Klausurenkurs im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht

Mit Bezügen zum Völkerrecht

 

 

von

Dr. Christoph Herrmann, LL.M. European Law (London)
o. Professor an der Universität Passau

 

und

Aike Würdemann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl Herrmann

 

 

 

kein Alternativtext verfügbar

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ISBN 978-3-8114-8448-1

 

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Vorwort

Das europäische und internationale Wirtschaftsrecht gewinnt nicht nur in der Praxis, sondern auch in der universitären Ausbildung in den Schwerpunktbereichen zunehmend an Bedeutung. In einer globalisierten Weltwirtschaft kann Wirtschaftsrecht kaum noch rein national gedacht werden. Darüber hinaus hat gerade in jüngerer Zeit das allgemeine Publikumsinteresse an Fragen der europäischen und internationalen Wirtschaftsordnung zugenommen. Als Stichwörter seien hier nur die Eurokrise und ihre rechtlich umstrittene Bewältigung, der Streit um die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) und die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS), der sogenannte Brexit und die damit notwendig werdende zukünftige Form der Wirtschaftsintegration zwischen den verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten (EU27) und dem Vereinigten Königreich, sowie der jüngste „Handelskrieg“ zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und ihren Handelspartnern und die Zukunft der Welthandelsorganisation (WTO) genannt.

Während an Lehrbüchern zu den genannten Rechtsgebieten überwiegend kein Mangel besteht, fehlen einschlägige Fallsammlungen bisher völlig. In Klausurenkursen zum Europarecht kommen zwar regelmäßig auch Fälle zu den Grundfreiheiten und (teilweise) zum Wettbewerbs- und Beihilfenrecht vor. Fallsammlungen zum Völkerrecht behandeln hingegen die Themen WTO-Recht und Investitionsschutzrecht allenfalls am Rande. Diese Lücke versucht der vorliegende Band der Schwerpunkte-Reihe zu schließen. Die darin enthaltenen 16 Fälle beruhen auf universitären Schwerpunktbereichsklausuren, die in den vergangenen zehn Jahren im Schwerpunktteilbereich „Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht“ an der Juristischen Fakultät der Universität Passau gestellt und geschrieben wurden (dort jeweils als Aufgabenstellung für eine Bearbeitungszeit von 180 Minuten).

Ab dem Wintersemester 2018/19 werden diese Fälle gleichfalls im Rahmen eines interaktiven Kurses der Virtuellen Hochschule Bayern (vhb) bereitgestellt, der wir für die Förderung der Entwicklung des Kursangebots und für die Einwilligung in diese Buchpublikation danken.

Die Entwicklung des vhb-Kurses und dieses Buches wären ohne die Unterstützung zahlreicher Menschen nicht möglich gewesen. Unser Dank gilt dem gesamten Team des Lehrstuhls, insbesondere Herrn Wiss. Mit. Simon Guilliard und Frau Wiss. Mit. Caroline Glöckle für zahlreiche Hinweise zu den Lösungsentwürfen, Herrn Wiss. Mit. Christopher Hook für die Unterstützung bei der Manuskriptgestaltung sowie Herrn stud. jur. Tim Ellemann für die digitale Umsetzung des Projekts und die Hilfe bei der Fahnenkorrektur. Auf Seiten der vhb gilt der Dank Herrn Dr. Holger Kächelein für die unermüdliche Unterstützung und Ermunterung bei der Entwicklung unserer virtuellen Kursangebote sowie auf Seiten des Verlages Frau Alexandra Burrer und Herrn Michael Schmidt für das erneut in uns und das Projekt gesetzte Vertrauen.

Für Kritik und Anregungen sind wir jederzeit dankbar!

Passau/Washington, D.C., im Dezember 2018        Christoph Herrmann
       Aike Würdemann

Inhaltsverzeichnis

 Vorwort

 Abkürzungsverzeichnis

 Einführung in die Konzeption des Klausurenkurses

1. TeilEuropäisches und Internationales Wirtschaftsrecht im Überblick

 A.Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union

  I.Das wirtschaftsverfassungsrechtliche Leitbild

  II.Historische Entwicklung der unionalen Wirtschaftsintegration

 B.Teilgebiete des Europäischen Wirtschaftsrechts

  I.Die Grundfreiheiten

   1.Die Grundfreiheiten als Instrument negativer Integration

   2.Die Entwicklung der Grundfreiheitsdogmatik durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs

    a)Das Zusammenspiel der Dassonville- und Keck-Formel im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit

    b)Einführung der sogenannten Dreistufenprüfung durch den Gerichtshof

    c)Die Rechtfertigungsdogmatik im Rahmen der Grundfreiheiten

     aa)Un-/Geschriebene Rechtfertigungsgründe

     bb)Heranziehung von (Unions-)Grundrechten im Rahmen der Rechtfertigung

    d)Die dogmatische Besonderheit des Art. 110 AEUV

  II.Die Wettbewerbsordnung

  III.Das Außenwirtschaftsrecht

   1.Die kompetenzielle Reichweite der GHP

   2.Die vertragliche Handelspolitik der Union

    a)Die unionsrechtliche Bindung gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV

    b)Unmittelbare Anwendbarkeit

   3.Die autonome Handelspolitik der Union

  IV.Die Wirtschafts- und Währungsunion

 C.Teilgebiete des Internationalen Wirtschaftsrechts

  I.Allgemeines Völkerrecht

  II.Das Recht der WTO und regionale Handelsabkommen

   1.Der „tariffs only“-/„bound tariffs“-Grundsatz des GATT

   2.Das Antidiskriminierungsregime des WTO-Rechts

    a)Grundpfeiler des Antidiskriminierungsregimes

    b)Die Bestimmung der Gleichartigkeit i.S.v. Art. I:1 GATT bzw. Art. III GATT

     aa)Die Kriterien der GATT-Arbeitsgruppe „Working Party on Border Tax Adjustments“

     bb)Herstellungs- bzw. Produktionsmethoden als Gleichartigkeitskriterien

   3.Die Rechtfertigungsdogmatik des GATT

    a)Die allgemeinen Ausnahmen gemäß Art. XX GATT

    b)Das Problem der extraterritorialen Wirkung von nationalen Maßnahmen

   4.Anforderungen an regionale Handelsabkommen gemäß Art. XXIV GATT

  III.Das internationale Investitionsschutzrecht

 D.Berührungspunkte von Europäischem und Internationalem Wirtschaftsrecht

 Hinweise zu Recherchemöglichkeiten

2. TeilKlausurfälle

 Themenschwerpunkte der einzelnen Klausurfälle

Fall 1Integration? Nein, danke!

  Regionale (europäische) Wirtschaftsintegration, EU-Zollunion, Binnenmarkt, WTO-Recht, Gemeinsame Handelspolitik, europäische Investitionsschutzpolitik, intra-/extra-EU BITs

Fall 2Wildschweinjagd im Binnenmarkt

  Vertragsverletzungsverfahren, Warenverkehrsfreiheit, Keck-Formel/Dreistufenprüfung, Verwendungsmodalitäten, un-/geschriebene Rechtfertigungsgründe

Fall 3Schwerland

  Nichtigkeitsklage, Warenverkehrsfreiheit, Verbot steuerlicher Diskriminierung, „objektive Rechtfertigung“, Unionsabkommen als rechtmäßigkeitsmaßstab, Grundsatz der Inländergleichbehandlung, Meistbegünstigungsgrundsatz, Gleichartigkeitsprüfung, PPMs als Gleichartigkeitskriterium, Rechtfertigung nach dem GATT

Fall 4Grenzüberschreitendes Pay-TV

  Vorabentscheidungsverfahren, Dienstleistungsfreiheit, Keck-Formel analog, Kartellrecht

Fall 5Talentsicherung durch den Gerichtshof?

  Vorabentscheidungsverfahren, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Bindung sozial mächtiger Vereinigungen, Gericht i.S.v. Art. 267 AEUV, unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Abkommen

Fall 6Sportwetten

  Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Rechtfertigungsmöglichkeiten, Kohärenzgebot, Übertragung der Keck-Formel

Fall 7Streiken im Binnenmarkt

  Niederlassungsfreiheit, Ausfuhrfreiheit, Groenveld-Formel, unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, Unionsgrundrechte

Fall 8Schwierige Investitionen in Investonia

  Abgrenzung Direkt-/Portfolioinvestition, Niederlassungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit, Marktzugangsbeschränkungen ausländischer Investitionen

Fall 9Kampf dem Tabakkonsum

  Nichtigkeitsklage, unionsrechtliche Kompetenzordnungsprinzipien, Prinzip der (begrenzten) Einzelermächtigung, Subsidiaritätsgrundsatz, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Harmonisierungskompetenz

Fall 10Gerichtshof vs. Schiedsgericht

  Autonomie der Unionsrechtsordnung, BIT-Schiedsgerichte, Beihilfenrecht, Stillhaltegebot

Fall 11Zurückhaltender Wettbewerb oder zurückgehaltener Wett-
bewerb?

  Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen, Missbrauchsverbot, „pay for delay“-Vereinbarung, „essential facilities“-Doktrin, Kartellverfahrensrecht, Untätigkeitsklage, Recht auf eine gute Verwaltung

Fall 1221st Century Trade Agreements

  ausschließliche/implizite Vertragsabschlusskompetenzen, unionale Außenhandelskompetenzen

Fall 13Banken in der Krise

  Amtshaftungsklage, Nichtigkeitsklage, Eigentumsgrundrecht, Amtshaftungsanspruch, Europäischer Stabilitätsmechanismus, makroökonomische Anpassungsprogramme, Finanz- und Staatsschuldenkrise

Fall 14Flatscreen nicht gleich Flatscreen?

  Zollbindung, Zollklassifikation, Harmonisiertes System (HS), Kombinierte Nomenklatur (KN), Informationstechnologieabkommen (ITA), Zollzugeständnislisten, regionale Wirtschaftsintegration

Fall 15Robbenjagd

  Nichtigkeitsklage, nicht-privilegierte Kläger, Rechtsangleichung, WTO-Recht, Abgrenzung von Art. XI GATT und Art. III GATT, Rechtfertigung gemäß Art. XX GATT, extraterritoriale Wirkung, PPMs als Gleichartigkeitskriterium

Fall 16Streit um die Erdölförderung

  Investitionsschutzrecht, Wiedergutmachung, ILC Draft Articles, Full Protection and Security, Fair and Equitable Treatment, Enteignungsschutz

 Lernkontrollfragen

 Sachverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

andere Ansicht

Abs.

Absatz

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AG

Aktiengesellschaft

Alt.

Alternative

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BIT

Bilaterales Investitionsabkommen

bzw.

beziehungsweise

CETA

Comprehensive Economic and Trade Agreement

d.h.

das heißt

DSU

Dispute Settlement Understanding

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EFTA

Europäische Freihandelsassoziation

EG

Europäische Gemeinschaft

EG-Vertrag / EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EL

Ergänzungslieferung

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EnCV

Energiecharta-Vertrag

ESM

Europäischer Stabilitätsmechanismus

ESZB

Europäisches System der Zentralbanken

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuG

Gericht der Europäischen Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

Euratom

Europäische Atomgemeinschaft

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWG-Vertrag / EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

EZB

Europäische Zentralbank

f., ff.

folgend(e)

FET

Fair and Equitable Treatment

FPS

Full Protection and Security

GA

Generalanwalt

GASP

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GATS

General Agreement on Trade on Services

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade

GHEU

Gerichtshof der Europäischen Union

GHP

Gemeinsame Handelspolitik

GmbH

Gesellschaft mit begrenzter Haftung

GRCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Hrsg.

Herausgeber

Hs.

Halbsatz

HS

Harmonisiertes System

Ibid.

Ebenda

ICSID

International Centre for the Settlement of Investment Disputes

IGH

Internationaler Gerichtshof

i.H.v.

In Höhe von

ILC

International Law Commission

i.R.d.

im Rahmen des/der

i.S.d.

im Sinne des/der

ISDS

Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit

i.V.m.

in Verbindung mit

IWF

Internationaler Währungsfonds

KN

Kombinierte Nomenklatur

lit.

litera (Buchstabe)

LwÜ

Übereinkommen über die Landwirtschaft

MoU

Memorandum of Understanding

m.w.N.

Mit weiteren Nachweisen

No.

Number

NPR-PPM

Non-product-related PPM

Nr.

Nummer

PJZS

Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen

PPM

Process and Production Method

PR-PPM

Product-related PPM

RL

Richtlinie

Rn.

Randnummer(n)

Rs.

Rechtssache

s.

siehe

S.

Satz/Seite(n)

s.o. / s.u.

siehe oben/unten

SPS

Sanitary and Phytosanitary Measures

Std.

Stunde

TBT

Technical Barriers to Trade

TTIP

Transatlantic Trade and Investment Partnership

u.a.

unter anderem

UAbs.

Unterabsatz

UN

United Nations (Vereinte Nationen)

UNFCCC

UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen

UNCITRAL

Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht

USA

Vereinigte Staaten von Amerika

Var.

Variante

verb.

verbundene

VerfO

Verfahrensordnung

vgl.

vergleiche

vhb

Virtuelle Hochschule Bayern

VO

Verordnung

WHO

Weltgesundheitsorganisation

WTO

Welthandelsorganisation

WVK

Wiener Vertragsrechtskonvention

z.B.

zum Beispiel

Einführung in die Konzeption des Klausurenkurses

1

Der vorliegende Klausurenkurs „Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht – mit Bezügen zum Völkerrecht“ fügt sich in die bereits bestehenden Klausurenbände der „Schwerpunkte“-Reihe ein und dient als Ergänzung und Vertiefung zu gängigen Lehrbüchern wie dem Standardwerk „Europarecht“ von Rudolf Streinz, dem „Internationalen Wirtschaftsrecht“ von Burkhard Schöbener, Jochen Herbst und Markus Perkams, dem „Öffentlichen Wirtschaftsrecht“ von Josef Ruthig und Stefan Storr sowie dem „Wirtschaftsvölkerrecht“ von Markus Krajewski. Der Klausurenkurs spricht vor allem Studierende an, die im Rahmen der Juristischen Universitätsprüfung den Schwerpunktbereich Europarecht/Internationales Recht absolvieren. Je nach Ausrichtung dieses Schwerpunktbereichs bzw. den Wahlmöglichkeiten an der jeweiligen Juristischen Fakultät findet sich regelmäßig die gesamte inhaltliche Bandbreite des Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrechts im schwerpunktspezifischen Curriculum wieder, und zwar von den Grundfreiheiten über das unionale Wettbewerbsrecht (vor allem Kartell- und Beihilfenrecht) und die gemeinsame Handelspolitik der Europäischen Union bis hin zum Recht der Welthandelsorganisation (WTO) und dem internationalen Investitionsschutzrecht. Vor diesem Hintergrund bereitet der Klausurenkurs Studierende des entsprechenden Schwerpunktbereichs anwendungsorientiert sowohl auf schriftliche als auch mündliche Schwerpunktprüfungen vor, soweit diese Prüfungsleistungen in der jeweiligen Studien- und Prüfungsordnung vorgesehen sind.

Der Klausurenkurs ist in zwei Teile gegliedert, wobei der 1. Teil im Wesentlichen einen Überblick über das Europäische und Internationale Wirtschaftsrecht präsentiert und der 2. Teil 16 Klausurfälle zur Bearbeitung enthält.

2

Der inhaltliche Überblick über das Europäische und Internationale Wirtschaftsrecht im 1. Teil umfasst die Grundzüge beider Teilbereiche und legt diese in verdichteter Form dar. Eine Durcharbeitung der inhaltlichen Kurseinführung ist vor allem mit Blick auf die spätere Fallbearbeitung lohnenswert, da die dargelegten rechtlichen Grundlagen sowie die ausgewählt besprochenen Rechtsprobleme ein grundlegendes Verständnis für das jeweilige Rechtsgebiet schaffen und sich in den verschiedenen Sachverhaltskonstellationen der Klausurfälle wiederfinden. Hinzu kommen didaktische Hinweise zu Recherchemöglichkeiten unter Berücksichtigung der einschlägigen digitalen Quellen, die auch im rechtswissenschaftlichen Studium immer mehr zur Geltung kommen und das Recherchieren von Rechtsprechung oder anderweitiger (Vertiefungs-)Literatur spürbar vereinfachen.

3

„Herzstück“ des Klausurenkurses sind wesensgemäß die im 2. Teil enthaltenen insgesamt 16 Klausurfälle. Er beinhaltet eingangs eine Übersicht über die Themenschwerpunkte der einzelnen Klausurfälle, die darüber hinaus Informationen bezüglich des Schwierigkeitsgrades (leicht – mittel – schwierig) sowie der jeweils vorgegebenen Bearbeitungszeit gibt. Grundsätzlich bietet es sich an, mit der Bearbeitung von Fall 1 in den Klausurenkurs einzusteigen, wenngleich Studierende nicht daran gehindert sein sollen, gezielt bestimmte Klausurfälle aufgrund deren thematischer Schwerpunktsetzung zu bearbeiten. Bei Fall 1 handelt es sich zwar weniger um eine klassische juristische Fallgestaltung, die im Rahmen eines rechtlichen Gutachtens zu lösen ist, als um rechtliche Fragestellungen, die in Essay-Form beantwortet werden sollen; allerdings deckt der Klausurfall inhaltlich – in Anlehnung an den Brexit – u.a. die historischen Grundlagen der europäischen Wirtschaftsintegration sowie Fragen der wirtschaftlichen Desintegration ab und eignet sich damit in besonderem Maße zur Entwicklung einer anwendungsorientierten Vertrautheit mit Problemstellungen des Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrechts einschließlich etwaiger Bezüge zum allgemeinen Völkerrecht.

Die weiteren 15 Klausurfälle beruhen teils auf Leitentscheidungen bzw. aktueller Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (GHEU) sowie auf Reports von WTO-Panels bzw. des Appellate Body. So behandelt etwa Fall 10 („Gerichtshof vs. Schiedsgericht“) sowohl diejenigen Rechtsfragen, die sich dem Gerichtshof in der Rechtssache Achmea stellten, als auch diejenigen, die sich ihm in der derzeit noch anhängigen Rechtssache Micula stellen. Dagegen sind in Fall 12 („21st Century Agreements“) die Ausführungen des Gerichtshofs im Gutachten 2/15 klausurtechnisch aufbereitet. Insgesamt weisen die Fälle 2 bis 13 einen Schwerpunkt im „Europäischen Wirtschaftsrecht“ auf, während der Fokus der Fälle 14 bis 16 eher auf dem „Internationalen Wirtschaftsrecht“ liegt.

Die einzelnen Sachverhaltskonstellationen sind generell dergestalt konzipiert, dass stets verschiedene Teilgebiete des Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrechts miteinander kombiniert und verzahnt sind, um die Vielschichtigkeit und den möglicherweise nicht auf den ersten Blick ersichtlichen, aber doch zahlreich vorhandenen Berührungspunkten des Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrechts Rechnung zu tragen.

4

Darüber hinaus sehen die 16 Falleinheiten für die Fallbearbeitung jeweils eine dreigliedrige Vorgehensweise vor: (1) Im ersten Schritt sollen Studierende zunächst die Fallangabe bzw. den Sachverhalt lesen und erste Lösungsüberlegungen skizzieren; (2) im Anschluss werden sogenannte Vorüberlegungen einschließlich einer Grobgliederung des Lösungsvorschlags zur Verfügung gestellt, die hinsichtlich der Schwerpunktsetzung und etwaigen Strukturierungsfragen im Zusammenhang mit der Erstellung einer eigenen Lösungsskizze unterstützen; (3) sodann folgt ein ausführlicher Lösungsvorschlag, der allerdings nicht als vollständige Falllösung zu verstehen ist, sondern eine Hilfestellung für die Nachbearbeitung darstellen soll. Der Lösungsvorschlag enthält zudem zum einen im Rahmen von zahlreichen Hinweiskästen zusätzliche inhaltliche Vertiefungs- und Hintergrundinformationen, zum anderen am Ende umfassende Literaturempfehlungen zur Wiederholung und Vertiefung. Die Hinweiskästen versuchen vor allem weiterführende Fragen, die sich Studierenden bei der Nachbearbeitung des Lösungsvorschlags möglicherweise aufdrängen, zu antizipieren und diese entsprechend zu beantworten. Abgerundet wird der 2. Teil des Klausurenkurses durch eine Sammlung von insgesamt 100 Lernkontrollfragen, die die Möglichkeit zur Reflexion der zentralen Rechtsfragen der einzelnen Klausurfälle geben.

5

Der Klausurenkurs ist auf dem Stand von Dezember 2018 und legt der Fallbearbeitung insbesondere die Verträge, d.h. den Vertrag über die Europäische Union (EUV) sowie den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), in der Fassung des Vertrags von Lissabon (in Kraft getreten am 1.12.2009) sowie die WTO-Verträge, insbesondere das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) in der Fassung des Marrakesch-Abkommens (unterzeichnet am 15.4.1994) zugrunde. Darüber hinaus ist teilweise die Heranziehung weiterer internationaler Verträge, beispielsweise des Vertrages über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), erforderlich, die allerdings in den gängigen Text- und Gesetzessammlungen abgedruckt sind.

1. Teil Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht im Überblick

A. Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union

6

Der Rechtsbegriff der Verfassung meint grundsätzlich eine rechtliche Grundordnung eines Gemeinwesens, die aus formaler Sicht Verfahren zur Bewältigung von politischen Konflikten, insbesondere durch einen geregelten Staatsaufbau, vorgibt und darüber hinaus materiell-rechtliche Leitprinzipien grundrechtlicher oder struktureller Art enthält. Damit wohnt einer Verfassung eine sowohl einheits- als auch identitätsstiftende Wirkung für die legitimierte Hoheitsgewalt sowie das Gemeinwesen inne, wodurch die Verfassung als an sich rechtliche Materie (zumindest teilweise) politisiert wird. Als (rechtspolitische) Grundlage des Gemeinwesens ist eine Verfassung grundsätzlich nur unter erschwerten Voraussetzungen abänderbar, weist aufgrund der niedergelegten, naturgemäß abstrakten Prinzipien allerdings eine Offenheit auf, die ihre Bestandskraft maßgeblich erhöht. Wenngleich damit nicht der verfassungsrechtliche Anspruch auf Vollständigkeit einhergeht, deckt die Verfassung wesentliche Bereiche des Gemeinwesens ab, u.a. das Wirtschaftsleben, für dessen Ordnung sie mitunter eine politische Gesamtentscheidung, etwa in Bezug auf das Wirtschaftssystem, trifft und grundlegende Gestaltungselemente einführt. In modernen Verfassungen steht dabei insbesondere die wirtschaftliche Freiheit des Individuums im Spannungsverhältnis zu sozialstaatlichen und sonstigen regulativen Politiken.

7

Historisch bedingt – insbesondere durch das seit dem Ende des 30-jährigen Krieges 1648 vorherrschende Westfälische System – ist der Verfassungsbegriff zwar staatsbezogen, wurde im Rahmen der europäischen Integration vom Gerichtshof allerdings bereits zur Charakterisierung der Unionsverträge (damals EWG-Vertrag) („Verfassungsurkunde“) herangezogen.[1] Jedenfalls spricht man bezüglich der von den Unionsverträgen geschaffenen Rechtsordnung grundsätzlich eher von einer Rechtsordnung sui generis,[2] deren Rechtsqualität sich von der Qualität des völkerrechtlichen Gründungsaktes gelöst hat und die aufgrund ihrer unmittelbaren Wirkung sowie des Vorrangs eine „neue Rechtsordnung des Völkerrechts“[3] darstellt (siehe Fall 1, Rn. 108).[4]

8

Nichtsdestotrotz erfüllt diese „neue Rechtsordnung“ wesentliche Verfassungsfunktionen, etwa die Organisation und Legitimation von Herrschaftsgewalt (vgl. etwa die allgemeinen Kompetenzordnungsprinzipien des Art. 5 EUV oder die Vorschriften zum ordentlichen und besonderen Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 289 ff. AEUV), und enthält zudem grundlegende materiell-rechtliche Verfassungselemente, etwa die Grundfreiheiten (vgl. Art. 28 ff. AEUV, Art. 45 ff. AEUV, Art. 49 ff. AEUV, Art. 56 ff. AEUV sowie Art. 63 ff. AEUV) und die Grundrechte (vgl. die Grundrechtecharta (GRCh), die gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV rechtlich gleichrangig zum AEUV und EUV ist).

I. Das wirtschaftsverfassungsrechtliche Leitbild

9

Das wirtschaftsverfassungsrechtliche Leitbild der Unionsverträge, d.h. des EUV sowie des AEUV einschließlich der GRCh, ist gemäß Art. 119 Abs. 1, 2, Art. 120 S. 2 AEUV durch den „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ bestimmt, die gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUV auch ein soziales Element enthält („wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“). Dieses Bekenntnis zu einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung als objektiv-rechtliche Grundentscheidung findet Entfaltung in speziellen subjektiv-rechtlichen Gewährleistungen, die ebenfalls das Wesen der unionalen Rechtsordnung maßgeblich prägen, etwa im Rahmen des Kartellrechts, dem das Idealbild eines Wettbewerbs zugrunde liegt, in dem Unternehmen eigenständig und selbstbestimmt am Markt agieren (siehe Fall 11, Rn. 662).[5]

10

Wirtschaftsintegrationsrechtliche Grundlage der unionalen Rechtsordnung ist die Errichtung einer Zollunion (vgl. Art. 28 ff. AEUV i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. a AEUV), die um binnenmarkt- und wettbewerbsrechtliche Elemente erweitert (vgl. Art. 26 Abs. 2 AEUV und Art. 101 ff. AEUV) und (zumindest in Teilen) zu einer Währungsunion weiterentwickelt worden ist (vgl. Art. 127 ff. AEUV) (siehe Fall 1, Rn. 74 ff.). Die offen marktwirtschaftliche Ausrichtung der Unionsverträge wird allerdings durch die Anerkennung nicht-wirtschaftlicher Allgemeininteressen, etwa die Querschnittsmaterien Umwelt- und Verbraucherschutz (vgl. Art. 11, 12 AEUV) oder die Grundrechte der GRCh, relativiert, die u.a. den Mitgliedstaaten regulative Gestaltungsspielräume verschaffen, die insbesondere in den geschriebenen (vgl. Art. 36 AEUV, Art. 45 Abs. 3 AEUV, Art. 52 AEUV [i.V.m. Art. 62 AEUV] und Art. 65 Abs. 1 lit. b AEUV) und ungeschriebenen (vgl. etwa die zwingenden Erfordernisse i.S.d. Cassis de Dijon[6]) Rechtfertigungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Grundfreiheitseingriffen zum Ausdruck kommen (siehe u.a. Fall 2, Rn. 160 f.). Darüber hinaus finden sich im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik oder der Industriepolitik gar ausdrückliche Durchbrechungen des marktwirtschaftlichen Grundsatzes.

II. Historische Entwicklung der unionalen Wirtschaftsintegration

11

Seinen historischen Ursprung findet das Unionsrecht in der Vergemeinschaftung der Kohle- und Stahlindustrie im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahre 1951 durch die westeuropäischen Staaten Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg. Mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag; seit dem Vertrag von Maastricht EG-Vertrag; seit dem Vertrag von Lissabon AEUV) im Rahmen der Römischen Verträge vom 27.3.1957 wurde dieser Integrationsverbund im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, basierend auf einer Zollunion und unter dem Leitbild des „Gemeinsamen Marktes“, ausgebaut und gestärkt. Mit der Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs gegenüber Drittstaaten und der Beseitigung von Binnenzöllen wurde am 1.7.1968 die Integrationsstufe der Zollunion verwirklicht.[7] Nachdem bereits infolge der Dassonville-Rechtsprechung des Gerichtshofs aus dem Jahr 1974 die Marktöffnung im Hinblick auf nicht-tarifäre Handelshemmnisse innerhalb der EWG erhöht werden konnte, die positive Integration durch Rechtsangleichung allerdings (vor allem aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses für derartige Maßnahmen) ins Stocken geraten war, priorisierte die Europäische Kommission die Entwicklung eines vollumfänglichen Binnenmarktkonzepts, was im Jahre 1985 in die Entwicklung des sogenannten Weißbuchs über die Vollendung des Binnenmarktes mündete. Dieses legte die Defizite der Verwirklichung des „Gemeinsamen Marktes“ offen und enthielt eine Reihe von Vorschlägen zur Harmonisierung von wesentlichen Rechtsvorschriften, die dem Funktionieren des Binnenmarktes entgegenstanden. Infolgedessen gab die am 1.7.1987 in Kraft getretene Einheitliche Europäische Akte (EEA) für die Vollendung des Binnenmarktes, d.h. einem Raum ohne Binnengrenzen, einen Zeitplan zur Durchführung der vorgeschlagenen konkreten Maßnahmen zur Beseitigung von Handelshemmnissen bis zum 31.12.1992 vor (wenngleich der Frist keine rechtliche Wirkung zukam). Die EEA bewirkte im Wesentlichen die Umstellung vom Einstimmigkeits- zum Mehrheitserfordernis für binnenmarktrelevante Rechtssetzung und gab die Schaffung des Binnenmarktes nunmehr verbindlich vor.[8] Die Umsetzung des Binnenmarktkonzepts betraf insbesondere die Beseitigung materieller Schranken im Bereich der Waren- und Personenkontrollen sowie die Beseitigung nicht-tarifärer Hemmnisse technischer Art. Heute ist das Binnenmarktkonzept bzw. das Ziel seiner Verwirklichung verbindlich in Art. 3 Abs. 1 S. 1 EUV sowie in Art. 26 Abs. 2 AEUV niedergelegt, während hauptsächlich die Harmonisierungskompetenz des Art. 114 AEUV die Anforderungen an eine unionale Rechtsangleichung regelt (siehe u.a. Fall 9, Rn. 569 ff.) und gemäß Abs. 1 S. 2 vorgibt, dass Harmonisierungsvorschriften vom Rat und Europäischen Parlament im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erlassen werden, das gemäß Art. 289, 294 AEUV grundsätzlich die qualifizierte Mehrheit im Rat als Abstimmungserfordernis verlangt (siehe zur historischen Entwicklung der europäischen Wirtschaftsintegration inner- und außerhalb der Union Fall 1, Rn. 77 ff.).