cover image

Jules Verne

Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde

Illustrierte Fassung

Jules Verne

Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde

Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Illustrationen: Jules-Descartes Férat
Übersetzung und Fußnoten: Jürgen Schulze
EV: A. Hartleben Verlag, Wien, Pest, Leipzig, 1878
1. Auflage, ISBN 978-3-962814-77-9

null-papier.de/616

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Ers­tes Ka­pi­tel – Zwei sich wi­der­spre­chen­de Brie­fe

Zwei­tes Ka­pi­tel – Un­ter­wegs

Drit­tes Ka­pi­tel – Der Un­ter­grund des Ve­rei­nig­ten Kö­nig­reichs

Vier­tes Ka­pi­tel – Die Gru­be Dochart

Fünf­tes Ka­pi­tel – Die Fa­mi­lie Ford

Sechs­tes Ka­pi­tel – Ei­ni­ge un­er­klär­li­che Er­schei­nun­gen

Sieb­tes Ka­pi­tel – Eine Er­fah­rung Si­mon Fords

Ach­tes Ka­pi­tel – Eine Dy­na­mit-Ex­plo­si­on

Neun­tes Ka­pi­tel – New-Aber­foy­le

Zehn­tes Ka­pi­tel – Hin und zu­rück

Elf­tes Ka­pi­tel – Die Feu­er­he­xen

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Jack Ryans Nach­for­schun­gen

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Coal-City

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Am letz­ten Fäd­chen hän­gend

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Nell in der Cot­ta­ge

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Auf der auf- und ab­stei­gen­den Lei­ter

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Ein Son­nen­auf­gang

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Vom Lo­mond­see zum Ka­tri­ne­see

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel – Eine letz­te Be­dro­hung

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Der Bü­ßer

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Nells Ver­mäh­lung

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Die Le­gen­de vom al­ten Sil­fax

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Jules Verne
Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.

Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Erstes Kapitel – Zwei sich widersprechende Briefe

Mr. J. R. Starr, In­ge­nieur,
30, Ca­non­ga­te.
Edin­bur­gh.

Wenn Herr Ja­mes Starr so gü­tig sein will, sich mor­gen nach den Koh­len­wer­ken von Aber­foy­le, Gru­be Dochart, Yarow-Schacht, zu be­ge­ben, so wird er dort eine ihn sehr in­ter­es­sie­ren­de Nach­richt er­hal­ten.

Herr Ja­mes Starr wird im Lau­fe des Ta­ges am Bahn­ho­fe von Callan­der von Har­ry Ford, dem Soh­ne des frü­he­ren Ober­stei­gers Si­mon Ford, er­war­tet wer­den.

Man bit­tet um Dis­kre­ti­on!

So lau­te­te ein Brief, den Ja­mes Starr früh­zei­tig am 3. De­zem­ber 18.., mit dem Post­stem­pel Aber­foy­le, Graf­schaft Stir­ling, Schott­land, zu­ge­stellt er­hielt.

Sei­ne Neu­gier­de ward mäch­tig er­regt. Der Ge­dan­ke an eine My­sti­fi­ka­ti­on kam ihm gar nicht in den Sinn. Seit lan­gen Jah­ren schon kann­te er Si­mon Ford, einen der al­ten Werk­füh­rer in den Mi­nen von Aber­foy­le, de­nen er als tech­ni­scher Di­rek­tor – oder »view­er«, wie die Eng­län­der sa­gen, – wäh­rend ei­nes Zeit­rau­mes von zwan­zig Jah­ren selbst vor­ge­stan­den hat­te.

Ja­mes Starr war ein Mann von gu­ter, kräf­ti­ger Kon­sti­tu­ti­on, den man trotz sei­ner fünf­und­fünf­zig Jah­re recht wohl für einen Vier­zi­ger hal­ten konn­te. Er ent­stamm­te als ei­nes der her­vor­ra­gends­ten Mit­glie­der ei­ner al­ten, an­ge­se­he­nen Fa­mi­lie Edin­bur­ghs. Sei­ne Ar­bei­ten ge­reich­ten je­ner eh­ren­wer­ten Kor­po­ra­ti­on der In­ge­nieu­re zur Ehre, wel­che das koh­len­rei­che Un­ter­ir­di­sche des Ve­rei­nig­ten Kö­nig­rei­ches in Car­diff wie bei Ne­w­cast­le und in den nie­de­ren Graf­schaf­ten Schott­lands aus­beu­te­ten. In der Tie­fe der ge­heim­nis­vol­len Koh­len­wer­ke von Aber­foy­le, wel­che an die Gru­ben von Al­loa gren­zend einen Teil der Graf­schaft Stir­ling ein­neh­men, hat­te sich Ja­mes Starr sei­nen über­all mit Ach­tung ge­nann­ten Na­men er­wor­ben und da­selbst einen großen Teil sei­nes Le­bens ver­bracht. Au­ßer­dem ge­hör­te er als Vor­sit­zen­der der »Al­ter­tums­for­schen­den Ge­sell­schaft Schott­lands« an, war ei­nes der tä­tigs­ten Mit­glie­der der Roy­al-In­sti­tu­ti­on, und lie­fer­te der Edin­bur­gh Re­view ziem­lich häu­fig sehr be­ach­tens­wer­te Bei­trä­ge. Mit ei­nem Wort, er zähl­te zu je­nen prak­ti­schen Ge­lehr­ten, de­nen Eng­land sein Em­por­blü­hen, sei­nen Reich­tum ver­dankt, und er nahm auch einen ho­hen Rang ein in der al­ten Haupt­stadt Schott­lands, wel­che in ma­te­ri­el­ler und geis­ti­ger Be­zie­hung den ihr bei­ge­leg­ten Na­men »das nor­di­sche Athen« un­zwei­fel­haft ver­dient.

Be­kannt­lich ha­ben die Eng­län­der für ihre aus­ge­dehn­ten Koh­len­dis­trik­te einen sehr be­zeich­nen­den Na­men er­fun­den. Sie nen­nen die­sel­ben »Schwarz-In­di­en«, und si­cher­lich hat die­ses In­di­en noch weit mehr als Ost­in­di­en zu dem über­ra­schen­den Reich­tu­me Groß­bri­tan­ni­ens bei­ge­steu­ert. Tag und Tag ar­bei­tet dort ein gan­zes Volk von Berg­leu­ten dar­an, aus dem Un­ter­grun­de Bri­tan­ni­ens die Koh­le, die schwar­zen Dia­man­ten, zu ge­win­nen, je­nen hoch­wich­ti­gen Brenn­stoff, der für die In­dus­trie zur un­ent­behr­li­chen Le­bens­be­din­gung ge­wor­den ist.

Da­mals lag je­ner Zeit­punkt, der von Sach­ver­stän­di­gen für die Er­schöp­fung der Koh­len­la­ger be­rech­net war, noch in fer­ner Zu­kunft, und nie­mand dach­te an einen ein­tre­ten­den Man­gel, wo die Koh­len­vor­rä­te zwei­er Wel­ten ih­rer Aus­nut­zung harr­ten. Den Fa­bri­ken zu ver­schie­dens­ten Zwe­cken, den Lo­ko­mo­ti­ven, Lo­ko­mo­bi­len, Dampf­schif­fen, Gas­an­stal­ten usw. droh­te kein Man­gel an mi­ne­ra­li­schem Brenn­ma­te­ri­al. Der Ver­brauch in den letz­ten Jah­ren hat­te frei­lich mit sol­chen Rie­sen­schrit­ten zu­ge­nom­men, dass ein­zel­ne La­ger­stät­ten bis zu ih­ren schwächs­ten Adern aus­ge­beu­tet wa­ren. Nutz­los durch­bohr­ten und un­ter­mi­nier­ten jetzt die­se auf­ge­las­se­nen Schäch­te und ver­wais­ten Stol­len den frü­her er­gie­bi­gen Bo­den.

Ganz so la­gen die Ver­hält­nis­se bei den Gru­ben von Aber­foy­le.

Zehn Jah­re vor­her hat­te der letz­te Hund die letz­te Ton­ne Koh­len aus die­ser La­ger­stät­te zu Tage ge­för­dert. Das ge­sam­te Ma­te­ri­al der »Teu­fe«,1 die Ma­schi­nen zur me­cha­ni­schen För­de­rung auf den Ge­lei­sen der Stol­len, die »Hun­de« (klei­ne Wa­gen) der un­ter­ir­di­schen Bahn­an­la­gen, die För­der­käs­ten und Kör­be, die Vor­rich­tun­gen zur Luf­ter­neue­rung – kurz al­les, was zur berg­män­ni­schen Tä­tig­keit im Scho­ße der Erde ge­dient hat­te, war her­aus­ge­schafft und au­ßer­halb der Gru­ben auf­ge­spei­chert wor­den. Das er­schöpf­te Koh­len­werk glich dem Ka­da­ver ei­nes Mas­to­d­ons von un­ge­heu­er­li­cher Grö­ße, dem man alle le­bens­wich­ti­gen Or­ga­ne ent­nom­men und nur das Kno­chen­ge­rüst üb­rig­ge­las­sen hat­te.

Von je­nem Ma­te­ri­al wa­ren nur ei­ni­ge lan­ge Holz­lei­tern, wel­che den Zu­gang zur Gru­be durch den Yarow-Schacht ver­mit­tel­ten, zu­rück­ge­blie­ben. Durch die­sen letz­te­ren ge­lang­te man jetzt seit Ein­stel­lung der Ar­bei­ten aus­schließ­lich nach den Stol­len der Gru­be Dochart.

Äu­ßer­lich ver­rie­ten noch die Ge­bäu­de, wel­che ehe­dem zum Schut­ze der Tag­ar­bei­ten er­rich­tet wur­den, die Stel­len der Schäch­te ge­nann­ter Gru­be, wel­che jetzt völ­lig öde und eben­so ver­las­sen war, wie die be­nach­bar­ten Gru­ben, die zu­sam­men die Koh­len­wer­ke von Aber­foy­le bil­de­ten.

Es war ein trau­ri­ger Tag, als die Berg­leu­te da­mals zum letz­ten Male die Schäch­te ver­lie­ßen, in wel­chen sie so vie­le Jah­re ge­lebt und ge­ar­bei­tet hat­ten.

James Starr

Der In­ge­nieur Ja­mes Starr hat­te die Tau­sen­de von Ar­bei­tern, die tä­ti­ge und mu­ti­ge Be­völ­ke­rung des Koh­len­wer­kes, um sich ver­sam­melt. Hau­er, Wagen­trei­ber, Stei­ger, Zu­fül­ler, Zim­me­rer, Weg­ar­bei­ter, Schaff­ner, Sor­tie­rer, Schmie­de, Schlos­ser, Män­ner, Frau­en und Grei­se, Wer­kleu­te von un­ten und oben, alle tra­ten in dem großen Hofe der Gru­be Dochart zu­sam­men, den vor­mals die Koh­len­vor­rä­te des Wer­kes füll­ten.

Harry Ford

Die bra­ven Leu­te, wel­che jetzt die Sor­ge um das täg­li­che Brot zer­streu­en soll­te – sie, wel­che so lan­ge Jah­re, ein Ge­schlecht nach dem an­de­ren, in dem al­ten Aber­foy­le ver­lebt, war­te­ten, be­vor sie den Ort ver­lie­ßen, nur noch auf ei­ni­ge Ab­schieds­wor­te ih­res In­ge­nieurs. Die Ge­sell­schaft hat­te ih­nen als Gra­ti­fi­ka­ti­on die Er­träg­nis­se des lau­fen­den Jah­res zu­kom­men las­sen. Im Grun­de war das nicht viel, denn die Be­triebs­kos­ten er­reich­ten na­he­zu den Er­trag der Aus­beu­te, es ge­währ­te ih­nen aber doch die Mög­lich­keit, sich so lan­ge fort­zu­hel­fen, bis sie ent­we­der an den Koh­len­wer­ken der Nach­bar­schaft, bei der Land­wirt­schaft oder in den Werk­stät­ten der Graf­schaft eine neue Stel­lung fan­den.

Ja­mes Starr stand vor der Tür des ge­räu­mi­gen Schup­pens, un­ter wel­chem die mäch­ti­gen För­der­ma­schi­nen so lan­ge Zeit hin­durch ge­ar­bei­tet hat­ten.

Si­mon Ford, der Ober­stei­ger der Gru­be Dochart, der da­mals fünf­und­fünf­zig Jah­re zähl­te, und noch meh­re­re an­de­re Werk­füh­rer bil­de­ten einen Halb­kreis um ihn.

Ja­mes Starr ent­blö­ßte das Haupt, die Berg­leu­te be­ob­ach­te­ten, die Müt­zen in der Hand, das tiefs­te Schwei­gen.

Die­se Ab­schieds­sze­ne trug einen rüh­ren­den und doch gleich­zei­tig groß­ar­ti­gen Cha­rak­ter.

»Mei­ne Freun­de«, be­gann der In­ge­nieur, »die Stun­de der Tren­nung hat für uns ge­schla­gen. Die Gru­ben von Aber­foy­le, wel­che uns so lan­ge Zeit zu ge­mein­schaft­li­cher Tä­tig­keit ver­ei­nig­ten, sind er­schöpft. Die sorg­sams­ten Nach­for­schun­gen ha­ben nicht die kleins­te neue Ader mehr er­ge­ben, und das letz­te Stück­chen Stein­koh­le ist aus der Gru­be Dochart ge­för­dert wor­den!«

Zur Er­läu­te­rung sei­ner Wor­te zeig­te Ja­mes Starr den Berg­leu­ten ein Stück Koh­le, das in ei­nem För­der­wa­gen zu­rück­ge­las­sen wor­den war.

»Die­ses Koh­len­stück, mei­ne Freun­de«, fuhr der In­ge­nieur fort, »gleicht dem letz­ten Blut­kör­per­chen, das ehe­mals in den Adern von Aber­foy­le zir­ku­lier­te! Wir wer­den das­sel­be auf­be­wah­ren, eben­so wie das ers­te Stück Koh­le, wel­ches vor nun ein­hun­dert­fünf­zig Jah­ren aus den La­ger­stät­ten von Aber­foy­le zu Tage ge­bracht wur­de. Zwi­schen die­sen bei­den Stücken Koh­le hat sich so man­che Ge­ne­ra­ti­on von Ar­beits­kräf­ten in un­se­ren Gru­ben ab­ge­löst! Jetzt ist al­les zu Ende! Die letz­ten Wor­te, wel­che euer In­ge­nieur an euch rich­tet, sind Wor­te des Ab­schieds. Ihr habt euer Le­ben ge­fris­tet von der Gru­be, die sich un­ter eu­ren Hän­den ent­leert hat. Die Ar­beit war wohl hart, aber nicht ohne Vor­teil auch für euch. Un­se­re große Fa­mi­lie steht im Be­griff, aus­ein­an­der­zu­ge­hen, und kaum ist es denk­bar, dass sich die zer­streu­ten Mit­glie­der der­sel­ben je­mals wie­der zu­sam­men­fin­den wie heu­te. Ver­ge­sst des­halb aber nie­mals, dass wir so lan­ge Jah­re mit­ein­an­der ge­lebt ha­ben, und dass es den Berg­leu­ten von Aber­foy­le eine Ehren­pflicht bleibt, sich ge­gen­sei­tig zu un­ter­stüt­zen. Auch eure frü­he­ren Vor­ge­setz­ten wer­den sich die­ser Pf­licht im­mer­fort er­in­nern. Die mit­ein­an­der ge­ar­bei­tet ha­ben, die kön­nen ein­an­der nie ganz fremd wer­den. Wir wer­den auch fer­ner über euch wa­chen, und wo­hin ihr als eh­ren­haf­te Leu­te euch wen­det, wer­den euch un­se­re Emp­feh­lun­gen be­glei­ten. So lebt wohl, mei­ne Freun­de, Gott sei bei euch!«

Nach die­sen Wor­ten um­arm­te Ja­mes Starr den äl­tes­ten Ar­bei­ter der Gru­be, des­sen Au­gen sich mit Trä­nen ge­füllt hat­ten. Dann tra­ten die Stei­ger der ver­schie­de­nen Gru­ben her­zu, um dem In­ge­nieur noch ein­mal die Hand zu drücken, wäh­rend die Berg­leu­te alle die Hüte schwenk­ten und ihre Emp­fin­dun­gen in den Wor­ten: »Adieu, Ja­mes Starr, un­ser Chef und un­ser Freund!« Luft mach­ten.

Tief grub sich die­ses Le­be­wohl in den Her­zen der wa­cke­ren Leu­te ein. Nur nach und nach, als folg­ten sie un­gern dem ei­ser­nen Zwan­ge, ver­lie­ßen sie den wei­ten Hof. Um Ja­mes Starr ward es still und stil­ler. Der schwar­ze Weg nach der Gru­be Dochart er­schall­te noch ein­mal von den Schrit­ten der Berg­leu­te, dann folg­te das Schwei­gen dem ge­schäf­ti­gen Le­ben, das frü­her an den Koh­len­wer­ken von Aber­foy­le ge­herrscht hat­te.

Nur ein ein­zi­ger Mann war ne­ben Ja­mes Starr zu­rück­ge­blie­ben.

Es war der Ober­stei­ger Si­mon Ford. Ne­ben ihm stand ein jun­ger Mensch von fünf­zehn Jah­ren, sein Sohn Har­ry, der schon seit meh­re­ren Jah­ren in dem Schach­te tä­tig ge­we­sen war.

Ja­mes Starr und Si­mon Ford kann­ten ein­an­der und ach­te­ten sich ge­gen­sei­tig eben­so lan­ge.

»Adieu, Si­mon«, sag­te der In­ge­nieur.

»Adieu, Herr Ja­mes«, ant­wor­te­te der Ober­stei­ger, »oder las­sen Sie mich lie­ber sa­gen: Auf Wie­der­se­hen!«

»Ja, ja, Si­mon«, wie­der­hol­te Ja­mes Starr, »Sie wis­sen, dass ich stets er­freut sein wer­de, Sie wie­der­zu­tref­fen und mit Ih­nen von den al­ten schö­ne­ren Zei­ten Aber­foy­les zu plau­dern.«

»Ich weiß es, Herr Ja­mes.«

»Mein Haus in Edin­bur­gh steht Ih­nen al­le­zeit of­fen.«

»Oh, das ist weit, Edin­bur­gh!« er­wi­der­te der Ober­stei­ger kopf­schüt­telnd; »ja sehr weit von der Gru­be Dochart!«

»Weit, Si­mon, wo den­ken Sie denn zu woh­nen?«

»Hier, auf die­ser Stel­le, Herr Ja­mes; wir wer­den das Werk, un­se­re alte Er­näh­re­rin, nicht ver­las­sen, weil des­sen Hilfs­quel­len jetzt ver­siegt sind. Mei­ne Frau, mein Sohn und ich, wir wer­den uns ein­zu­rich­ten wis­sen, um der Gru­be treu zu blei­ben.«

»Le­ben Sie wohl, Si­mon«, ant­wor­te­te der In­ge­nieur, der sei­ner Er­re­gung nur schwer Meis­ter wur­de.

»Nein, ich sag’ es noch ein­mal, nicht le­ben Sie wohl, son­dern auf Wie­der­se­hen, Herr Ja­mes. Auf Si­mon Fords Wort, wir wer­den uns in Aber­foy­le wie­der­fin­den!«

Der In­ge­nieur woll­te dem Ober­stei­ger die­se letz­te Hoff­nung nicht rau­ben. Er um­arm­te den jun­gen Har­ry, der ihn mit großen, sei­ne Er­re­gung ver­ra­ten­den Au­gen an­sah. Zum letz­ten Male drück­te er Si­mon Ford die Hand und ver­ließ den Hof des Koh­len­wer­kes.

Das hier Er­zähl­te spiel­te vor nun zehn Jah­ren; aber trotz des vom Ober­stei­ger ge­äu­ßer­ten Wun­sches, ihn ein­mal wie­der­zu­se­hen, hat­te Ja­mes Starr nie­mals wie­der et­was von ihm ge­hört.

Nach sehr lan­ger Tren­nung er­hielt er jetzt je­nen Brief von Si­mon Ford, der ihn auf­for­der­te, ohne Ver­zug den Weg nach den al­ten Koh­len­wer­ken von Aber­foy­le ein­zu­schla­gen.

Eine Mit­tei­lung von be­son­de­rem In­ter­es­se für ihn? Was konn­te die­se be­tref­fen? Die Gru­be Dochart, der Yarow-Schacht! Wel­che Erin­ne­run­gen er­weck­te das noch ein­mal in sei­nem Geis­te! Oh, das war doch eine schö­ne Zeit ge­we­sen, jene Zeit der Ar­beit und des Kamp­fes, die schöns­te Zeit sei­nes Le­bens als In­ge­nieur!

Ja­mes Starr durch­flog das Schrei­ben im­mer und im­mer wie­der. Er be­dau­er­te, dass Si­mon Ford nicht eine Zei­le mehr hin­zu­ge­fügt habe; er zürn­te ihm fast we­gen die­ser la­ko­ni­schen Kür­ze.

War es denn mög­lich, dass der alte Ober­stei­ger viel­leicht doch noch eine neue ab­bau­wür­di­ge Koh­le­na­der ent­deckt hät­te? Nein, ge­wiss nicht!

Ja­mes Starr ent­sann sich, wie sorg­fäl­tig die gan­zen Gru­ben von Aber­foy­le un­ter­sucht wor­den wa­ren, be­vor man die Ar­bei­ten de­fi­ni­tiv ein­stell­te. Er selbst hat­te die letz­ten Bohr­ver­su­che ge­lei­tet, ohne eine neue La­ger­stät­te in dem durch die in­ten­sivs­te Aus­beu­tung ent­wer­te­ten Bo­den zu fin­den. Man hat­te so­gar den An­fang ge­macht, die Tie­fe un­ter je­nen Ge­steins­schich­ten, wel­che ge­wöhn­lich un­ter der Stein­koh­le ge­trof­fen wer­den, wie der rote de­vo­ni­sche Sand­stein, auf­zu­schlie­ßen, aber lei­der ohne Er­folg. Ja­mes Starr hat­te das Berg­werk also mit der fes­ten Über­zeu­gung ver­las­sen, dass es nicht mehr ein Stück­chen Brenn­ma­te­ri­al ent­hal­te.

»Nein«, wie­der­hol­te er sich öf­ters, »nein! Wie wäre an­zu­neh­men, dass Si­mon Ford das auf­ge­fun­den hät­te, was sich da­mals mei­nen ge­naues­ten Nach­for­schun­gen ent­zog? Doch muss der alte Ober­stei­ger ja wis­sen, dass mich nur eine Sa­che in­ter­es­sie­ren könn­te, und nun die­se ge­heim­zu­hal­ten­de Ein­la­dung, nach der Gru­be Dochart zu kom­men!«

Ja­mes Starr kam im­mer wie­der hier­auf zu­rück.

An­de­rer­seits kann­te der In­ge­nieur Si­mon Ford als einen ge­schick­ten Berg­mann, dem un­leug­bar ein ge­wis­ser Ge­schäfts­in­stinkt ei­gen war. Seit der Zeit, wo Aber­foy­le auf­ge­las­sen wor­den war, hat­te er ihn nicht wie­der­ge­se­hen und hat­te kei­ner­lei Nach­richt dar­über, was aus dem al­ten Ober­stei­ger ge­wor­den sei. Er hät­te nicht zu sa­gen ver­mocht, wo­mit je­ner sich be­schäf­ti­ge, oder wo er mit sei­ner Frau und sei­nem Soh­ne woh­ne. Al­les was er wuss­te, be­schränk­te sich auf die­se Ein­la­dung nach dem Yarow-Schach­te und auf die Mit­tei­lung, dass Har­ry, Si­mon Fords Sohn, ihn im Lau­fe des mor­gen­den Ta­ges am Bahn­ho­fe in Callan­der er­war­ten wer­de. Es han­del­te sich hier also of­fen­bar dar­um, die Gru­be Dochart zu be­su­chen.

»Ich gehe, ich gehe!« sag­te Ja­mes Starr, der sei­ne Auf­re­gung mehr und mehr zu­neh­men fühl­te.

Der wür­di­ge In­ge­nieur ge­hör­te näm­lich zu je­ner Ka­te­go­rie lei­den­schaft­li­cher Leu­te, de­ren Hirn fort­wäh­rend eben­so im Sie­den ist wie ein Kes­sel über ei­ner Flam­me. Es gibt der­lei Köp­fe, in wel­chen die Ide­en im­mer im hef­tigs­ten Auf­wal­len sind, an­de­re, in de­nen sie nur lang­sam ko­chen. Heu­te ge­hör­te Ja­mes Starr un­be­strit­ten zu den ers­te­ren.

Da er­eig­ne­te sich plötz­lich ein sehr un­er­war­te­ter Zwi­schen­fall. Er glich dem Trop­fen kal­ten Was­sers, der für den Au­gen­blick alle auf­stei­gen­den Dämp­fe in sei­nem Ge­hir­ne nie­der­schlug.

Ge­gen sechs Uhr abends über­reich­te der Die­ner Ja­mes Starrs die­sem einen zwei­ten Brief.

Der­sel­be be­fand sich in ei­nem ziem­lich gro­ben Cou­vert, an des­sen Auf­schrift man eine des Schrei­bens nicht be­son­ders ge­wohn­te Hand er­kann­te.

Ja­mes Starr zer­riss den Um­schlag. Er ent­hielt nur ein Stück durch die Zeit ver­gilb­tes Pa­pier, das ei­nem schon seit lan­gem nicht in Ge­brauch ge­we­se­nen No­tiz­buch ent­nom­men schi­en.

Auf die­sem Pa­pier stand nur al­lein der fol­gen­de Satz zu le­sen:

»Es ist un­nö­tig für den In­ge­nieur Starr, sich zu be­mü­hen, da der Brief Si­mon Fords in­zwi­schen ge­gen­stands­los ge­wor­den ist.«

Eine Un­ter­schrift war nicht vor­han­den.


  1. Der Be­trieb ei­nes Schach­tes zer­fällt in die Ar­bei­ten in der Teu­fe (Tie­fe) und die Ta­ges­ar­bei­ten, die ers­ten im In­nern der Gru­be, die letz­te­ren au­ßer­halb der­sel­ben.  <<<

Zweites Kapitel – Unterwegs

Der Ge­dan­ken­gang Ja­mes Starrs wur­de plötz­lich un­ter­bro­chen, als er die­sen zwei­ten, dem er­st­emp­fan­ge­nen wi­der­spre­chen­den Brief ge­le­sen hat­te.

»Was soll das hei­ßen?« frag­te er sich.

Ja­mes Starr nahm den halb­zer­ris­se­nen Um­schlag wie­der auf, der eben­so wie der an­de­re den Post­stem­pel von Aber­foy­le zeig­te, also je­den­falls aus dem­sel­ben Tei­le der Graf­schaft Stir­ling ge­kom­men war. Dass der alte Berg­mann ihn nicht ge­schrie­ben habe, lag auf der Hand. Da­ge­gen kann­te der Ver­fas­ser die­ses zwei­ten Brie­fes das Ge­heim­nis des Ober­stei­gers, da er die dem In­ge­nieur zu­ge­gan­ge­ne Ein­la­dung, nach dem Yarow-Schach­te zu kom­men, aus­drück­lich auf­hob.

Soll­te es denn wahr sein, dass jene ers­te Mit­tei­lung ge­gen­stands­los ge­wor­den sei? Woll­te man nur ver­hin­dern, dass Ja­mes Starr sich mit oder ohne Zweck da­hin be­mü­he? Oder lag hier viel­leicht die böse Ab­sicht zu­grun­de, Si­mon Fords Vor­ha­ben zu durch­kreu­zen?

Die­se Ge­dan­ken stie­gen in Ja­mes Starr, als er sich die Sa­che über­leg­te, auf. Der Wi­der­spruch zwi­schen den bei­den Brie­fen aber reiz­te ihn nur umso mehr, sich nach der Gru­be Dochart zu be­ge­ben. Selbst wenn die gan­ze Ein­la­dung nur auf eine My­sti­fi­ka­ti­on hin­aus­lie­fe, hielt er es für bes­ser, sich dar­über Ge­wiss­heit zu ver­schaf­fen. Da­bei war er im­mer ge­neigt, dem ers­ten Schrei­ben mehr Glau­ben bei­zu­mes­sen als dem nach­fol­gen­den – d.h. der Ein­la­dung ei­nes Man­nes wie Si­mon Ford mehr, als der Ab­sa­gung sei­nes na­men­lo­sen Geg­ners.

»Gera­de da man mei­nen Ent­schluss zu be­ein­flus­sen sucht«, sag­te er sich, »muss wohl die Mit­tei­lung Si­mon Fords von ganz be­son­de­rem In­ter­es­se sein! Ich wer­de mor­gen zu ge­le­ge­ner Zeit an dem be­stimm­ten Orte sein!«

Ge­gen Abend traf Ja­mes Starr die nö­ti­gen Vor­be­rei­tun­gen zur Abrei­se. Da sei­ne Ab­we­sen­heit sich leicht auf ei­ni­ge Tage aus­deh­nen konn­te, be­nach­rich­tig­te er Sir W. El­phi­ston, den Prä­si­den­ten der Roy­al-In­sti­tu­ti­on, brief­lich, dass er der nächs­ten Sit­zung der Ge­sell­schaft bei­zu­woh­nen ver­hin­dert sei. Er be­frei­te sich auch von zwei oder drei an­de­ren Ge­schäf­ten, die ihn noch die­se Wo­che in An­spruch ge­nom­men hät­ten. Nach­dem er end­lich sei­nem Die­ner Auf­trag ge­ge­ben, sei­ne Rei­se­ta­sche in Ord­nung zu brin­gen, leg­te er sich, von der gan­zen An­ge­le­gen­heit viel­leicht mehr als nö­tig auf­ge­regt, zur Ruhe.

Am an­de­ren Mor­gen um fünf Uhr stand Ja­mes Starr schon auf, klei­de­te sich warm an, denn es fiel ein kal­ter Re­gen, und ver­ließ das Haus in der Ca­non­ga­te, um vom Gran­ton­pier aus das Dampf­boot zu be­nut­zen, das in drei Stun­den den Forth bis nach Stir­ling hin­auf­fährt.

Als Ja­mes Starr die Ca­non­ga­te1 durch­schritt, sah er sich viel­leicht zum ers­ten Male nicht nach Ho­ly­rood, dem Palas­te der frü­he­ren Re­gen­ten von Schott­land, um. Er be­merk­te vor des­sen To­ren die Wa­che nicht, wel­che da­vor­stand in dem al­ten schot­ti­schen Ko­stü­me, dem grü­nen kur­z­en Rock, ka­rier­ten Schal und mit dem lang­haa­ri­gen bis auf die Schen­kel her­ab­hän­gen­den Zie­gen­fel­le. Ob­wohl ein großer Ver­eh­rer von Wal­ter Scott, wie ein je­der ech­te Sohn des al­ten Ka­le­do­ni­ens, wür­dig­te er heu­te das Gast­haus doch kei­nes Blickes, in wel­chem Wa­ver­ley ab­stieg und wo­selbst ihm der Schnei­der das be­rühm­te Kriegs­kleid brach­te, das die Wit­we Flock so naiv be­wun­der­te. Er be­grüß­te auch den klei­nen Platz nicht, auf dem die Berg­schot­ten nach dem Sie­ge des Prä­ten­den­ten und auf die Ge­fahr hin, Flo­ra Mac Tvor zu er­schie­ßen, ihre Ge­weh­re ab­feu­er­ten. In der Mit­te der Stra­ße zeig­te die Uhr des Ge­fäng­nis­ses ihr trau­ri­ges Zif­fer­blatt; er sah nur da­nach, um sich zu über­zeu­gen, dass er die Zeit der Ab­fahrt nicht ver­säu­me. Auch in Nel­her-Bow rich­te­te er den Blick nicht nach dem Hau­se des großen Re­for­ma­tors John Knox, des ein­zi­gen Man­nes, den das Lä­cheln Ma­ria Stuarts nicht ver­führ­te. Durch die High­street, die weit­be­kann­te Stra­ße, de­ren ge­naue Be­schrei­bung man in dem Ro­man des Abbé fin­det, wen­de­te er sich nach der gi­gan­ti­schen Brücke, der Bridge­street, wel­che die drei Hü­gel Edin­bur­ghs mit­ein­an­der ver­bin­det.

We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter lang­te er bei dem Bahn­hof des »Ge­ne­ral rail­way« an, und eine hal­be Stun­de spä­ter er­reich­te er mit dem Zug Ne­wha­ven, ein hüb­sches Fi­scher­dorf, eine Mei­le von Leith, das den Ha­fen Edin­bur­ghs bil­det. Die stei­gen­de Flut be­deck­te da­selbst den schwärz­li­chen, stei­ni­gen Strand. Die Wel­len be­spül­ten dort einen auf Pfäh­len er­rich­te­ten und von Ket­ten ge­hal­te­nen Ha­fen­damm. Zur Lin­ken des­sel­ben lag ei­nes der Boo­te, wel­che den Ver­kehr auf dem Forth, zwi­schen Edin­bur­gh und Stir­ling ver­mit­teln, am Gran­ton­pier(-pfei­ler) ge­ket­tet.

In die­sem Au­gen­bli­cke wir­bel­ten aus dem Schorn­stein der »Prin­ce de Gal­les« schwar­ze Rauch­wol­ken auf, und zi­schend blies der Kes­sel über­flüs­si­gen Dampf ab. Bei dem Tone der Glo­cke, wel­che nur we­ni­ge Male an­schlug, be­eil­ten sich die letz­ten Pas­sa­gie­re, noch das Schiff zu er­rei­chen. Da tum­mel­ten sich un­ter­ein­an­der eine Men­ge Kauf­leu­te, Päch­ter, nebst ei­ner An­zahl Die­ner, wel­che letz­te­re man an den kur­z­en Knie­ho­sen, lan­gen Über­rö­cken und ei­nem schma­len wei­ßen Strei­fen rings um den Hals er­kann­te.

Ja­mes Starr war nicht der letz­te, der sich ein­schiff­te. Er sprang leicht aufs Ver­deck der »Prin­ce de Gal­les«. Ob­wohl es hef­tig reg­ne­te, dach­te doch kei­ner der Pas­sa­gie­re dar­an, im Sa­lon des Damp­fers Schutz zu su­chen. Alle blie­ben un­be­weg­lich und in Rei­se­de­cken und Män­tel ein­gehüllt sit­zen; ei­ni­ge stärk­ten sich dann und wann durch einen Schluck Gin oder Whis­ky aus der Feld­fla­sche, was man dort »sich in­wen­dig an­zie­hen« zu nen­nen pflegt. Ein letz­tes Läu­ten der Glo­cke er­tön­te, die Taue wur­den ge­löst und der »Prin­ce de Gal­les« wand sich durch ei­ni­ge vor­sich­ti­ge Be­we­gun­gen aus dem klei­nen Bas­sin her­aus, das ihn vor den Wo­gen des Mee­res schütz­te.

Der »Firth of Forth« ist der Name des Gol­fes, der sich zwi­schen den Graf­schaf­ten Fife im Nor­den und Lin­lith­gow, Edin­bur­gh und Had­ding­ton im Sü­den aus­brei­tet. Er bil­det den Aus­fluss des Forth, ei­nes un­be­deu­ten­den Flus­ses, der ähn­lich der Them­se oder Mer­sey sehr tief ist und, von den west­li­chen Ab­hän­gen des Ben-Lo­mond her­ab­fal­lend, sich in das Meer von Kin­car­di­ne er­gießt.

Vom Gran­ton-pier bis zum Ende des Gol­fes wäre nur eine ge­rin­ge Stre­cke, wenn nicht die Not­wen­dig­keit, wie­der­holt an bei­den Ufern an­zu­le­gen, große Um­we­ge ver­an­lass­te. Städ­te, Dör­fer und ein­zel­ne Land­sit­ze schim­mern an den Ufern des Forth aus den üp­pi­gen Baum­grup­pen der frucht­ba­ren Land­schaft her­vor.

Antediluvianische Baumriesen

Ja­mes Starr stand ge­schützt un­ter der Ka­pi­täns­brücke, wel­che von dem einen Rad­kas­ten zu dem an­de­ren führt, und gab sich of­fen­bar gar kei­ne Mühe, et­was von der Um­ge­bung zu se­hen, wel­che die schrä­gen Stri­che des Re­gens oh­ne­hin halb ver­hüll­ten. Er ach­te­te viel­mehr dar­auf, nicht die Auf­merk­sam­keit ir­gend­ei­nes Pas­sa­giers zu er­re­gen. Vi­el­leicht be­fand sich der Ur­he­ber des zwei­ten Brie­fes jetzt mit auf dem Damp­fer, ob­gleich der In­ge­nieur nir­gends einen ver­däch­ti­gen Blick be­merk­te.

Nach­dem die »Prin­ce de Gal­les« Gran­ton-pier ver­las­sen, wen­de­te er sich nach der en­gen Durch­fahrt zwi­schen den bei­den weit her­vor­sprin­gen­den Land­spit­zen von South- und North-Queens­fer­ry, jen­seits wel­cher der Forth eine Art See bil­det, den noch Schif­fe von hun­dert Ton­nen be­fah­ren kön­nen. Zwi­schen den Ne­beln des Hin­ter­grun­des zeig­ten sich durch ei­ni­ge of­fe­ne Stel­len des Ho­ri­zon­tes die schne­ei­gen Gip­fel der Gram­pian­ber­ge.

Bald ließ das Dampf­boot das Dorf Aber­dour hin­ter sich, eben­so wie die von den Rui­nen ei­nes Klos­ters aus dem 12. Jahr­hun­dert ge­krön­te In­sel Colm, die Über­res­te des Schlos­ses von Barn­bou­gle, fer­ner Do­ni­brist­le,2 wo der Schwie­ger­sohn des Re­gen­ten Mur­ray er­mor­det ward, und das be­fes­tig­te Ei­land Gar­vin. Es durch­schnitt die schma­le Was­ser­stra­ße bei Queens­fer­ry, ließ das Schloss von Ro­syth, in dem ehe­mals ein Zweig der Stuarts, dem sich die Mut­ter Crom­wells an­schloss, re­si­dier­te, zur Lin­ken, pas­sier­te Black­ness Cast­le, das ge­mäß ei­nem Ar­ti­kel der Ver­fas­sung stets in Ver­tei­di­gungs­zu­stand ist, und be­rühr­te die Quais des klei­nen Ha­fens Charle­ston, den Ex­port­platz für den Kalk­stein aus den Brü­chen des Lord El­gin. End­lich si­gna­li­sier­te die Glo­cke der »Prin­ce de Gal­les« die Sta­ti­on Crom­bie-point.

Das Wet­ter war sehr schlecht. Der von ei­nem hef­ti­gen Wind ge­peitsch­te Re­gen zer­stäub­te sich zu nas­sen Wol­ken, wel­che trom­ben­ähn­lich vor­über­flo­gen.

Ja­mes Starr ward et­was un­ru­hig. Wür­de der Sohn Si­mon Fords wie ver­spro­chen zur Stel­le sein? Er wuss­te aus Er­fah­rung, dass die an die gleich­mä­ßi­ge Ruhe der tie­fen Koh­len­gru­ben ge­wöhn­ten Berg­leu­te sich we­ni­ger gern der Un­bill der At­mo­sphä­re aus­set­zen als die Tag­ar­bei­ter und die Land­leu­te. Von Callan­der bis zur Gru­be Dochart und dem Yarow-Schacht rech­ne­te man eine Ent­fer­nung von reich­lich vier Mei­len. Mög­li­cher­wei­se hat­te sich der Sohn des al­ten Ober­stei­gers doch ab­hal­ten las­sen oder durch die üble Wit­te­rung ver­spä­tet. Dazu kam noch der Ge­dan­ke, dass der zwei­te Brief ja über­haupt die ers­te Ein­la­dung auf­hob, ein Um­stand, der sei­ne Sor­ge nur noch ver­meh­ren muss­te.

Im­mer­hin hielt er an dem Ent­schlus­se fest, für den Fall, dass Har­ry Si­mon bei An­kunft des Zu­ges in Callan­der nicht da sein soll­te, sich al­lein nach der Gru­be Dochart, und wenn es nö­tig er­schi­en, selbst bis Aber­foy­le zu be­ge­ben. Dort durf­te er hof­fen, Nach­rich­ten von Si­mon Ford zu er­hal­ten, und auch zu er­fah­ren, wo der alte Ober­stei­ger jetzt wohl haus­te.

In­zwi­schen wühl­te die »Prin­ce de Gal­les« fort­wäh­rend große Wel­len un­ter dem Schla­ge ih­rer Schau­feln auf. Jetzt sah man von bei­den Ufern gar nichts mehr, we­der das Dorf Crom­bie, noch Tor­ry­bourn oder Tor­ry­hou­se, we­der Ne­w­mills noch Car­ri­den­hou­se, eben­so wie Kirky­ran­ge und Salt-Pans, der un­be­deu­ten­de Ha­fen von Bow­neß und der von Gran­ge­mouth, wel­cher an der Mün­dung des Kanals von Cly­de liegt, in dem feuch­ten Ne­bel ver­schwan­den. Ganz eben­so blie­ben Cu­broß, die alte Burg und die Rui­nen sei­ner Ab­tei, Ci­teaux, Kin­car­di­ne mit sei­nen Werf­ten, wo­selbst der Stea­mer an­lief, Ayrth-cast­le samt sei­nem vier­e­cki­gen Tur­me aus dem 13. Jahr­hun­dert, Clark­mann nebst sei­nem für Ro­bert Bou­ee ge­bau­ten Schlos­se, we­gen des fort­dau­ern­den Re­gens so gut wie un­sicht­bar.

Die »Prin­ce de Gal­les« hielt am Ha­fen­dam­me von Al­loa an, um ei­ni­ge Pas­sa­gie­re ab­zu­set­zen. Ja­mes Starr emp­fand einen Druck im Her­zen, als er nach zehn Jah­ren wie­der an die­ser klei­nen Stadt vor­bei­kam, die als Mit­tel­punkt ei­nes wich­ti­gen Koh­len­werk­be­trie­bes noch heu­te eine zahl­rei­che Ar­beiter­schar er­nähr­te. Sei­ne Fan­ta­sie führ­te ihn hin­ab un­ter die Erde, wo die Spitz­haue der Berg­leu­te noch im­mer mit bes­tem Er­fol­ge den Bo­den­schät­zen nach­ging. Die­se Mi­nen von Al­loa, die nächs­ten Nach­barn de­rer von Aber­foy­le, be­rei­cher­ten noch im­mer die Graf­schaft, wäh­rend die an­gren­zen­den, schon seit so vie­len Jah­ren er­schöpf­ten Wer­ke kei­nen ein­zi­gen Ar­bei­ter zähl­ten.

Als der Damp­fer Al­loa ver­ließ, muss­te er sich müh­sam durch die vie­len Bo­gen win­den, wel­che der Forth in sei­nem Ver­lau­fe von neun­zehn Mei­len macht. Für einen Au­gen­blick er­schie­nen durch eine Lich­tung die Rui­nen der Ab­tei von Cam­bus­ken­neth, wel­che auf das 12. Jahr­hun­dert zu­rück­rei­chen. Dann kam man nach dem Schlos­se von Stir­ling und der kö­nig­li­chen Burg die­ses Na­mens; von wo aus der von zwei Brücken über­spann­te Forth für be­mas­te­te Schif­fe nicht wei­ter fahr­bar ist.

Kaum hat­te die »Prin­ce de Gal­les« an­ge­legt, als der In­ge­nieur leich­ten Fu­ßes auf den Quai hin­über­sprang. Fünf Mi­nu­ten spä­ter er­reich­te er den Bahn­hof von Stir­ling, und eine Stun­de dar­auf ver­ließ er den Zug in Callan­der, ei­nem großen Dorf auf dem lin­ken Ufer des Leith.

Dort vor dem Bahn­ho­fe war­te­te ein jun­ger Mann, der so­gleich auf den In­ge­nieur zu­kam.

Es war Har­ry, der Sohn Si­mon Fords.