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Jens-Kugler-Verlag

Kleinvoigtsberg/Sa.

Will das Recept nicht schlagen an

Und die Juristerei vergahn,

Und dir will keine Predigt glüken,

So nehmt die Ränzel auf den Rüken,

Sagt euren Freunden „Gott befohlen“!

Und macht Euch fröhlich auf die Sohlen.

Petra Stephan, Winfried Stephan

Bericht einer Reise von Thüringen
durch Sachsen bis nach Böhmen
im Jahr 1823

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Akten und Berichte vom sächsischen Bergbau – Heft 53

Umschlag: Ansicht von Dresden über die Augustusbrücke
- Ausschnitt (um 1850)

© 2018 Jens-Kugler-Verlag

ISSN 1436 - 0985

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Geschichte einer Reise(beschreibung)

Einführung: Es zogen drei Burschen

Vorrede von 1823

Erstes Capitel: Altenburg

Zweites Capitel: Glauchau

Drittes Capitel: Tharand

Viertes Capitel: Dresden

Fünftes Capitel: Die sächsische Schweiz

Sechstes Capitel: Dresden und Niederzimmern

Register historischer Personen

Ortsregister

Register heute ungebräuchlicher Bezeichnungen

Vorwort: Geschichte einer Reise(beschreibung)

von Winfried Stephan geschrieben 2017

Als diese Reisebeschreibung vor 200 Jahren entstand, waren Reisen, insbesondere Forschungsreisen, sehr in der Mode. ALEXANDER VON HUMBOLDT reiste, um die „Welt zu vermessen“. MAXIMILIAN ZU WIED-NEUWIED unternahm seine Entdeckungsreisen nach Süd- und Nordamerika, um das Leben der Ureinwohner zu dokumentieren. JOHANN WOLFGANG VON GOETHE hatte seine Italienreise zwar schon früher unternommen, schrieb sie aber erst zwischen 1813 und 1817 auf. JOHANN GOTTFRIED SEUME „spazierte“ 1801 und 1802 nach Syrakus und ließ uns durch seine Beschreibung mit daran teilnehmen.

In der Reihe dieser Reisen nimmt sich eine „Wanderung vom Fallthor in Niederzimmern bis zum Prebischthor in Böhmen und zurük“ deutlich bescheidener aus. Dennoch vermittelt uns deren Beschreibung noch heute eine Vielzahl eindrucksvoller Impressionen. Ganz dem Geiste der Romantik verpflichtet finden sich schwärmerische Landschaftsbeschreibungen, insbesondere der sächsischen Schweiz. Orte werden lebendig, die heute so oder überhaupt nicht mehr existieren. Teilweise sehr launige Beschreibungen geben Einblick in das kulturelle Leben jener Zeit. Sie lassen uns u. a. teilhaben an einer Aufführung des „Freischütz“ unter Leitung des Komponisten CARL MARIA VON WEBER, an einem evangelischen und einem katholischen Gottesdienst oder an Museumsbesuchen in Dresden und auch an einer Tanzveranstaltung in Altenburg. Dabei werden auf das durchschimmernde Standesdenken, den Bildungsdünkel der Studierten für uns heute oft ungewohnte und amüsante Schlaglichter geworfen. Während des Besuchs der Bergstadt Freiberg kann man die Einfahrt in ein Bergwerk miterleben und stößt dort auch auf die erste Dampfmaschine. Aufschlussreiches findet sich ebenso zum Leben der Leute entlang der gewählten Route wie auch zu den damaligen Möglichkeiten des Reisens. Aus der Art der Sprache, in der die Beschreibung verfasst ist, ergeben sich für heutige Leser besondere Reize, aber auch zusätzliche Mühen. Im Denken und in unseren Äußerungen haben wir eben doch die Romantik hinter uns gelassen.

Diese Reise hatten drei junge Männer aus Thüringen unternommen. Einer davon, der diese Reise dann auch beschrieb, ist FRIEDRICH CHRISTIAN LOSSIUS, ein Pfarrer aus Niederzimmern und mein Urururgroßvater. Die alte Reisebeschreibung entdeckte ich im Nachlass meiner Mutter ELSBETH STEPHAN, geborene Lossius. Ich stieß auf einen unscheinbaren Ordner mit fragilen Seiten. Es war eng beschriebenes Durchschlagspapier, wie es in meiner Jugend für die Erzeugung von Kopien verwendet wurde. Mit einer Schreibmaschine konnten so fünf bis sechs Durchschläge, also Kopien, hergestellt werden. Das Erbstück entpuppte sich als eine Abschrift der Beschreibung eben dieser Wanderung durch Thüringen und Sachsen im Jahre 1823.

Das Original fand sich leider nirgends. Höchstwahrscheinlich ist auch die vorliegende Kopie die einzige, die noch erhalten geblieben ist. So entstand natürlich sofort die Frage nach der Verbürgtheit der Reise und nach der Echtheit der mit 1953 datierten Abschrift. Die Existenz der zwei Lossius-Wanderburschen lässt sich anhand des Familienstammbaums gut belegen. Auch die geschilderte Reiseroute, die kontaktierten Personen sowie einige der erwähnten Ereignisse lassen sich mit Hilfe von Onlinerecherchen noch heute erstaunlich gut nachvollziehen. Nicht zuletzt vermittelt die benutzte Sprache, die Grammatik wie auch die Wortwahl, Authentizität. Und was die Abschrift betrifft, so erinnerte ich mich, dass im Sommer 1968 bei uns in Erfurt plötzlich eine Tante Ilse aus Westdeutschland, aus Hannover, auftauchte. Vermutlich hat sie bei diesem oder folgenden Kontakten diese Abschrift und andere Unterlagen meinen Eltern übergeben. Mich hatte das damals wenig tangiert, denn ich begann mein Mathematikstudium in Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz), war deshalb nur noch besuchsweise zu Hause und hatte zudem als 18-Jähriger völlig andere Interessen. Wenn man diesen Unterlagen glauben darf, fertigte Tante Ilse, mit vollem Namen ILSE ZAHN, als Lehrerin tätig, die Abschrift mit viel Mühe an (→ Einführung). Sie hoffte, einen Verleger zu finden und das Manuskript als Buch herauszugeben. Leider ist ihr das nicht gelungen, wie die abschlägige Antwort eines Verlegers in den aufgefundenen Unterlagen belegt.

Inzwischen sind 65 Jahre vergangen. Heute gibt es ganz andere Möglichkeiten für eine Herausgabe. So lohnt sich ein zweiter Anlauf. Nicht nur für die Familie sollte dieser Schatz bewahrt und weitergegeben werden. Wer hat schon die Möglichkeit - zumindest punktuell - zu erfahren, wie und wo seine Vorfahren vor etwa 200 Jahren lebten, was ihnen widerfuhr und was und wie sie dachten. Ob die Lektüre auch für andere Leser interessant und lesenswert ist, müssen sie dann selbst herausfinden.

Ilse Zahn hielt sich nach meinem Verständnis bei ihrer Abschrift 1953 weitgehend an die um 1823/24 übliche, nicht unbedingt geregelte Schreibweise und Grammatik. Um dem weitgehend treu zu bleiben, übernahm ich die vorgefundene Rechtschreibung und Grammatik (z.B. „k“ anstelle von „ck“, „ß“ anstelle von „ss“, „Gallerie“ anstelle von „Galerie“, „Thor“ anstelle von „Tor“ usw.). Offensichtliche Tippfehler verbesserte ich. Auffällig sind im Manuskript viele lange und verschachtelte Sätze, die für uns heute nicht so leicht lesbar sind. An einigen Stellen änderte ich deshalb vorsichtig die Interpunktion. Wortschatz und manche Formulierungen wirken aus heutiger Sicht ebenfalls fremd und sind mitunter kaum oder nicht verständlich. Deshalb fügte ich ein „Register ungebräuchlicher Bezeichnungen“ hinzu. Die Formulierungen behielt ich aber weitestgehend bei, sie sichern den Reiz des Lesens.

Um den geistigen Gewinn beim Lesen zu steigern, stellte ich im „Register historischer Personen“ Informationen zu Personen der Zeitgeschichte zusammen, welche die Wanderer auf ihrer Reise trafen. Überraschend viele sind in Wikipedia oder anderen Online-Registern zu finden. In das „Register Ortsbezeichnungen“ nahm ich nur solche Orte auf, deren Namen sich geändert haben oder die heute nicht mehr existent sind.

Einführung: Es zogen drei Burschen

von Ilse Zahn verfasst 1953

Personen

Die Reisenden:

FRIEDRICH CHRISTIAN LOSSIUS 1 (geb. 1798) der Autor, der Pastor, der Blaurock, der Vicar of Cimmern, Odysseus und Ulyß

CARL LOSSIUS (geb.1798) der Conrektor, der Präzeptor, der Candidat CATECHET, der Vetter

EDUARD HELMERSHAUSEN (etwas jünger) der Hofadvokat, der edle Ritter

Der besuchte Freund:

CARL GROH Kommilitone aus Jena

Zeitweise stoßen noch weitere Wanderer zu dieser Gruppe:

Die beiden Mädchen sind vermutlich EMILIE HOFFMANN, die im Dezember 1824 die Braut des Blaurocks wurde, und deren Schwester PAULINE.

Zur Zeit der Wanderung ist das sehnsüchtige Herz des jungen Pfarrers, von der Verwundung durch eine unerwiderte Liebe genesen, noch frei, wie seine schweifenden Blicke und Gedanken unschwer erkennen lassen. Doch scheint er in den Wintermonaten, in denen das Buch entstand, bereits zu wissen, wer ihn „zum Vater“ machen wird.

Wer im August des Jahres 1823 den drei jungen Männern begegnete, die auf thüringischen und sächsischen Landstraßen dem Erzgebirge zu wanderten, hielt sie wegen ihres Übermutes und ihrer Necklust für „Jenenser“, Studenten aus Jena, die in etwas abenteuerlicher Gewandung, den Ziegenhainer [UB1] in der Hand und ein akademisches oder militärisches „Ränzel“ auf dem Rücken, den Staub der Hörsäle für die Dauer einiger ferienseliger Tage mit der hochsommerlichen Natur vertauscht hatten. Und doch war jeder von ihnen seit einigen Jahren in Amt und Würden und in den strengen Pflichtenkreis eines verantwortungsvollen Berufs gepreßt. Das etwas wehmütige Bewußtsein des nunmehr unabänderlichen Philisteriums hatte in ihnen den Wunsch erweckt, nach längerer Trennung – nur die Vettern sahen sich häufig – eine gemeinschaftliche Wanderung zu unternehmen, auf der sie in der Erinnerung an die fröhliche, von ersten Studien und überschwänglicher Freundschaft erfüllte Zeit die alte Burschenherrlichkeit noch einmal aufleben ließen.

Carl Groh, dem seine junge ärztliche Praxis die Teilnahme nicht erlaubt hatte, wurde in Glauchau im Hause seiner verwitweten Mutter aufgesucht. Er und Fritz Lossius waren Herzensfreunde und so innig verbunden, daß der dritte im Bund, der „edle Ritter“, etwas außerhalb stand, wie ein späterer Brief Grohs verrät. Der Blaurock drückt die feine Abstufung dieser Freundesbeziehungen einige Jahre früher so aus, daß er Groh „wie eine Braut“, Helmershausen „wie eine Geliebte“ liebe. Daran erkenne ich, fährt er fort, „daß ich noch kein Weib geliebt habe!“.

Alle vier hatten 1816 die Universität Jena bezogen, und die bescheidenen Buden, die ihre kargen Wechsel ihnen gestatteten, hatten manche hitzige Disputation dieser „genialischen“ Jünglinge erlebt, waren Zeugen ihres Schwärmens gewesen. Fritz hatte siebzehnjährig als freiwilliger Lützowscher Jäger [HP1] den Feldzug von 1815 mitgemacht, aus dem er zwar keine ehrenvollen Narben, wohl aber die Krätze heimbrachte, weswegen er von seinen Freunden weidlich geneckt wurde. Auch das Wartburgfest im Jahre 1817 hatten sie alle miterlebt, doch standen zumindest die „Lossier“ der späteren Entwicklung der Burschenschaft ablehnend gegenüber [HP1]. Beide waren sie Abkömmlinge uralter thüringischer und sächsischer Pfarrergeschlechter. Voller Stolz führten die väterlichen Ahnen ihre Abstammung auf böhmische Hussiten zurück, die um ihres Glaubens willen einst nach Grünhain ins sächsische Erzgebirge geflüchtet waren.

Der bedeutendste aus der Familie war des Vetters Vater KASPAR FRIEDRICH LOSSIUS2 (1753 - 1817). Verfasser des weit verbreiteten Kinderbuches „Gumal und Lina“, der in fast jedem Haus der damaligen Zeit befindlichen „Moralische Bilderbibel“, des Buchs „Historischer Bildersaal“ u.a.

KASPAR FRIEDRICH´s jüngster Bruder (1760 - 1819) RUDOLF CHRISTOPH, der Vater des Blaurocks eine Art thüringischer „Vicar of Wakefield“, hatte sich auch, allerdings mit geringem Erfolg, schriftstellerisch betätigt und ein an Sorgen nicht eben armes Leben geführt.

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K. F. Lossius: Gumal und Lina. Eine Geschichte für Kinder zum Unterricht und Vergnügen., Gotha 1809

Ach, sie hatten eigentlich alle ihre Sorgen! Die Zeit nach den Freiheitskriegen war eine sehr arme, und Helmershausen, der Jurist, hat ebenso mit ihnen zu kämpfen wie der Arzt GROH, der den Landpfarrer mit den winzigen Einnahmen um die Sicherheit dieser Einkünfte beneidet.

Und doch hat man keineswegs den Eindruck, daß die Reisenden geknausert hätten! Lange haben sie gespart, diese Lebenskünstler, „um aufgehen zu lassen, was aufgehen will!“ Als Fritz vier Jahre zuvor aus Geldmangel eine Einladung zu GROH ausschlagen muß, schreibt er: „So wenig es mir schwerfallen sollte, an einem Werkeltage den ganzen Tag Holz zu spalten und eitel Brot zu essen, so unmöglich wäre es mir zu reisen, d.h. mich im Besitz aller Wiesen, Wälder, Schweinskoben und Paläste, die mir vor Augen kommen, zu fühlen, wenn ich nicht wie ein Prinz aufgehen lassen könnte, was aufgehen will. Kann ich auf der Reise nicht die wunderlichsten Neigungen, Appetite und Begierden stillen, so komme ich mir vor wie ein Landstreicher und sehe mich immer ängstlich um, ob nicht ein Gendarm kommt, der mich auf den Schub nach Tonndorf bringen läßt.“

Der Reisebericht brachte seinem Autor hohes Lob ein und machte in den folgenden Jahren mehrmals die Runde im Kreise der Freunde. Helmershausen liest ihn seiner in langer Krankheit dahinsiechenden geliebten Schwester ADELHEID vor und nennt ihn ihre letzte Freude. Der jungverheiratete Groh, der inzwischen als Leibarzt des im Buch erwähnten Grafen nach Schloß Wechselburg bei Rochlitz gezogen ist, bittet sich das Buch aus, um es in seiner Familie vorzulesen, und fleht ihn an, es von irgend einer mildtätigen Hand vollends abschreiben zu lassen, da sie nicht weitergekommen seien als: „Wir gaben dem diensteifrigen Stallknecht gern einige Groschen und wurden von ihm bis an den Eingang der Gemäldegalerie begleitet.“

Es bedeutet der heutigen Abschreiberin, die des Blaurocks Urenkelin ist, eine große Genugtuung, daß sie diese mühselige Arbeit, wenn auch oft seufzend, ganz allein vollbracht hat. Der Blaurock schrieb nämlich winzige Buchstaben, und kaum ist‘s zu glauben, daß er dazu eine selbstgeschnittene Gänsefeder benutzte. Sie werden nur durch die mikroskopisch kleinen, ätherischen Schriftzüge des Vetters übertroffen, dessen einige Jahrzehnte später eingetragenen Randbemerkungen, meist die fernere Entwicklung der bereisten Orte betreffend, nicht einmal für die kummergewohnten Augen der Abschreiberin lesbar sind.

Der lehrhafte Präzeptor überlebte alle Freunde. Er starb im Jahre 18773 zu Gispersleben, wo er seit 1828 amtiert hatte. Der fröhliche Blaurock war als erster mit kaum 45 Jahren auf die letzte Wanderung gegangen. Die schlichten Zeilen, die der einsame alte Mann am Ende seines Lebens in das Büchlein schrieb, dessen Einband aus grünem biedermeierlichen Glanzpapier inzwischen verblaßt und abgegriffen war, lauten:

Es zogen drei Burschen - zwar nicht an den Rhein,
Und bei einem vierten, da kehrten sie ein.
Sie machten sich wohlgemut auf die Schuh
und wanderten fröhlich der Elbe zu.

Euch, ihr beiden lieben Reisegefährten,
die ihr längst nun schon den Wanderstab niedergelegt habt
und nicht mehr Pilgrime seid - euch grüßt freundlich
in seliger Rückerinnerung und froher Hoffnung

der noch allein übrig Gebliebene
und weiht eurem Andenken diese Zeilen.

Carl Lossius.

1 Aus der Ahnentafel im Nachlass geht hervor, dass das mein Urururgroßvater ist und Emilie Hoffmann tatsächlich seine Ehefrau wurde.

2 Hier findet sich die Begründung, warum Kaspar Friedrich Lossius in [HP22] durch ausführlichere biografische Daten herausgehoben ist. Er ist der Vater von Carl und der Onkel von Friedrich Christian Lossius. Durch den Inhalt der Quelle wird auch die Plausibilität der vorliegenden Aufzeichnungen gestützt.

3 In [HP22] ist als Todesjahr 1880 genannt.

Vorrede von 1823

Was mich, verehrte Freundinnen, auf den seltsamen Gedanken gebracht hat, Euch diese handschriftliche Reise vorzulegen, ist die angenehme Erwartung, Ihr werdet sie nicht lesen, wie könnte ich Euch das zumuthen? – sondern es werde sich irgend eine gute Seele finden, die bekannt mit unseres Autors Schriftzügen ist, Euch den Innhalt dieser Blätter vorlesend mittheilt. Ihr sitzt strickend dabei, lächelt bisweilen dem Vorleser zulieb‘, bittet hie und da um Erlaubnis ihn zu unterbrechen und ein eben nöthiges häusliches Geschäft besorgen zu dürfen, kommt wieder, bittet gütig fortzufahren, hört achtsam zu, und schenkt lächelnd des Vorlesers noch nicht leeres Weinglas wieder voll. Ob Euch Innhalt und Manier gefällt? Das ist die Frage! Der Autor hat seinen schwachen Seiten, ist etwas weitschweifig, gesuchtwitzig u.s.w. Nun, drükt in solchen Fällen das Ohr zu, und erinnert Euch daran, daß die Lateiner auf deutsch sagen: „Auch der gute Homer macht ja bisweilen ein Witzchen“.

Einigen Dank hoffe ich bei Euch, liebe Reisegefährten, zu verdienen, nicht als schmeichelt‘ ich mir, die Beschreibung werde Euch gefallen, sondern weil sie Euch Gelegenheit giebt, Euch das, was sie nur flüchtig oder gar nicht andeutet, zu vergegenwärtigen. Es ist immer angenehm, mehr zu wißen als der Autor. Dies Angenehme werdet Ihr oft empfinden. Tritt Euch beim Lesen das Bild unserer gemeinschaftlichen Wanderung vollständiger vor die Seele, so ist die Mühe, die ich darauf wendete, hinlänglich belohnt.

Einen Hauptfehler hat diese Beschreibung, ungeachtet er vermieden werden sollte, nämlich der, daß der Schreiber als Hauptperson erscheint, was er nicht war und nicht seyn wollte. Jeder hatte seine Scene, in der er als Hauptperson auftrat. Auch würde die Darstellung weit größeres Intreße haben, wenn sie mit Eurem poßirlichen und sinnreichen Einfällen reichlicher gewürzt wäre. Allein geschweige, daß es immer schwer ist, eines anderen Gedanken, in so fern er in naher Beziehung auf das Gegenwärtige stehend, bald durch das unerwartet Hervorblitzende, bald durch den ihn begleitenden Ton und Geste Reiz und Leben gewann, so wiederzugeben, daß er den späteren Leser gleichfalls anspreche. So ist es ja fast unmöglich, alles zu merken, was andere sagten und thaten. Drängt sich doch in des Schreibers Seele neben den Gedanken, den er früher hatte, leicht ein späterer, fremder ein. Was erst Anschaun, Empfindung war, wird später Reflexion. Dies zur Entschuldigung der erwähnten und einiger anderer Mängel, die ihr leichter bemerken werdet, als der Freund und die Freundinnen, in deren Begleitung wir zum zweiten Mal diese Reise machen.

Mehr denn einmal, o Groh, o medice medicorum, o Doctor, o alter Haus- und Quasistuben-Bursch, habe ich angestanden, Deinen illustern Namen an die Stirn dieses Manuskripts zu setzen, Dir - Dir zu erlauben es zu lesen. Nicht als fühlt‘ ich diese leichtsinnigen Blätter entsprächen dem Ernst unserer Freundschaft nicht. Das wäre sehr schön und gewißermaßen auch richtig gesagt. Aber lieber Himmel! Haben wir nicht auch manchen Spaß gemacht, Alter, wenn wir friedlich und gemüthlig in der Gerhardei saßen, den halben Hering nochmals theilten und zu drei Aepfeln verzehrten? Haben wir uns da nicht oft gewundert und gefreut, daß wir ernsthafte Subjekte noch so leichtfertig und fröhlich seyn könnten und aus Kleinlichkeiten einen guten, attischen Witz [UB2] zu fabrizieren verständen? Wenn nun vollends der edle Ritter mit dem Ausruf „Gegensätze müßen seyn“ wild hereinstürzte, den einen da, den anderen dorthin warf und mit seinen grimmigen Händen zerknetete, die stille Stube in ein polterndes, schallendes Lachhaus verwandelte, haben wir uns da nicht oft bekannt, Gegensätze müßen seyn, mit dem Ernst müße der Leichtsinn wechseln, und dieser werde uns hoffentlich nie ganz verlaßen. Hier siehst Du ihn wieder, den alten in neuer Gestalt, hier die alten Freunde fröhlich wie zuvor, und immer noch wie sonst die feine Linie des Sittlichen beachtend. Wir haben Dich oft vermißt, öfter Dich nah gefühlt. Lies und versetze Dich unter uns. Doch ich bin ein wenig aus der Constrution gefallen. Ich sagte, ich habe oft angestanden Dir diese Blätter vorzulegen. Lies also getrost, Bursche, es ist doch alles wahr, nicht wahr?

Nun könnte ich anfangen, den vierten August pp. Aber ich kann’s nicht ohne noch ein Wort an Euch, verehrte Freundinnen, über den Zaun der Lippen schlüpfen zu laßen. Stellt Euch vor, diese drei obengenannten Herren, alles gelehrte, gescheidte, scharfsinnige, tiefsinnige philosophische Köpfe, zerbrechen sich die Köpfe, wer Ihr seyd? – Sie rathen hier und dorthin und finden keinen gewißen Grund. Wollen wir‘s sagen? – Nein, wir schweigen, wie stumm. Nicht eher sollen sie es erfahren, als bis mich die eine zum Gevatter [UB3], die andere zu Vater macht.

Erstes Capitel: Altenburg

Den vierten August 1823 früh halb fünf Uhr wanderten wir drei, der Hofadvocat, Carl und ich, die militärischen und akademischen Ranzen auf dem Naken, neben dem unberühmten Fallthor (dasselbe führt seinen Namen nicht etwa daher, daß es einfallen will, was der Fall ist, sondern von einem anderen Umstande, den ich nicht kenne [OR1]) links zum Dorfe Zimmern infra hinaus [OR2]. Der Morgen war angenehm, und wir schritten wohlgemuth und eine glükliche Reise ahnend dem Grenzbache entlang, dann auf dem langen Raine nach Weimar zu. Jeder freute sich einen Lieblingswunsch erfüllt zu sehen. Auch war uns wohl allen eine Wanderung wie die bevorstehende nöthig; in wie weit dem munteren, liebenden Helmershausen, mag ich nicht entscheiden, meinem Vetter unstreitig am meisten, wie mich sein blaßes Gesicht und der Präceptorton, in welchem er bisweilen zu mir redete, vermuthen ließ. Aber auch ich bedurfte einer aufmunternden Reise und in solcher Gesellschaft. Der Vetter ist mir durch langes Zusammenleben verbrüdert, und auf Reisen ergözt mich seine Liebe zu Naturschönheiten und die Manier, sich über sie auszusprechen. Helmershausen ist mir als Freund und Mensch bekanntlich sehr werth, und daß er die Wanderung mitmachte, stellte ihn in meinen Augen noch höher. Ich glaubte nähmlich früher, er sey durch den Actenkram verphilistrirt und keine Gewalt im Stande ihn auf einige Zeit aus gewißen schönen Umgebungen zu ziehen, und doch schritt er jetzt im spanischen, blauen Kittel, mit meinem ehrwürdigen Schmachtriemen umgürtet, hastig vor mir her, der edle Ritter! Dann und wann ließ er seine schrekliche Stimme durch das Thal erschallen. Ihm folgte der Schreiber, dieser im veilchenblauen Überrok mit langer Taille und weiten, hellblauen Beinkleidern, einem Färbergesellen vergleichbar, und vor uns beiden mein Vetter, angethan mit einem schwarzen Rauchrok [UB4], gelben Nanquinhosen [UB5], mit dergleichen gewaltig langen Camaschen [UB6] einem ausgedienten österreichischen Feldwebel nicht unähnlich. (Dazu Helmershausens Randbemerkung zu dieser Stelle: Das hervorkeimende Schnauzbärtchen des mitreisenden Praeceptoris - um mich eines zwar etwas bestialischen, aber militairisch herkömmlichen Ausdrucks zu bedienen – bestimmt, die schulmeisterliche Physiognomie etwas zu verwildern und in der Fremde den geistlichen Stand anziehend zu verhüllen, hätte um so mehr einiger Erwähnung verdient, als es das Bild des österreichischen Feldwebels vervollkommnete und zugleich den burschikosen Sinn bezeichnete, in welchem der edle Conrector die Reise antrat.)

Wir kamen nach zwei Stunden in Weimar an, genoßen bei Wunders ein kleines Frühstück. Helmershausen kaufte sich eine neue stattliche Ypsilanti-Mütze, und ich erhielt die seinige, die ich durch einen wachstuchenen Überzug vor gänzlichem Verbleichen zu schützen suchte. Auf dem Weg nach Jena sprachen wir natürlich viel von unserer früheren Hausburschenschaft, und unsere Erinnerung, wie einst Freund Groh richtig bemerkte, verweilte gern und befriedigt bei den schönen Tagen unseres academischen Lebens. So stiegen wir in steigender Sonnenhitze - wie dankte ich es den Freunden, die mich abgehalten den schweren Castorhut [UB7] aufzusetzen – die ungewohnte Last des Ranzens fühlend, ins Mühlthal zur neuen Chaussee hinab. Je weiter wir gingen, je senkrechter fielen die Sonnenstrahlen, und wir mußten öfters ausruhen, um Athem zu schöpfen und uns zuzurufen, es sey entsetzlich heiß! Endlich kamen wir, es schlug gerade zwölf, in Jena an, kehrten im Gasthof zur Sonne ein, erquickten uns durch Schlaf, Speiße und Trank und verlebten in Gesellschaft einiger junger Freunde und des im Dienst der Gelehrsamkeit sich selbst allmählich antwortenden Kellners auf der verschönerten Rasenmühle und abends auf unserer Stube einige vergnügte Stunden.

(Daß wir die Zeugin früherer Freuden, die alte Gerhardsburg in Jena, nicht unbesucht ließen, versteht sich zwar von selbst, allein es hätte schon deshalb bemerkt werden können, um den Doctor pie venerander [UB8] von dem irdischen Hingang des alten Studentensandwirthes zu unterrichten. Man hatte ihn nach dem Bericht des schmächtigen Hannchens, welche inzwischen der Himmel noch mit mehreren Kindlein gesegnet, einige Tage vor unserer Ankunft zu Grabe getragen. Möge dem Philister das mancherlei Aergernis, das ihm der Burschen Übermuth hat oft zu Theil werden lassen, jenseits reichlich belohnt werden. Anm. des einen Recensenten.)

Tags darauf gegen vier Uhr griffen wir wieder zum Wanderstabe und gingen durch bekannte Thäler und Wiesen nach Roda. Freund Koch, aus dem Bette gejagt, gab beim Bärenwirth ein gutes Frühstück und begleitete uns die Anhöhe hinauf bis zur Schießhauswirthschaft. Der Weg nach Gera sey noch weit sagte er, und räthlich, sich dazu durch ein gutes Glas Bier zu stärken. Meine beiden Gefährten folgten der Ermahnung willig, nachdem ich versucht, sie vom abermaligen Verweilen abzuhalten, und etwa 30 Schritte allein fortgegangen war, ging ich querfeldein ihnen nach, ward ausgelacht und mit vollem Bierglas bewillkomnet. Unter munterem Gespräch verging die Zeit, und es war gescheidt, daß wir einen jungen Burschen aus dem Städtchen zum Führer und Fahrer unserer Ranzen nahmen. Leicht, heiter und singend wanderten wir nun durch den Wald, gelangten dann zu einigen Dörfern und Feldfluren und wieder in den Schatten eines mehrstündigen Fichten- und Tannenwaldes. Mich fing indessen an zu hungern - wie ich denn auf Reisen einen lebhaften Appetit nicht verläugnen kann, und ich war heilfroh, als zur Stillung des Heishungers der Schubkärner sein frisches Brod mit mir theilte, und noch mehr, als der von Koch empfohlene Gasthof erschien. Der Eintritt in die mit einem gichtbrüchigen Wirth, einem Krämer, mehreren Fuhrleuten und Bauern, drei Baktrögen, einer knetenden Frau, der keifenden Grosmutter und vielen Kindern und Fliegen versehenen, nicht gerade reinlichen Wirthsstube erwekte kein gutes Vorurtheil. Alle etwaige Freundlichkeit der alten Mama, die das Dominium zu führen schien, verhinderte der Vetter durch den lauten und frommen Wunsch, der Himmel möchte ihn vor einer solchen Frau behüten! Der Hofadvocat verhielt sich leidend, oder vielmehr den Naken antik über den Tisch gelehnt, den Kopf in den Händen dämmernd. Ich schlich in die Küche, lobte das Mütterchen, um den üblen Eindruck, den meines Vetters Rede auf sie gemacht hatte, zu vermindern, und sah den Bratwürsten, die sie für uns aufs Feuer gesetzt, behaglich zu. Sie wurden aufgetragen. Da machte mich ihr Äußerers bedenklich; ich biß nicht zuerst ein. Der Herr Praeceptor wollte sich‘s aber schmeken laßen, als der Hofadvocat sie sauber häutete, fein zerlegte und erklärte, sie seyen voll gebratener Schaben. Der Appetit verging uns schnell, und nachdem wir einen zweideutigen Kaffee getrunken und alles theuer bezahlt hatten, gingen wir weiter.

Die Gegend war angenehm, Berg und Thal, Wald, Wiese und Feld wechselten miteinander ab, und das gehaltene Mittagsmahl gab jedem reichlichen Stoff, von schlechtem Eßen und Trinken und Schlafen in Gasthäusern zu reden. Wir wanderten jetzt durch einige fürstlich reußische Dörfer [OR3], unter anderem auch durch Klein-Saaren. Hier oder in Gros-Saaren [OR4] soll, wie wir von Groh später erfuhren, eine schöne Pfarrerstochter wohnen. Hätten wir das früher gewußt, ließen wir nicht leicht ein hübsches Mädchen vorübergehen, ohne ihr Gelegenheit zu geben uns ihre Stimme hören zu laßen. Wie hätten wir nicht einen kleinen Umweg oder einige Stunden Verzug daran wenden sollen, eine der reizenden Schönen dieses Landes kennen zu lernen! Zumahl, da … Doch wir fühlten keinen Beruf, in alle Welt auszuposaunen, daß sich einer unserer Begleiter, der daheim ein großes, neugebautes Haus hat, dies und das schöne Sachsenland mit einer gewißen Nebenabsicht besah.