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Martin Barkawitz

3 Gangster Krimis

Das Tangoluder, Der gekreuzigte Russe, Der Hindenburg Passagier





Elaria
81371 München

Vorbemerkung

Dies ist ein Roman. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder tatsächlichen Ereignissen sowie Namensähnlichkeiten sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

 

Inhalt:

Privatdetektiv Jack Reilly sitzt auf dem Trockenen – und das nicht nur wegen der Alkohol-Prohibition der Zwanzigerjahre. New York City kann verdammt kalt sein, wenn man pleite ist. Zum Glück gibt es ja seine Sekretärin Lucy, die mit ihrem sonnigen Gemüt sein Herz wärmt. Als eine geheimnisvolle Klientin auftaucht, scheinen sich die Dinge positiv zu entwickeln.

Doch schon bald schlägt Reilly sich mit gnadenlosen Killern und durchtriebenen Ganoven herum, als er ein Spinnennetz aus Lügen und Intrigen zu zerreißen beginnt.

„Das Tangoluder“ ist der Auftakt einer neuen Serie im Stil des klassischen Detektivkrimis á la Raymond Chandler, Dashiell Hammett oder Mickey Spillane.

Ständig neue Informationen sowie den Gratis-Thriller „Killerschiff“ gibt es unter:

Autor-Martin-Barkawitz.de

 

1


Regen-Montage können verdammt langweilig sein. Trotzdem hatten mich mein Pflichtbewusstsein und meine leere Brieftasche ins Office getrieben. Meinen Sonntagabend-Kater, den ich Sams „Spezialkaffee“ zu verdanken hatte, konnte ich schließlich auch hinter meinem Schreibtisch auskurieren. Und der Anblick meiner blonden Sekretärin Lucy war zweifellos erfreulicher als der der schäbigen Wände meines Junggesellen-Apartments.

Momentan glänzte meine Vorzimmer-Queen allerdings durch Abwesenheit. Sie wollte sich im Laden unten an der Ecke einen Creme-Bagel holen, um ihre üppigen Formen noch etwas weiter aufzupolstern. Das störte mich nicht – ich schätzte jedes Gramm an Lucy.


Also hockte ich momentan allein im Office. Da es keinen aktuellen Fall gab, der ein paar Greenbucks in die leere Kasse spülen konnte, beschäftigte ich mich mit der Zeitungslektüre.

Die „New York Times“ konnte meine Laune auch nicht aufhellen. In China herrschte immer noch Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalen. Momentan war zur Abwechslung mal wieder Generalissimus Tschiang Kai-Tschek auf der Gewinnerstraße. In Albanien war Zogu I. soeben zum König gekrönt worden. Das ließ mich schon deshalb kalt, weil ich bisher nicht gewusst hatte, dass ein Land namens Albanien überhaupt existierte. Nun, man lernt nie aus. Ein Franzose hatte den Medizin-Nobelpreis eingeheimst, aber leider nicht für eine Medizin, die mein Schädelbrummen eindämmen konnte. Einziger Lichtblick in der heutigen „Times“ war die Ankündigung des brandneuen Charlie-Chaplin-Films „Zirkus“. Über den kleinen Komiker mit Bärtchen und Hütchen konnte ich mich immer schlapplachen. Aber wie es momentan aussah, fehlten mir sogar die paar Cents für die Kino-Eintrittskarte.


Ich steckte mir meine vorletzte Lucky Strike zwischen die Lippen, als ich vor der Tür ein weibliches Stimmen-Duett vernahm. Das eine Organ gehörte ganz eindeutig Lucy. Ihre Stimme war hell und klang manchmal leicht schrill, wenn sie lachte. Und das kam ziemlich häufig vor.

Die andere Frauenstimme hatte einen dunklen, rauchigen Klang. So, als ob die Lady eine 5-Cent-Zigarre qualmen würde. Und eine Lady war sie zweifellos, das konnte ich an ihrem Tonfall hören. Als Detektiv lernt man, die Menschen durch ihre Sprechweise zu unterscheiden. Sie können einen armen Teufel aus der Gosse fischen, zum Barbier jagen und in einen Maßanzug stecken. Aber in dem Moment, wo er den Mund aufmacht, wird alle Welt wissen, dass seine Heimat der Rinnstein ist. Und nicht der Golfklub oder die Börse.


Bevor ich mich weiter in meine Grübeleien über Ungleichheit und Ungerechtigkeiten unseres irdischen Daseins vertiefen konnte, wurde die Tür aufgerissen. Lucy trat mit einer Lady im Schlepptau ein.

„Chef, da ist eine neue Klientin, die dich unbedingt sprechen möchte“, zeigte sich Lucy optimistisch. „Ich bin ihr im Treppenhaus begegnet.“

Ich konnte die Begeisterung meiner Sekretärin teilen. Selbstverständlich wusste Lucy ebenso gut wie ich, dass ich momentan finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet war. Seemännisch ausgedrückt: Wenn ich absöffe, würde ich sie mit in den Strudel ziehen. So einfach war das.

Und die Frau, die mit ihr hereingekommen war, sah wirklich nach Geld aus. Sie trug keinen billigen Kaufhaus-Fummel wie meine Vorzimmer-Queen, sondern ein teures Modellkleid, das wahrscheinlich aus Europa importiert worden war. Aus Paris, genauer gesagt. Die Lady hatte ihren Schwanenhals mit einem Collier geschmückt, dessen Verkaufserlös eine Lower-East-Side-Großfamilie ein Jahr lang hätte ernähren können. Oder zehn Jahre, denn Kartoffeln sind billig und Diamanten teuer.

Ihr blauschwarzes Haar war sorgfältig frisiert – wahrscheinlich von einem Maestro, der auf den Namen „Pierre“ oder „Jacques“ hörte. Die haselnussbraunen Augen der exotisch wirkenden Schönheit kamen mir riesig vor. Aber vielleicht lag das nur an dem Kajalstift, den sie beim Schminken reichlich eingesetzt hatte. Ein dezentes Schönheitspflaster auf dem linken Wangenknochen komplettierte das mondäne Aussehen.

„Sie sind Mr. Jack Reilly?“, wandte sich die Fremde nun an mich, wobei diese Frage gewiss nur eine Floskel war. Wer sollte denn sonst in dem Büro hocken, an dessen Glastür mein Name angebracht war? Vielleicht Buster Keaton?

Ich nickte artig, wobei ich aufsprang und mein Jackett glatt strich. Mit einer einladenden Bewegung deutete ich auf das Sofa.

„Mit wem habe ich die Ehre?“, wollte ich wissen, während ich mir gleichzeitig durch meine gestelzte Sprache so verkleidet vorkam wie ein Bison unter texanischen Longhorn-Rindern. Wenn ich nicht so falsch wirken wollte wie eine Pik-neuneinhalb-Spielkarte, würde ich besser lockerer auftreten.

„Mein Name ist Victoria Fuentes.“

Mit einer fließenden Bewegung sank sie auf die Sitzgelegenheit und schlug ihre unendlich langen Beine übereinander.

„Ich bringe einen Kaffee“, flötete Lucy und bewegte ihr Hinterteil sowie den Rest ihres üppigen Körpers in Richtung Küchenecke. Hinter Miss Fuentes’ Rücken grinste sie mir zu und zeigte mit dem Daumen nach oben. Ob sie Grund dazu hatte, würde sich in den nächsten Minuten herausstellen. Lucy begann geräuschvoll mit der Kaffeezubereitung. Mein Glimmstängel qualmte immer noch im Ascher vor sich hin. Ich überlegte, ob ich weiterhin den britischen Gentleman spielen und in Gegenwart einer Lady nicht rauchen sollte. Aber da sich Miss Fuentes in diesem Moment selbst eine Camel in eine Zigarettenspitze aus Elfenbein steckte, entschied ich mich dagegen. Stattdessen riss ich ein Zündholz an meiner Schuhsohle an und gab ihr Feuer.

„Danke“, sagte sie mit einem Akzent, den ich nicht richtig zuordnen konnte. „Ich benötige einen Detektiv, auf dessen Verschwiegenheit ich mich ganz verlassen kann, Mr. Reilly.“

„Schießen Sie einfach los“, gab ich nun den halbherzigen Versuch auf, als der wohlerzogene Lackschuhträger zu erscheinen, der ich nicht war. „Dann wird sich zeigen, ob ich der Richtige bin.“

Victoria Fuentes schenkte mir ein Lächeln – so, als ob sie ahnen würde, was in mir vorging. Ich kapierte instinktiv, dass ich diese Frau nicht unterschätzen durfte.

„Das Problem ist einfach zu benennen“, kam sie nun zur Sache. „Ich bin Kunstmalerin und stamme aus Argentinien. Ich reise durch die Vereinigten Staaten, um mich in meiner Malerei von dem technischen Fortschritt inspirieren zu lassen. Deshalb kam ich nach New York City.“

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand unsere Wolkenkratzer und Schlachthöfe auf die Leinwand bannen wollte. Andererseits habe ich in meinem Job als Privatdetektiv festgestellt, dass fast nichts unmöglich ist. Also forderte ich den Zigarettenspitzen-Engel durch ein knappes Nicken auf, fortzufahren – was Victoria Fuentes dann auch tat.

„Ich habe einen reichen Gönner, Mr. Reilly. Es handelt sich um einen Gentleman, der mich fördert. Für ihn erledigte ich eine Auftragsarbeit – ich sollte sein Firmengebäude malen. Das Bild konnte ich vor kurzem fertig stellen. Aber es wurde mir wenig später gestohlen.“

„Können Sie es nicht noch mal pinseln?“, stellte ich mich dumm.

„Natürlich könnte ich das, Mr. Reilly. Aber diese Auftragsarbeit soll ich übermorgen abliefern, rechtzeitig zum Firmenjubiläum. Das ist unmöglich zu schaffen. Ich muss das gestohlene Bild zurückbekommen, wenn ich nicht die Gunst meines Mäzens verlieren will.“

„Ich verstehe, Miss Fuentes. Und was genau ist auf dem Gemälde zu sehen?“

„Der Firmensitz von Whitetree Mills“, lautete die Antwort. Ich drückte meine Zigarette im Aschenbecher aus. Die Sache schmeckte mir nicht. Wieder schien Victoria Fuentes zu spüren, wie die Uhr in meinem Inneren tickte. Sie öffnete ihre Krokodilleder-Handtasche und zauberte eine Rolle Greenbucks hervor.

„Reichen 500 Dollar für Spesen, Mr. Reilly? Wenn Sie das Bild unversehrt zurückbringen, bekommen Sie weitere tausend Dollar als Erfolgsprämie.“

Lucy, die in diesem Moment den Kaffee brachte, hätte beinahe das Tablett fallen lassen. Ihre kühnsten Träume wurden wahr, ebenso wie meine. Natürlich steckte ich das Geld ein. Alles andere wäre finanzieller Selbstmord gewesen. Aber eine Frage musste ich noch klären, das war ich mir einfach selber schuldig.

„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Miss Fuentes. Trotzdem interessiert mich, warum Sie nicht einfach zur Polizei gehen.“

Die Kunstmalerin zuckte mit den Schultern.

„Das New York Police Department hat keinen guten Ruf. Außerdem würde man dort nur eine Akte anlegen, fürchte ich. Angesichts der vielen Gangster in dieser Stadt würde der Diebstahl eines Gemäldes wohl nicht als wichtiger Fall eingestuft. Und die Polizei könnte das Bild niemals bis übermorgen wiederbeschaffen. Doch Ihnen traue ich das zu, Mr. Reilly.“

Sie lächelte mich an wie eine Bardame, die einen reichen Farmer aus North Dakota um sein Geld erleichtern will. Während wir uns den Kaffee schmecken ließen, zog ich ihr noch ein paar Informationen aus der Nase.

Das Bild war in ihrem möblierten Apartment in Brooklyn Heights gestohlen worden. Ich bat sie, mir den Schlüssel zu geben, was sie umgehend tat. Ich wollte mich dort allein in aller Ruhe umsehen.

„Sie können sich den Schlüssel heute Nachmittag hier wieder abholen“, stellte ich ihr in Aussicht. Victoria Fuentes war zufrieden, dass ich mich sofort in den Bilder-Diebstahl reinkniete. Okay, der Fall kam mir spanisch vor. Und das lag nicht nur am argentinischen Akzent unserer neuen Klientin.

Victoria Fuentes trank ihren Kaffee aus und sagte Good-bye. Als sie durch die Außentür verschwunden war, pflanzte Lucy ihr rundes Hinterteil auf meine Schreibtischplatte, klaute mir meine letzte Zigarette und schlug ihre wohlgeformten Oberschenkel übereinander. Außerdem streckte sie mir die rechte Hand entgegen.

„Mein Gehalt für die letzten Monate steht noch aus, Chef“, forderte sie. Da sie meine beste und einzige Mitarbeiterin war, konnte ich mich ihrem Wunsch nicht verschließen. Ich gab ihr 200 Dollar von dem halben Tausender, den ich gerade kassiert hatte. Wenigstens Feuer konnte sie sich selber geben. Sie ließ die Banknoten in ihrem Ausschnitt verschwinden.

„Ist dir auch aufgefallen, dass unsere Miss Fuentes mit falschen Karten spielt?“, wollte ich von meiner Sekretärin wissen. „Oder würdest du ihr abkaufen, dass sie Kunstmalerin sein will?“

„Die und Kunstmalerin?“ Lucy ließ ihr süßes schrilles Lachen hören. „Chef, von Bildern verstehe ich vielleicht nicht allzu viel. Aber ich erkenne gute Maniküre, wenn ich sie sehe. Die Elfenfinger dieser Lady werden in den besten Schönheitssalons gestylt, die eine Frau sich leisten kann. Die Fuentes macht sich niemals die Hände mit Ölfarbe und solchem Zeugs schmutzig.“

„Habe ich mir auch gedacht, Lucy. Außerdem behauptet sie, ein reicher Gönner habe sie beauftragt, sein Firmengebäude zu pinseln. Seltsam, aber auf dem Bild soll angeblich das Whitetree-Mills-Building zu sehen sein.“

„Habe ich auch mitgekriegt. Aber was ist daran seltsam, Chef?“

„Whitetree Mills wird von Cynthia Whitetree geleitet, einer fünfzigjährigen Xanthippe und New Yorks letzter Jungfrau in ihrer Altersklasse. Die dürfte wohl kaum der Kunstmäzen sein, der wahrscheinlich nur in der Phantasie dieses argentinischen Luders existiert.“

„Weswegen will die Fuentes uns verladen, Chef?“

„Frag mich was Leichteres, Lucy. Aber wir werden es herausfinden. Ich gehe jetzt erst mal in ihrem Apartment schnüffeln. Und wenn sie nachher auftaucht, um ihren Schlüssel abzuholen, wirst du sie unauffällig beschatten, kapiert? Ich will sehen, wohin sie geht und mit wem sie sich trifft.“

Lucys hübscher Kussmund verzog sich zu einem noch breiteren Grinsen. Sie liebte es, wenn sie richtige Detektivarbeit machen durfte und nicht nur auf der Schreibmaschine herumklappern musste.

2

Bevor ich nach Brooklyn Heights fuhr, machte ich noch einen Abstecher zur „Times“. Mein alter Kumpel, der Sportreporter Alec Snyder, stopfte sich gerade ein Sandwich in die Futterlade.


„Wohl bekomm’s“, grinste ich und schlug ihm auf die Schulter. „Wie wär’s, wenn wir das trockene Brot mit einer Spezialmischung herunter spülen?“


„Schon überredet“, brummte Alec. Wir machten uns gemeinsam auf die Socken und saßen wenig später bei Chubby Boy. Der Rundling servierte uns einen Kaffee, der seltsamerweise stark nach Single Malt schmeckte. Okay, das mussten wir dann wohl aushalten ...


„Du bist doch bestimmt nicht nur gekommen, um mir meine Frühstückspause anzufeuchten“, ließ Alec einen Versuchsballon aufsteigen. Ich nickte.


„Messerscharf kombiniert. Ich habe mich gefragt, wer wohl in Brooklyn Heights die Nummer eins im Einbruchsgeschäft sein könnte."


Der Sportreporter konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen.


„Einbruch, Jack? Was für Fälle bearbeitest du denn als Nächstes? Entlaufene Hunde?“


Sein Spott perlte von mir ab wie Regen von einem Ölmantel.


„Die Zeiten sind hart und den Letzten beißen die Hunde. Sogar die entlaufenen.“


„Wenn du kein Detektiv mehr sein willst, solltest du dich als weiser Mann versuchen. – Aber ernsthaft, bei Einbrüchen fällt mir sofort Luke Carruthers ein. Ich kann nicht beschwören, ob er auch in Brooklyn Heights was macht. Aber er ist groß im Geschäft, wie ich höre.“


„Ich werde dem Vogel mal auf den Zahn fühlen. Wo finde ich ihn?“


Alec sagte es mir. Wir tauschten noch den neuesten New-York-Tratsch aus, dann zahlte ich die Runde und schwang mich wenig später in meinen altersschwachen Plymouth. Luke Carruthers lebte nicht in Brooklyn Heights, sondern in einem Loch in der Lower East Side von Manhattan. Ich stellte meinen Wagen gegenüber der Police Station an der Bowery ab. Das war wahrscheinlich die einzige Chance, dass er nicht geklaut wurde.


In der Gegend hingen jede Menge Tagediebe auf den Vordertreppen der Häuser herum. Zum Glück sah ich selbst nicht aus wie ein texanischer Ölmillionär, obwohl mein Anzug immerhin nicht geflickt war und mein Kinn am Morgen Bekanntschaft mit einem Rasiermesser gemacht hatte. Und das war mehr, als die meisten Kerle in dieser Gegend von sich sagen konnten.


Alec hatte mal wieder den richtigen Riecher gehabt, wie ich gleich feststellen sollte.


„Carruthers?“, fragte ich eine verlebt aussehende Frau mit Kittelschürze, die ihre Kinderschar gerade in die Erdgeschosswohnung einer tristen Mietskaserne trieb.


„Der Penner haust im zweiten Stockwerk“, bekam ich erschöpfend Auskunft. Im Stiegenhaus roch es nach Linsen, Kohlsuppe und ungewaschenen Windeln. In der zweiten Etage war es nicht schwierig, Carruthers‘’ Bude ausfindig zu machen. Die eine Wohnungstür war mit dicken Brettern zugenagelt, wahrscheinlich vom Vermieter. Und durch die andere Tür drangen Geräusche, die an die Brunftlaute der Tiere im Bronx Zoo erinnerten. Ich genehmigte mir ein Grinsen. Carruthers setzte offenbar gerade sein Einbruchwerkzeug ein, jedenfalls im übertragenen Sinn.


Ich schlug mit beiden Handflächen gegen die Tür.


„Carruthers!“, brüllte ich. „Mach auf, sofort!“


Das lüsterne Duett in der Bruchbude fand ein jähes Ende. Ich hörte ein unterdrücktes Fluchen, Bettfedern quietschten. Gleich darauf öffnete sich die Tür. Eine Schönheit mit ebenholzschwarzer Haut starrte mich furchtsam an. Sie war in der Eile nur in ihren lila Unterrock geschlüpft. Ihre übrigen Kleider und Schuhe trug sie in der Hand. Flink wie eine Gazelle flitzte sie an mir vorbei und rannte die Treppe hinab.


Aber mir ging es sowieso nur um den Hausherrn.


Carruthers war ein hinterhältig aussehender Dürrling, momentan nur mit Unterhemd und langer Unterhose bekleidet. Er stand mitten im Raum, stinksauer. Kein Wunder, schließlich hatte ich ihm den Spaß verdorben.


„Was soll der Mist?“, blaffte er mich an. Ich machte eine Kinnbewegung in die Richtung, wo die schwarze Bordsteinschwalbe verschwunden war.


„Ich bin ihr Bruder“, behauptete ich. Der Einbrecher starrte mich hasserfüllt an. Offenbar hatte er für meinen Humor überhaupt keinen Sinn. Stattdessen zeigte er mir deutlich, was er von mir hielt.


Der sehnige Typ war schnell, das muss ich ihm lassen. Im Handumdrehen hatte er unter dem Kopfkissen einen Totschläger hervorgezaubert. Mit dem lederüberzogenen Schlagwerkzeug machte er sich daran, mir den Scheitel nachzuziehen. Aber dagegen hatte ich etwas.


Ich verlagerte mein Gewicht. Der Totschläger sirrte knapp an meinem linken Ohr vorbei. Ich packte Carruthers‘’ Arm mit beiden Händen und riss ihn nach vorn. Damit hatte er nicht gerechnet. Seine eigene Angriffspower wurde ihm zum Verhängnis. Er verlor das Gleichgewicht. Ich rammte ihm mein Knie in die Magengrube.


So schnell gab sich der Verbrecher aber nicht geschlagen. Keuchend steckte er den Treffer ein, drehte sich und bretterte erneut den Totschläger in Richtung meines Gesichts. Ich konnte den Treffer mit dem Arm abschwächen. Aber trotzdem traf mich das lederüberzogene Eisen leicht an der Stirn.


Es war ein Gefühl, als wäre ich gegen einen voll beladenen Fleischtruck gerannt. Freunde, wenn mich der Bastard ungebremst getroffen hätte, wäre mein Schädel zerplatzt wie ein Kürbis. Daran hatte ich keine Zweifel. Ich taumelte einen Schritt zurück.

Der kleine Erfolg baute den Unterhosenkrieger auf. Er setzte mir nach. Aber ich hatte jetzt absolut keine Lust, noch einmal seine gemeine Waffe abzubekommen. Ich verließ mich lieber auf meine bloßen Fäuste. Ich empfing Luke Carruthers mit einer blitzschnellen Links-Rrechts-Kombination. Das bekam ihm gar nicht gut. Diese Treffer garnierte ich mit einem Kinnhaken. Und als Dessert servierte ich ihm noch einen linken Uppercut.


Der Einbrecher ging stehend k. o.


Der Totschläger entfiel seinen erschlaffenden Fingern. Carruthers krachte auf den dreckigen Teppich. Ich massierte meinen Haaransatz, wo schon bald ein schönes Hörnchen wachsen würde. Wenigstens kamen meine Kopfschmerzen nun nicht mehr vom Spezialkaffee, sondern von dem Totschläger-Treffer. Das war aber auch das einzig Gute, was ich der Lage abgewinnen konnte. Ich ging in die Knie und steckte die Schlagwaffe in meine Jackentasche. Carruthers lag besinnungslos neben dem Bett.


Ich nutzte die Gelegenheit, mich in seinem Zimmer umzusehen. Wahrscheinlich war noch nicht einmal ein Zehntel aller Gegenstände auf ehrliche Art gekauft worden. Es sah so auf, als hätte Carruthers sich buchstäblich seinen ganzen Hausrat bei Einbrüchen beschafft. Okay, sein Bett würde er wohl nicht aus einem fremden Haus geholt haben. Sicher sein konnte man da allerdings nicht.


In seinem Anzug fand ich beispielsweise das Markenzeichen eines renommierten Herrenausstatters, der eine Kanalratte wie Carruthers noch nicht einmal mit der Kohlenzange anfassen würde. Und seine goldenen Manschettenknöpfe trugen die Initialen P. G. – für einen Mann namens Luke Carruthers doch ziemlich ungewöhnlich.


Offenbar hatte ich einen Dieb aus Leidenschaft vor mir. Ich durchstöberte gerade seinen Wandschrank, als ich ein leises Stöhnen hinter mir hörte. Der Einbrecher weilte wieder unter den Lebenden. Ich drehte mich um und ließ ihn meinen Smith & Wesson sehen, damit er nicht auf dumme Gedanken kam.


„Was willst du?“, stöhnte Carruthers. „Du bist doch nicht in echt der Bruder dieser Schnalle, oder?“

„Nein, dafür habe ich wohl die falsche Hautfarbe. Aber du bist wohl sowieso nicht zu Scherzen aufgelegt.“

„Verdammt richtig. Also, warum überfällst du mich hier?“

„Und warum brichst du bei anderen Leuten ein?“

„Hä? Was laberst du da? Keine Ahnung, wovon du faselst.“

Ich zog drohend die Augenbrauen zusammen. Mit dem Revolverlauf machte ich eine umfassende Bewegung von links nach rechts.


„Den Schmus kannst du dir für deine Nuttenfreundinnen sparen. Ich weiß, was läuft. Du machst einen Bruch nach dem anderen. Meinetwegen kannst du damit selig werden. Aber da gibt es etwas, hinter dem ich her bin.“


Allmählich kapierte meine kriminelle neue Bekanntschaft, was lief.

„Du bist ein Privatschnüffler.“

„Gut geraten. Und je eher du das Bild rausrückst, desto schneller bist du mich los.“

„Was soll ich haben?“

„Ein Bild, ein Gemälde. Es stellt das Whitetree-Mills-Gebäude dar.“


Carruthers lachte mir ins Gesicht. Dann wurde ihm klar, dass man einen Mann, der eine Waffe auf einen richtet, nicht zu sehr reizen sollte. Er wurde wieder ernst.


„Hör zu, so ein Ding habe ich nicht“, gab er sich völlig unschuldig. Natürlich glaubte ich ihm kein Wort. Wie gesagt, er hortete die geklauten Schätze geradezu. Also durchwühlte ich wortlos seine Bude, wobei ich ein Auge – und den Revolverlauf – immer auf Carruthers gerichtet hielt. Ich fand zwar Tafelsilber und Schmuck, Scheckbücher und goldene Uhren – aber kein Kunstwerk.


„Glaubst du mir jetzt endlich?“, lamentierte Carruthers. „Mann, ich brauche den ganzen Tag, um hier wieder aufzuräumen.“


„Du hast doch sowieso keinen Job“, zeigte ich mich mitleidlos. „Aber du machst doch Brüche in Brooklyn Heights, oder?“

„Verdammt richtig, wenn du es unbedingt wissen musst. Aber ich würde nie ein Gemälde klauen.“

„Warum nicht?“

„Zu unhandlich, zu groß. Und vor allem – wo soll ich es loswerden? Für meine heiße Ware habe ich genügend Abnehmer. Aber die Hehler lynchen mich doch, wenn ich da mit so einem blöden Ölschinken unter dem Arm auflaufe.“

Das war ein stichhaltiges Argument. Carruthers spürte, dass er mir den Wind aus den Segeln genommen hatte.

„Dein Kunstwerk muss ein anderer geklaut haben, Schnüffler. Vielleicht war es ein Auftragsjob. Habe mal gehört, dass reiche Bonzen sich Bilder besorgen lassen. Sammler, kapierst du? Die lassen sich ein seltenes Bild klauen und hängen es dann bei sich zu Hause auf, wo es keiner zu sehen bekommt. Verrückt, wie die Reichen eben sind ...“


„Okay, Carruthers.“ Ich fischte mit der Linken einen Lincoln aus meiner Tasche und gab ihm die fünf Bucks. „Hier, das ist für deine Putzfrau. Gibst du mir einen Tipp, wenn du etwas hörst wegen des Gemäldes? Wie gesagt, das Whitetree-Mills-Gebäude soll darauf zu sehen sein.“


Das Geld schien den Ganoven wieder halbwegs versöhnt zu haben. Obwohl, bei einer räudigen Ratte wie ihm konnte man das nie wissen. Ich nannte ihm auch noch meine Büroadresse und stellte ihm mehr Greenbacks in Aussicht, wenn er einen brauchbaren Tipp ablieferte.


„Ich werde sehen, was ich tun kann, Schnüffler“, meinte Carruthers zum Abschied. „Jetzt muss ich erst mal in den Armen einer schönen Frau Vergessen suchen.“

„Tu, was du nicht lassen kannst.“


Ich fuhr über die Brücke nach Brooklyn Heights und nahm Victoria Fuentes‘’ Apartment gründlich unter die Lupe. Es gab keine verwertbaren Spuren. Die Tür war mit einem Stemmeisen oder Schraubenzieher aufgehebelt worden. Möglich, dass sie wirklich ein Gemälde in ihrer Bude aufbewahrt hatte.

Aber ich entdeckte nirgendwo Malutensilien, Farben, Pinsel, Leinwand oder eine Staffelei. Selbst ein Kunstbanause wie ich wusste, dass man solche Dinge brauchte, wenn man ein Bild malen wollte. Hatte mich die Argentinierin auf den Arm nehmen wollen? Ihr musste doch klar sein, dass ich sie durchschauen würde, sobald ich ihr Apartment betrat. Oder hatte sie noch ein Künstleratelier irgendwo anders?


Nein, Lucy lag schon ganz richtig mit ihrem Verdacht. Die sorgfältig manikürten Hände der selbst ernannten Kunstmalerin hatten noch niemals einen Pinsel gehalten. Da war ich mir sicher.

Ich holte mir auf dem Rückweg zum Büro einen Hotdog, den ich an meinem Schreibtisch mampfte. Dazu las ich weiter die „Times“. Nun fiel mir eine Meldung auf, die ich vorhin noch nicht bemerkt hatte.


KEINE SPUR BEIM MUSEUMS-MORDFALL

Die Polizei hat noch keine Erkenntnisse über die Täter, die für den Mord an dem Wachmann Henry S. (29) im Museum of the City of New York verantwortlich sind. Wie wir bereits berichteten, wurde das Gemälde „Wildgänse“ von Winslow Homer von Kriminellen entwendet. Offenbar hat der Wachmann die Einbrecher gestört und wurde daraufhin von ihnen getötet. „Wildgänse“ ist eines der wichtigsten Werke von Winslow Homer und gilt als unersetzbar bzw. unbezahlbar.


Wieso hatte ich die bisherigen Meldungen über dieses Verbrechen nicht beachtet? Wahrscheinlich, weil in New York so viel Mord und Totschlag geschieht, dass ich die Story einfach überlesen hatte. Immerhin kannte sogar ich Winslow Homer, obwohl ich mich selbst als Kunstbanause sah. Ich wusste jedenfalls, dass er einer der besten Maler war, die unser Land bisher hervorgebracht hatte. Wer immer dieses Wildgänse-Bild zurückbrachte, würde nicht mit 1.500 Dollar abgespeist werden, so viel stand fest.


Doch ich konnte das Geld dringend brauchen. Und Victoria Fuentes hatte es durch ihre Geheimniskrämerei außerdem geschafft, meine Neugierde zu wecken.

Zwei Stunden später kehrte die Argentinierin in mein Office zurück.

„Was ist denn mit Ihrem Gesicht passiert?“, wollte sie wissen, als ich ihr ihren Schlüssel zurückgab.

„Ich hatte eine Meinungsverschiedenheit mit einem Einbrecher“, sagte ich wahrheitsgemäß. Immerhin war die bläulich schillernde Beule der beste Beweis dafür, dass ich mir mein Geld auch hart verdiente.

„Es ist wirklich sehr wichtig, dass Sie dieses Gemälde beschaffen“, appellierte sie noch einmal an meine Berufsehre.

„Seien Sie unbesorgt. Ich mache so etwas nicht zum ersten Mal.“

Die Argentinierin schwirrte ab, Lucy hängte sich an ihre Fersen. Auf meine Sekretärin konnte ich mich felsenfest verlassen. Während ich auf Lucys Rückkehr wartete, ging ich den Fall noch einmal in Gedanken durch.

Da waren zwei verschwundene Gemälde. Das eine stammte von einem der größten US-Künstler, das andere von einer Ausländerin, die noch nicht einmal malte. Sollte es wirklich einen Zusammenhang zwischen diesen Fällen geben? Oder war es purer Zufall, dass beide Verbrechen innerhalb kürzester Zeit geschehen waren? Gab es vielleicht eine Einbrecherbande, die sich auf Kunstwerke spezialisiert hatte? Aber wieso klauten die ein Bild von einer so völlig unbekannten Malerin wie Victoria Fuentes, die außerdem gar keine Künstlerin war?

Für meinen Geschmack stellte sich die Geschichte bisher als zu verworren dar. Ich half meinem Urteilsvermögen mit einem Schluck Denkbeschleuniger nach und paffte eine Zigarette. Eine Stunde später kehrte mein blondes Vorzimmerwunder zurück.

„Die Fuentes hat mich nicht bemerkt, Chef“, berichtete Lucy zufrieden. „Sie hat in einem Drugstore telefoniert. Leider konnte ich nicht hören, was gesprochen wurde. Und dann ist sie in einem Tangolokal verschwunden, auf der Lower East Side. Dort wird sie wohl noch sein. Ich wollte dir erst Bescheid geben, bevor ich etwas unternehme.“

„Sehr clever, Lucy“, lobte ich. „Und zur Belohnung lade ich dich heute Abend ein.“

„Wirklich, Chef? Und was unternehmen wir?“

„Wir gehen Tango tanzen.“


3

Der Tangoschuppen nannte sich LA PLATA, was wie die Faust aufs Auge passte. Die meisten Kerle und Mädels, die in dem Laden herumhingen, schienen aus dem südlichen Teil des amerikanischen Kontinents zu kommen. Und dort fließt bekanntlich der Rio de la Plata, bevor er in Buenos Aires in den Atlantik mündet. Und genau dort, in dieser großen Hafenstadt, ist der Tango entstanden.

Es war ziemlich voll im LA PLATA, als Lucy und ich dort aufschlugen. Am schmalen Ende des großen Saals spielte eine Kapelle die weltschmerzverzerrten Tangorhythmen. Die Tanzfläche war mit Paaren gefüllt, ansonsten waren auch fast alle Tische besetzt. Die Luft war blau gequalmt. Meine suchenden Blicke konnten Victoria Fuentes nicht entdecken.

„Dann sollten wir wohl erst mal tanzen, wenn wir hier nicht unangenehm auffallen wollen“, schickte ich mich ins Unvermeidliche. „Darf ich bitten?“

„Gern, Chef“, freute sich meine blonde Sekretärin. „Ich liebe Tango!“

Zur Bekräftigung ihrer Worte legte sie sofort ihren rechten Arm um meinen Nacken und schmiegte sich so fest an mich, dass ich ihre Oberweite zu spüren bekam. Okay, ich bin kein begeisterter Tänzer, aber ein Mann. Und außer dem Papst konnte ich mir niemanden vorstellen, der in diesem Moment nicht gern mit mir getauscht hätte. Wer nicht darauf steht, so ein Mädchen wie Lucy im Arm zu halten, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.

Wir begannen zu tanzen, wobei ich meine wenigen Tangoschritte und -drehungen anwandte. Das war gar nicht so leicht, denn dank Lucys Nähe wurden mir die Knie weich. Zum Ausgleich kam es etwas weiter oben zu einer Verhärtung, was natürlich auch meiner feinfühligen Tanzpartnerin nicht entging.

„Oh láà láà, Chef“, lachte Lucy, „Hast du deinen Smith & Wesson in der Hosentasche – oder was ist da so hart?“

„Wusstest du schon, dass der Tango in Matrosenbordellen erfunden wurde?“, fragte ich zurück.

„Was willst du mir denn damit sagen? – Hey, ist da nicht unsere Klientin?“

Lucy löste ihren rechten Arm von meinem Nacken und deutete nach links, auf eine Stelle neben dem Podest der Tanzkapelle. Ich drehte den Kopf. Meine füllige Tanzpartnerin war mal wieder auf dem richtigen Dampfer. Victoria Fuentes war offenbar gerade aus einem Hinterzimmer aufgetaucht. Sie erbleichte, was ich sogar auf die Entfernung sehen konnte. Einen Augenblick, nachdem Lucy sie entdeckte, hatte die Fuentes auch uns bemerkt. Ihre Reaktion war eindeutig. Sie machte auf dem Absatz kehrt und verschwand dorthin, wo sie gerade hergekommen war.


Vom Gefühl her hätte ich noch die ganze Nacht mit Lucy tanzen können. Aber wir waren schließlich nicht zum Vergnügen hier.

„Los, hinterher!“, ordnete ich an. Wir drängten uns zwischen den anderen Tanzpaaren hindurch, wobei wir uns so manchen Knuffer und manche gezischten Bemerkungen in spanischer Sprache einhandelten, die gewiss keine Nettigkeiten waren. Es war im LA PLATA so voll, dass wir uns nur im Schneckentempo vorwärts bewegen konnten. Victoria Fuentes musste also schon einen guten Vorsprung herausgeholt haben, als wir endlich die Tür erreichten, hinter der sie verschwunden war. Da verstellten uns zwei Smokingträger mit Ringerfigur den Weg.


„Hier ist privat!“, knurrte der eine von ihnen, dessen Zinken von einer Narbe geziert wurde.

„Weiß ich“, gab ich zurück. „Miss Fuentes erwartet uns.“

„Es gibt hier keine Miss Fuentes“, erwiderte Narbennase, wobei er seine Fäuste hob. Für seinen Geschmack war vermutlich schon viel zu viel gequatscht worden.

Nun preschte Lucy vor.

„Der Name stimmt vielleicht nicht, aber die Lady ist eine Freundin von mir. Wir müssen dringend etwas besprechen, von Frau zu Frau.“ Zur Bekräftigung ihrer Worte nahm sie Narbennases riesige Hand und legte sie auf ihre üppige Brust. „Eine Herzensangelegenheit, Sie verstehen ...?!“

Ein koketter Augenaufschlag gab ihm den Rest. Mehr hätte ich auch mit dem Totschläger nicht ausrichten können. Das Gesicht des Rausschmeißers lief puterrot an.

„Also gut, aber nur fünf Minuten“, krächzte er. Wir zischten an ihnen vorbei. Hinter uns konnte ich hören, wie sein Kollege ihm wegen der Pflichtvergessenheit die Hölle heißmachte. Aber für uns war entscheidend, dass wir die Verfolgung fortsetzen konnten.

„Die Waffen einer Frau sind doch immer noch die wirkungsvollsten“, dachte ich laut nach.

„Nicht unbedingt“, gab Lucy kichernd zurück. „Das, was du in der Hosentasche trägst, ist auch nicht zu verachten, Chef.“

Ich wollte dieses Thema nicht vertiefen, jedenfalls nicht im Moment. Aber das war auch gar nicht möglich, denn wir mussten uns ganz darauf konzentrieren, endlich die Fuentes zu finden – die offenbar überhaupt nicht so hieß.

Ich schnüffelte. Wir befanden uns in einem Labyrinth aus Gängen, die in mehrere Räume führten. Es roch nach Holzwolle, Spiritus und Marihuana. Irgendjemand kiffte sich in der unmittelbaren Umgebung die Seele aus dem Leib. Hatte unsere geheimnisvolle Auftraggeberin etwas mit dem Rauschgift zu tun? Aber Marihuana war in den Staaten nicht illegal, im Gegensatz zu Alkohol. Zwar wusste ich aus der Zeitung, dass es in der Regierung Überlegungen gab, auch das Hanfrauchen zu verbieten, aber das war bisher noch Zukunftsmusik.

„Es gibt hier bestimmt auch einen Hinterausgang“, wisperte Lucy. Unwillkürlich hatte sie ihre ansonsten nicht gerade leise Stimme gedämpft. „Vielleicht ist die Fuentes schon längst flitzen gegangen.“

Ich nickte, obwohl ich es nicht glaubte. Während meiner Jahre als Detektiv hatte ich einen sechsten Sinn entwickelt. Manchmal ließ er mich zwar im Stich, aber meistens konnte ich mich schon auf ihn verlassen. Victoria Fuentes steckte noch irgendwo in diesem Kabuff. Wir rückten weiter vor. Immerhin mussten wir damit rechnen, dass die Gorillas uns folgten und uns vor die Tür setzen wollten.

Hinter einer Tür vernahm ich eine weibliche Stimme. Was gesprochen wurde, konnte ich nicht verstehen. Ich entschied mich für die undiplomatische Variante und riss einfach die Tür auf.


Die Frau, die sich Victoria Fuentes nannte, starrte uns aus großen braunen Augen an. Sie hatte gerade telefoniert und warf den Hörer auf die Gabel. Sie stand an einem kleinen Schreibtisch in einem fensterlosen Büro. Die Zimmerdecke war ziemlich niedrig, die Wände waren kahl und schmucklos. Abgesehen von einem Aktenbock, einer Schreibmaschine, dem Tisch und einigen Stühlen war es leer. Ein trister Raum, der so gar nicht zu dem Prunk des LA-PLATA-Tanzsaals passen wollte.

„Sie spionieren mir hinterher.“

Als diese Worte über die roten Lippen der schönen Argentinierin kamen, blieb offen, ob das eine Frage oder eine Feststellung sein sollte. Aber ich ließ mich davon ohnehin nicht ins Bockshorn jagen.

„Meine Sekretärin und ich wollten nur Tango tanzen“, spielte ich das Unschuldslamm. „Und dafür bietet sich so ein argentinischer Tanzschuppen natürlich an. Da werden Sie mir zustimmen, denke ich. Wie groß war unsere Überraschung, Sie hier anzutreffen. Und noch größer unsere Verblüffung, als wir von diesen beiden lebenden Rinderhälften erfuhren, dass Sie gar nicht Victoria Fuentes heißen.“

„Ich kenne keine Rinderhälften, machen Sie lieber Ihre Arbeit. Dafür bezahle ich Sie schließlich“, versuchte unsere Auftraggeberin mir Kontra zu geben.

„Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind. Wenn ich dieses Bild wirklich beschaffen soll, brauche ich alle Fakten. Dann muss ich die Wahrheit kennen. Und dazu dürfte wohl auch gehören, dass Sie, Ma’am, keine Kunstmalerin sind.“

Mit meiner Bemerkung hatte ich ins Schwarze getroffen. Das war ganz offensichtlich. Hatte die Lady wirklich geglaubt, mir eine Komödie vorspielen zu können?

Diese Frage konnte ich mir später beantworten. Einstweilen wurde es in dem Büro-Kabuff ungemütlich eng. Durch die immer noch offen stehende Tür drängten nun nämlich vier Typen in Nadelstreifenanzügen und mit Verbrechervisagen herein. Ihrer Hautfarbe nach zu urteilen stammten sie alle aus Südamerika. Man musste wohl kein Prophet sein, um in ihnen Landsleute unserer geheimnisvollen Auftraggeberin zu sehen.

„Was ist hier los?“, zischte der größte von ihnen, der gleichzeitig wohl der Sprecher war. Ich schaute ihn mir genauer an. Er hatte in etwa meine Statur. Sein blauschwarzes Haar war mit viel Brillantine straff nach hinten gekämmt worden. Unter seinem Riesenzinken fristete ein dünnes Schnurrbärtchen ein Schattendasein. Für mich war der Kerl eine Witzfigur. Aber ich kapierte gleichzeitig, dass man ihn nicht unterschätzen durfte.

„Nur ein kleiner Plausch unter Freunden“, gab ich mich cool.

„Die Räume sind privat, hier ist das Betreten verboten.“

„Ich dachte immer, das hier wäre ein freies Land.“

Eine der anderen Figuren ließ einen Spruch auf Spanisch vom Stapel. Seiner hasserfüllten Visage nach zu urteilen, war es gewiss kein Kompliment für mich gewesen.

Mickerbärtchen schnitt seinem Kumpel mit einer Handbewegung das Wort ab und redete erneut mich an.

„Gehen Sie, Mister. Oder ich garantiere für nichts.“

„Sehr freundlich. Aber erst hätte ich gerne noch gewusst, was diese argentinische Lady hier im Schilde führt. Und wie ihr richtiger Name lautet, würde mich auch interessieren. Ich bin übrigens Jack Reilly, Privatdetektiv.“

Mickerbärtchen war nicht sehr auskunftsfreudig. Gleichwohl antwortete er mir. Und zwar, indem er ein Bajonett oder Sägemesser aus der Tasche zauberte und aufschnappen ließ. Seine drei Kumpane schienen nur auf dieses Signal gewartet zu haben. Auch sie besaßen prächtige Sägemesser, die sie uns nur allzu gerne vorzeigten.

Bajonette mit Sägerücken konnte man in New York City überall kaufen; der Weltkrieg war schließlich erst seit zehn Jahren vorbei, und so mancher GI hat sein in den Schützengräben von Flandern erbeutetes deutsches Bajonett für ein paar Cent in einem Trödelladen auf der Bowery versilbert. Wie gesagt, an diesen üblen Stichwaffen herrschte kein Mangel. Ich hatte schon so manchen armen Teufel gesehen, der von einem solchen Sägemesser zerfleischt worden war. Daher läuteten bei mir nun alle Alarmglocken.

Denn plötzlich befanden Lucy und ich uns in der Mitte eines Quadrats, das aus vier scharfen Klingen gebildet wurde. Mit guten Worten kamen wir jetzt nicht weiter. Es ist fast unmöglich, ohne Blessuren gegen einen Messerkämpfer zu bestehen. Darüber war ich mir im Klaren. Mir ging es in diesem Moment nur darum, überhaupt lebend den Raum zu verlassen.


Einen kleinen Vorteil besaßen wir. Die vier Eckensteher rechneten gewiss nur mit mir als Gegner. Dass Lucy nicht nur hübsch und charmant war, sondern auch die Zähne zeigen konnte, hielten sie gewiss für unmöglich.

Und doch war es ausgerechnet meine Sekretärin, die nun den Sägemesser-Blues anstimmte. Sie tat es, indem sie mit ihrer Handtasche zuschlug.

Normalerweise würde man durch eine solche Attacke keinen Mann von den Beinen holen. Aber Lucys Handtasche enthielt ein Hufeisen!

Sie pflegte das Metallstück immer einzustecken, wenn sie in einer heiklen Mission unterwegs war. In diesem Fall war der Erfolg geradezu überwältigend. Sie drosch ihre Handtasche mit voller Wucht in das Gesicht des einen Argentiniers, und Lucy ist ein kräftiges Mädchen.

Es knackte laut, als die Nase des Kerls brach. Blut schoss hervor. Jaulend ging Lucys erster Gegner zu Boden. Ich war währenddessen natürlich nicht untätig. Es waren immer noch drei Mann auf ihren Beinen und das Schicksal ihres Kumpans würde sie nicht gerade für Lucy und mich einnehmen. Ein Hufeisen besaß ich nicht, aber der Totschläger des Einbrechers war auch nicht übel.

Ich riss ihn aus der Jackentasche und ließ ihn blitzschnell auf den Unterarm eines Argentiniers krachen. Wenn mich nicht alles täuschte, würde er seine Messerhand ein paar Wochen lang nicht mehr gebrauchen können. Die Klinge entfiel seinen erschlafften Fingern.

Natürlich hätte ich auch meinen Sechsschüsser einsetzen können. Aber in einem solch kleinen Raum zu feuern, ist eine kitzlige Angelegenheit. Zu groß wäre die Gefahr gewesen, meiner tapferen Sekretärin eine Kugel in den Pelz zu brennen. Da war der Totschläger einfach die bessere Waffe.

Ich drehte mich seitwärts. Keinen Augenblick zu früh, denn Mickerbärtchen attackierte mich bereits mit seinem gefeilten Bajonett. Die Waffe sägte in meinen linken Arm. Der Schmerz kam wie ein Hammerschlag und ich fühlte mein Blut fließen. Aber zum Glück war es einstweilen nur eine recht harmlose Wunde. Jedenfalls konnte ich den Arm noch einsetzen. Ohnehin hielt ich mein Schlaginstrument in der rechten Hand, ich schwang es in die Richtung meines Widersachers.

Inzwischen kämpfte Lucy wie eine Furie mit dem vierten Eckensteher, der vorsichtiger war als sein Freund. Er konnte den Handtaschenschlägen ausweichen. Aber dann kam ihm plötzlich die angebliche Victoria Fuentes in die Quere. Die Argentinierin drängte zum Ausgang. Der Kerl trat einen Schritt zur Seite, um sie nach draußen zu lassen. Das wurde ihm zum Verhängnis. Sein Schädel geriet nun doch in die Reichweite von Lucys hufeisenbewehrter Tasche. Es gab einen dumpfen Laut, als sie ihm damit den Scheitel nachzog.

Ich kämpfte inzwischen verzweifelt gegen Mickerbärtchen, der ziemlich gut mit dem Sägemesser umgehen konnte. Schade, dass er Argentinier war, sonst hätte man ihn gut 1918 in Frankreich im Grabenkrieg verheizen können.

Er stach mich jedenfalls in den rechten Oberschenkel und hätte wohl auch noch empfindlichere Regionen getroffen, wenn ich ihm nicht meinen Totschläger gegen den Rippenbogen geknallt hätte.

Der gezielte Hieb brachte ihn aus dem Konzept. Er entwich rückwärts und stolperte über den Kerl, der mit gebrochener Nase wimmernd am Boden lag.

Das war die Gelegenheit für einen taktischen Rückzug. Lucy und ich verständigten uns mit einem Blick. Wir stürmten hinaus – wobei ich eher humpelte –, warfen die Tür zu und drehten den Schlüssel herum. Die Kerle würden vermutlich nicht lange brauchen, um die Tür zu pulverisieren. Aber einen kleinen Vorsprung hatten wir eben doch.

Wie Lucy vermutet hatte, gab es einen Hinterausgang. Wir hörten, wie die Argentinier versuchten, die Tür aufzubrechen. Bevor sie es schafften, waren wir draußen. Die klare Nachtluft fühlte sich wunderbar an. Wir überquerten einen Hof. Der Holzzaun erwies sich als so morsch, dass wir einige Latten einfach kaputt schlagen konnten. Durch die Lücke entkamen wir, wobei Lucys Kleid bis zur Hüfte aufriss. Dieser erfreuliche Anblick gab mir die Kraft, bis zur nächsten Querstraße zu hinken.

Dann hatten wir zum ersten Mal in dieser Nacht Glück: In dieser öden Ecke der Lower East Side kam ein Yellow Cab vorbei. Und der Fahrer nahm uns sogar mit, obwohl ich ihm mit meinem Blut die Sitze ruinierte. Aber ich gab ihm so viel Trinkgeld, dass er davon mit Leichtigkeit die Reinigung bezahlen konnte und trotzdem noch einen guten Schnitt gemacht hatte.


Wir ließen uns von dem Cab zum Bellevue Hospital fahren. Die Krankenschwester in der Notaufnahme machte große Augen, als wir hereinkamen. Lucy hatte nur einen langen Schnitt an der rechten Hand abbekommen, aber ich blutete aus zwei tieferen Wunden, am linken Arm und am rechten Oberschenkel.

„Um Gottes Willen, was ist denn mit Ihnen passiert?“, rief die Frau in dem weißen Kittel.

„Wir waren Tango tanzen“, entgegnete meine aufgeweckte Sekretärin wahrheitsgemäß.


4

Schließlich sah alles doch schlimmer aus, als es war. Von dem Honorar waren noch genug Greenbacks übrig, um unsere Wundversorgung im Krankenhaus zu bezahlen. Wenn die angebliche Victoria Fuentes nicht mit gezinkten Karten gespielt hätte, wären wir allerdings auch gar nicht mit den Messerstechern aneinander geraten und hätten uns die Behandlung sparen können. Aber für die Ironie dieser Situation hatte ich momentan keinen Sinn.


Schließlich brachte ich Lucy nach Hause, handelte mir einen Dankbarkeits-Kuss ein und kehrte dann in mein Apartment zurück, um in trauter Zweisamkeit mit einer Flasche Single Malt unseren aktuellen Fall zu überdenken.

Ich kam nicht weiter, weil es mir an Hintergrund-Informationen fehlte. Ich wusste inzwischen, was die Argentinierin nicht war – nämlich Kunstmalerin. Und ich wusste, dass sie Freunde hatte, die gut mit Messern umgehen konnten. Mickerbärtchen und seine Kumpane rochen auf drei Meilen gegen den Wind nach Gangstern. Aber wenn sich eine neue Gang in New York etablieren wollte – was würden die irischen und italienischen Platzhirsche dazu sagen? Stand uns vielleicht ein neuer Bandenkrieg ins Haus?

Und was war mit diesem verfluchten Gemälde? War wirklich jemand so dämlich, ein völlig wertloses Bild einer unbekannten Künstlerin zu klauen? Oder gab es einen Zusammenhang mit dem Raub im Museum of the City of New York, bei dem ein Wachmann sein Leben hatte lassen müssen?

In der Zeitung stand nicht, auf welche Weise der Wächter um die Ecke gebracht worden war. Um das zu erfahren, würde ich wohl mit meinem Freund Alan Leary beim Police Department ein Schwätzchen halten müssen. Aber es war bereits weit nach Mitternacht und auch Cops wollen einmal schlafen. Mir fielen ebenfalls die Augen zu, nachdem ich die Flasche geleert hatte. Der Single Malt erwies sich als erstklassiges Schmerzmittel.