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James Anderson

Desert Moon

Roman

Aus dem Amerikanischen von Harriet Fricke

Herausgegeben von Wolfgang Franßen

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Copyright: 2016 by James Anderson
Originaltitel: The Never-Open Desert Diner

Für Bruce Berger, der die Wüste liebt, und
James A. Lawson, der das Cello liebt
.

In Erinnerung an die folgenden Autoren und ihre Figuren, die,
ob real oder imaginär, für mich zu besten Freunden wurden:

Ross Macdonald (1915 – 1983)
für Lew Archer (California)

John D. MacDonald (1916 – 1986)
für Travis McGee (Florida)

James Crumley (1939 – 2008)
für Milo Milodragovitch (Montana)

Robert B. Parker (1932 – 2010)
für Spenser (Boston)

Stephen J. Cannell (1941 – 2010)
für James Rockford (California)

und besonderen Dank an Sterling Watson,
der diese Freundschaften am Leben erhalten hat.

Ist das nicht dein Leben? Ein uralter Kuss,
der dir noch immer die Augen ausbrennt?
Ist dein Scheitern nicht so absolut, dass die Kirchenglocke
nur noch
eins verkündet: Läute und niemand kommt?
Ist das bei leeren Häusern nicht ebenso?

Richard Hugo, »Schattierungen von Grau in Philipsburg«

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Dank

1

Eine rote Sonne balancierte auf dem Horizont, als ich beim Well-Known Desert Diner ankam. Die Ecken des Hauses waren von den langen Schatten des Sonnenaufgangs umwoben, und am heller werdenden Himmel hing noch der weiße Vollmond. Ich parkte meinen Truck vor der Umgrenzung des Schotterparkplatzes. An der Tür des Diners hing das »Geschlossen«-Schild. Links daneben stand, wie in Trauer um Superman, eine schwarze Telefonzelle. Darin hing noch ein echtes Telefon mit Wählscheibe, deren zehn weiße Ziffern beim Drehen laut schnarrten. Im Gegensatz zu den Geräten im Film funktionierte dieses sogar – sofern man genügend Nickels in der Tasche hatte.

Neugier war für mich eigentlich nie ein Thema gewesen. Ich behandelte sie wie den schlafenden Wachhund eines Schrottplatzes. Regel Nummer eins: Niemals über den Zaun springen. Unschöne Narben auf meinem Rücken erinnerten mich an die wenigen Male, als ich gegen die Regel verstoßen hatte. Nur, weil man den Hund nicht sieht, heißt das noch lange nicht, dass er nicht da ist. Natürlich spähe ich hin und wieder durch den Zaun. Was ich dort sehe, behalte ich für mich.

An diesem Montagmorgen Ende Mai kam ich dem Zaun gefährlich nahe. Walt Butterfield, der Inhaber des Diners, war ein Schrottplatz-Unitarier: Er war seine eigene Ein-Mann-Gemeinde und sein eigener Wachhund. Sein Schrottplatz war der Well-Known Desert Diner, und Walt biss einem die Kehle durch, ohne vorher zu knurren oder zu kläffen. Ich mochte ihn und seinen Schrottplatz. Der Laden war so was wie ein Schrein. Über die Jahre hatte ich es mir angewöhnt, dort regelmäßig eine Pause einzulegen und mich in wilden Fantasien und müßigen Spekulationen zu ergehen. Selbst wenn ich bei Walt nichts abzuliefern hatte, war er meine erste Station. An manchen Tagen auch die letzte.

Aus reiner Gewohnheit drückte ich die Klinke. Die Tür war verschlossen. Wie immer. Das war das Gesicht, das Walt der Welt zeigte. Er schlief in der ehemaligen Vorratskammer, gleich neben der Küche. Hinter dem Diner, am Ende eines breiten Kieswegs, stand eine etwa fünfzehn mal dreißig Meter große Stahlblechhütte aus dem Zweiten Weltkrieg. Hier wohnte Walt in Wahrheit, mit seinen Motorrädern, den Werkzeugen, Ölkanistern und unzähligen Kisten mit Ersatzteilen, aufgetürmt bis zur Decke.

Zu Walts Sammlung gehörten neun der schönsten und exklusivsten Maschinen, die je über die Straßen von Amerika und Europa gedonnert waren, darunter auch seine allererste, eine 1948er Vincent Black Shadow. Auf diesem Motorrad war er, die schmale Taille von seiner koreanischen Kriegsbraut umschlungen, vor Jahrzehnten auf den Kiesweg des Diners eingebogen, der damals noch Oasis Café hieß. Er war zwanzig. Sie war sechzehn und konnte kein Wort Englisch. Ein Jahr später, 1953, hatten sie den Laden gekauft.

Walt hielt den Diner, wie alles in seinem Leben, in makelloser Ordnung. Ich schaute durch die Glastür auf die lindgrünen Plastikbezüge der sechs Sitznischen und zwölf Barhocker. Das Bataillon gläserner Salz- und Pfefferstreuer stand stramm. Die Einfassung des Tresens strahlte mir ihr ewiges Chrom-Lächeln entgegen. Die braunen und elfenbeinfarbenen Linoleum-Fliesen waren wie immer blank gebohnert. An der Wand gegenüber thronte die 1948er Wurlitzer-Jukebox. Hinter dem Tresen, über der Durchreiche aus Edelstahl, hing derselbe Bestellzettel wie immer leblos an einem Haken. Soweit ich wusste, handelte es sich um die letzte Bestellung eines zahlenden Kunden, aufgegeben vermutlich im Herbst 1987.

Ich ging zum Truck zurück, lud die schwere Kiste mit Motorradteilen ab und karrte sie zur Hütte. Letzten Mittwoch hatte Walt aus New York eine ungewöhnliche Sendung erhalten – sechs Pakete, alle unterschiedlich groß. Nicht unhandlich und schwer wie die Motorradteile, aber das war nicht das Einzige, was mir an ihnen aufgefallen war. Auf jedem Paket stand zwar eine andere New Yorker Rücksendeadresse, doch aufgegeben hatte sie ein und dieselbe Person: Chun-Ja. Kein Nachname. Sie waren im Doppelpack angekommen und alle am selben Tag verschickt worden, jeweils zwei mit einem der drei großen Kurierunternehmen – FedEx, UPS und DHL. Wegen einer Sondervereinbarung fuhr ich für FedEx und UPS, nicht aber für DHL.

Ich hatte meine vier Pakete neben die beiden vom DHL-Fahrer gestellt. Am Freitagmorgen standen sie immer noch dort. Zwei Tage und Nächte waren sie nicht angerührt worden. Das war nicht nur ungewöhnlich, in all den Jahren, die ich Walt nun schon belieferte, war es kein einziges Mal vorgekommen.

Es konnte nur eine Erklärung geben: Walt war verreist. Allerdings hatte er, soweit ich wusste, keine Familie oder Freunde und auch sonst nichts und niemanden, wo er hinkonnte. Da er schon älter war, lag die Vermutung nahe, dass er eines natürlichen Todes gestorben war und steif wie ein Brett in irgendeiner Ecke seines Diners oder seiner Werkstatt lag. Oder er war mit einem seiner Motorräder in der Wüste verunglückt. Wer Walt kannte, wusste, wie weit hergeholt solche Todesszenarien waren.

Ich klopfte gegen die Tür der Hütte. Ein Mal. Walt hörte sehr gut. Mit neunundsiebzig Jahren war fast alles an ihm noch so, wie es sein sollte, abgesehen von seinem Verhalten gegenüber anderen. Wo auch immer er sich auf seinem Grundstück aufhielt oder was er gerade tat, sein sechster Sinn verriet ihm, wenn jemand in der Nähe war. Entweder tauchte er dann im nächsten Moment von alleine auf oder er ignorierte einen einfach. Dann war es das Schlauste, so schnell wie möglich wieder abzuziehen. Mit Rufen und Hämmern zog man sich nur seinen Zorn zu. Und wenn es auf diesem Planeten einen fast Achtzigjährigen gab, den man nicht gegen sich aufbringen wollte, dann Walt Butterfield.

Vermutlich war ich der einzige Mensch, der seine Werkstatt in den letzten zwanzig Jahren oder länger von innen gesehen hatte. Doch die gelegentlichen Ausflüge in Walts Welt, stets auf schroffe Einladung hin, dauerten nur so lange, bis ich die Sackkarre entladen hatte.

Ich stellte den neuen Karton mit Ersatzteilen neben die Tür und machte, was am Vernünftigsten war. Dass Walt nicht auf mein Klopfen reagiert hatte, war mein Glück. Sonst hätte ich womöglich etwas richtig Dummes getan und ihn gefragt, wo er gesteckt hatte und was in den sechs Paketen gewesen war.

Eigentlich hoffte ich immer, Walt zu erwischen oder vielmehr, ihn in einem Moment anzutreffen, wenn er erwischt werden wollte. Wenige Male hatten wir zusammen im geschlossenen Diner gesessen. Hin und wieder sagte er was, meistens nicht. Wenn er reden wollte, hörte ich ihm zu. Bei ein, zwei Gelegenheiten hatte er mir sogar ein Frühstück gemacht. Er wohnte länger in der Gegend als jeder andere oder wenigstens jeder mit genügend Grips und verlässlichem Gedächtnis.

Entschlossen, keinen weiteren Gedanken an die merkwürdigen Pakete oder Walts Abwesenheit zu verschwenden, kehrte ich zum Truck zurück. Die großen Rätsel des Lebens interessierten mich herzlich wenig. Wer die Pyramiden erbaut hat oder ob Cortés homosexuell gewesen war, das waren Fragen, die meine Neugier-Messnadel nicht ausschlagen ließen. Aber Walts Abwesenheit und die seltsamen Pakete waren unwiderstehliche Rätsel. Der Diner und ich musterten uns. Wie Walt blickte auch er auf eine lange, bewegte Geschichte zurück.

Der 191 ist der Highway, auf dem man Price, Utah, in Richtung Norden oder Süden verlässt. Im Norden liegt Salt Lake City. Im Süden erreicht man erst Green River, später Moab. Die Abzweigung zur State Road 117 liegt etwa zwanzig Meilen außerhalb der Stadtgrenze von Price. Zehn Meilen weiter östlich, an der 117, liegt linker Hand, mitten im zerklüfteten Niemandsland, der Well-Known Desert Diner.

Von 1955 bis 1987 hatte der Diner in Dutzenden von B-Movies mitgespielt. In Wüsten-Horrorfilmen, Wüsten-Bikergang-Filmen und Filmen, in denen jemand, meistens eine attraktive junge Frau, durch die Wüste fährt und etwas Schreckliches erlebt.

Hin und wieder stößt man auf einem Privatsender im Fernsehen auf eine dieser Low-Budget-Perlen. Sobald der Diner auf dem Bildschirm auftaucht, sitze ich wie gebannt davor. Zu meinen Lieblingsfilmen zählen solche mit Atommonstern oder Aliens, die Wüstenkäffer terrorisieren. Am Ende gewinnen immer die Einwohner und retten nebenbei den ganzen Planeten. Dafür benötigen sie meistens nicht viel mehr als eine Autobatterie, eine Handvoll Winchester-Gewehre und einen durchreisenden Professor, der eine verrückte Theorie hat – und eine schöne, wilde Tochter.

Der Diner wurde 1929 erbaut. Wegen der hellen Kieseinfahrt, der altmodischen Zapfsäule mit dem Glaszylinder und der weißen Lehmwände mit den grünen Fensterrahmen wirkt der Diner vertraut, wie ein Zuhause, das man sein Leben lang gekannt, aber nie besucht hat. Selbst hartgesottene, sonnenverbrannte Trucker drosseln im Vorbeifahren das Tempo und lächeln in sich hinein.

Zwei große Reklametafeln, eine in Richtung Süden, eine in Richtung Norden des Highway 191 machten Werbung für den Diner. »Hausgemachter Kuchen … eiskalte Getränke … gleich sind Sie da.« Die Tafeln waren uralt und verwittert. Über die Jahre hatten so viele Leute angehalten und den Diner verschlossen vorgefunden, dass ein aufgebrachter Autofahrer mit Sprühfarbe auf das nach Norden zeigende Schild geschrieben hatte: »Desert Diner – immer zu!« Das stimmte zwar nicht ganz, kam der Wahrheit aber ziemlich nahe. In den wenigen Ausnahmefällen hatten diejenigen, die die Tür offen und Walt hinter dem Tresen vorgefunden hatten, eine böse Überraschung erlebt. Insgeheim hatte ich den Verdacht, Walt würde das »Geschlossen«-Schild in unregelmäßigen Abständen runternehmen und die Tür aufschließen, nur um Leute anzulocken und sie gleich wieder zum Teufel zu jagen.

Ich leerte den Rest Kaffee aus meiner Thermoskanne in den Becher und dachte, ich konnte im Grunde ganz zufrieden sein. Dabei lief das Geschäft so mies, dass ich meinen Diesel nur noch mit Visa-Karte bezahlen konnte und mich ständig fragen musste, ob ich den nächsten Monat überstehen würde. Trotzdem hatte ich jeden Morgen beim Aufwachen den Eindruck, auf dem richtigen Weg zu sein. Noch war mein Glück nicht ganz aufgebraucht, obwohl ich mich in letzter Zeit immer öfter wie ein Erwachsener fühlte, der noch bei seinen armen, gebrechlichen und wunderlichen Eltern wohnt – was durchaus möglich gewesen wäre, sofern ich denn welche gehabt hätte.

In Wahrheit war ich nicht annähernd so glücklich und zufrieden, wie ich es früher einmal gewesen war. Allmählich machte sich kalte Verzweiflung in mir breit. Die Dinge mussten sich ändern. Das war mein Wunsch. Und wie die meisten Leute, die Veränderung herbeisehnen, wünschte ich mir gerade so viel davon, dass alles beim Alten blieb, nur eben einen Tick besser wurde.

Der Highway vor mir rekelte sich in der Sonne. Er gehörte mir, ein schönes Gefühl. Dass er nur mir gehörte, weil ihn sonst niemand haben wollte, störte mich nicht. Die Bremsen zischten, ich schaute noch einmal zum Diner, bevor ich auf die 117 fuhr, um den Rest des Tages hinter mich zu bringen.

2

Der viele Kaffee machte sich ein paar Meilen hinter dem Diner bemerkbar. Ich suchte nach einem Platz, groß genug, um den knapp zehn Meter langen Truck sicher abzustellen. Vor mir tauchte eine schmale Ausweichbucht auf. Sie lag hinter einer langen sanften Kurve, fast versteckt am Fuß eines kleinen Hügels. Es war keine Ausweichbucht, sondern eine Straße, aber das wurde mir erst klar, nachdem ich angehalten hatte und ausgestiegen war. Man spürt es unter den Sohlen, wenn man auf Schotter und Sand tritt. Dieser Boden war wesentlich härter.

Ich kratzte mit der Stiefelspitze im Sand und bemerkte erstaunt, dass ich eine helle Betonplatte freigelegt hatte. Ich folgte dem betonierten Weg etwa fünfzig Meter den Hang hinauf. Auf der Kuppe des Hügels standen zwei Ziegelsteinpfeiler, verbunden durch einen schmiedeeisernen Bogen. Darin der schnörkelige Schriftzug »Desert Home«.

Schon merkwürdig, dass mir das Tor nie aufgefallen war. Immerhin kam ich seit zwanzig Jahren an fünf Tagen der Woche zweimal täglich daran vorbei. Unten raste ein Auto über die Straße. Selbst wenn man nach den Pfeilern gesucht hätte, standen sie gerade so weit von der Straße entfernt, dass man sie nur mit Mühe entdeckt hätte. Trotz der Höhe meines Fahrerhauses und der ansteigenden Fahrbahn hatte ich das Tor von der 117 aus nie gesehen.

Einen Augenblick lang betrachtete ich das, was einmal ein stattliches Eingangstor gewesen war. Der geplatzte Lebenstraum eines Menschen – vermutlich eine Ranch. Ich schaute nach unten, dann weiter in die Ferne und entdeckte mehrere flache, ausgetrocknete Bachläufe, alle miteinander verbunden.

Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, was es in Wahrheit war. Keine Bachläufe, sondern Wege und Straßen, die das Versprechen, jemanden nach Hause zu führen, nie gehalten hatten. Mit einer Ausnahme, eine Art Musterhaus, das in der flachen Ebene steckte wie ein hartnäckiger letzter Zahn in einem ansonsten leeren Kiefer. Den Hügel runter, ein paar Hundert Meter zu meiner Rechten.

Eine Windböe wirbelte eine winzige Sandhose zu meinen Füßen auf. Mein Bedürfnis meldete sich zurück. Sich im Wind zu erleichtern, kann schnell schiefgehen. Die Einsamkeit, die sich vor mir auftat, schien mich förmlich heranzuwinken, und das einstöckige Haus lockte mit seinem Windschatten. Dass ich dabei über einen fremden Zaun springen könnte, kam mir nicht in den Sinn.

Während ich den Hügel hinabstieg und auf das Haus zumarschierte, konnte ich die spielenden Kinder und das fröhliche Stimmengewirr von Familien beim samstäglichen Grillen beinahe hören. Es war eine Geisterstadt, ohne Stadt und ohne Geister, denn hier hatte nie ein Mensch gelebt. Aber es waren gar nicht mal Geister, die ich mir vorstellte, mehr die Geister von Geistern, und in ihrer Gegenwart fühlte ich mich seltsam gut aufgehoben.

Dafür, dass es seit wer weiß wie vielen Jahren den Elementen ausgesetzt war, war das Musterhaus erstaunlich gut in Schuss.

Gut möglich, dass ich, wie die meisten Waisen, viel zu oft über Häuser nachdachte. Ich beurteilte sie nach eigenen Kriterien – zuerst die Fenster, vor allem ihre Lage. Dann die Veranda: Gab es eine und in welche Richtung blickte sie? Ich mochte Veranden, besonders solche, die nach Osten gingen. Zum Schluss das Dach. Hohe Dächer konnte ich nicht leiden. Wenn ich einen Hut haben wollte, würde ich mir einen Hut kaufen. Ein hohes, spitzes Dach schreckte mich aus irgendeinem Grund ab.

Das Haus lag allein in einem Bett aus Sand, seine Fenster waren intakt, sauber und etwas tiefer eingesetzt. Die Veranda blickte nach Osten, in Richtung der mit Lichtsprenkeln übersäten Mesa in etwa fünfzig Meilen Entfernung. Wie jeder Wüstenbewohner weiß, lässt sich die wahre Schönheit eines Sonnenuntergangs in der Wüste erst genießen, wenn man nach Osten schaut, also erstaunlicherweise weg von der Sonne. Ein einzelner verwitterter grüner Gartenstuhl thronte auf der Veranda. An einem schönen, kühlen Abend hätte man hier herrlich sitzen können. Dazu hatte das Dach eine sanfte Schräge, die den Himmel willkommen hieß, statt ihm zu drohen.

Ich ging ums Haus herum. Nichts deutete darauf hin, dass hier jemand wohnte oder jemals gewohnt hatte. Auf der Rückseite blieb ich stehen und genoss den unverbauten Blick in Richtung Westen bis hin zur Wasatch Gebirgskette. Auf der Südseite des Hauses wehte der Wind am schwächsten. Ich trat ganz nah heran und legte die Stirn an die schattige Wand, gleich unter einem sauberen Fenster. Umgeben von grenzenloser Freiheit und wunderschöner Landschaft öffnete ich die Gürtelschnalle, um mich der lang ersehnten Erleichterung hinzugeben.

Im Schatten war es beinahe still. Nur der Wind beklagte sich mit einem hohen Pfeifen, während er in die Dachrinne über mir hinein- und herausschlüpfte. Als ich zu dem Geräusch aufschaute, wanderte mein Blick am Fenster hoch – das Küchenfenster, vermutlich. Und in diesem Bruchteil einer Sekunde sah ich den missbilligenden Blick einer Frau.

Mir wurde schon oft vorgeworfen, ich würde mich schlecht benehmen. Meistens habe ich die Vorwürfe geschluckt, hin und wieder sogar vergnügt bekräftigt. Jemandem ans Haus zu pinkeln, ganz gleich wie bescheiden oder abgelegen es auch sein mochte, stand bisher nicht auf der Liste meiner Vergehen. Das war kein schlechtes Benehmen mehr, das war eine unverzeihliche Dummheit. In der Wüste von Utah konnte man sich dafür leicht eine Kugel einfangen.

In meiner Eile, mich aus der Schusslinie zu begeben, rutschte mir die Jeans bis zu den Knien runter. Ich taumelte rückwärts, fiel hin. So sehr ich auch dagegen ankämpfte, es floss munter weiter, während ich hilflos zappelnd auf dem Boden lag. Ich musste verdammt viel Ähnlichkeit mit einem billigen Rasensprenger von Walmart haben. Fehlten nur noch ein paar Gören im Badeanzug, die über mich rüberhüpften – und natürlich der Rasen.

Als ich das Schleusentor endlich unter Kontrolle und mich wieder aufgerappelt hatte, war das Gesicht im Fenster verschwunden. Aber gesehen hatte ich es. Ganz sicher. Ich ging zur Vorderseite des Hauses und suchte noch einmal nach Anzeichen von Bewohnern. Keine Spur, weder von Mensch noch Maschine. Nichts hatte mich davor gewarnt, dass ich ein Privatgrundstück betrat. Ich entschuldigte mich bei der Veranda. Und wartete. Ich machte mich noch einmal bemerkbar, etwas lauter. Nur der Wind antwortete. Ein paar Meter weiter, ich stieg schon den Hügel hinauf, rief mir eine Frauenstimme hinterher, ich solle verschwinden. Das musste sie mir nicht zweimal sagen – selbst einmal war zu viel.

Unter dem Torbogen drehte ich mich um und schaute zum Musterhaus mit seinen intakten Scheiben und dem Stuhl auf der nach Osten blickenden Veranda. Zurück beim Truck spähte ich zum Tor hoch, das tatsächlich gerade so weit auf dem Hügel und von der 117 entfernt stand, dass es von der Straße aus fast unsichtbar war. Ich fragte mich, ob man es absichtlich so aufgestellt hatte.

Die Lacey-Brüder waren meine nächste Station. Während der Dreißig-Meilen-Fahrt redete ich mir gut zu, den kleinen Zwischenfall so schnell wie möglich zu vergessen. Schließlich war ich kein skrupelloser Hausanpinkler. Aber da war noch das Gesicht, das ich mir leicht in Erinnerung rufen und nur schwer wieder vergessen konnte. Vielleicht war es nicht so schön wie in der Werbung oder auf den Titelseiten der Hochglanzmagazine. Das Gesicht war auf ganz eigene Art markant gewesen, hohe Stirn, breite Nase, scharf geschnittene Lippen, alles eingerahmt von dichtem, schwarzem, sanft über die Schulter fallendem Haar. Ein Gesicht, das noch lange nachwirkte.

3

Meine Firma Ben’s Desert Moon Delivery Service bestand aus einer Zugmaschine, einem Trailer und einem Fahrer: ich, Ben Jones. Etliche Jahre zuvor hatte ich wegen einer gleichermaßen glücklichen wie tragischen Fügung Exklusivverträge mit FedEx und UPS abschließen können. Meine hundert Meilen umfassende Route entlang der 117 führte mich durch eine besonders abgelegene Gegend in der Hochwüste von Utah. Die State Road endete abrupt vor dem granitenen Gesicht der hoch aufragenden Mesa, kurz hinter dem ehemaligen Bergbaustädtchen Rockmuse, Einwohnerzahl: 1.344. Auch für kleinere Speditionen übernahm ich Touren. Meine Brötchen – und in letzter Zeit waren das verdammt kleine Brötchen – verdiente ich vor allem damit, dass ich von den wenigen über die Wüste verstreut lebenden Leuten Bestellungen entgegennahm und sie mit dem Lebensnotwendigen versorgte.

Ich belieferte einsam gelegene Ranches und kauzige Wüstenratten, die in Blech-Wohnwagen hausten, in der braunen Ferne schimmernd wie an den Horizont genagelte Alufolie. Ob Rancher oder verrückte Wüstenratte – sie versteckten sich freiwillig zwischen Sand, Steinen und Steppenläufern und waren nur über meilenlange namenlose Schotterpisten zu erreichen.

Es war eine besondere Spezies. Ich kannte sie alle, obwohl man mit den Worten, die wir jemals gewechselt hatten, nicht mal eine Postkarte hätte füllen können. Mit drei, vier Sätzen wurden ganze Lebensgeschichten erzählt, als Satzzeichen diente ein Blinzeln, eine Handbewegung. Zwischen Hallo und Tschüss lag eine dicke Scheibe Schweigen, und sie erzählte eine Geschichte, die man beim besten Willen nicht vergessen konnte. In der Hochwüste waren Gespräche rationiert wie Wasser, jeder Tropfen ein kostbares Gut, denn er enthielt ein ganzes Leben.

Fergus und Duncan Lacey wohnten etwa eine Meile von der 117 entfernt, in zwei vom Sand stellenweise blank gewetzten, roten Frachtwaggons, die sie zusammengeschweißt und auf einem Fundament aus grauen Betonblöcken aufgebockt hatten. Keine Ahnung, wie lange die Brüder dort schon lebten, woher sie stammten, wie alt sie waren und ob sie noch etwas anderes taten, als sich eine magere Herde Rinder und Pferde zu halten. Sie redeten nicht darüber, und ich fragte nicht nach. Wie die Waggons mitten in die Wüste gelangt waren, obwohl es im Umkreis von fünfundsiebzig Meilen keine Bahngleise gab, war ein unerklärliches Rätsel. Ich zerbrach mir darüber den Kopf, wann immer ich daran dachte, was wahrscheinlich viel zu oft vorkam.

Fergus hatte mich schon minutenlang dabei beobachtet, wie ich, begleitet vom Ächzen und Klappern des Trucks, über die von Furchen und Löchern durchzogene, namenlose Straße eierte. Als ich in den staubigen Wendehammer einbog, lehnte er an einer großen Holztrommel, auf der früher dicke Kabel aufgewickelt gewesen waren. Zwei graue Milchkisten aus Plastik dienten als Stühle, obwohl ich die beiden Brüder nie darauf sitzen sah. Diese Gartenmöbel waren wohl für Besucher reserviert, zu denen der eine oder andere verirrte Kojote oder Bussard zählen mochte, aber sonst niemand.

Die Lacey-Brüder waren klein, knochig, rauflustig und trugen die Jahre in der Wüste wie eine lederne Rüstung. Vom ehemals roten, stahlwolligen Haar waren nur noch ein paar kurze, orange-weiß melierte Flechten übrig, die hinten und an den Seiten der so gut wie nie abgenommenen, schmutzigen Stetsons hervorlugten. Wegen der schief abgetretenen Stiefelabsätze sahen sie aus, als würden sie ständig mit starkem Seitenwind kämpfen, der gegen sie keine Chance hatte. Selbst im Winter trugen sie T-Shirts und von roten Hosenträgern gehaltene Jeans. Auch die klaren, eisblauen Augen wiesen sie als Brüder aus. Ohne jemals zu blinzeln, erledigten die Augen die ganze Arbeit für ihre bartstoppeligen Gesichter.

Zur Begrüßung schob Fergus die Krempe seines schweißfleckigen Huts ein, zwei Zentimeter nach unten. Zusammen luden wir drei Rollen Stacheldraht und zehn Kartons Dosen-Chili ab. Wie immer stapelten wir alles neben den Waggons auf. Er setzte seine Unterschrift auf den Lieferschein und bezahlte in bar. Da mein Job erledigt war, drehte ich mich zum Gehen.

Fergus hisste einen Arbeitshandschuh. »Warte, Ben.«

Duncan kam mit einer flachen Aluschale aus dem Waggon. »Geburtstagskuchen«, rief er.

»Welcher von euch alten Säcken hat Geburtstag?«, fragte ich.

Duncan stellte den Kuchen, der eigentlich keiner war, auf den hölzernen Kabeltrommeltisch. Die beiden Brüder wechselten einen Blick und schauten dann mich an.

»Du hast Geburtstag, Arschloch«, sagte Duncan.

Beide lachten.

Ich lüpfte meine Cap und fuhr mir mit dem Handrücken über die schwitzende Stirn. »Muss wohl stimmen«, sagte ich. Es stimmte nicht.

Etwas wanderte zwischen den beiden hin und her, ein unausgesprochener Gedanke, unter Brüdern vermutlich keine Seltenheit. Duncan brummelte einen Fluch und verschwand im Innern der Waggons.

Fergus schüttelte den Kopf. »Tu bitte so, als ob du dich freust. Duncan kriegt in letzter Zeit häufig so einen Rappel. Irgendwie glaubt er, du hast Geburtstag. Stimmt nicht, oder?«

»Nein.«

Fergus schnupperte im Wind. »Nicht, dass es mich stört, aber ich glaub, du hast dir in die Hose gepisst.«

Mir war nicht nach einer Erklärung, deshalb ignorierte ich seine Bemerkung.

In den Waggons hörte man es rumpeln und scheppern. Fergus seufzte lang gezogen und nachsichtig. »Ich geh ihm mal helfen.«

Einen Augenblick später tauchten sie zusammen wieder auf. Nach all den Jahren als Trucker erkannte ich eine Warnfackel auf den ersten Blick. Duncan hielt eine in der Hand. Fergus drei Dosen Bier. Wir trafen uns am Tisch.

Duncan begutachtete den Kuchen. »Maisbrot mit Jalapeños«, sagte er. »Mit Velveeta überbacken.« Dem Stolz in seiner Stimme nach zu urteilen, hielt er die Schmelzkäse-Glasur für eine Erfindung auf einer Stufe mit Penizillin und Toilettenpapier.

Auf dem orangenen See aus Käse schwamm ein verkohltes B. »Die Idee mit deinem Anfangsbuchstaben aus Speck war von mir«, erklärte Fergus.

Ich nickte und versuchte, das richtige Maß an unaufrichtiger Begeisterung an den Tag zu legen.

Duncan zog die Schutzkappe mit den Zähnen von der Fackel und strich, die Kappe noch im Mund, mit dem Zündkopf über die Reibefläche. Die Fackel loderte auf und spie eine helle Flamme in die ohnehin schon warme Luft. »Wollen mal sehen, ob du die auspustest.«

Mit einer Wucht, die jeden Rammbock neidisch gemacht hätte, trieb Duncan die brennende Fackel in die Mitte des Maisbrots. Die Brüder sangen »Happy Birthday« und ließen die Fackel kurz brennen. Dann riss Duncan plötzlich die Arme hoch und tanzte munter, aber mitleiderregend um den Tisch.

Es schmeckte nicht übel. Sondern einfach nur widerlich. Wie hoch die empfohlene Tagesdosis Phosphor auch sein mochte, nach zwei Bissen hatten wir genug im Blut, dass es ein Leben lang und vermutlich darüber hinaus gereicht hätte. Das überraschend kalte Bier war nicht nur willkommen, sondern medizinisch notwendig.

Kurz danach wendete ich meinen Truck, die Reste des Kuchens auf dem Sitz neben mir. Die Brandlöcher in der Schmelzkäse-Glasur schwelten immer noch. In den Rückspiegeln sah ich die Fackel dort glimmen, wo Fergus sie in den Sand geworfen hatte. Er und Duncan benahmen sich wie kleine Kinder und wirbelten feine Staubwolken auf, während sie die sterbende Fackel wie einen Fußball hin und her kickten.

Es war zwar nicht mein Geburtstag, aber doch ein Tag, an den ich mich bis zu meinem Tod erinnern würde, der mir in diesem Moment so nah erschien wie nie zuvor.

Außer Sichtweite der Waggons fuhr ich rechts ran und beerdigte den Kuchen in einem flachen Grab. In der Nähe lag ein Brocken Sandstein. Mit ihm versiegelte ich die Gruft. Ein armes aasfressendes Wüstentier würde es mir vielleicht danken.

Wenn es stimmte, dass allein der Gedanke zählt, dann wollte ich lieber nicht wissen, woran Duncan Lacey beim Backen gedacht hatte. Andererseits bedurften die Kartons mit Dosen-Chili und anderen Fertiggerichten, die ich regelmäßig bei ihnen ablieferte, keiner weiteren Erklärung. Zwar hatte ich nicht Geburtstag, tröstete mich aber mit dem Gedanken, dass mein nächster, so Gott wollte, wieder ein ganzes Jahr auf sich warten lassen würde.

4

Ich fuhr Richtung Westen, nach Hause, mitten hinein in die feurige Abendsonne. Ich kurbelte das Fester runter und verschlang die saubere Wüstenluft, die sich in Vorahnung einer Frühlingsnacht schon merklich abgekühlt hatte.

Eine Stunde lang sah ich in beiden Richtungen kein anderes Fahrzeug. Ich suchte die Straße vor mir nach der Ausweichbucht vor Desert Home ab, unschlüssig, ob ich tatsächlich anhalten sollte. Erst nachdem ich geparkt, die Bremse eingelegt und dem Motor eine Weile beim Abkühlen zugehört hatte, fragte ich mich, warum ich ausgerechnet dort gehalten hatte, wo ich ausdrücklich unerwünscht war – am berühmt-berüchtigten »Tatort«. Doch ließ ich mich von der Frage nicht allzu lange aufhalten. Wie ich aus Erfahrung wusste, gab es nur einen guten Rat, wenn man kurz davor war, das Falsche zu tun: nicht zu lange darüber nachdenken. Trat nämlich das Schlimmste ein, wäre sonst die ganze Überraschung verdorben.

Der Wind steigerte sich zu grimmigen Böen, die in meine Ohren brüllten und mir teilweise die Sicht aufs Haus nahmen. Ich stiefelte den Berg hinunter. Aufgewirbelter Sand suchte Zuflucht in meiner Kleidung und zwang mich, die Augen zusammenzukneifen. Aus sicherer Entfernung zur Veranda warf ich dem Haus ein »Hallo« entgegen. Der Stuhl war fort. Ich rief noch ein paar Mal und bewegte mich langsam vorwärts. Bei jedem Schritt nahm der Wind meine Stimme auf, vermischte sie mit Sand und schickte beides zu einem unbekannten Ziel. Ich klopfte an die Tür. Der Wind trug auch dieses Geräusch mit sich fort.

Jemand hatte Decken vor die vorderen Fenster gehängt und Zeitungen auf das Panoramafenster auf der Nordseite geklebt. Zwei Seiten überlappten sich nicht ganz und ließen einen winzigen Spalt frei. Ich schob meine Cap aus der Stirn und schirmte die Augen mit den Händen vor dem wehenden Sand ab.

Die Frau saß auf dem grünen Stuhl, der auf der Veranda gestanden hatte. Sie war allein. Der Stuhl war das einzige Möbelstück im Zimmer. Ihre nackte linke Schulter zeigte zum Fenster. Durch eine Dachluke strömte honigfarbenes Licht und hüllte sie ein. Der Rest ihres Körpers lag im Schatten. Unter einem erhobenen Ellbogen sah man die sanfte Wölbung einer Brust. Die Frau mochte Asiatin sein, obwohl ihre Haut dafür eigentlich zu hell war. Sie war eindeutig nackt. Und ihre Finger bewegten sich rhythmisch über den schlanken Hals eines Musikinstruments.

Der Wind erstarb. Stille setzte ein. Ich hielt den Atem an. Was nun geschehen würde, kam nicht oft vor, aber ich hatte es in den Jahren auf der 117 einige wenige Male erlebt.

Die untergehende Sonne brannte durch eine Schicht hoher, rötlicher Wolken, die wirbelnden Sand mit sich führten. Angetrieben vom Wind in den höheren Luftschichten nahmen die Wolken Tempo auf und rasten über das flache Land, bis sie wie eine gigantische Welle am Kliff der Mesa brachen. Der Rückstrom der Wolkenflut trieb direkt auf mich zu und schob eine gewaltige Woge aus Sand vor sich her. Das sich nähernde, intensive Licht brachte meine Hände förmlich zum Glühen.

Ich war in einem blendend roten Blitz gefangen. Die Luft um mich herum knisterte elektrisch geladen. Ich unterdrückte den Impuls, die Augen zu schließen. Durch die Dachluke über der Frau drang pinkfarbenes Licht, bis das Zimmer von einem pulsierenden Leuchten erfüllt war, wie das Innere eines Herzens. Die Finger ihrer linken Hand flogen über die fehlenden Saiten. Ihre rechte, leere Hand sägte durch die Luft. Das lautlose Instrument bewegte sich im Takt einer Musik, die nur sie hören und ich mir lediglich vorstellen konnte.

Das Licht im Raum färbte sich dunkler. Ich versuchte mich an den Namen des Instruments zu erinnern. Er verlor sich im Schwung ihrer nackten Schulter und dem halben Oval ihrer Brust. Im leeren Zimmer wirkten die Frau und ihr Instrument wie ein Relief.

Sie hörte auf zu spielen. Scham stieg in mir hoch. Ich hatte kein Recht, hier zu sein. Es war falsch.

Zu spät bemerkte ich, dass das Licht hinter meinen Rücken gewandert war. Es warf den verzerrten Schatten meines Kopfs durch die Zeitung und vor die Füße der Frau. Sie drehte sich kurz in meine Richtung, richtete ihre Aufmerksamkeit aber sofort wieder auf das Instrument. Ihr Kinn sank auf die Brust, und sie tauchte erneut ein in ihre Musik. So sehr ich mich auch schämte, ich schaffte es nicht, mich abzuwenden. Ich musste ihr weiter zuhören.

Die Sonne versank hinter den Bergen. Es dauerte nur ein paar Augenblicke. Die Frau spielte, bis ich sie im Dunkeln nicht mehr sehen konnte. Erst als ich mich umdrehte und ins Dämmerlicht ging, fiel mir der Name des Instruments ein – Cello. Ich saß im Fahrerhaus, den Motor im Leerlauf, und dachte an die Frau, das Cello, das rote Zimmer und die betörende Musik, die ich nicht hatte hören können. »Fahr nach Hause, Ben«, flüsterte ich mir zu.

Die Scheinwerfer durchschnitten die weiche Dunkelheit. Ich starrte vor mich hin, ohne etwas zu sehen. Vielleicht hatte sie schon länger dort gestanden. Das weite, geblümte Kleid, das sie jetzt trug, reichte ihr bis über die Knie. Eine leichte Brise spielte mit dem Rocksaum. Ihre tiefschwarzen Augen waren fest auf mich gerichtet. Sie bewegte sich nur, um sich ein paar lange, dunkle Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen. Im Gegenlicht der Scheinwerfer konnte sie mich unmöglich erkennen, aber ich hatte das Gefühl, sie tat es trotzdem. Vielleicht wünschte ich mir auch nur, sie würde mich durchs Fenster sehen, so wie ich sie vorhin durch die Scheibe gesehen hatte.

Ich öffnete die Tür und rutschte zur Seite, bis ich das Trittbrett unter den Stiefeln spürte. Die Innenbeleuchtung flackerte auf und erlosch. Die Frau hob noch einmal die Hand und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Ich stieg aus und trat vor die Scheinwerfer. Sie wich einen Schritt zurück, an den Rand des Lichtkegels.

Sie schrie nicht. Aber auch so übertönte ihre Stimme das gleichmäßige Tuckern des Dieselmotors.

»Mögen Sie Musik oder sind Sie einfach nur ein Spanner?«

Dass sie mir nur diese beiden Wahlmöglichkeiten ließ, gefiel mir nicht. »Sind das die einzigen Alternativen?« Als sie nichts erwiderte, sagte ich: »Dann bin ich wohl Musikliebhaber.«

»Na, schön.« Jetzt zitterte ihre Stimme leicht. »Nehmen Sie es und verschwinden Sie.«

»Was soll ich nehmen?«

Statt einer Antwort drehte sie sich um und verschwand in der Dunkelheit. Ihre Schritte wurden leiser und verstummten dann. »Hat der Besitzer Sie geschickt?«, fragte sie aus dem Nichts.

Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete. »Niemand hat mich geschickt«, sandte ich meine Stimme in die Nacht.

»Weshalb sind Sie dann hier?«

»Ich wollte mich für heute Morgen entschuldigen.«

Ihr Lachen schien sie selbst zu überraschen. Es begann als erstickter Schluckauf und steigerte sich zu einem kurzen Heulen. Ein Kojote antwortete ihr. Erneut stieß sie ein lang gezogenes, hohes Geräusch aus, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. Ich warf den Kopf in den Nacken und jaulte ebenfalls. Schweigen war alles, was ich erntete.

Keine Ahnung, ob sie noch da war.

»Ich bin Trucker«, sagte ich. Dann ging ich zum Wagen zurück und stieg aufs Trittbrett. Dort stand ich, groß und doch klein unter den ersten schüchternen Sternen. »Bitte entschuldigen Sie die Störung, Ma’am«, sagte ich. »Und danke, dass ich mir Ihre Hauswand ausleihen durfte.«

Mit einem Bein war ich schon im Fahrerhaus, als ihre klare Stimme aus dem Dunkeln zu mir wehte: »Gerne doch.«

Angestrengt lauschend hoffte ich auf einen Schluckauf, ein Lachen, ein leises Geheul. Doch ich hörte nur ihre rhythmischen Schritte auf dem Sand. Dem Geräusch nach entfernte sie sich von mir und erklomm den Hügel. Als ich die Tür hinter mir schloss, heulte der Kojote ein letztes Mal.

Beim Wenden wanderten meine Scheinwerferlichter langsam den Hügel hinauf. Sie stand auf der Kuppe, unter dem Torbogen, die Arme zum Schutz vor der kühlen Brise um den Oberkörper geschlungen. In der Wüste ist die Grenze zwischen Leben und Tod oft fließend. Die Frau kam mir vor wie eine geisterhafte Erscheinung, die den Eingang eines Friedhofs bewachte. Und als meine Scheinwerfer in Richtung Price zeigten, spürte ich einen seltsamen Anflug von Heimweh, obwohl ich nicht hätte sagen können, wonach ich mich eigentlich sehnte.

5

Ich spürte die angenehme Kühle des Mondlichts auf meinem Gesicht. Neben meinem Bett zählte die Leuchtanzeige des Digitalweckers die endlosen Minuten, in denen ich auf Schlaf wartete, in denen ihr Gesicht vor mir auftauchte und mit ihm Fragen, auf die ich keine Antwort wusste und die mich auch nichts angingen. Wer war sie? Woher kam sie? Wie war sie zu dem verlassenen Haus gelangt? Noch dazu mit einem Cello – einem Cello ohne Saiten? Woher bekam sie ihr Essen? Wasser? War sie allein? Wie lange würde sie bleiben? Oder war sie schon wieder fort? Brauchte sie meine Hilfe? Mir fiel eine Definition von Ritterlichkeit ein, die ich mal gehört hatte: Ein Mann, der eine Frau vor allem und jedem beschützt – nur nicht vor ihm selbst.

Ich tauchte die Zehen ins Mondlicht und malte mit ihnen Schattenbilder an die Wand. So viel Spaß mir das auch machte, mir blieb noch eine Alternative.

Kurz nach Mitternacht lenkte ich meinen uralten Toyota Pick-up auf die Asphaltbrache eines Walmart-Parkplatzes. Ich war wild entschlossen, eine CD mit Cellomusik aufzutreiben, obwohl mir die Phantommusik, an der die Frau mich hatte teilnehmen lassen, insgeheim lieber gewesen wäre. In Price gab es nur einen Walmart, und er war sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet. Tagsüber war dort ziemlich viel los. Der nächste Walmart lag etwa hundert Meilen weiter westlich, hinter den Bergen, in Spanish Fork, einer ausufernden Satellitenstadt von Salt Lake City, an der Schneise der Interstate 15. Irgendwo in den endlosen Gängen mit Autobatterien, Tanktops und Twinkies-Kuchen musste es eine CD mit Cellomusik geben. Richtig überzeugt war ich nicht, aber ich hatte immerhin die Hoffnung.

Die Nachtschicht war damit beschäftigt, im grellen Neonlicht Regale aufzufüllen. Niemand beachtete mich, während ich durch das Warenlabyrinth irrte. Aus dem Meer aus blauen Kitteln drangen nur ein paar Brocken Englisch an mein Ohr und auch sonst nicht viel mehr. Ich fühlte mich wie Moses in der Wüste, auf der Suche nach dem Gelobten Land. Ich entdeckte es in einer Ecke, hinter einer Wand aus Technik.

Eine rundliche, junge Frau in blauem Kittel und mit silbernem Ring durch die Nase lehnte friedlich dösend an einem Ständer mit runtergesetzten DVDs. Ich wollte sie nicht aufwecken. Sie sah aus, als hätte sie ihren Schlaf bitter nötig. Ihre Gesichtszüge wirkten beinahe kindlich.

Die CDs waren nach Musikrichtungen sortiert, die wiederum alphabetisch nach Künstlern geordnet waren. Das einzig Bekannte war das Alphabet. Für Cellos gab es keine eigene Rubrik, wohl aber für Klassik. Sie enthielt genau fünf CDs, vier davon fingen mit Best Of an. Wählen konnte ich zwischen den Superhits von Beethoven, Mozart, Brahms und Chopin. Die fünfte hieß Johnny Mathis Sings the Classics.

»Hi, Ben.«

Bei meinem Namen schreckte ich zusammen. Ich drehte mich um. Die junge Frau war aufgewacht. Sie kramte ein müdes Lächeln hervor. Wie mir erst jetzt auffiel, war sie gar nicht rundlich. Nur schwanger.

Sie stemmte die Hände in die Hüften und drückte den Rücken durch. »Erinnerst dich wohl nicht mehr an mich.«

Ich dachte mir den Nasenring und die dunklen Schatten unter den veilchenblauen Augen weg. Dann zog ich noch den runden Bauch und die orangefarbenen Strähnen im kurzen schwarzen Haar ab. Übrig blieb die Tochter einer Frau, mit der ich vor fünf oder sechs Jahren zusammen gewesen war. Damals war sie noch ein kleines Kind gewesen – und auch jetzt war sie, trotz Nasenring und den anderen Hinterlassenschaften des Lebens, nicht viel mehr als ein Mädchen. Der Nasenring war weit und breit der einzige Ring.

»Ginny«, sagte ich, froh, sie wiederzusehen oder wenigstens so froh, wie ich es unter den gegebenen Umständen sein konnte. Ich erkundigte mich nach ihrer Mutter.

»Meine Mutter ist ein Stück Scheiße.«

»So weit würde ich nicht gehen.«

»Also wirklich, Ben. So wie sie dich behandelt hat? Da willst du mir widersprechen? Oder streiten wir nur darüber, wie mies dieses Stück Scheiße ist?«

Das grelle Neonlicht, die nächtliche Uhrzeit, die trockene Klimaanlagenluft, der blank gewienerte Boden und der unterbezahlte Job wirkten sich nicht unbedingt positiv auf das Gespräch aus. Wie alt war sie? Siebzehn? Achtzehn? Womöglich war es doch eher zehn Jahre her, seit ich Ginny und Nadine, so hieß ihre Mutter, zuletzt gesehen hatte.

»Hör auf, Ginny. Bitte.«

»Gut.« Zu den wenigen Konstanten im Leben gehört die Gewissheit, wenn eine Frau zu einem Mann gut sagt, dann könnte es in Wahrheit kaum schlechter stehen. »Was willst du mitten in der Nacht im Walmart?«

Ich erklärte ihr, was ich suchte. Sie umrundete mich und betrachtete die CD-Fächer. »Cello?«, fragte sie, als hätte sie sich verhört.

»Cello.«

»Kann mal nachschauen. Dürfte aber reine Zeitverschwendung sein, es sei denn, George Strait oder irgendein Rapper spielt jetzt Cello.«

Ich nahm das Angebot dankend an.

Sie wollte wissen, ob ich einen MP3-Player hätte. Mein Gesichtsausdruck reichte ihr als Antwort. »Immer noch der alte Ben, wie? Kein Handy, kein GPS, wetten?«

»Hab jetzt einen Computer«, sagte ich stolz.

»Wenn das stimmt, was ich stark bezweifle, dann wurde er wahrscheinlich gebaut, als ich noch gar nicht geboren war. Und du womöglich auch nicht.« Jetzt wollte sie mich aufziehen, und wir beide freuten uns über den Themenwechsel. »Ich hab gleich Pause. Mal sehen, was ich für dich tun kann.«

Wir machten ab, uns gegen Ende ihrer Pause bei meinem Pick-up zu treffen.

Als die Beifahrertür aufsprang, wurde mir klar, dass ich weggenickt war. In wenigen Stunden würde mein Arbeitstag beim Logistikzentrum beginnen. Ginny quetschte sich auf den Sitz und gab mir zwei silberne CDs. »Du hast doch einen CD-Player?«

Ich nickte. Er hatte bei meinem neuen Truck zur Ausstattung gehört. Dass ich ihn nie benutzte, behielt ich für mich.

Sie wirkte zufrieden, weil sie ihre Zeit nicht verschwendet hatte. »Hab Sachen aus dem Internet runtergeladen, hauptsächlich Yo-Yo Ma, und mit dem Laptop auf CD gebrannt. Meine Pause ist gleich um. Musste mich beeilen. Bin mir nicht sicher, welches die richtige CD ist. Auf der anderen ist vermutlich ein Mix aus meiner Jugend. Die meisten Leute in meinem Alter sind ja nur noch digital unterwegs.«

In ihrem Gesicht war nicht mal der Anflug von Humor zu erkennen. Für sie war die Jugend vorbei, ihr blieben nur ein paar Andenken daran.

»Also los, Ben, wer ist die Frau?«

Ich schlief noch halb. »Frau?«

»Ja, Frau. Ich mag erst siebzehn sein und ’nen dicken Bauch haben, aber blöd bin ich nicht.«

Mit einem Mal sah ich das aufgeweckte kleine Mädchen wieder, dessen Altklugheit nun in Frühreife umgeschlagen war. Was ich noch sah, war der silberne Stecker in ihrer Zunge.

»Es ist mitten in der Nacht, in einem Walmart in Price, Utah. Ein Trucker, den ich seit Jahren nicht gesehen hab, kommt rein und fragt nach Cellomusik. Ja, eine Frau. Wenn sie sich für Cellos interessiert, weiß ich immerhin, du hast deine Ansprüche seit meiner Mutter hochgeschraubt. Hab dich immer für einen Romantiker gehalten.«

»Das heißt nichts. Heute geht doch jeder als Romantiker durch, der nur an den Sonnenaufgang glaubt.«

Ich bedankte mich für die CDs.

»Wann soll das Baby kommen?«

Mein cleverer Versuch, das Thema zu wechseln, erwies sich als extrem erfolgreich. Ginny brach in Tränen aus.

Die knappe Antwort, die ich, ohne allzu großes Interesse, erwartet hatte, lautete: in spätestens zwei Monaten. Unterbrochen von Schluchzern, erzählte sie rasch die ganze Geschichte. Der Vater des Kindes war achtunddreißig, arbeitslos und lebte mit Ginnys Mutter zusammen. Er hatte gesagt, er würde Ginny lieben. Als sie ihren Bauch nicht länger verstecken konnte, hatte sie ihrer Mutter die Schwangerschaft und die »verbotene Liebe« gebeichtet. Der Mann hatte seine Liebesschwüre und alles andere abgestritten. Ihre Mutter hatte reagiert, indem sie Ginny zu Hause rauswarf. Sie hätte sich selbst in die Scheiße geritten und solle zusehen, wie sie da selbst wieder rauskäme, hatte sie ihr als mütterlichen Rat mit auf den Weg gegeben. Mutter und Freund waren nach Salt Lake City gezogen, um noch einmal von vorne anzufangen. Das war vier Monate her. Seitdem hatte Ginny die Highschool abgebrochen und bei Freundinnen oder in ihrem Auto geschlafen. Zum Schluss fragte sie mich, ob ich einen zweiten Job für sie hätte, damit sie sich nach der Geburt eine eigene Wohnung leisten konnte.

Ich enttäuschte sie wirklich ungern, musste ihr aber mitteilen, dass ich nur einen Ein-Mann-Betrieb hatte. Erst in diesem Moment ging mir auf, dass es noch eine Sache gab, die ein Mann allein im Bett machen konnte, und dass ich, wenn ich mich dafür entschieden hätte, jetzt vielleicht friedlich schlafen würde, statt mitten in der Nacht mit einem verzweifelten, schwangeren Mädchen in meinem Pick-up auf dem Walmarkt-Parkplatz zu sitzen.

Als Ginny nach dem Türgriff langte, sagte ich schnell: »Ich frag mal rum. Vielleicht finde ich was für dich.«

Sie lehnte sich zu mir rüber und küsste mich auf die Wange. Der Nasenring fühlte sich auf meiner Haut kalt und komisch an. Sie kämpfte mit ihrer Kugel und verfluchte meinen durchgesessenen Sitz, schaffte es schließlich aber doch, aus dem Fahrerhaus auszusteigen.

Bevor sie die Tür zumachte, sagte ich: »Die Sache mit deiner Mutter wäre dann wohl geklärt. Sie ist ein Stück Scheiße. Und ein verdammt mieses dazu.«

Die Nacht hatte sich heimlich davongeschlichen. Zu Hause stellte ich mich lange unter die heiße Dusche, dachte an Nadine und musste bitter auflachen.

Nadine und ich waren erst ein paar Monate zusammen gewesen, als ich sie eines Nachts mit einem UPS-Fahrer erwischt hatte. Im Fahrerhaus meines Trucks, den ich auf einem gesicherten Parkplatz neben den UPS-Fahrzeugen abstellen durfte. Ich hatte die beiden gefragt, was zum Henker sie sich eigentlich denken würden. Eine blöde Frage, schließlich war ziemlich klar, dass Denken das Letzte war, womit sie sich gerade beschäftigten. Außerdem waren sie zu einer Antwort gar nicht imstande. Beide hatten den Mund voll. In Anbetracht der Enge meines Fahrerhauses eine höchst erstaunliche akrobatische Leistung. Hätte die Darbietung zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort und mit anderen Akteuren stattgefunden, ich hätte womöglich geklatscht.

Eine Frau in einer Bar hat mal zu mir gesagt, sie hätte ihrem Mann den Seitensprung mit der Nachbarin vielleicht verziehen, wenn er sich für seine Tat nicht ausgerechnet die Küche ausgesucht hätte – ihr Reich, das Zentrum der Familie. Die Küche war der Frau heiliger als das Schlafzimmer. Wie ich vermutete, hatte sie beides schon länger nicht mehr von innen gesehen. An jenem Abend in der Kneipe hatte sie sich langsam, aber sicher dem Ziel genähert, eine Flasche Hochprozentigen zu leeren und einen Aschenbecher zu füllen.

Nachdem ich den Seitensprung einigermaßen verdaut hatte, wurde mir klar, dass ich Nadine nicht böse war, weil sie mich betrogen hatte, sondern weil sie es ausgerechnet dort getan hatte – im Fahrerhaus meines Trucks. Manchmal sind es die unbedeutenden Dinge, die man nicht verzeihen kann. Vielleicht weil sie in Wahrheit nicht unbedeutend sind, sie kommen anderen nur so vor. Oft erkennt man erst zu spät, was einem anderen Menschen heilig ist.