Peter Handke

Das Mündel will Vormund sein

Suhrkamp Verlag

 
 
 
 
 

»Was, das Mündel will Vormund sein?«

William Shakespeare, Der Sturm

 
 
 
 
 

Der Vorhang geht auf.

Es ist ein sonniger Tag.

Im Hintergrund der Bühne sehen wir, als Hintergrund der Bühne, die Vorderansicht eines Bauernhauses.

Die Bühne ist nicht tief.

Die linke Seitenbegrenzung der Bühne, von uns aus gesehen, zeigt die Ansicht eines Maisfeldes.

Die rechte Seitenbegrenzung der Bühne, von uns aus gesehen, wird durch die Ansicht eines großen Rübenfelds gebildet.

Über beiden Feldern kreisen Vögel.

Vor dem Bild des Bauernhauses sehen wir einen eigentümlichen länglichen Gegenstand stehen, von dem wir uns fragen, was er darstellen mag.

Ein Gummimantel, schwarz, bedeckt den Gegenstand einerseits ziemlich, andrerseits hat er, obwohl er den Gegenstand bedeckt, sich nicht in allem der Form dieses Gegenstands angepaßt, so daß wir nicht erkennen können, was der Gegenstand auf der Bühne darstellt.

Rechts von dem Bild der Haustür, von uns aus gesehen, erblicken wir, vor einem Fenster, einen schief stehenden Holzpflock, in welchem ein Beil steckt, oder vielmehr: auf welchem ein großes Holzscheit liegt, in welchem ein Beil steckt. Rund um den Hackklotz erblicken wir, auf dem Boden der Bühne verstreut, viele schon zerkleinerte Holzscheite und Holzsplitter.

Auf dem Hackklotz, neben dem zu großen Holzscheit, in dem die Axt steckt, erblicken wir eine Katze: wahrscheinlich wird sie beim Aufgehen des Vorhangs den Kopf heben und dann tun, was sie tut, so daß wir erkennen: sie stellt das dar, was sie tut.

Neben dem Hackklotz, auf einem Schemel, haben wir schon auf den ersten Blick jemanden sitzen sehen, eine Figur.

Jetzt, nachdem wir die anderen Einzelheiten ringsherum kurz aufgenommen haben, wenden wir uns wieder dieser Gestalt zu, die vor dem Bild des Hauses im Sonnenschein auf einem Schemel sitzt.

Er ‒ es handelt sich um eine männliche Person ‒ ist bekleidet mit einer ländlichen Arbeitsmontur, das heißt, über die Hose ist noch eine blaue Leinenhose gezogen; die Schuhe sind klobig; die Person hat nur ein Unterhemd an.

Tätowierungen auf den Armen sind nicht zu sehen.

Die Person trägt keine Kopfbedeckung.

Die Sonne scheint.

Es muß wohl kaum mehr erwähnt werden, daß die Person, die vor dem Bild des Hauses auf einem Schemel hockt, eine Maske trägt. Diese bedeckt den oberen Teil des Gesichts und ist starr. Sie stellt ein Gesicht dar, das wiederum ziemlich eitel Wonne darstellt, freilich in Grenzen.

Die Figur auf der Bühne ist jung ‒ also erkennen wir, daß diese Figur auf der Bühne wohl das Mündel darstellt.

Die Beine hat das Mündel von sich gestreckt.

Wir sehen, daß die Schuhsohlen mit breitköpfigen Nägeln beschlagen sind.

Die linke Hand hat das Mündel in der Kniekehle des rechten Beins, das rechte Bein ist im Gegensatz zum linken ein wenig angezogen.

Wir sehen, daß das Mündel mit dem Rücken am Prospekt der Hauswand lehnt.

In der rechten Hand hält die Figur einen ziemlich großen gelben Apfel, den sie, nachdem der Vorhang nun aufgegangen und offen ist, zum Mund führt.

Das Mündel beißt in den Apfel, so, als ob niemand zuschauen würde.

Der Apfel kracht nicht besonders, so, als ob niemand zuhören würde.

Über dem ganzen Bild liegt etwas, was man, mit einem Bild, als tiefer Frieden bezeichnen könnte.

Das Mündel ißt den Apfel, so, als ob niemand zuschaut.

(Wenn wir zuschauen, werden Äpfel oft sehr affektiert gegessen.)

Die Figur vertilgt also den Apfel, nicht besonders langsam, nicht besonders schnell.

Die Katze tut, was sie tut. Wenn sie von der Bühne geht, hält sie niemand zurück.

Wenn wir zuerst zuviel auf die Figur geschaut haben, haben wir jetzt Zeit, die übrigen Gegenstände und Flächen eingehend zu mustern. (Siehe oben)

Ist am Essen des Mündels zu erkennen, daß dieses bevormundet wird? ‒ Eigentlich nicht.