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Rolf Morrien | Judith Engst

BÖRSE

LEICHT VERSTÄNDLICH

Von der Depot-Eröffnung zum optimalen Depot

Rolf Morrien | Judith Engst

BÖRSE

LEICHT VERSTÄNDLICH

Von der Depot-Eröffnung zum optimalen Depot

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

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8. komplett aktualisierte und erweiterte Jubiläumsausgabe, 2., aktualisierte Auflage 2021

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Korrektorat: Silvia Kinkel

Umschlaggestaltung: Manuela Amode, München

Abbildungen im Innenlayout: Shutterstock/Tiwat K; Shutterstock/Erica Truex; Shutterstock/Polina Tomtosova

Satz: ZeroSoft, Timisoara

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN Print 978-3-95972-176-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-323-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-324-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

VORWORT

Deutschland: kein Land der Aktionäre. Warum eigentlich?

Niedrige Zinsen heißt: Lebensversicherungen werfen kaum mehr etwas ab

Die private Altersvorsorge wird zu einem »Muss«

KAPITEL 1

PRAKTISCHES BÖRSENWISSEN: DIE GRUNDLAGEN

Was ist eine Börse?

Der Tulpenwahn: Wie die Verbriefung erfunden wurde

Spekulationsblasen: eine ständige Gefahr fürs Geld

Nicht die Börse ist gefährlich, sondern Gier und Angst

Vorüberlegungen zu Börsen-Investments

Was uns die Börsengeschichte lehrt

Start ins Börsenleben: So eröffnen Sie ein Depot

Wertpapiere richtig kaufen

KAPITEL 2

WELCHE BÖRSEN GIBT ES IN DEUTSCHLAND?

Die elektronische Börse Xetra

Die Frankfurter Wertpapierbörse

Die Börse Stuttgart (Euwax)

Die Börse Hamburg

Die Börse Hannover

Die Börse München

gettex

Die Börse Düsseldorf

Tradegate

Die Börse Berlin

KAPITEL 3

DAS ABC DER WERTPAPIERE

Aktien

Anleihen (Rentenpapiere, Bonds)

Genussscheine

Wandel- und Umtauschanleihen

Zertifikate

Optionsscheine

Fonds und ETFs

ETCs (Exchange Traded Commodities)

KAPITEL 4

FINGER WEG! IN WAS SIE BESSER NICHT INVESTIEREN

Ein leichtes Spiel: Die Abzocke mit Pennystocks

Bitcoin und andere Kryptowährungen: Interessante Grundidee, aber (noch) zu große Schwächen

KAPITEL 5

DIE WICHTIGSTEN INDIZES

Was sind Indizes überhaupt?

Wie wird der Index berechnet?

Die schöne, bunte Welt der Indizes

KAPITEL 6

FONDSSPARPLÄNE

Cost-Average-Effect bringt vergleichsweise günstige Preise

Wie Sie einen Fondssparplan einrichten

KAPITEL 7

AKTIENSPARPLÄNE

Welche Depot-Banken Aktiensparpläne anbieten

Änderungen jederzeit kostenfrei möglich

Wann sich Aktiensparpläne für Sie lohnen

KAPITEL 8

STEUERN AUF KAPITALERTRÄGE

Immerhin: Der Sparerpauschbetrag bleibt steuerfrei

KAPITEL 9

DEPOT-ABSICHERUNG: SO SCHÜTZEN SIE IHR AKTIEN-DEPOT IN CRASH-PHASEN

Die Formel für Ihre Depot-Sicherheit

Die Kosten der Depot-Versicherung: 5 bis 12 Prozent pro Jahr

Instrumente für die Depot-Absicherung

Depot-Absicherung in der Praxis: Keine Wunderwaffe zur Verlust-Vermeidung

Depot-Absicherung nur mit Einschränkungen machbar

KAPITEL 10

DAUERHAFTER ANLAGEERFOLG: ZEHN PRAXISTIPPS FÜR DIE DEPOT-OPTIMIERUNG

Tipp 1: Entscheiden Sie, was Ihnen am wichtigsten ist: Sicherheit, Rendite oder Liquidität

Tipp 2: Achten Sie darauf, Ihre Börsen-Investments gezielt zu streuen

Tipp 3: Ein Börsentagebuch mit Depot-Check identifiziert Ihre Stärken und Schwächen

Tipp 4: Dividenden und Zinserträge in Sparpläne investieren

Tipp 5: Re-Balancing – bringen Sie Ihr Depot jedes Jahr aufs Neue ins Gleichgewicht

Tipp 6: Vermeiden Sie Emotionen, wenn Sie an der Börse Erfolg haben möchten

Tipp 7: Konzentrieren Sie sich auf Ihre Kernkompetenzen

Tipp 8: Laufen Sie keinen Trends hinterher!

Tipp 9: Suchen Sie den goldenen Mittelweg bei der Informationsbeschaffung

Tipp 10: Setzen Sie auf solide Langfrist-Investments statt auf die »Kursrakete von morgen«

GLOSSAR

ÜBER DIE AUTOREN

VORWORT

Die Deutschen gelten als extrem sparfreudiges Volk. Allerdings wird recht einseitig gespart. Es dominiert der Wunsch nach Sicherheit. So lassen sich in Deutschland seit Jahrzehnten Lebensversicherungen mit den Werbeargumenten »Sicherheit« und »Absicherung« bestens verkaufen. Rein statistisch betrachtet besitzt jeder Deutsche im Durchschnitt mehr als nur eine Lebensversicherung. In der Disziplin »Lebensversicherungsverträge pro Einwohner« liegt Deutschland seit vielen Jahren einsam an der Spitze. Die Versicherungskonzerne verzeichnen Jahr für Jahr Beitragszahlungen in Höhe zwei- bis dreistelliger Milliardenbeträge. Ebenfalls sehr beliebt sind andere Sparformen wie Bausparverträge oder Sparbücher. Mit dieser konservativen Anlagestrategie sind die Deutschen in den vergangenen Jahrzehnten auch relativ gut über die Runden gekommen.

Deutschland: kein Land der Aktionäre. Warum eigentlich?

Mit »offensiveren« Sparformen hatten die Deutschen dagegen weniger Glück. Im Aktienboom rund um die Jahrtausendwende stieg die Zahl der Aktien- und Aktienfondsbesitzer fast explosionsartig von 5,6 auf 12,9 Millionen. Der folgende Kurseinbruch mit dem mehrjährigen Crash hat das Vertrauen in die Anlageform Aktie nachhaltig erschüttert. Selbst der relativ solide deutsche Leitindex DAX musste einen Rückschlag von über 8.000 auf 2.200 Punkte hinnehmen. Die Verluste im Börsensegment »Neuer Markt« waren noch viel höher. Wer eine »Volksaktie« wie die Deutsche Telekom für 100 Euro kaufte und dann kurze Zeit später für 10 Euro verkaufte, wird erst einmal die Finger von Aktien lassen.

Der Niedergang der Aktienkultur begann also vor rund 20 Jahren und hat sich bis heute nicht nachhaltig erholt. Die Zahl der Aktionäre und Aktienfondsbesitzer ist von 12,9 (2001) über 10,8 (2005) bis auf 8,7 Millionen (2011) gesunken und konnte sich angesichts der anhaltenden Niedrigzinsen in der Euro-Zone bis Ende 2020 immerhin auf 12,4 Millionen erhöhen. Dies entspricht aber nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung. In England – traditionell ein »Börsenland« – besitzt fast jeder vierte Einwohner Aktien oder Aktienfonds. Quoten über 20 Prozent werden aber nicht nur im angelsächsischen Bereich erreicht. In Schweden besitzt fast jeder fünfte Einwohner Aktien – und Schweden ist nicht als »Zockerland« bekannt.

Die Zurückhaltung der deutschen Sparer hat auch Folgen bei den Besitzverhältnissen. Vor 20 Jahren kontrollierten heimische Anleger rund zwei Drittel der DAX-Aktien. Heute ist es weniger als die Hälfte. Die Mehrheit ist in der Hand ausländischer Investoren.

Für den Aktienmarkt spielt es keine große Rolle, woher das Kapital stammt. Die großen Mittelzuflüsse aus dem Ausland haben dazu geführt, dass der DAX seit seinem Bestehen 1988 – trotz der starken Schwankungen – von Allzeithoch zu Allzeithoch eilt. Die deutschen Anleger haben vom Aufschwung jedoch kaum profitiert. Wenn sie sich überhaupt an die Börse trauen, verlassen sie den Aktienmarkt oft vorschnell bei zwischenzeitlichen Kursrückgängen, ohne zu berücksichtigen, dass bei langfristigen Investments hohe und auch relativ sichere Gewinne winken. Angesichts der großen Herausforderungen im Bereich der privaten Altersvorsorge ist ein Fernbleiben vom Aktienmarkt daher die falsche Entscheidung.

Mehrere Gründe sprechen dafür, dass die traditionell konservative Anlagestrategie nicht mehr zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts passt. Exemplarisch möchten wir nur zwei Punkte nennen: das strukturell niedrige Zinsniveau und die demografische Entwicklung, die eine Versorgungslücke auslöst.

Niedrige Zinsen heißt: Lebensversicherungen werfen kaum mehr etwas ab

Nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers im Herbst 2008 wurde in einer Panikreaktion weltweit Kapital aus dem Markt gezogen. Cash war König! Da plötzlich das »Schmiermittel« für die Weltwirtschaft fehlte, senkten die Notenbanken weltweit die Zinsen, um schnell wieder Geld verfügbar zu machen. Die Corona-Krise im Jahr 2020/2021 machte die Sache nicht besser: In den wichtigen Wirtschaftsregionen USA, Europa und Japan liegen die Leitzinsen noch heute – über zehn Jahre nach der Lehman-Pleite – bei oder nahe 0 Prozent.

Die Flucht in sichere Anlageformen und das niedrige Zinsniveau sorgten dafür, dass die Durchschnittsrendite der deutschen Staatsanleihen Mitte 2016 in den negativen Bereich rutschte – ein Zustand, der vorher noch nie dagewesen war. Ausgesprochen niedrig sind die Renditen noch heute. Wer Anfang 2021 sein Geld relativ sicher beim Bund anlegen wollte und in zehnjährige Bundespapiere investierte, musste ebenfalls negative Renditen hinnehmen – hat also dafür bezahlt, sein Geld beim Staat parken zu dürfen.

Diese Zinspolitik hat Auswirkungen auf die Lebensversicherungen. Denn die legen ihr Geld auch am Kapitalmarkt an. Die Renditen bei Kapitallebensversicherungen sind drastisch gesunken. Der ausgewiesene Garantiezins ist von 4,00 Prozent im Jahr 2000 auf nur noch 1,25 Prozent im Jahr 2015 gesunken und wurde im Januar 2017 noch weiter auf 0,9 Prozent gekürzt. Der Trend geht weiter. Der Grund ist einfach: Über 80 Prozent der rund 993 Milliarden Euro, die die Lebensversicherungen für ihre Kunden anlegen, stecken nach Zahlen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft in festverzinslichen Wertpapieren (auf die Details gehen wir in einem späteren Kapitel ein). Wenn diese Anleihen aber nur 0 bis 3 Prozent Rendite abwerfen, kann die Gesamtrendite nicht bei über 3 Prozent liegen. Schließlich fallen auch noch Verwaltungskosten an, und die Eigentümer der Versicherungskonzerne wollen auch noch bedient werden (die Aktionäre der Allianz erhalten zum Beispiel eine attraktive Dividende).

Da eine kurzfristige Zinswende nicht in Sicht ist, werden die Durchschnittsrenditen der Versicherungen voraussichtlich weiter fallen. Die Frage lautet: Welche Neukunden investieren dann noch in Lebensversicherungen? Selbst die Versicherungskonzerne können ihre Kunden nicht mehr damit trösten, dass das Zinstief bald überwunden wird. Eine radikale Zinserhöhung ist dauerhaft nicht in Sicht. Sie müssen nur die Zinsentwicklung im weltweit wichtigsten Markt – den USA – seit den 1970er-Jahren betrachten. In der Tendenz sinkt das Zinsniveau seit über 40 Jahren! 1980 schlug die amerikanische Notenbank die letzte große Schlacht gegen die Inflation. Die Zinsen stiegen damals in den zweistelligen Bereich. Die Renditen der fünfjährigen US-Staatsanleihen kletterten auf 12 bis 16 Prozent. 1990 lag die Rendite noch bei rund 8 Prozent, im Jahr 2000 bei 6 Prozent, 2010 bei rund 3 Prozent und seit 2012 bei unter 1 Prozent. Eine leichte, schrittweise Leitzinserhöhung zwischen 2016 und 2019 wurde im März 2020 wieder rückgängig gemacht. Auf 0,00 bis 0,25 Prozent wurden die Zinsen im Zuge der Corona-Krise abgesenkt. Selbst wenn es zwischenzeitlich kurze Zinserhöhungsphasen gibt, zeigt die langfristige Tendenz nach unten.

Wenn Sie eine Erklärung dafür suchen, müssen Sie nur auf eine einzige Statistik schauen: die Staatsverschuldung. Seit der Aufhebung des Goldstandards (der Bindung des US-Dollars an Gold) Anfang der 1970er-Jahre steigt die Verschuldung in den USA. Erst langsam, dann immer schneller. Seit Ausbruch der Finanzkrise kann das Tempo nur noch als rasant bezeichnet werden. Die US-Staatsverschuldung erreicht im Februar 2021 einen Rekordwert von über 27 Billionen Dollar. Kombinieren Sie jetzt einfach die beiden Statistiken: Würden die Zinsen in den USA auf das Niveau von 1980 steigen, müssten die USA pro Jahr rund 3,8 Billionen Dollar Zinsen zahlen. Eine utopische Zahl.

Daher unsere Schlussfolgerung: Da die formal mehr oder weniger unabhängigen Notenbanken die Schuldenproblematik kennen, werden sie das Zinsniveau so niedrig wie möglich halten, damit die Zinslast für die Staaten überhaupt noch zu schultern ist. Wenn die Konjunktur wieder gut läuft, mag es moderate Zinserhöhungen geben, diese werden aber deutlich geringer ausfallen als in früheren Aufschwungphasen. In schwachen Konjunkturphasen wird das Zinsniveau dagegen möglichst lange im Bereich von 0 bis 1 Prozent gehalten, damit nicht zusätzlicher Druck auf die ohnehin katastrophalen Staatsfinanzen entsteht. Selbst die (Teil-)Abschaffung von Bargeld wird aktuell schon diskutiert, um den Weg für negative Zinsen frei zu machen.

Fazit: Das Zinsniveau sinkt in der Tendenz. Das ist Gift für die konservativ agierenden deutschen Lebensversicherungen, die zu einem großen Teil in Staatsanleihen investieren (wobei die Frage erlaubt sein muss, ob Staatsanleihen angesichts der Schuldenkrise in den USA, in der EU oder in Japan überhaupt noch als »konservativ« gelten können).

Je länger das aktuelle Zinstief anhält, desto größer ist die Gefahr, dass es in der Versicherungsbranche zu Turbulenzen kommt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass einige Versicherungen schon jetzt von den Reserven leben – diese sind aber endlich. Die Lebensversicherungen verlieren an Attraktivität; nicht wenige haben sogar schon ernste Probleme, wie der Bund der Versicherten meldet. Die Folgen für die Besitzer der Policen sind offen. Laufende Verträge sollten nicht voreilig gekündigt werden, aber »frisches« Kapital kann sinnvoller angelegt werden.

Auch für konservative Sparer gilt daher: Legen Sie Ihr Geld an der Börse an. In diesem Buch erfahren Sie, welche Möglichkeiten es gibt, das Geld an der Börse zu investieren, um die Rendite-Chancen zu optimieren. Das Spektrum ist riesig und reicht von Aktien, Fonds, Discount-Zertifikaten über Wandelanleihen bis hin zu Gold als »Notgroschen« in der Krise.

Die private Altersvorsorge wird zu einem »Muss«

Die demografische Entwicklung sorgt dafür, dass wir immer länger arbeiten müssen. Das Schlagwort »Rente mit 70« ist leider nur der Anfang. Wenn Sie wissen wollen, wohin der Trend geht, lohnt sich ein Blick nach Skandinavien. Dort wird oft etwas sachlicher und weitblickender über staatliche Reformen diskutiert. In Dänemark ist bereits eine radikale Rentenform umgesetzt worden. Der Ansatz: Langfristig soll der Gesetzgeber nicht mehr willkürlich alle paar Jahre ein Renteneintrittsalter festlegen, sondern eine automatische Anpassung an die Lebenserwartung einbauen. Als Faustformel gilt: Die Rentendauer soll durchschnittlich bei 15 Jahren liegen. Eine solche Bezugsdauer der Rente verträgt das Sozialsystem. Das hört sich harmlos an, hat aber gravierende Auswirkungen. Aktuell liegt die Lebenserwartung der Dänen bei 82 Jahren. Das Renteneintrittsalter musste daher von 65 auf 67 Jahre erhöht werden.

Das große Aber: Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt seit vielen Jahrzehnten und wird voraussichtlich auch in den nächsten Jahrzehnten weiter steigen. In Dänemark liegt die Prognose für das Jahr 2030 bei einer Lebenserwartung von 86 Jahren. Das Renteneintrittsalter würde dann automatisch auf 71 Jahre steigen. Und das ist nur die »vorsichtige« Prognose. Andere Wissenschaftler rechnen mit einer Lebenserwartung von 89 Jahren. Laut Formel müsste das Renteneintrittsalter dann auf 74 Jahre erhöht werden. Über die Zuverlässigkeit solcher Prognosen brauchen wir an dieser Stelle erst gar nicht diskutieren. Eines ist aber klar: Wir müssen immer länger arbeiten. So hoch sie aktuell auch klingt: Die Zahl »70« wird auch in Deutschland nicht die letzte Zahl sein.

Da der Rentenbeginn mit 70 für viele Menschen nur eine theoretische Zahl ist, muss diese Reform übersetzt werden: Es geht schlicht und einfach um die Kürzung der Rentenansprüche. Wer zukünftig nicht bis ins hohe Alter arbeiten kann oder will, muss deutliche Abschläge hinnehmen. Die Auswirkungen sind unterschiedlich: Das Problem der Altersarmut wird zunehmen. Gleichzeitig werden viele Menschen, die von einem relativ hohen Lebensstandard träumen, große Abstriche vornehmen müssen.

Der einzige Ausweg: Wer die finanziellen Mittel hat, muss (!) sparen. Die private Altersvorsorge wird zur Pflicht. Auch in diesem Fall bietet die Börse Antworten auf das Problem. Bei der privaten Altersvorsorge mit Aktien und Fonds darf es selbstverständlich nicht um »Zockerei« gehen. Gefragt sind Strategien, die über Jahrzehnte halten und einen gezielten, strategischen Vermögensaufbau ermöglichen. Dafür reichen oft schon erstaunlich kleine Summen pro Monat. Wer über zehn oder 20 Jahre einen monatlichen Fondssparplan »füttert«, kann so das Fundament für die private Altersvorsorge legen.

Wie Sie die passende Depot-Bank finden, ein Depot eröffnen, einen Sparplan einrichten und die spätere Steuerbelastung berechnen (auch das leidige Thema Steuern darf nicht verschwiegen werden), erfahren Sie in diesem Buch.

Wer sich nicht auf Fondsmanager verlassen will, sondern in Eigenregie die attraktivsten Substanzaktien für ein Langfrist-Depot aussuchen will, wird in diesem Buch ebenfalls fündig werden. Wir erklären Ihnen den Unterschied zwischen zyklischen und nicht-zyklischen Branchen, aber auch ganz praktisch die besten Auswahlkriterien für Wertpapiere. Damit Sie nach dem Kauf der Aktien auch die Geschäftsberichte lesen und verstehen können, finden Sie hier die Schlüsselbegriffe wie EBIT, Cashflow, Gewinn je Aktie oder auch Eigenkapitalquote mit der passenden Erklärung.

Wenn Sie nach der Lektüre wissen, wie Sie ein Depot eröffnen, die für Sie passende Anlageklasse finden und Ihr Depot regelmäßig optimieren, haben wir unser Ziel erreicht.

Judith Engst Rolf Morrien
Finanz- und Chefredakteur
Wirtschaftsjournalistin »Der Depot-Optimierer« und
»Morriens Depot-Brief«

KAPITEL 1

PRAKTISCHES BÖRSENWISSEN: DIE GRUNDLAGEN

Was ist eine Börse?

Eine Börse ist zunächst einmal ein Handelsplatz. Stellen Sie sich das Ganze vor wie einen Wochenmarkt: Sie gehen hin und kaufen dort Obst, Gemüse, Fleisch und Käse ein. Dann stellt sich die Frage, welche Preise Sie dafür zahlen. Die Preise richten sich nach Angebot und Nachfrage. Wenn der Käsehändler von seinen Kunden bestürmt wird, weil er so leckeren französischen Camembert anbietet, dann kann er seine Preise erhöhen und wird seinen Camembert trotzdem los. Will aber kein Mensch seinen langweiligen dänischen Butterkäse kaufen, muss er mit dem Preis wohl oder übel heruntergehen. Vielleicht finden sich dann ein paar Interessenten. Sie merken: Die Preise hängen vom Angebot und von der Nachfrage ab. Das ist auf einem Wochenmarkt nicht anders als an einer Börse.

Worin unterscheiden sich dann aber Wochenmarkt und Börse? Ganz einfach – in den Dingen, die gehandelt werden. An einer Börse kaufen Sie keine echten Waren, die Sie essen, trinken oder anziehen können. Sie kaufen lediglich verbriefte Rechte. Was heißt nun das schon wieder? Früher kaufte ein Investor an der Börse bedruckte Zettel – sogenannte Aktien. Diese Zettel verbrieften, dass der Investor mit dem Kauf Miteigentümer eines bestimmten Unternehmens geworden war. Das hieß aber noch lange nicht, dass er einfach in die Lagerhalle des Unternehmens spazieren und sich nach Herzenslust an den dort gelagerten Produkten bedienen konnte. Als Miteigentümer hatte er allerdings das Recht, zusammen mit den anderen Aktionären indirekt über die Besetzung der Chefetage zu bestimmen. Und er durfte auch erwarten, am Gewinn des Unternehmens beteiligt zu werden. Waren die Gewinnaussichten gut (oder glaubten die Börsianer das zumindest), stieg die Nachfrage und damit der Aktienkurs – also der Preis für die Aktie. Munkelte man etwas über bevorstehende Verluste, dann fiel der Kurs. Aber dazu kommen wir später noch. Bleiben wir erst mal noch bei der typischen Handelsware der Börsen, wie wir sie kennen.

Heute werden keine bedruckten Zettel mehr ausgetauscht, sondern alles funktioniert elektronisch. Die eigentliche Handelsware an den Börsen dieser Welt ist jedoch geblieben: Verbriefungen. Oder man könnte auch ganz einfach sagen: Wertpapiere.

Börsen, wie wir sie heute kennen, entstanden im 19. Jahrhundert. Für (angehende) Unternehmer waren sie der ideale Platz, um Geld für ihre geplanten Projekte einzusammeln. Im Gegenzug beteiligten sie die Geldgeber an ihren Unternehmen. Das geschah, indem sie ihre Unternehmen »Aktiengesellschaften« nannten und die Unternehmensanteile als Aktien verkauften. De facto sind Börsen riesige Umverteilungsplätze für Geld. Wer Geld hat, sucht an der Börse nach Möglichkeiten, es möglichst gewinnbringend zu investieren. Das Investieren geschieht durch den Kauf von Wertpapieren. Wer Geld braucht, bringt entsprechende Wertpapiere heraus (»emittieren« nennt sich das in der Fachsprache) oder verkauft Wertpapiere aus seinen Beständen. Das ist im Prinzip alles, was Sie wissen müssen.

Der Tulpenwahn:
Wie die Verbriefung erfunden wurde

Wie kommt man auf die Idee, statt mit Waren nur noch mit Zetteln zu handeln? Erfunden wurde das Ganze Ende des 16. Jahrhunderts in Holland. Dort hatten die Menschen Gefallen an einer exotischen Blume gefunden, die damals noch ausgesprochen selten und kostbar war: an der Tulpe. Es galt als schick, seinen Garten mit diesen wunderbaren Blumen zu schmücken. Also stiegen die Preise für Tulpen immer höher. Und nicht nur für irgendwelche Tulpen – nein! Besonders begehrt waren gefleckte und geflammte Tulpen (nebenbei bemerkt: Für dieses geflammte Aussehen war ein Pflanzenvirus verantwortlich, das Mosaikvirus. Aber das wusste damals noch niemand). Wenn Sie in die Bildersuche bei Google den Namen »Semper Augustus« eingeben, sehen Sie, welche Tulpensorte damals ganz groß in Mode war. Die »immer Erhabene«, so der übersetzte Name, war das, was heute vielleicht einer Luxusvilla oder einem Ferrari gleichkommt. Reiche Kaufleute waren bereit, für solche Tulpen ein Vermögen auszugeben!

Das aber rief Spekulanten auf den Plan, Menschen, die nie vorhatten, eine solche Tulpe je in ihrem Garten blühen zu sehen. Sie schalteten sich als Zwischenhändler ein mit dem Ziel, die gekauften Tulpen möglichst gewinnbringend weiterzuverkaufen. Vielleicht haben Sie gestutzt, als Sie das Wort »Tulpen« lasen. Denn gehandelt wurde nicht mit den blühenden Exemplaren, sondern mit Tulpenzwiebeln. Man kaufte buchstäblich die Katze im Sack. Ob sich aus einer gekauften Tulpenzwiebel wirklich eine der begehrten Semper-Augustus-Tulpen mit Flammenmuster entwickeln würde, war völlig offen. Trotzdem gaben inzwischen nicht nur die Kaufleute, sondern auch die Spekulanten Unsummen für Tulpenzwiebeln aus. Und nicht nur für Tulpenzwiebeln.

In der Spätphase des Tulpenwahns sahen sich die Tulpenzüchter einem wahren Run ausgesetzt: Sie konnten gar nicht so viele Zwiebeln liefern, wie bestellt waren. Außerdem dauert es eben eine Weile, bis eine Tulpenpflanze wieder neue Zwiebeln bildet. So lange wollte aber niemand warten. Also ließen sich die Spekulanten und Händler schriftlich zusichern, dass sie später eine Zwiebel bekommen würden, sobald sie endlich wieder erhältlich war. Die Verbriefung war erfunden und zugleich der erste Terminkontrakt. Denn die Ware (die Tulpenzwiebel) konnte nicht sofort geliefert werden, sondern erst später – eben auf Termin.

Es kam, wie es kommen musste. Anfang 1637 platzte die Spekulationsblase. Auf einer Börse zögerten die Händler plötzlich, neue Höchstpreise für die dargebotenen Zwiebeln oder Bezugsrechte zu zahlen. Es blieb allerdings nicht beim Zögern. Die Zweifel am tatsächlichen Wert der Tulpen wirkten ansteckend und lösten eine Verkaufs-Panik sondergleichen aus. Jeder wollte seine Tulpen schnell loswerden, solange sie wenigstens noch einen gewissen Wert hatten. Wie ein Spuk war die Tulpeneuphorie schlagartig zu Ende. Sie hinterließ viele bettelarme Händler und Spekulanten, die sich in ihrer Geldgier um ihr ganzes Erspartes gebracht hatten und ein komplettes Jahreseinkommen in Tulpenzwiebeln investiert hatten. Die hübschen Blumen sind den Niederlanden aber geblieben: Der Schlager »Tulpen aus Amsterdam« bezeugt dies.

Spekulationsblasen:
eine ständige Gefahr fürs Geld

Das schnelle Geld machen – das ist heute noch der Traum vieler Menschen, und die Börsen dieser Welt scheinen ihn zu erfüllen. Ein Wertpapier kaufen, warten, bis sein Kurs rasant gestiegen ist, es dann zu Höchstpreisen wieder zu verkaufen – was für ein schöner Traum! Und tatsächlich blieb der Tulpenwahn des 16. und 17. Jahrhunderts nicht die einzige Entgleisung dieser Art. Unzählige Spekulationsblasen gab es seitdem, und sie alle hatten eines gemeinsam: Sie platzten – genau wie der Traum vom schnellen Geld. Auf einen Schlag reich zu werden, ist auch an der Börse die Ausnahme und nicht die Regel.

Eine Euphorie ähnlich dem niederländischen Tulpenwahn herrschte nach der Wende. Damals wurden bevorzugt Immobilien im Osten Deutschlands als Renditeobjekte an private Investoren verkauft. Anlageberater priesen Ostimmobilien an wie warme Semmeln. Der Staat unterstützte den Kauf sogar noch mit Steuervorteilen. Und der gut verdienende Wessi war immer offen für neue Ideen, Geld steuersparend und vermeintlich gewinnbringend anzulegen. Er kaufte diese Immobilien mit einer erschreckenden Gutgläubigkeit. Dabei ging es teilweise ähnlich zu wie mit den Tulpenzwiebeln in Holland: Viele Immobilien wechselten unbesichtigt ihren Besitzer, um sich später als unvermietbarer und erst recht unverkäuflicher Schrott zu erweisen. Das Wort »Schrottimmobilien« wurde nach dem Platzen dieser Spekulationsblase erfunden. Unzählige Deutsche hatten ihr Geld in wertlosen Immobilien-Investments versenkt.

Und noch eine Spekulationsblase kommt Ihnen vielleicht bekannt vor: Haben Sie miterlebt, wie in den späten 1990er-Jahren für jede noch so kleine Internetklitsche Mondpreise bezahlt wurden? Haben Sie damals mit großen, runden Augen verfolgt, wie die Kurse immer neue Rekorde erreichten? Und das, obwohl kaum eines der begehrten Unternehmen je Gewinne schrieb. Im Gegenteil: Die meisten steckten tief in den roten Zahlen. Haben Sie den Aufstieg und späteren Fall der Telekom-Aktie, Deutschlands Volksaktie, erlebt? Die durch Werbung heiß gemachten Anleger kauften sie für bis zu 100 Euro, schienen doch die Verdienstmöglichkeiten am Markt der Telekommunikation geradezu unendlich. Heute wissen wir: So einfach ist das selbst auf dem Telekommunikationsmarkt nicht, denn die Konkurrenz schläft nicht. Der Kurs der Telekom-Aktie dümpelt heute immer noch zwischen 10 und 20 Euro herum. Und viele Internetbutzen hielten auch nicht, was sie versprachen, sondern gingen pleite. Eine Menge Geld von gutgläubigen Aktionären löste sich beim Platzen der Dotcom-Blase buchstäblich in Luft auf. Manch ein Erstaktionär fiel damit voll auf die Nase und wollte anschließend von Aktien nichts mehr wissen.

Eine der jüngsten geplatzten Spekulationsblasen zeigt ihre Auswirkungen bis heute: die Subprime-Krise. Diesmal waren es weniger die Privatleute, die sich verspekuliert hatten, sondern vielmehr die Banken. Sie kauften Kredite von amerikanischen Häuslebauern auf. Von Häuslebauern, die sich eigentlich gar keine eigene Immobilie leisten konnten. Deren Kredite waren in Millionen von Wertpapieren zerstückelt worden. Manche Versicherer hatten darüber hinaus noch Versicherungen gegen den Kreditausfall herausgebracht (Credit Default Swaps) und die Risiken, ebenfalls in Wertpapiere zerstückelt, am Kapitalmarkt verkauft. Das Ganze war so kompliziert aufgebaut, dass sich jeder in der Sicherheit wiegte, todsichere Anleihen zu besitzen, die sich zudem überdurchschnittlich gut verzinsten. Bis auch hier die Blase platzte. Spätestens, als die US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 pleiteging, war klar: Unglaublich viele Banken hatten hochgiftige Wertpapiere in ihren Depots. Wertpapiere, die sie leicht um ihre gesamte Existenz bringen konnten. Die Gier der Banker hatte wieder mal eine Blase entstehen lassen, die mit einem lauten Knall geplatzt war. Aber auch viele Privatanleger lernen nicht dazu. Wie kann man sonst erklären, dass Kryptowährungen wie der Bitcoin in den vergangenen Jahren ihren Preis mehrfach innerhalb von Monaten vervielfachen konnten, obwohl es keinen inneren Wert gibt? Irgendwann platzt(e) auch diese Blase.

Aber passiert das nicht zwangsläufig, wenn man an der Börse agiert und mit Wertpapieren handelt? Sind dann Spekulationsblasen und Verluste nicht geradezu vorprogrammiert? Auch ohne sich verspekuliert zu haben – etwa weil ein neuartiges Coronavirus zeitweise die Wirtschaft auf der ganzen Welt zu großen Teilen lahmlegt? Zweifellos gibt es am Aktienmarkt kurzfristig immer wieder Einbrüche. Doch daraus sollten Sie nicht die Konsequenz ziehen, doch besser die Finger von Börsen-Investments zu lassen.

Nicht die Börse ist gefährlich, sondern Gier und Angst

Sie haben gesehen, wohin Spekulationsblasen führen. Davor kann man als Anleger nur gewarnt sein. Wir warnen Sie aber keineswegs vor dem Entschluss, Ihr Geld an die Börse zu tragen. Denn wer langfristig investiert, dem können auch zwischenzeitliche Verluste nichts anhaben.

Mit anderen Worten: Die Gier ist gefährlich. Die Spekulationsblasen der vergangenen Jahrhunderte haben gezeigt: Wer zu gierig war, wer das eigene Hirn ausschaltete, einer Masseneuphorie folgte und auf schnelle Gewinne setzte, erlitt herbe Verluste. Wer dagegen ruhig blieb, mit Weitsicht investierte, sich nicht vom Versprechen blenden ließ, das schnelle Geld zu machen, erwirtschaftete an der Börse genug Geld, dass es ohne zu großen Aufwand für ein finanziell besseres Leben reichte. Das Deutsche Aktieninstitut hat errechnet: Wer langfristig in Aktien investiert, kann trotz der vielen kleineren und größeren Krisen pro Jahr mit einer Durchschnittsrendite von 8 Prozent rechnen. So zumindest war es in der Vergangenheit. Was heißt das für Sie?

Doppelt so viel in gut zehn Jahren

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Eine Verzinsung von 8 Prozent pro Jahr bedeutet: Das investierte Geld verdoppelt sich innerhalb von etwa neun Jahren. Aus 10.000 Euro werden in dieser Zeit also 20.000 Euro.

Aus Sicherheitsgründen empfehlen wir Ihnen aber, nicht nur in Aktien zu investieren. Risikostreuung muss sein, und dazu gehören auch defensivere Wertpapiere wie beispielsweise Anleihen oder Mischfonds. In was genau Sie investieren können, dazu kommen wir später. Aber rechnen Sie damit, dass Sie trotzdem auch als konservativer, risikoscheuer Anleger eine durchschnittliche Jahresrendite von 5 bis 6 Prozent erzielen können. Das heißt: Das investierte Geld verdoppelt sich etwa alle zwölf bis 15 Jahre. Für einen soliden Vermögensaufbau reicht das. Was schaffen zum Vergleich Spitzenkönner? Die Börsenlegende Warren Buffett hat mit seinen Investments seit den 1960er-Jahren durchschnittliche Jahresrenditen von rund 20 Prozent geschafft.

Übrigens: Genauso schlimm wie die Gier ist die Angst. Wer sein Geld stets anlegt nach dem Motto »Hauptsache, ich verliere nichts!«, steht am Schluss doch als Verlierer da. Überlegen Sie mal: Weniger als 1 Prozent Zinsen bringt ein Spar- oder Tagesgeldkonto derzeit. Die jährliche Inflationsrate liegt jedoch selbst in einem wirtschaftlich relativ stabilen Land wie Deutschland regelmäßig bei 1 bis 2 Prozent oder sogar darüber. Das heißt: Wenn Sie Ihr Geld nur vermeintlich supersicher auf dem Sparkonto lagern, verlieren Sie unter dem Strich. Die Kaufkraft des Geldes schwindet. Sie können sich für Ihr Geld auf dem Sparbuch Jahr für Jahr immer weniger kaufen. Also doch besser rentabler investieren. Das geht zum Glück – und zwar an der Börse.

Vorüberlegungen zu Börsen-Investments

An der Börse gibt es immer wieder den Traum, automatisch zu gewinnen. Es wird alles ausgewertet, was man an der Börse auswerten kann: historische Kursverläufe (Charts), alte Datenreihen, Zukunftsprognosen der Analysten – überall werden Muster gesucht, die immer wieder auftauchen. Wird ein solches Muster gefunden, wird daraus eine Anlagestrategie gebastelt. Anschließend wird dieses Muster in ein Computerprogramm eingebaut. Per Mausklick können dann 1.000 Märkte auf einmal durchforstet werden. Wenn das einmal gefundene Muster wieder auftaucht, kann darauf an der Börse »gewettet« werden. Die Grundannahme lautet: Alles wiederholt sich im Laufe der Zeit – auch an der Börse.

Wir müssen Sie jedoch enttäuschen: Per Knopfdruck werden Sie nicht zum Börsenmillionär. Es existieren einige Handelsstrategien, die in der Vergangenheit gute Ergebnisse erzielt haben und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Zukunft hohe Gewinne bringen werden. Es gibt aber keine Gewinngarantie!

Fazit: Ohne menschlichen Verstand geht es nicht

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Verlassen Sie sich nie ganz auf Computerprogramme und automatische Handelsstrategien. Bei einer erfolgreichen Geldanlage ist der menschliche Verstand gefragt.

Was uns die Börsengeschichte lehrt

Es klingt banal, aber einige der größten Börsenkrisen wurden dadurch ausgelöst, dass Menschen glaubten, ein selbst entwickeltes Computersystem sei unfehlbar. Unser Vorschlag: Diese Computerprogramme sollten »Ikarus« getauft werden. Wer hoch fliegt, stürzt tief.

LTCM-Krise: Auch Nobelpreisträger können sich irren

Der Hedgefonds »Long-Term Capital Management« (LTCM) hat traurige Berühmtheit erlangt: Mit einer unschlagbaren Anlage-Strategie sollten Milliardengewinne erwirtschaftet werden. Bis zur ersten großen Krise funktionierte das auch – doch dann implodierte das System.

DIE MÄR VON EINER UNSCHLAGBAREN ANLAGESTRATEGIE

Der Hedgefonds LTCM wurde 1994 von einem ehemaligen Spitzenbanker gegründet. Zur Verstärkung holte er sich mit Robert C. Merton und Myron Samuel Scholes gleich zwei Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften in sein Team. Zusammen entwickelten sie eine Anlagestrategie, die fast unschlagbar schien. Da die Strategie in den ersten Jahren auch sehr erfolgreich funktionierte – und sicherlich auch aufgrund der sehr prominenten Namen – wurden die Risiken unterschätzt. Der Fonds konnte mit einem kleinen Eigenkapitalanteil mit riesigen Summen spekulieren (größtenteils auf Kredit). Sicherheiten wurden kaum verlangt. So konnte der Fonds 1,25 Billionen Dollar bewegen.

Doch dann kam 1998 die Russlandkrise. Plötzlich funktionierten die Märkte nicht mehr »rational« und »wie erwartet«. Da halfen auch die Modelle der Nobelpreisträger nicht mehr. Der Finanzmarkt stand plötzlich in Flammen. In einer bis dahin einmaligen Rettungsaktion versammelten sich die Vorsitzenden der großen internationalen Banken und schnürten ein Rettungspaket. Eine Finanzspritze in Milliardenhöhe verhinderte den Zusammenbruch der Märkte. Zusätzlich senkte die US-Notenbank die Zinsen, damit mehr Liquidität in den Markt fließen konnte. In letzter Sekunde wurde ein Finanzchaos verhindert.

DAS RISIKO IST IMMER DABEI

Das Fazit: Die Köpfe hinter dem Fonds glaubten, eine risikolose Börsenstrategie gefunden zu haben. Da scheinbar kein Risiko bestand, konnte der Einsatz ohne Begrenzung mit Krediten gehebelt werden. Der Markt hat dann aber gezeigt: Es gibt keine risikolosen Börsenstrategien. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass man von einem Blitz getroffen wird, aber es ist möglich. Dennoch: Der Lerneffekt war bei einigen Beteiligten gleich null. Nach der Fondsschließung gründeten sie direkt den nächsten Fonds. Diese Fonds hielten bis zur nächsten Finanzkrise. Offensichtlich eignete sich das Konzept nur für Schönwetterphasen an der Börse.

Die LTCM-Krise hätte als Warnung in die Geschichte der Finanzwelt eingehen können, aber der Glaube an das unschlagbare System lebte weiterhin. Ein kleines Spezialistenteam eines großen Finanzkonzerns glaubte, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Das Ergebnis war ein unrühmlicher Weltrekord.

Die Massenvernichtungswaffe der Finanzmärkte schlug bei AIG zu

Eine spezielle Form der Kreditversicherung, Credit Default Swaps (CDS) genannt, gehörte über Jahre zu den am schnellsten wachsenden Finanzinstrumenten. Der vorläufige Höhepunkt wurde im Boom-Jahr 2007 erreicht. Der Nominalwert der CDS lag damals bei rund 60 Billionen Dollar (einige Schätzungen liegen noch deutlich höher). Zum Vergleich und zur Einordnung dieser gigantischen Zahl: Das weltweite Bruttoinlandsprodukt lag in diesen Jahren deutlich tiefer bei etwa 50 Billionen Dollar.

VERSICHERUNGSKONZERN HOLT SICH FREIWILLIG DIE BOMBE INS HAUS

Ein ganz großer Strippenzieher im CDS-Markt war der amerikanische Versicherungskonzern AIG – bis zur Finanzkrise der Weltmarktführer in dieser Branche. Die Versicherung fand das eigene Kerngeschäft etwas zu langweilig. Da passte es ganz gut, dass ein Finanzprofessor der berühmten Yale-Universität, Gary Gorton, Computerprogramme schrieb, die sichere Gewinne mit Kreditversicherungen – zum Beispiel auf US-Häuserkredite – versprachen. Über viele Jahre war das eine Gelddruckmaschine, die insgesamt 5 Milliarden Dollar Gewinn einbrachte. Joe Cassona, der diese Abteilung der Versicherung leitete, ist mit dieser Aussage in die Geschichtsbücher eingegangen: Ohne kokett sein zu wollen, können wir kein Szenario erkennen, das realistisch erscheint, bei dem wir auch nur einen Dollar verlieren.

In nur wenigen Jahren baute die Versicherung ein riesiges Geschäft mit CDS auf. Ein spezielles Computerprogramm soll für die Steuerung zuständig gewesen sein. In den Büchern von AIG sammelten sich schließlich CDS im Volumen von 400 bis 500 Milliarden Dollar.

100-MILLIARDEN-DOLLAR-VERLUST DANK »UNFEHLBARER« COMPUTERPROGRAMME

Kaum war die Finanzkrise ausgebrochen, wurde ein neuer Verlust-Weltrekord aufgestellt. Der traurige Rekordhalter: AIG. Vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2008 verlor die Versicherung knapp 100 Milliarden Dollar. Fast der gesamte Verlust wurde durch das oben beschriebene Computerprogramm verursacht.

Das Ende der Geschichte: Der ehemalige Weltmarktführer musste mit Staatsgeldern (besser gesagt Steuergeldern) gerettet werden. Der Staat wurde faktisch Herr im Haus und verkleinerte den Versicherungskonzern. Durch Spartenverkäufe sollten die Steuergelder gerettet werden.

Hilfsmittel nutzen – gesunden Menschenverstand nicht ausschalten

Diese beiden Beispiele zeigen, dass es kein perfektes Börsensystem gibt. Man muss immer damit rechnen, dass ein Ereignis eintritt, das im eigenen Handelssystem ausgeschlossen wurde. Daher unsere Empfehlung: Nutzen Sie die technischen Hilfsmittel, wenn Sie damit gut arbeiten können. Sie können historische Datenbanken für die Analyse der Unternehmenszahlen anzapfen, mathematische Formeln einsetzen und Chart-Programme auswerten – vor dem Kauf einer Aktie, eines Fonds oder einer Option sollten Sie aber stets prüfen, ob der Deal auch plausibel ist. Verlassen Sie sich nie zu 100 Prozent auf die Technik.

Hinzu kommt: Begrenzen Sie den Kapitaleinsatz. Setzen Sie nicht alles auf eine Karte und spekulieren Sie niemals auf Kredit. Es gibt keine zu 100 Prozent sicheren Anlagestrategien. Investieren Sie das Geld an der Börse, das Sie fünf oder noch besser zehn oder 15 Jahre nicht zwingend brauchen. Wenn dann völlig überraschend der Markt in eine andere Richtung dreht, haben Sie noch die Chance, zeitlich auf eine Erholung zu setzen.

SPEKULIEREN SIE NIE AUF KREDIT