G.F. Barner – 130 – Gehetzt – gestellt – gehängt!

G.F. Barner
– 130–

Gehetzt – gestellt – gehängt!

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-433-0

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Drüben, noch zwanzig Schritt vom Office entfernt, bleiben die beiden Männer ruckhaft stehen.

Sie sind gerade aus dem hellen Saloon in die dunkle, frühe Nacht getreten und sehen so gut wie nichts. Zwar machen sie den Schatten des Wagens drüben unter dem Gehsteigdach aus, aber sie entdecken keine Bewegung dahinter.

Jemand sagt scharf: »Hoch mit ihm, schnell!«

Dann trampeln Stiefel los.

Im Saloon fährt Owen Sinclair, der gerade an einem Tisch Platz genommen hat, mit einem Ruck in die Höhe. Sinclair hört Pembrock schreien, er kennt seine Stimme genau und läuft sofort los.

Das Geld, denkt Sinclair erschrocken, großer Gott, es wird doch nicht jemand auf mein Geld…

»Raus, Marham, raus, schnell!« sagt er fluchend. »Die Hölle, das ist Pembrock, der um Hilfe geschrien hat.«

Zur selben Sekunde schleudert Sheriff Amos Carter, der in einem Buch gelesen hat, die Decke zu Boden. Carter ist mit einem Satz vom Sofa herunter. Der Schrei kommt von rechts. Und in dieser Richtung liegt die Bank.

Er greift nach der Lampe, dreht den Docht tief. Carter hört niemanden mehr um Hilfe schreien. Dann aber brüllt jemand laut von links: »Der Wagen fährt! Es ist am Wagen!«

Amos Carter stößt die Tür auf und will hinaus. Zur gleichen Zeit rennt drüben Owen Sinclair fluchend aus dem Saloon.

Und dann passiert es.

Der Mann, der jenseits der Straße und gut dreißig Schritt vom Saloon entfernt ist, hat das Gewehr hoch.

Ja, denkt Rowes, jetzt ist es passiert, ich habe gewußt, daß es ohne Geschrei nicht abgehen würde.

Er sieht über den Lauf des Gewehres hinweg den Sheriff im Office und könnte ihn erschießen.

Es ist seltsam, daß Rowes ganz genau schätzt, zu welcher Sekunde Amos Carter die Tür aufstoßen wird. Jetzt, denkt Rowes und drückt ab. Da, mein Freund, die Tür ist zu.

Die schwere Eichentür, beschlagen mit Eisenbändern, bekommt einen Hieb, der Sheriff Carter zurückschleudert. Grell jaulend klatscht die Kugel von der oberen Ecke der Tür ab. Die Tür prallt Carter vor den Kopf. Einen Moment lang sieht Carter Feuer. Er torkelt, fängt sich am Regal und flucht dann. Geduckt springt er zur Lampe und löscht sie. Dann ist er mit einem Satz quer durch den dunklen Raum und reißt sein Gewehr aus dem Ständer.

Ein Revolverschuß kracht gegenüber vom Office.

Dann brüllt Owen Sinclair: »Tausend Dollar für den, der den Wagen hält! Haltet den Wagen auf!«

Belfernd die Schüsse aus dem Revolver. Und dazwischen, grell und klagend, das Wiehern eines Pferdes.

Auf der Straße ist die Hölle los.

Sheriff Amos Carter ist am Fenster, duckt sich, äugt über die Fensterbank hinweg, dann sieht er den Mann.

Es ist Owen Sinclair, der aus seinem Revolver im Laufen feuert.

Rechts steht ein Wagen. Eins der Pferde ist zusammengebrochen. Der Wagen muß zu zwei Dritteln vor der Gassenmündung sein. Und in das restliche Drittel feuert Sinclair seine Revolverkugeln.

Leute rennen. Sinclair ist es, der zuerst erkannt hat, was passiert ist. Dort liegen zwei Männer auf dem Gehsteig, Pembrock und Benning.

Fluchend schießt Sinclair, läuft dabei, hört den Viehhändler und dessen Begleiter hinter sich. Er sieht das eine Pferd fallen und weiß es innerhalb einer Sekunde: Er hat den Plan dieser Burschen, die er nur wie dunkle Schatten gesehen hat, vereitelt.

Der Wagen hat die Gassenmündung absperren und jeden Blick in die Gasse verhindern sollen.

»Hölle und Pest!« flucht Sinclair, sieht eine Gestalt, hebt den Arm und bleibt stehen.

Der belfernde Knall seines Revolvers hallt über die Straße. Die Gestalt stolpert, knickt ein.

Getroffen, denkt Owen Sinclair.

Eine zweite Gestalt taucht neben dem zu Boden gegangenen auf. Er hebt den Mann an. Irgendein Name wird in der Gasse gerufen. Ein dritter Mann erscheint.

»Schießt!« brüllt Sinclair.

Er legt an, drückt ab, hört aber nur ein Klicken. Der Revolver ist leergefeuert.

Bis zu dieser Sekunde hat keiner jener Burschen gefeuert. Aber jetzt schießen sie, denn einer ist verwundet, einer wird von jemand weggeschleppt. Der Schütze deckt den Rückzug der anderen.

Eine Kugel schleudert Sinclairs Hut wirbelnd weg.

»Tausend Dollar für den, der sie erwischt! Tausend Dollar! Schießt doch.«

Hinter ihm schreit der Viehhändler, feuert. Im Rücken des Viehhändlers aber ist der Gehilfe dieses Mannes, ein harter Mann, ein Rauhbein. Und auch er feuert, sieht an seinem Boß vorbei, schießt hart rechts neben ihm vorbei auf die Gasse.

Und plötzlich…

Der Schatten, denkt Cheryll, der Gehilfe, noch, der Mann. Da ist…

Zu spät!

Der Mann, der vor seinem Boß nach rechts auf den Balken zurennt, bleibt urplötzlich stehen. Ein dumpfer, heiserer Schrei, dann fällt der Mann um.

Mein Gott, denkt Owen Sinclair, als er in den Rücken getroffen wird.

Dann dreht die Straße sich um ihn. Er stürzt. Allmächtiger, denkt er, ich kann ja keine Bewegung machen, nicht mal mit meiner Hand. Owen Sinclair, Boß einer Riesenranch und Raubrancher, ist von der Kugel aus Cherylls Revolver getroffen worden. Die Kugel hat seine Rückenwirbel gestreift.

Nur das linke Bein will gehorchen. Die Hände sind taub und steif, der rechte Fuß zu keiner Bewegung fähig.

Hinter ihm stiert Cheryll, das Rauhbein, auf seinen Revolver, aus dem der Rauch kräuselt. Er sieht den Mann am Boden. Und weiß, daß er ihn dorthin gebracht hat mit seiner Kugel.

»Großer Gott«, sagt Cheryll so laut, daß ein halbes Dutzend Leute es hören, »das – das wollte ich nicht. Ich habe Sinclair erschossen.«

Ganz deutlich hört Sinclair ihn reden. Seine Lähmung scheint sich zu verstärken.

Ich muß es bezahlen, denkt Sinclair. Ich habe sie alle getreten und versagt. Und sie haben gedroht…

Ein Knall. Danach Totenstille um ihn.

Er sieht nicht mehr, daß Anderson, der Viehhändler, sich umdreht und seinen Gehilfen anstarrt.

»Mensch, Cheryll, was hast du? Wie konntest du schießen?«

»Aber du warst vor ihm, ich konnte ihn nicht sehen. Er war plötzlich da, rannte mir vor den Revolver, Boß.«

Sinclair sieht nichts mehr – keinen Sheriff, der aus seinem Office stürmt, das Gewehr in der Faust. Er hört den Hufschlag nicht mehr, der über die Straße donnert und sich verliert.

Carter rennt auf den Balken vor dem Saloon zu, an dem die Pferde stehen. »Schnell, ein Pferd! Einer ist angeschossen. Dort läuft der andere. Hinterher, Leute!«

Als er auf dem Pferd sitzt und losprescht, ruft Mrs. Vandermeeren aus dem Fenster: »Amos, sie sind nach Norden. Ich habe sie genau gesehen. Fünf Männer.«

»Danke, Emely!«

Er weiß nicht, ob ihm jemand folgt, aber er rechnet damit, daß sich ein Dutzend Männer auf seine Fährte setzen werden. Benning und Pembrock werden dabeisein, denn auch Pembrock hat sich bewegt, als er vorbeijagte.

Wer war das? fragt er sich. Ich möchte wissen, wer sich das ausgedacht hat. Fünf Mann – Teufel, nein, es müssen sechs sein. Einer schoß auf meine Office­tür. Sechs Männer – wer? Und was haben sie gestohlen? Weshalb haben Benning und Pembrock am Boden gelegen? Warum sind die Burschen auf Sinclairs Leute losgegangen?

Er weiß es nicht, er kann nur raten, erinnert sich an die Herde, an den Viehhändler, den er einen Augenblick gesehen hat. Dann fragt er sich, ob es mit der Summe, die Sinclair für die gekauften Rinder hergeben mußte, zusammenhängen kann.

Gerechter, denkt Amos, dann müssen es ja fast zwanzigtausend Dollar gewesen sein.

Die Posse rückt auf.

Allen voran Benning, zusammengekauert auf seinem großen Falben. »Carter, wo sind die Kerle?«

»Irgendwo hier sind sie herausgeritten«, sagt Amos kühl. »Ich denke, wir werden es finden, Leute. Das beste wird sein, wenn wir uns teilen. Pembrock, willst du eine Gruppe nehmen?«

»Diese schmutzigen Paviane werde ich häuten«, flucht Pembrock. »Achtzehntausend Dollar weg, der Boß mit einer Kugel, die ihm das Rückgrat zerschmettert hat, am Boden. Der Doc sagt, er wird nie mehr gehen können. Hast du gehört, Carter? Er wird nie mehr gehen können. Wir müssen die Schurken fangen. Ohne Geld können wir uns nicht sehen lassen.«

Amos preßt einen Moment die Lippen zusammen. Sein Gedanke ist also richtig gewesen. Es ist den Burschen um das Geld für die Rinder gegangen.

»Warum sagst du nichts?« brüllt Benning schrill vor Wut. »Ich verlange, daß du etwas unternimmst, Mensch. Steht hier herum und starrt vor sich hin, als ginge es ihn nichts an. Ich habe es Owen ja gleich gesagt, als er dich holte. Du taugst nichts, du bist zu verdammt ehrlich und machst nichts mit, was krumm aussehen kann. Wozu hat er dich nur geholt, du Versager? Los, mach was, Mensch!«

»Hast du das Geld gehabt oder ich?« fragt Amos ruhig. »Habe ich es mir nehmen lassen? Ich sagte, daß wir zwei Gruppen bilden. Eine sucht flußabwärts, die andere nach Westen. Wer immer auf die Spuren stößt, schießt dreimal. Es wird gewartet, bis die andere Gruppe da ist, erst danach nehmen wir die Verfolgung auf. Es sind sechs Mann.«

»Und ein Frauenzimmer – oder einer, der Weiberkleider angezogen hat«, sagt Pembrock wütend. »Sie haben uns ausgetrickst auf eine so verdammte Art, daß jeder auf sie hereingefallen wäre. Der Wagen ist sicher nie auf einem Hof der Western Wyoming gewesen, die Gäule kommen sonstwo her, und der Alte war nie ein alter Mann. Der war verdammt schnell mit dem Stock.«

»Das kannst du mir unterwegs erzählen«, antwortet Amos. »Ihr fünf bleibt bei Benning. Wacht er auf, dann sagt ihm, er soll im Westen suchen. Wir reiten den Fluß abwärts. Irgendwo gibt es eine Fährte. Reitet nicht mehr als zwei Meilen nach Westen, dann nehmt das andere Ufer. Verstanden ?«

»Ja«, brummt einer der Männer. »Amos, sie sollen einen Verwundeten haben.«

»Das kann sie aufhalten. Wer weiß aber, ob sie auf ihn Rücksicht nehmen.«

Die Männer preschen wieder los.

Als sie die zweite Meile hinter sich haben und keine Fährte aus dem Wasser führt, reiten sie durch den Fluß. An jeder Furt haben sie nachgesehen, aber nirgendwo ist jemand herausgeritten. Vor ihnen liegen die Berge, keine zehn Meilen entfernt. Sie lauschen, aber es fällt kein Schuß, also hat Benning auch nichts gefunden. Neben ihnen gurgelt das Wasser.

»Was ist, verdammt?« fragt Pembrock. »Ich sage dir, Mann, wenn wir ohne das Geld nach Hause kommen, dann feuert Sinclair uns. Er kann noch immer reden, auch wenn er gelähmt ist. Hat er das Geld nicht, dann nimmt Anderson seine Rinder wieder mit. Die Transportkosten aber muß Owen zahlen. Und das Geld ist auch weg. Er wird dann Jahre brauchen, um es wieder hereinzubekommen. Achtzehntausend Dollar kann er auch nicht einfach abstreichen. Das macht ihn beinahe arm.«

Beinahe, denkt Amos, nur beinahe, was? Ich wollte, er wäre wirklich arm gewesen und geblieben. Als ich ihn vor neun Jahren kennenlernte, spekulierte er im Rindergeschäft. Damals war er noch anständig, wenn auch hart, aber so gemein wie hier… Hat er gedacht, ich würde das decken oder ihm sogar noch helfen? Owen taugt nichts mehr. Man könnte ihn einen Banditen nennen.

»Hast du die Sprache verloren, Carter?« mault Pembrock. »Was wollen wir machen, warten?«

»Ja, auf Benning und die anderen«, erwidert Amos. »Das ist jetzt das beste, was wir tun können. Ich wette, die Burschen sind nach Osten, aber irgendwo müssen sie aus dem Fluß sein. Den Platz müssen wir finden. Du kannst hierbleiben und auf Benning warten, wir anderen suchen weiter – an dieser Seite«, erwidert Amos. »Kommt uns dann nach.«

Er nimmt die Zügel hoch und reitet an. Hinter ihm flucht Pembrock. Die anderen halten sich neben und hinter Amos, der dicht am Flußufer reitet.

*

»John, wie weit noch?«

»Bis dicht an den Wagen, Junge.«

»Und wenn sie sehen, wo wir herausgeritten sind, John?«

»Das sollen sie«, sagt er ganz ruhig. »Sie werden nichts entdecken, nur sechs Pferdespuren, genauso viele, wie zum Fluß geführt haben. Sechs Pferde, sechs Männer, Rod. Daß auf zwei Pferden nur Säcke liegen, das ahnen sie nicht. Die Pferde hinterlassen genauso tiefe Eindrücke wie andere, auf denen jemand reitet, Rod.«

»Du bist klug, John.«

»Nein, dann hätte ich das alles nicht getan, Rod. Ich bin nicht klug, ich bilde mir nur ein, daß ich denken kann.«

»Und kannst du denken wie Amos Carter? Weißt du, was er tun wird?«

»Ich glaube, ich weiß es, Junge. Er wird die Spuren sehen und sich sagen, daß wir dort aus dem Wasser geritten sind. Auf den Einfall, daß es nur vier sind, kommt er niemals. Er sieht nichts von einer Landestelle, kein Floß, gar nichts. Vor ihm sind sechs Fährten, die auf die Berge zulaufen. Die verfolgt er. Er ahnt nichts von meinem Wagen, nichts davon, daß wir beide auf dem Floß sind. Wir fahren weit genug, dann stoßen wir an das Ufer. Ich werde das Floß zerstören und die Stämme einzeln treiben lassen. Es treiben viele Stämme im Fluß, und sie treiben sehr weit fort von hier. Verstehst du?«

»Ja, sicher. Aber wenn er die anderen nicht findet und sieht noch einmal am Fluß nach? Wenn er auf die Wagenspuren stößt?«

»Morgen findet er keine mehr, auch die beiden Pferde nicht. Wer mich fahren sieht, der wird zwei Pferde vor und zwei hinter dem Wagen sehen. Ich handele auch mit Pferden, Junge, also habe ich sie gekauft. Wer weiß schon wo?«

»Dann sind wir hier ganz sicher, John?«

»Ich weiß keinen besseren Platz, Junge.«

Danach schweigt er. Das Wasser gurgelt um sie, klatscht manchmal an den Stämmen hoch. Rod Cartney sieht zu ihm hin.

Seltsam, denkt Rod, ich weiß nicht viel von ihm. Niemand kennt ihn ganz genau. Er ist immer freundlich und hilfsbereit gewesen, er hat manchem Geld geliehen, nicht viel, aber die meisten haben ab und zu bei ihm im Store Schulden machen müssen. Als sie uns verjagten, diese Halunken von Owen Sinclair, konnten wir nicht mehr bezahlen. Was hatten wir denn noch? Und er…

Laßt euch Zeit, ich kann warten. Vielleicht kommt der Tag, an dem ihr genug Geld habt, wie?

Ob er das damals schon geplant hat? denkt Cartney. Er sagt nie etwas, wenn es nicht Hand und Fuß hat. Als ich ihm sagte, ich würde es Sinclair heimzahlen und ihm Pferde oder Rinder stehlen, sagte er: »Pferde – Rinder, Rod? Wie willst du die denn wegschaffen? Wie weit kommst du, bis sie dich haben und dich am nächsten Ast aufhängen? Ich wüßte schon, wie man Sinclair treffen könnte, aber dazu brauchte ich Männer und keine Burschen, die blindlings nach Rache schreien und sich dabei selbst umbringen.«