Peter Handke

Quodlibet

Suhrkamp Verlag

 
 
 
 
 
 

Der Vorhang geht auf, und auf die leere Bühne kommen nach und nach, leise plaudernd, die Figuren des Welttheaters, ein General in Uniform, ein Bischof im Ornat, ein Rektor im Talar, ein Malteserritter mit Ordensmantel, ein Korps-Student mit Käppi und Schärpe, ein Chicago-Gangster mit Hut und dunklem Zweireiher, ein Politiker mit zwei waffendicken Leibwächtern vom CIA, ein Turniertanzpaar, in dunklem Anzug und weißem Rollkragenpullover, und kurzem wippendem Tanzkleid, eine Dame im knöchellangen Abendkleid, mit einem Fächer, eine andere weibliche Person im Hosenanzug, mit einem Pudel an der Leine.

Diese Figuren betreten in beliebiger Reihenfolge die Bühne, kommen allein oder in Paaren, ineinander eingehängt oder auch nicht. Während sie miteinander plaudern, gehen sie langsam auf der Bühne umher, bleiben hier und dort stehen und lachen leise über eine Bemerkung, gehen nach einiger Zeit wieder weiter, ohne daß man sie freilich gehen hört. Jeder plaudert mit jedem, ab und zu steht einer allein herum, bevor er sich wieder, als sei ihm etwas eingefallen, plaudernd einem anderen anschließt; nur die Leibwächter nehmen an der Unterhaltung nicht teil, nicken höchstens einander zu, schauen sonst aber immer von den Figuren weg in die Umgebung, einmal hinauf in den Schnürboden, dann, ohne sich freilich zu bücken, in den Souffleurkasten, dann ins Theatergewölbe hinauf wie in die fünfte Etage eines Hauses, jedenfalls niemals ins Publikum; dieses ist für die Leute auf der Bühne nicht vorhanden. Einen Augenblick sieht man vielleicht, wie alle Figuren stehengeblieben sind, aber schon im nächsten Augenblick gehen ein oder zwei wieder weiter; ebenso ergeben sich im allgemeinen Gespräch ab und zu ganz kleine Momente einer fast völligen Stille, Momente, in denen man nur das Rauschen oder Kratzen eines Gewandsaums auf dem Boden hört, worauf aber die Gesellschaft um so einhelliger zu plaudern fortfährt.

Die Figuren schreiten fast lautlos, in sich versunken, umher, stehen still, sind still, plaudern; das ist eigentlich alles. Es steht den Schauspielern frei, was sie reden wollen: über das, was sie gerade in der Zeitung gelesen haben, was sie am Tag erlebt haben, was sie erleben wollen, oder was ihnen gerade einfällt oder von dem sie glauben, daß es so wirkt, als sei es ihnen gerade eingefallen. Ein-, zweimal glaubt man auch, eine Fremdsprache zu hören; Französisch wahrscheinlich: C'est très simple, Monsieur. ‒ Ah merci … Oh! mes pauvres cheveux! … Ah! Ce vent! … Cette pluie! … Oder etwas dergleichen, jeweils von den Frauen gesprochen. Die Zuschauer hören zwar zu, verstehen aber nur selten ein paar Wörter oder Satzteile oder einfache, alltägliche Sätze.