WOLF-ULRICH CROPP

IM SCHATTEN DES LÖWEN

NAMIBIA, BOTSWANA, SIMBABWE – VON HORIZONT ZU HORIZONT

1. Auflage 2018

© 2018 DuMont Reiseverlag, Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltung: Herburg Weiland, München

Titelfoto: Dan Kidwood / Getty Images

Karten und Fotos Innenteil: Wolf-Ulrich Cropp

Übersichtskarte: Gerald Konopik, DuMont Reisekartografie

eISBN 978-3-6164-9157-8

www.dumontreise.de

Karte

Meiner lieben Frau Christiane,
die mich reisen lässt

INHALT

Prolog

Simbabwe

Geheimnisvolles Gemäuer

Der Heldenacker

Auf dem größten Stausee der Welt

Mosi Oa Tunga – ›Donnernder Rauch‹

Durch verdammt wildes Wasser

Zwischen Hippos und Krokodilen

Botswana

Chobe und das KAZA-Projekt

Maun, Treffpunkt der Abenteurer

Ein Strom ohne Mündung

Pirschfahrten

Safari zu Fuß mit Betrachtungen zur Spezies Mensch

Die letzte Generation einer Naturgesellschaft

San in den Tsodilo Hills

Namibia

Buntes Windhoek, ein Wiedersehen

Katutura, das afrikanische Windhoek

Die Story der magischen Steine

Das moderne Diamantengeschäft

Nach Westen an die Küste

›Blühende Steine‹, uralte ›Pflanzenpolypen‹ und andere Sukkulenten der Namib

Ein Streifzug durch Swakopmund

Wüste muss man spüren!

Sandwich Harbour, eine Feuertaufe

Die sonderbaren little five

Ein Versteck, Sossusvlei und eine Farm in der Wüste

Zwei Abgründe

Schicksalsplateau Waterberg

Die Etosha-Pfanne

Dramen an der Skelettküste

Im Kaokoveld

Ockermenschen vom Omumborombonga-Baum

Zitatnachweis

Verwendete und weiterführende Literatur

Über den Autor

Weitere E-Books der Reihe

Prolog

Viele Jahre nach meiner ersten Reise durchs südliche Afrika habe ich mich aufgemacht, meine Sehnsuchtsländer Simbabwe, Botswana, Namibia wieder einmal zu bereisen. Nicht auf der von den meisten Gesellschaften als Bestseller angepriesenen West-Ost-Route, die in Windhoek oder Swakopmund beginnt, dann in die Etosha-Pfanne und weiter nach Botswana und ins Okawango Delta, in den Chobe-Nationalpark und bis zu den Victoria-Fällen führt, wo sie endet. Zweifellos eine herrliche Reise, die ohne besondere Mühen in zwei Wochen zu absolvieren ist und außer Unternehmungslust, Teamgeist und etwas Staubresistenz keine Outdoor-Erfahrung voraussetzt. Und dennoch einen tiefen, ja bleibenden Eindruck von einmaliger Landschaft, Tier- und Pflanzenwelt hinterlässt. Allerdings erlebt ein so Reisender alles nur als flüchtiger Zaungast, der aus seinen Beobachtungen womöglich falsche Schlüsse zieht, weil ihm die Probleme, die Zusammenhänge, Nöte und Hoffnungen verborgen bleiben. Verborgen bleiben müssen!

Beryl Markham, die britische Flugpionierin, Autorin und Abenteurerin, sehr mit Afrika verbunden gewesen, spricht mir aus der Seele: »Afrika ist mehr als ein Land – es ist ein Wesen, geboren aus den Hoffnungen und Träumen von Menschen. Und deshalb gibt es so viele Afrikas. Es gibt so viele Afrikas, wie es Bücher über Afrika gibt – und es gibt so viele Bücher darüber, dass keines Menschen Leben ausreicht, sie alle zu lesen. Wer ein neues Buch über Afrika schreibt, mag eine gewisse Befriedigung empfinden bei dem Gedanken, dass das Bild, das er von Afrika entwirft, mit keinem anderen Bild vergleichbar ist. Nur muss er mit der hochmütigen Zurückweisung all jener rechnen, die an ein anderes Afrika glauben.«

Etwas verschämt sitze ich nun also am Schreibtisch und schreibe ein weiteres Buch über Afrika. Warum? Weil ich mir Zeit genommen habe, die Reise gegen den Touristenstrom unorganisiert von Ost nach West zu unternehmen. Weil ich Simbabwe, die einstige Kornkammer Afrikas, etwas genauer kennenlernen wollte und weil mir am Herzen lag, die letzten Naturgesellschaften der San und Himba erleben zu dürfen, bevor sie restlos assimiliert und Afrika entschwunden sind. Ja, ich war gespannt und neugierig auf das, was mich erwartete, und ich hoffe, ein wenig meiner Neugier auf den Leser übertragen zu können.

SIMBABWE

Geheimnisvolles Gemäuer

In den Morgenstunden meiner Verhaftung, Arrestierung, Festnahme – verdammt, es ist egal, wie man es nennt, wenn man in seiner Freiheit eingeschränkt wird, gar mit dem Schlimmsten zu rechnen hat, bin ich einfach zu spät aufgewacht, um abzuwenden, was sich da anbahnte. Das Schnabelklappern eines Marabus rief mich aus einem Traum, der weit zurück in die Zeit der europäischen Entdecker führte.

Muss es ausgerechnet ein Marabu sein, der mich da hinterlistig mit schräg gestelltem Kopf beäugt? Sein graues Gefieder sträubt, jetzt den hässlichen Kopf mit dem fleischrosa Kehlsack schüttelt, als wollte er sagen: Warte, mein Lieber, wir sehen uns wieder.

Wie Geier sind Marabus Aasfresser – Vögel, die Unheil verkünden, auf den Tod lauern …

Ich richte mich auf, fege mit der Hand ein paar Blätter vom Körper. Der grauslichste Vertreter der Storchenfamilie wirft noch einen bösen Blick auf mich, der mir das Gefühl vermittelt: Du hast hier nichts verloren. Hau ab aus Afrika! Er macht einige staksige Hopser, breitet die Flügel aus und schwebt über altes Gemäuer davon.

Ich ordne meine steifen Glieder, setze mich auf einen der im Gelände liegenden Steinquader, die irgendwann einmal behauen wurden, und erinnere mich meines Traumes:

Doch es war kein Traum. Es war vor siebenundzwanzig Jahren Wirklichkeit. Und hier im geheimnisvollen Gemäuer von Groß-Simbabwe, angesichts des rund-konischen, mächtigen Turmes im Zentrum des Heiligtums, muss ich mich an Monomotapas versunkene Macht erinnern. Schlauer wär’s, den Rucksack zu schultern und zu verschwinden. Welcher Tourist, der noch alle beisammen hat, sucht sich einen Schlafplatz in einem Trümmerfeld? Dazu in einem, das Präsident Robert Mugabe kontrolliert?

Im Tal flimmerte die Savanne in der Mittagshitze. Nur noch wenige Meter, dann hatten wir den lang gezogenen Bergrücken erklommen und betraten das große Geheimnis Afrikas: Groß-Simbabwe, die einstige Hauptstadt des Monomotapa-Reichs, die Herrin des Bergbaus, wie das Reich genannt wurde. Schon tauchten die Rundhütten des Karanga-Krals – die Karanga sind eine Untergruppe der Shona, eines Bantuvolks – aus dem Busch auf und vom Dorfplatz dröhnte dumpf und schwer die Trommel, die Fremdlinge ankündigte. Wir betraten das Dorf nicht ohne Ehrfurcht. Breitbeinig, selbstbewusst stand er da, Numoro, der Schamane des Dorfes. Während der letzte Trommelschlag als Echo im Tal hing, griff er zum Kuduhorn und, wie in eine Fanfare gestoßen, meldete er: »Simbabwe – Symbol der Freiheit für ein neues Rhodesien«. Oder nur für einen Machtwechsel, eine andere Unterdrückung?

Der Shona-Schamane Numoro bläst in sein Kuduhorn

»Ich sehe Asche und Blut – verbrannte Erde«, orakelte der Schamane geheimnisvoll, seine Fetische betrachtend, als wir ihm Stunden später, von der Besichtigung der Steinstadt ermattet, gegenübersaßen. Mögen ihn seine Sehertalente täuschen, hoffte ich. Sicher war allerdings, dass auf der politischen Karte Afrikas ein neuer Name auftauchen würde. Aus Rhodesien, dem ehemaligen Südrhodesien, wurde Simbabwe. Das einstige Nordrhodesien war bereits 1964 Sambia geworden.

Die Namenswahl kam nicht von ungefähr: Archäologen, Ethnologen und Historiker sind sich einig: Groß-Simbabwe war Zentrum der entwickeltsten und zugleich rätselhaftesten Kultur Afrikas südlich der Sahara und ist heute eine erstaunliche Ruinenstätte, deren Steinbauweise von hochentwickelter Architektur zeugt.

Adam Render, ein deutscher Elfenbeinjäger, entdeckte die rätselhaften und vergessenen Ruinen wieder. 1871 führte er seinen Landsmann, den Geologen, Kartografen und Forscher Karl Gottlieb Mauch, an die Stätte. Mauch fertigte Skizzen und Lagepläne an und veröffentlichte in Deutschland einen ausführlichen Bericht. Groß-Simbabwe lässt sich je nach Sprache der Einheimischen mit ›Große Steinhäuser‹ oder ›Geehrte Häuser‹ übersetzen. Seit Mauchs Veröffentlichung ist Simbabwe bis auf den heutigen Tag ein Irrgarten von Hypothesen und Spekulationen. Der Ursprung der siebenhundertzweiundzwanzig Hektar großen, von Granitblöcken ummauerten Steinstadt verliert sich im Nebel der Geschichte. Die kulturhistorische Bestimmung der Ruinen steht bis heute aus. Wer aber waren nun die Erbauer der Anlage? Wo kamen sie her? Handelte es sich um einen kultischen Ort? Phönizier oder Ägypter seien die Gründer, behaupten die einen, Bantu die anderen, mit ihnen Präsident Mugabe, der Groß-Simbabwe zum nationalen Kulturgut erklärte. 1986 wurde die Stätte Weltkulturerbe.

Kamen die Architekten aus Arabien, dem Nildelta oder dem Inneren Afrikas? War es ein heiliger Ort? Oder eine Wehrstadt für den Goldhandel? Wissenschaftler wälzten die Fragen wie den Stein des Sisyphos. Carl Mauch vermutete, die Ruinen seien bereits über fünfhundert Jahre vor Christus entstanden und es müsse sich um das biblische Goldland Ophir handeln. Dann hieß es, Simbabwe sei eine Niederlassung des Königreichs Saba, damit eine arabische Gründung. Neuere Grabungen, Stilvergleiche und C14-Analysen haben jedoch bewiesen: Die Anlage ist wesentlich jüngeren Datums. Inzwischen steht fest: Bantuvölker drangen vor zweitausend Jahren aus Kamerun in den Süden vor und erreichten im​ 5. Jahrhundert das heutige Simbabwe. Dort entdeckten sie Metallvorkommen – Eisen, Gold, Kupfer –, die sie abbauten. Die Schmelz- und Schmiedekunst war ihnen aus Westafrika bekannt. Auch trieben die eingewanderten Bantu mit der Küste Handel. Das Metallgeschäft verlieh ihnen Macht und ließ sie das Reich Monomotapa, ›Herr der Minen, zwischen Sambesi und Limpopo gründen. Das Königreich war ein Feudalstaat, dessen Herrscher als Priesterkönige verehrt wurden. Im Staat bildete eine Oberschicht von etwa zweihundertfünfzig Personen den Hofstaat aus Priestern und Beamten. Hauptstadt des Reiches wurde um 900 nach Christus, lange bevor die Europäer erschienen, Groß-Simbabwe, die Stadt aus Steinen und Türmen. In der Blütezeit Monomotapas, vom 11. bis 15. Jahrhundert, hatte sie um die zwanzigtausend Einwohner. Groß-Simbabwe war Regierungssitz, Kultstätte und Begräbnisplatz zugleich. Ab dem 16. Jahrhundert erlitt die Monomotapa-Kultur ihren Niedergang, verursacht durch den Einbruch fremder Mächte und zerstörerischen, exzessiven Sklavenhandel, durch Stammeskriege und Überfälle, durch den Run auf die Goldbergwerke, um die Gier Europas nach dem gelben Metall zu befriedigen. Am Fluss Mshagashe traf erstmalig der Monomotapa-Herrscher Gasa Lesere auf den Portugiesen Siveira. Man schrieb das Jahr 1561. Nur wenige Jahre später unterlagen die schwarzen Armeen einer portugiesischen Truppe. Der Herrscher musste die Eindringlinge als ›Schutzmacht‹ anerkennen. Die Goldbergwerke wurden abgetreten, allmählich zerfiel das Reich in Anarchie.

Die mächtigen Ruinen Groß-Simbabwes liegen südöstlich des Ortes Masvingo auf einem gut tausend Meter hohen, von Granitfelsen geprägten Plateau. Ihr Kernstück bildet die Große Einfriedung, auch Tempel genannt. Das gut zweihundertfünfzig Meter lange, zehn Meter hohe und vier Meter starke Felsblock-Mauerwerk umschließt die Residenz des Priesterkönigs, die an ein Labyrinth aus Gassen, Mauern und Steinkränzen erinnert. Ihr Zentrum bildet ein konischer Turm, ein zwölf Meter hoher Kegelstumpf aus Granitquadern, der vierhundert Jahre lang die Macht des Regenten repräsentierte und als Heiligtum Ort religiöser Versammlungen war. In seinem Schatten habe ich genächtigt.

Etwa achthundert Meter nordwestlich der Großen Einfriedung thront auf einem einhundert Meter hohen Granitberg, einer Fluchtburg gleich, die Bergruine, auch Akropolis genannt. Sie besteht aus einer Vielzahl von Einfriedungen, Plattformen und Höhen, durch die ich gestern gekrochen bin.

Alles, was zwischen Masvingo und dem Lake Kyle geschieht, ist von der ›Stadtburg‹ einsehbar. Zwischen Burg und Tempel erstreckt sich eine Senke, das Ruinental, ein Gewirr aus Mauerresten und Terrassen. Auch der idyllische Karanga-Kral, in dem Numoro, der Schamane, lebte, befand sich bei meinem Besuch vor siebenundzwanzig Jahren dort. Groß-Simbabwe birgt vermutlich noch viele Geheimnisse.

Die Kontakte zu arabischen und persischen Händlern sowie eine erstaunliche Ähnlichkeit der Abschluss-Ornamentik an den Wallanlagen der arabischen Handelsniederlassung Gedi südlich des kenianischen Malindi widerlegen nicht, dass es sich bei der Steinbauweise von Simbabwe um eine eigenständige Bantu-Entwicklung handelt, die ohne fremden Technologie-Transfer verlief, zumal den Simbabwe-Bauten beispielsweise die typisch arabischen Bogenelemente völlig fehlen.

1979 benannte sich Rhodesien in Simbabwe um, nach dem geistigen Mittelpunkt des Monomotapa-Reichs, nach einer großen Epoche schwarzafrikanischer Geschichte, auf die die Bewohner mit Recht stolz sind. Wir werden sehen, was Robert Gabriel Mugabe, erst Regierungschef, dann Staatsoberhaupt, aus dem Erbe gemacht hat …

All das beschäftigt mich an jenem Morgen in den Ruinen so sehr, dass ich erschrocken herumfahre, als sich von hinten eine Hand auf meine Schulter legt. Zwei Männer haben sich hinter meinem Rücken in Position begeben. Einer, der meine Schulter im Griff hat, trägt die Uniform eines Rangers. Vielleicht auch die eines Dorfsheriffs. Der andere, ein alter Mann mit eingefallenen Wangen und feuchten, traurigen Augen sieht unterernährt aus und trägt Zivil: zerlumpte Hosen, verflecktes Hemd, eine viel zu große, seitlich aufgerissene Jacke.

»Was treiben Sie hier?«, herrscht mich der Jüngere an.

»Ich bewundere Ihr Nationalheiligtum, nach dem Sie Ihr schönes Land benannt haben.«

Meine Schmeichelei fruchtet nicht.

Sein grimmiges Gesicht verheißt Ärger.

»Sie haben sich in der Nacht im Groß-Simbabwe-Park herumgetrieben. Das ist verboten!«

»Ich habe die Atmosphäre bei Vollmond genießen wollen. Außerdem darf man hier campen.«

Für Sekunden ist er irritiert. Wechselt Blicke und einige Worte mit dem Alten, wohl einer der Parkwächter, der mich als Parkstreuner ausgemacht und angezeigt hat.

»Campen ist nur an bestimmten Plätzen gestattet – wenn man sich angemeldet hat.«

Schon gestern fiel mir auf, dass der Park so gut wie nicht besucht wird. Mutterseelenallein stolperte ich durch das Ruinengelände. Warum auf einmal dieses Theater?

»Ich bin Tourist aus Deutschland.«

Wieder tuscheln die beiden miteinander, sicher in Shona, der Sprache dieser Region. Ich verstehe nichts.

»So, aus Deutschland. Das Land gehört nicht zu unseren Freunden!«, antwortet der Sheriff jetzt barsch. Der Parkwächter pflichtet eifrig kopfnickend bei. Oh weh, da habe ich einen eklatanten Fehler gemacht. Zu spät fiel mir ein: Auf dem EU-Afrika-Gipfel Anfang Dezember 2007, es war in Lissabon, sagte unsere Bundeskanzlerin Angelika Merkel: »Wir dürfen nicht wegschauen, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden«, und ergänzte: »Der jetzige Zustand Simbabwes schadet dem Bild des neuen Afrikas.« Die Reaktion folgte prompt: Präsident Mugabe bezeichnete die Staaten, die sein Land kritisierten, als arrogante »Viererbande«, dabei wurde er von Südafrikas Präsident Thabo Mbeki und Abdoulaye Wade, dem Präsident des Senegals, unterstützt.

In der Tat hatten Landenteignungen, politisch motivierte Morde, Wahlbeeinflussungen und -fälschungen Mugabe im Westen nachhaltig geschadet. Journalisten, besonders kritische weiße, leben in seinem Staat gefährlich. Nicht wenige sind aufgegriffen, gefoltert, sogar ermordet worden. Das verwundert nicht, so wie er die Herren von einst öffentlich verteufelt. Und erfolgreichen Farmern die Höfe durch warvets, Kriegsveteranen, besetzen lässt.

»Ihren Pass und Ihren Rucksack! Will sehen, ob Sie Gegenstände entwenden wollten.«

Den Pass aus der Hand zu geben ist in Simbabwe gefährlich. Wenn du ihn nicht zurückbekommst, bist du verloren. Ich lenke den Sheriff ab, indem ich ihm den Rucksack reiche und etwas öffne. Seine Hände gleiten ins Innere, wie die eines geübten Taschendiebs. Ungeduldig stülpt er den Rucksack aus und wühlt in Wäsche, einer Reiseapotheke, Papieren zur Reise und anderen Utensilien. Erstaunlicherweise interessiert ihn die Kamera nicht. Nun zieht er den Reißverschluss eines recht versteckt gelegenen Innenfachs auf. Mir bleibt das Herz stehen, als er einen Reisepass herauszieht. Mit gierigem Blick blättert er die Seiten durch.

»Wo ist das Visum?«

»Ich habe ein gültiges Visum!«

»Wo? Ich bin Polizist und will Ihr Visum sehen. Oder Sie sind als Illegaler verhaftet!«

Ich reiße ihm den Pass aus der Hand. Er packt mich. Es bahnt sich ein Handgemenge an. Aus meiner Lederjacke ziehe ich einen anderen Pass.

»Hier. Es ist alles in Ordnung.«

Genüsslich schnalzt der Sheriff mit der Zunge.

»Aha, zwei Pässe. Journalist? Spion?«

In manchen Ländern Afrikas bedeutet das Wort Spion ein Todesurteil, das Wort Journalist, wenn nicht gerade akkreditiert, Verhaftung, Gefängnis, Folter. So auch in Simbabwe.

Nun sitze ich wirklich bis über beide Ohren in der Scheiße. Ohne Hoffnung, da herauszukommen. Angstschweiß läuft mir den Rücken herab. Fast weinerlich erkläre ich, Tourist zu sein, der weiter nach Botswana und Namibia reisen wolle. Vor zwei Tagen in Harare angekommen und mit dem Bus nach Masvingo gefahren sei. Ein freundlicher Pkw-Fahrer habe mich nach Groß-Simbabwe gebracht. Weil ich den beeindruckenden Ort nach vielen Jahren wiedersehen wollte. Mich interessiere die Tier- und Pflanzenwelt, keine Politik.

»Lüge! Sie wollen über unser Land Unwahrheiten verbreiten, unseren Präsidenten, der in ganz Afrika ein Held ist, verunglimpfen. Sie kommen mit. Ich werde Sie der CIO übergeben.«

Mein Gott. Das wird ja immer schlimmer. Die CIO, die Central Intelligence Organisation, ist der Geheimdienst in Simbabwe. An deren Händen klebt ’ne Menge Blut.

Bis auf die Kamera stopft er die Ausrüstung zurück in den Rucksack. Grapscht nach dem Ersatzpass.

Pässe und Kamera werden konfisziert. Vom Landgendarm und dem alten Wächter in die Mitte genommen, marschiere ich zum Ausgang. Vorbei am Museum, hin zum Parkplatz, auf dem ein verlassener Land Rover steht. Alles liegt friedlich im gleißenden Licht der Morgensonne. Die vertrackte Situation durchlebe ich wie in einem unheimlichen Albtraum. Ich werde zum Geländewagen geführt, die Tür wird aufgerissen, der Sheriff drückt mich auf den Beifahrersitz. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, eilt der Parkwächter zu seiner Pförtnerloge, wo sich auch ein Laden und Toiletten befinden. Sicher wird er den ganzen Tag mit geschwollener Brust dasitzen, in der Hoffnung auf Belobigung oder Prämie, so umsichtig zur Ergreifung eines Staatsfeindes beigetragen zu haben. Im Land Rover spiele ich gedanklich verschiedene Szenarien einer Flucht durch. Doch nichts mir sinnvoll oder aussichtsreich, um mit heiler Haut davonzukommen. Ich bin verdammt noch mal dem bewaffneten Sheriff ausgeliefert! Kann froh sein, dass er mir noch keine Handschellen angelegt hat.

Wir rumpeln über eine Schotterpiste Richtung Norden. Der Dorfpolizist jongliert den Wagen an Schlaglöchern vorbei, die den Weg wie aufgereihte Krater markieren. Die Strecke hat Symbolcharakter: Steinig und voller Schlaglöcher war der Weg der afrikanischen Länder in die Unabhängigkeit. Das trifft besonders für Simbabwe zu. Wie nahe liegen doch Aufstieg und Untergang beieinander, denke ich in diesem Moment. Simbabwe ist mit großartigen Zukunftsaussichten 1980 in die Unabhängigkeit geschritten. Mugabe galt als Garant für ein gedeihliches Miteinander zwischen schwarzen und weißen Bürgern. Alles war intakt: soziale Einrichtungen, Infrastruktur, Schulen, Krankenhäuser. Die Landwirtschaft war mit Abstand die erfolgreichste Afrikas. Deren Produkte wurden weltweit exportiert und ernährten die eigene Bevölkerung. Und heute? Keine eigene Währung, kaum Bildung, weil die Schule für viele unbezahlbar ist. Zusammengebrochene Landwirtschaft, Flüchtlinge … Ich mag nicht weiterdenken. Alles in einem so schönen Land mit fruchtbaren Böden, reich an Rohstoffen, bei größtenteils gesundem Klima. Was veranlasst die Menschen, ihrem Despoten die Treue zu halten? Propaganda? Hass auf erfolgreiche Weiße? Mugabes langer Kampf gegen Ian Douglas Smith, bis 1979 Premierminister von Rhodesien? Wie ich meine Situation einschätze, werde ich die Antworten nicht mehr finden …

Gerade schlägt der Wagen hart auf. Beide stoßen wir mit den Schädeln ans Chassis und müssen grinsen. Dann zieht der Rover nach rechts, ist kaum zu halten. Dem Schutzmann vergeht das Grinsen. Er bremst und besieht sich den Schaden. Plattfuß! Als ich auch aussteigen will, raunzt er mich an:

»Sitzen bleiben!«

Die Tür wird verriegelt.

Er steigt aufs Wagendach, wo ein Ersatzreifen montiert ist. Das Ruckeln nimmt kein Ende. Der Sheriff kann den Reifen aus der Verankerung nicht lösen. Ich klopfe gegen das Dach. Er klettert herunter und lässt mich raus. Der Reifen wurde mit einem Bügel, der mit einem Kreuzschlüssel zu lösen ist, am Dachgepäckträger montiert. Mit einem Schweizer Messer, der Sorte mit den meisten Anwendungsmöglichkeiten, mache ich mich ans Werk. Der Bügel lässt sich abschrauben. Von Minute an schaue ich in das Gesicht eines freundlichen Landgendarmen. Meine Rettung? Gemeinsam wuchten wir den Ersatzreifen vom Dach und tauschen ihn gegen den defekten. Die Weiterfahrt verläuft wesentlich entspannter. Dennoch müsse er mich der CIO melden, um nicht selbst Probleme zu bekommen. Schließlich habe ihn Jonas, der Parkwächter, zum Einsatz gerufen. Als wir an verwilderten Farmen vorbeikommen, plaudern wir über die Errungenschaften der ZANU-PF-Partei (Zimbabwe African National Union – Patriotic Front) Mugabes und die Verräter der Oppositionsparteien ZUBU und ZimFirst (Zimbabwe First Party, heute: National People’s Front, NPF), die mit den Weißen zusammenarbeiten. Ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab. Sage ihm, erstaunt zu sein, dass in dem Land so vieles funktioniere. Die Menschen von besonderer Freundlich- und Herzlichkeit seien. Ich überzeugt sei, dass sich künftig alles noch besser und erfolgreicher entwickeln werde. Sein Gesicht verfinstert sich und ich befürchte, die falschen Worte verwendet zu haben.

»Richtig, wir benötigen Zeit und Geduld. Beides verlangen wir auch von Amerika und Europa, besonders von Deutschland!«

Er schiebt seine Schirmmütze ins Genick und schlägt betonend aufs Lenkrad.

»Robert Mugabe ist und bleibt unser Held. Kritik dulden wir nicht, weil sie unser Volk entzweit.«

Ich versuche das Gespräch auf Familie und Kinder zu lenken. Themen, die Afrikaner lieben. Gern scherzen sie auch und mögen vor Lachen schütteln. Als ich von meinen Kindern berichte und vier Enkeln, erzählt er von sich. Seine Frau baue Mais, Hirse und Süßkartoffeln an und züchte drei Schafe. Damit könne die Familie gerade satt werden. Sein Gehalt sei zuletzt vor zwei Monaten gezahlt worden. Aber das tue nichts zur Sache. Bisher sei es immer gekommen.

»Wir Shona glauben fest an eine gute Zukunft.«

Um noch näher an ihn heranzukommen, reiche ich ihm meine Hand und sage meinen Namen. Er stutzt, greift aber doch zu und sagt, er heiße Justin Ryoka. Bei Weitem nicht sicher, ob ich Justin von seinem Vorhaben abbringen kann, fange ich an, Witze zu erzählen, in der Hoffnung, dass sie in der Übersetzung bei ihm ankommen. Kurz vor Masvingo erreichen wir die befestigte, lebhaft befahrene Bundesstraße A4, die hinauf zur Hauptstadt Harare, dem früheren Salisbury, führt. Viel Zeit bleibt mir nicht, schon gleiten die ersten, grauen, traurigen Häuser der vierzigtausend Seelen zählenden Provinzhauptstadt, die einst Fort Victoria hieß, vorbei. Justin muss sich vor Lachen schütteln, vielleicht hab ich dann eine Chance.

»Eine hübsche, junge Frau fragt einen Verkäufer: ›Was kostet der Mars-Riegel?‹ Er ganz entzückt: ›Pro Schokoriegel einen Kuss‹! ›Einverstanden!‹, sagt die Frau, ich nehme fünf Stück. Meine Oma bezahlt.« Justin Ryoka schmunzelt.

»Mein Arzt hatte einen Patienten drei Jahre auf Gelbsucht behandelt, bis er feststellte, dass es ein Chinese war.«

Justin lacht.

»Eine alte Dame im Tierpark, am Papageienkäfig, fragt: ›Na, du bunter Vogel, kannst du denn sprechen?‹ Der Papagei: ›Na, du alte Schachtel, kannst du denn fliegen?‹«

Er lacht und ich krame alte Witze aus meinem Gedächtnis, mit denen ich meine Haut retten muss: »Ein gerade vermähltes Paar in Berlin. Sie: ›Ich muss dir gestehen, dass ich farbenblind bin.‹ Er: ›Ich muss dir auch etwas gestehen. Ich komme nicht aus Berlin. Ich komme aus Simbabwe.‹«

Der Polizist stutzt, dann brüllt er vor Lachen und schlägt sich aufs Knie. Mein Gott, der hätte auch total danebengehen können.

Wir rollen durch Masvingo. Er lacht noch und gluckst:

»Erzähl noch einen!«

Mir fallen noch zwei der Sorte ein. Justin amüsiert sich köstlich. Wir schlagen die Handflächen aneinander. Plötzlich stoppt er den Wagen. Sein Gesicht ist wie versteinert. Was hab ich falsch gemacht? Die Angst sitzt mir wie ein heißer schmerzender Klumpen im Magen.

»Mister, ich muss Sie jetzt übergeben, erst der Polizeistation, die bringt Sie nach Bulawayo zur CIO.«

Mir wird schwindelig, nicht nur aus Furcht. Auch vor Enttäuschung.

»Es gibt eine Lösung«, sagt der Sheriff nach einer Weile wie selbstverständlich: »Sie zahlen mir die beiden ausstehenden Monatslöhne. In US-Dollar, versteht sich.«

So taumelt man durch ein Wechselbad der Gefühle.

»Wie viel?«, frage ich.

»Mit etwas Tip hundertfünfzig Dollar.«

Ich handele nicht, bin wahnsinnig erleichtert. Justin greift auf den Rücksitz zur Kamera und händigt sie aus. Die Pässe überreicht er, nicht ohne sich zuvor meinen Namen zu notieren, nebst Passnummer mit den Worten:

»Für den Fall, dass ich es mir anders überlege, Mister. Sie bleiben unter Beobachtung. Sollten Sie Lügen verbreiten, sind Sie dran. Okay – hier.«

Wortlos stecke ich ihm die Scheine zu.

»Ich möchte nach Harare zurück. Wo ist die Bushaltestelle?«

»Ein Stück in diese Richtung, die Leopold Takawiro Avenue entlang, beim Bahnhof.«

Ich steige aus. Er ruft mir nach:

»Keine unwahren Geschichten. Ich melde Sie der CIO!«

Die Wagentür klappt zu. Justin Ryoka dreht und braust davon.

Uff, in einem schmuddeligen Bistro am Bahnhof bei ’ner Cola muss ich das Erlebnis erst einmal verdauen.

Der Heldenacker

Nichts als die Wahrheit berichten, wurde mir nachgerufen. Was verstehen Simbabwer unter Wahrheit? Wurden sie unter Mugabe so indoktriniert, dass sie zwischen Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheiden können? Eigentlich hat mich Justins Mahnung wütend gemacht. Auch weil ich ihm ausgeliefert bin. Nach Lust und Laune kann er mich der CIO melden. Der Geheimdienst steht mit den Grenzübergängen in Kontakt. Ein Hinweis genügt, die Computer aller Übergänge lassen meinen Namen aufleuchten – ich wäre geliefert.

Missmutig wandere ich durch Harare. Schwanke, ob ich Simbabwe mit nächsten Flieger verlassen oder noch etwas verweilen soll. Lichtdurchflutete Straßen, angenehmes Klima, Harare liegt auf einer Hochebene, eintausendfünfhundert Meter über dem Meeresspiegel, und das Treiben der freundlichen Händler am Südrand des Africa Unity Square versöhnen mich allmählich – ich werde bleiben. Mit einem Schinkensandwich und ’ner Flasche Chibuku, Hirsebier, ausgerüstet, suche ich ein Plätzchen am Stamm eines Jacaranda-Baums und lasse mich nieder. Vor mir hat es sich eine Mutter mit drei Kindern auf dem Rasen bequem gemacht. Ab und zu durchquert ein Geschäftsmann den Park, der im Zentrum Harares wie eine kleine, grüne Lunge wirkt. Doch der Africa Unity Square, einst Cecil Square, ist mehr als eine Grünfläche mit dichtem Baumbestand und Springbrunnen. Es ist der Ort, an dem britische Siedler ihre ersten Häuser errichteten. Etwas rechts von mir erinnert ein Bronzedenkmal an den Platz, an dem erstmals der Union Jack, die Flagge Großbritanniens, gehisst wurde.

Meine Gedanken schweifen in die Vergangenheit, die sicher dazu beigetragen hat, dass in Simbabwe so vieles im Argen liegt. Es ist einhundertsechsundzwanzig Jahre her, im Mashona- und Matabeleland beobachteten die Einheimischen eine fremde, seltsame Truppe, die da, aus dem Süden kommend, heraufzog. Ein Treck aus Südafrika war das, der aus Ochsenkarren bestand, von hellhäutigen Menschen angetrieben. Menschen mit wilden, bärtigen Gesichtern, in denen Augen funkelten, nicht braun oder schwarz, nein, blau, kalt und entschlossen. Die langen Bärte und Kopfhaare, einige gelb wie Bienenhonig, ließen sie auf die Afrikaner wie eine unbekannte Art zotteliger Tiere wirken. Doch, oh Wunder, die Eindringlinge trugen Schuhe und große Hüte, traten nicht ängstlich, sondern ungemein selbstsicher auf. Es waren zweihundert weiße Siedler mit einem dreihundert Mann starken Begleittrupp auf der Suche nach Gold und geeignetem Farmland. 1890 kam der Treck an dieser Stelle zum Stehen. Einige der Vortrecker ließen sich nieder und benannten den Platz nach dem damaligen britischen Premier: Salisbury.

Die Pioniere waren in ein Gebiet eingedrungen, größer als England, doch nur sehr dünn bevölkert. Im Osten lebten einige Hunderttausend Shona, im Westen vielleicht zweihunderttausend Ndebele. In dem schier endlosen Buschland würde sich niemand bedrängt vorkommen, mochte Lobengula, der König der Ndebele, gehofft haben, als er einem Agenten des britischen Geschäftsmanns Cecil Rhodes erlaubte, in seinem Reich nach Bodenschätzen zu suchen. Wurden ihm doch für die Gefälligkeit Gewehre, Munition, ein Flussboot, sogar ein monatlicher Betrag von einhundert britischen Pfund versprochen. Zu spät erkannte der König, dass die Weißen aus dem Süden nicht nur die Bodenschätze, vor allem Gold, kassierten, sondern gleich das Land vereinnahmten und unter sich aufteilten, als gäbe es die angestammten Bewohner gar nicht. Jeder Weiße erklärte nun auf einmal die ›erworbene‹ Scholle zu seinem privaten Eigentum. Vorausgegangen war, dass die von Cecil Rhodes gegründete British South Africa Company (BSAC) sich von der britischen Krone das Recht hatte verbriefen lassen, die Landaufteilung an weiße Siedler vorzunehmen. 1893 griff Lobengula, der sich und sein Volk hintergangen fühlte, zu den Waffen. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Ein Jahr später starb der letzte Ndebele-König. Doch die Unruhen hielten an. Die Afrikaner wurden durch Landnahme, Viehdiebstahl und die Einführung einer Hüttensteuer weiter unter Druck gesetzt. Das führte 1896 und 1897 zu einem konzertierten Aufstand der Ndebele und Shona, von Simbabwe heute als 1. Chimurenga in Ehren gehalten. Rhodes’ BSAC wurde von englischen Truppen unterstützt. Schließlich unterwarfen sich die Ndebele einem diktierten Friedensvertrag. Shona-Aufständische kämpften bis zur blutigen Niederlage. Vorbeugend hatten die Briten bereits die Siedlung Salisbury, ebenso wie Bulawayo, als Fort befestigt. Die weißen Siedler, die das Land bebauten, verstanden sich als rechtmäßige Erwerber. Sie schufen Großfarmen auf Basis von Monokulturen. Mit dem Tabakanbau sicherten sie sich rasch einen florierenden Exportmarkt.

Das durch die gewaltige Landnahme okkupierte Gebiet erhielt den Namen Rhodesien und wurde gänzlich umgekrempelt. Aus den schwarzen Eignern wurden landlose Arbeiter auf den Farmen, in den Unternehmen der Weißen. Initiiert hatte die ›Eroberung‹ Cecil John Rhodes, als sechstes von neun Kindern eines Vikars in der Nähe von London aufgewachsen. Siebzehnjährig folgte er 1890 seinem Bruder nach Südafrika, wo er sich anfangs mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Mit Kompagnons stieg er schließlich in die Diamantensuche und den -handel ein. Mit Fortune, Geschick und Sachverstand gründete er 1880 die De Beers Mining Company, der bald die große Kimberley-Diamantenmine gehörte. Rhodes war von Ehrgeiz besessen – und ein Imperialist. Reichtum allein war für ihn nicht genug. Er begab sich in die Politik. Vom Weltherrschaftsanspruch Britanniens angesteckt, trieb er die Expansion der Kapprovinz ins nördliche Afrika voran, indem er die besagte BSAC, mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, gründete. Am Ende seiner ›Mission‹ verfügte er über ein Gebiet größer als Frankreich und Spanien zusammen, wurde Premier der Kapkolonie und Geheimrat der britischen Königin. Rhodes starb 1902 mit neunundvierzig Jahren – ein Titan, der, welch ein Schlag ins Gesicht des schwarzen Mannes, seine letzte Ruhe auf einem der verehrten Hügel Matopos fand. Jener Stätte, die für die Matabele ein heiliger Platz und Austragungsort einer der letzten schmachvollen Schlachten gegen die weißen Eindringlinge war. Ein symbolischer Stempel des Kolonialisten Rhodes, der diese Grabstätte vor seinem Tod bestimmt hatte.

Nach der Unabhängigkeit Rhodesiens mussten neue Namen her. Für Salisbury wurde Harare gewählt, so hieß ein alter Shona-Führer, nach dem schon das größte Township, heute Mbare, benannt wurde …

Ein fliegender Händler reißt mich aus meinen Gedanken zur Geschichte. Ohne Umschweife lässt er sich neben mir nieder, legt einen Holzkasten mit allerlei Krimskrams und Süßigkeiten ins Gras. Er fixiert mich von der Seite und versucht stereotyp ein Gespräch in Gang zu bekommen.

»Hi, wie geht’s dir? – Wo kommst du her? – Ich heiße Moses, wie heißt du?«

Ich brumme vor mich hin: »Kaufe nichts. Will meine Ruhe, den Park genießen.«

»Kein guter Platz, Mister, musst Heroes’ Acre besuchen, das ist unsere Geschichte!«

»Heroes’ Acre – Heldenacker, noch nie was darüber gehört.«

»Mann, was bist du, Geschäftsmann? Nee, der setzt sich nicht ins Gras. Tourist? Nee, davon gibt es hier keine mehr, treten, wenn überhaupt, in Massen auf. Ha, du bist ein alter, abgebrannter Tramp, ein Weißer, der nicht weiß, wo er hingehört. Stimmt’s?«

»Stimmt! Und warum verschwendest du deine Zeit mit einem wie mir? Ich kaufe nichts.«

»Will dir nichts verkaufen, dir nur was erzählen. Ich bin freier Unternehmer, habe alle Zeit der Welt.«

»Okay, Moses, du gibst mir ein paar Bier aus, lädst mich zum Essen ein und zahlst mir ein ordentliches Trinkgeld.«

So ein verdutztes Gesicht habe ich lange nicht mehr gesehen. Nun rollt er mit seinen Kulleraugen, kratzt sich am Kopf und brüllt vor Lachen.

»Wieso das denn?«

»Weil ich sauer bin!«

Damit deute ich die gestrige Konfrontation mit einem Polizisten an, von der ich gehört hätte … Möchte wissen, was er davon hält. Er lauscht meiner Story und meint:

»Is it? Shame! Die Dinge werden sich zum Guten wenden. Da bin ich ganz sicher.«

Wir reden eine ganze Weile über dies und das. Zwischendurch grüßt Moses den einen oder anderen Passanten. Die Zunft der fliegenden Unternehmer Harares kennt sich, scheint gut vernetzt zu sein. Als ich ihn darauf anspreche, meint er: »Alles Kollegen.« Eine staatliche Grundschule sei geschlossen worden. Andere Einrichtungen hätten Lehrer entlassen. Viele Eltern könnten die Gebühren und die Lebensmittel für ihre Sprösslinge nicht mehr aufbringen. »Wir brauchen Zeit. Bald wird alles besser«, ergänzt Moses, unverbesserlich optimistisch. Meint er die Zeit nach Mugabe? Ich will ihn nicht kompromittieren. Nur: Vier Millionen Simbabwer im Exil sind nicht so zuversichtlich. Wenn Moses nach der Erwähnung von Missständen immer ein »Von jetzt ab« an seine Äußerungen hängt, macht das schon stutzig. Auf eine Verbesserung »Von jetzt ab« warten Simbabwer seit über zehn Jahren. Da zwingt sich der Refrain aus dem Musical »Annie« auf, in dem es heißt: »The sun will come out tomorrow, so I better hang on till tomorrow.« Hat unsere eigene Geschichte nicht auch Zweckoptimismus als Überlebensstrategie in der Diktatur verkündet? Und der Bürger hatte ihn bis zum Untergang verinnerlicht? Kurzum, Moses ist ein arbeitsloser Lehrer mit Zeit. Mich interessiert der Heldenacker, der sich sieben Kilometer südwestlich in Richtung Norton befinden soll. Aus der Tiefe des Parks ruft der Lehrer einen Halbwüchsigen heran, dem ich keinen Cent anvertrauen würde. Typ Gangleader: eingeschlagene Vorderzähne, Narben im Gesicht, Baseballkappe quer auf dem Schädel, Kaugummi im Mund.

»Joseph, pass auf meinen Laden auf. Ich fahre mit dem Gentleman zum Acre.«

Das ist es, was mich in Afrika immer wieder fasziniert: die Spontanität, mit der sich auf neue Situationen eingelassen wird. Die Nonchalance, mit der Dinge geregelt werden.

»Auf geht’s, ich begleite dich«, sagt Moses.

Joseph hängt sich den Bauchladen um, verschwindet in Richtung Jason Moyo Avenue.

Schon ist ein Taxi herangewunken. Ein alter Nissan rumpelt mit uns und kreischender Musik aus Harare heraus.

»Der National Heroes’ Acre wurde 1981 eröffnet und ist von nationalen und sieben Architekten und Künstlern aus Nordkorea konzipiert worden. Es ist ein Friedhof und eine monumentale Gedenkstätte für afrikanische Helden der Unabhängigkeitskämpfe«, brüllt mir Moses ins Ohr.

Schon aus der Ferne ist der Hügel mit dem Obelisken zu erkennen, an den eine mächtige Treppe, gleich einer Himmelsleiter, heranführt.

Auch diese pompöse Gedenkstätte ist erstaunlich schlecht besucht. Sind die Helden von einst in Vergessenheit geraten oder haben sie sich durch unehrenhaftes Handeln ins Abseits manövriert?

Masimura heißt der Führer am sakralen Ort. Er bringt uns an die Statue des unbekannten Soldaten. Überlebensgroß stehen da drei Soldaten in verschiedenen Ebenen auf einem Podest. Der untere hält einen Raketenwerfer, der mittlere, eine Soldatin, hat in der Linken ein Gewehr, mit der rechten Hand drückt sie einen Flaggenzipfel an ihre Brust. Die Flagge selbst wird von einem Soldaten über ihr, stolz in die Weite schauend, getragen. Er hat eine Kalaschnikow geschultert. Ein martialisches Ensemble im Stil altsowjetischer Gestaltungskunst.

Am Eingang gegenüber dokumentiert ein Museum den langen Befreiungskampf. Überall wurde teurer schwarzer Granit verarbeitet. Wir schreiten die Treppe hinauf, die an beiden Seiten von Gräbern flankiert wird. Bisher haben hier einundsiebzig Helden ihre letzte Ruhestätte gefunden. Nicht alle physisch, zumindest aber namentlich und mit einem Foto versehen, bleiben sie in Erinnerung. Masimura zählt Namen auf, die mir nichts sagen: Charles Gumbo, Herbert Mahlaba, Cephas Cele … Moses legt seine Hand an die Brust.

»Hat man die Helden vergessen?«, frage ich, mehr bedauernd.

»Wie meinen Sie das?«, entgegnet Masimura herausfordernd.

»Dies ist doch ein Wallfahrtsort. Wo sind die Gläubigen?«

»Sie sollten mal am Heroes’ Day oder einem Nationalfeiertag hier sein. Fünftausend Menschen finden allein auf den Terrassen Platz. Viel mehr noch möchten Einlass haben!«

Die Frage nach Claqueuren und Jubelstatisten verkneife ich mir.

»Hier ist Platz für hundert Helden«, erklärt der Führer.

Mir fällt auf, dass neben Sally Mugabe, als »Mutter der Nation« gepriesen, Grabstätten freigelassen wurden. Eine ist sicher für ihren Mann, Robert Mugabe, reserviert. Den Präsidenten, der seine vom Volk heiß geliebte erste Frau so schändlich im Stich gelassen hatte. Damals, als Sally von böser Krankheit gepeinigt wurde, machte sich der alte Despot an seine vierzig Jahre jüngere Sekretärin Grace Marupu heran, die ihm, noch während Sally lebte, zwei Kinder gebar. Robert heiratete Grace 1996 pompös aufwendig. Zwölftausend Gäste waren geladen, unter ihnen Joaqim Chissano, der Staatspräsident von Mosambik, und Nelson Mandela. Prasserei war für die Feier eine harmlose Bezeichnung. Ob sich Mandela in der Runde wohlfühlte? Die tote Sally war der Engel der Armen, sie half den Mühseligen und Beladenen, wo sie konnte. Grace ist der Liebling bei Harrods in London, den Galeries Lafayette in Paris, Christian Dior, Rolex, Ferragamo … eine Person ohne Schamgefühl, stets im Kaufrausch, von Verschwendungssucht getrieben. Macht muss der Bereicherung dienen, ist ihr Credo. Simbabwer, die es wagen oder längst geflüchtet sind, sagen, Grace habe ihren Mann zur selbstmörderischen Landnahme getrieben. Fünf Farmen in ihrem Besitz reichten nicht.

Oben auf dem Berg ragt die weithin sichtbare, vierzig Meter hohe Säule in den Himmel. Wie eine Fackel oder ein ewiges Feuer. Nach achtzehn Uhr nämlich beginnt ihre Spitze zu leuchten. Auf dem Weg hinab kommen wir an eindrucksvollen Bronzereliefs vorbei. Eines zeigt, wie Weiße mit Hunden und Schlagstöcken sich über flüchtende Männer, Frauen und Kinder hermachen. Ein zweites drückt den Jubel der Schwarzen über den Sieg über die Weißen aus. Auf einem anderen Relief eilen Massen, wieder Männer, Frauen, Kinder, vor der Flagge in eine Richtung. Darüber, alles überragend, der Führer Robert Mugabe, der die Richtung in eine verheißungsvolle Zukunft angibt. Nicht erst heute muss man sagen: Er hat sein Volk in die falsche Richtung geschickt. Dem greisen, starrsinnigen Despoten traut sich keiner zu widersprechen und die Opposition ist schwach und uneins.

Der Heldenacker wirkt auf mich beklemmend. Ein kämpferischer, unversöhnlicher Geist schwebt über dem Walhalla Mugabes. Das ist nicht Simbabwe, wie ich es in Erinnerung behalten möchte. Doch wie ist es zu dem Niedergang gekommen?

Auf der Fahrt zurück in die Stadt bin ich mit meinen Betrachtungen allein. Mit Moses kann ich nicht diskutieren, habe den Eindruck, dass er dem System treu bleibt, nichts hinterfragt. Ich muss mich in Acht nehmen. Gerade hat er die Gedenkstätte als große Errungenschaft seines Landes gepriesen. Als einen Ort der Einkehr, aus der ein jeder Afrikaner stolz und gestärkt herausmarschiert.

17. April 1980: Gut einhundertfünfzigtausend Europeans, wie die Weißen in Rhodesien, später Simbabwe, heißen, lauschten mit Sorge und Angst im Herzen: Wie wird es weitergehen, nach dem so blutigen, viele Jahre währenden Kampf der schwarzen Guerillas gegen die Regierung Ian Smith? Von Britannien und der übrigen Welt allein gelassen, musste Smith sich von der Macht verabschieden. Im übervollen Rufaro-Stadion von Harare hielt Mugabe eine denkwürdige Rede. Die Weißen trauten ihren Ohren nicht: Der Mann, der bis dato für einen kommunistischen Teufel gehalten wurde, sprach von Versöhnung. Aus Lautsprechern hallte:

»Gestern habe ich euch als einen Feind bekämpft. Heute seid ihr ein Freund und Verbündeter geworden, mit den gleichen nationalen Interessen, der gleichen Loyalität, den gleichen Rechten und Pflichten wie ich. Gestern habt ihr mich gehasst, heute aber könnt ihr der Liebe nicht entrinnen, die euch an mich und mich an euch bindet.« Im Verlauf der Rede versprach er, »einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen«.

Es war nicht zu glauben, was da aus dem Mund des einstigen Todfeinds zur Geburtsstunde des Staates Simbabwe zu vernehmen war und von Satz zu Satz versöhnlicher klang:

»… Nie wäre es zu rechtfertigen, dass, weil die Weißen uns unterdrückten, als sie die Macht hatten, nun die Schwarzen sie unterdrücken müssen, weil sie die Macht haben. Böses bleibt böse, ob es nun Weiße gegen Schwarze oder Schwarze gegen Weiße tun.«

Den friedfertigen Worten folgten Taten, die die Welt in Erstaunen versetzten: In sein erstes Kabinett holte Mugabe zwei weiße Minister, mit seinem Vorgänger Ian Smith traf er sich zum entspannten Gedankenaustausch. Namensänderungen von Straßen und Städten, die Beseitigung der Statue von Cecil Rhodes wurden als harmlose Konzessionen an die neue Zeit hingenommen.

Dank der hochproduktiven Farmen der Weißen war Simbabwe die Kornkammer Afrikas und nebenbei der zweitgrößte Produzent von Virginia-Tabak. Die herrlichen und wildreichen Nationalparks erfreuten sich touristischen Zulaufs. Der Staat verfügte über eine intakte Verwaltung, bis hinab in die Kommunen. Tansanias Staatspräsident Julius Nyerere mahnte: »Du [Robert] hast ein Juwel geerbt. Pass gut darauf auf!«

Mugabe wurde, ob seiner Weitsicht, mit akademischen Würden geehrt und sogar von den Briten zum Ritter geschlagen. 2007/2008 wurden ihm allerdings viele Ehrendoktortitel und die Ritterwürde wieder aberkannt …

Was war geschehen? Dazu ein Blick auf Mugabes Vita. Er wurde 1924 im heutigen Masvingo, einen Katzensprung von Groß-Simbabwe entfernt, geboren und katholisch erzogen, besuchte eine Jesuitenschule. Der intelligente und wissensdurstige junge Mann vom Volk der Shona studierte an mehreren Universitäten Philosophie, Pädagogik und Wirtschaftswissenschaften. 1963 wurde Mugabe Führer des militanten Flügels der Zimbabwe African

National Union (ZANU). Ein Jahr später wurde er aufgrund seiner Aktivitäten verhaftet und elf Jahre inhaftiert. Mit einem Jura-Fernstudium an der University of London vertrieb er sich seine Zeit als politischer Gefangener. Wieder frei, kämpfte er erneut gegen die Minderheitsregierung Ian Smiths, galt als Marxist und begab sich ins Exil nach Mosambik. Im rhodesischen Busch wütete ein erbarmungsloser Guerillakrieg gegen die weißen Machthaber. Nun erklären sich die versöhnlichen Worte im Rufaro-Stadion: 1979 traf sich eine afrikanische Delegation unter Mugabes Führung zu Waffenstillstandsverhandlungen in London. Im sogenannten Lancaster-House-Abkommen wurde vereinbart: freie Wahlen in einer neuen Republik Simbabwe mit der Verpflichtung, das vorhandene System zehn Jahre lang unverändert zu belassen, außerdem eine Mindestzahl an Weißen im Parlament zu garantieren. Im nächsten Jahr setzte sich in freien Wahlen Mugabe gegen Joshua Nkomo von der ZAPU (Zimbabwe African People’s Union) durch und wurde Premierminister. Der einstige Koalitionspartner Nkomo wurde unter dem Vorwand eines Putschversuchs aus der Regierung entfernt und ZAPU-Anhänger waren der Verfolgung durch Mugabes Fünfte Brigade ausgeliefert. Dabei kam es zur Tötung von zwanzigtausend Parteimitgliedern, alle, wie Nkomo, Angehörige des Ndebele-Volks. In den Jahren 1990 und 1996 ließ sich Mugabe als Präsident von Simbabwe bestätigen.

Ab 1990 begann die Zeit der ökonomischen Wende. Lukrative Verträge wurden an ZANU-Parteigenossen vergeben, Farmland infolge einer groß angelegten Landreform an die schwarze Bevölkerung verteilt. Mit Duldung der Partei wurden weiße Farmer von warvets (Kriegsveteranen) regelrecht vom Hof gejagt und enteignet.

Landwirte flüchteten in Nachbarländer oder gleich nach Australien oder Neuseeland. Unter der schwarzen Bevölkerung machte sich Arbeitslosigkeit breit, die Verwaltung brach in wichtigen Bereichen regelrecht zusammen. Der Simbabwe-Dollar, dann der Kwacha, übersetzt ›Morgenröte‹, stürzten ins Bodenlose. Die Inflation galoppierte. Heute besitzt der Staat keine eigene Währung. Es werden nur US-Dollar, Euro, südafrikanischer Rand und der Pula Botswanas akzeptiert.

Um von der desaströsen Wirtschaft abzulenken, fiel Mugabe über Minderheiten her. Dabei traf sein Bann erfolgreiche Europeans: Die Weißen seien wie eine Schlange, der man den Kopf abschlagen müsse, hieß es aus seinem Umfeld, was den warvets-Horden als Aufforderung zum Plündern galt. Nicht Unfähigkeit war schuld, es waren Weiße, die das Desaster verursachten. Als begabter Demagoge konnte er Tatsachen prächtig auf den Kopf stellen. Eine weitere Kampagne ritt er gegen Homosexuelle: Wurde die Polizei ihrer habhaft, wanderten sie für mindestens zehn Jahre ins Gefängnis. Ein hoher Politiker, Canaan Banana, wegen Homosexualität verurteilt, flüchtete ins Ausland, da er sein Leben bedroht sah.

In der Zeit der Wirren teilte eine kleine, korrupte Elite die letzten Pfründe unter sich und dem Mugabe-Clan auf. Ehemalige Mitarbeiter oder in Ungnade gefallene Genossen bescheinigen dem zum Diktator mutierten Präsidenten psychische Störungen, in erster Linie Paranoia, erklärbar durch jahrelange Verfolgungen und fehlgeschlagene Attentate auf ihn. Seinen Anspruch als Staatsoberhaupt auf Lebenszeit führt er auf seinen Stammbaum zurück, sieht sich als Nachkomme der Könige von Groß-Simbabwe. Durch manipulierte Wahlen ›Herrscher‹ zu bleiben, betrachtet er als sein legitimes Recht. Kritik an seiner Person steht unter Strafe.

Neben mir sitzt schweigend Moses. Was er wohl denkt? Hält er Mugabe auch für einen König oder hofft er, wie wohl die meisten Simbabwer, der Greis hat nicht das ewige Leben? Es kann nur besser werden. Gern hätte ich mit ihm diskutiert, seine Meinung erfahren. Es ist unmöglich, will ich meine ohnehin missliche Situation nicht verschlimmern.

Das Taxi bringt uns zurück an den African Unity Square.

Es ist nicht ratsam, allein durch Harare zu spazieren. Man wird beobachtet. Im unbedachten Moment schlagen Gangs zu, hart und brutal, während die Polizei wegschaut. Das bestätigt auch Moses. Ich schlage ihm vor, mir einen Teil der Innenstadt zu zeigen. Für ein Trinkgeld hat er noch nicht viel geleistet. Die Orientierung im Stadtzentrum ist einfach. Bis auf wenige Ausnahmen verlaufen die Avenuen von West nach Ost, die Straßen von Nord nach Süd. Sie folgen dem Schachbrettmuster vieler Pionierstädte. Moses schlägt einen Gang durch die First Street vor, die Fußgängerzone, die von Läden, schlecht besuchten Cafés, leeren Kaufhäusern gesäumt ist. Gute Stimmung versuchen Straßenmusikanten zu vermitteln. Gerade umtänzelt uns ein Lautenspieler. Auch Schuhputzer und Straßenhandwerker sind emsig bei der Sache. Wir wenden uns östlich in die Baker Avenue.

»Das ist die Anglican Church, das größte Gotteshaus in Harare«, sagt Moses. »Hier baute Canon Balfour die erste Kirche auf noch sumpfigem Untergrund. Von dem ursprünglichen Gebäude ist nur noch ein winziges Altarkreuz erhalten.«

»Und der Komplex da vorn?«

»Das ist unser Parlament.«

»Was geht da vor sich?«, frage ich scheinheilig.