgespeckte Version sein, nämlich der Caminho Português. Ich habe mich entschieden, den Weg von Porto bis Santiago de Compostela, eine Strecke von etwas mehr als zweihundert Kilometern, alleine zu gehen. Ich war der festen Meinung, nur so kann ich es schaffen. Aber jetzt, im Morgengrauen vor dem Flughafen, bin ich mir nicht mehr ganz so sicher.

Seit meiner Brustkrebserkrankung bin ich körperlich immer noch nicht so belastbar, von meinen kognitiven Fähigkeiten mal ganz zu schweigen.

Der Abschied von meinem Mann wird sehr rührselig. Er drückt mich nochmal ganz fest an sich und ich muss ein paar Tränen im Ärmel meiner Fleecejacke verschwinden lassen.

Selbstbewusstsein mimend gehe ich hoch erhobenen Hauptes mit meinem zehn Kilogramm schweren Rucksack durch die Glastür des Terminals. Weniger Gewicht war einfach nicht drin. Ich bin schließlich eine Frau.

Dort sehe ich zum Glück schon den Check-in meiner Billigfluglinie. Den Namen des Fluganbieters hatte ich vorher noch nie gehört. Mein Vielfliegersohn Sven verzog skeptisch das Gesicht, als ich ihm davon berichtet habe.

„Bei welchem Seelenverkäufer hast du jetzt wieder angeheuert?“, war seine Reaktion.

Aber ich will unser Familienbudget nicht durch unnötige Gebühren strapazieren. Und die waren echt die günstigsten. Außerdem startet der Direktflug in der Früh um 6:30 Uhr, wodurch ich einen kompletten Tag zur Verfügung habe, um mir Porto anzusehen.

Als ich den Schalter für Porto suche, muss ich erkennen, dass die ganze Horde, die hier bereits zwei Stunden vor Abflug ansteht, sowohl nach Sevilla als auch nach Porto will. Die zwei Damen am Check-in kämpfen also gegen das hoffnungslose Unterfangen an, zwei Flieger, die nahezu zeitgleich starten sollen, mit lediglich zwei Schaltern abzufertigen.

Außer mir sind noch einige weitere Passagiere mit Rucksack unterwegs. Vermutlich alles Jakobspilger. Die Rucksäcke machen das Abfertigen auch nicht unbedingt leichter und die Besitzer werden erstmal zum Sperrgutschalter geschickt.

Hinter mir erscheint ein junges Pärchen, ebenfalls mit Rucksack. Sofort kommen wir ins Gespräch. Auch sie wollen den Caminho Português pilgern. Im Gegensatz zu mir wollen sie allerdings heute schon loslaufen. In ihrem Alter war ich auch noch dynamisch.

Ich hingegen habe in einer Pension ein Einzelzimmer reserviert. Noch eine letzte Nacht ein Zimmer und eine Dusche für mich allein. Die nächsten Nächte werden wohl anders aussehen.

Unser Gespräch ist recht kurzweilig und es ist mittlerweile 6 Uhr, aber die Schlange am Schalter ist noch nicht wirklich kürzer geworden. So langsam werden die Passagiere ungeduldig.

In dem Moment erscheint eine resolute Dame in der Uniform der Luftlinie, fischt alle Passagiere nach Sevilla aus der Menge und leitet sie an zwei neu eröffnete Schalter um. Dort richten sich gerade zwei Damen vom Bodenpersonal ein. Und nun geht es ruckzuck. Auch bei uns wird jetzt auf Geschwindigkeit gesetzt. Die Rucksäcke müssen nicht mehr ins Sperrgut, sondern werden nur noch in bereitgestellte Wannen geworfen. Wird schon gut gehen.

Nach dem Check-in werden wir durch die Personenkontrolle gehetzt, denn der Flieger soll in zwanzig Minuten starten. Eigentlich müsste ich noch zur Toilette, aber wir können unmittelbar zum Boarding weiter. Also verkneife ich mir ein dringendes Bedürfnis und stürme mit den anderen den Flieger.

Pünktlich um 6:30 Uhr starten wir. Wer hätte das gedacht? Ich schaue mich wohlwollend um. Ein funkelnagelneuer Flieger und sehr guter Service. So exklusiv bin ich schon lange nicht mehr geflogen.

Nach der pünktlichen Landung warte ich etwas ängstlich auf meinen Rucksack am Förderband, denn ich bin ein gebranntes Kind. Bei meiner letzten Reise in die Türkei musste ich zwei Tage auf meinen verlorengegangenen Koffer warten. Das würde in diesem Fall schon mal eine Verzögerung von mindestens zwei Tagen bedeuten, was mein Zeitmanagement erheblich durcheinanderbringen würde, da ich den Rückflug bereits gebucht habe. Aber heute läuft alles gut und ich erspähe schon meinen Rucksack. Er hat in der Plastikwanne den Transport unbeschadet überstanden.

Auch die Beschilderung zur Metro ist richtig ausführlich, und am Fahrkartenschalter erwartet mich die nächste Überraschung: Eine junge nordafrikanische Frau in neongelber Warnweste fragt mich, ob sie mich beim Fahrkartenkauf unterstützen darf. Ja, bitte. Mit ihrer Hilfe entscheide ich mich für ein Tagesticket, das mit sieben Euro mein bescheidenes Pilgerbudget nicht zu sehr strapaziert. Außerdem versorgt sie mich sofort mit einem kostenlosen Stadtplan und einem Plan für die Metro. Des Weiteren erklärt sie mir, mit welcher Linie ich am besten zu meiner Unterkunft komme. So ein Service. Da kann sich der Münchner MVV wirklich eine Scheibe von abschneiden, sowohl im Kundendienst wie im Preis. Unsere in München lebenden Söhne erzählen ständig davon, dass sie völlig überforderten Touristen helfen, ein passendes Ticket auszuwählen. In der Metro entscheide ich mich dann, doch zuerst zur Kathedrale zu fahren, denn um 11 Uhr ist dort Pilgermesse.

Neben mir sitzt eine junge Frau, ebenfalls mit großem Rucksack. So kommen wir ganz schnell ins Gespräch. Auch sie läuft den Caminho und hat in der Innenstadt ein Bett in einem Hostel gebucht. Wir beschließen, gemeinsam in die Kathedrale zu gehen, um uns den Pilgersegen abzuholen. Leider steigen wir an der falschen Haltestelle aus und müssen uns anhand des Stadtplans mit den schweren Rucksäcken durch die steilen Straßen Portos schlagen. Langsam rinnt uns der Schweiß von der Stirn. Es ist Juli und mittlerweile schon nach 11 Uhr. Das geht ja gut los.

Als wir schließlich erschöpft und mit Verspätung in der Kathedrale ankommen, sind dort gerade mal zwei Touristen anwesend. Von wegen Pilgermesse. Resigniert lassen wir uns in die Kirchenbänke sinken.

Plötzlich geht ein Lächeln über das Gesicht meiner Mitpilgerin. Wir hatten in unserem Eifer völlig die Stunde Zeitverschiebung übersehen. Tja, kann ja mal passieren. Wir einigen uns darauf, die Zeit zu nutzen, um uns die Kathedrale genauer anzusehen und um etwas zur Ruhe zu kommen.

So langsam füllt sich das Gotteshaus. Außer uns sind noch drei junge Frauen mit Rucksack anwesend. Als der Priester erscheint, bittet er uns, nach vorne ins Chorgestühl zu kommen. Die Messe ist leider nicht übermäßig feierlich und auch der Pilgersegen fällt etwas dürftig aus. Das hatte ich mir anders vorgestellt.

Ernüchtert verlassen wir eine knappe Stunde später die Kirche, allerdings nicht ohne unseren ersten Stempel im Credencial, dem unverzichtbaren Pilgerausweis. Auf der Pilgerreise nach Santiago muss jeder Pilger zwei Stempel pro Wandertag vorweisen können, um am Ende die begehrte Compostela zu erhalten. Die Compostela dokumentiert – in Spanisch – wie viele Kilometer und Mühen der Pilger auf seinem Weg nach Santiago de Compostela absolviert hat. Außerdem sind das Datum und der Ort des Startes vermerkt. Die Stempel dafür erhält man in Kirchen, Herbergen, Touristeninformationen und auch in den Cafés und Restaurants am Wegesrand. Mein erster Stempel aus der Kathedrale sollte auch für längere Zeit der einzige mit christlichem Hintergrund bleiben. In der ersten Woche habe ich fast ausschließlich auf den angesteuerten Campingplätzen und in den Strandcafés am Morgen abgestempelt. Leider waren in den ersten Tagen die meisten Kirchen versperrt. Aber mir wurde der Caminho Português als sehr urban und nicht ganz so spirituell beschrieben. Letztendlich ist dies egal, denn den Camino Francés würde ich in meinem momentanen Zustand sowieso nicht schaffen. Allein die erste Etappe über die Pyrenäen: völlig undenkbar. Ich hoffe, ich habe mir mit dieser Pilgerreise nicht zu viel zugemutet. Aber sie ist so wichtig für mich.

Während der ganzen Zeit meiner zehnmonatigen Krebstherapie hat mich der Gedanke an den Jakobsweg aufrechterhalten. Die Therapie war wirklich nichts für Weicheier, wurde aber letztendlich vom Erfolg gekrönt. Wenn die Nebenwirkungen der Chemo mal besonders schlimm waren, habe ich mir immer wieder mein Mantra vorgesagt: „Wenn du das alles überstanden hast, pilgerst du nach Santiago.“

So begann ich bereits während den Bestrahlungen damit, mein Equipment für die Pilgerreise zusammenzustellen. Mein Mann hat mich die ganze Zeit in meinem Wunsch bestärkt und auch unterstützt. Und fast genau ein Jahr nach der Diagnosestellung stehe ich jetzt hier mit meinem Rucksack vor der Kathedrale von Porto.

Auf einmal laufen mir Tränen über die Wangen. Zum Glück ist meine Mitpilgerin gerade mit ihrem Schnürsenkel beschäftigt und merkt nichts von meiner Rührseligkeit. Nun ist der Moment gekommen, um uns zu trennen. Unsere Unterkünfte liegen in verschiedenen Richtungen. Wir wünschen uns also einen „bom caminho“, wie es auf Portugiesisch heißt. Ein Gruß, den ich in den nächsten drei Wochen noch ganz oft hören werde.

Mein Weg führt wieder zur nächsten Metrostation, meine Mitpilgerin hingegen kann zu Fuß zum Hostel gehen. Dank der guten Beschreibung der freundlichen Dame am Flughafen finde ich problemlos zu meiner Pension. Dort checke ich ein und bezahle gleich für die Nacht, da ich am nächsten Morgen sehr früh starten möchte, damit ich nicht in der sengenden Nachmittagssonne laufen muss.

Ich genieße die Ruhe in meinem Zimmer und nehme erst einmal eine ausgiebige Dusche. Da höre ich schon mein Handy klingeln. Mein Mann. Er sei schon ganz nervös, ob auch alles gut geklappt hat. Ich bin gerührt. Und ich habe auch ein schlechtes Gewissen. Eigentlich wollte ich ihm gleich nach der Landung eine SMS schicken, aber es ist alles so aufregend. Ich merke schon, dass mich alles viel mehr anstrengt und stresst als vor der Therapie. Wir plaudern noch kurz und dann verspreche ich, dass ich ihm abends noch eine WhatsApp-Nachricht schicke. Erschöpft falle ich kurz darauf in einen tiefen Schlaf. Eigentlich wollte ich noch ein wenig anhand des Stadtplans für den späten Nachmittag und Abend eine Stadttour planen, aber das muss jetzt warten.

Nach einem erholsamen und tiefen Mittagsschlaf mache ich mich fertig für die Stadtbesichtigung. Zurechtmachen ist jetzt schnell erledigt. Meine streichholzkurzen, noch reichlich flusigen Haare sind geschwind in Form gekämmt und allzu viel Garderobe gibt der Rucksack nicht her. Aber ich habe ein hübsches Strandkleid aus Mikrofaser dabei, pflegeleicht und formstabil. Etwas Eyeliner und Lippenpflegestift in Rosa, dazu die praktischen Trekkingsandalen in Türkis. Das muss reichen.

Mit der Metro fahre ich bis zum Bahnhof São Bento. Der Bahnhof ist eines der bekanntesten Bauwerke Portos. Die Eingangshalle schmücken 20.000 azurblaue Motivkacheln, welche aus dem frühen 20. Jahrhundert stammen. Sie stellen Szenen aus der Geschichte des Transportwesens und der Geschichte Portugals dar. Ausgiebig bestaune ich die herrlichen Bilder und lasse sie auf mich wirken.

Es ist schön, einfach Zeit zu haben. Ich bin alleine unterwegs und muss deshalb keinen festen Plan verwirklichen. Nun lasse ich mich durch die engen Gassen treiben, bis ich schließlich das Flussufer des Douro erreiche. Am Ufer dessen fährt die Electrico. Dies ist die dienstälteste Straßenbahn der iberischen Halbinsel. Das Ticket ist mit 2,50 Euro für die einfache Fahrt durchaus erschwinglich.

Gemeinsam mit vier älteren portugiesischen Frauen, die ausgelassen sind wie eine Mädchenklasse im Teenageralter, besteige ich die hölzerne Straßenbahn. Die Stimmung im Abteil ist fröhlich und im Abendrot rattert und schwankt die Bahn knapp eine halbe Stunde am Fluss entlang Richtung Meer. Ich genieße die Atmosphäre und das Nichtstun. Ein prima Einstieg in den Caminho. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühle ich mich nicht mehr als Patientin, sondern als Touristin, so wie all die anderen auch.

Nach der viel zu kurzen Fahrt suche ich ein preiswertes Lokal zum Abendessen. Dies ist der erste Moment des Tages, in dem mir so richtig bewusst wird, dass ich jetzt auf mich selbst gestellt bin. Ich war schon ewig nicht mehr allein abends in einem Lokal zum Essen. So fühle ich mich reichlich verloren inmitten der turbulenten Umgebung. Schnell schlinge ich mein Essen hinunter und fahre mit der Metro zurück zu meiner Unterkunft.

In meinem gemütlichen Zimmer fühle ich mich geborgen und dank des freien WiFis tausche ich mich lange mit meinem Mann per WhatsApp aus. Im Moment bin ich gar nicht mehr so selbstbewusst und bin mir auch nicht mehr sicher, ob ich den Herausforderungen des Weges wirklich gewachsen bin. Aber mein Mann hat erstens nicht mehr so viel Urlaub, um mich zu begleiten, und außerdem hat meine Erkrankung unsere Ehe auf eine harte Probe gestellt. Wir hatten zwar auch unglaublich viele schöne Momente miteinander, aber durch die große psychische Belastung und die Unsicherheit über meine Zukunft waren die Nerven oft bis zum Zerreißen gespannt. Gerade für mich, als bis dahin selbständige, berufstätige Ehefrau, war es unheimlich schwierig, plötzlich so hilflos und oft auch handlungsunfähig zu sein. Es ist nicht einfach, wenn man mit knapp dreiundfünfzig Jahren plötzlich auf Hilfe angewiesen ist. Während der Chemo gab es Tage, an denen mir mein Mann beim Duschen helfen musste, da ich es alleine nicht mehr geschafft habe. Für uns eine völlig neue Situation, mit der wir beide oft genug überfordert waren.

Ich glaube, genau deswegen will ich diese Reise auch alleine schaffen. Mir selbst beweisen, dass ich wieder gesund und leistungsfähig und auch eine eigenständige Persönlichkeit bin, die für sich selbst sorgen kann. Soweit die Theorie.

Schließlich falle ich in einen unruhigen Schlaf. Das ist gut so, denn am nächsten Morgen will ich bereits um 6 Uhr aus den Federn, da die erste Metro nach Matosinhos um 6:20 Uhr fährt.

Porto – Matosinhos

Die Nacht erscheint mir reichlich kurz als der Wecker klingelt, aber das Abenteuer beginnt. Also ziehe ich mich schnell an und packe meine Habseligkeiten in den Rucksack. Eine Tätigkeit, die mich die nächsten drei Wochen begleiten wird. Noch ein kurzer Blick in die Runde, denn es wäre ja fatal, wenn ich bereits am ersten Tag einen Teil meines Equipments vergessen würde.

Als ich pünktlich in meiner Metro nach Matosinhos sitze, empfinde ich den Beginn meiner Pilgerreise doch etwas unwürdig. Aber mein Sportsfreund Dieter, der bereits mehrere Jakobswege absolviert hat und über ein großes Maß an Erfahrung verfügt, hat mir dringend davon abgeraten, mich bereits am ersten Wandertag zu überfordern. Ich wollte heute bis zum Campingplatz von Lavra kommen, und das wären mit der Strecke durch Porto mindestens fünfundzwanzig Kilometer. Also eindeutig zu viel. Ich habe für mich fünfzehn bis maximal zwanzig Kilometer am Tag veranschlagt. Allerdings war vor Lavra aufgrund der Strandlage und der hohen Preise keine vernünftige freie Pilgerunterkunft zu haben, weshalb ich also schon am ersten Tag meiner Wanderung in der Metro sitze, zusammen mit unzähligen Portugiesen, die auf dem Weg zur Arbeit sind.

Voller Tatendrang steige ich in Matosinhos am Mercato aus der Metro aus. Auf meiner linken Seite breitet sich der Containerhafen aus, von einem Markt im herkömmlichen Sinn ist allerdings nichts zu sehen. Jetzt heißt es, gelbe Pfeile oder die Jakobsmuschel suchen. Laut meinem Führer muss ich hundert Meter am Markt vorbeilaufen, dann würde ein Kreisverkehr kommen und danach muss ich die Brücke von Matosinhos überqueren. Ich erreiche den Kreisverkehr und sehe dann links am Horizont eine Brücke. Munter marschiere ich drauflos. Klappt ganz gut.

Als ich jedoch in die Nähe der Brücke komme, muss ich erkennen, dass es sich um eine Autobahnbrücke handelt und in keiner Weise um die beschriebene Fußgängerbrücke. Tja, Fehlanzeige. Das geht ja schon gut los. Also wieder zurück. Hiermit habe ich schon den ersten vergeblichen Kilometer hinter mir. Aber wo ist meine Brücke? Ich frage einige der Passanten, was sich allerdings schwierig gestaltet, da sich mein Portugiesisch auf „obrigada“, das heißt „danke“, und „bom dia“, also „guten Tag“, beschränkt. Außerdem handelt es sich ausschließlich um Arbeiter, die eilig auf dem Weg zur Frühschicht sind. Wer ist auch sonst morgens um 6:30 Uhr unterwegs?

Endlich erbarmt sich ein junger Mann, der etwas Englisch spricht, und zeigt auf einen vermeintlichen Landungssteg. Dies wäre der Weg nach Lavra und hinter der Brücke müsste ich nach links. Als ich in Richtung Brücke laufe, erkenne ich, dass wohl die Metro genau darunter angehalten hat, und somit mein Blick darauf völlig versperrt war. Nun ja, jetzt bin ich ja da.

Beschwingt überquere ich den Douro und halte mich links. Sicherheitshalber frage ich nochmal einen Passanten, ob ich auch auf dem richtigen Weg bin, da noch immer keine Markierung zu sehen ist: „Ja, ja, immer geradeaus bis zum Meer und dann kommt rechts der Fußweg nach Lavra.“

Eine Viertelstunde später erreiche ich den Atlantik und sehe an einer Mauer auch endlich den ersten heißersehnten gelben Pfeil. Erleichtert setze ich mich auf das Mäuerchen und trinke erst mal einen Schluck. Mittlerweile ist eine komplette Stunde vergangen und ich bin noch nicht besonders weit. Ich kann nur hoffen, dass die Markierung ab hier besser ist, da mein Orientierungssinn leider sehr zu wünschen übrig lässt. Aber eigentlich sollte jetzt nicht viel schieflaufen können. Laut Beschreibung geht der Weg bis Lavra an der Küste entlang. Wenn ich also immer den Atlantik zu meiner Linken habe, dann müsste es passen. Mit strammem Schritt laufe ich drauflos.