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INHALT

Einleitung

Prioritäten setzen

Die Vorbereitung

Das Material

Die Kräfte auf Beschläge und Leinen

Das Wie und Warum des Trimmens

Luvgierigkeit

Trimmen auf Wellen

Meteorologie

Regattasegeln auf Strömung

Taktik

Protest und was daran hängt

Die Psychologie beim Regattasegeln

Instrumente

Die Arbeitsweise der Segel

Nachwort

EINLEITUNG

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Regattasegeln ist der komplexeste Sport, den es gibt – das Leben ist zu kurz, um ihn hundertprozentig zu beherrschen. Dieses Buch habe ich geschrieben, um dem Leser Zeit zu ersparen auf dem langen Weg, den er gewöhnlich zu gehen hat, um ein erfolgreicher Regattasegler zu werden, und vor allem um zu verhindern, dass er das Rad neu erfinden muss – etwas, das immer sehr viel Zeit und auch Geld kostet.

Darum findet man in diesem Buch keine weitschweifigen Theorien und Ausführungen einzelner Bereiche, sondern knappe, klare Beschreibungen der wichtigsten Aspekte des Regattasegelns und wie man sie nutzen kann, um schnellstmöglich bessere Ergebnisse zu erzielen.

Soweit Theorie notwendig ist, um in allen Situationen die richtige Entscheidung zu treffen, wird diese ausführlich besprochen. Wo man jedoch mit solch einer Theorie beim Regattasegeln nichts anfangen kann, werden nur die Fakten erörtert. Dies vermeidet überflüssigen Ballast, und es kann jenen Punkten mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, deren Wissen für Ergebnisse direkt relevant ist.

Ich gebe ein Beispiel: Ebbe und Flut entstehen durch die Anziehungskraft des Mondes. Kann man mit dieser Wissenschaft etwas anfangen? Nein! Ebbe und Flut werden deshalb als Tatsache hingenommen. Wenn die Strömung kippt, ändert sich der Wind in Stärke und/oder Richtung. Kann man damit als Regattasegler etwas anfangen? Ja! Es ist wichtig zu wissen, warum das passiert, sodass man dies selbst vorhersagen und davon profitieren kann.

Ob es nun um Schwert- oder Kielboote geht, kurze Up-and-Downkurse oder Seeregatten, die Themen, die in diesem Buch behandelt werden, sind immer aktuell, auch wenn die Prioritäten je Thema manchmal auf verschiedenen Gebieten liegen. Das Wichtigste ist daher, sich eine bestimmte Denkweise zu eigen zu machen, mit Logik vorzugehen, Schwerpunkte zu setzen und die verschiedenen Aspekte, aus denen Regattasegeln besteht, objektiv zu betrachten. Alles beim Regattasegeln ist nämlich logisch, es ist nur oft sehr kompliziert, weil so viele Faktoren mitspielen. Glück oder Pech spielen so gut wie keine Rolle, wohl aber etwa, dass man bestimmte Dinge übersieht, Hinweise nicht erkennt oder falsch interpretiert – kurz gesagt, es fehlt an Wissen. Des Weiteren haben die meisten Regattasegler eine Vorliebe für einen bestimmten Bereich des Regattasegelns; das sind dann ihre Steckenpferde. Sie sind beispielsweise gut in Taktik, Trimm, Wetter, dem Wettfahrtreglement oder im Arbeiten mit elektronischen Instrumenten, aber vernachlässigen dadurch oft andere Sachen. Versuche immer alles im Auge zu behalten und vertiefe dich in die Dinge, in denen du weniger gut bist. Um zu gewinnen, musst du nämlich alle Bereiche beherrschen, auch diejenigen, die du vielleicht weniger magst.

Lass dann auch, weil der Sport ohnehin schon so kompliziert ist, so viele unnötige Details wie möglich beiseite und starre nicht stur auf Bootsgeschwindigkeit und Material. Du musst nicht schneller als die anderen sein. Wenn du genauso schnell bist wie die anderen Topboote in deiner Klasse, bist du schnell genug. Du musst dann nur besser segeln, selbst weniger Fehler machen und von den Fehlern der anderen – und jeder macht mal Fehler – profitieren.

Hiermit möchte ich mich gern bei meinem ehemaligen Schiffbau-Kommilitonen und Regattasegler der ersten Stunde Lex Keuning bedanken. Ohne seine Hilfe wäre es mir niemals möglich gewesen, die Arbeitsweise der Segel so nachvollziehbar zu erklären. Außerdem hat er Zeichnungen und Text überprüft und damit verhindert, dass sich Fehler einschleichen konnten. Mein Dank geht auch an Henk Plaatje, dem keine Mühe zu groß war, immer wieder Details in den Zeichnungen zu verändern oder in sie einzubringen und so ein optimales Ergebnis zu erzielen, und an Thom Touw, aus dessen riesigem Archiv ich die fantastischsten Fotos zur Illustration auswählen konnte.

Fred Imhoff

1. PRIORITÄTEN SETZEN

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Tatsächlich kann man die verschiedenen Aspekte des Regattasegelns mit dem Bild eines Regenschirms beschreiben, mit verschiedenen Hauptbereichen, die man immer weiter untergliedert.

Das Schema auf den Seiten 10 und 11 gibt das wieder. Schauen wir zum Beispiel einmal auf den Punkt „Trimm der Segel am Wind“. Man kann allein dieses Thema schon wieder aufteilen in:

• Vorliekspannung Genua

• Stelle der Fockschottraveller

• Position Barberholer

• Spannung Genuaschot

• Spannung Vorstag

• Spannung Unterliek Großsegel

• Vorliekstrecker Großsegel

• Steifheit von diversen Segellatten

• Achterstagspannung

• Backstagspannung

• Regulierleinen Achterliek Genua und/oder Großsegel

• Position Travellerschlitten

• Spannung Baumniederholer

• Mastbiegung

• Salingwinkel

• Spannung Oberwanten

• Spannung Unterwanten

• Vorbiegung des Mastes (engl. pre-bend) auf Deckshöhe

Und so kann man jeden Punkt aus dem obigen Schema weiter untergliedern. Man kommt dann zu Millionen Kombinationen, sodass die Chance, immer die ideale Kombination unter verschiedenen Umständen anzuwenden, vernachlässigbar ist. Wie schon gesagt: Das Leben ist dafür zu kurz, erst recht wenn man kein Profi ist und in einer Klasse mit mehreren Trimm-Möglichkeiten segelt. Es ist dann wohl kaum eine Frage des Glücks, wenn man einmal zu einer „vernünftigen“ Kombination all dieser Faktoren kommt. Im Bewusstsein darüber ist es besser, sich eine bestimmte logische Denkweise zu eigen zu machen. Diese Denkweise wird in den folgenden Kapiteln, bei den diversen Faktoren, aus denen Regattasegeln besteht, immer wieder angesprochen.

Der folgende Punkt verkürzt die Lehrzeit: Streiche alle Details, die nicht wirklich wichtig sind. Beziehungsweise: Verkleinere den Regenschirm. Das spart nicht nur viel Zeit, sondern es verhindert auch den Verlust von Konzentration, wodurch man als Regattasegler oft die wichtigeren Dinge übersieht. Es ist bekannt, dass ein Mensch sich nur eine bestimmte Zeit lang konzentrieren kann. Und Regatten dauern durchschnittlich nun einmal länger als viele andere Sportwettkämpfe. Wenn man dann während der Regatta auch noch mit allerlei unwichtigen Details beschäftigt ist, dann ist es unmöglich, sich während der kompletten Regatta oder auch nur während einiger kürzerer Wettfahrten an einem Tag zu konzentrieren.

Darüber hinaus ist es äußerst wichtig, sowohl bei der Vorbereitung als auch während der Regatta objektiv Prioritäten zu setzen. Was ist wichtiger: von etwas Strömungsvorteil oder von einem (eventuellen) Winddreher zu profitieren? Auf mehr Höhe am Wind zu trimmen oder auf Geschwindigkeit? Viele Entscheidungen hierüber werden aus dem Gefühl heraus getroffen oder aufgrund der Tatsache, dass sie ein voriges Mal gut oder schlecht ausgegangen sind. Das sind allerdings keine guten Gründe.

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2. DIE VORBEREITUNG

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Die Vorbereitung kann man in vier Teile gliedern, nämlich das Trainieren, die Vorbereitung in Bezug auf das Material, die mentale Vorbereitung und die physische Vorbereitung. Alle vier sind sehr wichtig.

DAS TRAINING

Versuche einige tief verwurzelte menschliche Reaktionen, die während des Regattasegelns nachteilig sein können, durch Training abzugewöhnen. Beispiel: Die Mannschaft ist konzentriert beim Spinnakern, und der Steuermann sagt etwas zu ihnen, worauf die Mannschaft sich umdreht und den Steuermann beim Antworten anschaut. Das ist eine normale menschliche Reaktion – üblicherweise schaut man jemanden an, wenn man mit ihm spricht. Beim Regattasegeln ist das jedoch falsch! Man hat Ohren, um zu hören, einen Mund zum Sprechen und Augen, um darauf zu schauen, womit man gerade beschäftigt ist. Die Konzentration der Mannschaft auf den Spinnaker wird sonst gestört, wodurch zum Beispiel der Spinnaker einfallen kann, eine Bö kann verpasst werden, oder du bekommst die Welle nicht, auf der du durch eine optimale Spinnaker-Bedienung in diesem Moment schön hättest surfen können. Was das Prioritätensetzen betrifft, ist es daher besser, das einmal ein paar Stunden zu trainieren, anstatt das Boot vor jeder Regatta zu wachsen.

Eine andere bekannte menschliche Eigenschaft ist, zuerst die Dinge zu tun, die einfach sind und bei denen man direkt Ergebnisse sieht. Falsch in diesem Fall! Das kann man abtrainieren, indem man beispielsweise bei einer Übung einmal ruft, dass das Boot hinter einem umgeschlagen ist oder dass sein Mast gebrochen ist. Eine professionelle Mannschaft stellt dann vielleicht einige Fragen oder macht eine Bemerkung, aber schaut sich nicht um, wenn sie in diesem Moment selbst mit etwas beschäftigt ist.

Trainiere auch einmal im Dunkeln, wenn kein Mond scheint. So lernt jeder die richtigen Trimmleinen oder Klemmen tastend zu finden, wodurch jeder in der Regatta die verschiedenen Leinen mit seinen Händen bedienen kann, ohne seine Augen von Spinnaker oder Genua abzuwenden.

Trainiere zudem das schnelle Wenden nach dem Umrunden einer Leeboje. Wir haben das gemacht, indem wir eine Leeboje etwa 20 Meter von der Kaimauer entfernt ausgelegt haben. So musste man innerhalb von 20 Metern nach dem Runden der Boje wenden, sonst saß man mit seinem Halbtonner oder Drachen auf der Betonkaimauer. Am Anfang verliefen die Manöver sicherlich nicht reibungslos, alles war nach dem Vorwindkurs noch nicht aufgeräumt. Aber nach einigen Abenden Training und dem Nachbereiten, wie es besser gehen könnte, hatten wir es im Griff. Und das war etwas, woraus wir bei Regatten oft Nutzen ziehen konnten.

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Keine Konzentration bei Steuermann und Mannschaft. Mehr Aufmerksamkeit auf die entfernte Kamera als auf den Spinnaker. Leinen hinter dem Boot im Wasser.

Schließlich trainiere noch Situationen, in denen etwas falsch läuft. Zum Beispiel bekommst du die Luvboje gerade nicht, aber der Spinnakerbaum steht schon. Wenden ist dann wegen der anderen Boote und wegen des Spinnakerbaums, der schon gesetzt ist, keine Option. Lass deine Mannschaft über eine Lösung nachdenken. Und siehe da, nach einiger Zeit kommt jemand mit einer, nämlich: die Fock schnell einzurollen, wodurch du das letzte Stückchen genau in den Wind steuern kannst, ohne dass die Fock back schlägt und das Boot in die Wende drückt. Auch der Spinnakerbaum kann stehenbleiben, wodurch du direkt nach dem Runden den Spinnaker hissen kannst. Übe dies einige Male, und dann wird die Mannschaft automatisch entsprechend reagieren, wenn sich in einer Regatta solch eine Situation ereignet.

DAS MATERIAL

Verhindere es, wegen Pannen zu verlieren. Nimm Ersatzteile mit in die Regatta: ein paar Schäkel, einen Block, Tape, etwas Werkzeug, einige Leinen und auf Kielbooten (auch den kleineren wie Soling, H-Boot oder Drachen) einen Bootsmannsstuhl. Sorge dafür, dass jeder weiß, wo was liegt, und spreche vorher ab, wer was in einer Pannensituation macht: Wer zieht wen in den Mast, wie hält der Steuermann das Boot in Fahrt usw.? Übe das immer und immer wieder. Ich habe oft genug gesehen, dass dies den Unterschied zwischen Gewinnen und Verlieren einer Meisterschaft ausmachte.

Markiere alle Leinen, Travellerschiene, Genuaschienen usw. Es ist viel einfacher zu sagen: „Setz das auf 3 oder auf rot“, als immer und ewig: „Zieh das etwas straffer, nein, das ist zu straff, oder vielleicht doch noch etwas anziehen.“ Ohne die Einstellungen zu markieren, kann man das auch niemals direkt nach der Leeboje oder nach dem Startschuss reproduzieren. Jemand, der direkt nach dem Start alles richtig im Griff hat, gewinnt oft in der ersten Minute schon mehr als eine Bootslänge, wodurch er freien Wind hat und auch behält und man ihn dann nicht mehr wiedersieht.

Notiere nach einer Regatta alle genutzten Einstellungen, genauso wie die Segel, und gebe auch Windgeschwindigkeit, Wellenhöhe und Temperatur an (bei derselben Windgeschwindigkeit ist bei höheren Temperaturen der Druck im Wind geringer als bei niedrigeren Temperaturen). Das Einfachste ist, diese Daten auf einem Laptop in Excel einzugeben. Man kann dann nach einiger Zeit in dieser Datenbank immer wiederfinden, welches Segel unter welchen Bedingungen und welcher Trimm schnell oder langsam war. Ich weiß, dass das Disziplin erfordert – aber es funktioniert!

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Superkonzentriert und ein perfektes Bootshandling während der Halse.

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Eine gute Kondition fördert die Konzentration und den Willen, zu gewinnen.

Das erste Bierchen nach einer gewonnenen Regatta lockt, und das tröstende Bierchen nach einer verlorenen nicht minder. Mach es aber trotzdem konsequent, gemeinsam mit deiner Mannschaft, und am besten so schnell wie möglich nach dem Ende der Regatta. Verwechsle Geschwindigkeit nicht mit Ergebnis. Man kann eine sehr gute Bootsgeschwindigkeit gehabt, aber genau die falschen Schläge gemacht haben. Man kann auch eine mäßige Geschwindigkeit gehabt haben und als Einziger den guten Schlag auf dem Kreuzkurs oder die Strömung besser ausgenutzt haben. Notiere auch vor allem die Regatten, bei denen die Geschwindigkeit schlecht war, sodass du die falsche Kombination an Einstellungen nicht noch einmal anwendest!

DIE MENTALE VORBEREITUNG

Eine gute mentale Vorbereitung auf den Wettkampf ist unerlässlich. Im Bruchteil einer Sekunde die richtige taktische Entscheidung zu treffen, eine Situation lange im Voraus herankommen zu sehen, rechtzeitig Anzeichen zu erkennen, dass der Wind sich in Stärke oder Richtung ändern wird, wissen, was dein Gegner tun wird, wenn du wendest oder halst – das sind alles Dinge, die nur gut gehen, wenn dein Geist völlig leer ist, bevor die Regatta beginnt. Du sollst mit den Gedanken (auch nicht unbewusst) nicht mehr bei der Arbeit, einem Ehekrach, einem Familienproblem oder der oder dem Geliebten sein.

Aber wie macht man das? Natürlich funktioniert das nicht bei jedem gleich, aber was meist gut ist, ist, rechtzeitig vor Ort zu sein. Und trainiere dann nicht, bastele nicht an deinem Boot, denn das musst du dann schon getan haben. Wenn es da noch gemacht werden muss, bist du zu spät. Lies einfach ein Buch, setz dich iauf eine Terrasse, spiel ein Spiel, kurz gesagt, mach Ferien und denk an nichts.

Erkunde eventuell die Umgebung und überlege mit deiner Mannschaft, wo Thermik oder Landeffekte entstehen können und wie sich die Strömung verhält. Ich habe einen guten internationalen Segler gekannt, der in den Niederlanden mit Abstand der Beste in seiner Klasse war. Aber die ersten Wettfahrten am Samstag verlor er immer wieder. Er ging nämlich samstagmorgens immer erst noch ein paar Stunden in den Betrieb, bevor er an den Ort fuhr, wo die Regatta stattfand.

Die Folge war, dass er mittags unbewusst nicht mit dem Kopf dabei war und darum an dem Tag nicht volle Leistung brachte. Du denkst es dir bereits: Abstandnehmen kostet freie Tage oder Geld. Das stimmt – aber neue Segel oder anderes Material kaufen kostet auch Geld. Und trainieren kostet außerdem Zeit. Gewinnen tut man nun einmal nicht, wenn man sich nicht darum bemüht. Schau dir auch an, was andere Sportler dafür tun und lassen müssen, um an die internationale Spitze zu kommen!

Natürlich muss jeder selbst wissen, wie weit er gehen will. Ich zeige nur auf, wie man am schnellsten zu Ergebnissen kommt, sowohl auf nationalem wie auf internationalem Niveau. Was du letztendlich erreichen willst, was du dafür opferst und bereit bist zu tun, ist natürlich deine eigene Sache.