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Karin Welters

Wüstengesang

Lisa Hansens 2. Fall





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Übersicht - Wüstengesang

Karin Welters

 

Roman

 

LitArt-World-Press

 

Copyright 2018

 

 

In der Vorweihnachtszeit 2001 wird Lisa Hansen erneut von ihrer ‚Gabe‘ heimgesucht. Wieder drängen verschlüsselte Botschaften aus ihrem Inneren in ihr Gemüt. Wieder kann sie sie nicht begreifen. Und wieder schreckt sie regelmäßig nachts hoch – um 02:27 Uhr. In ihrem zweiten Fall führen Lisas Wege nach Afrika. Am Rande der Wüste Namib begegnet sie Patricia von Duran und wird in ein Drama aus Willkür, Machtmissbrauch und Mord hineingezogen, das auch ihren Verlobten Andreas in Lebensgefahr bringt. Findet Lisa heraus, weshalb Maureen McCoy sterben musste? Wer die verbrannte Leiche im Haus am See ist? Und was hinter dem Mordversuch an Max Engel steckt?

 

 

Fünfzehn Jahre vorher...

 

August 1986 – Wien (Österreich)

 

„Hast du es schon jemandem erzählt?“, fragte der junge Mann und zwirbelte an seinem ungepflegten Schnurrbart.

„Nein, Liebster. Du solltest der Erste sein.“ Maureen war verunsichert. Ihr war nicht entgangen, dass er keine Miene verzogen hatte. Er ließ sie warten. „Freust du dich nicht?“ Er zeigte keine Reaktion. „Aber, Darling!“ Sie fühlte, wie sich ein unsichtbarer Ring um ihre Brust legte und atmete tief durch. „Wieso freust du dich nicht?“

„Weißt du, Maureen“, er zögerte und schaute unverwandt zu Boden, „eigentlich bin ich noch nicht so weit. Ich will noch nicht Vater werden.“

„Aber… aber… wieso? Wir wollten doch heiraten!“

„Ja, ja. Heiraten schon… aber keine Kinder. Zumindest jetzt noch nicht.“

Maureen erhob sich und blieb am Fenster des geschmackvoll eingerichteten Hotelzimmers stehen. Sie konnte es kaum glauben. Weshalb reagierte er so abweisend? Die Mittagssonne tauchte die Stadt jenseits des Fensters in gleißendes Licht. Wien! Pracht und Glanz einer Epoche, die dem Klischee des alten Kontinents, wie es sich die meisten Amerikaner vorstellten, voll und ganz entsprach. Was für ein Unterschied zu Dallas.

Diese wundervolle Stadt, randvoll mit greifbaren Zeugnissen einer Zeit, die sie nur aus dem Geschichtsunterricht und den Sissi-Filmen kannte, hatte die 19jährige in ihren Bann gezogen. Wien im Sonnenschein. Doch das Licht in Maureens Innenleben drohte zu erlöschen. Nein, mit dieser Reaktion Konstantins hatte sie nicht gerechnet. Langsam drehte sie sich um.

Noch immer saß er reglos auf der Bettkante, starrte auf den dezent gemusterten Teppichboden und war völlig in Gedanken versunken. Seine langen, struppigen Haare, die langen Backenkoteletts, der zerrupfte Bart, die verknitterten Jeans, das verwaschene T-Shirt, die große Hornbrille. Ja, er war ein ausgeflippter Typ… und sie liebte ihn. Endlich hatte das richtige Leben in ihr langweiliges, texanisches Dasein Einzug gehalten.

Gleich nach ihrer Ankunft hatte sie ihn am Flughafen kennengelernt. Vor drei Monaten. Die Europareise, die sie von ihren Eltern anlässlich ihres glänzenden Abiturs geschenkt bekommen hatte, bescherte ihr die Erfüllung ihres größten Wunsches: sie hatte ihren Traumprinzen gefunden. Und dann auch noch ein leibhaftiger, österreichischer Adliger. Er hatte sie gebeten, seine Frau zu werden. Maureen von Hohentaubert. Was für ein klangvoller Name! Ihre Freundinnen würden vor Neid erblassen. Ihren Eltern wollte sie es erst erzählen, wenn sie vom Arzt die Bestätigung bekommen und ihre Vermutung sich in Gewissheit verwandelt hatte. Und jetzt das. Weshalb wollte er nicht Vater werden? Er liebte sie doch.

Ihre Fassungslosigkeit ließ sich nicht zähmen. „Weißt du, was du da sagst, Konstantin? Soll ich das Kind etwa abtreiben lassen? Unser Kind?“ Mit einer unwirschen Handbewegung strich sie eine der langen, blonden Strähnen hinter das Ohr.

„Das wäre die beste Lösung“, hörte sie ihn sagen und war zutiefst erschüttert über die Gefühllosigkeit, die Gleichgültigkeit in seiner Stimme.

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ Heftig wies sie diesen absurden Gedanken zurück. „Ich ermorde doch nicht mein eigenes Fleisch und Blut.“

Er hob seinen Kopf und sie schaute in seine blassblauen Augen. Mit der steilen Falte zwischen den Brauen wirkte er ärgerlich und Maureen fühlte zum ersten Mal Beklommenheit und Anspannung. Plötzlich lächelte er. Sein anziehendes, charmantes Lächeln, in das sie sich gleich bei ihrer ersten Begegnung verliebt hatte, fegte mit einem Schlag alle Sorgenfalten aus seinem Gesicht.

„Weißt du was, Maureen, ich bin ein Dummkopf. Ein unverbesserlicher, störrischer Esel. Entschuldige bitte. Natürlich freue ich mich. Und zwar so sehr, dass wir uns jetzt eine Flasche Champagner aufs Zimmer kommen lassen und feiern. Was meinst du?“

Sie fühlte, wie der Felsbrocken, der es sich auf ihrem Gemüt bequem zu machen drohte, von ihr abfiel und ließ sich erleichtert neben ihren Liebsten auf das Bett fallen. Stürmisch umarmte sie ihn. „Oh, Konny. Du hast mich zu Tode erschreckt.“ Sie löste sich. „Aber ich darf jetzt keinen Alkohol mehr trinken. Das würde dem Baby schaden.“

„Dafür hast du aber gestern Abend noch ganz schön gebechert und vergiss nicht – auch noch kräftig gekokst.“ Grinsend fügte er hinzu: „Vom Kiffen ganz zu schweigen.“

„Ja, das war gestern. Da wusste ich auch noch nichts von unserem Glück.“

„Meinst du, es käme dann auf ein Glas Champagner an?“

Sie wiegte den Kopf. Wollte sie ihn jetzt enttäuschen? Bestand er dann vielleicht wieder missgestimmt auf der absurden, widersin­nigen und für sie inakzeptablen Abtreibung? „Nein, du hast recht. Es soll wirklich nicht auf ein kleines Glas Sekt ankommen.“

Erneut lächelte er sein charmantes Lächeln. „Hier!“ Er reichte ihr eine durchsichtige, runde Plastikdose mit kleinen Kapseln. „Die habe ich heute Morgen in der Apotheke gekauft. Nimm eine davon.“

„Was ist das?“

„Das ist gegen deine Übelkeit. Der Apotheker hat mir gesagt, das sei derzeit das Beste auf dem Markt. Und du weißt, ich möchte unbedingt, dass es meinem Schatz gut geht. Wenn du morgens eine davon nimmst, fühlst du dich den ganzen Tag wohl.“ Er streichelte über ihren Leib. „Und das Baby natürlich auch.“

„Wie lieb von dir“, antwortete Maureen strahlend, griff zum Hörer und bestellte den Champagner.

Mit geübten Händen öffnete er die eisgekühlte Flasche und das leise ‚Plop‘ zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Nachdem er die beiden Kelche gefüllt hatte, wurde ihr wieder übel und sie rannte ins Bad. Gerade noch rechtzeitig erreichte sie die Toilette und musste sich übergeben, wie so oft in den letzten Tagen. Als sie zurückkehrte, saß er wieder auf der Bettkante.

Er lächelte sie an. „Besser?“

„Ja. Es geht wieder.“

„So!“ Er drückte ihr die Dose mit den Kapseln in die Hand. „Jetzt nimmst du zuerst eine davon. Dann ersparst du dir weitere Attacken.“

Er erhob sich, drückte ihr das Glas in die Hand und stieß mit seinem dagegen. „Auf unser Kind.“

„Ja. Auf unser Kind“, erwiderte sie und nahm die unscheinbare Kapsel mit dem ersten Schluck.

Jetzt wird alles gut, dachte Maureen und begann, die gemeinsame Zukunft in den schillerndsten Farben zu beschreiben. Sie war überglücklich, dass er ihr uneingeschränkt zuhörte und keine Einwände mehr vorbrachte. Zwischendurch suchte sie immer wieder das Bad auf. Die Übelkeit wollte nicht weichen. Aber Gott sei Dank blieb ihr weiteres Erbrechen erspart. Diese Kapsel schien tatsächlich schon zu wirken. Obwohl ihr ein wenig schwindelig war.

Nach einer Weile stellte sie erschrocken fest: „Du meine Güte! Ich wollte doch nur ein Glas. Und jetzt ist die ganze Flasche leer.“

„Ach komm, Maureen. Das war doch nun wirklich ein Grund zum Feiern, oder?“

„Stimmt. Allerdings merke ich, wie mir schwindelig ist und ich schrecklich müde werde.“

„Dann leg dich hin und schlaf eine Runde. Das wird dir und dem Baby gut tun.“

„Du hast recht. Wir haben ja heute keine Termine mehr.“ Sie gähnte. „Und meine Eltern kann ich morgen immer noch anrufen.“

Komisch, dachte Maureen, wo kommt plötzlich diese Müdigkeit her? Das habe ich ja noch nie erlebt. Das Denken fiel ihr außerordentlich schwer. Sollte Champagner nicht eine anregende, stimulierende Wirkung haben? So war es auch bisher immer. Sie fühlte, wie die Schwärze des Schlafes sie aufsog und überließ sich vertrauensvoll seiner verlockenden Ruhe.

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