Karg, Tatjana Die weiße Magierin: Kampf um Prelon

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© Piper Verlag GmbH, München 2019
Redaktion: Franz Leipold
Karte: Tatjana Karg
Covergestaltung: Cover&Books by Rica Aitzetmüller
Covermotiv: Evgenia Tiplyashina / Adobe Stock; studybos / Adobe Stock


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Karte_Prelon

 

Intro

»Wenn Händler, Reisende oder Liedersänger über Prelon sprechen, loben sie die goldene Stadt in den höchsten Tönen. Ich habe Lieder gehört, welche die Schönheit des bronzefarbenen Abendlichts besingen; ich habe Händler getroffen, die sich über die lukrativen Geschäfte auf dem Markt freuten, und ich bin Reisenden begegnet, die in den unzähligen Etablissements ihrem persönlichen Vergnügen nachgingen. Eigentlich sind sie alle Narren, denn ein jeder von ihnen ließ sich von der äußerlichen Schönheit und dem oberflächlichen Glanz der Stadt blenden. Keiner weilte lange genug an diesem Ort, um zu verstehen, was Prelon wirklich war. Nicht einer ahnte, dass selbst ein kurzweiliger Besuch ein Spiel um Leben und Tod sein konnte. Denn wie schnell die Stimmung umschlagen kann, beweist die letzte Nacht … Ich habe die Raschaki gesehen, die Fürst Xarven aussandte, um das Haus Callora zu vernichten. Nur durch einen beherzten Sprung habe ich mich vor seiner Reiterschar in Sicherheit bringen können. Noch immer höre ich die donnernden Hufe auf dem Steinpflaster und die Schreie in der Ferne, das Klirren des Metalls und das Feuer. Niemandem in der Stadt konnte das entgangen sein, umso grotesker ist es, dass heute ein jeder seinen alltäglichen Geschäften nachgeht. Als wäre nichts geschehen, spielen die Barden seit den frühen Morgenstunden auf dem Marktplatz und unterhalten die feilschenden Händler. Alles wirkt wie immer, nur in der Ferne ragt eine hohe Rauchsäule auf – an dem Ort, wo einst das Anwesen des Hauses Callora stand. Naja, eigentlich ist es auch wie immer, denn schließlich sind wir hier in Prelon. Manchmal glaube ich, dass man mit der Zeit eine gewisse Gleichgültigkeit entwickelt, besonders wenn man schon jahrelang hier gelebt hat. Und vielleicht würde ich jetzt wie jeder andere auch auf dem Marktplatz stehen und meine Waren anbieten, aber dieses Mal ist etwas anders.

Kaum jemandem konnte entgangen sein, dass diese junge Novizin Rael zwei Elemente beherrschen konnte. Magie dieser Stärke hat es seit der großen Schlacht nicht mehr gegeben. Grund genug für viele, einen Krieg zu beginnen, um sich die Macht der jungen Magierin zu sichern. Und wenn man dem Gerede Glauben schenken darf, gehört sie jetzt zum, Haus Trechia. Angeblich soll sie sogar Xarvens verloren geglaubte Tochter sein. Ob das stimmen mag, wage ich nicht zu beurteilen, doch eines ist gewiss: Das zweite Haus der Stadt ist jetzt mehr denn je ein nicht zu unterschätzender Konkurrent um die Krone des Südens, und genau das macht mir Angst. Ich hoffe und bete zur Göttin, dass der Fürst meines Hauses sich nicht in diesen Konflikt einmischen wird, denn einen Kampf gegen die obersten Häuser würden wir niemals gewinnen.

Aus den persönlichen Aufzeichnungen von Trajon, Tuchmacher aus dem Haus Deldring, 1060 nach Gerion.

Kapitel 1: Die richtige Motivation

Fürst Lando schritt unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet. Das Haus Callora hatte eine vernichtende Niederlage gegen das zweite Haus erlitten und war fast vollständig ausgelöscht worden. Xarvens Krieger waren mit den brennenden Bannern durch die Straßen geritten, um die Kunde vom Sieg des Hauses Trechia in der ganzen Stadt zu verbreiten. Überall in Prelon sprach man über diese Schlacht, aber auch über die Neuigkeit, dass Xarvens Tochter heimgekehrt war.

 

Nolan, dieser Idiot, dachte Lando. Er hatte dieses Mädchen nicht einmal ansatzweise unter Kontrolle gehabt. Er hatte sie die ganze Zeit vor seinen Augen, und ihm war nichts aufgefallen? Hatte Xarven sie vielleicht sogar in sein Haus eingeschleust, um seine Gegner auszuspionieren? Was wusste sie?

Lando strich sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr und ging zum Fenster hinüber. Die einzige Genugtuung, die er verspürte, war die Ankündigung des Königs an diesem Morgen. Sie hatten Jerdan gefangen genommen und wollten ihn hinrichten. Immerhin ein kleiner Trost.

 

Ein Klopfen an seiner Tür ließ ihn aufschrecken. Er drehte sich um und erkannte seinen Leibdiener, der sich kurz verbeugte, bevor er zu sprechen begann. »Ihr habt Gäste. Sie warten in der Bibliothek im Erdgeschoss auf Euch.«

»Wer wünscht mich zu sprechen?«

Der Diener schaute ihn nervös an. »Sie sind es.«

Lando nickte wissend. Es überraschte ihn nicht, dass sie ihn aufsuchten. Sie mussten dringend ihre nächsten Schritte besprechen.

»Hat sie jemand gesehen?«

»Nein, mein Fürst. Sie kamen über den Hintereingang. Ich habe die Wachen von den Gängen abgezogen und sie direkt in die Bibliothek geführt.«

»Sehr gut. Ich möchte unter keinen Umständen gestört werden.«

Der Diener verbeugte sich abermals und verließ den Raum.

Lando atmete einmal tief durch, dann ging er hinab in die Bibliothek. Diese Art von Treffen war gefährlich, schließlich bestand immer die Möglichkeit, dass es jemand mitbekam, der hinterher redete. Doch sie hatten nicht wirklich eine Wahl.

 

Durch die geschlossenen Fensterläden war der Raum relativ dunkel. Obwohl es draußen warm war, loderte ein kleines Feuer im Kamin und tauchte die Bibliothek in ein gemütliches Licht.

Langsam schloss Lando die Tür hinter sich. Die beiden Männer, die hier auf ihn warteten, schauten ihn erwartungsvoll an. Zumindest glaubte er dies, denn von einem der beiden konnte er das Gesicht nicht sehen. Trotzdem wusste er, wer es war. Er trug einen langen schwarzen Mantel mit einer großen Kapuze, die er bis tief in sein Gesicht gezogen hatte. Der andere Mann war in einfache Kleider gehüllt. Eine dunkle Leinenhose und ein gleichfalls dunkles Leinenhemd ließen nicht darauf schließen, dass es sich bei diesem Mann um einen Berater von König Thanatos handelte. Sein Name war Answin.

»Darf ich den Herrschaften etwas zu trinken anbieten?«, fragte Lando höflich.

»Wir sind nicht hier, um mit Euch zu trinken.« Answin schnaubte verächtlich. »Als gäbe es etwas zu feiern.«

»Nein, es gibt wahrlich nichts zu feiern«, sagte Lando. »Nolan ist ein Idiot! Er hat unser Bündnis empfindlich geschwächt, und wir können nur vermuten, welche Informationen diese Rael besitzt. Xarven hat das elfte Haus vernichtet. Wenn er auch nur den Hauch einer Ahnung hat, dass ich ebenfalls etwas mit dieser Sache zu tun habe, wird mein Haus das nächste sein, das fallen wird.«

Answin schüttelte den Kopf. »Nein, er hat nicht Nolans ganzes Haus vernichtet. Lediglich seine Krieger und Magier in Prelon sind tot. Das Haus Callora hat noch etliche Handelsniederlassungen, Schiffe sowie Einfluss weit über Prelon hinaus. Deswegen werden wir ihn noch brauchen.«

Lando zuckte mit den Schultern. »Wie Ihr meint, doch es ändert nichts an der Tatsache, dass mein Haus ebenfalls gefährdet ist. Solange die ersten beiden Häuser verbündet sind, können wir nicht angreifen. Vor allem, da das zweite Haus nun eine Magierin der fünften Ebene besitzt.«

»Dann werden wir dieses Bündnis zerschlagen müssen«, sagte Answin entschlossen.

Lando setzte sich auf einen großen gepolsterten Sessel und lachte leise. »Und wie wollt Ihr das anstellen? Xarven würde niemals sein Bündnis mit dem König gefährden. Für Torlan gilt dasselbe. Beide profitieren zu sehr von dieser Vereinigung.«

Answin nahm auf dem Sessel Platz, der Lando gegenüberstand. »Würden diese Häuser gegeneinander kämpfen, könnten wir zuschlagen. Dem ersten Haus würde niemand zu Hilfe eilen, und Torlans Tage wären gezählt. Die anderen Häuser könnten ohnehin nichts ausrichten. Dem fünften Haus Ankor nahmen wir bereits ihre beiden weißen Magier, und das vierte Haus Deldring hat sich letzte Nacht selbst geschadet. Die Ausgangsposition, in der wir sind, ist gar nicht so schlecht.«

»Das ist alles richtig«, sagte Lando. »Doch es ändert nichts an der Tatsache, dass die ersten beiden Häuser niemals gegeneinander kämpfen werden.«

»Sie werden«, warf plötzlich der andere Mann ein, der noch immer in der Ecke des Raumes stand. »Sie brauchen nur die richtige Motivation.«

Lando und Answin drehten sich beide zu ihm um und betrachteten ihn mit neugierigen Blicken.

»Welche Art von Motivation soll das sein?«, wollte Answin wissen.

»Xarven ist ein kühler Taktiker. Er handelt eigentlich nie unbedacht. Es gibt nur eine Sache, die ihn dazu zwingen könnte, sich gegen den König zu stellen.« Er rückte näher an das Feuer heran und drehte ihnen den Rücken zu. »Seine Kinder.«

Lando runzelte die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe. Wenn der König Raels Lebens bedrohen würde … Ja, das würde ihn ziemlich sicher sogar dazu bringen, das erste Haus anzugreifen. Doch warum sollte der König das tun? Mal ganz davon abgesehen, dass sie sicherlich bestens bewacht wird. Ich glaube auch nicht, dass das wirklich erfolgversprechend sein würde. Letzte Nacht hat man mehrfach versucht, sie zu ermorden. Wie wir alle wissen, lebt sie noch, während es für die anderen übel ausgegangen ist.«

Der Mann drehte sich um und zog seine Kapuze noch etwas tiefer in sein Gesicht. »Ich rede nicht von Rael. Sie ist nicht sein einziges Kind.«

Lando runzelte noch immer die Stirn, doch dann begann er langsam zu verstehen, worauf sein Gegenüber hinauswollte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Das ist sehr gefährlich. Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr das schafft?«

»Ja.«

Answin grinste. »Er wird außer sich vor Zorn sein, wenn Torlan seinen Sohn gefangen genommen hat … Ja, das könnte klappen. König Torlan wird einen Anstoß brauchen. Das werde ich übernehmen. Wir haben Spione unter seinen Beratern. Sie werden ihm die notwendigen Informationen zuflüstern.«

»Ihr habt Spione im engsten Beraterkreis des Königs?«, fragte Lando erstaunt.

»Ja. Und nicht nur einen. Er wechselt seine Berater so häufig, dass ich mir nicht einmal sicher bin, dass er ihre Namen kennt.«

Lando quittierte Answins Kommentar mit einem anerkennenden Nicken. Langsam fragte er sich, ob es in Torlans Reihen überhaupt einen Getreuen des Hauses Gemlon gab. Der Untergang des Königs war nur eine Frage der Zeit, sobald Xarven ihm nicht mehr schützend zur Seite stand. Und mit dem, was sie jetzt planten, waren ihre Aussichten auf Erfolg mehr als vielversprechend.

»Habt ein Auge auf Brengar«, erhob der Mann in dem schwarzen Mantel wieder das Wort. »Er ist nicht dumm, und der König hört auf ihn. Er sollte im besten Fall gar nichts davon mitbekommen. Wenn er interveniert oder uns durchschaut, haben wir unsere letzte Karte verspielt.«

»Seid unbesorgt«, begann Answin. »Ich weiß, was ich tue.«

Kapitel 2: Unausgesprochenes

Rael betrachtete sich im Spiegel. Große dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie hatte letzte Nacht kein Auge zugemacht. Ihre Gedanken kreisten um Jerdan und ihren Möglichkeiten, ihn aus dieser Situation zu befreien. Doch etwas wirklich Sinnvolles war ihr noch nicht eingefallen; außerdem hatte Jerdan ihr mehrfach gesagt, dass sie auf keinen Fall versuchen solle, ihn zu befreien. Es war nur ein kurzes Gespräch in den frühen Morgenstunden gewesen, offensichtlich hatte auch er nicht schlafen können. So sehr sie ihn auch bedrängt hatte, er hatte ihr nicht verraten, wo genau man ihn festhielt. Sie vermutete allerdings, dass er im gleichen Verlies war, indem man auch sie vor kurzer Zeit eingesperrt hatte. Bestimmt würden etliche Krieger des ersten Hauses ihn bewachen. Es war zum Haare raufen. Rael hatte keine Verbündeten, die sie um Hilfe bitten konnte. Wenn Xarven ihn nicht ausgeliefert hätte, wäre Jerdan jetzt nicht in dieser Lage. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Sie wusste, dass sie ebenfalls Schuld daran trug; immerhin hatte er sein Versteck nur verlassen, damit man sie finden konnte.

Sie seufzte und setzte sich auf das große Bett, wobei sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen ließ. Etwas zu groß für eine Person, schoss es ihr durch den Kopf. Es glich dem Raum, den sie auf der Geistesebene in Xarvens Erinnerungen gesehen hatte. Das gleiche große Bett, die bodenlangen Fenster und der Schreibtisch, der jetzt allerdings nicht frei im Raum, sondern an der Wand stand. Mit Ausnahme des Bades am frühen Morgen hatte sie diesen Raum den ganzen Vormittag nicht verlassen. Sie wusste, dass vor der Tür zwei Wachen standen. Ob sie sie nur bewachten oder aber dafür sorgen sollten, dass sie nicht floh, wusste sie nicht. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beiden.

 

Es klopfte an der Tür, doch Sie ignorierte es. Vermutlich war es nur die Dienerin, die sie zum vierten Mal darum bitten wollte, nun doch endlich etwas zu essen. Das Tablett, auf dem sich ihr Frühstück befand, stand noch immer auf dem Schreibtisch. Sie hatte es nicht angerührt, weil sie einfach keinen Hunger hatte. Sie würde die Dienerin, genau wie zuvor, einfach wieder fortschicken.

 

Die Tür wurde geöffnet, und Rael drehte sich um. Es war Xarven.

Sie schaute ihn überrascht an. »Was wollt Ihr?« Es gelang ihr nicht sonderlich gut, die Abneigung in ihrer Stimme zu verbergen. Doch eigentlich wollte sie das auch gar nicht; er sollte ruhig wissen, wie sie von ihm dachte. Vermutlich wusste er es ohnehin, schließlich war er Schwarzmagier.

»Ayigor erwartet dich in der roten Bibliothek. Du sollst deinen Unterricht fortführen.« Seine Mimik verriet seine Gedanken nicht. Irgendwie wirkte er oft wie eine Steinsäule. Aalglatt. Emotionslos. Fast schon unmenschlich. Er hatte stets diesen dunklen Blick, der sie in diesem Moment zu durchbohren schien. Seine kantigen Gesichtszüge strahlten alles anderes als Freundlichkeit aus. Ja, er wirkte einschüchternd. Und obwohl sie ein ungutes Gefühl begleitete, wurde es von etwas Stärkerem in den Hintergrund gedrängt. Ihrer Wut auf diesen Mann.

»Warum gehe ich nicht in die Akademie?«

Xarven schloss die Tür hinter sich. »Ich will nicht, dass du dich unnötig in Gefahr begibst, indem du das Anwesen verlässt«, sagte er leise.

Rael stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Bin ich jetzt etwa eine Gefangene?«, fragte sie patzig.

Er seufzte. »Rael. Versteh doch. Es gibt sehr viele Menschen in Prelon, die mir schaden wollen. Das können sie am einfachsten erreichen, indem sie dir wehtun.«

»Sie werden wohl gute Gründe haben, wenn sie Euch schaden wollen. Immerhin seid Ihr nicht gerade für Eure Nächstenliebe bekannt.« Sie begleitete ihre Aussage durch ein verächtliches Schnauben.

Er seufzte. »Ich denke, wir sollten uns einmal unterhalten.«

»Tun wir doch gerade!«

»Nein, nicht so. Du bist voller Zorn.«

Sie funkelte ihn finster an. »Und dass ich wütend bin, überrascht Euch? … Ihr habt Jerdan an das erste Haus ausgeliefert.«

»Ich hatte nicht wirklich eine Wahl, Rael.«

»Er hat mir das Leben gerettet. Und Ihr liefert ihn einfach aus, obwohl Ihr wisst, dass er sein Leben nur mir zuliebe riskiert hat. Ihr habt ihn durch Euer Nichtstun zum Tode verurteilt«, schrie sie ihn an.

Xarven atmete einmal tief durch und kam ein paar Schritte auf sie zu. »Ich bin der Fürst des zweiten Hauses. Ich habe Verantwortung für sehr viele Menschen. Wenn ich einen Fehler mache oder eine falsche Entscheidung treffe, werden viele von ihnen sterben. Ich kann es mir nicht leisten, Entscheidungen aufgrund von persönlichen Beweggründen zu fällen.«

»Ach nein? Was sollte dann der Angriff auf das Haus Callora?«, fragte sie forsch.

Xarven zwang sich weiterhin zu einem ruhigen Ton; trotzdem bemerkte Rael, dass ihm dies zunehmend schwerer fiel. Seine Augen verrieten ihn. Sie hatte sich geirrt, der Fürst kannte doch Emotionen. Vor allem eine – Wut.

»Es gab gute Gründe für diesen Angriff. Das weißt du. Außerdem wollten sie dich umbringen. Ich will dich schützen, schließlich bin ich dein … «

»Mein Vater ist tot«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Ihr lasst zu, dass der einzige Mann in dieser Stadt, dem ich vertraue und der mir geholfen hat, hingerichtet wird! Und Ihr gebt vor, mein Vater zu sein? … « Sie schüttelte den Kopf. »Ich hasse Euch«, sagte sie leise.

Ohne ein weiteres Wort schritt sie an ihm vorbei und verließ den Raum. Xarven hörte noch, wie sie die Wachen nach dem Weg zur roten Bibliothek fragte, dann entfernten sich ihre Schritte.

 

Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck blieb Xarven allein im Raum zurück. Das Gespräch war nicht so verlaufen, wie er geplant hatte. Sein Blick fiel auf eines der Gemälde, das an der Wand hing. Ein großer Mann mit kurzen schwarzen Haaren war darauf abgebildet. Er trug eine schlichte rote Tunika und dunkle Hosen. Corben von Trechia war ein einfacher Mann gewesen. Der Stand seines Hauses war ihm gleichgültig, trotzdem hatte er damals schon sehr viel Einfluss besessen. Aber dieser gründete sich nicht auf Waffenstärke oder magische Fähigkeiten. Corben hatte sich als geschickter Kaufmann erwiesen, dem der Familienbetrieb das Wichtigste war. Fast sein ganzes Leben hatte er damit verbracht, die Weingüter auszubauen und den Handel mit den anderen Häusern, Städten und Königreichen voranzutreiben. Die Leidenschaft, die er in seine Arbeit legte, hatte dazu geführt, dass der Wein aus dem Haus Trechia schon bald sehr bekannt wurde. Wenn Xarven genauer nachdachte, war sein Vater eigentlich fast nie in der Stadt gewesen. Manchmal hatte Xarven ihn auf den Gütern besucht, dann hatte er ihn meistens zwischen den Rebstöcken gefunden. Er war ein bodenständiger Mann gewesen. Jemand, der nicht vor seinen Arbeitern stand, um sie anzutreiben, sondern zwischen ihnen, um anzupacken, wo es nötig war.

Er hatte die Preloner Gesellschaft, den König und all die kleinen Kriege und Auseinandersetzungen, die hier beinahe täglich passierten, stets ignoriert. Und es ging ihnen gut. Das Geschäft blühte auf.

Doch ein anderes Haus trachtete nach ihrem Erfolg.

Das Haus Turimon, das ebenfalls einige Weingüter besaß, entwickelte sich langsam zu einem erbitterten Kontrahenten. Es fing harmlos an. Anfangs war es nur ein Preiskampf, dann machten sie seinem Vater Kunden aus den oberen Häusern streitig. Und irgendwann zeigten sie dem Haus Trechia gegenüber offene Ablehnung auf der Straße. Jedes Mitglied dieses Hauses zögerte nicht, sie zu beleidigen oder zu bedrohen, wann immer es ihnen gefiel. Es war ebenfalls kein großes Haus, sondern stand damals lediglich an vierzehnter Stelle. Allerdings war das Haus Trechia so unbedeutend, dass es noch nicht einmal einen Platz auf der Liste des Königs gefunden hatte. Es stand außer Frage, wer in einem offenen Konflikt den Kürzeren ziehen würde.

Das erste Mal in seinem Leben, hatte sich sein Vater damals dazu verleiten lassen, eine politische Entscheidung zu treffen, um diesem Konflikt ein Ende zu bereiten. Er arrangierte eine Hochzeit mit dem Haus Ankor. Xarven erinnerte sich noch sehr genau, dass er seinem Vater vehement widersprochen hatte, als er ihm mehr oder weniger befohlen hatte, er solle Amara von Ankor heiraten. Er hatte sie bis dahin ja nicht ein einziges Mal in seinem Leben getroffen. Doch sein Vater hatte gute Geschäftsbeziehungen zu diesem aufstrebenden Haus und versprach sich durch diese Heirat auch Schutz gegen das Haus Turimon. Also war es eine sinnlose Diskussion gewesen. Die Entscheidung war bereits getroffen.

Doch sein Vater hatte sich geirrt. Selbst diese Hochzeit und das neue Bündnis hatten ihre Widersacher nicht davon abgehalten, ihnen weiterhin zuzusetzen. Ganz im Gegenteil. Es passierte, was passieren musste.

Nachdem einige Drohungen erfolglos verpufft waren, fand Xarven eines Tages die Leichen seiner Eltern in ihrem Anwesen. Sie waren von Yidaki hinterrücks ermordet worden.

In diesem Moment hatte er nichts als Wut verspürt. Er hatte seine Wachen zum Kampf gegen das Haus Turimon zusammengerufen, und seine neuen Verbündeten waren ihm bereitwillig gefolgt.

Schon damals waren seine magischen Fähigkeiten überdurchschnittlich stark ausgeprägt gewesen. Obwohl dieses Haus weit mehr Krieger und Magier hatte als er und das Haus Ankor zusammen, hatten sie nicht den Hauch einer Chance besessen. Xarven hatte ihnen gezeigt, wozu ein schwarzer Magier der obersten Ebene im Stande war.

Die Nachricht ihres Sieges hatte sich rasch verbreitet, und selbst der König schien plötzlich Interesse an dem bis dahin unbekannten Haus Trechia zu zeigen. Er ließ direkt am folgenden Tag verkünden, dass das Haus Trechia nunmehr das vierzehnte der Stadt sei und damit den Platz des Hauses Turimon einnehme.

Xarven hatte diese Neuigkeit nicht sonderlich interessiert. Nachdem die Wut verklungen war, hatte ihn die Trauer erfasst. Doch das hatte er niemandem gezeigt. Er war schließlich ein schwarzer Magier und als solcher konnte er seine Gefühle kontrollieren.

 

Nach dem Tod seines Vaters, hatte Xarven nicht nur die Weingüter geerbt, die sein Vater in all den Jahren aufgebaut hatte, sondern auch das Haus. Er war der neue Fürst des Hauses Trechia. Trechia – das war ein Name, der für Wohlstand und guten Wein stand, doch niemals für Krieg. Erst als er Fürst wurde, hatte sich das geändert.

Sein Vater hatte nie gewollt, dass sein Haus einen Platz unter den obersten Zehn in der Hierarchie der Stadt einnahm. Immer wieder hatte er gesagt, das mache die Leute nur auf einen aufmerksam, und das wiederum bedeutete, dass man schneller Ärger bekam.

Xarven hatte ihn stets für einen sehr intelligenten Mann gehalten. Er wusste, dass sein Vater recht hatte, und dennoch hatte er sich dafür entschieden, das Haus Trechia weiter nach oben zu führen. Seit Jahren verfolgte er dieses Ziel mit der gleichen Leidenschaft, die sein Vater einst seiner Arbeit entgegengebracht hatte. Anfangs hatte es sich wie Verrat angefühlt, weil er die Traditionen und die Worte seines Vaters mit Füßen trat, aber er hatte keine Wahl gehabt.

Als er seine Frau verloren hatte, war seine Welt in einen nie enden wollenden Strudel geraten. Er war einst glücklich gewesen, und das war äußerst ungewöhnlich bei arrangierten Ehen. Niemals hätte er gedacht, dass er jemals für eine Frau so empfinden könnte. Doch so war es gewesen. Amara von Ankor hatte eine Seite in ihm berührt, die er bis dahin nicht gekannt hatte.

 

Xarven umklammerte den Sims des kleinen Kamins und seufzte. Drei Kinder hatte sie ihm geschenkt. Keines war ihm geblieben.

Sein Sohn musste sich verstecken, wenn er am Leben bleiben wollte. Seine Zwillingsschwester hatte Prelon verlassen, als sie den sechzehnten Sommer erreicht hatte. Und seine älteste Tochter, von der er angenommen hatte, sie sei tot, hasste ihn. Rael verstand nicht, dass alles, was er tat, lediglich ihrem und dem Schutz ihrer Geschwister galt. Sie waren alles, was ihn interessierte.

Was scherte ihn die Krone oder die Macht? Es bedeutete ihm nichts. Aber dieses Volk verstand nur eine Sprache, und im Gegensatz zu seinem Vater konnte er sie sprechen, wenn es auf anderem Wege nicht ging.

Das Spiel, das er spielte, war gefährlich, doch der König hatte ihm keine Wahl gelassen, als er sein Urteil gefällt hatte.

Xarven manövrierte ein Schiff durch eine stürmische See, immer darauf bedacht, dass es nicht kenterte. An manchen Tagen hielt er die Balance besser als an anderen. Er steuerte nur ein Ziel an, das er niemals aus den Augen verlor. Die Krone. Es war die einzige Möglichkeit, seinen Kindern die Rückkehr nach Prelon zu ermöglichen.

Er hatte es geschafft, sein Haus weiter nach oben zu führen. Er stand in der Hierarchie der Stadt an zweiter Stelle.

Doch mit der Macht kamen die Verantwortung und die Aufmerksamkeit, vor der ihn sein Vater stets gewarnt hatte. Xarven seufzte erneut und schüttelte den Kopf. Nein, er hatte keine Wahl gehabt. Für ihn gab es nichts Wichtigeres auf dieser Welt als seine Familie. Er hatte bei Amara versagt. Das würde ihm nicht noch einmal passieren. Er würde alles tun, um seine Kinder zu schützen, auch wenn das bedeutete, dass er Entscheidungen treffen musste, die sie nicht verstanden.

Sie würden es verstehen … Irgendwann würden sie es verstehen.

Er blickte wieder auf und schaute auf das Gemälde, das seinen Vater abbildete.

»Eines Tages wirst auch du mir verzeihen«, flüsterte er leise.

Kapitel 3: Der Rat eines Freundes

»Hier bist du«, stellte Brengar verdutzt fest, als er den Raum betrat. Xarven stand vor dem kleinen Kamin und hatte ihm den Rücken zugewendet.

Der Fürst drehte sich um und begrüßte ihn förmlich.

»Es tut mir leid, dass ich deinem Gespräch mit dem König nicht beiwohnen konnte. König Torlan hat Jerdans Hinrichtung offiziell verkünden lassen«, begann Brengar. »Königin Yirasha war außer sich. Ich habe stundenlang mit ihr gesprochen. Doch das hat nichts gebracht. Sie wird heute abreisen. Die Yidaki verabscheuen die Todesstrafe, sie wollen unter keinen Umständen in dieser Stadt bleiben. Botschafter Nihad hat mir erzählt, dass die Nenin ebenfalls abreisen. Dein Angriff auf Nolans Haus hat die Nenin etwas beunruhigt.«

»Tja, so wie es aussieht, ist das Fest wohl vorbei«, kommentierte Xarven den Bericht in schlichten Worten. Er verschränkte die Arme auf dem Rücken, straffte den Rücken und schaute den Yidaki erwartungsvoll an. »Thanatos?«, fragte er nur.

»Er bleibt, genau wie Königin Taheela.« Brengar schloss die Tür hinter sich und trat tiefer in den Raum hinein. »Ich habe den Eindruck, dass sie das Ganze mitunter sogar unterhaltsam findet.«

Xarven schmunzelte. »Ja, das überrascht mich nicht. Taheela wird aufgrund ihrer zierlichen Statur leicht unterschätzt. Dabei hat sie in ihrem Land die gleichen Kämpfe auszutragen wie wir hier in Prelon. Ein Kampf zwischen zwei Häusern wird sie wohl kaum erschrecken. Vermutlich findet sie unser Vorgehen eher amüsant. Die Arani verschwenden keine Zeit auf politisches Geplänkel. Sie räumen ihre Kontrahenten direkt aus dem Weg.« Xarven ging zum Schreibtisch und runzelte die Stirn. Er wirkte nachdenklich. »Kannst du ein Treffen mit Taheela vereinbaren?«, fragte er Brengar.

Der Yidaki nickte sofort, doch er war auch etwas überrascht. Warum wollte Xarven mit der Königin von Arania sprechen? »Das sollte kein Problem sein. Doch darf ich erfahren, wieso du mit ihr reden willst? Was hast du vor?«, sprach er seine Gedanken aus.

»Das weiß ich selbst noch nicht so genau«, antwortete Xarven, ohne ihn anzusehen.

Brengar schaute den Fürsten abwartend an, in der Erwartung, dass er noch etwas dazu sagen würde, doch er schwieg. Was auch immer ihm gerade im Kopf herumgeisterte, er wollte nicht darüber sprechen. Brengar wusste, dass Xarven ihm vertraute. Und er war sicherlich einer der Ersten, die erfahren würden, wenn der Fürst neue Pläne schmiedete. Für den Moment entschied er, es dabei zu belassen. Xarven würde ihn ins Vertrauen ziehen, wenn er es für angemessen hielt.

 

»Wie verlief dein Gespräch mit dem König heute Vormittag?«, lenkte er das Gespräch auf ein anderes Thema.

»Wie geplant«, sagte Xarven. »Er wirkte sogar etwas erheitert, wohl aufgrund der Neuigkeiten. Ich habe ihm von Nolans Plänen berichtet und seiner Verbindung zu Karutien. Torlan wird König Thanatos nun beschatten lassen. Ich konnte ihn gerade noch davon abbringen, ihn direkt einzukerkern. Wir haben ihr Bündnis empfindlich geschwächt. Der König denkt darüber nach, das dritte Haus anzugreifen. Lando ist ein Mitwisser und ebenfalls mit Nolan verbündet. Er hält es für klug, ihn direkt aus dem Weg zu räumen.«

»Und hältst du das ebenfalls für klug?«

»Ja. Wenn wir ihn gemeinsam angreifen, wird Landos Haus untergehen. Danach ist Karutien allein und nicht mehr in der Lage, etwas gegen uns auszurichten. Wir können Thanatos ziehen lassen und den Frieden der Reiche wahren.«

»Und was ist mit diesem geheimnisvollen vierten Verbündeten, von dem dir deine Tochter berichtet hatte?«, fragte Brengar mit einem Hauch von Skepsis in seiner Stimme.

»Wir wissen gar nichts über ihn. Weder wer er ist, noch wie stark er ist. Das ist der letzte unberechenbare Faktor in dieser Angelegenheit. Davon abgesehen, könnte es nicht besser laufen.«

Brengar musterte seinen alten Freund eindringlich. Er stand vor dem Schreibtisch und schaute auf den Teller herab, der dort auf dem Tisch lag. Ein paar Früchte, Kuchen, Brot und Käse lagen unangetastet auf der silbernen Platte. Sein Blick war ausdruckslos. Für jeden anderen wenigstens. Brengar wusste es besser, zu lange kannte er ihn schon. Die Schwarzmagier Prelons rühmten sich stets dafür, die Gefühle anderer Menschen lesen zu können und zu wissen, was in ihnen vorging. Doch der Yidaki bezweifelte, dass es auch nur einen Magier in Prelon gab, der den Fürsten mit seiner Magie durchschauen konnte. Was Xarven nicht wollte, das man über ihn erfuhr, das erfuhr man auch nicht.

Doch Brengar war kein Magier, er war nur ein sehr guter Beobachter – und er hörte zu. Winzige Gesten verrieten ihm, dass den Fürsten etwas beschäftigte. Er wirkte angespannter als sonst. Das ganze Gespräch über hatte er sich um eine aufrechte und gerade Haltung bemüht, die nur für ihn eher gezwungen wirkte. Sein Atem ging ruhig, und seine Stimme war die ganze Zeit über leise und fast tonlos gewesen. Ein Mann, der sich darüber freute, dass sein Plan aufging, sah anders aus. Und in diesem Moment widmete er dem kleinen silbernen Teller mehr Aufmerksamkeit als dem ganzen Gespräch und der Politik des Reiches – so schien es zumindest.

Brengar zog eine Augenbraue hoch. »Und doch wirkst du nicht wirklich zufrieden«, stellte der Yidaki fest.

Xarven drehte sich zu ihm um. »Es ist schwer, dir etwas vorzumachen«, sagte er und bemühte sich um ein Lächeln. Dann nahm er sich ein kleines Stück Kuchen. »Rael …«, sagte er leise und schüttelte den Kopf. »Sie braucht noch etwas Zeit, um sich einzugewöhnen.«

»Was ist passiert?«, wollte der Yidaki wissen.

»Sie trägt mir meine Entscheidung bezüglich Jerdan nach.«

»Und das überrascht dich jetzt?« Brengar ging ebenfalls zu dem Schreibtisch. Er legte dem Fürsten eine Hand auf die Schulter und sprach etwas leiser. »Die Entscheidung war aus deiner Sicht nachvollziehbar, taktisch klug und politisch korrekt. Aber sie wird es nicht verstehen.«

Xarven seufzte. »Irgendwann wird sie das.« Dann drehte er sich so, dass er seinem Berater und Freund direkt in die Augen sehen konnte. »Sie wird sich beruhigen. Dann werde ich noch einmal mit ihr sprechen. Ich hatte vorhin keine Gelegenheit, ihr zu sagen, dass sie Prinz Teron heiraten wird.«

Brengar starrte den Fürsten mit offenem Mund an. »Das kann nicht dein Ernst sein. Ich dachte, deine Nichte sollte …«

»Was glaubst du, was der König verlangt hat, als ich ihm gesagt habe, dass Rael meine Tochter ist? Er hat die Verlobung seines Sohnes mit meiner Nichte sofort gelöst. Er will Rael. Wenn ich abgelehnt hätte, hätte er ein anderes Haus wählen können. Verlangst du von mir, dass ich all die jahrelange Arbeit einfach im Sande verlaufen lasse, jetzt, da ich so kurz vor dem Ziel stehe?«

»Ja«, sagte Brengar trocken. »Du kämpfst so sehr für deinen Sohn, dass du deine Tochter vergisst. Du wirst ihr Vertrauen niemals gewinnen, wenn du ihr vorschreibst, wen sie heiraten soll. Immerhin hast du bereits Jerdan zum Tode verurteilt, und das, obwohl er dir geholfen hat.«

»Warum interessiert dich sein Schicksal?«, fragte Xarven barsch. Da war es wieder. Seine ihm nur allzu bekannte Kühle und das Selbstbewusstsein, das in jedem seiner Worte mitschwang. Dazu die dunklen Augen, die ihn beinahe drohend ansahen. So kannten ihn die meisten Preloner.

»Ich stehe in seiner Schuld. Er hat mein Leben gerettet. Wenn du schon nicht zulässt, dass ich mein Schwert für ihn ziehe, so kann ich wenigstens mein Wort für ihn erheben. Es ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann.«

Xarven atmete einmal laut hörbar ein. »Ich kann mich nicht gegen den König stellen. Er würde uns angreifen, das würde Karutien stärken, und Prelon wäre verloren. Es geht hier um mehr als um die Frage, ob meine Tochter meine Entscheidungen gutheißen wird oder ob Jerdan die nächsten Tage überleben darf. Ich habe keine andere Wahl.«

Brengar seufzte, lehnte sich gegen den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Also hast du dich entschieden?«

»Ja.«

Der Yidaki schüttelte den Kopf. »Mir gefällt das nicht.«

»Das muss es auch nicht«, sagte Xarven tonlos.

»Xarven«, begann er. »Diese ganze Angelegenheit wäre nicht einmal ansatzweise so kompliziert, wenn nicht die Bedrohung durch einen Krieg im Hintergrund stünde. Ich glaube noch immer, dass du diesen vierten Verbündeten unterschätzt. Außerdem ist auch Karutien nicht so hilflos, wie du es immer darstellst. Hast du die Bruderschaft vergessen?«

Xarven lächelte. »Die Bruderschaft? Ein alter Orden, von dem man lediglich erzählt, um den Kindern Angst zu machen.«

»Die stärksten Raschaki Karutiens können – denke ich – mehr, als Kindern Angst einjagen.«

»Du sagst es. Es sind die stärksten Raschaki Karutiens. Gemessen an deren Maßstäben, ist das nicht sonderlich beängstigend. Ich habe genug Raschaki, die es ohne Weiteres mit diesen Männern aufnehmen können.«

»Arroganz steht dir nicht gut zu Gesicht, alter Freund«, entgegnete Brengar vorwurfsvoll. »Dein Bündnis mit dem König macht dich blind. Du verlierst den Blick für das größere Bild! Du lässt Jerdan sterben, du verkaufst deine Tochter an das erste Haus, und wozu das alles?« Brengar schloss die Augen und rieb sich die Stirn. »Du musst dich dem König nicht fügen«, sagte er etwas leiser.

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Xarven stirnrunzelnd.

»Glaub mir! Nichts befürworte ich mehr als deine Pläne, die Machtübernahme in Prelon gewaltfrei durchzuführen. Doch die Situation hat sich verändert. Ich bezweifle, dass diese Angelegenheit mit einem Angriff auf das dritte Haus erledigt ist. Du brauchst jeden Raschaki und Magier, den du hast, um dich auf den Krieg vorzubereiten. Sprich mit dem König. Wir brauchen die Rebellen! Wenn er begriffen hat, dass du bereits seit Jahren die Stärke hast, ihn zu stürzen, es aber nicht getan hast, wird ihn das vorsichtiger werden lassen. Es wird Zeit, dass Torlan versteht, dass sein Interesse an einem Bündnis mit deinem Haus höher sein sollte als deines mit seinem. Du bist nicht derjenige, der hier Forderungen erfüllen sollte. Torlan sitzt nur noch auf dem Thron, weil du den Anspruch noch nicht geltend gemacht hast, das weiß ganz Prelon. Die Einzigen, die das nicht zu begreifen scheinen, sind du und der König selbst. Du brauchst keine Hochzeit, du brauchst nicht einmal einen Krieg gegen das erste Haus. Zeig ihnen die wahre Stärke des Hauses Trechia.«

Xarven schaute Brengar skeptisch an. »So einfach, wie du denkst, ist das nicht. Wenn meine Verbindung zu den Rebellen bekannt wird, würde ich sämtliche prelonischen Häuser gegen mich aufbringen. Torlan würde mich zum Verräter erklären, und gemeinsam mit den anderen Häusern könnte er sich meiner entledigen. Und das Ganze ausgerechnet dann, wenn ein Krieg mit einem anderen Reich droht? … Nein!«

»Xarven, der König kann es sich nicht leisten, dich als Verbündeten zu verlieren! Er hat sonst niemanden!«, sagte Brengar mit Nachdruck und etwas Verzweiflung in seiner Stimme. »Wenn er dich angreift, fällt er direkt danach. Zeig ihm deine wahre Stärke. Du musst Valygar rufen. Er ist bereit, du weißt das!«

»Nein!« Xarven wendete sich von ihm ab und schüttelte entschieden den Kopf. »Ich will meine Kinder nicht in einem Krieg kämpfen sehen!«

»Sie kämpfen bereits, und das täglich. Das weißt du genauso gut wie ich!« Brengar seufzte und versuchte, seine Stimme wieder etwas weniger anklagend klingen zu lassen. Doch es gelang ihm nur mäßig. »Was hast du gedacht? Wenn du König wirst, dann wird jeder einfach so akzeptieren, dass du seit Jahren die Rebellen unterstützt hast? Glaubst du, man wird sie plötzlich in der Stadt willkommen heißen?«

»Wenn ich König bin, wird es kein Gesetz mehr geben, dass die Rebellen zu Unwürdigen erklärt«, sagte Xarven entschieden. Plötzlich seufzte er und lächelte den Yidaki an. »Brengar, ich achte dich. Du warst mir stets ein treuer Wegbegleiter und darüber hinaus ein Freund. Doch heute kann ich deinem Rat nicht folgen. Das Risiko, dass sich das erste Haus gegen uns stellen wird, ist zu hoch. Wenn wir in diesem Konflikt eine Chance haben wollen, müssen wir Einigkeit demonstrieren. Wenn das Haus Vindu gefallen ist und Rael Prinz Teron geheiratet hat, ist die Zeit gekommen, um über Valygars Rückkehr zu sprechen. Vorher nicht.«

Brengar schaute den Fürsten eine Weile an, bevor er antwortete. »Wenn deine Tochter auch nur halb so dickköpfig ist wie du, bezweifle ich, dass diese Hochzeit jemals stattfinden wird.« Es gelang ihm nicht, das Lächeln zu unterdrücken, das in seinen Worten mitschwang.

»Wir werden sehen«, antwortete Xarven kühl.

Kapitel 4: Neue Möglichkeiten

Rael stampfte wütend durch die langen Gänge des Anwesens. Sie achtete nicht wirklich auf ihren Weg, aber das musste sie auch nicht. Die Wachen, die vor ihrer Tür gestanden hatten, führten sie in diesem Moment zur roten Bibliothek, in der Ayigor auf sie wartete. Als sie eine große braune Eichentür erreichten, positionierten sich die Männer zu beiden Seiten. Rael zögerte keine Sekunde. Sie öffnete die Tür und trat ein.

Der Raum war nicht sonderlich groß. Nicht zu vergleichen mit der stattlichen Bibliothek in der Akademie, dachte sie. Doch dann schweifte ihr Blick nach oben. Es war ein Rondell. Die Bücherregale zogen sich an den Wänden entlang. Sie wurden von einem schmalen Gang begleitet, der sich kreisförmig bis nach oben schlängelte. Eine große Glaskuppel bildete den Abschluss und sorgte für reichlich Licht. Rote Teppiche lagen auf dem Fußboden, und in der Mitte des Raumes thronte ein großer dunkler Holztisch, an dem ein älterer Mann saß und sie freundlich anlächelte.

Als sie seinen Blick erwiderte, erhob er sich und verbeugte sich knapp vor ihr.

 

»Schön, Euch wohlbehalten wiederzusehen, Lady Rael«, sagte Ayigor höflich, und wie immer hatte er ein schelmisches Grinsen im Gesicht.

Sie schloss die Tür hinter sich. »Förmlichkeiten sind nicht notwendig«, sagte sie etwas zu barsch und setzte sich auf einen Stuhl.

Ihr Magister beäugte sie mit einem Stirnrunzeln, das dennoch nicht in der Lage war, das Lächeln aus seinem Gesicht zu vertreiben. »Ihr seid nicht sonderlich guter Laune?«

»Offensichtlich!«

Ayigor rieb sich die Hände. »Nun, dann werden wir das gleich mal für unseren Unterricht nutzen«, sagte er aufgeregt.

Sie folgte ihm mit einem merkwürdigen Blick, als er zu einer anderen Tür schritt und diese öffnete. »Kommt«, forderte er sie freundlich auf und winkte sie herbei.

Rael folgte seiner Aufforderung und trat in das Zimmer, dessen Tür er soeben geöffnet hatte. Es war schlicht gehalten, und das war noch untertrieben. Genau genommen war es nämlich vollkommen leer. Nur kahle Steinwände und ein paar Fenster zierten diesen maximal zehn Meter langen Raum. Die Decke hingegen war höher als in einem normalen Zimmer. Rael schätzte sie auf ungefähr vier Meter. Sie fragte sich, welchen Nutzen dieser Raum wohl haben mochte, während Ayigor einen Stuhl an ihr vorbeizog und mitten im Raum mit reichlich Abstand zu ihr postierte.

Dann trat er mit einem freundlichen Grinsen wieder neben sie.

»Holz brennt hervorragend«, sagte er schlicht und blickte sie auffordernd an. Rael wusste, worauf er hinauswollte. Er zog eben aus allen Dingen einen praktischen Nutzen, so auch aus dieser Situation und ihren Emotionen. Ayigor wollte, dass sie das Feuer rief und übte.

So abwegig war das nicht, und Rael wusste, dass sie dringend üben musste. Die letzte Nacht hatte ihr mehr als deutlich gezeigt, dass sie ihre Magie noch nicht ausreichend beherrschte. Weiße Magie war mehr als die bloße Herbeirufung und Formung eines Elements. Es zielgerichtet zu steuern war nicht wirklich einfach. Dabei hatte sie das schon gekonnt, als sie noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie eine Magierin war.

Als Tänzerin hatten die Flammen sie bei ihren Darbietungen stets begleitet. Es war so selbstverständlich gewesen, dass sie es nicht einmal hinterfragt hatte. Und genau von diesem Zustand hatte Ayigor stets gesprochen. Er hatte ihr gesagt, sie müsse die Magie einfach akzeptieren und nicht etwa infrage stellen oder versuchen, sie zu verstehen. Magie war ein Teil von ihr.

Rael betrachtete ihre rechte Handinnenfläche. Nur wenige Sekunden später erschien eine kleine Flamme direkt in der Mitte. Sie züngelte eifrig von links nach rechts und ließ eine angenehme Wärme durch ihren Körper fließen. Rael nahm ein aufgeregtes Glucksen wahr. Ayigor schien offensichtlich erfreut, doch sie ignorierte ihn und blickte weiter auf ihre Hand.

Ihre Angst hatte sie gelähmt. Einzig die Wut war stark genug gewesen, sie zu vertreiben. Es war insofern nicht weiter überraschend, dass sie das Feuer bisher erst zweimal rufen konnte. In beiden Situationen war ihre Angst dem Zorn gewichen.

In diesem Moment verspürte sie weder Zorn noch Angst, nur Entschlossenheit.

Wenn sie Jerdan retten wollte, würde sie die weiße Magierin sein müssen, die alle in ihr sahen. Sie konnte es sich nicht leisten, nur an der Seite zu stehen und zuzusehen, wie ein Kampf ausgetragen wurde, den sie nicht beeinflussen konnte. So war es gewesen, als Khor gegen die Krieger des vierten Hauses gekämpft hatte. So sollte es nie wieder sein. Sie würde nicht zulassen, dass ihre Angst sie ein weiteres Mal hemmte und daran hinderte, ihre Magie in die richtigen Bahnen zu lenken. Wovor hatte sie überhaupt Angst gehabt? Nein, das war eine idiotische Frage, dachte sie. Natürlich kannte sie die Antwort darauf. Sie wollte andere Menschen weder verletzen noch töten, und das wollte sie noch immer nicht. Doch was taten sie mit ihr? Was taten sie ihren Freunden an? Unablässig fügten sie ihr Schaden zu, verrieten sie oder versuchten, sie umzubringen.

Sie seufzte innerlich. Es war relativ einfach. Entweder man war schneller, stärker und gerissener als die Gegner, oder man unterlag, was gleichbedeutend mit dem Tod war.

Man hatte versucht, sie zu töten, weil sie sich keinen anderem Haus anschließen wollte. Man hatte sichergehen wollen, dass sie sich nicht gegen das eigene Haus stellte. Zu groß war die Angst, eine Magierin gegen sich zu haben, die zwei Elemente beherrschte.

Ja, dachte Rael. Soll die Angst ihr Begleiter sein, und nicht der meine!

Das kleine Feuer in ihrer Hand wuchs an, bis es sich zu einem faustgroßen Flammenball geformt hatte. Dann fixierte sie den Stuhl und schleuderte den Feuerball durch die Luft.

Ayigor klatschte erfreut in die Hände, als der Stuhl zu brennen begann.

Und in diesem Moment realisierte Rael, was sie vorrangig fühlte. Gleichgültigkeit und eine Art von Befreiung, die sie nicht näher erklären konnte. Es war eine gleichermaßen erschreckende wie befreiende Erkenntnis. Das Feuer konnte man ausschließlich durch Gefühle kontrollieren, dafür musste sie sich befreien. Die Gleichgültigkeit half ihr, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Angst beherrschte sie nicht länger – und sie würde sie nicht länger hemmen.

Na gut, das ist vielleicht etwas zu viel Zuversicht, dachte sie. Ein kleiner Flammenball lässt sich natürlich nicht mit einer gewaltigen Flammenwand vergleichen oder mit der Möglichkeit, einen Boden in Brand zu stecken. Aber es war ein Anfang. Sie lächelte ob der Gewissheit, dass sie diesen Schritt getan hatte.

Dann beschwor Rael einen weiteren Flammenball in ihrer Hand und ließ ihn wachsen, um ihn schließlich wieder komplett verschwinden zu lassen.

Zufrieden blickte sie zu Ayigor, der ihr anerkennend zunickte. »Ich sehe, Ihr habt das Prinzip verstanden.«

Ja, das Prinzip hatte sie tatsächlich verstanden. Ayigor verlangte von ihr, dass sie abermals das Feuer rief, verstärkte und wieder verschwinden ließ. So lange, bis er sich anscheinend sicher war, dass sie es tatsächlich kontrollieren konnte.

 

»Sehr gut!«, kommentierte er die Ergebnisse. »Doch Ihr habt noch ein weiteres Element, das ihr beherrschen müsst, und damit werden wir uns jetzt befassen. Folgt mir.«

Ayigor ging zurück in die Bibliothek und stellte sich in die Mitte des Raumes, dann blickte er nach oben und lächelte. »Ihr solltet das Levitieren lernen. Es ist nützlich«, sagte er schlicht.

Rael folgte seinem Blick, und ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf. Er musste nichts weiter erklären; sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, worauf er hinauswollte.

»Ich werde nicht von dort oben herunterspringen!«, stellte Rael entschieden fest.

»Nicht?«

»Nein!« Sie schüttelte den Kopf. »Wie wäre es mit dem Tisch? Das sollte doch ausreichen.«

»Das wird nicht sehr viel bringen. Es ist nicht gefährlich genug. In Situationen, in denen man sehr angespannt ist, ist es einfacher, Magie zu wirken, weil man dann in der Regel überhaupt nicht darüber nachdenkt. Man tut es unbewusst. Schneller kann man nicht lernen. Ihr könnt es ja bereits, das habt Ihr während Eurer Prüfung bewiesen. Es ist also eigentlich ungefährlich für Euch.«

Ungefährlich? Dieses Wort bekam irgendwie eine völlig neue Bedeutung, wenn Ayigor es benutzte.

Aber in einer Sache hatte er recht. In Stresssituation dachte man nicht nach, sondern man handelte. Rael wurde plötzlich nachdenklich. Gestern Abend war so viel passiert, dass sie das ganz vergessen hatte. Ihr Angriff auf Nolan und seine Männer. Sie hatte den Wind kontrolliert, obwohl das nicht hätte möglich sein dürfen.

Sie runzelte die Stirn und kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Was genau war da passiert?, dachte sie.

»Wenn es Euch hilft, könnte ich Euch stoßen«, schlug Ayigor vor, der ihren Gesichtsausdruck offensichtlich falsch gedeutet hatte.

Sie musste schmunzeln. »Ich werde nicht springen, und Ihr werdet mich nicht stoßen!«, sagte sie entschieden, aber mit einem Lächeln. »Aber ich habe eine andere Frage.«

Ayigor wirkte etwas enttäuscht, aber er blieb freundlich. »Nur zu«, forderte er sie auf.

 

Rael berichtet ihm von den Ereignissen im Anwesen der Calloras. Ihr Magister schaute sie mehr als überrascht an.

»Das, was Ihr berichtet, ist nicht möglich. Es sei denn … « Ayigor runzelte die Stirn und ging auf den brennenden Stuhl im Nebenraum zu. Mit einer bloßen Handbewegung löschte er das Feuer und setzte sich. »Seid Ihr sicher, dass es keine Magie in diesem Raum gab?«

»Ja«, sagte sie entschieden und folgte ihm. »Eindeutig.«

Im Sitzen stützte er sich mit beiden Händen auf seinen Gehstock. »Nun, dann gibt es nur eine Erklärung. Ihr habt den Wind in seiner Urform kontrolliert, was gleichfalls bedeutet, dass ihr die fünfte Ebene beherrschen könnt.«

Rael klappte der Unterkiefer runter. Ja, das war eine logische Erklärung, doch es war auch unfassbar und zugleich äußerst beängstigend. Eigentlich hätte sie es wissen müssen, immerhin waren ihr die unterschiedlichen Ebenen bekannt. Doch es war so abwegig gewesen, dass sie daran überhaupt nicht gedacht hatte.

Ayigor stand auf und öffnete die beiden Fenster in diesem Raum. Sein Gewand war dunkel vom Ruß an den Stellen, an denen er den Stuhl berührt hatte. Rael musste schmunzeln, versuchte aber, sich das nicht anmerken zu lassen. Weiße Gewänder waren wirklich unpraktisch.

 

»Zeigt es mir!«, sagte Ayigor auffordernd und setzte sich wieder. In diesem Moment verdrängte er die Magie und erschuf so einen Schild, den er über den ganzen Raum ausbreitete, bis jegliche Magie verschwunden war. »Greift mich mit der Windmacht an!«

Rael konzentrierte sich auf ihre Wünsche. Da gab es aktuell nur einen, der ihr einfiel, aber der war zweifelsohne stark genug. Jerdan sollte leben, dachte sie. Ja, das war der einzige Wunsch, den sie derzeit verspürte.

Sie schloss die Augen und fühlte, wie der Wind um sie herum zunahm. Sie lächelte in dem Bewusstsein, dass ihr Ruf erfolgreich war.

Ein schiefes und viel zu hohes Quieken ließ sie ihre Augen öffnen. Magister Ayigor saß noch immer auf dem Stuhl, doch durch den Wind, den sie gerufen hatte, befand er sich in einem Strudel ungefähr zwei Meter über dem Boden und klammerte sich an den Stuhllehnen fest, um nicht herunterzufallen.

»Ieeeeeeehh«, schrie er. Sie war sich nicht sicher, ob er sich freute oder Angst verspürte. Bei ihm war eigentlich beides möglich.

Verdammt! Warum hatte er unbedingt gewollt, dass sie es an ihm demonstrierte? Es hätte doch auch genügt, wenn sie lediglich den Stuhl bewegt hätte.

»Geht es Euch gut?«, rief sie ihm besorgt zu.

Statt einer Antwort erhielt sie nur ein weiteres schrilles Quieken, das sie nicht deuten konnte. Wie auch immer, es reichte. Sie musste den Wind verringern.

In diesem Moment steuerte Ayigor mit seinem Stuhl viel zu schnell auf die Wand zu. Rael reagierte intuitiv und veränderte den Wind so, dass er Ayigors Geschwindigkeit verlangsamte. Dass er gegen die Wand stieß, konnte sie allerdings nicht vollkommen vermeiden.