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Angelika Hager

KERLS

Eine Safari durch die männliche Psyche

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www.kremayr-scheriau.at

Inhalt

#HeyYou:

Ein Motivationsschreiben

„Wie Schiffe im Nebel“:

Im Chaos der Identitätssuche

#MeToo-Hurricane:

Die entglittene Jagd auf sexistische Saurier

„Will kommen“:

Der Mann und seine Sexualität

„Was ist denn das jetzt eigentlich für dich?“:

Liebe, Schmerz und das ganze Zeug

„Das waren doch nur Hilfeschreie“:

Männer und Gewalt

„Am seidenen Faden“:

Der Mann und seine Gefühlswelt

Danksagung

Literatur

Für Stella und all die Männer,
denen sie noch begegnen wird

#HeyYou:
Ein Motivationsschreiben

„Ich bin ja ein neuer Mann.
Also einer, der sich von diesen
Männerklischees frei gemacht hat,
also zumindest denkt,
sich davon frei gemacht zu haben.“

Aus Martin Grubers „Die wunderbare Zerstörung des Mannes“

In den Warteschlangen auf Flughäfen oder in Supermärkten vertreibe ich mir gerne die Zeit mit der Analyse von Frisuren. Vorrangig denen von Männern. Ich versuche mir vorzustellen, was die Träger mit der Fasson ihrer Haare der Menschheit mitteilen wollen. Meine Studienobjekte sind junge Männer. Die älteren müssen ja oft mit dem auskommen lernen, was ihnen die Natur übrig ließ, und tragen dann gerne einmal Schirmkappen oder Strickmützchen, denen die Aufgabe zufällt, die Hautkreise auf ihrem Hinterkopf zu kaschieren.

In der im Saft stehenden Generation setzte sich in den letzten Jahren der Knödelchen-Look in epidemieartigem Ausmaß durch. Egal ob IT-Berater, Smoothie-Barkeeper, Versicherungskeiler oder superprogressiver Turn- und Geografieprofessor – sie alle tragen ihr Haar zu einem „bun“ gezurrt, häufig auch in Kombination mit so einem nikoloartigen Rauschebart. Rein optisch wären sie irgendwo zwischen viktorianischem Wanderprediger und den Beta-Typen einer Amish-Siedlung einzuordnen. Aber ihr Styling hat natürlich einen bestimmten Symbolgehalt. Zumindest bei den Bun-Pionieren. Der Frisuren-Gag ist übrigens nicht ganz neu, der allererste Knödelchen-Typ war Buddha, in dessen Wesen die weibliche und männliche Seite in vorbildhafter Balance standen. Ein Bilderbuch-Mann also.

Der Subtext der Neo-Bunnies lautet: „Hey, ich bin nicht einer von denen, ich bin nicht wie die anderen, ich bin ein moderner Mann.“ Einer, der sich frei gemacht hat von den archaischen Klischees der Männlichkeit. Einer, der von keinerlei Kastrations-Ängsten geplagt wird, wenn er einmal einen Quinoa- Salat zaubert. Einer, der auch schon mal mit der Windeltasche über dem Arm in der Raststätte in die Frauen-Toilette huscht, um sein Baby zu wickeln. Einer, der auch schon mal ungeniert in Tränen ausbricht, wenn er ein Flüchtlingskind im roten Pullover tot an einem Mittelmeerstrand liegen sieht.

Diese Art von Männern stand auf dem Weihnachts-Wunschzettel des Feminismus ganz oben. Toll, dass sie endlich angekommen sind. Aber natürlich wäre es auch völlig klischeevertrottelt zu glauben, dass alle aus der Knödelchen-Fraktion so ticken. Bei vielen gilt: They go with the flow.

In diesen Warteschlangen fallen weiters die Männer mit den martialischen Frisuren auf – hinten hochgeschoren, das Haar im Bürstentrimm stramm vom Kopf abstehend, häufig begleitet von mehr Tätowierungen, als so ein Körper eigentlich vertragen kann. Das sind wahrscheinlich eher die Typen, die gerne karbonierte Spareribs essen, Glutenfreiheit für eine politische Bewegung halten und sich an das traditionelle Konzept von Virilität klammern wie Titanic-Überlebende an eine Schiffsplanke im eiskalten Atlantik.

Und natürlich auch: Modernisierungsverlierer. Abgehängt. Schwach ausgebildet. Dementsprechend zornig. Voll zach, Oida. „Angry white men“ nannte der US-Soziologe Michael Kimmel jene Männer, die unter die Räder der Digitalisierung, des Bildungswettkampfs, der Gutmenschheit und der Emanzipation gekommen sind. Inzwischen ist der Zorn längst nicht mehr nur weiß, sondern hat alle Hautfarben angenommen.

Häufig ziehen sich die verunsicherten Krieger heute auf Terrains zurück, in denen die Welt für sie noch scheinbar in Ordnung ist und sie zumindest die Illusion von Kontrolle haben: ins „Warcraft“-Universum auf ihrem Computer, in Mucki-Buden, versiffte Box-Vereine, Kampfsport-Zentren und neuerdings auch in Barbershops. Plötzlich sprießen diese Institutionen abgeschotteter Männlichkeit, die einst nur in den türkisch und arabisch dominierten Vierteln der Metropolen zu finden waren, auch in den von Smoothie-Bars und veganen Eisdielen dominierten Terrains. Offensichtlich brauchen auch Hipster-Kerls Leos, zu denen Frauen keinen Zutritt haben. Die älteren, die Midlife-Kriselnden, verschanzen sich hinter ihrer Grillstation, im Hobby-Keller, markieren den Stationsvorstand ihrer Modelleisenbahnanlage oder flüchten auf einem Moutainbike in die Berge.

Zwischen diesen beiden Frisur-Antipoden, den Bunnies und den finsteren, hochgeschorenen Kriegern (jede Fußball-WM wird zu einem Catwalk solcher Typen), spielt sich das Leben ab. Und die Identitätssuche der Männer, die noch ziemlich viel vor sich haben. Dieses Spannungsfeld wollten wir mit der Illustration des „Kerls“-Covers von Michael Pleesz zeigen.

Auf ihren Identitätspirschgängen werden die Herren jeder ideologischer Herkunft natürlich begleitet von den argwöhnischen Blicken der Frauen, Misstrauensvorschuss all inclusive. Manchmal nimmt dieser Misstrauensvorschuss absurde Ausmaße an. „Was haltet ihr davon“, fragte die in ihrem Land populäre schwedische Comédienne Emma Knyckare im Winter 2017 in der größten Hitze des #MeToo-Schlagabtausches, „ein cooles Festival zu organisieren, bei dem nur Nicht-Männer willkommen sind, bis alle Männer gelernt haben, sich zu benehmen?“ Mittels Crowdfunding hat sie es inzwischen geschafft, ein solches männerloses Musikfestival auf die Beine zu stellen.

Doch wollen wir das? Eine von Männern entsorgte Gesellschaft? Erstens: Nein, zweitens Nein und nochmals Nein und außerdem erscheinen solche Aktionen so naiv wie „Radfahren gegen rechts“, eine Protestaktion gegen die damals neue rechtspopulistische Regierung in Österreich, bei der sich vorrangig grün orientierte Radfahrer stundenlang im Kreis bewegten, um ihren Unmut kundzutun. Oder das Alkoholverbot am Praterstern, einem Wiener Verkehrsknoten, wo sich Obdachlose, Junkies und Asylwerber sammeln. Zwar wird dort jetzt nicht mehr getrunken, doch in hundert Metern Entfernung geht es munter weiter – genauso oft bis zum Umfallen.

„Wir haben verloren“, erklärt Tim Robbins in Alan Balls viel gepriesener HBO-Serie „Here and Now“ und bezieht seine Resignation auf Donald Trump und die Niederlage der Demokraten. Aber natürlich passt diese Bemerkung auch auf das männliche Selbstverständnis.

Verunsicherung macht sich in allen Fraktionen und Schichten breit. Und Wut. Ein Gefühl, das, wie sattsam bekannt ist, alles nur noch schlimmer macht. Aber auch radikaler und unversöhnlicher.

Durch die Überhitzung und Hysterisierung der #MeToo-Debatte, der naturgemäß ein eigenes „Kerls“-Kapitel gewidmet ist, haben sich die Fronten noch einmal verhärtet. Wir sind alle inzwischen etwas ermüdet und entnervt von diesem Diskurs, der seit Oktober 2017 am Rotieren gehalten wird. Aber er ist natürlich immens wichtig, im historischen Rückblick möglicherweise so bedeutend wie die Erkämpfung der Fristenlösung, die Scheidungsgesetz-Reform und die Institutionalisierung von Gleichbehandlungs-Kommissionen.

„Der größte Feind des Mannes ist nicht der Feminismus, sondern er selbst“, schrieb die amerikanische Autorin Susan Faludi, die mit ihrer inzwischen zum Klassiker avancierten Bestandsaufnahme amerikanischer Männlichkeit, „Stiffed“, was mit „angeschmiert“ oder „über den Tisch gezogen“ übersetzt werden kann, 1999 das männliche Krisengebiet publizistisch eröffnete (der Titel der deutschen Ausgabe lautet „Männer – das betrogene Geschlecht“).

Bloß kein Mitleid mit Dinosauriern der Frauenverachtung wie Donald Trump oder Harvey Weinstein, aber sie verkörpern gleichzeitig auch Lehrbuchbeispiele für Faludis These.

„Der Mann ist das Problem“, sang Udo Jürgens 2014, knapp vor seinem Tod im 81. Lebensjahr in einem seiner letzten Lieder. Er starb „Mitten im Leben“ (auch das ein Jürgens-Song) und man hatte schon vorher das Gefühl, dass er der Kunstfigur, die im weißen Bademantel noch immer in vollen Hallen vor Lebensenergie zu platzen schien, keine Schwächen und Regenerationsphasen durchgehen ließ. Ein altes Männerproblem, das Nicht-Zugeben-Können, dass es zu viel wird, dass man überfordert ist.

„Das Drama des Mannes ist“, so erklärte die Feministin und Schriftstellerin Erica Jong schon in einem 20 Jahre zurückliegenden „profil“-Interview, „dass er nicht weiß, wo die gute Männlichkeit aufhört und die schlechte beginnt. Und niemand hilft ihm dabei, es herauszufinden.“

Die jungen Menschen müssen neuerdings ihren Bewerbungen ein Motivationsschreiben beilegen, in dem sie deutlich machen sollen, warum sie genau diesen und keinen anderen Job auf dieser Welt wollen. Müsste ich ein solches Schreiben als Begleittext für dieses Buch verfassen, würde ein Satz darin lauten: „Ich möchte ihnen (den Herren) und uns (Damen) helfen, es zumindest ein bisschen herauszufinden.“

Seit 30 Jahren arbeite ich als Journalistin und empfinde diesen Job bis heute als Privileg. In kaum einer anderen Branche ist einem so viel direkter Zugang zum prallen Leben vergönnt. Außer vielleicht in der Ambulanz eines Krankenhauses. Die Erforschung der männlichen Befindlichkeiten, ihrer Bruchstellen und tektonischen Verschiebungen hat mich – auch aus ganz egoistischen, persönlichen Gründen – immer interessiert. Ich wollte mir Antworten auf Fragen holen wie:

Wieviel Tier steckt tatsächlich im Mann?

Setzt eine Erektion das Denken außer Kraft?

Warum bringen sich Männer dreimal so häufig um wie Frauen?

Was fühlen sie, wenn sie zuschlagen?

Ist die Bagger-App Tinder ihre Vorstellung eines zwischengeschlechtlichen Paradieses?

Leiden sie an Trennungen genauso wie wir und wenn ja, warum können sie es uns nicht zeigen?

Warum verlieren Scheidungsväter so leicht den Kontakt zu ihren Kindern?

Wie erklären Mütter ihren Söhnen am besten, wie ein Mann zu sein hat?

Was sagt uns das Schweigen der Männer?

Und hatte Madame de Beauvoir recht, als sie sagte: „Niemand ist den Frauen gegenüber aggressiver oder herablassender als ein Mann, der seiner Männlichkeit nicht ganz sicher ist“?

In jedem Fall richtig liegt Sibylle Berg, als sie schrieb: „Die Steinzeit hat sich auch nicht halten können. Irgendwann setzt sich selbst bei der Spezies Mensch die Intelligenz durch – und intelligent ist es, zu erkennen, dass eine gleichberechtigte Gesellschaft in jeder Hinsicht für alle angenehmer ist.“

Ich habe Gespräche mit inhaftierten Gewalttätern, Arbeits- und Obdachlosen geführt, bin Psychiatern, Profilern, Philosophen und Psychotherapeuten auf die Nerven gegangen, versuchte mich in Väter einzufühlen, die ihre Kinder nicht mehr sehen dürfen, und wollte von meinen Freunden wissen, warum Männer häufig aus dem Leben ihrer Frauen unter (bestenfalls) Hinterlassung einer SMS einfach verschwinden.

Viele Begegnungen sind in diesem Buch (zumindest auszugsweise) versammelt. „Kerls“ ist aber kein Ratgeber – ein solcher Anspruch erschiene mir zu vermessen –, sondern eine Art Reiseführer durch die neuesten Erkenntnisse im Männer-Land, durchmischt mit meinen journalistischen sowie privaten Erlebnissen und den neuesten Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet. Und ein bisschen sollte „Kerls“ auch eine Art Handreichung in Buchform sein: #HeyYou anstelle von #MeToo.

Es ist Zeit, dass sich beide Geschlechter wieder an den Verhandlungstisch setzen. Wenn „Kerls“ dazu einen Beitrag leisten kann, wäre das großartig.

Wien, im Sommer 2018

„Wie Schiffe im Nebel“:
Im Chaos der Identitätssuche

„Du bist das Opfer deines Ikea-Instinkts.“

Edward Norton in „The Fight Club”

„Was ist das: Pinkelt im Sitzen,
trinkt Biolimonade und hat keinen Sex?“

Aus der „Bild“-Zeitung

„Das Wort Versager trifft ja auch nur
auf Männer zu. Versagerin hört man nie.“

Aus Martin Grubers „Die wunderbare Zerstörung des Mannes“

Auf der Bühne seines aktionstheater ensembles hat Martin Gruber sechs Männer versammelt. Der Vorarlberger Theatermacher, der mit seiner Truppe seit Jahrzehnten zu einem verlässlichen Seismografen gesellschaftspolitischer Verschiebungen und Bruchstellen geworden ist, hat sich im Frühling 2018 mit dieser Arbeit tief in die Verunsicherungen und Ängste von Männern gegraben. In wochenlangen „Bohrarbeiten“ hat er sechs unterschiedliche Typen interviewt und sie sanft aus ihren Komfortzonen in jene Gebiete gelotst, wo das herkömmliche „Gockelgehabe“ abfällt und „die Hosen auch schon einmal runtergelassen werden“.

Das aus vielen Gesprächsstunden destillierte Stück „Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ ist, wie Gruber sagt, „eine Analyse oder ein Psychogramm“ mit dem Anspruch auf Wahrhaftigkeit; moralische Warnsignale werden in jedem Fall nicht ausgesendet.

Sechs Männer stehen auf der Bühne, sie erzählen Geschichten aus ihrem Alltag, über die dominante Mutter, die Dauer-Erektion im Schwimmbad, die Abneigung gegen „Blümchensex“, das Heldengefühl in einem Baumarkt und die Unsicherheit, ob man denn einer Frau überhaupt noch nachschauen dürfe. Sie lassen aber auch ihre Sehnsüchte und Schuld- wie Schamgefühle vom Stapel. Alles mit dem Echtheits-Zertifikat, weil tatsächlich von Protagonisten erlebt.

Diese Wanderungen durch männliche Identitäten sind durch einen gemeinsamen Nenner gekennzeichnet: Orientierungslosigkeit. Jeder von ihnen möchte ein idealer Mann sein, aber gleichzeitig weiß keiner von ihnen, so Martin Gruber, wie so ein idealer Mann eigentlich auszusehen hat. Und über allen schwebt die Frage: „Wo hört der Macho auf und wo fängt der Waschlappen an?“ Und natürlich, #MeToo-bedingt: „Was darf ich denn überhaupt noch?“

Im konservativ-populistischen Lager führt dieses Identitätsringen noch immer zu Häme und Spott. „Was ist das: Pinkelt im Sitzen, trinkt Biolimonade und hat keinen Sex?“, lautet eine Frage der „Bild“-Zeitung anlässlich des Weltmännertags 2017. Michael Witt, Autor der Kolumne „Mein Leben als Mann“ in der „Bild am Sonntag“, serviert auch gleich die Antwort: „Richtig, der moderne Mann. Alles, was uns einmal ausgemacht hat, liegt auf der Müllhalde der männlichen Attribute: körperliche Stärke, Risikobereitschaft, Leistungswille, Lust am Wettstreit. Wurde alles in Selbsthilfekursen weggeatmet.“ Doch von der „Bild“-Zeitung gendersensiblen Weitblick zu verlangen, wäre natürlich total daneben.

Ich war jedoch ziemlich erstaunt, als Elisabeth Badinter, die Pariser Philosophin, Autorin und Feministin, bei einem Interview in der französischen Botschaft in Wien anlässlich ihrer Biografie über Maria-Theresia beim Thema „Mann in der Krise“ folgende Aussage machte: „Natürlich existiert diese Krise. Sie ist auch ein Resultat der harten Arbeit von Feministinnen, die Männern seit Jahrzehnten erzählen, was sie denn für Dreckskerle sind. Die Männer stehen unter ständiger Kritik und unter ständigem Druck, ihre Vormachtstellung haben sie ohnehin längst verloren.“ Als mein Kollege Robert Treichler und ich 2017 dieses Gespräch führten, war Donald Trumps berüchtigter Lockerroom-Talk („You just have to grab them by the pussy“) bereits längst publik geworden. Aber abgesehen davon: Dass ausgerechnet eine Feministin, noch dazu eine weltbekannte, den Kampf um Gleichberechtigung als Entschuldigungsgrund für die Krisensituation des Mannes anführte, war dann doch befremdend.

„Maskuline Energie“

Diesen Job erledigen seit Jahren strenge Männerforscher wie der Schweizer Soziologe Walter Hollstein, Autor des Buches „Was vom Manne übrig blieb“, der klagt: „Männer orientieren sich nicht an dem, was sie im Tiefsten wollen, sondern an dem, was Frauen von ihnen möchten und als politisch korrekt gilt.“ Sie trauten sich noch immer nicht, „ihre ureigensten Bedürfnisse einzugestehen.“

Oder der Physiker Ralph Bönt, der in seinem Werk „Das entehrte Geschlecht“ den Mann als abgefrühstücktes Opfer der Emanzipation vorführt: „Der Mann wird immer öfter behandelt, als sei er wunderlich, blind, aufgebläht und entstellt. Es wird ihm die Rolle des Mindermenschen zugewiesen, und das Merkwürdige ist: Er nimmt das in der Regel gleichmütig hin.“

„Du bist das Opfer deines Ikea-Instinkts“, heißt es in David Finchers „Fight Club“ aus dem Jahr 1999, ein Film, der den aktuellen Zeitgeist nahezu prophetisch vorwegnahm: Der Protagonist (gespielt von Edward Norton) ist ein aus der Spur gekommener Loser, der an Schlaflosigkeit leidet und so isoliert ist, dass er sich in Selbsthilfegruppen schmuggelt, um Spurenelemente von Nähe zu erfahren. Er hasst sich dafür, abends alleine in einem Ikea-Katalog zu blättern und den Kauf von Einrichtungsgegenständen mit seltsamen Vornamen in Erwägung zu ziehen. Sein Leben bekommt Ego-Sprit, als er durch einen geheimnisvollen Fremden Zutritt zu einer Geheimloge namens „Fight Club“ bekommt. Dort möbelt er sein angeschlagenes Selbstbewusstsein auf, indem er bis zum Umfallen auf Gleichgesinnte eindrischt und so auch seinen Ikea-Instinkt tötet. Und dadurch seine Männlichkeit und seinen Stolz wieder auf die Spur hievt.

Der US-Ehe- und Familientherapeut Robert Glover forderte in seiner Polemik in Buchform „Nie mehr Mr. Nice Guy“, die 2016 wochenlang auf der Bestsellerliste der „New York Times“ stand, dass Männer aufhören sollten, „liebevoll, verständnisvoll, bemüht und nachgiebig“ zu sein, denn solche Attribute würden direkt in die „Nettigkeitsfalle“ führen. Diese müsse der moderne Mann dringend wieder verlassen, um sein ramponiertes Selbstbewusstsein zu pimpen. Nur durch die Rückeroberung verloren gegangener Männlichkeit könne er sein Ego sowie sein Liebes- und Sexleben wieder stärken. Schließlich habe der Mann nur durch Ausübung seiner „maskulinen Energie“ seit dem Neandertal überlebt.

Der amerikanische Psychiater und Arzt Edward M. Stephens, der im Staat New York eine Akademie für „male studies“ gegründet hat, wo er Vorträge mit Titeln wie „Männer – eine Spezies in Gefahr“ oder „Der Vater-Instinkt“ hält, stößt in ein ähnliches Horn. Er und seine Anhänger fordern einen „promännlichen“ Forschungsansatz und eine radikale Abkehr von „diesem Psychogewäsch“, das nichts anderes als „ein Krieg gegen die ist, die ich richtige Männer nenne“. In seinem Blog schreibt er wenig erhellend: „Wenn du ein Mann bist, dann weißt du, was es heißt, ein Mann zu sein.“

Ein solcher Ordnungspfiff in Richtung Rückeroberung der Männlichkeit war in dieser Art schon einmal, vor fast 30 Jahren, erfolgt, als der US-Poetikprofessor Robert Bly die „Eisenhans“-Bewegung ins Leben rief. Grimms Märchen vom Eisenhans diente Bly als Parabel. Den Tiefen eines Zauberbrunnens entsteigt ein zotteliger Unhold, der Körper braun wie rostiges Metall. Dieser Eisenhans nimmt sich in Folge eines elternlosen Königssohnes an, und nach allerlei Mutproben und sozialen Erniedrigungen (der Knabe muss an einem fremden Herrscherhof als Gärtnergehilfe dienen) ist der Eleve reif für große Taten.

Das Drama laut Bly sei, dass die armen amerikanischen Söhne ihre Väter inzwischen nur mehr als Männer erleben, die „im Wohnzimmer mit der Zeitung rascheln“. Solche Leisetreter, klagte er, „sind ganz sicher nicht im Begriff, Jerusalem zu erbauen“. Auf Wochenendseminaren und in Workshops in freier Natur spürte die aus Blys Ideologie entstandene „Wildman“-Bewegung den Wurzeln des Mannseins nach. Mit skurrilen Auswüchsen: Ausgebrannte Manager, Öko-Softies und Feminismus-Widersacher rotteten sich in der Wildnis zusammen, um nachts schreiend um Feuerstellen zu tanzen. Das Buch zur groß angelegten Rückholaktion verloren gegangenen Männlichkeitsbewusstseins, „Iron John“, so der Originaltitel (auf Deutsch „Eisenhans“), hielt sich 1990 39 Wochen lang an der Spitze der Bestsellerliste der „New York Times“, was der Beweis war, dass Bly mit seiner Analyse einen wunden Psycho-Punkt getroffen hatte.

Die Veranstaltungen des Männlichkeitsprofessors Stephens kommen ohne Feuertänze aus, sie finden vorrangig in nüchternen Seminarräumen statt. Aber was heißt es heute tatsächlich, ein von diesem „Psychogewäsch“ befreiter Mann zu sein, Professor Stephens? Rhythmisches Schwingen von Liane zu Liane unter exzessivem Brustgetrommel, Franchising von Fight Clubs, Mammon- anstelle von Mammut-Jagd, Konsum von blutigem Fleisch, mit der Delete-Taste auf Gefühle wie Empathie und Verständnis drücken?

Der zur Zeit mächtigste Mann der Welt signalisiert seiner First Barbie Melania immer wieder mit dem Kommandoton „You go and sit down“, dass es Zeit ist, die Bühne zu verlassen. Das noch größere Drama ist, dass sie ihm, wenn auch mit angewidertem Blick, auch noch gehorcht. Und alle Welt dabei erste Reihe fußfrei zusieht. So sad. Das ist keine maskuline Energie, sondern einfach nur sauschlechtes Benehmen. Der an der kalifornischen Stanford University lehrende Anthropologe Robert Sapolsky, weltweit angesehener Spezialist für das Verhalten von Pavianen, ist überzeugt: Hätte sich ein Alpha-Pavian in der freien Wildbahn „so hemmungslos“ wie Donald Trump benommen, hätte sich längst eine Weibchen-Truppe gegen ihn aufgelehnt und ihn „hochkant rausgeschmissen“.

Glücklicherweise haben sich Millionen Frauen im Januar 2017 diese nicht sehr kleidsamen rosa Mützen gestrickt und sind weltweit auf die Straßen gegangen, um sich nicht nur gegen Trump, sondern auch gegen ein rückwärtsgewandtes Geschlechterverständnis und diese toxische Männlichkeit – so das so häufig in diesem Zusammenhang gebrauchte Schlagwort – aufzulehnen.

Die Wut der Underdogs

Doch es ist inzwischen tatsächlich schon langweilig, sich am Frauenbild Trumps abzuarbeiten, über dessen Ungeheuerlichkeit sich sowieso alle einig sind. Die Entertainer-Legende Harald Schmidt erklärte, durchaus nachvollziehbar, in einem „profil“-Interview 2017: „Was auf unseren Gartenpartys zurzeit wahnsinnig anstrengend ist: Nach zehn Minuten kommt der erste mit Aperol Spritz in der Hand und erklärt einem, was Trump für ein Trottel ist. Was geht in diesen Leuten vor? Glauben sie, dass man ihnen zu ihrer brillanten Analysefähigkeit gratuliert? Blitzscharfes Gehirn! Das verleidet einem derzeit ein bisschen die Grillfeste.“

Interessanter und wahrscheinlich auch produktiver ist der Versuch, jene zu verstehen, die Trump und seine europäischen Ideologie-Kumpels überhaupt ermöglichen. Und die sich damit auch ein Zipfelchen ihrer verloren gegangenen „maskulinen Energie“ zurückerobern wollen.

Klar sind die klassischen Trump-Fans in den USA vor allem jene Klischee-Typen, die wie dem Schwarzbuch des Linksliberalismus entsprungen scheinen. Solche, die T-Shirts tragen, auf die Sprüche gedruckt sind wie „Wage nicht, mir die Waffe wegzunehmen“ und „NRA (Anm.: National Rifle Association) – wir verteidigen Amerika“. Solche, die im „Redneck Mud Park“ in Florida die Sau rauslassen und mit Buggies, Monstertrucks und Quads, die mit Trump-Fahnen geschmückt sind, johlend durch Schlammlöcher rasen, immer ein paar Bikinigirls an ihrer Seite und eine Kiste Bier dabei. Der Betreiber dieser Primitiv-Sause Danny Kelly kennt seine Klientel: „Wer herkommt, ehrt, was Amerika groß gemacht hat. Wer hier ist, redet nicht über #MeToo und gleichgeschlechtliche Ehe.“

Frauenverachtung, Fusel und Hass auf alles Fremde und Fremdartige dienen als Treibstoff solcher Truppen und zementieren das Zusammengehörigkeitsgefühl. Und die Frauen dieser Männer ticken genauso und leben diese Art von Brauchtum und all die damit verbundene Rückschrittlichkeit fröhlich mit. Wir haben es sattsam analysiert bekommen: 53 Prozent aller wählenden weißen US-Frauen haben Trump ermöglicht – und 62 Prozent von denen haben keinen College-Abschluss.

Die Rechtspopulisten der westlichen Welt waren klug, als sie europaweit die Underdogs und Unterprivilegierten, die ohne ideologischen Hafen durch ihre Existenz schipperten, an die Brust nahmen. Diese Wählerherde war mehr als abholbereit, weil sie die Nase voll hatte vom Minderheiten-Kuschelkurs der Mitte-Parteien und deren Überheblichkeit und Ignoranz, was ihre Ängste und Sorgen betrifft.

Wie sieht das Grundgefühl solcher wütenden Underdogs aus? „Es sind Männer, die das Gefühl haben, dass sie gelinkt werden, die sich von dem Land, das sie lieben, verraten fühlen, weggeworfen wie Müll am Rand der Datenautobahn“, schrieb der New Yorker Universitätsprofessor für Soziologie und Geschlechterforschung Michael Kimmel 2013 in seiner Analyse „Angry White Men“. Eine multikulturelle Gesellschaft empfinde diese Spezies der weißen Zornigen, die Kimmel in kulinarische Metaphorik verpackt, als echte Bedrohung: „In dem großen, neuen, multikulturellen Mosaik sind sie der langweilige weiße Hintergrund, für den sich keiner interessiert, das billige Weißbrot aus dem Supermarkt in einer Kultur mit Bagels, Tortillas, Wan Tan und biologischem Vollkorn-Teegebäck.“

„Heimat ist wie eine Droge“

Doch die gängigen Attribute wie „männlich, primitiv, ungebildet und orientierungslos“ greifen längst nicht mehr als einziges Erklärungsmodell für die neue politische Affinität zum starken Mann, der radikal durchzugreifen imstande ist. Oder es zumindest vorgibt. Die Ursachenforscher müssen sich da heute schon mehr anstrengen.

Der deutsche Soziologie-Professor Andreas Zick, der an der Universität Bielefeld forscht, gilt als Experte für Rechtsextremismus, Populismus und die Wählermotive, die diesen in Europa groß gemacht haben. Knapp nach dem Wahlsieg des ÖVP-Helden Sebastian Kurz erklärte er mir in einem Telefon-Interview: „Jetzt wird Kurz ja wie ein neuer Messias gefeiert, der Messias, der aus der Krise führen wird – wobei seine Stärke ja nur behauptet wird und noch nie überprüft wurde. Wie Deutschland ist ja Österreich ein zutiefst zerrissenes und gespaltenes Land – mit vielen neuen politischen Milieus, die der Populismus mit seinen einfachen Antworten viel besser binden kann als die alte Zivilgesellschaft. Die Klammer für diese Entwicklungen ist ein neuer Chauvinismus.“

Die einst klassisch abzugrenzenden Milieus sind spätestens seit 2015 und der Flüchtlingswelle in Europa nicht mehr verlässlich. Selbst das deutsche Sinus-Institut, das mit seiner Milieu-Kartografie den Standard in der Forschung festgelegt hatte, vermittelt Ratlosigkeit.

Mit der Farbkarte, auf der sich in Österreich neuerdings Rot, Türkis, Blau und Pink finden, ist dieser Gesellschaft nicht mehr beizukommen. Viel zu viele Widersprüche, viel zu viele Ängste, viel zu viel Wut, viel zu viel Politikfrust.

Alles ist in Bewegung, die ideologische Mischmaschine ist am Rotieren. Und diese Bewegung kreiert eben seltsame neue Mischwähler wie den radikalisierten Konservativen, Musikverein-Abonnent, Freund guter Rotweine, der die AfD oder FPÖ plötzlich gar nicht mehr so vulgär findet wie noch vor ein paar Jahren. Wie die Wählerstromanalysen zeigten, war ja der dominierende AfD-Wählertypus kein abgehängter Underdog, sondern der etablierte Mittelschichtmann. Einer, der sich, wie das der Philosoph Richard David Precht in einem „stern“-Interview beschrieb, eine Stimmung „wie in den alten Heinz-Erhardt-Filmen“ zurückwünscht: „Da, wo alles so dick und gemütlich und wundersam unschuldig war. Ein behaglich schmunzelndes Wohlfühl-Land, zehn Jahre nach dem Holocaust. Das ist der emotionale Kern dieser Retropie.“

Und dann ist da natürlich der populistisch aufgeheizte Ex-Rote, der alle in Anspruch genommenen Sozialleistungen (Gemeindewohnung, Frühpensionierung) zugunsten seines neuen liebsten und einfachsten Feindbildes, des Flüchtlings, ausblendet. Weiters haben wir da noch den ausländerfeindlichen Second-Generation-Migranten, der in schlechtem Deutsch findet, dass die Flüchtlinge alle erst einmal eine g’scheite Deutsch lernen sollen. Und den ideologiefreien Wut-Youngster, der aus purem Protest ins rechte Lager schwenkt und ansonsten im Leben vor allem keinen Plan und so hat.

Nicht zu unterschätzen ist die kleine, aber stetig expandierende Gruppe der Hipster-Rechten, die einen relativ neuen Typus im soziologischen Spektrum darstellen. Dieser Typus bereichert die Frisuren-Palette mit einer streng geschorenen Kurzhaarfrisur in Kombination mit einem verwegenen Seitenscheitel, die an Hitlerjugend-Anführer erinnert. Diese Jungmänner vibrieren „im Volksrausch“, wie das ein Identitärer im Berliner „Tagesspiegel“ bezeichnete, und betrachten Heimat als Kampfauftrag. Die Slogans, die die Identitären und ihre Epigonen klopfen, lauten: „Wir sind keine Nazis, wir sind Patrioten“, „Den Kampf gegen den großen Austausch führen“ oder „Zurück zu unseren Wurzeln“. Sie begreifen Ideologie als Abenteuerspielplatz („Heimat ist wie eine Droge“) und bedienen sich obsessiv der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten, um via Twitter und Facebook einen alten Kulturkampf zu führen. Oder sie frönen einem eigenartigen Aktionismus, wie etwa mit Seilen auf ehrwürdige Institutionen wie das Wiener Burgtheater zu klettern.

Im Gegensatz zu Neonazis herkömmlicher Machart legen diese Typen durchaus Wert auf Styling – sie tragen gerne Fred-Perry-Shirts, Hoodies, Nerd-Brillen und eben das Haar streng kurz, ihre Musikidole sind Andreas Gabalier, Helene Fischer oder das Duo Seiler & Speer.

Ach ja, und die traditionellen Neonazis gibt es auch noch. Meine „profil“-Kollegin Christa Zöchling ist eine ausgewiesene Spezialistin für den bedrückenden Mikrokosmos der Burschenschaften, „die nicht ganz die Hälfte der freiheitlichen Abgeordneten“ in Österreichs aktueller türkis-blauer Regierung stellen. In einem Essay über das Weltbild der Burschenschafter zitiert sie Textauszüge der als besonders rechtsextrem geltenden „Olympia“, deren Website inzwischen für Außenstehende gesperrt ist. Dort wurde für ein geselliges Beisammensein mit den Worten geworben: „Bist du häßlich, fett, krank oder fremd im Land […] oder hast du eine Freundin mit, die weder schön noch still ist, dann bleib lieber zu Hause.“ Das Argument: „Angesichts der grassierenden Gleichmacherei gehe doch der Eros zwischen den Geschlechtern flöten, darauf dürfe man doch noch humorig hinweisen.“

Die Frauen der FPÖ stünden, so Zöchling, den Männern genderideologisch um nichts nach. Die einzige FPÖ-Frau im Team der Koalitionsverhandlungen war Anneliese Kitzmüller, heute Dritte Präsidentin im Österreichischen Nationalrat. Sie bedeutet insofern keine Gefahr für ihre Parteikollegen, als sie am „Internationalen Frauentag“ dazu aufrief, „die Bedeutung der Frau als Fundament der Familie wieder zu würdigen“. Kitzmüller, Mitglied in sogenannten Mädelschaften zu Wien und Linz, ist auch gegen Väterkarenz, weil „echte Männer“ ohnehin nicht zu Hause bleiben wollen.

„Ich kann schießen“, erklärte der Obmann der rechtspopulistischen FPÖ und amtierende österreichische Vizekanzler H. C. Strache auf die „profil“-Frage, ob er eine Waffe trage. Solche martialischen Accessoires sind offensichtlich inzwischen nicht nur in den USA salonfähige Männlichkeits-Attribute. Vor ein paar Jahren hätten sich die Spin-Doktoren jedes Politikers die Haare büschelweise ausgerissen, hätte ihr Klient solche Sprüche vor der Presse geklopft. Jetzt verhallen sie unkommentiert. Die Gesellschaft hat sich an die Reanimation eines lange unbemerkt vor sich hin dämmernden Machismus inzwischen gewöhnt.

Auch der australische Regisseur Simon Stone, der sich Anfang 2018 anhand von August-Strindberg-Texten in die von einem neuen Machismus geprägte Gegenwart einarbeitete, sieht die Aufhebung der Grenzen zwischen Politischem und Privatem. In einem Interview, das er mit meiner Kollegin Karin Cerny während der Probenarbeit am „Hotel Strindberg“ führte, eine Produktion, die am Theater Basel und dem Burgtheater gezeigt wurde, sagte er: „Der Aufstieg der Rechten und der konservativen Populisten, den wir gerade beobachten, hat meiner Meinung nach viel mit Genderfragen zu tun. Es gibt zahlreiche ältere Männer, die sich eingeschüchtert fühlen, die glauben, ihnen werde durch den Feminismus die Kontrolle über ihr Leben genommen. Sie sehen diese modernen starken Frauen und die ganzen sanften jungen Männer und sind völlig irritiert. Und deswegen wollen sie in ihre vergangene Welt zurückkehren. Das hat viel mit Misogynie und Chauvinismus zu tun.“

Ohnmacht und Kontrollverlust

All diese alten und neu vermischten Typen sind, trotz ihrer Unterschiedlichkeit, durch ein Gefühl geeint: Abstiegsangst. Und diese Form der Angst ist vorrangig ein männliches Gefühl, nicht umsonst läuft die Wirtschaftskrise in den USA auch unter der Bezeichnung „Hecession“, ein Begriffs-Hybrid aus He und Recession.

„Der Populismus“, so der Soziologe Andreas Zick, „operiert sehr stark mit diesem Gefühl der Ohnmacht.“ Ohnmacht, das Gefühl, an der Wand zu stehen und die Kontrolle über die Selbstbestimmung zu verlieren, macht sich nicht nur unter den rechten Desperados breit, sondern unter Männern quer durch alle Schichten, Altersgruppen und Ideologien.

Der deutsche Modeschöpfer und Schriftsteller Wolfgang Joop lieferte mir schon im Jahr 2003 eine aus heutiger Sicht prophetische Analyse des ramponierten Mittelschicht-Mannes: „Natürlich ist der Mann heute eine traurige Figur. Er baut auf nichts mehr auf, hat nur noch einen Computerschirm vor sich, wird von einem Chef, der in einer anderen Etage sitzt, unter Druck gehalten, und zu Hause von einer emanzipierten Frau gedemütigt. Ein durch und durch tristes Dasein, in dem er sich häufig Ventile für schäbige Perversionen sucht.“

In einem Interview mit dem „stern“ beschreibt die Hamburger Sexualtherapeutin Katrin Hinrichs die Leiden der 45-plus-Männer in ihrem therapeutischen Alltag so: „Die sind wie Schiffe im Nebel, die sich verloren haben. Der Klassiker sieht dann so aus: Die Frauen verlieren die Lust am Sex, weil sie mit ihren Partnern keine echte Intimität entwickelt haben. Und die Männer wollen mehr Sex und haben keine Ahnung, dass sie sich eigentlich genauso nach tiefer Nähe und echter Intimität sehnen.“ Hinrichs bezieht sich mit dieser Metapher auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen; tatsächlich passt sie aber genauso auf die Suche nach einem neuen Selbstverständnis: Männer verhalten sich bei der Suche nach ihrer Identität wie „Schiffe im Nebel“.