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Carsten Niebuhr. Ölgemälde eines unbekannten Kopenhagener Künstlers, um 1775. Privatbesitz (vgl. Impressum)

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Dieses Buch ist Teil des von Heinrich Detering und Dieter Lohmeier initiierten Projekts ‚Grenzgänge. Studien zur skandinavisch-deutschen Literaturgeschichte‘. Der Druck wird gefördert aus Mitteln des von der DFG vergebenen Leibniz-Preises.

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© eBook: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, Heide 2013

© Printausgabe: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, Heide 2011

Alle Rechte vorbehalten.

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN eBook: 978-3-8042-3029-3

ISBN Printausgabe: 978-3-8042-1339-5

www.buecher-von-boyens.de

Einleitung

Vor 250 Jahren, in den ersten Januartagen des Jahres 1761, ging eine international zusammengesetzte Gruppe von sechs jungen Männern von Kopenhagen aus an Bord des dänischen Kriegsschiffes „Grønland“ auf die Arabische Reise, eine von König Friedrich V. von Dänemark finanzierte Expedition in den Jemen, die die Teilnehmer zunächst nach Ägypten und zum Sinai führte. Fast sieben Jahre später, im November 1767, kehrte Carsten Niebuhr als einziger Überlebender nach Kopenhagen zurück, nachdem er sich zunächst nach Bombay gerettet und dann – nach einem Abstecher zu den Ruinen von Persepolis – das Zweistromland, Anatolien und den europäischen Teil des Osmanischen Reiches durchquert hatte. Die Arabische Reise, ein Projekt der Erkundung der Welt aus dem Geiste der Aufklärung, das keinerlei handels- oder gar machtpolitische Absichten verfolgte, sondern allein auf den Erwerb von Wissen auf den verschiedensten Gebieten von der orientalischen Philologie über die Geographie bis zur Botanik ausgerichtet und von vornherein – trotz allen Interesses am Prestigegewinn für Dänemark und seine königliche Regierung – auf die Verbindungen mit der internationalen gelehrten Welt bedacht war, zieht aus historischem, kulturgeschichtlichem oder einfach menschlichem Interesse immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich, verdankt aber seinen nachhaltigen internationalen Ruf vor allem seinem höchst beachtlichen wissenschaftlichen Ertrag.

Daß es trotz des Todes von fünf Mitgliedern der „gelehrten Gesellschaft“ einen solchen öffentlich erkennbaren Ertrag überhaupt gab, ist das Verdienst Carsten Niebuhrs, der sich während der Arabischen Reise als ein verantwortungsbewußter, zuverlässiger und sorgfältig beobachtender Mann mit wissenschaftlichem Weitblick erwies. So nutzte er aus eigenem Antrieb die Fahrt der „Grønland“ durch den Atlantik, um die Methode zur Längengradbestimmung auf See, die sein Göttinger Lehrer der Astronomie, Tobias Mayer, entwickelt hatte, erstmals praktisch zu erproben, und leistete damit einen Beitrag zur Entwicklung der modernen Navigation. In Ägypten kopierte er, ohne damit beauftragt zu sein, Hieroglyphen und tat das mit großer Sorgfalt, weil er zu der Überzeugung gelangte, daß es sich dabei um eine Form von Schrift mit einem begrenzten Inventar an Zeichen handele (was auch prominente Gelehrte damals noch grundsätzlich bestritten), und in Persepolis kopierte er, gleichfalls aus eigenem Antrieb, ebenso sorgfältig die Keilschriftzeichen, die er als eine von rechts nach links zu lesende Schrift mit drei verschiedenen Alphabeten identifizierte, und stellte damit das Material bereit, mit dessen Hilfe mehrere Jahrzehnte später Georg Friedrich Grotefend die Keilschrift entzifferte und so den Schlüssel zu den schriftlichen Zeugnissen des Alten Orients fand.

Als Niebuhr 1764 allein in Bombay saß und sich auf die lange Rückreise vorbereitete, sorgte er dafür, daß die Materialsammlungen seiner verstorbenen Kollegen auf dem Seewege nach Kopenhagen gelangten: die vielen losen Blätter, auf denen der Botaniker Petrus Forsskål seine Beobachtungen von Flora und Fauna notiert hatte, sowie Forsskåls Herbarium, sein „Fischherbarium“ und sein Reisetagebuch, die Zeichnungen, die der Maler Georg Wilhelm Baurenfeind für Forsskål von Pflanzen und Tieren, die sich nicht konservieren ließen, und für Niebuhr von Orten, die die Reisenden unterwegs besuchten, angefertigt hatte, sowie das Reisetagebuch des Philologen Frederik Christian von Haven. Auch einen Teil der von ihm selbst gezeichneten Karten und Stadtgrundrisse ließ Niebuhr mit diesen Sendungen nach Europa gehen, wo alles wohlbehalten ankam.

Als Niebuhr dann selbst 1767 nach Kopenhagen zurückkehrte, war im Jahr zuvor König Christian VII. seinem Vater auf dem Thron gefolgt. Nun verlor die kosmopolitische Kulturpolitik, die von den beiden wichtigsten Ratgebern des verstorbenen Königs, Oberhofmarschall Moltke und Außenminister Bernstorff, betrieben worden war und für die die Arabische Reise ein besonders eindrucksvolles Beispiel gab, allmählich ihre Grundlage: Moltke wurde schon 1766 in Ungnade entlassen, kehrte dann zwar noch einmal in die Regierung zurück, erlangte aber seine alte Machtfülle nicht wieder und mußte im Dezember 1770 endgültig gehen, wenige Monate, nachdem auch Bernstorff seinen Abschied erhalten hatte. Für Niebuhr änderte sich freilich zunächst nichts. Er wurde bald nach seiner Rückkehr vom Ingenieur-Leutnant zum Ingenieur-Hauptmann („Capitain“) befördert und zehn Jahre lang aus dem Militäretat besoldet. Er war aber vom Dienst freigestellt und hatte dafür den Auftrag, seinen Reisebericht auszuarbeiten und zu veröffentlichen. Die königliche „Particulärkammer“, die die gesamte Arabische Reise finanziert hatte, bezahlte die Kupferplatten für die zahlreichen Illustrationen und Karten, die Niebuhr benötigte, und entlohnte auch die Kupferstecher, die diese Platten stachen; Niebuhr erhielt die Platten sogar als sein Eigentum. Aber als die Drucklegung der Bücher begann, geriet Niebuhr in Schwierigkeiten. Ihm wurden zwar für jeden der geplanten drei Bände 500 Reichstaler als Zuschuß zugesagt und ausgezahlt, aber das war weniger als ein Fünftel der gesamten Druckkosten von 2736 Reichstaler, die Niebuhr nach seiner eigenen Aussage für die erste seiner Veröffentlichungen, die 1772 erschienene „Beschreibung von Arabien“,1 aufzubringen hatte. Die wenig später erschienene französische Übersetzung dieses Werks2 mußte er anscheinend ganz allein finanzieren. Dennoch ließ Niebuhr sich nicht davon abbringen, zu tun, was er für seine wissenschaftliche und zugleich seine patriotische Pflicht hielt. 1774 kam der erste Band seiner „Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern“ heraus.3 Dann erschienen 1775 in zwei Bänden die Aufzeichnungen Forsskåls zu Fauna und Flora, die Niebuhr mit Hilfe des Botanikers Johan Zoëga veröffentlichte,4 sowie 1776 ein schmaler Band mit den dazugehörigen Kupferstichen nach Zeichnungen Baurenfeinds, die Niebuhr ihres teilweise großen Formats wegen gesondert herausbrachte.5 Der König unterstützte die Drucklegung nach demselben Muster wie bei Niebuhrs eigenen Werken: Niebuhr erhielt durch die Partikulärkammer einen Zuschuß zu den Druckkosten von 800 Reichstalern, die Kosten für die Kupferplatten wurden ihm erstattet, und die Kupferstecher wurden für jede einzelne Platte entlohnt. Aber auch in diesem Falle mußte Niebuhr wohl einen Teil der Kosten selbst tragen, dazu die Löhne der Künstler, die einen Teil der Kupferstiche aquarellierten, und des Buchbinders, der die vier Exemplare, die Niebuhr für die königlichen Herrschaften abzuliefern hatte, mit repräsentativen Einbänden versah. Schließlich folgte in der Reihe der Veröffentlichungen 1778 der zweite Band der „Reisebeschreibung“, der entgegen der ursprünglichen Planung schon mit dem Bericht über die Ankunft in Aleppo endete, so daß Niebuhr nun noch einen dritten Band ankündigte.

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Abb. 1. Titelblatt der „Beschreibung von Arabien“ (1772). – Für seine erste Buchveröffentlichung fand Niebuhr das Format und die großzügige, gefällige Typographie, die er dann auch für seine „Reisebeschreibung“ benutzte. Für die Titelblätter entwarf der Bildhauer Johannes Wiedewelt (1731-1802) die Vignette, die von J. F. Clemens (1748-1831) in Kupfer gestochen wurde. Sie stellt Personifikationen der beiden Wissenschaften dar, die Niebuhr betrieb: Geographie und Astronomie.

Über die Jahre nach dem Sturz Bernstorffs berichtet Barthold Georg Niebuhr in der Biographie seines Vaters, „Mißverständnisse und Entzweiung“ hätten diesem den Aufenthalt in Kopenhagen verleidet, und als er dann hörte, der Chef des Ingenieurkorps, General Wilhelm von Huth, wolle ihn bei der in Vorbereitung befindlichen geographischen Landesaufnahme in Norwegen als Landmesser beschäftigen, habe Niebuhr beschlossen, den Militärdienst zu verlassen und sich für den zivilen Verwaltungsdienst zu bewerben.6 Briefquellen oder andere Zeugnisse, die diese Darstellung bestätigen oder modifizieren könnten, sind nicht bekannt. Gesichert ist jedoch, daß Niebuhr sich mit Erfolg um die Stelle des Landschreibers in Süderdithmarschen bewarb und im Frühsommer 1778 zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern, der vierjährigen Tochter Christiane und dem zweijährigen Sohn Barthold Georg, Kopenhagen verließ und nach Meldorf umzog. Die Auswertung der Ergebnisse der Arabischen Reise war seitdem nur noch seine Privatsache. Der dritte Band der „Reisebeschreibung“ blieb nun im Manuskript liegen und wurde erst 1837 zum Druck gebracht. Niebuhrs Plan, auch Forsskåls Reisetagebuch, von dem er bereits eine Übersetzung ins Deutsche hatte anfertigen lassen, zum Druck zu bringen, wurde anscheinend sang- und klanglos begraben.

Das könnte durchaus den Eindruck erwecken, als sei der Umzug von Kopenhagen nach Meldorf ein tiefer Bruch in Niebuhrs Leben gewesen. In der Tat kam Niebuhr 1778 in Verhältnisse, die ganz anders waren als diejenigen, in denen er während des letzten Jahrzehnts gelebt hatte. Dore Hensler schrieb im „Lebensbild“ ihres Schwagers und Freundes Barthold Georg Niebuhr über Meldorf, das sie von vielen Besuchen kannte:

„In jenem kleinen altväterisch gebauten, größtentheils von Marsch umgebenen, und in einer baumlosen Gegend gelegenen Flecken verlebte Niebuhr seine Kindheit und Jugend in stiller Eingezogenheit. Entfernt von besuchten Straßen und weder durch sich selbst noch durch seine Umgebung anlockend, konnte der Ort nicht leicht jemand zum Besuche reizen, den nicht persönliches Interesse dahin führte. Der Ruf des berühmten Reisenden zog wohl zuweilen einen Fremden an, und manche Freunde besuchten ihn; aber es verflossen doch Monate und vielleicht halbe Jahre, in denen er Niemand sah als die Bewohner des kleinen Orts.“

Nur die Tatsache, daß Heinrich Christian Boie 1781 aus Hannover als Landvogt nach Meldorf kam und 1785 seine langjährige Freundin Luise Mejer durch die Heirat ebenfalls aus Hannover nach Meldorf holte, habe das „im Ganzen stille und gleichförmige Leben“ spürbar belebt und bereichert.7 Es gibt aber in Niebuhrs Briefen keine Klagen über Möglichkeiten, die er mit dem Weggang aus Kopenhagen aufgegeben hatte, und ebenso wenig Klagen über die Enge Meldorfs, nur die nüchterne Feststellung, daß es „gleichsam am äußertsen Rande der Welt“ liege, „nach welcher Gegend nicht leicht ein Fremder zu kommen pflegt.“8 Trotzdem bleibt es eine bedenkenswerte Frage, wie in seinem Leben die Erfahrung der Arabischen Reise und die mehr als 35 Jahre, die er als Steuerbeamter in Meldorf verbrachte, ohne – außer zu Besuchen im Land Hadeln – viel über Dithmarschen hinauszukommen, eigentlich zusammenpaßten. Die Antwort auf diese Frage liegt vermutlich im Charakter Carsten Niebuhrs.

Niebuhr selbst hatte im Frühjahr 1778, als seine Berufung zum Landschreiber von Süderdithmarschen schon sicher war und er sich auf den Umzug vorbereitete, seinem Freund und Kollegen Carl Friedrich Spies, der schon seit einigen Jahren Amtsverwalter in Reinfeld war, in einem gutgelaunten Brief auseinandergesetzt, warum es vernünftig sei, von Kopenhagen nach Meldorf gehen.9 Die Veränderung der Machtkonstellation an der Spitze der dänischen Monarchie und den Verlust der Protektion seiner Arbeit durch seine Gönner erwähnte er dabei mit keinem Wort, und allein schon deswegen kann der Brief an Spies nicht als vollgültige Begründung für Niebuhrs Entscheidung gelten. Als harter Kern bleibt aber trotzdem Niebuhrs Wunsch, in eine bäuerlich geprägte Umgebung an der Grenze zwischen Marsch und Geest zurückzukehren, wie er sie in seiner Jugend im Land Hadeln kennengelernt und wie sie ihn geprägt hatte. So schrieb er an Spies:

„Meldorf liegt auf der Geest, aber dicht an der Marsch; dies ist also genau eine solche Gegend, denen ich vorzüglich gut bin. Man lebt daselbst in keinem so großen Getümmel als in der Hauptstadt; und wenn man nur eine mittelmäßige Einnahme hat, so lebt man auch an einem solchen Ort viel besser als in Kopenhagen. Hier wohne ich zwar auf einem königlichen Palais; aber was ist das in Vergleichung mit einem Haus in einer Stadt in Holstein, das man allein bewohnt, wo man einen Garten hinter seinem Hause hat, worin die Kinder von Morgen bis an den Abend herumlaufen können, wo man selbst Kühe, ja wohl sogar Pferde halten und an einem schönen Tage sagen kann: , Kutscher, spanne gleich an!‘“

Niebuhr war in seiner Jugend aus eigenem Entschluß und aus eigener Kraft aus den bäuerlichen Verhältnissen, aus denen er stammte, ausgebrochen, als er sich mit 22 Jahren noch einmal auf die Schulbank setzte, um die Universität besuchen und danach einen praktischen Beruf ergreifen zu können, aber auch während seines Studiums in Göttingen und in den zehn Jahren, in denen er nach der Beendigung der Arabischen Reise in Kopenhagen im Umkreis des Hofes und der zentralen Regierungsbehörden lebte und arbeitete, wuchs er weder in die höfische noch in die akademische Welt richtig hinein, sondern blieb der zähe, bedächtige und etwas dickschädelige Bauer, der er offenbar seinem Naturell nach war.10 Die Universität in Kopenhagen hatte anscheinend keine Verwendung für ihn (was man ihr durchaus zum Vorwurf machen könnte), aber selbst wenn sie ihn für einen Lehrstuhl hätte gewinnen wollen, hätte er vermutlich aus Bescheidenheit abgelehnt, so wie er nach Ausweis des in Kapitel 1 abgedruckten Briefes schon im Spätherbst 1760 vor dem Antritt der Arabischem Reise im Unterschied zu seinen Kollegen von Haven und Forsskål den ihm angebotenen Professorentitel abgelehnt hatte und statt dessen lieber Ingenieur-Leutnant geworden war, und 1774 dem Gerücht entgegentrat, er werde an die Universität in Kiel gehen. „Mir ist dergleichen niemals angeboten, ich habe es niemals gesucht und werde es auch nicht suchen; ich möchte sonst das Bisgen Ruhms, das ich unter dem Namen eines Officiers bey den Gelehrten erworben habe, wiederum als Professor verliren.“11 Die Tatsache, daß er die ungewöhnlich exakten Längengradbestimmungen, die er während der Arabischen Reise vorgenommen und mit der methodischen Sicherheit eines Astronomen vom Fach berechnet hatte, lieber mehr als dreißig Jahre in seinem Schreibpult verschloß, statt sie ohne die vorhergehende Kontrolle durch einen Fachmann, einfach im Vertrauen auf die Sorgfalt seiner eigenen Arbeit, zu veröffentlichen, ist dafür ein besonders einprägsames Beispiel.12 Daß er 1799 begann, Moorkolonisation zu betreiben und den Hof Niebuhrslust anzulegen, um sich selbst in körperliche Tätigkeit und Bewegung zu bringen, daß er dafür viel Geld und Energie aufwandte und sich erst in den allerletzten Monaten seines Lebens entschloß, das Gebäude und die Ländereien zu verkaufen, entsprach sehr viel mehr den Möglichkeiten, die er sich selbst zutraute.

Nachdem Niebuhr in Kopenhagen durch seine Veröffentlichungen den größeren Teil des wissenschaftlichen Ertrags der Arabischen Reise gesichert und es dabei offensichtlich auch verstanden hatte, die nötigen Fachleute zu gewinnen und ihre Beiträge in den Arbeitsprozeß zu integrieren, fehlten ihm in Meldorf anscheinend zumeist der Ansporn und der Rückhalt, deren er bedurfte, um über seinen eigenen Schatten zu springen. Seine Korrespondenz aus den Meldorfer Jahren ist nur höchst lückenhaft überliefert,13 aber die erhaltenen Briefe lassen doch erkennen, daß ihn Arabien und Afrika weiterhin lebhaft interessierten, daß er sich so gut wie möglich mit Neuerscheinungen von Reiseberichten auf dem laufenden hielt und bereitwillig über seine Erfahrungen Auskunft gab. Solange seine Augen es ihm noch erlaubten, lesbare Briefe zu schreiben, unterhielt er Verbindungen mit bedeutenden Gelehrten, namentlich mit den Orientalisten Oluf Gerhard Tychsen in Bützow und Rostock14 und Antoine-Isaac Silvestre de Sacy in Paris.15 Er zehrte bis in seine letzten Lebenstage von den Erfahrungen der Arabischen Reise und war erfreut, wenn jemand ihm die Möglichkeit bot, mit diesem Pfund zu wuchern. Das früheste Beispiel für die belebende Wirkung solcher Anregungen sind die zahlreichen Aufsätze, die Niebuhr zwischen 1781 und 1791 für die von Heinrich Christian Boie redigierten Zeitschriften „Deutsches Museum“ und „Neues deutsches Museum“ schrieb.16 In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts verfolgte er mit Aufmerksamkeit Ulrich Jasper Seetzens Reise in den Vorderen Orient und äußerte sich darüber in Briefen an den Astronomen und Geographen Franz Xaver von Zach, der diese in Auszügen zum Druck brachte.17 Die Veröffentlichung von Friedrich Konrad Hornemanns Tagebuch von seiner Reise durch die Sahara 1802 veranlaßte Niebuhr, Zach einen kleinen Aufsatz zuzuschicken, in dem er erläuterte, in welchen Punkten dieser Augenzeugenbericht nun bestätigte, was er selbst ein Jahrzehnt zuvor aufgrund von Gesprächen mit einem Gesandten des Dey von Tripolis, die er 1773 in Kopenhagen führte, über das Innere Afrikas geschrieben hatte.18 Als 1810 Heinrich Röntgen Barthold Georg Niebuhr in Berlin aufsuchte, um mit ihm über seine Pläne zu einer Reise durch das Innere Afrikas zu sprechen und – möglicherweise – über ihn auch den Rat des alten Niebuhr einzuholen, diktierte dieser seiner Tochter mehrere Briefe mit Ratschlägen,19 und da Röntgen seinen Vorschlag, von der Guineaküste her in das Innere des Kontinents zu gelangen, ablehnte, wollte er seinen Sohn dazu animieren, den Vorschlag in einer Zeitschrift zu veröffentlichen.20 Niebuhr interessierte sich ebenso lebhaft wie Barthold Georg Niebuhr für den 1809 erschienenen Reisebericht von Henry Salt aus Abessinien (Äthiopien) und hätte es gern gesehen, wenn sein Sohn seine Aufzeichnungen über das Land, die er während seines Aufenthalts in Arabien durch Befragung landeskundiger Leute gesammelt hatte, zum Druck gebracht hätte,21 und noch im Februar 1815, wenige Wochen vor seinem Tod, diktierte er seiner Tochter eine Reihe von Informationen über Abessinien.22

In den letzten beiden Jahrzehnten sind zwei umfangreiche Bücher – ein dänisches und ein deutsches – erschienen, in denen die Arabische Reise, ihr Ertrag und die Leistung Niebuhrs aus der Sicht verschiedener Fachwissenschaften gewürdigt werden.23 Außerdem sind speziell die Pflanzen, die Petrus Forsskål während der Expedition beschrieb und in einem Herbarium sammelte, in gemeinsamer Arbeit eines englischen und eines dänischen Botanikers auf dem Stand der aktuellen Forschung bearbeitet worden,24 während das Zoologische Museum der Universität Kopenhagen die erhaltenen Bestände von Forsskåls „Fischherbarium“ wissenschaftlich bearbeitet und in Fotos und Röntgenaufnahmen ins Internet gestellt hat.25 Auch sind die durch von Haven und seine Gefährten für die Königliche Bibliothek in Kopenhagen erworbenen arabischen Handschriften wissenschaftlich katalogisiert worden,26 und schließlich sind Niebuhrs „Beschreibung von Arabien“ und seine „Reisebeschreibung nach Arabien und den umliegenden Ländern“ vor einigen Jahren erstmals in einer vollständigen Neuübersetzung ins Dänische vorgelegt worden.27

Angesichts der Lebhaftigkeit des Interesses und des Umfangs der einschlägigen Forschungsliteratur ist es an sich verwunderlich, daß von den handschriftlichen Quellen der Arabischen Reise bisher nur wenig im originalen Wortlaut veröffentlicht worden ist, doch erklärt es sich wohl nicht zuletzt dadurch, daß dänischen, englischen oder französischen Lesern heute im allgemeinen mit übersetzten Quellenzitaten und -referaten mehr gedient ist als mit dem Abdruck der überwiegend deutschsprachigen Originale des 18. Jahrhunderts. Um so erfreulicher ist es, daß seit einigen Jahren das dänische Reisejournal Frederik Christian von Havens in einem vollständigen buchstabengetreuen, freilich nur sparsam kommentierten Abdruck vorliegt.28 Von Petrus Forsskål hat der Kopenhagener Botaniker Carl Christensen bereits 1918 eine Reihe von meist deutschsprachigen Briefen aus den Kopenhagener Akten der Arabischen Reise veröffentlicht,29 und seit 1950 gibt es auch einen Druck seines Reisetagebuchs.30 Aber von den zahlreichen Briefen, die Carsten Niebuhr während der Arabischen Reise geschrieben hat, sind bisher nur drei, die Carl Christensen in sein Buch über Forsskål aufgenommen hat,31 und die dreizehn, die ich in den Jahren von 2004 bis 2009 in einer Serie der Zeitschrift „Dithmarschen“ veröffentlicht und erläutert habe,32 im Original gedruckt. Niebuhr ist freilich kein brillanter Briefschreiber, und die meisten der sachlichen Informationen, die sich in seinen Briefen finden, sind in seine gedruckten Werke eingeflossen und also nicht neu. Dennoch werfen diese Briefe manches erhellende Licht auf den Verlauf der Reise und verdienen auch als unmittelbare Zeugnisse eines gefährlichen Unternehmens, das unter sehr schwierigen Umständen des Reisens und der Kommunikation durchgeführt worden ist, sowie als persönliche Dokumente Niebuhrs Interesse. Als solche ergänzen sie die bereits vorhandenen Quellen zur Biographie Niebuhrs, namentlich die Darstellung, die sein Sohn Barthold Georg im Jahr nach dem Tod seines Vaters veröffentlichte,33 und den Bericht, den Niebuhrs Neffe Hinrich Wilhelm Schmeelke einige Zeit später vom Leben seines Onkels niederschrieb.34 Deshalb bin ich dem Boyens Buchverlag dafür dankbar, daß er mir die Möglichkeit gegeben hat, die dreizehn Kapitel der Briefserie aus „Dithmarschen“ nun überarbeitet zu einem Buch zusammenzustellen und sie dabei um weitere Stücke zu ergänzen. Meinem Freund und Kollegen Heinrich Detering danke ich für die finanzielle Unterstützung, die die Drucklegung des Buches ermöglicht hat.

Die Originale der hier vorgelegten Briefe liegen zumeist bei den Akten der Arabischen Reise im Reichsarchiv in Kopenhagen, die dort drei Archivkästen füllen.35 Diese Akten bestehen im wesentlichen aus zwei Teilen: Der eine, der in den ersten beiden Archivkästen enthalten ist, umfaßt Schriftstücke, die in Kopenhagen in der für die Außenpolitik zuständigen Abteilung der Deutschen Kanzlei angefallen sind. Es sind Schreiben, die an die in der Regierung und bei Hofe für die Arabische Reise Verantwortlichen, Bernstorff und Moltke, gerichtet sind, sowie Konzepte von Schreiben der Deutschen Kanzlei, also vor allem Schriftstücke, die von Mitarbeitern Bernstorffs nach dessen Vorgaben entworfen, von ihm durchgesehen, teilweise eigenhändig korrigiert, zumeist aber nur in der – in der Regel nicht erhaltenen – Reinschrift unterzeichnet wurden.

Der zweite Teil der Akten der Arabischen Reise, der den dritten Archivkasten ausmacht, ist zunächst in Konstantinopel durch Sigismund Wilhelm von Gähler zusammengetragen worden. Dieser hielt sich seit 1752 dort auf, weil Bernstorff Handelsverbindungen mit der Levante aufnehmen und diese durch einen Vertrag mit dem Sultan absichern wollte. Gähler handelte diesen Vertrag aus und amtierte nach dessen Abschluß seit 1757 als außerordentlicher dänischer Gesandter. Als solcher war er mit praktischen Fragen der Organisation der Expedition befaßt und war die entscheidende Relaisstation in der Verbindung zwischen den Reisenden und der Kopenhagener Regierung, bis er im Herbst 1766 abberufen wurde, da sich gezeigt hatte, daß keine Aussichten auf einen ertragreichen dänischen Levantehandel bestanden. Danach betreute der Legationssekretär Johann Adolph Horn, den Gähler in Konstantinopel zurückgelassen hatte, Niebuhr, als dieser im Winter 1766/67 dorthin zurückkehrte. Die Gesandtschaftsakten der Arabischen Reise sind erst nachträglich mit den in Kopenhagen angefallenen Schriftstücken zusammengebracht worden, sind aber immer noch deutlich als ein eigener Bestand zu erkennen.

Gählers eigene regelmäßige Berichte („Relationen“) nach Kopenhagen, in denen außer von den vordringlichen Problemen der Handelspolitik auch viel von der Expedition die Rede ist, liegen im Original in einzelnen Fällen bei den Akten der Arabischen Reise, im allgemeinen aber – ebenso wie die Ordern Bernstorffs an Gähler – bei den das Osmanische Reich betreffenden Akten im Archiv der Deutschen Kanzlei.36

Einige der in der Buchausgabe neu hinzugekommenen Briefe befinden sich im Teilnachlaß Niebuhrs im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 37 Während der andere Teilnachlaß in der Universitätsbibliothek Kiel praktisch ausschließlich Briefquellen enthält, die mit der Arabischen Reise und ihrem wissenschaftliche Ertrag in engem Zusammenhang stehen, hat der Berliner Teilnachlaß einen überwiegend privaten Charakter. In das Umfeld der Arabischen Reise gehören hier nur fünf an Niebuhr gerichtete Briefe Johann Hartwig Ernst Bernstorffs aus den Jahren zwischen seinem politischen Sturz 1770 und seinem Tod 1772 sowie ein umfangreicheres Konvolut von Briefen Niebuhrs an Bernstorffs Sekretär Christian Friedrich Temler aus den Jahren 1761–1768, das dieser irgendwann an Niebuhr zurückgegeben hat. Aus ihm sind hier drei Briefe abgedruckt (Nr. 2, 14 u. 18). Erwähnenswert ist aber auch noch ein weiteres Faszikel des Berliner Teilnachlasses: Niebuhrs Briefe an seinen Verwandten Johann Beymgraben in Altenbruch im Land Hadeln aus den Jahren 1755–1761. Diese haben ihren besonderen Wert darin, daß sie die einzigen autobiographischen Zeugnisse Niebuhrs sind, die bis in die Zeit vor seiner Verbindung mit den Organisatoren der Arabischen Reise zurückreichen und auch die Zeit der Vorbereitung auf dieses Unternehmen bis zum Beginn der Seereise spiegeln. Ausgewählt ist der Brief, den Niebuhr am 27. Dezember 1760 in Kopenhagen schrieb, wenige Tage, bevor er und seine Reisegefährten an Bord des Kriegsschiffes „Grønland“ gingen (Nr. 1); ihm beigegeben ist ein Blatt, das heute an anderer Stelle im Berliner Teilnachlaß liegt, aber ursprünglich dem Brief an Johann Beymgraben beilag: das Testament, das Niebuhr seinen Verwandten vor Antritt der Reise hinterließ.

Die ausgewählten Briefe Niebuhrs werden im folgenden ungekürzt abgedruckt¸ allein in Kapitel 11 ist nur die ausführliche Nachschrift wiedergegeben, während der Brief selbst weggelassen ist, um Wiederholungen zu vermeiden. Die Briefe sind grundsätzlich buchstabengetreu wiedergegeben, die Zeichensetzung ist jedoch um der besseren Lesbarkeit willen durchweg modernisiert. Vom Herausgeber in den Text eingefügte Erläuterungen stehen in eckigen Klammern.38

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Abb. 2. Niebuhrs Reiseweg. Kartenzeichnung von Erwin Raeth, 1986

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Abb. 3. Die erste Seite von Niebuhrs Brief an Johann Beymgraben, Kopenhagen, 27. Dezember 1760

1. Vor dem Aufbruch

An Johann Beymgraben, Kopenhagen, 27. Dezember 17601

Die Anregung zur Arabischen Reise kam von dem Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis (1717–1791, Abb. 4). Er kannte die großzügige kosmopolitische Kulturpolitik, die in Kopenhagen während der Regierungszeit König Friedrichs V. von Moltke und Bernstorff betrieben wurde, und fragte deshalb 1756, als er nach Förderungsmöglichkeiten für zwei seiner Studenten aus Dänemark und Norwegen suchte, bei Bernstorff an, ob der König nicht mit einem der Schiffe, die mit einiger Regelmäßigkeit von Kopenhagen in die dänischen Kolonie Tranquebar (Tharangambadi) an der indischen Koromandelküste abgingen, einen Gelehrten mitschicken könne, um ihn dann von dort aus zu Forschungen in das südliche Arabien gehen zu lassen. Über den Jemen – den die Römer „Arabia felix“, das glückliche Arabien, genannt hatten – wisse man nämlich in Europa noch wenig, doch müßten sich in ihm, weil er nie von fremden Völkern erobert worden sei, besonders alte Gesellschafts- und Kulturformen erhalten haben, aus denen man wertvolle Erkenntnisse für Geographie, Naturkunde, Sprachwissenschaft und vor allem für die Erklärung der Bibel gewinnen könne.

Das Projekt wurde sehr bald genehmigt, und es wurde ausgeweitet, weil den Beteiligten sehr schnell bewußt wurde, daß ein einzelner Mann außerstande sein werde, die verschiedenen Gebiete gleichermaßen sachkundig zu bearbeiten. So kam Michaelis in die Lage, nacheinander drei in Göttingen ausgebildete Studenten als Teilnehmer zu benennen. Der erste war schon 1756 der in Odense geborene Orientalist Frederik Christian von Haven (1727–1763), einer der beiden Studenten, deretwegen sich Michaelis ursprünglich an Bernstorff gewandt hatte. Im Sommer 1758 kam als Geograph und Kartograph Carsten Niebuhr (1733–1815) hinzu, der aus dem Lande Hadeln stammte und deshalb Untertan des englischen Königs in seiner Eigenschaft als Kurfürst von Hannover war, und schließlich im Spätherbst desselben Jahres als Naturwissenschaftler noch der Schwede Petrus Forsskål (1732–1763), der bei Linné in Uppsala studiert, sich in Göttingen aber auch mit orientalischen Sprachen befaßt hatte.

Die drei jungen Wissenschaftler wurden vom Zeitpunkt ihrer Anstellung an mit jeweils 500 dänischen Reichstalern jährlich aus der königlichen Privatschatulle („Particulairkassen“) besoldet und erhielten dadurch zugleich die Möglichkeit, sich bis zum Antritt der Arabischen Reise die nötigen Spezialkenntnisse zu erwerben. Im Spätherbst 1760 wurde die „gelehrte Gesellschaft“ (wie sie in den Quellen meist genannt wird) in Kopenhagen noch um zwei Männer erweitert: den eben erst promovierten dänischen Mediziner Christian Carl Kramer (1732–1764) und den aus Nürnberg stammenden, seit einigen Jahren in Kopenhagen tätigen Zeichner und Kupferstecher Georg Wilhelm Baurenfeind (1728–1763). Da sie vor allem die anderen Mitglieder bei der Sammlung und Konservierung von Pflanzen und Tieren sowie mit der zeichnerischen Dokumentation unterstützen sollten, erhielten sie nur 300 Reichstaler jährlich, waren aber bei gemeinsam zu treffenden Entscheidungen formell den Wissenschaftlern gleichgeordnet. Schließlich kam als Diener noch ein Schwede hinzu, der ehemalige Dragoner Lars Berggren (gest. 1763). Die „gelehrte Gesellschaft“ verzichtete vorerst darauf, auch einen zweiten ihr zugesagten Diener bereits in Kopenhagen anzustellen, erhielt dafür aber die Genehmigung, beim Verlassen des Schiffes, mit dem sie reiste, einen der Matrosen mitzunehmen.2 Die Nationalität der Mitglieder der Gruppe spielte für Bernstorff bei ihrer Anstellung keine Rolle, obwohl sich in den Monaten unmittelbar vor Antritt der Reise in Kopenhagen die alte Rivalität zwischen Dänen und Schweden an Forsskål (und nicht ohne dessen eigenes Verschulden) neu entzündete. Bernstorff ließ sich davon jedoch nicht beirren; ihn interessierte vor allem die fachliche Eignung der beteiligten Wissenschaftler.

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Abb. 4. Johann David Michaelis (1717–1791). Kupferstich aus seiner „Lebensbeschreibung“ (1793)

In den letzten Wochen des Jahres 1760, beinahe in letzter Minute, wurde der Plan, den Michaelis 1756 entworfen und den man seitdem in Kopenhagen und Göttingen verfolgt hatte, entscheidend geändert: Die „gelehrte Gesellschaft“ sollte nun nicht mehr auf dem Umweg über Tranquebar in den Jemen reisen, sondern durch den Atlantik und das Mittelmeer nach Konstantinopel (Istanbul) gehen und von dort aus über Ägypten und das Rote Meer von Norden her in den Jemen gelangen. Möglich wurde das, weil die Wirtschaftspolitik der Kulturpolitik unversehens zu Hilfe gekommen war. Außenminister Bernstorff verfolgte seit Jahren den Plan, mit staatlicher Förderung Handelsbeziehungen zwischen Kopenhagen und den Hafenstädten im östlichen Mittelmeerraum aufzubauen.3 1756 war es dem Geheimen Rat Sigismund Wilhelm von Gähler (1704–1788) gelungen, in Konstantinopel einen entsprechenden Vertrag zwischen Dänemark und dem Osmanischen Reich zu schließen. Seitdem residierte er in Konstantinopel als außerordentlicher Gesandter, da es noch einiger Anstrengungen bedurfte, den Vertrag mit Leben zu erfüllen und in der Levante dänische Konsulate zu etablieren. Im Rahmen seiner Bemühungen schrieb Gähler nun im Oktober 1760 nach Kopenhagen, es sei dringend erforderlich, daß dänische Kriegsschiffe in den Häfen des östlichen Mittelmeers wieder Flagge zeigten, da während des Krieges zwischen England und Frankreich Kaperer und Kriegsschiffe das Mittelmeer unsicher machten. Er schlug deshalb vor, zu Beginn des Jahres ein Kriegsschiff nach Marseille zu entsenden und mit diesem den dort liegenden dänischen Handelsschiffen Geleitschutz nach Smyrna (türkisch: Izmir), bis zur Insel Tenedos (türkisch: Bozcaada) vor den Dardanellen und nach Saloniki zu geben.4 Bereits am 6. Dezember konnte Bernstorff Gähler mitteilen, daß der König dessen Vorschlag gemäß noch vor Ende des Jahres das Kriegsschiff „Grønland“ unter Kommandeurkapitän Henrik Fischer nach Marseille abgehen lassen werde.5 Damit aber bot sich die Möglichkeit, die „gelehrte Gesellschaft“ auf einem Schiff, über das der König verfügen konnte, bis kurz vor Konstantinopel gelangen zu lassen, und diese wurde nun genutzt. Zugleich war die Existenz der dänischen Gesandtschaft in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches für die Organisation des Projekts hilfreich, und so informierte Bernstorff am 30. Dezember 1760 Gähler über das Projekt der Arabischen Reise und wies ihn zugleich an, die Gruppe bei der weiteren Planung zu beraten und bei der Durchführung zu unterstützen.6 So wurde plötzlich nicht Tranquebar, sondern Konstantinopel zur wichtigsten Relaisstation zwischen der Kopenhagener Regierung und der „gelehrten Gesellschaft“.

Bei dieser Änderung des Plans für die erste Phase der Arabischen Reise spielte es auch eine Rolle, daß die „gelehrte Gesellschaft“ sich, wenn sie über Ägypten nach Arabien reiste, gleichsam nebenbei mit einem Problem befassen konnte, das die Gelehrten in Europa gerade sehr beschäftigte und dessen Lösung dem dänischen Unternehmen und insbesondere dem Philologen von Haven großen wissenschaftlichen Ruhm versprach: dem „Berg der Inschriften“. 1753 hatte Robert Clayton, Bischof von Clogher in Irland, in englischer Sprache das Tagebuch eines Franziskanerpräfekten von seiner Reise von Kairo zum Sinai im Jahre 1722 veröffentlicht.7 In der Vorrede hatte er die Gelehrten aufgefordert, die alten, völlig unbekannten Schriftzeichen zu erforschen, die dem Bericht des Franziskaners zufolge in der Wüste des Sinai in großer Menge in die Marmorfelswände eines Tals gehauen seien. Die Berge, die das Tal begleiteten und an denen man etwa eine Stunde entlangreite, nenne man deshalb Gebel el Mokatab, den Berg der Inschriften. Clayton und manche anderen Gelehrten vermuteten in den geheimnisvollen Inschriften Zeugnisse der Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste nach dem Auszug aus Ägypten, aber selbst wenn sie nicht aus mosaischer, sondern aus späterer Zeit stammten, waren sie wegen ihrer Unbekanntheit immer noch höchst interessant. Man vermutete auch einen Zusammenhang mit einigen alten Inschriften, die der englische Reisende Richard Pococke auf dem Wege vom Roten Meer zum Katharinenkloster am Sinai gesehen, in seinem gedruckten Bericht aber nur ungenau lokalisiert und auf zwei Kupfertafeln sehr unübersichtlich wiedergegeben hatte.8

In seinem Entwurf für die Instruktion der „gelehrten Gesellschaft“ vom Juli 17609 hatte Michaelis sehr zurückhaltend den Wunsch geäußert, daß die Reisenden auf dem Rückweg aus dem Jemen, sofern es ohne Gefahr möglich sei, Kopien der Inschriften auf dem Gebel el Mokatab anfertigen möchten (§ 11). Auch die Académie des Inscriptions et Belles Lettres in Paris merkte in ihrem Fragenkatalog für die Arabische Reise10 an, daß man es begrüßen würde, wenn „die dänischen Herren Academisten“ die Felsinschriften kopieren könnten, über die Pocock so wenig genau berichtet habe. Wer die Suche nach dem „Berg der Inschriften“ dann tatsächlich an zentraler Stelle in die Planung der Arabischen Reise einbrachte, ist nicht zu erkennen, aber daß das fast in letzter Stunde im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Entschluß geschah, die Reisenden nicht über Tranquebar, sondern über Konstantinopel und Ägypten in den Jemen gehen zu lassen, ist sicher. Von Haven hatte sich noch von Rom aus Bernstorff gegenüber entschieden für diese Änderung des Reisewegs ausgesprochen, hatte aber in diesem Zusammenhang den „Berg der Inschriften“ nicht erwähnt,11 und auch in seinem Reisejournal gibt es keinen Hinweis darauf, daß er selbst das Thema zur Sprache gebracht hätte, als er in Kopenhagen angekommen war. Es wird ihm aber nicht unwillkommen gewesen sein, daß ihm hier eine prestigeträchtige Aufgabe zuwuchs. In den vorletzten Entwurf für die Instruktion, der in der Deutschen Kanzlei redigiert wurde und der – unter Aussparung des Platzes für das genaue Datum – auf Dezember 1760 datiert ist,12 wurden die beiden entscheidenden Veränderungen aufgenommen, die dann in der königlichen Instruktion vom 15. Dezember, die die Aufgaben der „gelehrten Gesellschaft“ und ihrer einzelnen Mitglieder verbindlich formulierte, festgeschrieben wurden. Hier lautete § 3 jetzt: „Den Hineinweg nehmen die Reisenden von hier zur See bis Constantinopel, und von dort aus über Alexandria und Cairo durch Egypten, nach dem Berge Sinai und in die umliegende Gegend zu dem Gebel El Mocateb, so dann über das Rothe Meer nach Mocha“, und an die Stelle von Michaelis’ vorsichtigem § 11, der bislang nicht geändert worden war, trat jetzt ein neuer § 12, der von Haven ausdrücklich beauftragte, mit Unterstützung Baurenfeinds „auf der Hinreise vornehmlich von den Inschriften auf dem Gebel El-Mocateb accurate Copeyen“ anzufertigen.13 Später betonte Bernstorff sowohl Gähler als auch den Mitgliedern der „gelehrten Gesellschaft“ gegenüber, dieser spezielle Forschungsauftrag sei der einzige Grund dafür gewesen, daß der König der Änderung des Reisewegs zugestimmt habe.14 Das war aber möglicherweise nicht die ganze, reine Wahrheit, denn diese Äußerungen standen in den Briefen, in denen Bernstorff seiner Enttäuschung über die völlige Erfolglosigkeit gerade dieser „Nebenreise“ Luft machte,15 aber selbst wenn man das in Rechnung stellt, lassen sie doch erkennen, welchen Stellenwert die Suche nach dem „Berg der Inschriften“ im gesamten Projekt der Arabischen Reise bekommen hatte.

Die plötzlichen Veränderungen des Reiseplans sind das erste Thema des folgenden Briefes, den Niebuhr am 27. Dezember 1760 noch in Kopenhagen schrieb, wenige Tage, bevor die „gelehrte Gesellschaft“ an Bord der „Grønland“ ging. Sein Adressat, den er dem zeitgenössischen Sprachgebrauch gemäß mit „Mein lieber Vetter“ anredete, war Johann Beymgraben (1711–1762), ein Großonkel väterlicherseits, der aber einige Jahre jünger war als Niebuhrs Eltern. Die Mutter Cäcilie geb. von Duhn war 1733 kurz nach Niebuhrs Geburt gestorben, die zweite Ehefrau seines Vaters 1743, der Vater selbst 1749, Niebuhrs einzige Schwester Becke/Rebecca 1755.16 Von seiner engsten Familie lebte also schon beim Antritt der Arabischen Reise nur noch der Halbbruder Bartold (1738–1789), der aus der zweiten Ehe des Vaters stammte. Von den drei Brüdern seiner Mutter lebte zum selben Zeitpunkt nur noch der jüngste, Johann von Duhn (1713–1765), und auch von den beiden Brüdern des Vaters lebte nur noch einer. Dieser aber war seinem Neffen keine Stütze, sondern eher eine Last, denn er ruinierte den Hof in Lüdingworth, auf dem Niebuhr geboren worden war, durch Mißwirtschaft und Trunksucht, so daß die Ländereien nach und nach verkauft und die Gebäude in den 1760er Jahren abgerissen wurden; der Onkel selbst wurde von seinen Verwandten in Bederkesa, außerhalb des Landes Hadeln, in Kost gegeben, und starb dort in den 1770er Jahren. Auch von den beiden ehemaligen Vormündern Niebuhrs war der eine, der Mutterbruder Wilken von Duhn, schon 1750 gestorben; nur der Großonkel Christopher Beymgraben (1716–1765), einer der Söhne der Schwester von Niebuhrs Großvater väterlicherseits und Hofbesitzer im Osterende Altenbruch, lebte noch.

Dessen älterer Bruder war der erwähnte Johann Beymgraben. Dieser war ebenfalls Hofbesitzer im Osterende Altenbruch und damals der angesehenste Mann der Familie, denn er war seit 1742 Schultheiß in seinem Kirchspiel und seit 1754 Präsidierender Schultheiß des Ersten Standes der Landesversammlung, d. h. der sieben Kirchspiele im nördlichen Teil des Landes Hadeln. Der „Präsident“, wie er im täglichen Sprachgebrauch hieß, war aber nicht nur über seine eigene Mutter mit Niebuhr verwandt, sondern auch über seine Frau Margaretha Schmeelke (1713–1762), denn diese war eine ältere Schwester von Johann Schmeelke (1723–1750), dem früh verstorbenen ersten Ehemann von Niebuhrs Schwester Rebecca. Johann Beymgraben hatte deshalb auch eine besondere Verantwortung für das einzige Kind aus dieser Ehe, Niebuhrs Neffen Hinrich Wilhelm Schmeelke (1750–1825),17 den im Brief erwähnten „kleinen Schmelcke“. Mit diesem fühlte auch Niebuhr sich besonders verbunden, während er zu Peter Crohn (1755–1823), dem Sohn seiner Schwester aus ihrer zweiten Ehe, vermutlich aufgrund finanzieller Schwierigkeiten mit dessen Vater anscheinend kein näheres Verhältnis hatte.

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Abb. 5. Orgel in St. Nicolai in Altenbruch. − Niebuhrs Vormünder ließen ihm 1749 nur ein halbes Jahr lang die Möglichkeit, die Schule in Altenbruch zu besuchen. Er lebte im Haus des Organisten und nahm bei ihm fleißig Unterricht im Generalbaß, da er damals daran dachte, selbst Organist zu werden. Er lernte die 1730 von Johann Hinrich Klapmeyer auf die Westempore versetzte und erweiterte Orgel also nicht nur als Kirchgänger kennen – Foto: Joergens.mi/wikipedia.

Niebuhr besaß, als er auf die Arabische Reise ging, außer zwei Morgen Land in der Lüdingworther Gemarkung Lüderskoop und etwas ererbtem Leinen und Silber nur ein kleines Vermögen, das teils aus der Erbteilung mit dem Vater und der Schwester nach dem Tod der Mutter und teils aus dem Erbe des Vaters stammte.18 Es war in Hadeln angelegt und wurde dort von Johann Beymgraben verwaltet. Das geht aus fast dreißig Briefen Niebuhrs an ihn aus den Jahren 1755–1761 hervor, die um 1800 im Besitz Hinrich Wilhelm Schmeelkes waren, von diesem seiner Kusine Christiane Niebuhr geschenkt wurden und auf diese Weise in den Teilnachlaß Niebuhrs in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gelangt sind;19 seinen Bericht über die Ernennung zum Teilnehmer der Arabischen Reise leitete Niebuhr mit dem Satz ein: „Vieleicht haben Ew. Hochedlen mir schon zum leztenmahl Geld nach Göttingen geschickt.“20 Diese Briefe sind, wie erwähnt, die einzige autobiographische Quelle, die bis hinter die Zeit vor Niebuhrs Verbindung mit den Organisatoren der Arabischen Reise zurückreicht.21 Im Zusammenhang der überlieferten Briefe, die Niebuhr während der Arabischen Reise geschrieben hat, nimmt überdies der im folgenden abgedruckte Brief an Johann Beymgraben eine besondere Stelle ein, weil es sich um eines der wenigen Stücke handelt, in denen Niebuhr sich ganz privat und ohne Rücksicht auf die amtliche Stellung seiner Adressaten äußert. Das verbindet ihn im übrigen mit dem Brief an Joachim Dietrich Cappel und Franz Henrich Müller, der in Kapitel 13 abgedruckt ist.

Niebuhr hatte Johann Beymgraben von Anfang an über seine Verbindung mit Bernstorff unterrichtet und hatte ihn auch an der inneren Unruhe teilnehmen lassen, die ihn packte, als die zugesagte Anweisung des Gehalts aus Kopenhagen mehrere Monate auf sich warten ließ. Auf dem Wege nach Kopenhagen hatte er seiner Heimat und seinem Onkel noch einen kurzen Besuch abgestattet,22 dessen Eindrücke zum Teil noch in seinem Brief vom 27. Dezember nachklingen. Mitte November hatte er Beymgraben dann von seinen ersten Eindrücken aus der dänischen Hauptstadt berichtet, spürbar irritiert durch die ihm fremde Welt der Residenzstadt und des Hofes, aber doch guter Dinge:

„In Copenhagen würde es mir ohne Zweiffel beßer gefallen, wenn ich hier so frey wie an andern Orten leben könte. Anjezo aber muß ich alle Ceremonien beobachten, wenn ich bei einem vornehmen Herrn meine Aufwartung machen will. Man muß immer in Kutschen fahren, und alles muß accurat vom Kopff bis zum Fuß seyn, man hat so viele Bediente um sich, kurz, dieser Lebensart bin ich schon ganz überdrüßig. Ich wette, der Herr Vetter denken anjezo an meine Ducaten? Diese machen mir aber die wenigste Sorge. 36 habe ich ohngefehr verzehrt, und 64 sind mir schon wieder bewilliget. Vieleicht befürchten Sie aber, daß es nicht so auf der Reise seyn werde? Sorgen Sie auch dafür nicht, denn es scheinet, man wird mir die Casse anvertrauen. Ich bekümmere mich indessen um nichts, es würde mir auch um desto mehr zur Ehre gereichen, wenn dieser gute Gedanke gegen mich von allen approbiret würde.“23

Seinen Reisegefährten Forsskål hatte Niebuhr zu diesem Zeitpunkt schon kennengelernt, aber von Haven befand sich noch auf dem Rückweg von Rom. Auch das Handelsschiff, mit dem die Gruppe zunächst reisen sollte, hatte Niebuhr schon besucht und von dessen Kapitän bestätigt bekommen, daß sich die Abreise noch bis zum Beginn des neuen Jahres verzögern werde, und so hatte der Großonkel im eben zitierten Brief noch einen Auftrag erhalten: „Deswegen bitte, es doch meinem Bruder, Poyt, Schaar, Schramm etc. wißen zu laßen, daß sie ihre Brieffe, wenn sie schreiben wollen (die faulen Schlüngel), hieher an mich abschicken können. Ich logire bisher in einem der kostbahrsten Wirthshäuser gegen dem Schloße über; die Brieffe werden aber abgegeben bey Hrn. Wiedemann auf der Osterstraße.“ Die Namen, die Niebuhr hier neben seinem Halbbruder Barthold nannte, waren junge Leute, mit denen er bei seinem Besuch im Lande Hadeln zusammen gewesen war: Christopher Poit (1735–1769), Sohn eines Hofbesitzers, einer von Niebuhrs Jugendfreunden, lebte ohne Aufgaben bei seiner Mutter in Altenbruch und füllte seine überreichlich vorhandene freie Zeit mit einer ausgebreiteten Lektüre; Schaar und Schramm lebten auf dem Hof von Johann von Duhn, um die Landwirtschaft zu lernen.24 Herr Wiedemann auf der Osterstraße (Østergade) in Kopenhagen, bei dem ihre Briefe abzugeben wären, war der Kupferschmied Hans Wiedemann, der Vater jenes Gregorius Wiedemann, der im vorangegangenen Sommer in Göttingen Niebuhrs Freund geworden war.25

Nun, einen Monat später, konnte Niebuhr Johann Beymgraben außer über die Veränderungen im Plan der Arabischen Reise auch darüber berichten, daß er in der zeremoniellen Welt Kopenhagens seinen Platz gefunden hatte, indem er bescheiden, aber durchaus selbstbewußt darum gebeten hatte, ihm nicht den Professorentitel zu verleihen (wie man es mit von Haven und Forsskål getan hatte), sondern zum Leutnant im Ingenieurkorps, d. h. bei der für die Schanz- und Bauarbeiten zuständigen technischen Truppe, zu ernennen.26 Das entsprach dem Berufsziel, auf das ihn sein Universitätsstudium der angewandten Mathematik hatte vorbreiten sollen. Seinem Großonkel gegenüber begründete er diese Wahl bezeichnenderweise damit, daß er in diesem Rang dem Lande Hadeln dereinst nützliche Dienste werde leisten können. Die zweite Ehrung, die ihm mittlerweile zuteil geworden war, die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften, erwähnte er dagegen nur ein einem Nachsatz zu seinem Brief. Sie war wohl für die bäuerliche Umwelt, aus der er stammte, von weitaus geringerer Bedeutung als der Ingenieurleutnant.

Mein lieber Vetter.

Vieleicht ist dies der lezte Brieff, den Sie in 3 bis 4 Jahren von mir erhalten werden. Das Schiff liegt schon auf Rehde, und am Montage oder Dienstage sollen unsere Güter an Bord gebracht werden, da wir dann mit dem ersten guten Winde abreisen. Unsere Reise ist anjezo aber ganz anders ordinirt. Wir gehen anjezo mit dem Schiffe Grönland nach Marseille (vieleicht auch nach Malta), nach Constantinopel, Alexandria, Cairo, Suez, dem Berge Sinai, über das rothe Meer nach Mocca, durch das ganze glückliche Arabien nach Bassora [= Basra] und kommen von da über Smirna und Aleppo wieder nach der Mitländischen See. Wir werden anjezo mit mehrer Bequemlichkeit reisen, den[n] wir kommen auf ein Kriegs Schiff, und der Commandeur Capitain Fischer sowie alle andere See Officier sind die civilisirtesten Leute und nicht so rüde, wie sonsten gemeine [=  2728