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Thomas Bay

DIE ZEITSCHLEIFE

Teil 3

Der Weg in die Gegenwart

© 2015 – 2018 Thomas Bay/Rechteinhabers (Thomas Bay)

1.Auflage

Illustration: Marcel Bay
Covergestaltung: Marcel Bay
Lektorat: Dr. Thomas Schmidt
Raymond Holzer

Dieses Buch ist der dritte Teil der Reihe «Die Zeitschleife»

TEIL 1 – Der Lauf in die Vergangenheit

TEIL 2 – Der Flug in die Zukunft

TEIL 4 – Der Sprung an den Anfang

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-7469-4054-0 (Paperback)

ISBN: 978-3-7469-4055-7 (Hardcover)

ISBN: 978-3-7469-4056-4 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

DIE STUNDE NULL

HARRY AUF KURS

DER RICHTIGE WEG

DIE LANDUNG

AUF DEM MITTELMEER

ORLÉANS - PARIS

BELLA ITALIA

VIVE LA FRANCE

EIN ÜBERRASCHENDES WIEDERSEHEN

DIE JAGD IM LOUVRE

REIMS

ROUEN

LE MANS

ETWAS GESCHIEHT

MEIN BESTER FREUND

WAS IST ZEIT

DER BESTE LAUF

DIE ENTDECKUNG

DAS ENDE?

EPILOG

PERSONEN

Vorwort

Samstag, den 01.07.2006

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Es gibt Tage, da genießt man einfach die Ruhe um sich herum. Man saugt die warmen Sonnenstrahlen auf und fröstelt ab und zu, wenn der noch kühle Wind am Morgen über die Haut streicht. An diesem sonnigen Sommertag lag ich entspannt auf meiner Sonnenliege im heimischen Garten. Ich schloss meine Augen, ließ alles Erlebte wie im Zeitraffer vor meinem geistigen Auge ablaufen und tastete immer wieder meinen Arm ab. Die Wunde, die mir im Kampf gegen die Römer zugefügt wurde, war verschwunden, als wäre nie etwas passiert. Neben mir lag der Gürtel, den ich vor einigen Wochen aufgelesen hatte. Eine Frau, die ich in einer Art Zeitfenster zur Zeit der Römer sah, hatte ihn verloren. Ich versuchte mich in Gedanken wieder in diese Zeit zurückzuversetzen. War ich wirklich dort gewesen? Hatte das etwas mit Zeitsprüngen in die Vergangenheit zu tun? War ich wirklich wie ein Zeitreisender durch die einzelnen Epochen gereist? Die Zeit war für mich bis jetzt etwas nicht Greifbares gewesen, etwas, das niemals gestoppt oder verändert werden konnte. Oder ging das vielleicht doch?

Erneut tastete ich mich ab. Sollten die Zeichen meiner langen Reise, die jetzt verschwunden waren, nicht ein Argument dafür sein, dass ich alles nur geträumt hatte? Ich öffnete meine Augen wieder und schlug das Buch auf, das ich mit nach draußen genommen hatte. In diesem Buch über den Bau der Pyramiden las ich über die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft. Angeblich hatten rund 30.000 freiwillige Arbeiter über 30 Jahre lang an der Cheopspyramide gebaut. Kopfschüttelnd blätterte ich die Seiten um und ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich schaute mir die Bilder der Pyramide detailliert an und erkannte, dass kein Stein dem anderen glich. Ich hielt kurz inne, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, die Steinreihen damals so gesehen zu haben.

Architektonisch gesehen war der Bau ein Unding, denn wer gäbe schon einen Bauauftrag, bei dem jeder Stein eine andere Größe hätte. Heutzutage baut so niemand mehr. Aber vielleicht macht genau das die Stabilität aus. Deshalb stehen die Pyramiden noch heute dort und wir dürfen sie noch nach Jahrtausenden bestaunen. Ich las weiter und betrachtete ein Bild, auf welchem ich erkannte, dass die Fugen zwischen den dort abgebildeten 20 Tonnen schweren Steinen keinen Millimeter dick waren. War ein Bau, den wir heute kaum hinbekommen, 3000 v. Chr. wirklich möglich? Und wie waren die Granitsteine so gerade geschnitten worden? War im alten Reich der Ägypter nicht Kupfer das härteste Metall gewesen? Oder täuschte ich mich und es war etwas Härteres bekannt? Granit kann man heute nur mit einem Diamantschneider bearbeiten. Und das Rad? Erst um 2.500 v. Chr. soll in Ägypten das Rad entdeckt worden sein.

Mit meinem einfachen Taschenrechner auf dem Handy rechnete ich die 2,5 Millionen Steine in den 15 Jahren Bauzeit auf eine Minute herunter und musste auf einmal lachen. Hätte man Tag und Nacht durchgearbeitet, wären pro Minute 1,26 Steine mit einem Durchschnittsgewicht von zwei Tonnen verbaut worden. Sogar unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es ja um die Pyramide eine Rampe gegeben hatte, auf der man ganz locker Steine zwischen einer und 20 Tonnen hochziehen konnte, war dies eine unglaubliche Leistung.

Ich schloss erneut meine Augen und sah die Pracht der drei Monumente auf dem Gizehplateau vor mir. Schon fast göttlich standen sie in der Sonne und warfen ihre riesigen Schatten in den Sand. Hatte ich sie wirklich gesehen, mit meinen eigenen Augen? Manchmal konnte man fast meinen, alles wäre nur ein Traum gewesen.

Der kühle Wind hatte sich gelegt und die warme Sonne machte mich schläfrig.

Ich erinnerte mich auf einmal, wie man mich in den offenen Sarg gelegt hatte. Ich sah die verschwommenen Gesichter über mir und wie es langsam dunkel um mich wurde. Und als ich endlich wieder aufwachte, sollte auf einmal alles anders werden.

Die Stunde Null

Donnerstag, den 01.02.2018

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Im Leben gibt es ganz besondere Ausnahmesituationen, denen man nur schwer gewachsen ist. Es gibt Naturkatastrophen, Kriege oder kosmische Ereignisse. In einer solchen besonderen Situation befand ich mich am frühen Nachmittag des 1. Februar 2018. Ich stand mitten in Kairo, mutterseelenallein auf einem großen Platz und schaute mich entsetzt um. Surreal war die Situation, in der ich mich befand. Kein Mensch und kein Tier waren mehr zu sehen. Der heiße Westwind wehte leicht und ich schmeckte den Wüstensand, der in der Luft lag. Überall um mich herum standen beschädigte, zum Teil noch brennende Autos. Sie hatten sich bei voller Fahrt, durch den Aufprall auf Gebäude oder Kollision mit anderen Fahrzeugen entzündet. Ich atmete tief ein um die aufkommende Panik zu unterdrücken. Ich drehte mich um und schritt auf eines der großen Gebäude zu. Ich kann mich heute nicht mehr daran erinnern, was ich dort eigentlich wollte, aber zielgerichtet steuerte ich darauf zu. Ich zog die große, schwere Holztür zurück und stellte mich in den Eingang.

„Hallo? Ist hier jemand? Irgendjemand?“, rief ich in meinem einfachen Arabisch.

Nichts – keine Antwort. Außer dem Echo meiner eigenen Stimme war nichts zu hören. Ich ging durch die Gänge des staatlichen Rundfunks und riss die Bürotüren auf. Ich schaute nach, ob sich jemand in einem der Zimmer befand. Alles leer! In keinem der Büros war ein Platz besetzt. Als ob sich das komplette Personal in Luft aufgelöst hätte.

In einem Nebenraum rauschte es und ich ging hinein mit der Hoffnung, dort könnte sich jemand befinden. Enttäuscht stellte ich fest, dass ich nur den Wasserkocher gehört hatte. Ich schaltete ihn aus und schaute mich nach etwas Nützlichem um, fand aber nichts, außer etwas Obst in der Büroküche. In jedem Büro sah es gleich aus. Alle PCs liefen noch und man hätte meinen können, es befänden sich alle Angestellten gerade gemeinsam in der Pause. Ich blickte kritisch auf meine Uhr und stellte fest, dass es bereits halb vier war. Über vier Stunden war ich durch Kairo gefahren und hatte nach irgendeinem Menschen gesucht, der den Angriff der Pyramiden überlebt hätte. Ich setzte mich, kochte mir einen Tee und aß etwas Obst.

War das wirklich ein Angriff gewesen? Oder war es ein Defekt des Zentralrechners? Als vor drei Tagen die Amuniden, Frank und ich mit dem Pyramidenraumschiff ATON-421 gelandet waren, hatte ‚Zeta’, der Zentralrechner des Schiffs, eine Fehlfunktion und hatte die Erde plötzlich als Feind angesehen. Heute Morgen hatten sich die anderen fünf Pyramiden mit der ATON-421 zusammengeschlossen und die Erde angegriffen. Ich konnte durch einen Trick mit einer kleinen Raumfähre das Pyramidenraumschiff verlassen und hatte sogar beabsichtigt, den Angriff zu vereiteln. Aber nachdem mich die Pyramide abgeschossen hatte, musste ich notlanden und stellte fest, dass außer mir niemand mehr hier war. Ich wusste nicht, ob es vielleicht doch noch Menschen gab, die diesen Schlag überlebt hatten. Ich war frustriert, weil ich bis jetzt niemanden im Rundfunkgebäude entdeckt hatte. Ich erreichte den Senderaum und verschaffte mir Zutritt. Ich verschaffte mir einen kurzen Überblick über die Funktionalität des Mischpults und verschob die Regler in die richtige Position. Es gelang mir nach kurzer Zeit tatsächlich, eine Tonnachricht aufzunehmen und in einer Schleife abspielen zu lassen. Ob jemand das schlechte Arabisch, das ich sprach, verstehen würde, wagte ich zu bezweifeln. Daher hatte ich den Text zusätzlich in Englisch gesprochen und hoffte, dass für wenigstens eine Woche noch Strom vorhanden war. Wieder war eine Stunde vergangen, und ich wollte nicht im Dunkeln durch die Stadt geistern.

Ich rannte die Treppe hinunter, schaute so lange in die verschiedenen Autos, bis ich ein Smartphone in einem Passat liegen sah. Ich schlug die Scheibe ein, schnappte mir das Telefon und sprang in meinen Jeep. Ich stellte die Sprache sofort auf Englisch um und lud ich mir den Stadtplan von Kairo herunter. Sofort suchte ich mir die nächstgelegenen Hotels heraus. Um auf einen gewissen Komfort nicht verzichten zu müssen, besorgte ich mir die Adresse des Hilton und lies mir die Route berechnen.

Ich startete den Wagen und fuhr langsam weiter in die verlassene City hinein. Autos standen kreuz und quer, teilweise noch mit laufenden Motoren. Einige waren ohne einen Lenker weitergefahren und mit einem Gebäude oder einer Ampel kollidiert. Um mich herum sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Kairo war eh schon als verdreckte Stadt bekannt, aber was ich jetzt zu sehen bekam, übertraf alles bisher Gesehene. Immer wieder kam ich an Kreuzungen, die durch kollidierte Fahrzeuge so verstopft waren, dass ich oft einen weiten Umweg fahren musste. So brauchte ich für die 12 Kilometer bis zum Hotel fast eine Stunde. Ich nahm die Tasche, welche ich bereits im Raumschiff mit dem Notwendigsten gepackt hatte, nahm meine Waffen und stieg aus. Die Sonne ging bereits unter, als ich in das Foyer des Hilton International eintrat. Erneut beschlich mich ein seltsames Gefühl. Ich befand mich an einer normalerweise sonst sehr belebten Stelle, die jetzt wie ausgestorben wirkte. Da ich nicht wusste, wie lange noch Strom produziert werden würde, ging ich ins Erdgeschoss und suchte nach der Restaurantküche. Ich musste mir irgendetwas Warmes zu Essen kochen. Erst nachdem ich einige Türe aufgebrochen hatte, fand ich endlich die Großküche und versuchte mir etwas zu zubereiten. Gut gespeist lief ich zurück an die Rezeption und versuchte herauszubekommen, wo sich die Suiten befanden und wie ich die passende Karte codiert bekam.

Am Codiergerät, welches sich in einem Seitenraum befand, konnte ich die gewünschte Zimmernummer eingeben und damit das Zimmer freischalten. Um nach oben in den zwölften Stock zu kommen, benutzte ich das Treppenhaus, um nicht im Aufzug stecken zu bleiben. Schnaufend und völlig außer Atem kam ich oben an und ärgerte mich über meine Kondition, die durch das seit Wochen fehlende Jogging stark abgenommen hatte. Ich fand das Zimmer 1203, das ich mir „gebucht“ hatte, recht schnell. Ich betrat die herrlich eingerichtete, große Suite. Zwei große Wohnräume, ein traumhaftes Schlafzimmer und ein riesiges Bad standen mir zur Verfügung. Ich schloss die Türe und legte die Tasche und meine Waffen auf den Tisch. Ich zog mir die Schuhe aus und trat an die bodentiefen Fenster. Kairo war fast überall noch beleuchtet. Die Straßenlaternen im modernen Teil der Stadt hatten sich zwar automatisch angeschaltet, jedoch blieben die meisten Häuser dunkel. Ich hoffte, dass sich die Stromnetze in den nächsten Tagen nicht durch einen Kurzschluss oder durch Überlastung abschalten würden. Es gab so Vieles, was ich noch im Internet recherchieren wollte. Versunken in meine Gedanken trat ich vom Fenster zurück, ging ins Bad, lies Wasser in die Wanne laufen und legte mich hinein. Sichtlich entspannt vergaß ich den Stress der letzten Tage für einen Moment.

Ich versuchte mir vorzustellen, wie die nächsten Tage ablaufen würden.

War ich wirklich alleine auf der Erde? Und wenn ja, konnte ich das Szenario wirklich zurückdrehen? Würden die Pyramiden wieder auf die Erde zurückkommen? Sollte ich hier warten? Oder war es an der Zeit, mich auf den Weg nach Hause zu begeben? Es gab noch viele unbeantwortete Fragen, welche es zu klären gab. Nahrung dürfte ich für die nächste Zeit genügend haben. Die meisten Produkte waren im Durchschnitt bis zu zwei Jahre haltbar. Danach würde es für mich schwieriger werden mich zu versorgen. Da ich weder ein Landwirt noch ein Jäger war, würde ich noch Einiges lernen müssen. Die erste Angst schlug schnell in Gleichgültigkeit um, denn warum sollte ich mir jetzt schon darüber Gedanken machen.

Ich genoss noch eine Zeit lang das warme Wasser und ging anschließend ins Bett. Beim Einschlafen dachte ich an Elena, Frank und Harry, von dem ich immer noch nicht wusste, ob er sich noch in der Orion befand und ob er überhaupt noch lebte. Ich löschte das Licht, schloss die Augen und fiel sofort in einen tiefen und von wirren Träumen bestimmten Schlaf. Leider schlief ich auch in den nächsten Wochen nicht besser.

Es war halb elf, als wieder aufwachte. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und ich spürte die Wärme im Zimmer. Langsam setze ich mich hin und bewegte meine Schultern, um meine Gelenke in Bewegung zu bekommen. Ich stand auf und schaltete die Klimaanlage ein. Als ich am großen Fenster stand und nach draußen schaute, war ich über den Anblick schockiert. In einigen Kilometern Entfernung waren mehrere Rauchsäulen zu erkennen. Was war da nur passiert? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen und ging ins Bad. Wichtig war heute herauszubekommen, wie und auf welchem Weg ich wieder nach Hause kommen konnte. Dazu benötigte ich Landkarten, einen Taschenrechner und eine gute Idee, wie ich das bewerkstelligen sollte. Ich hatte das Bedürfnis, so schnell wie möglich nach Schottland zu kommen, um nachzuschauen ob sich dort einer meiner Freunde hatte retten können. Ich machte mich abreisefertig und ging die Treppen nach unten, direkt ins Erdgeschoss. Nach einem Imbiss, der aus trockenem Brot und einem heißen Kaffee bestand, lief ich wieder nach draußen. Ein Schwall heißer Luft empfing mich und ich versuchte erst einmal tief durchzuatmen.

„Leichte und bequeme Kleidung“, ging es mir als Erstes durch den Kopf.

Ich sprang in den Jeep und fuhr an den Stadtrand Kairos, in eines der neu angelegten Einkaufszentren. Ich war mir sicher, dass ich dort alles finden konnte, was ich brauchte, ein Zelt, Kleidung, Nahrungsmittel, und vielleicht ein zweckmäßiges Fahrzeug. Mein noch funktionierendes Navigationsgerät auf dem Smartphone half mir, mich in der 16-Millionen-Metropole zurechtzufinden. Mir fiel auf, dass weder Hunde noch die sonst so zahlreichen Kamele auf den Straßen herumirrten. Eigentlich waren gar keine Tiere zusehen. Trotzdem legte ich mir das in einer Polizeistation besorgte Schnellfeuergewehr griffbereit auf den Beifahrersitz. Ich war mir nicht sicher, ob jemand aus Hunger töten würde, seien es Menschen oder Tiere.

Ich hatte mich entschieden, in den modernen Vorort Heliopolis zu fahren und dort eine der zahlreichen Einkaufs-Malls zu besuchen. Unterwegs entschied ich mich, in einem der vielen Autohäuser anzuhalten, um nach einem überdachten Offroader Ausschau zu halten. Ich hatte Glück und ich fand einen exklusiv ausgestatten Land Rover. Die meiste Zeit verlor ich damit, zuerst die Alarmanlage auszuschalten und im Büro des Chefs den Schlüsselkasten zu finden und ihn aufzubrechen. Draußen angekommen lud ich mein Gepäck um und schaute mich nach der nächsten Tankstelle um. Mit den letzten Tropfen Sprit erreichte ich die Zapfsäule. Ich stellte mir vier gefüllte Zehnliter-Reservekanister in den Kofferraum und tankte den Wagen voll. Das war meine Rückversicherung für den absoluten Notfall. Der Verbrauch war mit 6 bis 8 Liter Diesel auf 100 Kilometer angegeben, was ich bei dieser PS-Zahl fast nicht glauben konnte. Sollte das tatsächlich stimmen, würde mir das bei einem Tankvolumen von 80 Liter eine Reichweite von etwa 1000 Kilometer ermöglichen. Zufrieden mit dem Erreichten gab ich Gas und fuhr mit einem ganz neuen Fahrgefühl in Richtung Heliopolis. Das im Fahrzeug eingebaute Navigationsgerät verschaffte mir ganz neue Möglichkeiten zur Fortbewegung und Orientierung in diesem fremden Land.

„Wenn das so weitergeht, muss ich mir wirklich alles aufschreiben“, dachte ich mir. Denn im Moment folgte eine Idee der Nächsten.

Relativ schnell erreichte ich über die gut ausgebaute Autobahn Heliopolis, obwohl ich immer wieder durch verlassene oder ineinander verkeilte Fahrzeuge aufgehalten wurde. Schon an der ersten Ausfahrt entdeckte ich eine der großen Malls und fuhr den Wagen direkt vor die Eingangstüre. Anfangs hatte ich mir schon überlegt, direkt ins Einkaufszentrum zu fahren, verwarf die Idee aber wieder. Ich schaute mich um, ob vielleicht die Pyramidenraumschiffe zurückkommen würden. Aber das Einzige, was ich in einiger Entfernung sah, waren die Pyramiden von Gizeh, die alle anderen Gebäude überragten und mehrere Rauchsäulen, von denen ich noch immer nicht wusste, was deren Ursache war.

Ich schnappte mir das Sturmgewehr, welches ich mir in Kairo besorgt hatte und bewegte mich vorsichtig in das Einkaufszentrum. Wegen der Klimaanlagen empfing mich eine angenehme Kühle, als ich das riesige Einkaufszentrum betrat. Die Stille löste ein beklemmendes Gefühl aus. Ich stand alleine an einem Ort, an dem sich sonst zehntausende Menschen am Tag hindurchschoben. Da ich mich in Arabisch unterhalten konnte, die Schrift aber nur schlecht lesen konnte, lief ich von unten nach oben systematisch jeden Laden ab. Was erwartete mich außerhalb in der Stadt? Was brauchte ich für die nächsten Tage wirklich zum Überleben? In einem Outdoor-Geschäft besorgte ich mir zuerst bequeme Kleidung und festes Schuhwerk, welches ich in Europa bestimmt noch benötigen würde. Zum Schluss fand ich einen passenden Rucksack. Ich zog mich sofort um und packte den amunidischen Kampfanzug in den Einkaufswagen. Wasserreinigungstabletten, einen Kocher, Essgeschirr und Besteck sowie ein Allzweckmesser und ich kam mir vor, als würde ich auf eine Survivaltour gehen.

In einem Waffenladen, in den ich erst einmal einbrechen musste, besorgte ich mir ein leichteres Gewehr mit der passenden Munition. Als Pistole hatte ich immer noch die amunidische Waffe dabei, mit der ich aber bis jetzt noch nicht geschossen hatte. Es handelte sich dabei um eine Energie-Impulswaffe mit der man jemanden lähmen, ins Reich der Träume schicken oder auch töten konnte. Für das Gewehr musste ich auf jeden Fall noch Munition zum Üben mitnehmen, denn ich hatte zwar Militärdienst geleistet, war aber danach nur noch ein- oder zweimal auf einem Schießplatz gewesen. Meine andere Waffe ließ ich liegen und überprüfte das neue Gewehr auf seine Funktionalität. Ich zielte auf einige Gegenstände, die ich sehr zielsicher abschoss. Mit dem ersten Ergebnis war ich sehr zufrieden. In den hinteren Räumen des Verkaufsgeschäftes fand ich ganze Kisten voll Munition, legte sie auf den Wagen, der sich bedenklich senkte und setze meine Reise durch die Mall fort. Ich beförderte den Inhalt des Wagens zuerst in den Offroader und begann dann Shoppingtour Teil 2. Jetzt füllte ich literweise Wasserflaschen und Dosenfutter in den Einkaufwagen. Die Büchsen waren zwar schwer aber dafür lange haltbar. In einer Apotheke besorgte ich mir einen Verbandskasten, die wichtigsten Medikamente sowie Seife, Shampoo, mehrere Zahnbürsten und Zahnpasta. Die Antibiotika gegen eventuelle Infektionen suchte ich fast eine Stunde lang und musste dafür einen weiteren Schrank aufbrechen.

Gegen 15 Uhr, nach fast vier Stunden „Powershopping ohne zu zahlen“, wie ich es nannte, standen vor dem Ausgang drei vollgeladene Einkaufswagen bereit, die ich nach und nach zum Offroader schob. Außerhalb der Mall war es wieder sehr heiß, aber durch die neue Kleidung erträglicher. Die Ladefläche des Wagens füllte sich schnell und ich hatte Schwierigkeiten alles einzuladen. Mehrmals räumte ich wieder einen Teil heraus, um ihn umzuschichten. Einen Moment überlegte ich mir, ob ich auch nichts für meine Reise ins Ungewisse vergessen hatte und rannte nochmals in die Mall, um mir ein Ladekabel fürs Smartphone zu besorgen. Ich entschied mich wieder zurück ins Hotel zu fahren und die nächsten Schritte zu überlegen.

Kurz vor dem Erreichen des Hotels tankte ich nochmals nach und fuhr in das hoteleigene Parkhaus, um das vollgeladene Auto nicht in der Sonne stehen zu lassen. Ich befürchtete auch, dass doch noch jemand anderes überlebt hatte und den Wagen aufbrechen könnte. Sollte ich auf jemand anderen treffen, musste ich davon ausgehen, dass er mir feindlich gesinnt war. Es ging jetzt um das nackte Überleben jedes einzelnen. Ich erreichte das Hotel und fuhr durch die geschlossene Schranke, die mit einem Schlag zerbrach, hinunter in die Tiefgarage. Ich parkte das Auto direkt neben dem Treppenaufgang und begab mich mit meinem Rucksack in den 12. Stock. Die Elektronik an den Türen funktionierte noch immer und ich konnte problemlos eintreten.

Im Radio hörte ich meine Nachricht, die ich am Vortag aufgenommen hatte. Ich schaute erneut aus dem Fenster und zählte jetzt acht Rauchsäulen. Was waren das für Brände? Ich nahm den Feldstecher, den ich mir aus dem Outdoorshop mitgenommen hatte und schaute hindurch.

„Oh mein Gott. Das ist ja ein abgestürztes Verkehrsflugzeug“, sagte ich und wechselte den Blick auf die nächste Rauchsäule.

Dann waren auch in den Flugzeugen die Menschen verschwunden und nachdem das Kerosin aufgebraucht war, mussten die Flugzeuge unweigerlich abstürzen. Es war entsetzlich, mit welcher Zerstörungskraft die Flugzeuge aufgeschlagen waren. Ich legte mich auf das Bett. In Gedanken versunken schaute ich an die Decke und zermarterte mir den Kopf, wie es nun weitergehen würde. Ich zählte die Fakten zusammen, setzte mich hin und fing an alles aufzuschreiben.

Anscheinend war ich im Moment der einzige, der überlebt hatte, denn bis jetzt war mir kein anderer Mensch begegnet. Ich war mit einem guten Fahrzeug, genügend Benzin und allem, was man zum Überleben braucht, ausgerüstet. Ich war ausreichend bewaffnet und hatte genügend Munition, um mich im Notfall verteidigen zu können. Entscheidend war, dass es noch immer Strom gab. Das hieß, ich konnte noch nachtanken.

Ich entschloss mich, morgen das Ägyptische Museum zu besuchen. Bis jetzt hatte sich die Gelegenheit noch nie geboten. Ich hatte das Gefühl, es könnte vielleicht einen Hinweis auf die Amuniden geben. Sie waren ja mehrfach auf der Erde gewesen und hatten mit Sicherheit ihre Spuren hinterlassen. Daher entschloss ich mich, für den Rest des Tages im Zimmer zu bleiben und blätterte im Buch „Überleben in der Wildnis“, welches ich mir aus einem der zahlreichen Buchläden mitgenommen hatte. Vielleicht waren es die innere Unruhe oder die stressige Situation, wegen derer ich in der zweiten Nacht sehr unruhig schlief. Ich war froh, als es dämmerte. Ich sprang auf, ich wollte duschen und merkte, dass kein Wasser mehr aus der Brause kam.

„Mist, jetzt ist der Strom doch schon weg“, fluchte ich still vor mich hin. Hätte ich in der letzten Nacht doch nur noch gegoogelt und mir noch alle Informationen über die Kraftwerke besorgt.

Verschwitzt zog ich mich an, räumte die Minibar und nahm alle Sachen mit. Ich ging die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und beschloss mir etwas trockenen Kuchen aus der Hotelküche mitzunehmen. Ohne groß Zeit zu verlieren begab mich schnurstracks in die Tiefgarage zu meinem Auto. Ich startete den Motor und fuhr mit Schwung aus der Tiefgarage heraus, nicht ohne die zweite Schranke zu zerschlagen. Es war Viertel nach Acht und das Wetter zeigte sich heute von seiner trüben Seite. Der Himmel war mit Wolken behangen und es war diesmal nicht ganz so heiß. Ich verwarf den Gedanken mit dem Museumsbesuch und beschloss direkt nach Norden zu fahren. Vielleicht fuhr ich erst mal ans Meer, um dann zu entscheiden, wie es weitergehen sollte? Unter Umständen hatte ich ja Glück und weiter nördlich gab es noch Strom. Ich nahm einen kräftigen Schluck Wasser, biss in den Kuchen und gab Gas, ohne zu ahnen, in welches Abenteuer ich nun stolpern würde.

Harry auf Kurs

Mittwoch, den 31.01.2018

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Was Harry inzwischen erlebte, war nicht weniger aufregend. Als er mir vor einiger Zeit alles erzählte, war ich völlig geschockt. Mir war gar nicht so bewusst gewesen, wie er in der „Orion“ um sein Leben gezittert hatte. Die Orion war ein Teil des Raumschiffs „New Sphere“ gewesen, welches durch einen Meteoritensturm zerstört worden war. Nachdem Harry die Mail an uns gesendet hatte, aber keine Antwort mehr bekommen hatte, war er der Meinung, seine Mail hätte uns nicht erreicht. Als er kurze Zeit später mit der Erde Kontakt hatte und sich schließlich auch niemand mehr von dort gemeldet hatte, verfiel er, bedingt durch die fast zweiwöchige Wartezeit, in eine Depression, von der er sich nur langsam wieder erholte. Mehrere Tage rasierte und wusch er sich nicht mehr und statt die Systeme zu überwachen, schaute er stundenlang nur aus den Fenstern, obwohl sich da nichts veränderte. Es war Mittwoch, der 31. Januar 2018, als sich plötzlich sein Navigationsgerät meldete. Zuerst wusste er nicht, woher der nervende Piepton kam und dachte zuerst an einen Defekt innerhalb der Kapsel. Schwerfällig schwebte er in den Kommandobereich der Orion und sah auf dem Display den Text „Kurskorrektur. Orbitsequenz vorbereiten“ stehen.

„Auch das noch“, brummte er und kratzte sich seinen ungepflegten Vollbart. Müde schob er sich auf den Kommandositz und suchte in den Schablonen die passende für die Orbitsequenz heraus. Auch wenn er sich genervt fühlte, so war es doch gut, dass er endlich wieder etwas Sinnvolles zu tun hatte. Die Tage des Dahinvegetierens waren endlich vorbei. Und auch wenn es ihm schwerfiel, einen klaren Gedanken zu fassen, so war ihm doch bewusst, dass er nur überleben konnte, wenn er genau das machte, was ihm der Computer befahl. So hielt er sich peinlich genau an die Bedienungsanleitung und studierte die Abbildungen detailliert, um ja keine falsche Taste zu drücken. Nach fast einer Stunde mühevollen Programmierens erschien die Meldung „Erste Sequenz zum Einschwenken in den Orbit eingeleitet. Zündung erfolgt in 30 Sekunden“. Erleichtert atmete er durch und spürte, wie die Korrekturdüsen kurz darauf ihre Arbeit aufnahmen. Die Orion drehte sich um 180 Grad und Harry bekam sie endlich wieder zu sehen - die Erde. Beim Anblick seines Heimatplaneten, den er seit fast 100 Tagen nicht mehr gesehen hatte, traten ihm Tränen in die Augen.

„Endlich – ich habe es geschafft!“, murmelte er vor sich hin und schlug mit der Hand auf den Sitz. „Mich schickt keiner jemals wieder in den Weltraum“, fluchte er und ließ seinem Frust freien Lauf.

Es tat ihm gut, seine aufgestauten Aggressionen herauszulassen. Erleichtert, alles abgeladen zu haben, lehnte er sich langsam zurück, schloss die Augen und versuchte sich wieder zu entspannen. Nicht mehr lange und er hätte wieder festen Boden unter den Füssen. Erschöpft wischte Harry sich den Schweiß von seiner Stirn und schwebte wieder in den Wohnbereich der Orion. Glücklich, bald wieder zu Hause zu sein, begann er sich endlich wieder zu waschen und zu rasieren. Seit über zehn Tagen befand er sich in den gleichen Klamotten. Er cremte sich nach dem Rasieren das Gesicht ein, zog sich frische Kleidung an und fühlte sich wie neuer Mensch. Motiviert schwebte Harry in den Kommandobereich und überprüfte, wie weit er noch von der Erde entfernt wäre. Überrascht stellte er fest, dass es keine 800.000 Kilometer mehr zwischen der Orion und dem Planeten waren. Die im System laufende Sequenz würde bei etwa 400.000 Kilometer das erste von drei Bremsmanövern durchführen. Er nahm einen Taschenrechner und kalkulierte, dass das erste Manöver bei gleichbleibender Geschwindigkeit in nicht ganz zwei Stunden erfolgen würde.

Er musste bis dahin Lebensmittel und persönliche Dinge aus dem Wohnbereich ins Kommandomodul räumen, da der hintere Bereich der Orion vor dem Eintritt in die Atmosphäre abgesprengt würde. Harry geriet in Hektik und wusste zuerst gar nicht, wo er anfangen sollte. Über einen Schalter aktivierte Harry das Umpumpen des Trinkwassers aus den Wohnmodul-Tanks in den kleineren Tank des Kommandomoduls. Um die Notausrüstung samt Nahrungsmitteln musste er sich nicht kümmern, denn diese war ja bereits im Kommandomodul untergebracht. Er suchte seine persönlichen Gegenstände samt den Aufzeichnungen der letzten Tage und packte sie in eine große Tasche. Nach einer Stunde war er fertig und schloss die Luke zum Wohnbereich. So war die Orion schon einen Tag vor dem Eintritt in die Atmosphäre landebereit.

Der Tag zog sich wie ein Kaugummi in die Länge. Langeweile und Nervosität ließen den Tag endlos erscheinen. Nach einer unruhigen Nacht setzte sich Harry am nächsten Morgen auf einen der Sitze und schaute erwartungsvoll aus dem Frontfenster.

„Ryan von der ISS an fremdes Raumschiff. Wir haben ihre Raumkapsel auf dem Radar. Können sie uns empfangen, copy.“

Harry stutzte und nahm hektisch das Funkgerät in die Hand.

„ISS, hier spricht Harry aus der Orion“, sprach er ins Mikrofon.

„Orion? Meine Güte, Harry. Mit ihnen haben wir nicht mehr gerechnet. Uns wurde mitgeteilt, die „New Sphere“ wäre komplett zerstört worden. Wie ist ihr Status?“, fragte Ryan Ferry.

„Hallo ISS. Die „New Sphere“ ist nicht vollständig zerstört worden. Ich, Harry Wright aus dem Übersetzungsteam, befinde mich alleine in der Orion und konnte mit Hilfe der Anleitungen die Raumkapsel bis hierher steuern“, antworte Harry.

„Sind sie tatsächlich der einzige, der überlebt hat? Das tut uns sehr leid. Wie ist die aktuelle Lage, Harry?“

„Tom und Frank sind auf einem der Pyramidenraumschiffe geblieben. Und von den Verbliebenen bin ich leider der einzige, der den Meteoritensturm überlebt hat. Ich habe hier auf der Orion gestern die Sequenz für das Einschwenken ins Erdorbit gestartet.“

„Ok, Harry. Wir haben das verstanden. Dann werden sie nicht an der ISS andocken können, sondern die SOL-Sequenz selbst einleiten.“

„Um Himmelswillen hört mir bloß mit diesem technischen Kram auf. Ich bin mit meinen Nerven völlig am Ende, weil ich hier seit über 12 Tagen in dieser beschissenen Kapsel festsitze. Ich sage euch jetzt einfach, was ich gemacht habe und ihr antwortet einfach mit einem OK oder notOK.“

„Ok, Harry. Behalte bitte einen klaren Kopf. Das schaffen wir zusammen. Der größte Teil der Steuerung der Orion ist automatisiert. Die Hauptaufgabe ist, das korrekte Landefenster zu berechnen. Wo sollte die Orion denn landen?“

„Keine Ahnung! Das mit der automatischen Steuerung habe ich bereits herausbekommen. In etwa vier bis fünf Stunden sollte ich laut Bordcomputer in den Erdorbit einschwenken. Und als Landeplatz wäre mir die Umgebung von Edinburgh am Liebsten. Dann kann ich geradewegs nach Hause laufen oder nehme mir ein Taxi.“

„Ok, vergiss das mit Edinburgh gleich wieder. Wir versuchen zu berechnen, wo es am Günstigsten wäre, mit der Orion zu landen. Heute beginnen auf der Erde die Verhandlungen mit den Amuniden. Bereits vor zwei Tagen sind die Pyramiden gelandet. Heute werden die wichtigsten Wirtschaftsbosse und Regierungsvertreter zusammenkommen, um die ersten Handelsverträge mit den Amuniden zu unterschreiben. Das Treffen beginnt in fünf Stunden und findet in Gizeh statt.”

„Danke für eure Hilfe, mir einen passenden Landeplatz zu suchen. Damit wäre ich überfordert. Die Verhandlungen auf der Erde beginnen bereits jetzt schon? Das war mir gar nicht bewusst, dass sie schon so weit sind.“

„Ja Harry, dort unten tut sich einiges. Wir werden uns auf jeden Fall melden, wenn es Neuigkeiten gibt. Wir informieren jetzt die NASA über deine Ankunft, und du beobachtest bitte in den nächsten Stunden deinen Navigationscomputer. Dieser informiert dich darüber, ob die Kurskorrekturen und Bremsmanöver wie geplant durchgeführt wurden. Sollte etwas schiefgehen, dann musst du dich sofort mit uns in Verbindung setzen. Auf dem Display wird dir alles grafisch angezeigt. Du kannst sofort alle Veränderungen erkennen - auch Fehlermeldungen. Wir beobachten die Orion auf dem Radar und können anhand deiner Position genau feststellen, wo du in den Orbit einschwenken wirst. Wichtig ist, dass du am Navigationscomputer keine manuellen Eingaben mehr machen darfst, da der Bordcomputer den Einflugwinkel von drei Grad genau berechnet.“

„Alles klar Ryan. Das waren viele Informationen auf einmal, aber ich denke, ich habe alles verstanden. Ich werde mir hier alle Hilfe-Schablonen bereitlegen und die einzelnen Schritte abhaken. Den Wohnbereich habe ich bereits ausgeräumt und die Kommandokapsel versiegelt. Ich warte bis ihr euch meldet“, sagte Harry.

„Ok, Harry. Bevor wir unser Gespräch beenden, möchte ich dass wir alle Anzeigen in deiner Raumkapsel überprüfen und nicht wir, sondern du uns ein OK oder not-OK durchgibst.“

„Ok, ISS, wird gemacht. Dann lasst uns eure Checkliste durchgehen“, antwortete Harry. Es begann eine nicht endende Liste an Prüfungen, die Harry durchführen musste und er war froh, als von der ISS ein: „Halte durch! Du hast es fast geschafft! Over“, kam.

Harry lehnte sich zufrieden zurück, denn es tat ihm gut zu wissen, dass er nicht mehr alleine war. Jetzt war die zuvor noch prekäre Situation nicht mehr so schlimm. Immerhin würde man ihn jetzt bei seinen Handlungen begleiten. Er musste keine Angst haben, dass etwas schief gehen könnte. Noch immer angespannt schaute er auf die Uhr und stellte fest, dass in 40 Minuten die nächste Triebwerkszündung erfolgen würde. Er versuchte durch das Seitenfenster einen Blick auf die Erde zu erhaschen. Er blickte immer wieder nervös auf das Display des Bordcomputers. Es waren keine 500.000 km mehr bis zur Landung und bald würde er die Mondumlaufbahn erreichen. Er holte sich etwas Dörrobst und knabberte daran in der Hoffnung nicht müde zu werden. Immer wieder tippte er auf das Navigationspanel, um sich anzeigen zu lassen, wann die nächste Zündung erfolgen würde. Zwei Minuten vor dem nächsten Bremsmanöver schnallte er sich an und wartete darauf, dass endlich etwas passieren würde. Der Anpressdruck, der dann folgte, war hart. Er konnte kaum seinen Arm nach oben heben, so stark wirkten die Bremskräfte auf seinen Körper. Er war sich noch gar nicht bewusst, welche Schwierigkeiten er erst auf der Erde haben würde, nachdem er fast 12 Tage in der Schwerelosigkeit gelebt hatte. Die Fluggeschwindigkeit verringerte sich auf ein Drittel der ursprünglichen 35 km/s. Die Schwerelosigkeit kehrte zurück und Harry entspannte sich wieder. Zufrieden blickte Harry auf das Navigationsdisplay und las die Zahlen ab. Er flog nun mit 45.000 km pro Stunde auf die Erde zu und würde in 8 Stunden auf die Orbitalgeschwindigkeit abbremsen.

„ISS an Orion. Harry, kannst du uns hören“, klang es völlig hektisch aus dem Lautsprecher.

„Ja, ISS, ich kann Sie laut und deutlich verstehen. Was gibt es?“

„Irgendetwas stimmt nicht auf der Erde. Es muss etwas passiert sein, denn die Pyramiden haben sich von ihren ursprünglichen Positionen erhoben und schweben etwa einen Kilometer über der Oberfläche.“

„Das ist nicht euer Ernst, oder?“, fragte Harry nach. „Was haben die Amuniden plötzlich vor? Habt ihr Kontakt zur NASA gehabt?“

„Wir waren dabei, Bilder von der Erdoberfläche zu bekommen. Das ist aber nicht so einfach, wenn man keine Berechtigung hat, auf die Daten der Spionagesatelliten zuzugreifen. Jetzt ist der komplette Funkkontakt gestört. Wir melden uns gleich wieder bei dir, sobald wir genauere Informationen haben.“

„Alles klar, ISS. Da ich so oder so nicht helfen kann, warte ich auf eure Nachricht“, sagte Harry und beendete das kurze Gespräch.

Was sollte das jetzt? Wollten die Amuniden uns plötzlich verlassen? Planten sie, uns zu vernichten? Waren nicht sie es gewesen, die uns erschaffen und über Jahrtausende immer wieder besucht hatten? Oder war unsere Spezies so machtgierig und herrschsüchtig, die Verhandlungen schlagartig abzubrechen? All dies waren nur Spekulationen. Ein schrecklicher Gedanke überfiel Harry, als er an den Flug zum achten Planten des Siriussystems zurückdachte und an den dortigen Vernichtungsschlag einer Pyramide gegen die Verteidigungsanlagen des Planeten. Was würden dann sechs Pyramiden anrichten, wenn die Amuniden provoziert worden wären. Er lehnte sich zurück und schaute ins All. Das Schlimmste für ihn war, dass er hier zum Nichtstun verdammt war. Er musste bis zur Landung ausharren und bis dahin konnte es noch gute 15 Stunden dauern. Harry verfiel in einen kurzen Schlaf und schreckte völlig verschwitzt auf.

Harry schaute auf seine Armbanduhr und sah die Zeiger auf 10:15 Uhr stehen.

„Robert Bartez von der ISS ruft die Orion. Bitte melde dich, Harry“. Harry schwebte zum Funkgerät und meldete sich. „Hallo ISS, hier spricht Harry. Was gibt es?“

„Die Pyramiden bewegen sich und steigen in die obere Atmosphäre. Die sechs Pyramiden positionieren sich gleichmäßig verteilt über die Erde“, sagte der Kommandant der ISS.

„Das ist doch irre. Drehen die da unten total durch? Habt ihr irgendwie herausbekommen können, ob es sich um einen Angriff handelt?“, fragte Harry erschrocken.

„Wir haben versucht, Funkverkehr abzuhören, bekommen aber keinerlei Kontakt“, antwortete er.

„Ok, Robert. In wenigen Minuten tauche ich in den Erdorbit ein. Ich habe gerade die Landesequenz eingegeben und wollte sie aktivieren.“

„Warte noch einen Moment, Harry. Es unten tut sich was. Unsere Video-Cams haben eben etwas entdeckt. Aus der Pyramide die von Gizeh startete, ist eine Fähre gestartet. Sie steigt bis in den Orbit. Oh mein Gott!“

„Was ist los, Robert?“

„Sie schießen, Harry. Die Amuniden haben einen globalen Schlag ausgelöst.“

„Erzähle mir keinen Unsinn. Verdammt, ich kann nichts sehen“, fluchte Harry. „Könnt ihr irgendetwas erkennen?“

„Von jeder Pyramide breitet sich eine riesige Druckwelle aus. Harry es ist schrecklich. Wir können nicht erkennen, was alles zerstört wird. Aber warte!“

„Was ist?“, fragte Harry

„Die kleine Fähre, sie musste notlanden“, sagte Robert.

„Ist sie abgestürzt?“

„Nein Harry, was wir erkennen ist, dass sie hart aufgeschlagen ist, aber nicht zerstört wurde.“