Der Autor

Alexander Kent – Foto © Kim Reeman

Alexander Kent kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Marineoffizier im Atlantik und erwarb sich danach einen weltweiten Ruf als Verfasser spannender Seekriegsromane. Er veröffentlichte über 50 Titel (die meisten bei Ullstein erschienen), die in 14 Sprachen übersetzt wurden, und gilt als einer der meistgelesenen Autoren dieses Genres neben C.S. Forester. Alexander Kent, dessen richtiger Name Douglas Reeman lautet, war Mitglied der Royal Navy Sailing Association und Governor der Fregatte »Foudroyant« in Portsmouth, des ältesten noch schwimmenden Kriegsschiffs.

Das Buch

1808: Noch nie war Sir Richard Bolitho dem Tod so nahe wie jetzt. Mit seinem Stab hatte er sich auf die nach Kapstadt bestimmte Brigg Golden Plover eingeschifft. Am Kap der Guten Hoffnung soll der Vizeadmiral ein neues Geschwader übernehmen. Doch aus Goldgier meutert unterwegs die Besatzung, es kommt zu einem blutigen Kampf und das Schiff strandet. Während man in England bereits um den tapfersten Seehelden seit Nelson trauert, treibt er in einem kleinen Boot auf dem Atlantik, von Durst gequält, von Haien umkreist ...

Alexander Kent

Das letzte Riff

Admiral Bolitho – Verschollen vor Westafrika

Roman

Aus dem Englischen
von Dieter Bromund

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Neuausgabe bei Refinery
Refinery ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
September 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009
© der deutschen Ausgabe: Ullstein Buchverlage GmbH & Co. KG, Berlin 1992
© der englischen Originalausgabe: Highseas Authors Ltd., 1992
Titel der englischen Originalausgabe: Beyond the Reef
Covergestaltung: © Sabine Wimmer, Berlin

ISBN 978-3-96048-106-5

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Widmung

Für mein Tahitimädchen Kim, in Liebe

I Brüder der See

Ein beißender Nordost, der seit zwölf Stunden wehte, wirbelte das Wasser im Hafen von Portsmouth auf. Er jagte Wellen mit weißen Kämmen in endloser Folge vor sich her. Die Kriegsschiffe mit ihren schwarz-weißen Rümpfen ruckten heftig an ihren Ankerketten.

Obwohl es schon später März war, zögerte der Winter seinen Abschied hinaus und zeigte noch einmal alle Kraft, die in ihm steckte.

Eines der größeren verankerten Schiffe war die Black Prince mit 94 Kanonen. Man hatte sie erst kürzlich aus der Werft auf ihren Ankerplatz verholt, nach einigen Reparaturen am Rumpf. Jetzt glänzten ihre frische Farbe und das frisch geteerte, stehende Gut wie Glas – selbst unter der wehenden Gischt und einem Regenschauer, der schräg zur Isle of Wight hinüberzog. Die Insel wirkte in dem schwachen Licht wie ein ferner Schatten.

Die Black Prince war eines der mächtigsten Schiffe ihrer Klasse. Für Landratten verkörperte sie das greifbare Symbol englischer Seemacht, einen sicheren Schutzschild. Doch erfahrene Teerjacken sahen sie anders.

Noch waren die Rahen leer, ohne die Segel, die ihr Kraft und Leben geben würden. Leichter und Barkassen umschwirrten sie. Zahlreiche Takler und Reepschläger arbeiteten eifrig an Deck. Hammerschläge und das Quietschen der Blöcke machten deutlich, daß auch tief im Schiff und in den Batteriedecks fleißig gearbeitet wurde.

An der Reling auf der Poop, vor den verstauten Hängematten, stand der Kommandant der Black Prince und beobachtete das Kommen und Gehen von Seeleuten und Handwerkern, die unter Aufsicht der Unteroffiziere arbeiteten. Diese bildeten das Rückgrat jedes Kriegsschiffs.

Kommandant Valentine Keen drückte den Hut fester auf sein helles Haar und scherte sich nicht um den Wind. Ihm war auch egal, daß ihm die Nässe durch den blauen Uniformmantel mit den verfärbten Epauletten bis auf die Haut drang. Ohne sich lange umzuschauen wußte er, daß die Wachhabenden, die in der Nähe des unbesetzten Doppelrads auf und ab gingen, sich seiner Gegenwart sehr bewußt waren. Ein Quartermaster, ein Bootsmannsgehilfe und ein kleiner Midshipman[1], der gelegentlich ein Teleskop ans Auge hob, beobachteten den Signalturm und ganz in der Nähe das Flaggschiff des Admirals, in dessen Großtopp eine nasse Fahne knallend auswehte.

Von der Besatzung waren viele, die mit Keen vor Dänemark gekämpft und beinahe einen gewaltigen französischen Dreidecker versenkt hätten, auf andere Schiffe versetzt worden. Das kurze Gefecht hatte die Black Prince schwer mitgenommen. Zwar waren einige aus der Mannschaft befördert worden, »doch alle anderen«, hatte der Hafenadmiral kurz bemerkt, »werden dringend gebraucht, Kapitän Keen. Also müssen Sie warten, bis Ihr Schiff wieder kampfbereit ist.«

Keen dachte an die Schlacht und an den furchtbaren Schrecken in der Morgendämmerung, als sie Konteradmiral Herricks Benbow zu Hilfe gekommen waren. Er hatte einen Konvoi von 21 Schiffen schützen sollen, der zur Eroberung von Kopenhagen ausgesandt worden war.

Zerstreut trieben die Schiffe als brennende Wracks in der See. Unter Deck schrieen eingepferchte Kavalleriepferde in Todesnot. Die Benbow dümpelte entmastet in der See, das zweite Begleitschiff war gekentert und verloren.

Sie hatten die Benbow zurück nach England in eine Werft geschleppt. Sie jeden Tag hier zu sehen, wäre auch zu quälend gewesen, besonders für Vizeadmiral Sir Richard Bolitho, dessen Flagge bald wieder am Fockmast der Black Prince auswehen würde. Herrick war Bolithos ältester Freund gewesen, doch sein Verhalten vor und nach der Schlacht hatte Keen entsetzt und betrübt. Möglicherweise war es Benbows letzte Schlacht gewesen. In Kopenhagen hatten sie so viele Schiffe beschlagnahmt, um die eigenen gelichteten Reihen wieder aufzufüllen, daß jede Werft sicher lange prüfen würde, ob sich die Reparatur eines so zerschossenen Schiffes wie der Benbow überhaupt lohnte.

Keen dachte an Bolitho, den er mehr als jeden anderen Menschen verehrte. Er hatte unter ihm schon als Midshipman und Leutnant gedient und war schließlich sein Flaggoffizier geworden. Es freute ihn, daß Bolitho endlich wieder Gelegenheit hatte, mit seiner geliebten Lady Catherine zusammen zu sein. Er fürchtete sich vor Vergleichen, und doch wünschte er Gleiches für sich. Bolithos offen bekannte Leidenschaft verstanden die einfachen Leute überall im Lande, nur die Londoner feine Gesellschaft überschüttete ihn und Catherine mit Wut und Verachtung. Einen Skandal nannten sie die Beziehung. Keen seufzte. Er selbst hätte alles geopfert, nur um eine ebensolche Liebe zu erleben.

Er ging zu dem kleinen Tisch im Schutz des überhängenden Poopdecks und schlug die Seite des Logbuchs auf, die ein glänzendes Stück Walknochen markierte. Sekundenlang starrte er auf das Datum, das die feuchte Seite zeigte: 25. März 1808. Genau zwei Monate zuvor hatte er seiner Braut in der kleinen Dorfkirche von Zennor den Ring über den Finger gestreift und sie zu seiner Frau gemacht.

Doch noch immer rätselte er: Liebte sie ihn – oder hatte sie ihn nur aus Dankbarkeit geheiratet? Er hatte sie von einem Sträflingsschiff gerettet, das sie deportieren sollte für ein Verbrechen, das sie nie begangen hatte. Oder beruhten seine Zweifel auf dem großen Altersunterschied? Er war fast doppelt so alt wie sie. Sie hätte doch jeden Jüngeren heiraten können!

Solche Gedanken bedrückten ihn. Er wagte Zenoria kaum zu berühren, und als sie sich ihm schließlich hingab, geschah es ohne Leidenschaft und ohne Sehnsucht. Sie hatte nur nachgegeben. Später in jener ersten Nacht hatte er sie unten vor der letzten Glut des Kamins gefunden, schluchzend, als wäre ihr Herz gebrochen.

Immer wieder zwang sich Keen, an Catherines Rat zu denken, den sie ihm bei einem Besuch in London gegeben hatte. Er hatte Catherine seine Zweifel an Zenorias wahren Gefühlen für ihn gestanden. Ruhig hatte Catherine geantwortet: »Denken Sie daran, was man mit ihr gemacht hat: mißbraucht, mißhandelt, ihr jede Hoffnung auf eine Zukunft genommen.«

Keen biß sich auf die Lippen, als er zurückdachte an ihre erste Begegnung. Fast nackt, mit bloßem Rücken, hatte sie vor den geifernden Mitgefangenen gestanden, die sich an ihr tierisch vergnügen wollten. Also war es wohl doch nur Dankbarkeit. Damit mußte er sich zufriedengeben. Sicherlich beneideten ihn viele Männer um seine schöne Frau. Aber er war nicht glücklich.

Keen sah James Sedgemore, den Ersten Offizier, auf sich zukommen. Der war mit seinem Schicksal ganz bestimmt mehr als zufrieden. Keen hatte ihn befördert nachdem eine Kugel an jenem fürchterlichen Morgen Cazalet, den zähen Ersten vom Tyne, zerrissen hatte. Das feindliche Schiff war die San Mateo gewesen, ein Spanier, der unter französischer Flagge segelte. Sie war über den Konvoi und seine Begleiter hergefallen wie ein Tiger über ein Gehege voller Kaninchen. Niemals zuvor hatte Keen Bolitho so wild entschlossen kämpfen sehen. Die San Mateo mußte besiegt werden, denn sie hatte Bolithos geliebte alte Hyperion versenkt. Das genügte als Stachel.

Keen fragte sich, ob Bolitho wohl weiter Breitseite auf Breitseite in den schwer angeschlagenen Spanier gejagt hätte. Gott sei Dank hatte irgendjemand in der Hölle aus Eisen und jaulenden Holzsplittern noch Verstand genug gehabt ihre Flagge niederzuholen. Ob Bolitho sonst gnadenlos weitergekämpft hätte? Er würde es nie erfahren.

Leutnant Sedgemore tippte grüßend an seinen Hut, das Gesicht rot vor Kälte. »Wir werden morgen die Segel anschlagen können, Sir.«

Keen sah die Marinesoldaten, die Posten an den Niedergängen und auf dem Vordeck. So nahe unter Land war mancher Matrose versucht zu desertieren. In einem Kriegshafen wie Portsmouth Leute zu bekommen, war auch ohne Deserteure schwer genug.

Keen empfand Mitgefühl für seine Männer. Man hielt sie an Bord fest oder verfrachtete sie als Ersatz auf ein anderes Schiff, ohne sie je an Land zu ihren Lieben zu lassen.

Auch er selbst hatte mehr Zeit als nötig an Bord verbracht. Aber er wollte seiner ausgedünnten Besatzung zeigen, daß er ihre Leiden teilte. Oder war das eine Lüge? War er an Bord geblieben aus Furcht vor Zenorias Zurückweisung?

»Alles in Ordnung, Sir?«

»Ja.«

Das klang viel zu heftig. »Vizeadmiral Bolitho kommt gegen Mittag an Bord.« Er musterte die Netze an den regenglänzenden Wänden der Werft die Hafenbatterie und die dichtgedrängten Gebäude am Portsmouth Point hinter dem das Fahrwasser und die offene See lockten. Irgendwo da drüben wartete Bolitho sicher schon. Vielleicht im »George Inn«.

Catherine war in diesem unfreundlichen Wetter vermutlich längst nicht mehr bei ihm.

Sedgemores Gesicht verriet nichts von seinen Gedanken. Seinen Vorgänger Cazalet hatte er nie gemocht. Nun ja, er war ein guter Seemann gewesen, aber so ruppig in seiner Sprache und so ungehobelt in seinen Manieren, daß man mit ihm nur schwer zusammenarbeiten konnte. Der Erste sah, wie die Männer an den Taljen schufteten, um Kästen und Ballen aus den Leichtern in die Black Prince zu hieven.

Nun, jetzt war er der Erste Offizier – und zwar auf einem der neuesten und kampfstärksten Dreidecker der Marine. Mit einem Admiral wie Sir Richard Bolitho und einem Kommandanten wie Kapitän Keen würde niemand sie aufhalten, wenn sie erst einmal auf See waren. Beförderungen, Prisengelder, Ruhm – das alles lockte ihn. So ist das Leben im Krieg, dachte er. Wenn man dir den Posten eines gefallenen Offiziers anbietet, darfst du nicht zögern.

Laut befahl Keen: »Sagen Sie meinem Bootssteuer, er soll die Barkasse vorbereiten und zu sechs Glasen seine Bootsgasten sammeln. Inspizieren Sie sie gründlich, obwohl ich kaum glaube, daß Tojohns etwas dem Zufall überlassen wird.«

Wieder blickte er auf das offene Logbuch und den Midshipman der Wache, der etwas darin eintrug. Das erinnerte ihn an ein anderes Bild: Tojohns, sein Bootssteurer, hatte am Hochzeitstag die Midshipmen und die Unteroffiziere des Schiffes zum Ziehen der Hochzeitskutsche eingeteilt, in der Keen und seine Braut saßen.

Er drehte sich um und suchte unter der Poop einen Platz, an dem er mit seinen Gedanken allein sein konnte.

Sedgemore beobachtete ihn und rieb sich das Kinn. Ein Vollkapitän und Kommandant eines Schiffes wie der Black Prince zu sein … Mehr wollte er im Leben nicht erreichen.

Er entdeckte den Midshipman, der ihn anstarrte, und fuhr ihn an: »Mr. M’Innes, Sie sollten Ihre Zeit nicht vergeuden, Sir!«

Solches Anbrüllen war natürlich unnötig. Aber er fühlte sich wohl dabei und genoß seine Rolle als Erster Offizier.


Leutnant Stephen Jenour hielt den Atem an, als er an den Stufen zum Anlegesteg vorbeischritt. Nach zwei Monaten auf dem Trocknen fühlte er sich wieder unsicher angesichts der See. Er hatte an Land für Vizeadmiral Bolitho gearbeitet und zwischendurch seine Eltern in Southampton besucht.

Er drückte die Tür zum George Inn auf und blickte in ein loderndes Feuer, das von der fernen Seite des Raums Wärme herüberschickte.

Kühl fragte ein uniformierter Diener: »Ihr Name, Sir?«

»Jenour.« Und dann schärfer: »Flaggoffizier von Sir Richard Bolitho!«

Der Mann verschwand mit einem Bückling, murmelte etwas von einem wärmenden Drink, und Jenour war stolz darauf, daß andere ihn sofort respektierten.

»Willkommen, Stephen!« Bolitho saß in einem großen Sessel, der Feuerschein brach sich im Gold der Litzen und der Schulterstücke seiner Uniform. »Wir haben noch ein bißchen Zeit.«

Jenour setzte sich und lächelte. Wie hatte sich doch sein Leben verändert seit seinem Treffen mit Bolitho! Seine Eltern hatten ihn ausgelacht, als er schwor, eines Tages würde er dem Mann dienen, der bis drei Jahre vor Nelsons Tod bei Trafalgar der zweitjüngste Admiral der Royal Navy gewesen war. Und nun war er der jüngste.

Jenour erinnerte sich an alle Einzelheiten, auch an den Augenblick, als die Black Prince Kopenhagen verlassen hatte, um Herrick zu finden. Bolitho hatte sich zu ihm umgedreht und seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, als er bekannte: »Ich verliere meine Sehkraft, Stephen. Können Sie das Geheimnis für sich behalten? Niemand sonst darf es erfahren. Da draußen braucht man uns jetzt!«

Jenour nippte an dem heißen Drink und schmeckte Brandy und Gewürze; seine Augen wurden feucht, doch das lag mehr an den Erinnerungen. Er war einer der wenigen, die wußten, wie schlimm es um Bolithos linkes Auge stand. Daß der Vizeadmiral ihn an einem solchen Geheimnis teilhaben ließ, war ein größerer Vertrauensbeweis, als er ihn je für möglich gehalten hätte.

Bolitho stellte sein leeres Punschglas ab und dachte an Catherine, glaubte immer noch die Wärme ihres Körpers in seinen Armen zu fühlen. Erst an diesem Morgen hatten sie sich getrennt. Sie war jetzt auf dem Weg nach London, in ihr Haus im Stadtteil Chelsea, das sie kürzlich gekauft hatten. »Unsere geheime Höhle« hatte sie es genannt; es bot ihr Unterschlupf, wenn ihre Anwesenheit in der Hauptstadt vonnöten war.

Bolitho fühlte sich seltsam allein ohne Allday, seinen Bootssteurer – »seine Eiche«, wie er ihn gern nannte; seltsam allein auch ohne Yovell, seinen Sekretär, und ohne Ozzard, seinen schmächtigen Steward. Alle drei begleiteten Lady Catherine in der Kutsche nach London, und Bolitho beruhigte der Gedanke, daß Catherine von so verläßlichen Männern beschützt wurde.

Er dachte auch an das letzte Gespräch mit Lord Godschale in der Admiralität und an dessen Ersuche, ihn zu beschwichtigen, bevor es zu Kontroversen kam.

»Ihre Lordschaften bestehen darauf: Sie sind der beste Flaggoffizier für diese Aufgabe in Kapstadt. Sie haben damals entscheidend dazu beigetragen, daß die Stadt erobert wurde. Unsere Leute kennen Sie und vertrauen Ihnen. Lange wird es sicher nicht dauern, bis Sie regelmäßige Patrouillen da unten im Süden organisiert haben und endlich die großen Kriegsschiffe nach England auf den Weg bringen. Sobald Sie dort einen Vollkapitän etabliert haben – meinetwegen auch als Kommodore –, kehren Sie zurück. Ich stelle Ihnen eine schnelle Fregatte zur Verfügung und gebe Ihnen meine volle Unterstützung.« Godschale seufzte wie unter einer schweren Last. »Während Admiral Gambier und Ihr Geschwader den Konvoi der dänischen Schiffe nach England zusammenstellten, war Napoleon schon wieder mit anderen Absichten unterwegs, verdammt soll er sein. Zweimal hat er – vergeblich, Gott sei Dank – versucht sich die dänische Flotte anzueignen. Er hat die Türken bewogen, sich gegen ihren alten Verbündeten, den Zaren von Rußland, zu wenden. Wenn wir ein Loch stopfen, öffnet er zwei neue.«

Bolitho gestand sich eine gewisse Bewunderung für Napoleons überaus flexible Strategie ein. Kurz nach Herricks hoffnungslosem Kampf für den Konvoi war die französische Armee in Portugal einmarschiert, hatte im November Lissabon genommen und die königliche Familie auf ihre Besitzungen nach Brasilien vertrieben. In Whitehall hieß es, daß Spanien gegen seinen Willen der nächste Verbündete Napoleons werden würde. Wieder einmal würde der Korse einen ungeheuren Machtzuwachs erzielen und mit Spaniens Reichtümern im Rücken jeden bedrohen, der sich ihm in den Weg stellte.

»Diesmal überspannt er den Bogen«, hatte Bolitho geantwortet. »Er hat sich die Portugiesen zu Feinden gemacht und Spanien wird sich gegen ihn erheben. Was wir brauchen, ist eine Stelle, wo unsere Armee landen kann und als Freunde und Befreier begrüßt wird.«

Godschale hatte abweisend vor sich hin geschaut »Ja, ja. Vielleicht«

Auch das nächste Geheimnis kannten Jenour, Yovell und Allday: Bolitho hatte sich geweigert, mit einer Fregatte nach Süden zu segeln. Godschales volles Gesicht färbte sich fast purpurn vor Zorn, als er laut sagte: »Wollen Sie etwa Lady Catherine Somervell mit auf die Reise nach Kapstadt nehmen?«

Bolitho hatte kühl erwidert: »Ein Kriegsschiff ist nichts für eine Dame, Mylord. Obwohl ich sicher bin, daß Lady Catherine mit Freuden an Bord kommen würde.«

Godschale hatte sich den Schweiß vom Gesicht gewischt »Also ein schnelles Schiff im Auftrag der Admiralität. Sie sind ein Mann, der schwer von anderen Ideen zu überzeugen ist, Sir Richard. Was werden aber die Leute sagen, wenn sie entdecken, daß …«

»Wir müssen eben dafür sorgen, daß es niemand erfährt, Mylord.«

Als er die Neuigkeit Catherine mitteilte, hatte sie überrascht und erregt reagiert.

»Bei dir zu sein, Liebster, statt nur von deinen Unternehmungen in der ›Gazette‹ zu lesen, mehr kann ich mir nicht wünschen!«

Die Tür öffnete sich jetzt, der Diener steckte den Kopf ins Zimmer. »Verzeihen Sie, Sir Richard, aber es wurde eben gemeldet, daß Ihre Barkasse von der Black Prince abgelegt hat.«

Bolitho nickte und sagte zu Jenour: »Ich wette, Kapitän Keen wird überrascht sein, daß ich nicht an Bord bleibe.«

Jenour folgte ihm aus dem gemütlich warmen Raum, der ausschließlich für Flaggoffiziere eingerichtet war, ins Freie. Er wußte, daß Keen Bolitho genauso verehrte wie er selber. Würde er das Kommando über die Black Prince aufgeben, um einen dubiosen Posten in Kapstadt zu übernehmen? Zwar würde er dann den Wimpel eines Kommodore führen können und hätte sehr gute Aussichten, zum Vizeadmiral befördert zu werden. Aber das hieße auch, so kurz nach der Hochzeit seine junge Frau zu verlassen und später alle Verbindungen mit Bolitho zu kappen, der jetzt auf den nassen Stufen des Anlegers stand und über die glitzernden Wellen blickte.

Ich bin froh, daß ich solche Entscheidungen nicht fällen muß, dachte er. Noch nicht, jedenfalls …

Bolitho hüllte sich eng in seinen Bootsmantel und beobachtete die Barkasse. Sie tanzte in den kurzen Wellen, die Riemen hoben und senkten sich wie ein einziger, und die Bootsgasten sahen gut aus in ihren gewürfelten Hemden und den schwarzgeteerten Hüten. Keens Bootsteurer würde das Kommando führen; plötzlich fühlte sich Bolitho beunruhigt, daß Allday nicht hier war.

Doch dann dachte er an Catherines Freude über die bevorstehende gemeinsame Reise. Als ihnen in Falmouth gemeldet worden war, Lord Godschale habe seinem Wunsch nach einer gemeinsamen Seereise entsprochen, da hatte Catherine Bolitho umarmt wie in kindlicher Begeisterung. Zusammen zu bleiben – nur darauf kam es ihnen an. Er dachte an ihre letzte gemeinsame Nacht in einem kleinen, versteckten Gasthaus, das Allday empfohlen hatte. Auch als Jenour sich zurückgemeldet hatte, waren seine Gedanken in dem kleinen Zimmer gewesen, das er mit Catherine geteilt hatte, ohne an Schlaf zu denken. Dort hatte ebenfalls ein Kaminfeuer gebrannt.

Die Bootsgasten stellten die Riemen senkrecht und blickten gerade aufgerichtet nach achtern, während vorn der Bug festgemacht wurde. Der Erste Offizier sprang leichtfüßig über die nassen Stufen herauf, lüftete seinen Hut und hatte mit einem Blick erfaßt, daß eine Seekiste oder anderes Gepäck fehlte.

»Guten Tag, Mr. Sedgemore.« Bolitho lächelte. »Wie Sie sehen, wird es diesmal nur ein kurzer Besuch.«

Er und Jenour nahmen auf der Heckbank Platz; die Barkasse legte ab und schaufelte Wasser über den Bug, als sie aus dem Lee des Anlegers glitten.

»Läuft alles nach Plan mit den Reparaturen, Mr. Sedgemore?«

Der Erste Offizier schluckte. Er war solch freundliche Worte von Vizeadmirälen nicht gewohnt.

»Aye, aye, Sir Richard. Wir werden wohl noch einen Monat brauchen.«

Bolitho beobachtete die Boote, die von den Werften herüberkamen, und eine Jolle, die einen Mast schleppte. So viele Schiffe wurden hier wieder ausgerüstet. Aber wenn Napoleon wirklich in Spanien einmarschierte, mußte die Seeblockade noch enger werden. Mit Bedauern dachte er an Herrick. Selbst dessen arme, zusammengeschossene Benbow würde man sicher wieder in neue Seegefechte schicken.

In der Ferne peitschte ein Musketenschuß, und auf das Vordeck der Black Prince rannten Männer. Wahrscheinlich hatte ein Seesoldat auf jemanden geschossen, der desertieren wollte.

»Ich nehme an, den haben sie getroffen!« murmelte Sedgemore.

Ruhig sah ihn Bolitho an. »Wäre es nicht sinnvoller, wenn Sie Ihre Seesoldaten am Ufer postierten? Die würden die Männer festnehmen, wenn sie an Land schwimmen. Aber von einer Leiche hat niemand etwas.« Das klang ganz freundlich, doch Jenour sah, wie der Erste Offizier das Gesicht verzog, als habe ein Hieb ihn getroffen.

Die nächsten Augenblicke verlangten seine volle Aufmerksamkeit: das schlüpfrige Fallreep, das Trillern der Pfeifen, das Stampfen der Füße und das Knallen der Gewehrkolben, mit dem die Ehrenwache vor ihnen salutierte.

Dann trat Keen grüßend und mit lächelndem Gesicht auf sie zu. Sie schüttelten einander die Hände, und Keen begleitete sie nach achtern in die große Kajüte.

»Nun, Val?« Bolitho setzte sich und sah seinen Freund an. »Ich werde Ihnen heute nicht lange zur Last fallen.«

Keen schenkte Rotwein ein. Bolitho fielen die harten Linien um den Mund seines Flaggkapitäns auf, Spuren der Verantwortung und eines schweren Kommandos. Der Mann war ständig gefordert, um die zahllosen Schwierigkeiten der Reparatur zu meistern. Nicht die kleinste Spur der Schlacht durfte zurückbleiben. Er mußte fertigwerden mit einer zu kleinen Besatzung, mit dem Anbordnehmen und richtigen Stauen von Pulver und Kugeln. Er mußte neue Wachlisten aufstellen, um die wenigen erfahrenen Männer richtig unter die Freiwilligen und Gepreßten zu verteilen. Bolitho hatte all das selber kennengelernt, schon auf seinem ersten Kommando, einer kleinen Korvette der Royal Navy.

»Schön, Sie zu sehen.« Keen reichte ihm ein Glas. »Aber Ihre Worte klingen etwas rätselhaft.« Er lächelte, allerdings nicht mit den Augen.

»Wie geht es Zenoria? Sie vermißt Sie sehr, nicht wahr?« Keen drehte sich um und nestelte an seinen Schlüsseln. »Heute morgen kam eine Depesche für Sie an Bord, Sir. Mit reitendem Boten von der Admiralität.« Er öffnete eine Schublade und nahm den Umschlag heraus. »Tut mir leid, ich habe nicht sofort daran gedacht.«

Bolitho betrachtete das Siegel, Schlimmes ahnend. Auch Catherine hatte so eine Andeutung gemacht.

»Ich bin nach Kapstadt kommandiert worden, Val, um dafür zu sorgen, daß man dort nicht allzu träge wird. Wir brauchen da unten viel mehr Patrouillen. Vor allem jetzt, nachdem das Gesetz gegen die Sklaverei im Parlament verabschiedet worden ist. Sklavenhändler, Piraten und anderes Gesindel müssen aufgespürt werden.«

Keen sah ihn an, als habe er nicht verstanden.

Ruhig fügte Bolitho hinzu: »Für das Kommando in Kapstadt sucht man noch einen erfahrenen Kapitän. Er wird einen Kommodorewimpel setzen können. Ich werde nach dem Einsatz auf die Black Prince zurückkehren, aber falls Sie das Kommando übernehmen möchten, müssen Sie in Kapstadt bleiben.«

»Ich, Sir?« Perplex setzte Keen das Glas ab. »Ich soll das Kommando über die Black Prince aufgeben?« Ungläubig sah er Bolitho an. »Und Sie verlassen, Sir?«

Bolitho lächelte. »Der Krieg erreicht wieder mal einen Wendepunkt, Val. Wir müssen eine Armee auf dem Kontinent anlanden und brauchen dafür unsere besten Männer. Sie gehören dazu, haben längst eine Beförderung verdient. Die Flotte braucht erfahrene Offiziere wie Sie – gerade jetzt nach Nelsons Tod.«

Ihm fielen die Worte des Generals ein, den er kurz vor der Eroberung Kapstadts getroffen hatte: »Alle Triumphe auf See sind erst dann etwas wert, wenn die englische Infanterie den feindlichen Strand hinaufmarschiert«

Keen trat an ein Heckfenster, auf dem die Gischt eingetrocknet war, und blickte nach unten in das unruhige Wasser.

»Wann wäre das, Sir?« Er wirkte wie gelähmt von der unerwarteten Wendung.

»Bald. Die Black Prince wird sicher noch einige Wochen unter Obhut der Werft bleiben.«

»Welchen Rat würden Sie mir geben, Sir?« Keen drehte sich um.

Bolitho schlitzte den dicken Umschlag auf. »Ich weiß, was es bedeutet, von einer geliebten Frau getrennt zu sein. Aber es ist das Los aller Marineoffiziere. Und es ist die Pflicht eines Offiziers, jede Möglichkeit für eine Beförderung zu nutzen, damit er seinem Land mehr nutzen kann als vorher.«

Keen sah zur Seite. »Dann nehme ich an, Sir.« Das sagte er ohne jedes Zögern.

Bolitho überflog, was ihm da in sauberer Bürokratenschrift mitgeteilt wurde. Dann sagte er ernst: »Auf diesem Schiff haben Sie noch eine schwere Aufgabe, Val.« Er warf den Brief auf den Tisch. »Es wird hier in Portsmouth eine Untersuchung geben. Ihre Lordschaften haben entschieden, daß Konteradmiral Herrick sich vor einem Kriegsgericht verantworten muß – und zwar bald.«und zwar bald.«

Keen nahm den Brief auf. »Unehrenhaftes Verhalten und Pflichtverletzung.« Weiter las er nicht. »Lieber Gott, was soll das, Sir?«

»Lesen Sie weiter. Die Verhandlung wird auf der Black Prince stattfinden, über die Sie das Kommando führen. Auf meinem Flaggschiff.«

Keen verstand endlich. »Dann will ich schnell zum Kap, Sir!« Verbittert fügte er hinzu: »Für so etwas bin ich völlig ungeeignet!«

Bolitho erhob sich und nahm seinen Hut aus der Hand des Stewards entgegen. »Wenn Sie sich endgültig entschieden haben, Val, sagen Sie’s mir; sagen Sie’s uns. Das darf man von Freunden erwarten.«

Ebenezer Julyan, der Master, wartete draußen am Ruder – wohl mit voller Absicht wie es Bolitho schien, um ihn zu sprechen.

Als wäre alles erst gestern geschehen, erinnerte sich Bolitho an den Master. Der hatte diebisch gegrinst als sie mit der Black Prince auf die gewaltige San Mateo zugesegelt waren. Bolitho hatte ihm seinen goldbesetzten Dreispitz gegeben. Julyan sollte ihn aufsetzen, um den Feind glauben zu machen, die Black Prince sei eine dänische Prise.

»Haben Sie meinen Hut wirklich Ihrem Sohn geschenkt Mr. Julyan?« sprach er ihn an.

Der Mann lachte. »Weiß Gott, Sir. Das ganze Dorf stand Kopf. Schön, Sie wiederzusehen, Sir Richard!«

Bolitho schaute sich um, suchte andere bekannte Gesichter, die damals mit ihm dem Tod getrotzt hatten. Dann berührte er das silberne Amulett unter seinem Hemd. Catherine hatte es ihm morgens um den Hals gelegt wie immer, wenn sie sich trennten. »Möge das Glück dich immer leiten«, hatte sie gesagt. »Möge meine Liebe dich immer beschützen.«

Aber es war nicht richtig, an das Glück zu denken, das ihm Catherine geschenkt hatte, wenn Keen so niedergeschlagen war.


Lady Catherine Somervell trat an das Fenster mit dem schmalen eisernen Balkon und blickte auf das unruhige Wasser der Themse hinaus. Die Stadt war schon hellwach gewesen, als ihre von der langen Reise schmutzstarrende Kutsche endlich vor diesem kleinen eleganten Haus in Chelsea gehalten hatte. In den Straßen boten Händler, die von den vielen Märkten kamen, lauthals Fleisch, Fisch oder Gemüse an. Ja, das war die Stadt London, an die sie sich bis weit in ihre Kindheit zurück erinnerte. Und manche von diesen Erinnerungen hatte sie Bolitho gezeigt.

Auf der holprigen Landstraße war die Reise in der Kutsche anstrengend gewesen. Blattlose Bäume säumten im kalten Mondlicht die Straße, und immer wieder schütteten Wolken Regen über sie aus. Gelegentlich hatten sie angehalten, um sich zu stärken, doch ehe sie selbst ein Gasthaus betrat hatte Yovell, Bolithos pummeliger Sekretär aus Devon, es stets inspiziert. Mehrmals war er in die Kutsche zurückgeklettert und hatte mit bösem Kopfschütteln dem jungen Kutscher Matthew weiterzufahren befohlen: kein Gasthaus für eine Lady.

Die vier Männer hatten sie fabelhaft umsorgt, hatten die kupferne Wärmepfanne für ihre Füße bei jedem Halt mit heißem Wasser gefüllt und sie selbst gut in wärmende Decken und ihren langen Samtmantel gehüllt. Obwohl sie eine sehr selbständige Frau war, hatte sie diese Fürsorge genossen.

Trotzdem, nach Falmouth wirkte dieses Haus jetzt seltsam kühl und fremd. Catherine war dankbar, daß in den meisten Räumen ein Kaminfeuer brannte. Wehmütig dachte sie an Bolithos Haus unterhalb von Pendennis Castle und war überrascht wie sehr sie sich dorthin zurücksehnte. Sie hörte Allday in der Küche lachen; jemand anderer, wahrscheinlich Ozzard, der treue, stille, schmächtige Steward, legte polternd Holzscheite auf ein Feuer.

Während der langen Reise hatte sie, als Yovell schlief und Ozzard draußen neben dem Kutscher saß, lange mit Allday gesprochen, hatte ihm zugehört, als er von den frühen Jahren des Mannes erzählte, den sie liebte. Er hatte von den Schiffen gesprochen, auch von den Schlachten, obwohl er da sehr allgemein blieb und nicht versuchte, sie zu beeindrucken oder ihr Angst zu machen. Er sprach zu ihr fast wie ein alter Freund.

Als sie mehr über Herrick wissen wollte, war Allday ausgewichen.

»Ich habe ihn kennengelernt als einen der Leutnants unter Kapitän Bolitho auf der Phalarope – 1782 war das wohl.« Allday grinste. »Ich war nicht freiwillig an Bord, müssen Sie wissen.« Das schien ihn zu amüsieren. »Als der Kommandant damals von Bord ging, nahm er uns beide mit, Bryan Ferguson und mich. Später wurde ich sein Bootssteurer.« Er schüttelte den Kopf. »Viel ist passiert seit damals!«

Als sie weiterfragte, sah er ihr in die Augen. »Konteradmiral Herrick ist ein sturer Hund, wenn Sie das Wort verzeihen, Mylady. Ein ehrenwerter Gentleman, was ja selten ist heutzutage, aber …«

Catherine spürte seine Unsicherheit »Sir Richard macht sich um Herrick große Sorgen. Er ist sein ältester Freund, stimmt’s?«

»Ja, nach mir, Mylady. Aber die Leute ändern sich nicht, egal was kommt. Auch Sir Richard hat sich nie geändert. Jetzt mag er Admiral sein und für die meisten sogar ein Held. Aber ich erkenne in ihm immer noch den jungen Kapitän, der beim Tod eines Freundes weinte.«

»Erzähl’ mir davon, Allday. Es gibt so viele Lücken, die ich füllen muß.«

Die Kutsche war in eine tiefe Spur gerutscht und murrend war Yovell davon erwacht. »Wo sind wir?« fragte er benommen, und als man es ihm gesagt hatte, nickte er wieder ein.

Allday sah seine Herrin an wie seinerzeit in English Harbour, als ihr Mann noch lebte. Damals war Bolitho wieder ihr Geliebter geworden – nach einer dummen Trennung. »Ich rate Ihnen, Mylady, zerbrechen Sie sich nicht den Kopf. Auf der Reise zum Kap werden Sie ihn so kennenlernen, wie wir ihn kennen: nicht den Mann, der von See heimkehrt sondern den Offizier des Königs.«

Und jetzt stand sie allein in dem Raum, in dem sie einander so fordernd geliebt hatten, als ob sie die vielen Jahre der Trennung nachholen wollten.

Sie dachte an Valentine Keen, an sein besorgtes Gesicht, als er sich mit ihr über seine Ehe mit Zenoria unterhalten hatte. Wieder ein Geheimnis: Sie waren eine Gruppe enger Freunde – Oliver Brownes kleine Schar Auserwählter –, und doch herrschte zwischen Herrick und Keen eine seltsame Kühle. Wegen Zenoria??

Sie hatte Richard nie verraten, was sie in Adam Bolithos, seines Neffen, Gesicht gesehen hatte, als Keen und Zenoria in der Kirche getraut wurden. Vielleicht hatte sie sich ja geirrt? Aber sie wußte, daß das nicht der Fall war. Sie besaß genug Lebenserfahrung, um damals zu erkennen, daß Richards Neffe, den er wie einen Sohn liebte, Kapitän Keens Frau Zenoria begehrte.

Adam war jetzt selbst Kommandant, noch ein sehr junger, und seine erste Fregatte, die Anemone, kreuzte irgendwo auf See mit der Kanalflotte. Und das war gut so, solange sich die Lage nicht geklärt hatte.

Catherine warf ihren Mantel ab und musterte sich in einem hohen Spiegel: eine schöne Frau, beneidet, bewundert, gehaßt. Aber das alles ließ sie kühl. Sie sah nur die Frau, die Bolitho liebte. Lächelnd erinnerte sie sich an Alldays schlaue Bemerkung: ein Offizier des Königs. Nun ja …


Catherine war noch auf, als Bolitho abends ankam. Niemand hatte seine Ankunft angekündigt. Schnell schritt er durch die Türen auf sie zu, gab dem neuen Zimmermädchen Hut und Mantel und nahm Catherine in die Arme.

Sie küßten sich. Dann sah er sie an.

»Thomas Herrick wird vor ein Kriegsgericht gestellt!«

Sie legte ihm die Arme um den Hals. »Ich habe leider auch eine schlimme Nachricht für dich.«

Er hielt sie von sich ab, suchte in ihrem Gesicht. »Du bist doch nicht etwa krank, Kate? Was ist los?«

»Heute morgen kam eine Frau«, begann sie, »und hat eine Karte hiergelassen.« Ihre Stimme wurde brüchig. »Sie nahm wohl an, daß du hier bist.« Jetzt sah sie ihn direkt an. »Deiner Tochter geht es nicht gut. Die Botenfrau wollte nichts weiter sagen.«

Bolitho erwartete Bitterkeit oder Ablehnung in ihrem Blick, aber er fand nichts davon, nur Verständnis für etwas, das schon immer dagewesen war.

»Du wirst hingehen müssen, Richard«, sagte Catherine. »Ganz egal, was du von deiner Frau hältst oder von dem Komplott, das sie mit meinem verstorbenen Mann ausgeheckt hat. Weder du noch ich können einfach weglaufen.«

Sie berührte seine Wange unter dem verletzten Auge und sprach so leise weiter, daß er sie kaum verstehen konnte. »Manche nennen mich die Hure des Admirals, aber diese Leute tun mir eher leid, als daß ich sie verachte … Und wenn du mich so ansiehst wie jetzt kann ich dich kaum gehen lassen. Jedesmal, wenn wir uns umarmen, ist es wie beim ersten Mal.« Sie hob das Kinn, und er sah eine Ader an ihrem Hals pochen. »Was sollte also zwischen uns stehen, Liebster? Uns kann nur der Tod trennen.«

Sie drehte sich um und rief nach Allday, von dem sie ahnte, daß er in der Halle wartete. »Begleite ihn zu seiner Frau, Allday, dorthin kann ich nicht mitgehen. Es würde ihn nur belasten.«

Die Kutsche war wieder vors Portal gefahren. »Warte auf mich, Kate«, sagte Bolitho. Er wirkte bedrückt aber hellwach. Die Locke über seinem rechten Auge, jetzt fast weiß, bedeckte eine fürchterliche Narbe auf seiner Stirn. Abgesehen davon war es ein junges, mitfühlendes Gesicht. Ja, er hätte immer noch der Kapitän sein können, an den Allday sich erinnerte, einer, der Tränen über einen gefallenen Freund vergoß.

Sie schmiegte sich an ihn und berührte den alten Familiensäbel, den alle Bolithos auf den Porträts in Falmouth getragen hatten. »Wenn ich einen Wunsch frei hätte, möchte ich dir einen Sohn schenken, der eines Tages diesen Säbel tragen wird. Aber es geht nicht.«

Er hielt sie in seinen Armen und wußte, wenn sie jetzt die Fassung verlor, würde er sie nicht alleinlassen können, nie mehr.

»Du hast mal gesagt Kate, daß ich nach Liebe dürste wie die Wüste nach Regen. Daran hat sich nichts geändert. Ich will dich, der Rest ist Vergangenheit.«

Als die Tür zufiel, sah sie in die Diele hinunter, Yovell stand unten und polierte sorgfältig seine kleine, goldgeränderte Brille.

Laut sagte Catherine, als sei sie allein: »Wenn sie ihn wieder verletzt, bringe ich sie um!«

Yovell dachte an das, was vor ihnen lag: Herricks Kriegsgerichtsverhandlung, die Gerüchte um Kapitän Keens Ehe und jetzt dies. Vielleicht war es doch ganz gut, daß sie alle zum Kap segelten.