Marco Kratzenberg
Schicht im Schacht
Die dämlichsten Todesfälle
Quatsch
Fischer e-books
Marco Kratzenberg, geboren und aufgewachsen im Ruhrgebiet, lebt mit seiner Familie im Münsterland. Eines Tages wird er sterben – wie er hofft, nicht aus eigener Dummheit. Seit über zwanzig Jahren arbeitet Marco Kratzenberg als Computerjournalist für fast jedes Computermagazin und einige Tageszeitungen sowie als Autor zahlreicher Computerbücher. Seit 2008 betreibt er eine Webseite, für die er täglich rund 250 Pressemeldungen sichtet, um Hinweise auf passende Todesfälle zu finden, und aus deren Fundus dieses Buch entstand. Darauf hatten ihn weder sein abgebrochenes Ballettstudium noch sein abgebrochenes Biologiestudium vorbereitet. Eher noch sein abgebrochenes Psychologiestudium.
Covergestaltung: bürosüd°, München
Coverabbildung: Bürosüd°
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-401184-4
Gäbe es eine Top Ten der dämlichsten letzten Worte, dann würde vermutlich so etwas wie »nur mal eben schnell noch …« ganz oben stehen. Es ist kaum zu glauben, was manche Menschen für tödliche Dummheiten anstellen und sich dadurch mehr oder minder freiwillig, auf jeden Fall aber für immer, aus dem Genpool der menschlichen Gemeinschaft eliminieren. Inspiriert von den amerikanischen Darwin Awards, die alljährlich für die spektakulärsten unfreiwilligen Todesfälle verliehen werden – habe ich mich auf die Suche nach unseren Landsleuten und unmittelbaren Nachbarn gemacht, die der Lehre der natürlichen Auslese folgend mit einem unglaublichen Abgang von uns geschieden sind. Die internationalen Fälle sind zweifelsohne kurzweilig, aber gleichzeitig auch sehr übertrieben. Wenn ein amerikanischer Vater seinen Sohn mit einem Gewehr erschießt, weil der beim Football-Endspiel vor dem Fernseher steht, dann mag das stimmen – aber mit deutschen Verhältnissen hat das nichts zu tun. Hier haben die Leute in aller Regel keine Pumpgun unter dem Fernsehsessel.
Gäbe es eine Top Ten der dämlichsten letzten Worte, dann würde vermutlich so etwas wie »nur mal eben schnell noch …« ganz oben stehen. Es ist kaum zu glauben, was manche Menschen für tödliche Dummheiten anstellen und sich dadurch mehr oder minder freiwillig, auf jeden Fall aber für immer, aus dem Genpool der menschlichen Gemeinschaft eliminieren. Inspiriert von den amerikanischen Darwin Awards, die alljährlich für die spektakulärsten unfreiwilligen Todesfälle verliehen werden – habe ich mich auf die Suche nach unseren Landsleuten und unmittelbaren Nachbarn gemacht, die der Lehre der natürlichen Auslese folgend mit einem unglaublichen Abgang von uns geschieden sind. Die internationalen Fälle sind zweifelsohne kurzweilig, aber gleichzeitig auch sehr übertrieben. Wenn ein amerikanischer Vater seinen Sohn mit einem Gewehr erschießt, weil der beim Football-Endspiel vor dem Fernseher steht, dann mag das stimmen – aber mit deutschen Verhältnissen hat das nichts zu tun. Hier haben die Leute in aller Regel keine Pumpgun unter dem Fernsehsessel.
Um den hiesigen Gegebenheiten gerecht zu werden, rief ich Anfang 2008 die Webseite darwinpreis.de ins Leben. Mittlerweile sichte ich täglich rund 250 Pressemeldungen, um Hinweise auf entsprechende Todesfälle zu finden. Alles begann mit der Meldung eines jungen Mannes, der aus nicht ersichtlichen Gründen einen Güterwaggon erklettert hatte und der Oberleitung zu nahe gekommen war – mit blitzendem, aber tödlichem Ausgang. Damals dachte ich noch, so etwas würde wohl nur selten vorkommen. Im Laufe der folgenden Jahre zeigte sich, dass ich damit gründlich falsch lag.
In diesem Buch ist nun eine Auswahl der Todesfälle, die mir im Laufe der Jahre begegnet sind, versammelt – in chronologischer Reihenfolge vom Februar 2008 bis in den Dezember 2010. Es gab und gibt wesentlich mehr Fälle, über die ich auf meiner Website berichtet habe. Die schiere Masse an übermütigen Motorradfahrern ist für sich genommen schon absolut unglaublich und von daher sogar noch eine Steigerung der Dämlichkeit eines einzelnen. In Buchform wäre es allerdings doch eher ermüdend, siebzig Berichte über tödlich endende Wheelies lesen zu müssen. (Ganz nebenbei: Ich fahre selbst gerne Motorrad und weiß, dass 99 Prozent der nahezu täglich tödlich verunglückten Motorradfahrer nicht aus eigener Dummheit, sondern aus Ignoranz und Unachtsamkeit der Autofahrer sterben. Seit ich die Website betreue, fahre ich wesentlich vorsichtiger und vorausschauender.)
Auch eine thematische Bündelung fand ich langweilig, und deshalb gibt es in dieser Sammlung kein Drehbuch – obwohl ein Spannungsbogen gleich beim ersten Fall eine entscheidende Rolle spielt –, nein, wir folgen ganz einfach dem Lauf des Lebens … Sie wissen schon.
Um eines gleich vorab klarzustellen: Wer der Meinung ist, dass ich hier über die Toten »witzele«, hat die Sache nicht verstanden. Ich prangere sie an, ja! Ich spreche Klartext, auch wenn das mal zynisch oder makaber klingen mag (was sich bei dieser Thematik leider auch nur schwer vermeiden lässt). Schwarzer Humor geht an die gewohnten Grenzen – und manchmal eben ein Stückchen drüber. Er ist meiner Meinung nach aber auch der beste Weg, um sich mit den traurigen, dämlichen, unglaublichen Fakten in diesem Buch auseinanderzusetzen.
Wenn Sie durch die Lektüre dieses Buches für skurrile Todesfälle sensibilisiert wurden, würde ich mich freuen, wenn Sie sich auf meiner Homepage beteiligen. Dutzende treuer Leser und Fans haben mich schon auf richtig dämliche Fälle aufmerksam gemacht, die mir sonst durch die Lappen gegangen wären. Auf darwinpreis.de gibt es ein Kontaktformular, oder schicken Sie mir Ihre Meldung an dummgelaufen@darwinpreis.de. Mein Dank sowie die Nennung Ihres Vornamens sind Ihnen gewiss.
So, und jetzt viel Spaß – oder was auch immer.
Marco Kratzenberg, im Juni 2011
Fulda, Februar 2008 • Es kann nur gerätselt werden, was die beiden jungen Männer (18 und 19) getrieben hat, als sie in der Nacht von Montag auf Dienstag im Hauptbahnhof von Fulda auf einen Zug kletterten. Es war kein gewöhnlicher Montag, sondern Rosenmontag, da kommt man schon mal auf seltsame Ideen. Doch wacht man in den allermeisten Fällen am Folgetag neben diesen auf und kann sich davonstehlen.
Dieses Glück hatte zumindest einer der beiden Pechvögel nicht. Die zwei Abenteurer kletterten auf dem Dach eines Regionalzuges herum und kamen dabei der starkstromführenden Oberleitung gefährlich nahe. Nach Zeugenaussagen kam es zu einer Lichtbogenentladung, sprich: ein starker Stromblitz traf die beiden jungen Männer, verbrannte sie lebensgefährlich und schleuderte sie vom Zug. Der Zwanzigjährige war sofort tot. Sein neunzehnjähriger Kletterpartner kam schwer verletzt ins Krankenhaus.
Die Polizei von Fulda wies darauf hin, dass die Leitung selbst gar nicht berührt werden muss – es reicht bereits ein Abstand von etwa 1,50 Metern aus, um eine spontane Entladung zu provozieren.
Aachen, Februar 2008 • Der 1. Februar reduzierte die Einwohnerzahl der schönen Kaiserstadt Aachen für immer um einen Fahrradfahrer. In der Nähe des bekannten Elisenbrunnens schwenkte er plötzlich und ohne nach hinten zu sehen vom Fahrbahnrand zur Fahrbahnmitte.
Der plötzliche Richtungswechsel und die gleichzeitige Achtlosigkeit waren seine ersten beiden Fehler. Zusammen mit Fehler Nummer drei führte das Ganze schließlich zu seinem plötzlichen Ableben. Denn auch er frönte der weit verbreiteten Unsitte, im Straßenverkehr bei maximaler Lautstärke Musik aus einem MP3-Player zu lauschen. Der war in diesem Fall so laut aufgedreht, dass er die Signale eines sich von hinten nähernden Rettungswagens im Einsatz nicht hörte und von ebendiesem erfasst wurde.
Obwohl ein Rettungswagen entsprechend schnell zur Stelle war, verstarb der Musikfreund noch an der Unfallstelle.
Ansfelden (Österreich), Februar 2008 • Josef H. hatte die Entmistungsanlage im österreichischen Ansfelden selbst vor Jahren aufgebaut. Nun sollte er sie warten. Am 2. Februar wollte der Mann (47) alles auf seine Funktionstüchtigkeit überprüfen und wies daher den Bauern an, die Anlage in Betrieb zu nehmen und mit Mist zu befüllen. Nach etwa zehn Minuten wunderte sich der Bauer, dass er immer noch nichts gehört hatte, und er ging nach draußen, um nachzufragen. Doch Josef H. war wie vom Erdboden verschluckt.
In bäuerlicher Ruhe ging der Landwirt also wieder hinein und schaltete die Anlage ab. Nach einiger Zeit begann er damit, seinen gesamten Hof nach dem Techniker abzusuchen. Schließlich blieb als Aufenthaltsort eigentlich nur noch der Misthaufen. Der aber war mittlerweile riesig.
So entschied sich der Bauer, die Feuerwehr Nettingsdorf um Hilfe zu bitten. Als endlich die Austrittsöffnung der Mistanlage erreicht war, fand man den Kopf des Entmistungsinspekteurs …
Auf welche Weise genau er sich dem menschlichen Genpool entzogen hat, konnte nicht sofort geklärt werden, obwohl die Staatsanwaltschaft die umgehende Obduktion des Körpers anordnete.
Februar 2008 • Ich weiß, es mag für viele hart klingen, aber generell neige ich dazu, Selbstmord als eine Todesart zu sehen, die eindeutig eine Verbesserung des menschlichen Genpools darstellt. Die geistige Verfassung von Selbstmördern ist hoffentlich nicht erblich.
Aber der ostfriesische Bewerber um den Darwinpreis hat wirklich alles gegeben! Die Polizei konnte keine gesicherten Angaben zu den Gründen der Tat machen, ging aber in etwa von folgendem Szenario eines Beziehungsdramas aus:
Der Protagonist (32) tauchte bei seiner Bekannten (27) auf. Was da genau geschah, werden wir wohl nie erfahren. Den Höhepunkt des Besuchs bildete aber eindeutig die Enthauptung der Frau mit einer Machete.
»Verwische Deine Spuren«, dachte sich der Täter vermutlich. Vielleicht wollte er aber auch nur noch mehr zerstören. Auf jeden Fall legte er anschließend mit Benzin ein Feuer, in dessen Verlauf es auch noch zu einer Explosion kam. Das Haus gilt nun als unbewohnbar.
Überhaupt hatte er den Tatort gut ausgerüstet erreicht. Bei ersten Ermittlungen wurden dort nicht nur die blutverschmierte Machete gefunden, sondern auch Säbel, Messer, eine Schreckschusspistole sowie Munition. Nicht aber den Kopf der Frau. Den nahm er nämlich mit auf seine letzte Reise.
Eine Nachbarin sah nach der Tat, wie unser Bewerber mit seinem Auto davonfuhr. Nun ist es aber nicht so, dass irgendwer sofort irgendwelche Zusammenhänge in all den Vorkommnissen gesehen hätte.
Erst als der Täter frontal mit einem Lastwagen zusammenstieß und dabei verstarb, fand die Polizei weitere Waffen in dem Fahrzeug – und auf der Rückbank den Kopf der Frau.
Da schließlich stellte man eine Verbindung zwischen der Frau, einer Vermisstenanzeige durch ihren derzeitigen Lebensgefährten, dem Hausbrand und dem Unfall her.
Jetzt, wo alles vorbei ist, äußert sich auch die Stimme des Volkes. Der dicke Mann wird als »merkwürdig und schräg« bezeichnet. Und außerdem hätte er mit seinem Pferdeschwanz wild ausgesehen.
Berlin Neukölln, Februar 2008 • 1973