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kleine bayerische biografien

herausgegeben von

Thomas Götz

MARTIN LOHMANN

Georg Michael Wittmann

Bischof, Seelsorger und Reformer

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Dieses Buch widme ich allen guten Priestern,

die mir auf meinem Lebensweg begegneten und mich

mit Barmherzigkeit und Klugheit »begleitet« haben.

Erwähnen möchte ich unter anderen meinen damaligen Pfarrer

in Herz Jesu zu Bad Godesberg, Edmund Bähr,

die Priester Cesar Ortiz und Josef Arquer,

die Bischöfe Hubert Luthe und Klaus Dick,

Joseph Kardinal Höffner, den heiligen Johannes Paul

sowie Papst em. Benedikt XVI.;

ihnen und vielen anderen, die mir die Treue zu

Jesus Christus zeigten, bin ich sehr dankbar.

Sie haben mein Glaubensleben neben meinen

geliebten Eltern geprägt und mich spüren lassen,

dass sich die hoffnungsfrohe Sehnsucht nach dem

eigentlichen Ziel des Lebens immer lohnt.

Martin Lohmann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7917-3038-7

© 2019 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: Martin Veicht, Regensburg

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2019

eISBN 978-3-7917-6153-4 (epub)

Weitere Publikationen aus unserem Programm

finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Inhalt

Zum Geleit

Vorwort

Einführung

»Allein Jesu ehren ist mir lieber als Glück und Leben«: Ein Lebensbild Georg Michael Wittmanns

»Dir will ich dienen in deiner heiligen Kirche«: Georg Michael Wittmanns Denken und Glauben

Kirche in Bayern

»Die reine katholische Lehre«: Wittmann und die Lehre Kants

Die Versöhnung von Vernunft und Glaube im Blick

Die stille Glut des apostolischen Geistes

»In Gott vertieft«: Wittmann und das Gebet

»Ich will den ganzen Tag in allem Diener sein«: Wittmanns Priesterbild

»Die innere Ehrbarkeit der Sitten bekunden«: Zur Priesterkleidung

»Mehr mit dem Gebet als der Belehrung«: Zur Mädchenbildung

Sakramentales nicht verwässern: Wittmanns Klarsicht in der Mischehenfrage

»Die Vorsehung kann und will alles wieder ersetzen«: Wittmanns positiver Realismus

»Ich umfange dieses Kreuz, weil es so dein Wille ist«: Der selbstlose Nothelfer

»Ein von göttlicher Liebe brennendes Herz«: Der Bibelgelehrte

»Im Auftrag Christi der bürgerlichen Macht widersprechen«: Freiheit für die Kirche

»Fülle der göttlichen Freigiebigkeit«: Die Beichte als Schlüssel zur Seligkeit

»Unermüdlicher Apostel kirchlicher Erneuerung«: Der Reformer

»Tiefe Tuchfühlung mit Gott«: Heiligkeit – was ist das eigentlich?

Die Aktualität: Was Wittmann uns heute zu sagen hat

Anhang

Anmerkungen

Dankeswort

Zeitleiste

Regensburger Bischöfe zu Lebzeiten Wittmanns

Aus der Trauerrede auf den verstorbenen Hochwürdigsten Herrn Georg Michael Wittmann

Aus den Exerzitien von Georg Michael Wittmann

Literaturverzeichnis (Auswahl)

Bild- und Textnachweis

Zum Geleit

Mit Georg Michael Wittmann (1760–1833) wurde der Kirche von Regensburg ein Priester und Bischof geschenkt, dessen Einfluss im 19. Jahrhundert weit über die Grenzen unseres Bistums ausstrahlte. Seinen Zeitgenossen galt er nach den Worten Melchior von Diepenbrocks († 1853) als »lebendiger Quell des Segens«, als »Säule, die so viel Heiliges getragen und auf die so viel Gutes sich gestützt hat« (Trauerrede vom 2. April 1833).

Als Freund und treuer Mitarbeiter Bischof Sailers ging es Wittmann um die Erneuerung aus einer tiefen Christusverbundenheit, um eine Neuorientierung des von Säkularisation und Aufklärung geprägten kirchlichen Lebens nach dem apostolischen Grundsatz: »Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit« (Kol 1, 27).

In dieser Gesinnung und schöpfend aus seiner reichen Kenntnis der Heiligen Schrift wurde Georg Michael Wittmann zu einem wahren Seelsorger und Reformer. Dabei übersah er die äußere Not seiner Zeitgenossen ebenso wenig wie die innere Not einer geistlichen Orientierungslosigkeit als Folge der Aufklärung.

Das Amt des Bischofs und des Priesters ist heute in die Krise geraten. Es genügt nicht, in Resignation oder Lethargie zu verfallen. Gerade in dieser Situation brauchen wir Bischöfe und Priester, die wie Georg Michael Wittmann durch die Aufrichtigkeit ihres Lebens und Dienstes ein unübersehbares Zeugnis für Christus und die Kirche geben. Immer noch sehnen sich die Menschen nach dem heiligen Priester, der aus seiner Gottverbundenheit ihre Not erkennt und Wunden zu heilen sucht. Bischof Wittmann tat es mit seinen Möglichkeiten und zu seiner Zeit.

Mein außerordentlicher Dank gilt daher Herrn Martin Lohmann, dass er uns mit vorliegender Biografie Leben, Wirken und Umfeld Bischof Wittmanns in einer so lebendigen und auf unsere Zeit und deren Bedürfnisse zugeschnittenen Form vorstellt. Ebenso danken möchte ich H. H. Domvikar Georg Schwager, der als Leiter der Abteilung Selig- und Heiligsprechungsverfahren mit großem Elan dieses Buchprojekt initiiert und begleitet hatte. Ein herzliches Vergelt’s Gott auch dem Verleger Friedrich Pustet, der sich bereit erklärt hatte, diese Publikation in die Reihe »kleine bayerische biografien« aufzunehmen. Es ist mein Wunsch, Priestern und Weltchristen in gleicher Weise die Person Bischof Wittmanns als vorbildhaft und ermutigend nahezubringen und entdecken zu lassen. Möge uns durch Gottes Ratschluss und Fügung bald auch der Tag geschenkt sein, an dem wir ihn als Seligen der Kirche in den Anliegen des seelsorgerlichen Alltags anrufen und in der Feier der Liturgie verehren können.

Regensburg am Fest des heiligen Alberts des Großen,

dem 15. November 2018

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Dr. Rudolf Voderholzer

Bischof von Regensburg

Vorwort

Der Seligsprechungsprozess für Bischof Georg Michael Wittmann (1760–1833), der unter Erzbischof Dr. Michael Buchberger bereits im Jahr 1955 eingeleitet wurde, ist in eine entscheidende Phase getreten. Das Bistum Regensburg hofft auf die baldige Erteilung des heroischen Tugendgrades für den Diener Gottes. Aus diesem Grund können wir dankenswerterweise der Öffentlichkeit und dem Verehrerkreis Bischof Wittmanns mit Hilfe der vorliegenden Kurzbiografie aus dem Verlag Friedrich Pustet das Lebens- und Glaubensbeispiel dieses heiligmäßigen und unvergessenen Apostels der Nächstenliebe in einer ansprechenden und zeitgerechten Darstellung präsentieren.

Es steht fest: Die Kirche unserer Tage braucht Menschen und Seelsorger nach dem Beispiel Bischof Wittmanns. Er war ein Seelsorger der Praxis aus innerstem Herzen in einer Zeit des Umbruchs und der Neuorganisation sowohl des gesellschaftlichen wie auch des kirchlichen Lebens. Halt und Stütze bot ihm, dem langjährigen Regens des Priesterseminars und Seelsorger der Regensburger Dompfarrei, seine Treue zu den Wahrheiten des Glaubens, wie sie das Lehramt der katholischen Kirche vorlegt.

Das Ziel aller seelsorgerlichen Tätigkeit bestand ihm in der Gleichförmigkeit mit Christus bis hin unter das Kreuz, wie er es auch in seinen letzten Worten auf dem Sterbelager zum Ausdruck brachte: »Ich bin ein Christ, ich will unter dem Kreuze sterben.«*

Wer sich in die Biografie Georg Michael Wittmanns vertieft, dem fällt unweigerlich auf: Die Menschen an den Rändern der Gesellschaft, die Armen, die Kinder und die Waisen der Napoleonischen Kriege waren ihm neben allen verantwortlichen Aufgaben und Tätigkeiten im Dienst als Priester und Bischof ein besonderes Anliegen im weiten Feld der Seelsorge. Hierin finden wir den Diener Gottes gleichsam vorauseilend ganz konform mit den Appellen unseres derzeitigen Heiligen Vaters, Papst Franziskus.

Mögen alle, die Bischof Wittmann durch die vorliegende Publikation von Martin Lohmann begegnen, von seinem Beispiel angesprochen werden. Mögen sie in ihm, dem Reformer und Seelsorger, einen treuen Fürsprecher finden im drängenden Anliegen einer Neuevangelisation unserer Gesellschaft, bauend auf den Glauben an Jesus Christus und auf selbstlose Liebe zu den Menschen.

Regensburg, am 8. März 2019

Msgr. Georg Schwager

Domvikar

Leiter der Abteilung für Selig- und Heiligsprechungsprozesse

beim Bischöflichen Konsistorium Regensburg

Vizepostulator

Einführung

Georg Michael Wittmann ist auch lange nach seinem Tod vielen in Regensburg ein Begriff. An seinem Grab vorne im nördlichen Seitenschiff des Regensburger Doms findet man so gut wie immer frische Blumen. Und Beter. Vergessen ist dieser außergewöhnliche Geistliche auch 185 Jahre nach seinem Tod nicht. Wittmann war der ernannte Nachfolger des weit über die Diözesangrenzen hinaus bekannten Regensburger Bischofs Johann Michael Sailer (1751–1832), als dessen Weihbischof er zuvor gewirkt hatte. Über ihn wird von Biografen und Wissenschaftlern viel berichtet, er selbst führte konsequent Tagebuch und hinterließ ungezählte Aufzeichnungen. Wittmann, so könnte man sagen, war ein offenbar hochbegabtes Phänomen, das Kenner seiner Person und seiner Schriften sowie seines vielfältigen Wirkens nachhaltig beeindruckt und nicht selten zum Staunen führt.

Er war belesen, hochintelligent, ungemein diszipliniert, demütig, bescheiden, gebetstreu, von einer ansteckenden Spiritualität gezeichnet und asketisch. Die Lehre der Kirche verstand er tief und verkündete sie unbeirrt. Den Herausforderungen der damals krisengeschüttelten Zeit in Kirche und Gesellschaft wandte er sich unerschrocken zu und nahm sie mit Geist und Herz an. Die Nöte der Menschen hatte er im Blick und fand stets konkrete Hilfe. Vor allem war er ein Freund der Kinder und ihrer Rechte auf Nahrung und Bildung, ein Priesterformer mit Liebe und Tiefgang, ein Reformer für eine unbeirrt katholische Kirche, ein Mann Gottes, den man anerkennend den Diener Gottes nennt, der von sich selbst aber – und dies meinte er auch so – von einem »Pfarrknecht Gottes« sprach. Er war vergeistigt und zugleich mitten im Leben stehend, mit gesenktem Blick durch die Straßen gehend und mit einem hörenden Herzen zu Gott hin gewandt, um keinen Menschen auf dem Weg zu übersehen.

Kurzum: Dieser Mann, der als Hilfspriester, Regens, Dompfarrer, Weihbischof, Generalvisitator für das Bistum Regensburg und schließlich vom bayerischen König Ludwig I. ernannter präkonisierter Bischof auf der Kathedra des heiligen Wolfgang wirkte, zählt zu den herausragenden bayerischen und kirchlichen Persönlichkeiten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, der in bleibend gültiger Weise vorlebte, was christlicher Glaube konkret bedeutet und wie die Symbiose zwischen Treue zur Offenbarung und Offenheit gegenüber wahrheitsorientierten Reformen gelingen kann. Er bietet auch für die heutige Zeit ebenso praktische wie grundsätzliche Hinweise. Keine einfachen, keine billig angepassten an nicht belastbare Zeitströmungen. Wittmann ging es immer um die Wahrheit. Und er ließ keinen Zweifel daran, dass diese vom Gottessohn geoffenbarte Wahrheit sich niemals verstecken oder verbiegen muss – und kann. Für ihn war Jesus Christus das Maß für jede Reform. Im Blick auf ihn war er bemüht, Verbogenes geradezurücken und dem Glauben die richtige, die gültige und lebensfrohe Form zu ermöglichen. Wittmann verband Glaube und Vernunft ganz selbstverständlich, er verband den im besten Sinne frommen Blick des Herzens mit dem wahrlich aufgeklärten Blick des Geistes.

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Aus den Tagebüchern Wittmanns: Die kleine und genaue Schrift vermittelt einen Eindruck seiner Disziplin und Sorgfalt.

Um das zu verstehen und einordnen zu können, ja, um das Wirken Wittmanns wenigstens ansatzweise würdigen zu können, muss man sich vor Augen halten, in welche Zeit dieser Mensch hineingeboren wurde. Die Zeit Wittmanns war eine von Umbrüchen und Unsicherheiten, auch eine von Glaubensabfall geprägte. Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant, mit dem sich Wittmann ebenso interessiert wie kritisch auseinandersetzte, zeigte damals seine besondere Wirkung auf das philosophische und auch theologische Denken. Napoleon eroberte Europa, zerstörte unter anderem Regensburg. Der Sturm auf die Bastille änderte eine ganze Ständeordnung und läutete die Zeit der Aufklärung ein. Der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. März 1803 führte zum Verlust ungezählter Kirchengüter und nahm der bis dahin durchaus vermögenden Ecclesia viele der in langer Zeit erworbenen und geerbten Besitztümer. Der Wiener Kongress (1814–1815) ordnete Bisheriges politisch neu. Es gab den Kampf um den Kirchenstaat sowie die Gefangennahme bzw. Festsetzung des Papstes. Ohnehin sank während der Zeit Wittmanns das Papsttum in seinem Ansehen und seiner Macht auf einen Tiefpunkt.

Auflösungserscheinungen und Glaubensverlust hatten eine zersetzende Wirkung im Klerus. Kurzum: Wittmann, der als besonders sensibel und klug gleichermaßen galt und von einer unstillbaren Neugier nach Wissen durch die Lektüre zahlreicher Schriften und Bücher getrieben war, wurde in eine aufwühlende und in vielfacher Hinsicht unsichere Zeit geboren. Offenbar aber hatte er sich eine besondere Treue und Unbeirrtheit auf der trotz aller Turbulenzen – man würde heute wohl sagen – alternativlosen Suche nach der Wahrheit, die bekanntlich wirklich frei macht und zur Freiheit der Kinder Gottes führt (vgl. Joh 8,32), angeeignet. Seinen inneren Kompass mit sicherer Ausrichtung auf den Gottessohn scheint er niemals verloren oder aus dem Herzensblick genommen zu haben.

Wittmanns Nachfolger Bischof Manfred Müller (1926–2015) nennt ihn im Vorwort einer Broschüre1 mit großem Respekt einen Glaubenden, der die Aufforderung Jesu an seine Jünger, »dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten« (Lk 18,1), konsequent befolgte. Im Laufe der Zeit habe sich »das Gebet in ihm zum Atem seines Lebens« entfaltet. Weil er ein unentwegter Beter war, wurde er zu einem Diener aller, zum Nothelfer ebenso wie zum theologischen und priesterlichen Vorbild. Georg Michael Wittmann scheint auch knapp 200 Jahre später in wiederum turbulenter Zeit für Kirche und Gesellschaft mit seinem Leben und Wirken beweisen zu wollen, dass die Zwiesprache mit dem lebendigen Gott nicht weniger, sondern mehr Dynamik für das Schaffen in dieser Welt freisetzt. Er war kein moderner Seelsorger in dem Sinn, dass die Sorge um das Seelenheil etwas von Moden Abhängiges sei und ihre Wirkkraft von dem her bestimme, was gerade »modern« ist. Aber er war ein stets aktueller Seelsorger, Priester, Theologe und Bischof, also jemand, der es durch Nutzung seiner Gaben und unter strenger Selbstdisziplin verstand, die überzeitliche Wahrheit der Offenbarung jeweils in die Aktualität des Lebens der Menschen zu gießen, um genau dieses Leben mit Licht und Zuversicht zu bereichern.

Päpste zur Zeit Wittmanns

Die Päpste, die den Lebenszeitraum Wittmanns prägten, waren sehr unterschiedlich und spiegeln auch wider, in welch stürmischen Zeiten sich die Kirche damals befand. Clemens XIV. (1769–1774) zum Beispiel, ein Franziskaner, konnte dem politischen Druck der absoluten Monarchen in Portugal, Spanien und Frankreich nicht standhalten und verbot trotz langen Zögerns am 21. Juli 1773 durch das Breve »Dominus ac Redemptor« den Jesuitenorden. Den katholischen Monarchen missfiel unter anderem der Eifer, den die Jesuiten im Blick auf die nachtridentinische Reform der katholischen Kirche an den Tag legten. Wittmann hatte die Vertreibung der Jesuiten aus Amberg 1773 selbst erleben müssen.

Auch der Nachfolger Clemens’ XIV., Pius VI. (1775–1799), blieb bei diesem Verbot des Ordens. Er hatte es bei seiner Wahl den Kardinälen versprechen müssen. Pius, der einen mondänen Lebensstil pflegte und das päpstliche Mäzenatentum wiederbeleben wollte, erlebte den Tiefpunkt des Papsttums auf diplomatischem Parkett. Der »apostolische Pilger« reiste häufig ergebnislos und wenig ernst genommen zu den Monarchen und Fürstenhöfen. Vor allem Kaiser Joseph II. von Österreich hielt gar nichts davon, seine Kirchenreform in irgendeiner Weise mit dem Papst abstimmen zu sollen. Napoleon setzte den Papst als Souverän des damals noch existierenden Kirchenstaates sogar ab und verschleppte ihn, so dass dieser am 29. August 1799 in Gefangenschaft in Valence starb.

Sein Nachfolger Pius VII. (1800–1823) zeigte sich modernen Geistesströmungen gegenüber aufgeschlossen und plädierte schon 1797 in einer damals Aufsehen erregenden Predigt für die Vereinbarkeit von Demokratie und katholischer Religion. Sein Bemühen, sich mit Napoleon zu verständigen, bewahrte ihn nicht vor Bedrängnis durch den Korsen. Bei seiner Salbung des Beherrschers von ganz Europa im Jahr 1804 zum Kaiser der Franzosen setzte sich dieser demonstrativ die Krone selbst auf. 1809 wurde auch Pius VII., und zwar nach der Besetzung des Kirchenstaates, gefangen genommen und zum Verzicht auf das Patrimonium Petri gezwungen. Gleichwohl gewann er im einfachen Volk große Beliebtheit und Anerkennung, was gewiss dazu beitrug, dass auf dem Wiener Kongress 1815 der Kirchenstaat wieder gestärkt wurde. Erst zwischen 1860 und 1870 wurde dieser endgültig aufgegeben. Pius VII. stellte am 7. August 1814 die Gesellschaft Jesu, die sein Vorvorgänger verboten hatte, wieder her. In sein Pontifikat fielen unter anderem das Konkordat mit Bayern von 1817, die Enteignung der Kirche und das Ende des Deutschen Reiches in seiner bisherigen Form.

Eher unpolitisch war dann Leo XII. (1823–1829), der die Kurie und einige Orden reformierte, das Schulwesen, Akademien, Bibliotheken und Wohltätigkeitsinitiativen förderte.

Ihm folgte 1829 für etwas mehr als ein Jahr Pius VIII., der unter anderem mit einer Enzyklika gegen moderne Irrtümer und die Geheimgesellschaften Stellung bezog, der aber auch als erster Papst einen Bürgerkönig (in Frankreich) anerkannte und damit das Papsttum künftig faktisch daran hinderte, zugunsten einer wiedererrichteten absolutistischen Monarchie zu sprechen. Pius kämpfte im Mischehenstreit für die sakramentale Heiligkeit der Ehe zwischen Mann und Frau.

Letzter Papst zu Wittmanns Zeiten war schließlich Gregor XVI. (1831–1846), der als Konservativer den Stuhl Petri bestieg und noch als Monarch im Kirchenstaat regierte. Der österreichische Staatskanzler Metternich hatte offenbar großen Einfluss auf ihn. Kompromisslos zeigte er sich gegenüber modernen Gesellschaftslehren, kämpfte gegen einen dogmatischen Liberalismus und gegen politischen Naturalismus. Er war ein Freund und Förderer der Volksfrömmigkeit, verurteilte 1839 die Sklaverei und bestand darauf, dass die Religion der Politik übergeordnet sei.

Domvikar Georg Schwager, der Leiter der Abteilung Selig- und Heiligsprechungsverfahren in Regensburg, zitiert aus der Trauerrede des späteren Kardinals und Fürstbischofs von Breslau, Melchior von Diepenbrock, vom 2. April 1833, dass viele damals das Gefühl hatten, mit diesem Mann sei Unersetzliches verloren gegangen, »dass ein lebendiger Quell des Segens« versiegt sei in seinem Tod, »dass eine Säule zu Grabe gesunken, die so viel Heiliges getragen, auf der so viel Gutes sich gestützt hat«2. Zu seinen Lebzeiten habe vor allem jenes Beispiel eines selbstlosen Einsatzes im Dienst der Sterbenden und Verwundeten große Beachtung gefunden, als er bei der Schlacht um die Stadt mit den Truppen Napoleons angesichts der vielen brennenden Häuser ungeachtet seiner eigenen Gefährdung des Lebens den Menschen wie ein optimaler Samariter half. Wittmann, der damals Regens des Priesterseminars war, verfasste selbst einen Bericht über den wohl schlimmsten Tag damals, den 23. April 1809. Aus der Kraft des Glaubens leistete Georg Michael Wittmann Heroisches mitten im Chaos der Brandschatzung und des Kriegstumultes, der andere offenbar lähmte. Sein Einsatz aus »Liebe und Verantwortung« leuchtete besonders hell vor »dem düsteren Hintergrund des allgemeinen Chaos« als »Beispiel gelebter christlicher Tugend«3. Wittmann – ein Mann des Geistes, der Seele und des Herzens gleichermaßen.

Er prägte eine ganze Priestergeneration. Er wurde zum Wegbereiter christlicher Jugendbildung. Er setzte die Freiheit aus dem Glauben dem Geist der Aufklärung entgegen. Er stärkte im Mischehenstreit die katholische Position, und er liebte den gläubigen Umgang mit der Heiligen Schrift. Kurzum: Er war ein vielfach begabter Theologe, Seelsorger, Wegweiser, Nothelfer und Reformer.

»Allein Jesu ehren ist mir lieber als Glück und Leben«: Ein Lebensbild Georg Michael Wittmanns

Wer Georg Michael Wittmann verstehen will, muss einen besonderen Blick auf seine Herkunft und Kindheit werfen. Manche Prägung, wie eine für Beobachter geradezu faszinierende Geduld, gepaart mit einer zielorientierten Ausdauer und – man möchte sagen – Hartnäckigkeit, scheint grundgelegt zu sein in seiner Familie. Auch die später von ihm immer wieder betonte selbstverständliche Pflicht zum Gehorsam scheint biografische Wurzeln zu haben. Das gilt wohl ebenfalls für seine Orientierungssicherheit im Erleben von Zeiten des politischen wie kirchlichen Umbruchs, die einen sensiblen und zugleich aufgeschlossenen Jungen und jungen Erwachsenen formten für eine Anpassungsfähigkeit im Sinne eines Erkennens von Notwendigem in Einheit mit gebotener grundsätzlicher Treue im Glauben an einen personalen und stets ansprechbaren Gott und Schöpfer.4

Das Licht der Welt erblickte Georg Michael Wittmann am 22. Januar 1760 auf dem Finkenhammer bei Pleystein in der Oberpfalz. Schon früh zeigten sich seine Frömmigkeit und seine außerordentliche Begabung zum Beobachten, Durchdenken und Analysieren. Seine Liebe zur Gottesmutter führte ihn zum Eintritt in die Marianische Kongregation während der Schulzeit in Amberg. Georg Michael Wittmann wurde als Sohn von Franz Michael, einem Hammergutsbesitzer, und Maria Anna, geborene Wallbrun, einer Tochter des Pleysteiner Bürgermeisters, geboren. Die Familie hatte neun Kinder. Rupert Mittermüller, der das »Leben und Wirken des frommen Bischofs Michael Wittmann von Regensburg« bereits 1859 in einem umfangreichen Werk vorlegte, beschreibt beide Eltern als »gottesfürchtig und gut katholisch«. Damals »stand die Sittlichkeit und Religiosität der Oberpfälzer auf einer sehr hohen Stufe«, heißt es.5 Der Grund für dieses Urteil wird ebenfalls genannt: »Dazu trug außer den strengen bürgerlichen Gesetzen, welche gegen die Laster, besonders gegen die Unzucht und gegen andere öffentliche Ärgernisse bestanden und genau gehandhabt wurden, wohl das Meiste der exemplarische Klerus bei, mit dem die Pfarreien besetzt waren.«6

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Pleystein um 1950 mit Finkenhammer.

Der Inhaber der Hammerschmiede war damals mit einer besonderen Disziplinar- und Gerichtsbarkeitskompetenz ausgestattet, was wohl sehr früh den jungen Georg Michael mit der Vorstellung von Gehorsam konfrontierte. Es war vor allem der Gehorsam gegenüber Gott, der seine Eltern auch in schwierigen Zeiten dazu brachte, auf keinen Fall zu verzweifeln. Immer wieder hatte die Familie Wittmann schwierige Zeiten zu durchstehen, was die Eltern aber als Auszeichnung und Gnadenerweis vom himmlischen Vater verstehen wollten. »Der Menschenschlag, aus dem Georg Michael Wittmann stammte, war strebsam, wirtschaftlich und rechtlich gesinnt, wenn es sein musste, kämpferisch, – sparsam und wohltätig«.7 Über die Familie Wittmann hieß es damals, dass sie sich unter »den vielen, gut katholischen, das Christenthum praktisch übenden« auszeichnete: »Ihr Haus war der Wohnsitz christlicher Wohltätigkeit und Gastfreundschaft, die Zufluchtsstätte aller Hilfsbedürftigen.« Der kleine Georg Michael habe die »Frömmigkeit mit der Muttermilch« eingesogen – »geboren und erzogen von so frommen Eltern«.8

Wittmann selbst beschrieb 1803 die Oberpfälzer als »arbeitsam, geduldig und tapfer, aber aus Mangel großer Städte und schiffbarer Flüsse weniger als andere Völker kultiviert«. Und im Blick auf seine eigene Berufung und sein Bild von Priestern meinte er in diesem Zusammenhang, dass für »diese arbeitsamen mit anderen Völkern wenig bekannten, und ihren Landesgebräuchen getreuen Leute […] genügsam und sparsam lebende Geistliche nöthig« seien, die »ihre Anvertrauten mit Wenigem zufrieden zu seyn und anhaltende Arbeiten geduldig ertragen lehren«.9

Später wird es immer wieder heißen, dass Wittmann »in allen Priestertugenden ein leuchtendes Beispiel«10 gegeben habe. Das Elternhaus, das man aus heutiger Sicht als selbstverständlich katholisch und offensichtlich intakt hinsichtlich eines im Alltag gelebten Glaubens bezeichnen würde, war für ihn eine »Schule lebendiger, inniger Gläubigkeit«. Symbolhaft erscheint die Namensgebung bei der Taufe am 23. Januar 1760 gewesen zu sein, wo er beide Vornamen seines Großvaters bekam: »›Georg‹ erinnert an den Drachentöter, den Kämpfer gegen das Böse, und ›Michael‹ an den mächtigen Streiter Gottes.« Er lernte schon als Kind, dass »der Glaube nicht ein schönes Ahnenerbe, nicht bloß ein Stück Lebensgewohnheit sein dürfe, an der man mit naiver Selbstverständlichkeit festhält.«11

Die Wittmanns, so beschreibt es der Biograf Johann Baptist Lehner, waren »ein alteingesessenes, weit verzweigtes Oberpfälzer Geschlecht«, in dem »Frohmut und Starkmut«12 beheimatet waren. Der Vater wird in der Familienchronik gerühmt als »ein Mann voll biederen Charakters, voll Treue und Wahrheitsliebe, Güte und religiöser Gesinnung«, und von der Mutter heißt es, sie sei »voll zärtlicher Sorgfalt und Liebe zu ihren neun Kindern, voll Gottesfurcht und Gottvertrauen«13 gewesen. Die Eltern betrachteten »alle Schicksalsschläge als Unterpfand und Wahrzeichen besonderer Freundschaft und Gnade Gottes gemäß dem Schriftwort: Die Gott lieb hat, züchtigt er (Spr 3,12)«14. Georg Michael wuchs in dieser Atmosphäre der Dankbarkeit und des absolut selbstverständlichen Gottvertrauens auf.

Prägend für den jungen Wittmann wurde sicherlich die Zeit auf dem Jesuitengymnasium in Amberg, an dem er 1770 eingeschrieben wurde. Er dachte wohl auch darüber nach, Jesuit zu werden. Fasziniert war er wohl von Anfang an von der lateinischen Sprache – er las bereits als Zwölfjähriger die Texte der Kirchenväter. Mehrfach wird berichtet, dass er selbst in lateinischer Sprache schrieb, sie »offensichtlich wie seine Muttersprache beherrschte«15 und sein Stil an die klassischen Autoren und Scholastiker erinnerte. Er »übte die Frömmigkeitsübungen der Gesellschaft Jesu im Geist der Marianischen Kongregation: mit regelmäßigem Gebet, Bußübungen, Fasten und wöchentlicher Beichte«.16 Damals keimte in ihm jener »ignatianische Entschluß«, das »alte Ideal des beständigen Wandels in der Gegenwart Gottes durch die kontrollierte Frage nach dem Willen Gottes viertelstündlich zu verwirklichen«17 – eine für viele unvorstellbare Gebetshaltung. Und eine fast unglaubliche Disziplin. »Er war ganz von Gott erfüllt«, schreibt Emmeram H. Ritter und erklärt nicht zuletzt damit die eigentlich unerklärliche spätere Leistungsfähigkeit eines Menschen, von dem Zeitgenossen berichteten, während der Messfeier habe man spüren können, dass sein Geist wie verklärt in einer anderen Welt unterwegs gewesen sei.18 Wittmann selbst schrieb 1810 in sein Tagebuch im Blick auf die heilige Messe, er erhalte »allein« im Messopfer »bestimmten und zuverlässigen Rat in allen zweifelhaften Dingen« und erinnere sich nicht, jemals bei einem Rate, den er bei der Messe »geholt habe, getäuscht worden« zu sein.19 Ein anderes Mal gab er seiner Sicherheit Ausdruck, dass durch »dieses Geheimnis wir Gnaden empfangen [sollen] für uns, für unser geistliches Amt, für unsere Untergebenen. Groß muss also das Messopfer in unseren Augen sein! Das tägliche Messelesen verliert sich nicht mehr. Das ist der Gang des Reiches Gottes.«20

Das hatte auch mit seinem Erzieher und späteren Vorgänger als Regens des Priesterseminars, Pater Joseph Kugler SJ, zu tun, dessen Spiritualität ihn sehr beeindruckte.22