Kneidl, Laura Die Krone der Dunkelheit 2 – Magieflimmern

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Für Nadine und Phila
In Erinnerung an Nikolai

 

© Piper Verlag GmbH, München 2019
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Prolog – Odell

– Levátt –

»Vermaledeite Drecksviecher!«, fauchte Odell und starrte auf die Überreste dessen, was die Elva zurückgelassen hatten – und das war nicht viel. Das meiste war zerstört. Die Regale mit den Gläsern voll eingelegtem Gemüse waren umgestoßen worden. Ölig ergoss sich deren Inhalt über den sandigen Boden des Lagers und vermischte sich mit dem Getreide und dem Mehl, das aus den aufgeschlitzten Säcken rieselte. Äpfel und Kartoffeln waren aus umgekippten Eimern gerollt und zertrampelt worden. Und das gepökelte Fleisch, das an Schnüren zwischen den Dachbalken gehangen hatte, war verschlungen worden.

Das nagende Gefühl von Sorge mischte sich unter die brennende Wut in Odells Magen. »Wie sind die hier hereingekommen?«, fragte er und schritt tiefer in das Lager hinein. Mit matschenden Geräuschen gab die von Öl und Sud durchnässte Erde unter seinen Stiefeln nach, und auch das Knacken brechender Eierschalen war zu hören.

»Sie haben Löcher hineingegraben«, antwortete Rourke, der gemeinsam mit zwei anderen Männern und drei Frauen für die Vorratshaltung verantwortlich war. Seine Stimme klang niedergeschlagen und beschämt.

Odell trat ein Brett beiseite und bückte sich nach einer Birne, die darunter zum Vorschein kam. Auf den ersten Blick wirkte sie unberührt. Als er sie jedoch umdrehte, entdeckte er den Kratzer, den eine Klaue im Fruchtfleisch hinterlassen hatte. Damit war das Obst ungenießbar, die Gefahr einer Vergiftung allzu groß. »Ein Loch?«

»Ja.«

Odell wandte sich zu dem anderen Halbling um. »Lächerlich! Elva graben keine Löcher, vor allem nicht, um ein Lager zu zerstören.«

Rourke hob die Brauen. »Und wie erklärst du dir die Klauenabdrücke?«

Wenn er das nur wüsste! Elva waren wild und blutrünstig. Sie jagten aus Freude am Leid, und schon viele Einwohner Levátts waren ihnen mit den Jahren zum Opfer gefallen. Doch bei diesem Angriff war kein Bewohner zu Schaden gekommen. Stattdessen hatten sich die Kreaturen bei Nacht auf geradezu durchdachte Art und Weise auf das Lager gestürzt, und das machte Odell mehr Angst, als er zugeben wollte.

Denn die Elva waren in letzter Zeit noch angriffslustiger als sonst. Erst vergangene Woche hatten sie einen Fischer zerfetzt und seinen Gesellen verstümmelt am Flussufer zurückgelassen. Ein solch monströses Verhalten war zur Wintersonnenwende und auch während der Sommersonnenwende nicht ungewöhnlich. Nicht umsonst herrschte an diesen Tagen eine Ausgangssperre in Levátt. Die Nähe zur Anderswelt machte die Biester fahrig, aber die Konvergenz der Welten lag inzwischen einige Wochen zurück, und ihr Verhalten hatte sich seitdem nicht wieder gebessert.

»Odell?«

Aus seinen Gedanken gerissen, blickte er zu Rourke auf. Seine eigenen Sorgen spiegelten sich in dessen Augen wider. Noch waren sie von der schlimmsten Kälte verschont geblieben, nicht zuletzt weil ihre Stadt im südlichen Teil von Lavarus lag, aber ohne ausreichend Nahrung waren selbst die mildesten Winter hart.

Odell warf die faulige Birne zurück auf den Boden. »Vergiss die Elva. Sie sind ohnehin schon über alle Berge. Wir müssen hier aufräumen und uns einen Überblick verschaffen, ob die verbliebenen Vorräte reichen.« Das würden sie nicht. Das wusste er bereits jetzt, aber er wollte den Schein wahren, bis er sich einen Plan überlegt hatte. Als erwählter Anführer der Halblinge war es seine Aufgabe, für das Wohl seines Volkes zu sorgen. Und wenn es sein müsste, würde er persönlich nach Daaria reisen, um das dortige Königshaus anzubetteln, aber das wäre der letzte Ausweg.

»Ich möchte, dass du rings um das Dorf weitere Wachen aufstellst. Jeder, dessen Arbeit entbehrlich ist, hat dir zu helfen. Lehrer eingeschlossen. Schick sie zum Hafen und auf die Jagd! Wir brauchen auch noch mehr Brennholz.« Zwar besaßen sie Feuer-Talente, aber je nachdem, wie lange der Winter wurde, konnten sie ihnen ausgehen. Und unter den Halblingen gab es nur wenige, die das Element Feuer beherrschten.

»Vater?«, hörte Odell eine zarte Stimme fragen. Er drehte sich um und entdeckte seine Tochter Noreèn. Sie stand in der offenen Tür des Lagers und betrachtete das Durcheinander mit demselben entsetzten Gesichtsausdruck, den vermutlich auch er zur Schau trug. Die Augen vor Schreck weit aufgerissen und der Mund in Fassungslosigkeit geöffnet.

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst im Dorf bleiben«, mahnte Odell, stieg über das Chaos hinweg zu seiner Tochter hinüber und versperrte ihr mit seinen breiten Schultern den Blick.

Sie reckte das Kinn. »Ich weiß, aber wir haben Besuch.«

»Besuch?«

Noreèn nickte. »Ein Fremder. Er möchte dich sprechen.«

»Woher kommt er?«, fragte Odell voller Misstrauen.

»Das weiß ich nicht. Er ist wie aus dem Nichts beim Anschlagbrett aufgetaucht.«

»Wie sieht er aus?«

»Wie ein Unseelie.«

Großartig, als wäre dieser Tag nicht schon schlimm genug, dachte Odell. Mit Valeskas Leuten wäre er zurechtgekommen. Sie ließen mit sich reden, aber Abgesandte von König Nevan – oder inzwischen Prinz Kheeran – waren die Schlimmsten. Die Unseelie blickten auf die Halblinge herab wie auf einen stinkenden Klumpen Pferdemist. Abstoßend und wertlos. Was die Frage aufwarf, was der Unseelie in Levátt wollte. Hoffentlich würde es ein schnelles Gespräch werden. Odell hatte sich um Wichtigeres zu kümmern als um das Wohlbefinden der Fae.

»Ich bin gleich da. Kehr du nach Hause zurück und warte dort auf mich, verstanden?«

Noreèn zögerte, wie in letzter Zeit so oft, wenn er eine Bitte an sie stellte. Schließlich aber nickte sie und eilte in Richtung ihrer Hütte davon. Odell mochte es nicht, wenn die Fae seine Tochter oder die anderen Kinder sahen. Denn mit jeder weiteren Generation, die in Levátt aufwuchs, schwanden die Merkmale der Fae, und die Eigenschaften der Menschen traten deutlicher hervor. Viele der Kinder, die in den letzten fünfzig Jahren geboren worden waren, besaßen keine spitzen Ohren mehr, und nur noch wenige von ihnen wussten Elementarmagie zu wirken. Odell selbst war diese Fähigkeit schon nicht mehr vererbt worden, obwohl – anders als bei seiner Tochter – keine Gefahr bestand, dass man ihn mit einem Menschen verwechselte.

»Du solltest schon mal die Leute zusammentrommeln«, wandte sich Odell an Rourke und überprüfte den Dolch, der an seiner Hüfte hing. Nicht, dass er damit viel gegen den Unseelie ausrichten könnte, denn es war keine magische Waffe. Eine solche vermochte er nicht zu führen. »Ich stoße zu euch, sobald der Besuch gegangen ist.«

Er verließ das zerstörte Lager und machte sich auf den Weg zum Anschlagbrett, das in der Mitte des Dorfes stand. Da Talente bei ihnen ein Verbrauchsgut waren und sie auch sonst keine Währung besaßen, tauschten sie Gefälligkeiten und Aufträge miteinander. Jeder leistete seinen Teil und wurde dafür mit allem Notwendigen versorgt. Umso katastrophaler war der Verlust des Lagers, denn in Zeiten der Not gab es immer Leute, die nach vorn traten und das System infrage stellten.

Odell folgte dem festgetretenen Pfad durch das Dorf, das aus einfachen Holzhütten bestand. Levátt war nicht so elegant wie Nihalos und auch nicht befestigt wie die Stadt der Seelie, aber Odell hatte nie eine andere Heimat gekannt. Er störte sich nicht an den schiefen Dachziegeln, dem verwitterten Holz und der unebenen Wegführung, die sich um Bäume und Hügel herumschlängelte, wodurch das Dorf eins mit der Natur wurde. In Odells Augen gab es kaum einen schöneren Anblick als den der Morgensonne, die durch die Äste der Baumkronen brach und Levátt zum Leuchten brachte.

An diesem Tag wirkte das Dorf jedoch stumpf wie eine abgegriffene Münze. Der Überfall der Elva auf das Lager hatte sich bereits herumgesprochen, und die Ängste und Sorgen der Bewohner trübten die Luft. Ihre heiteren Stimmen waren verstummt, ihre verschreckten Blicke suchten die Gegend ab. Odell hasste es, sein Volk so zu sehen, und beschleunigte seine Schritte. Je rascher er mit dem Unseelie sprach, desto früher konnte er mit anpacken und beim Wiederaufbau des Lagers oder beim Aufstocken der Vorräte helfen.

Er erreichte das Anschlagbrett, konnte den Unseelie, von dem Noreèn gesprochen hatte, aber nirgends ausmachen. Der Platz war leer, mit Ausnahme eines schwarzen Raben, der auf dem Dach einer Hütte hockte. Sollte das ein Scherz sein? Suchend blickte er sich um und umrundete den Baum mit dem massiven Stamm, der sich in der Mitte des Platzes erhob. Den Unseelie entdeckte er allerdings nicht. Womöglich hatte er Unterschlupf vor dem kühlen Wind gesucht. Odell spähte in das Fenster einer Hütte, in der ein Feuer brannte, aber er erkannte nur die Schneiderinnen, die an ihren Plätzen saßen und sich leise unterhielten, ihre Gesichter von Schwermut gezeichnet.

Odell drehte ihnen den Rücken zu – und fuhr erschrocken zurück, während sein Puls schlagartig in die Höhe schoss. Er war nicht mehr allein. Hinter ihm stand eine vermummte Gestalt in einem dunklen Umhang. Blonde Spitzen blitzten unter der Kapuze hervor, die das Gesicht verdeckte.

»Wer seid Ihr?«, fragte Odell. Seine Hand hatte sich wie von selbst auf den Griff des Dolches gelegt, und die Härchen an seinen Armen richteten sich auf, als witterten sie die Bedrohung, die von dem Fremden ausging. Er hätte nicht einmal mit Gewissheit sagen können, was es war, aber der Mann vor ihm strahlte eine Gefährlichkeit aus wie eine zähnebleckende Elva.

»Ich habe einen Auftrag für euch«, sagte der Fremde, ohne auf Odells Frage einzugehen.

»Einen Auftrag?«

Der Fremde nickte.

Odell schnaubte belustigt. Er sollte einem Unseelie helfen? Das kam nicht infrage. Wann hatten die Fae ihnen das letzte Mal geholfen? Sie hatten sie aus ihrer Stadt vertrieben und den Gefahren des Nebelwaldes überlassen. Sein eigener Urgroßvater – ein in Nihalos geborener Halbling – wäre beinahe von Elva getötet worden, weil ihn der damalige König entwaffnet und vertrieben hatte. »Danke, kein Bedarf«, knurrte er und wandte sich ab, um in das zerstörte Lager zurückzukehren, als die Stimme des Fremden ihn zum Innehalten zwang.

»Das war keine Bitte, Odell.«

Er erstarrte. »Was habt Ihr gesagt?«

»Ich bitte euch nicht um eure Hilfe. Ich verlange sie.«

Odell schüttelte den Kopf. »Ihr seid verrückt. Wir machen keinen Finger für Euch krumm. Und jetzt hört auf, meine Zeit zu verschwenden. Ich will Euch hier nicht mehr sehen. Verschwindet aus meiner Stadt!« Er setzte sich wieder in Bewegung, kam jedoch nur wenige Schritte weit, als sich eine Wand aus schwarzem Nebel vor ihm aufbaute und ihm den Weg versperrte. »Was …?«

Die Worte erstarben ihm auf der Zunge, als sich der Rauch zu der Gestalt verdichtete, die wenige Sekunden vorher noch hinter ihm gestanden hatte. Dies war keine gewöhnliche Luftmagie. So etwas hatte er noch nie gesehen. Ohne Zögern zückte er den Dolch und richtete die nutzlose Klinge auf die Brust des Fremden. Töten konnte er ihn damit nicht, aber die Schmerzen würden ihm einen Vorsprung verschaffen. »Wer … wer seid Ihr?«, stammelte er und nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Zuerst dachte er, es sei ein Dorfbewohner, der nach dem Rechten sehen wollte, dann aber erkannte er, dass es eine Elva war, die auf dem Anschlagbrett gelandet war. Sorgfältig faltete sie ihre schwarzen Flügel zusammen, während ihr Schwanz, der dem eines Ochsen glich, ungeduldig hin und her schwang. Mit großen Augen starrte sie ihn an, doch trotz der Gier, die sich in ihrem Blick widerspiegelte, griff sie nicht an.

Panik kroch Odell den Rücken herauf.

»Wer ich bin? Das darfst du entscheiden«, sagte der Fremde. »Entweder bin ich dein Verbündeter. Oder dein Feind.«

Odell schluckte schwer. »Was wollt Ihr von uns?«

»Ich habe einen Auftrag für dich und deine Männer. Wenn ihr ihn zu meiner Zufriedenheit ausführt, erfülle ich euch jeden Wunsch. Gold. Talente. Macht. Nahrung.« Das letzte Wort schien förmlich auf der Zunge des Fremden zu zergehen.

Odell hatte keine Ahnung, wie er es angestellt hatte oder wie er über die Elva befahl, aber das konnte kein Zufall sein. Dieser Unseelie war für die Zerstörung des Lagers verantwortlich. Er hatte das Unheil angerichtet!

Trotz zitternder Knie trat Odell einen Schritt nach vorn, bis die Spitze seines Dolches über das Gewand des Unseelie streifte. »Und was hält mich davon ab, Eurem Leben sofort ein Ende zu bereiten?«

Ungerührt betrachtete der Fremde die Klinge, die über seinem Herzen schwebte, als über ihren Köpfen plötzlich das Schlagen von Flügeln zu hören war. Eine zweite Elva landete auf dem Dach einer Hütte. Ihre Flügel waren nicht gefiedert, sondern ein dünner Hautlappen spannte sich zwischen ihrem Körper und zwei knochigen Stecken, die wohl Arme sein sollten. Dennoch wirkte sie keineswegs gebrechlich. Ihre Klauen schlugen sich in das Holz und brachten es zum Splittern.

Bilder von Blut und Verderben stiegen in Odell auf, und als er einen Augenblick später zu dem Fremden hinübersah, entdeckte er ein feines Lächeln um dessen Lippen. Nicht freundlich, sondern wie das Fletschen von Zähnen. »Du kannst gern versuchen, mich zu töten«, sagte dieser in einem Tonfall, so eisig wie die Platte eines zugefrorenen Sees. »Aber überleben würdest du es nicht.«

TEIL I

1. Kapitel – Elroy

– Amaruné –

Elroy würde diesen Mistkerl töten. Er würde ihn von oben nach unten aufschlitzen und dann … neidisch dabei zusehen, wie sich die Wunden wieder schlossen.

Unsterblicher Drecksack.

Doch er war selbst schuld. Er hätte der Prinzessin und ihrem Wächter nicht so blind vertrauen dürfen. Hatten ihn die Jahre auf hoher See unter Piraten, Dieben, Hehlern und Betrügern nichts gelehrt? Man war nie der Erste, der die Ware auf den Tisch legte, und dennoch hatte er die beiden bereitwillig nach Meridian geschifft, ohne ihre Worte zu prüfen. Warum hatte er angenommen, Freya und Larkin seien ehrlicher als das Pack, mit dem er es gewöhnlich zu tun hatte? Alle Menschen waren gleich.

Elroys Hände umklammerten das Holz des Waschzubers, und er stemmte sich in die Höhe. Die dickflüssige braune Masse schwappte hin und her, was den Gestank noch unerträglicher machte als ohnehin schon, und lief in schwerfälligen Rinnsalen über seinen Körper. Er rümpfte die Nase und rügte sich einmal mehr für seine eigene Dummheit. Die Aussicht auf die Unsterblichkeit hatte ihn unvorsichtig und gierig gemacht. Er hätte Larkin in der Kneipe in Askane damals wohl alles geglaubt, in der Hoffnung, endlich das Geheimnis des ewigen Lebens gefunden zu haben. Stattdessen hatte er den Tiefpunkt seines zweiundzwanzigjährigen Lebens erreicht – nackt und von oben bis unten mit Scheiße beschmiert. Und übel war ihm auch. Nicht von dem Gestank, der ohnehin überall im fünften Ring herrschte, sondern von dem Gesöff, das der Wächter ihm zum Trinken gegeben hatte. Moos, alte Kröte und Rosmarin, eingekocht mit dem Haar einer Fae. Er hatte sein Leben riskiert, um an dieses Haar zu gelangen. Auf dem Schwarzmarkt war er einem Seelie hinterhergestiegen, bis sich die Gelegenheit geboten hatte, ihm eine seiner feuerroten Strähnen abzuschneiden. Das war allerdings nicht unbemerkt geblieben, und Elroy wäre beinahe an der Luftmagie der Fae erstickt, wäre ihm seine Mannschaft nicht zu Hilfe gekommen.

Er hasste die Fae für diese Gabe und ihr langes Leben. In Wirklichkeit sprach jedoch nur der Neid aus ihm. Die Fae besaßen, was er begehrte und nicht besaß, aber irgendwann bekommen würde. Larkin hatte ihn vielleicht täuschen können, aber er gab nicht auf. Sollte der Wächter ihm jemals wieder begegnen, würde er den Tag bereuen, an dem er Captain Elroy belogen hatte.

Manchmal fragte er sich, ob er einfach den Wächtern beitreten sollte, um sich die Unsterblichkeit verleihen zu lassen. Das wäre der einfachste Weg. Doch die Männer in Schwarz waren streng, wenn es um ihren Eid ging. Vor zwei Jahrzehnten hatte ein Mann dasselbe versucht. Er war zum Wächter geworden und anschließend geflohen. Die anderen hatten ihn gejagt, zurück an die Mauer geschleift und mit einem magischen Schwert enthauptet. Es war die einzige aufgezeichnete Hinrichtung, die es unter den Wächtern je gegeben hatte. Und obwohl sich Elroy aufs Fliehen und Untertauchen verstand, wollte er es nicht riskieren. Immerhin waren die Wächter keine gewöhnlichen Männer, und ihnen blieb die Ewigkeit, um ihm nachzujagen.

Elroy stieg aus dem Waschzuber, und Scheiße tropfte zu Boden. Immerhin musste er das Zeug nicht wegtragen und aufwischen, dafür bezahlte er dem Wirt und der Wirtin zu viel. Auf seine Anfrage nach einem Fass Gülle hatten sie sich eigenartig abweisend gezeigt, aber mit ausreichend Gold hatte er alle Bedenken zum Schweigen gebracht.

Sich an der Wand abstützend, humpelte er zu einem zweiten Zuber, der mit Wasser gefüllt war, und ließ sich in das warme Nass gleiten. Ein Seufzer entwich seinen Lippen, und er beobachtete, wie sich der Dreck von seiner braunen Haut löste, bevor er den Kopf in den Nacken legte und abermals wohlig stöhnte. Es war nicht die Wärme, sondern die Nähe zum Wasser, die seine Muskeln augenblicklich entspannte.

Über ihm kroch ein Käfer an der Decke, der mit seiner Größe selbst den Viechern aus seiner Heimat Séakis Konkurrenz machte, allerdings störte er sich nicht an dem Insekt. Was hatte er auch in einer Spelunke wie dieser erwartet? Sie lag im fünften Ring der thobrischen Hauptstadt, weit entfernt vom königlichen Schloss der Draedons, aber dafür näher am Meer, und nur das zählte.

Elroy blieb noch eine Weile im Wasser. Mit geschlossenen Augen dachte er an sein Schiff, die Helenia. Sie lag sicher im nächsten Hafen, bewacht von einem Teil seiner Mannschaft, und wartete geduldig auf seine Rückkehr, aber er hatte noch Geschäfte in Amaruné zu erledigen.

Apropos Geschäfte – es wurde Zeit.

Elroy hievte sich in die Höhe und ließ sich auf dem Rand des Waschzubers nieder. Diesmal war es nur noch Wasser, das von seinem Körper tropfte. Suchend blickte er sich um und fluchte laut, als er das Tuch, welches ihm die Wirtin gegeben hatte, am anderen Ende des Raumes auf der Pritsche entdeckte. Er blickte an sich hinab und betrachtete den Stumpf, der einst sein linkes Bein gewesen war. Inzwischen vermisste er es nicht mehr, aber manches wäre schon einfacher gewesen, wäre es noch da.

Zum Glück konnte ihn niemand sehen, als er zur Pritsche hüpfte. Er trocknete sich ab und legte die Prothese an. Sie hatte ihn ein Vermögen gekostet, war aber jedes Stück Gold wert gewesen. Die meisten Menschen bemerkten nicht einmal, dass ihm ein Bein fehlte. Die Männer, die mit ihm auf See waren, wussten Bescheid, aber auch nur, weil sie dabei gewesen waren, als er es verloren hatte.

Nachdem das künstliche Glied an seinem Platz saß, legte er seine Uniform an, die aus braunen, dunkelroten und goldenen Stoffen bestand.

Gerade als er sich seine Ringe über die Finger streifte, war ein Klopfen an der Tür zu hören. »Herein!«, rief er und war nicht überrascht, Yale zu sehen, das älteste Mitglied seiner Mannschaft. Nicht in dem Sinn, dass Yale alt war, er war nur ein Jahr älter als Elroy selbst, aber er begleitete ihn bereits, seit sein Schiff vor sechs Jahren erstmals Segel gesetzt hatte.

»Hier stinkt es, als hättest du eine Verabredung mit einer Giftmischerin gehabt«, sagte Yale und rümpfte die Nase. Dennoch lag ein Schmunzeln auf seinen Lippen. Sie alle würden sich auf ewig über Braxton lustig machen, ein weiteres Mitglied der Mannschaft. Vor zwei Jahren hatte er eine Giftmischerin so lange in einer Taverne bedrängt, bis sie ihn mit zu sich nach Hause genommen hatte. Drei Wochen lang hatte sein Atem nach vergorenem Fisch und ranziger Butter gerochen. Bisher hatten sie nicht herausgefunden, was die Mischerin ihm damals verabreicht hatte.

»Das ist der Gestank des Verrats«, antwortete Elroy und blickte in den Spiegel, um sich den goldenen Ring durch die Nase zu schieben.

In der Spiegelung des trüben Glases beobachtete er, wie sich Yales Stirn in Falten legte. Die Haut des Steuermannes war dunkler als seine eigene, und während ihm das schwarze Haar bis auf die Schultern fiel, wenn er es offen trug, war Yales Kopf kahl geschoren. »Es ist also nicht gelungen?«

Elroy richtete sich auf. »Was glaubst du?«

»Ich glaube, du könntest etwas zu trinken vertragen. Die anderen und ich besuchen die Spielhalle, die wir gestern entdeckt haben.« Das erklärte seinen Aufzug. Statt der dunklen Leinenhose und des Hemdes, die immerzu nach Salz und Schweiß rochen, trug er ein Gewand, das Elroy noch nie an ihm gesehen hatte. Hoffentlich hatte der Tölpel es nicht geklaut. Das Letzte, was sie brauchten, war Ärger in einer Stadt, in der es von Gardisten nur so wimmelte. »Kommst du mit, Captain?«

Elroy schüttelte den Kopf. »Später. Ich habe noch etwas zu erledigen.« Sein Blick zuckte zu den beiden Waschzubern hinüber. »Und sag dem Wirt, dass er hier aufräumen kann.«

Yale nickte. »Aye.«

Elroy wartete, bis der andere Mann das Zimmer verlassen hatte, bevor er vor seiner Pritsche auf die Knie ging und einen länglichen Koffer darunter hervorzog. Er öffnete die Schnallen, und mit einem Klicken sprangen sie auf.

Sein Schatz war noch da.

 

 

Auf den ersten Blick war Amaruné keine prächtige Stadt. Angeordnet wie eine Zielscheibe, empfing sie Ankommende im äußersten und schäbigsten Bezirk. Die unebenen Straßen mit den verfallenen Hütten wiesen so viele Löcher auf, dass sich die Schrauben aus den Karren drehten. Dieser hässliche erste Eindruck wirkte alles andere als einladend auf einen Fremden. Das Elend verschwand jedoch, je tiefer man in die Stadt vordrang. Aus verkommenen Hütten wurden Häuser und schließlich Villen. Holperige Wege weiteten sich zu befestigten Straßen, und der Unrat wich unter die Erde.

Elroy mochte schöne Dinge, und anfangs hatte dieser Aufbau sein ästhetisches Empfinden gestört, aber der Stratege in ihm wusste die Architektur zu schätzen. Sollte ein Krieg ausbrechen, würden erst die unbedeutenden Teile der Stadt zerstört, und die Verluste wären geringer. Dennoch war er froh, nun durch einen der nobleren Stadtteile zu spazieren.

Hier war es nicht nur schöner, sondern es gab auch Menschen, bei denen sich der Betrug lohnte. Zwar hatte er diesmal nicht vor, die Taschen irgendwelcher Adliger zu leeren, aber zumindest konnte er sich einen Überblick verschaffen. Außerdem gefiel es ihm, wie das Licht an diesem trüben Tag durch die Fenster der Häuser hereinfiel. Als wäre jede Hütte ein eigener kleiner Leuchtturm. Alles, was fehlte, waren das Meer und sein Schiff.

Er folgte dem Weg aus Lichtern, bis er sein Ziel erreichte – das Königlich. Einen Laden im ersten Ring der Stadt, in dem wohlhabende Bürger und reiche Kaufleute mit ihrem Geld unnütze Dinge erwerben konnten. Bei dem Gedanken, seinen Schatz an einen Ort wie diesen zu bringen, blutete Elroy das Herz. Sein Schatz gehörte nicht hierher und sollte auch nicht als Wanddekoration in den Häusern gelangweilter Adliger enden. Der Inhaber des Königlich konnte ihm jedoch sicher mehr bezahlen als jene Menschen, die seines Schatzes würdig waren. Zwar mangelte es Elroy nicht an Gold, aber das meiste davon lag sicher in seiner Schatzkammer in Séakis, und seine Mannschaft wollte vor Ort bezahlt werden. Männer wie Yale machten ihre Treue nicht vom Gold abhängig, aber nicht alle waren wie er, zumal sein Wunsch nach der Unsterblichkeit die Helenia schon an so manchen gefährlichen Ort gebracht hatte. Melidrian war harmlos dagegen.

Das Läuten einer hellen Glocke kündigte Elroy an, als er das Königlich betrat.

»Seid gegrüßt, mein Herr«, sagte ein Mann, der hinter dem Tresen stand. Doch es war kein gewöhnlicher hölzerner Tresen, vielmehr bestand dieser aus Glas. Darin wurden Waren zur Schau gestellt. Filigrane Figuren, goldene Kompasse und üppige Ringe. Über dem Kopf des Mannes schwebte der Nachbau eines Schiffes, das an Fäden von der Decke hing. Ringsum säumten Regale mit alten Büchern und Schriftrollen die Wände. Glänzende Steine und Kristalle, für deren Besitz arme Bürger schon als angebliche Anhänger der Alchemie auf dem Scheiterhaufen gelandet waren, häuften sich in den Vitrinen und wurden für ein Vermögen verkauft, das in keinem Verhältnis zu ihrer Herkunft stand.

Elroy durchquerte den Laden und blieb vor dem Mann stehen. Ein Monokel klemmte in dessen rechtem Auge, das von Fältchen umgeben war. »Seid Ihr Norwell?«

Der Mann nickte. Weder Skepsis noch Misstrauen spiegelten sich in seinen Gesichtszügen. Der Blick aus seinen blauen Augen war klar. Dies war die Überheblichkeit eines Mannes, der noch keinen Tag seines Lebens in Angst verbracht hatte. »Und wer seid Ihr?«

»Ich habe etwas für Euch«, erwiderte Elroy, ohne auf die Frage einzugehen, und hob seinen Koffer auf den Tresen. Als er die Schnallen öffnete, hob Norwell vor Neugier die Brauen. Zum Vorschein kamen zehn sorgfältig zusammengerollte Landkarten. An den Schnüren, die sie zusammenhielten, hingen silberne Taler, in denen ein Emblem eingeprägt war.

Die Neugier in Norwells Gesicht verwandelte sich in blankes Erstaunen. Seine Lippen teilten sich, und seine Augen glänzten vor Aufregung. »Sind das …?«

»Ja«, antwortete Elroy und ließ den Händler nicht aussprechen. »Zehn Morthimer. Handgefertigt. Unbenutzt.«

»Woher habt Ihr sie?«

»Spielt das eine Rolle?«, fragte Elroy. Die Wahrheit hätte Norwell ihm ohnehin nicht abgenommen.

Andächtig, als würde er eine Geliebte liebkosen, ließ der Händler die Finger über das Papier gleiten. Und es war nicht irgendein Papier. Es war das Papier, das die Hohepriester von Khariore für ihre heilige Schrift herstellten. Unbezahlbar für die Anhänger ihres Glaubens. Nicht, dass Norwell das wusste, vermutlich hatte er Thobria noch nie in seinem Leben verlassen. »Wie viel verlangt Ihr dafür?«

»Hundert Goldstücke.«

»Hundert Goldstücke für alle Karten?«

Elroy lachte. »Pro Karte.«

Empört starrte Norwell ihn an. »Das ist zu viel!«

»Ist es nicht, und das wissen wir beide. Ihr könnt zweihundert pro Karte verlangen. Für diese beiden vermutlich sogar mehr.« Er deutete auf zwei der Rollen. Es waren Landkarten von Grahúll und Ivregos, und die darauf abgebildeten Symbole der Städte waren aus flüssigem Gold gezeichnet.

Norwell seufzte. »Ich bezahle Euch achtzig.«

»Hundert.«

»Fünfundachtzig.«

»Hundert.«

»Neunzig.«

Elroy biss die Zähne zusammen. Dank Larkin und dessen Lüge hing seine Geduld ohnehin schon an einem seidenen Faden. Er wollte hier nicht herumstehen und handeln. Er wollte sein Geld, ein Bier und eine hübsche Frau, bei der er vergessen konnte, dass er vor Kurzem eine Stunde lang in Pferdedung gesessen hatte. »Hundert.«

»Fünfundneunzig.«

»Wisst Ihr was? Vergesst es! Ich finde einen anderen Käufer.« Elroy griff nach dem Koffer, um ihn zu schließen, als Norwells Hand nach vorn schoss und sein Handgelenk packte. Es lag erstaunlich viel Kraft in den filigranen Fingern.

»Ich nehme sie.«

Elroy blickte auf die Hand, die ihn festhielt, und ließ vom Koffer ab. »Einverstanden, hundertzehn Goldmünzen pro Karte, und sie gehören Euch.«

Eine Furche bildete sich in Norwells Stirn. Ein Wunder, dass ihm das Monokel nicht vom Auge fiel. »Ihr sagtet hundert Goldmünzen.«

Elroy setzte ein Lächeln auf, das alles andere als freundlich war. »Das war der Preis, bevor Ihr mich verärgert und angefasst habt.«

Norwell zog seine Hand zurück. »Aber …«

»Spart Euch Euren Atem!«, unterbrach er ihn. »Hundertzehn Goldmünzen. Nicht mehr und nicht weniger. Und das nächste Mal, wenn Ihr mich herunterzuhandeln versucht, wandert der Preis auf hundertfünfzig Dukaten. Also, kommen wir ins Geschäft, oder nicht?«

Norwell presste die Lippen aufeinander, bis die Haut um seinen Mund blass wurde. Er wusste, dass er gerade erpresst wurde, doch die Aussicht auf die Morthimers war für ihn genauso reizvoll wie die Unsterblichkeit für Elroy. »Aber zuerst muss ich die Karten auf ihre Echtheit hin überprüfen.«

Elroy lehnte sich gegen den gläsernen Tresen und machte eine auffordernde Handbewegung. Das Licht der Petroleumlampen, die an der Decke des Ladens hingen, brachte seine Ringe zum Glänzen. »Nur zu!«

Norwell nahm die erste Karte aus dem Koffer, löste vorsichtig die Schnüre und legte den Taler mit dem Emblem – ein kunstvoll geschwungenes M – vorsichtig zur Seite. Dann rollte er die Karte aus, und ein andächtiger Laut entfuhr seinen Lippen. Elroy konnte der Bewunderung nur zustimmen. Dies war mit Abstand eine der besten Arbeiten Morthimers. Vielleicht sogar die beste.

»Erstaunlich«, murmelte Norwell und beugte sich mit einem Vergrößerungsglas über die Karte, deren Farben leuchteten wie der Sonnenaufgang. »Ist das Gold?« Ohne die Tinte zu berühren, deutete er auf eine Krone, welche die Stadt Vreéwth symbolisierte.

Elroy nickte.

»Erstaunlich«, wiederholte Norwell. Dabei lehnte er sich so weit nach vorn, als wollte er in die Karte hineinkriechen.

Hinter Elroy erklang das Läuten der Glocke. Er drehte sich um und beobachtete, wie eine Frau den Laden betrat. Sie trug ein schlichtes blaues Kleid, und ohne die glänzende Spange, die ihr hellbraunes Haar zusammenhielt, hätte Elroy sie der neuen Mittelschicht zugeordnet. So jedoch war ihr Wohlstand deutlich zu erkennen. Ungeniert betrachtete er sie, und ihre Blicke begegneten sich.

Der Atem der Frau stockte. Sie wandte sich eilig ab und tat so, als würde sie eins der Ausstellungsstücke bewundern, während ihr die Röte in die blassen Wangen kroch. Beinahe glaubte Elroy ihr Herz schneller schlagen zu hören. Er wusste um seine Wirkung auf Frauen und so manch einen Mann. Nicht einmal Prinzessin Freya hatte sich bei ihrem ersten Treffen seiner Ausstrahlung entziehen können. Er war schön, und das wusste er. Oft verschaffte ihm sein Aussehen Vorteile, aber manchmal wünschte er sich ein weniger auffälliges Gesicht, das nicht ständig die Blicke irgendwelcher Fremder auf sich zog.

Zögernd hob die Frau den Kopf und blinzelte verlegen in seine Richtung. Ein zartes Lächeln trat auf ihre Lippen, und er fragte sich, ob sie ihm später womöglich Gesellschaft leisten würde. »Guten Abend«, sagte er und hob die Mundwinkel.

»Seid gegrüßt«, erwiderte die Frau mit einer Stimme seicht wie das Meer vor dem Sturm.

»Gefällt Euch die Uhr?«

Verwirrt runzelte sie die Stirn, und er deutete auf die Uhr, die sie betrachtet hatte, um seinem Blick zu entgehen. Ihre Wangen nahmen eine noch dunklere Farbe an. »Sie ist schön, aber nicht außergewöhnlich.«

»Ihr mögt es außergewöhnlich?«, fragte Elroy und war sich der Zweideutigkeit seiner Worte bewusst. Denn in einer Stadt wie Amaruné und einem Land wie Thobria war er außergewöhnlich. Und vielleicht wollte sie ihn ihrer Sammlung hinzufügen.

Die Frau nickte und blieb neben ihm stehen. Der Duft von Rosen haftete ihr an, und als sie sich über den Tresen beugte, streifte ihre Hand seinen Arm. Norwell war gerade mit der Überprüfung der zweiten Karte beschäftigt. Sie zeigte die Ansicht einer Insel, jenseits der grauen See. »Die ist wirklich sehr schön«, sagte die Frau. »Morthimer?«

Norwell hob den Kopf. »Ja. Der Herr will sie mir gerade verkaufen. Findet Ihr Gefallen daran?«

Die Frau sah von der Karte auf und wandte sich an Elroy. Er war gut einen Kopf größer als sie. Ihre grünen Augen schimmerten begierig. »Seid Ihr ein Kaufmann?«

»Das oder ein Pirat. Wer weiß das schon!«

Sie lachte. »Welche Karte gefällt Euch am besten?«

»Diese hier.« Elroy griff nach der Karte, die Norwell zuvor gesichtet hatte. Dabei entging ihm dessen mürrische Miene nicht. Doch noch hatte er kein Gold gesehen, also gehörten die Karten ihm, und er durfte damit tun und lassen, was er wollte. Also konnte er sie auch ohne Zwischenhändler verkaufen.

Nachdenklich studierte die Frau die Karte. »Wusstet Ihr, dass Morthimer verrückt ist?«, fragte sie, ohne Elroy anzusehen. »Angeblich hat er sich selbst ein Bein abgehackt.«

»Wieso sollte er das tun?«

»Er ist verrückt. Ist das nicht Grund genug?«

Elroy biss sich auf die Unterlippe. Er hatte sich sein Bein nicht aus Vergnügen oder Tollheit abgeschlagen. Ein Seetyrann hatte sich darin verbissen, und er hatte eine Entscheidung treffen müssen – ohne Bein zu leben oder mit Bein zu sterben. Er hatte das Leben gewählt. Das machte ihn nicht verrückt, sondern vernünftig. Doch das sagte er nicht. »Und, was denkt Ihr? Wollt Ihr die Karte?«

2. Kapitel – Larkin

– Glènkoh –

»Wo ist das Geld?«, zischte Larkin und presste den Kopf des Mannes gegen die Tischplatte. Er konnte dessen Schädel zum Platzen bringen, aber das würde ihm keine Antworten liefern und dem Wirt nur eine noch größere Sauerei bescheren.

»Ich habe es nicht!«, brüllte der Mann, der im Dorf als Manú bekannt war, aber Larkin bezweifelte, dass dies sein richtiger Name war. Tränen strömten ihm über das Gesicht und vermischten sich mit seinem Blut.

»Lügt mich nicht an!« Larkin griff nach dem Dolch, der in Manús rechter Hand steckte, zwischen Mittel- und Ringfinger, und ihn an den Tisch nagelte. Allmählich war seine Geduld erschöpft, obwohl es ihm als unsterblichem Wächter nicht an Zeit mangelte. Manú jagte er jedoch bereits seit zwei Wochen hinterher. Als der Oberste des Dorfes ihn darum gebeten hatte, sich die Diebesbande vorzuknöpfen, die regelmäßig über seine Straßen herfiel, hatte er nicht damit gerechnet, länger als drei oder vier Tage in Glènkoh zu bleiben. Doch er hatte die Umstände unterschätzt. Diese Männer und Frauen waren nicht wie Tomas und seine Gefährten, die Freya und ihn im Dornenwald überfallen hatten. Sie waren klüger. Strategisch gewitzter. Und hatten einen Verräter an ihrer Seite. Manú hatte sich als Gardist ausgegeben, um Schutzgeld von den Einwohnern zu erpressen – zur Abwehr genau jener Diebe, deren eigener Anführer er war. Larkin hatte das falsche Spiel nicht sofort durchschaut, und das gefiel ihm gar nicht. Er hasste es, an der Nase herumgeführt zu werden. »Wo habt Ihr die Münzen versteckt?«

»Ihr habt den Falschen!«

O nein, habe ich nicht, dachte Larkin und riss den Dolch in Manús Hand herum. Der Dieb schrie auf, und weiteres Blut spritzte aus der Wunde. Sein Wimmern war das einzige Geräusch in der alten Taverne, die schon über hundert Winter überstanden hatte. Die anderen Gäste waren wie erstarrt. Mit weit aufgerissenen Augen, erhobenen Krügen und Löffeln beobachteten sie das Geschehen. Larkin hätte die Sache lieber an einem verschwiegeneren Ort geklärt, aber der vermeintliche Gardist hatte sich dagegen gewehrt, mit ihm zu kommen.

»Verratet mir, wo das Geld versteckt ist, oder Eure Finger müssen dran glauben!« Er zog einen zweiten Dolch hervor, in dessen Griff das Emblem der königlichen Familie eingelegt war. Ein Abschiedsgeschenk von Freya. Drohend hielt er die Klinge vor Manús Gesicht. Das Metall glänzte im Schein der Kerzen, als hätte es noch nie einen Tropfen Blut gekostet. Dennoch wurde der Mann immer blasser, und Larkin sah, wie die Wahrheit seine Kehle heraufkroch, noch bevor er sie aussprach.

»Ich habe es vergraben«, antwortete Manú, und seine Stimme klang vor Schmerz wie gebrochen. »Außerhalb des Dorfes, hinter dem Baum mit den niedrig hängenden Ästen. Dort ist alles versteckt.«

Larkin nickte zufrieden und sah sich in der Schenke um, die ihm in den letzten Tagen so vertraut geworden war. Mit den schiefen Deckenbalken, den oft geleimten Tischen und den Stühlen, die unterschiedlichste Formen aufwiesen, da sie nach und nach von den Dorfbewohnern zusammengetragen worden waren. Am Kamin entdeckte er den ältesten Sohn des Wirtes, dem er zwei- oder dreimal Unterricht mit dem Schwert erteilt hatte. »Sieh nach, ob er die Wahrheit sagt«, verlangte er.

Der Junge, der noch nicht ganz ein Mann war, nickte entschlossen und stürmte los. Hoffentlich vergaß er vor Aufregung seine Schaufel nicht. Larkin ließ sich auf den Hocker neben Manú gleiten und nahm sich dessen Bier. »Ich hoffe für Euch, dass er das Gold findet. Andernfalls trenne ich Euch nicht nur die Finger ab.«

 

 

Manú hatte nicht gelogen und durfte seine Eier vorerst behalten. Was die Dorfbewohner jedoch mit ihm anstellen würden, war eine ganz andere Geschichte. Vermutlich konnte er sich freuen, wenn er nur seine Hoden verlor und nicht sein Leben. Doch Larkin verspürte kein Mitleid. Er und seine Diebesbande hatten das ärmliche Dorf inmitten des Dornenwaldes um mehrere Dutzend Silbermünzen gebracht. Einem Adligen hätte das nichts bedeutet, aber in Glènkoh waren diese Nobelstücke lebensnotwendig für die Versorgung der Menschen. Sie kauften davon fehlende Vorräte für den Winter und ließen undichte Dächer flicken, um sich vor Schnee und Eisregen zu schützen. Unter diesen Bedingungen hatte Larkin seine Bezahlung nur widerwillig angenommen, aber der Oberste hatte darauf bestanden. Er ahnte nichts von dem Gold, das Freya ihm überlassen hatte, und Larkin durfte auch niemandem davon erzählen, denn das Geld würde Fragen aufwerfen, die ihm gefährlich werden konnten.

»Du willst schon gehen?«

Larkin blickte von seinem Seesack auf. Cara stand vor der offenen Tür seines Zimmers und beobachtete ihn beim Packen, die Hände in die Schürzentasche geschoben. Dennoch sah er, dass sie unruhig mit ihren Fingern herumspielte. Cara bediente in der Taverne, die in den vergangenen Wochen sein Zuhause gewesen war. »Die Diebe sind gefasst. Meine Aufgabe ist erledigt.«

»Das war erst vor einer Stunde.«

Er hob die Brauen. »Und?«

»Du könntest noch eine Nacht bleiben.« Verlegen strich sie sich eine Strähne ihres schwarzen Haars hinter die Ohren, und eine zarte Röte überzog ihre Wangen. »Ich würde dir auch Gesellschaft leisten.«

Es war nicht das erste Mal, dass Cara Verlangen nach ihm zeigte, aber bisher war Larkin nie darauf eingegangen. Sie war ohne Frage eine schöne Frau, aber er konnte nicht mit ihr zusammen sein. Nicht, solange er jede Nacht wach lag und sich vorstellte, wie es wäre, ein Bett mit Freya zu teilen. Anfangs hatten diese Gedanken Schuldgefühle in ihm geweckt, und hätte er nur Lust empfunden, wäre dies wohl noch immer so. Doch da gab es noch so viele andere Gefühle. Er vermisste Freya. Nicht seine Göttin. Nicht die Prinzessin. Nicht die Alchemistin. Sondern einfach Freya.

»Es wird Zeit zu gehen«, erwiderte Larkin.

Cara nickte, als hätte sie bereits mit dieser Antwort gerechnet. Einen Moment lang betrachtete sie ihn schweigend und mit ausdrucksloser Miene, bevor sich ein Lächeln auf ihre Lippen legte. »Wirst du mir irgendwann verraten, wer sie ist?«

Er wich ihrem Blick aus und stopfte eins seiner Hemden in den Seesack. Dankbar darüber, dass die Wirtin am Vortag alles frisch für ihn gewaschen hatte. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«

Sie schmunzelte. »Lüg nicht! Die Frau, die du liebst. Wer ist sie?«

Larkin kehrte Cara den Rücken zu, damit sie die Sehnsucht in seinem Blick nicht wahrnahm. »Das spielt keine Rolle.«

»Oh, eine verbotene Liebe?«

Er presste die Lippen aufeinander. Über Freya zu reden, war noch gefährlicher, als an sie zu denken. Zahlreiche Geschichten rankten sich um das Verschwinden und die Rückkehr der Prinzessin. In einigen davon ging es auch um Liebe, und unter keinen Umständen durfte er damit in Verbindung gebracht werden. Noch immer war ein Kopfgeld auf Larkin Welborn ausgesetzt, und obwohl Freya ihn aus dem Kerker befreit hatte, beschuldigte man ihn der Entführung. Aus diesem Grund musste er ständig in Bewegung bleiben und durfte nicht allzu lange an einem Ort ausharren. Zumindest so lange, bis alle, die ihn suchten und sein Gesicht kannten, zu Rauch und Asche geworden waren.

Danach konnte er sich niederlassen, allerdings fand er keinen Gefallen an dem Gedanken, sesshaft zu werden. Ein eigenes Heim, ein kleiner Garten, eine Arbeit, bei der er nicht jeden Tag Blut sehen musste. All das lohnte sich in seinen Augen nicht ohne einen Menschen, mit dem er ein solches Leben teilen konnte.

»Ist sie mit einem anderen verheiratet?«, fragte Cara und betrat sein Zimmer. Einen Augenblick lang blieb sie neben dem Schreibtisch stehen, an dem er mindestens ein Dutzend Mal gesessen hatte und versucht gewesen war, Freya einen Brief zu schreiben.

»Nein, sie ist nicht verheiratet.«

Cara schürzte die Lippen. Sie stand nun dicht neben ihm, und er registrierte ihren Duft von Nelken und dem Bier, das sie jeden Tag ausschenkte. »Ist sie eine Adlige?«

Mit einer ruppigen Bewegung schloss er seinen Seesack. »Wie kommst du darauf?«

Ein wissendes Lächeln trat auf Caras Gesicht. »Ich habe also recht.«

»Nein.«

»Lügner.« Sie lachte. Ein heller, fröhlicher Laut, der einen anderen Mann vermutlich bezirzt hätte. »Erzähl mir von ihr.«

Larkin schüttelte den Kopf. »Es ist gleichgültig, um wen es sich handelt. Sie und ich – wir kommen nicht zusammen. Nicht in diesem Leben. Nicht im nächsten.«

»Dann helfe ich dir, sie zu vergessen«, schlug Cara vor. Einladend leckte sie sich mit der Zunge über die Lippen. Eine Aufforderung, sie ebenfalls zu kosten. Dann legte sie ihm eine Hand auf die Schulter und strich langsam über den dunklen Stoff seines Hemdes, über die Brust und die Knopfleiste entlang.

Doch Larkin packte Caras Hand, bevor sie auch nur einen Knopf öffnen konnte. »Ich will sie nicht vergessen.«

Cara schien belustigt. »Dich hat es ja wirklich schlimm erwischt.« Sie entzog ihm ihre Finger, die im Vergleich zu seinen unglaublich zart und zerbrechlich wirkten. »Ich wünsche dir alles Gute, Kaiden, und solltest du deine Meinung ändern, weißt du, wo du mich findest.« Cara stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Kuss auf Larkins unrasierte Wange, ehe sie sich abwandte und das Zimmer verließ.

Er seufzte und bedauerte, diesen Leuten seinen echten Namen nicht verraten zu können. Aber die Gefahr, dass irgendein Gardist ihn aufschnappte, war zu groß. Und er durfte nicht auffallen, es sei denn, er wollte sich abermals im Verlies des Königs wiederfinden. Schwermütig schwang er sich den alten Seesack über die Schulter. Ein letztes Mal sah er sich in dem Zimmer um und stieg dann die Treppe zum Schankraum hinunter. Die Dämmerung brach bereits herein, und in der Taverne drängten sich mehr Gäste als noch vor einer Stunde, vermutlich nicht zuletzt wegen des Zwischenfalls. Jeder wollte wissen, was sich zwischen ihm und Manú abgespielt hatte. Der Geruch von Bier hing in der Luft, und die Stimmen der Gäste klangen lauter und ausgelassener – erleichterter. Zahlreiche Talgkerzen flackerten an den Wänden und schienen Larkin zum Abschied zuzuwinken. Einige der Dorfbewohner bemerkten ihn, und ihre Blicke folgten ihm an den Tresen. Das Blut, das Manú dort hinterlassen hatte, war verschwunden. Nur die Einkerbung des Dolches war noch im Holz erkennbar.

»Das tut mir übrigens leid«, sagte Larkin. Er deutete auf den Spalt und schwang sich auf einen der Hocker. »Ich bezahle die Reparatur.«

»Behalt dein Gold«, erwiderte Ryneé und griff nach einem Kelch, den er mit Wasser füllte und ihm zuschob. »Ich wollte das alte Ding längst austauschen. Es hat bereits zu viele Winter auf dem Buckel.«

Larkin nahm einen Schluck. »Und wie viel schulde ich dir für das Zimmer?«

»Du willst uns doch nicht etwa schon verlassen, oder?«

»Doch. Ich muss weiter.«

»Das erklärt Caras enttäuschtes Gesicht. Wohin geht es?«

»In den Westen. Angeblich treiben Banditen am Ufer des Drachensees ihr Unwesen«, antwortete Larkin. »Und von dort aus ziehe ich vielleicht in den Norden, hoch nach Evardir.«

»Die Heimat besuchen?«

Larkin nickte. Für gewöhnlich versuchte er seinen Akzent zu verstecken, um keine Hinweise auf seine wahre Herkunft zu geben. Aber er war so lange in Glènkoh geblieben, dass die Bewohner seiner Abstammung dennoch auf die Schliche gekommen waren.

»Hast du Familie in der eisigen Stadt?«

»Jetzt nicht mehr.«

»Verständlich. Vor dieser Kälte wäre ich auch geflohen.«

»Meine Verwandten sind nicht geflohen. Sie sind tot.« An manchen Tagen, wenn die Einsamkeit besonders schwer auf ihm lastete, schmerzte ihn die Erinnerung an seine Mutter, die er doch kaum gekannt hatte. An anderen Tagen wiederum empfand er kaum etwas für diese Fremde, die bereits vor über hundert Jahren gestorben war.

»Das tut mir leid«, murmelte Ryneé.

Larkin zuckte mit den Schultern. »Also, wie viel schulde ich dir?«

»Vergiss es! Dank dir habe ich das Silber zurückbekommen, das Manú mir abgeknöpft hatte. Das reicht als Bezahlung.«

Larkin wollte widersprechen, aber dieser Dörfler war so herzlich und dankbar, dass er sich den Atem sparte. »Dann ist es wohl an der Zeit, Lebewohl zu sagen.« Er streckte Ryneé eine Hand entgegen.

Der Wirt ergriff sie. »Pass auf dich auf, Kaiden!«

»Versprochen.« Larkin rutschte vom Hocker und nahm mit einer geschmeidigen Bewegung eine goldene Dukatmünze aus der Manteltasche. Wortlos legte er sie auf den Tresen. Bevor Ryneé etwas bemerken konnte, eilte er davon und verließ die Schenke. Zu dieser Jahreszeit war es nicht nur in der eisigen Stadt kalt. Ein kühler Wind blies über Thobria und trug den Geruch von Schnee heran, der schon bald fallen würde. In Melidrian hingegen schien vermutlich die Sonne, und es herrschten mildere Temperaturen, die nicht nur von der Natur vorbestimmt, sondern auch von den Fae mit ihrer Magie erschaffen worden waren.

Doch Larkin störte sich nicht an der Kälte. Er schlug die Kapuze seines Mantels hoch und folgte einem Pfad in den Süden des Dorfes, bis in den Wald hinein. Er hatte bereits überlegt, ob er sich von Freyas Gold ein Pferd kaufen sollte. Aber wofür? Er hatte kein Ziel und somit alle Zeit der Welt.

So war die Sonne bereits vollständig untergegangen, als er die alte Tempelruine inmitten des Dornenwaldes erreichte. Sie war völlig verfallen und sogar als Ruine kaum mehr zu erkennen. Lediglich vereinzelte Steine, die so etwas wie ein Viereck andeuteten, waren von dem Tempel übrig, der vor dem Krieg erbaut und vermutlich währenddessen zerstört worden war. Er stammte aus einer Zeit, als die Menschen noch einen überirdischen Gott angebetet hatten.

Larkin betrat den Tempelbereich, in dessen Mitte ein Baum seine Wurzeln geschlagen hatte. Ohne seine Blätter ragte er wie ein Skelett in die Höhe. Seine Äste bogen sich im Wind und knackten wie die Knochen einer alten Frau. Im Stamm des Baumes klaffte ein großer Riss, wo wahrscheinlich vor langer Zeit ein Blitz eingeschlagen hatte. Larkin tastete ins Innere des Baumes. Sofort fanden seine Finger, wonach er suchte. Er zog die schwarze Scheide hervor, die sich mit einem Riemen auf den Rücken schnallen ließ. Darin steckte sein feuergebundenes Schwert. Das Vibrieren der Magie grüßte ihn, und ein feines Lächeln kräuselte seine Lippen. Beim König, wie hatte er die Waffe vermisst.

3. Kapitel – Elroy

– Amaruné –

In der Spielhalle roch es nach Rauch, Schweiß und dem Metall der Münzen, die ihre Besitzer wechselten. Elroys Blick schweifte durch den überfüllten Raum. Männer wie Frauen waren dem Lockruf des Geldes gefolgt und saßen in edle Gewänder gekleidet beisammen, als kämen sie geradewegs von einem Ball im Schloss, spielten Karten und betranken sich. Und Yale war einer von ihnen. Lachend saß er auf dem Schoß einer korpulenten Frau und warf zwei Würfel über den Tisch. Die Gäste ringsum applaudierten, und ein Mann mit einer Anstecknadel an der Brust, die ihn als Bediensteten des Etablissements auswies, schob ihm einen Haufen Münzen zu. Beim Anblick des Geldes funkelten Yales Augen, und er drückte der Frau einen Kuss auf die Lippen. Lüstern legte sie ihm eine Hand auf den Oberschenkel.

Elroy verdrehte die Augen. Nichts brachte seinen treusten Matrosen schneller auf Trab als Gold. Es wirkte auf ihn wie ein Aphrodisiakum, und irgendwann wäre es vermutlich so weit, dass der Anblick einer verschlossenen Holzkiste ausreichte, um ihn vollends in Erregung zu versetzen. Elroy wandte sich vom Spiel ab und steuerte auf den Tresen zu. Er unterschied sich von den Schanktischen in jenen Spelunken, in denen seine Mannschaft und er sich für gewöhnlich vergnügten. Diese Theke bestand aus makellosem dunklem Holz. Die Wand dahinter war mit einem Spiegel versehen, der den Raum reflektierte, und davor hingen Regale, die in der Luft zu schweben schienen. Flaschen verschiedenster Größen und Formen, befüllt mit edelsten Tropfen, stapelten sich darin.

Elroy ließ sich auf einem der Hocker nieder und schob eine Silbermünze über die Theke. Sofort war die Schankfrau bei ihm. Sie hatte verführerisch rote Lippen, die sich bei seinem Anblick zu einem Lächeln verzogen. »Was kann ich Euch bringen?«

»Ein Glas Eures besten Weines.«