Schmutztitel

Henriette Wich
Mira Sol

Titel

1, 2, 3 – Film ab!

Kosmos

Umschlagillustration von Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele
weitere Informationen zu unseren Büchern,
Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und
Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2019, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-16624-6

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Henriette Wich

Titel

Tatort Filmset

Kosmos

BLUME_SW_fmt.jpg

Überraschung beim Abendessen

»Mensch, Marie! Du hast gesagt, es gibt ein kleines Abendessen.« Kim stand in der Tür zur Penthousewohnung und sah ihre Freundin vorwurfvoll an.

Franzi grinste. »Hätten wir uns eigentlich denken können, dass das bei Marie ein Geheimcode ist für: Ich lege meinen Christbaumschmuck an.«

»Ihr übertreibt mal wieder schamlos«, kicherte Marie. Mit einem Seitenblick in den Spiegel überprüfte sie ihr Styling, für das sie insgesamt zweieinhalb Stunden gebraucht hatte, Duschen nicht eingerechnet. Der Aufwand hatte sich gelohnt. Passend zum kleinen Abendessen trug Marie ein kleines Schwarzes mit Spaghettiträgern und Spitze am Saum. Ihre Füße steckten in High Heels, am rechten Handgelenk klimperte ihr silbernes Bettelarmband und an den Ohren blinkten Ohrhänger in Tropfenform.

»Essen wir hier draußen im Flur oder dürfen wir reinkommen?«, fragte Franzi halb amüsiert, halb genervt. Sie mochte Marie, aber ihr Kleidertick war ganz schön anstrengend. Besonders wenn Marie den Detektivclub Die drei !!! mit einem Modeclub verwechselte.

»Natürlich dürft ihr reinkommen!«, sagte Marie. »Schön, dass ihr da seid.« Sie begrüßte Kim und Franzi mit Küsschen und hinterließ auf den Wangen ihrer Freundinnen einen Hauch Maiglöckchenparfüm. »Auf der Dachterrasse ist es leider schon zu kühl. Deshalb habe ich am Esstisch im Wohnzimmer gedeckt. Aber den Aperitif nehmen wir am besten auf dem Sofa. Papa kommt gleich.« Marie stöckelte lächelnd voraus.

Kim seufzte. Am liebsten wäre sie gleich wieder nach Hause gefahren, um Jeans und Strickpulli gegen ein Kleid zu tauschen, aber dafür war es jetzt zu spät. Wenn Helmut Grevenbroich, der berühmte Hauptkommissar Brockmeier in der Vorabendserie Vorstadtwache, sie zum Abendessen einlud, durften sie ihn nicht warten lassen. Marie hatte es gut: Ihr Vater trug seine einzige Tochter auf Händen und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Kim dagegen musste sich mit zwei nervigen Zwillingsbrüdern und einer überängstlichen Mutter herumschlagen, die ständig ihre Hausaufgaben kontrollierte.

Franzi streckte sich auf dem weißen Ledersofa aus und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Im Kerzenlicht wirkte das Wohnzimmer wie der Eingangsbereich eines Fünf-Sterne-Hotels: matt schimmerndes Parkett, Orientteppiche, ein riesiger Fernseher mit Flachbildschirm und als Highlight ein schwarzer Konzertflügel.

»Herzlich willkommen! Es ist mir eine große Ehre, die berühmtesten Detektivinnen der Stadt in meinem bescheidenen Zuhause begrüßen zu dürfen.« Helmut Grevenbroich kam mit einem Tablett herein. Er trug ein gelbes Polohemd zur schlichten schwarzen Hose. Wenn man nicht genau hinsah, hätte man ihn für Maries älteren Bruder halten können. »Na, wie wär’s mit einem erfrischenden Passionsfruchtsaft?«, fragte er.

»Klingt super«, sagte Kim.

Maries Vater verteilte die Gläser und prostete den Mädchen zu. »Auf die drei !!!. Ich wünsche euch, dass ihr ganz bald euren nächsten Fall an Land zieht!«

»Auf die drei !!!«, riefen Kim, Franzi und Marie.

Es klirrte leise, als sie anstießen. Der eiskalte Saft schmeckte herrlich exotisch. Marie warf ihrem Vater einen Luftkuss zu. Hoffentlich hatte er recht. Seit der Clubgründung hatten die drei !!! schon 25 Fälle gelöst, aber Marie würde wohl nie genug bekommen. Sie liebte den Nervenkitzel, wenn sie Verbrechern hinterherjagten, auf Spurensuche gingen oder sich verkleideten, um dem Täter eine Falle zu stellen. Trotzdem hatte sich Marie noch nicht entschieden, ob sie später Detektivin oder lieber Schauspielerin oder Sängerin werden sollte.

»Ich habe Auberginen-Auflauf gemacht«, verkündete Helmut Grevenbroich.

Kim fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Hmmm, lecker!« Maries Vater war berühmt für seinen Auberginen-Auflauf. Nun war Kim doch froh, dass sie ihre Wohlfühljeans anhatte. Sie wusste jetzt schon, dass sie sich eine doppelte Portion gönnen würde.

Herr Grevenbroich verschwand in Richtung Küche. Wenig später kam er mit einer großen Auflaufform zurück. Kim, Franzi und Marie wurden von dem köstlichen Duft nach Tomaten, Kräutern und Käse wie magisch angezogen. »Ich habe das Gericht übrigens erweitert«, erzählte Maries Vater. »Ihr habt mir doch aus Berlin das Rezept von Sylvies Freund Sven mitgebracht. Sein Trick sind geröstete Pinienkerne und frische Basilikumblätter.«

Kim lief das Wasser im Mund zusammen. »Genial!« Sie dachte gern an Sylvie. Die Schauspielschülerin hatte den drei !!! in Berlin bei den Ermittlungen geholfen. Damals hatte sie kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung gestanden. Wie es ihr jetzt wohl ging?

»Ach, Marie, bist du so lieb und holst noch zwei Teller?«, bat Herr Grevenbroich.

»Warum das denn?«, fragte Marie verwundert. »Erwartest du noch jemanden?«

Ein geheimnisvolles Lächeln spielte um die Lippen ihres Vaters. »Ich habe zwei Überraschungsgäste eingeladen. Eigentlich müssten sie längst hier sein.«

Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, klingelte es an der Haustür. Marie sprang auf und stöckelte trotz High Heels in erstaunlicher Geschwindigkeit aus dem Wohnzimmer. Kurz darauf hörten Kim und Franzi einen spitzen Schrei. »Helga, Tom! Kommt doch rein.«

Helga? Tom? Kim und Franzi sahen sich fragend an. Die Namen kamen ihnen irgendwie bekannt vor. Als die Gäste im Wohnzimmer erschienen, waren Kim und Franzi sofort im Bilde. Die zierliche rothaarige Frau mit den lebhaften Augen war Helga Meister, die Produzentin der Vorstadtwache. Und Tom Ring, der hochgewachsene sympathische Mann neben ihr, schrieb die spannenden Drehbücher zur Serie. Kim und Franzi hatten die zwei bei einer Dachterrassenparty von Maries Vater kennengelernt.

Herr Grevenbroich begrüßte seine langjährigen Freunde. »Herzlich willkommen! Bitte setzt euch. Kim und Franzi, Maries Detektivkolleginnen, kennt ihr ja schon.«

»Und ob«, sagte Tom. »Erst neulich wart ihr drei wieder in der Zeitung. Ihr seid ganz schön erfolgreich, was?«

»Unsere Vorstadtwachen-Krimis sind alle frei erfunden, aber ihr jagt echte Verbrecher. So was könnte ich nie. Ich würde mir vor lauter Angst in die Hosen machen.« Helga lachte und zeigte dabei ihre kleinen, weißen Zähne.

Das Lob ging runter wie das Olivenöl des Auberginen-Auflaufs. Marie strahlte. »Ach, das ist alles halb so wild.« Im Gegensatz zu Kim, die rot wurde, weil sie nicht gern im Mittelpunkt stand, genoss Marie Komplimente jeglicher Art nach dem Motto: Mehr ist mehr!

Franzi blieb als Einzige cool und konzentrierte sich aufs Essen. Auch Helga Meister und Tom Ring schlemmten jetzt genüsslich. Es dauerte keine zehn Minuten, da war die große Auflaufform bis auf den letzten Krümel leer gekratzt.

Kim rieb sich stöhnend den Bauch. »Bin ich satt! Noch eine Gabel und ich platze.«

»Wie schade!«, sagte Herr Grevenbroich. »Es gibt nämlich Vanillepudding mit Himbeeren als Dessert.«

Bei der Erwähnung ihres Lieblingsnachtischs leuchteten Kims Augen. »Ich glaube, einen Nachtisch schaffe ich noch.«

Marie und Franzi grinsten sich an. Typisch Kim! Bei süßen Leckereien konnte sie nicht widerstehen. Kim behauptete immer, sie brauche die Süßigkeiten als Nervennahrung. Dem konnten Marie und Franzi nicht widersprechen. Schließlich war Kim der Kopf der drei !!!, ausgesprochen clever und ein Ass in Sachen Technik und Computer.

Der Nachtisch war genauso schnell verputzt wie die Hauptspeise. Helga Meister tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab. »Dürfen wir Marie nun die große Neuigkeit erzählen?«, fragte sie geheimnisvoll.

»Natürlich«, sagte Herr Grevenbroich.

Marie platzte fast vor Neugier. »Was für eine Neuigkeit? Worum geht es?«

»Du weißt ja, dass in den Herbstferien eine neue Folge der Vorstadtwache gedreht werden soll«, fing die Produzentin an. »Diesmal brauchen wir mehr Komparsen als sonst. Wenn du Zeit und Lust hast, eine kleine Rolle zu übernehmen, würden wir uns sehr freuen.«

»Und ob ich Lust habe!« Marie fiel Helga um den Hals. Seit ewigen Zeiten hatte sie von solch einem Angebot geträumt. Jetzt ging es endlich in Erfüllung.

»Was ist das für eine Rolle? Was muss ich machen? Wo drehen wir? Wann geht es genau los?« Die Fragen sprudelten wie ein Wasserfall aus Maries Mund.

Tom Ring lachte. »Heute Abend geht es noch nicht los, so viel steht schon mal fest.«

Maries Wangen glühten. Sie blickte in die Runde und stellte überrascht fest, dass Kims und Franzis Lächeln angestrengt wirkte. Waren ihre Freundinnen etwa neidisch? Marie konnte sich keinen Grund dafür vorstellen. Kim bekam schon Lampenfieber, wenn sie einen Scheinwerfer aus hundert Metern Entfernung sah, und Franzi hatte mit dem Showbiz auch nichts am Hut. Sie spielte mit dem Gedanken, später mal Tierärztin zu werden wie ihr Vater.

»Hey, was ist los?«, fragte Marie. »Ihr freut euch ja gar nicht!«

»Doch, doch …«, sagte Kim, wirkte jedoch nicht begeistert.

Franzi nickte mechanisch wie der Wackeldackel ihrer Oma, der einen Ehrenplatz auf der Ablage im Auto hatte. »Das ist eine tolle Chance für dich. Gratuliere!«

Marie schwieg beleidigt. Eigentlich hatte sie mit einer zweiten Runde Saft auf die große Neuigkeit anstoßen wollen. Darauf würden ihre Freundinnen wohl verzichten müssen.

Da räusperte sich Tom Ring. »Entschuldigt bitte! Kim, Franzi, ihr seid natürlich am Set jederzeit willkommen. Ihr dürft zusehen, sooft ihr möchtet.«

»Echt?« Franzis Mundwinkel wanderten sofort nach oben. »Ich hab übrigens schon mal als Lichttechnikerin ausgeholfen, beim Sommerfestival Junge Bühne in Berlin.«

Kim nickte eifrig. »Und ich war dort Kostüm- und Maskenbildnerin. Also falls mal Not am Mann sein sollte … oder an der Frau …« Kim wurde verlegen. »Wir helfen gerne aus.«

»Gut zu wissen«, sagte Helga Meister.

»Die drei !!! am Filmset!«, rief Marie. »Das wird genial.«

Die Detektivinnen klatschten sich gegenseitig ab. Jetzt waren alle rundum glücklich.

»Interessiert es euch gar nicht, worum es in der Folge gehen wird?«, fragte Maries Vater.

»Doch, klar!«, sagte Marie. »Erzähl!« Ungeduldig zupfte sie an seinem Hemd.

Herr Grevenbroich schüttelte den Kopf. »Das soll Tom machen. Er hat das Drehbuch geschrieben. Kompliment übrigens, Tom! Ich finde, es ist dein bestes Drehbuch.«

Tom Ring lächelte geschmeichelt. »Freut mich, dass es dir gefällt. Also: Der Krimi spielt am Hafen. Helmut alias Hauptkommissar Brockmeier muss einen Mord im Drogenmilieu aufklären. Eine Drogendealerin wird samt Auto tot aus dem Hafenbecken gefischt. Ich muss euch schon mal vorwarnen: Die ›Leiche‹ wird richtig gruselig aussehen.«

Über Maries nackte Schultern lief eine Gänsehaut. In dem Thriller, den sie in den letzten Sommerferien verschlungen hatte, kam auch eine Wasserleiche vor. Die Beschreibung war der reinste Horror: Gesicht und Körper aufgedunsen, hervorquellende Augen, Haare und Fingernägel, die sich bereits teilweise ablösten … Marie schüttelte sich vor Ekel.

»Kein Problem! Wir wissen ja, dass die Leiche nicht echt ist.« Franzi klang betont munter. Nur Kim und Marie merkten, dass sie längst nicht so abgebrüht war, wie sie vorgab.

Kim versuchte ihr Gruseln zu verdrängen, indem sie überlegte, wie aufwendig es wohl sein mochte, jemanden in der Maske so perfekt zu schminken, dass er wie ein Toter aussah.

Tom Ring erzählte inzwischen weiter: »Marie wird mit anderen Komparsen eine sensationslustige Passantin am Tatort sein. Sie soll mit ihrem Handy Fotos von der Leiche knipsen, bis sie von der Polizei weggedrängt wird.«

»Cool!«, sagte Marie. »Das kriege ich hin.« Sie tastete nach dem Handy in ihrer Tasche, eins der großzügigen Geschenke ihres Vaters mit Touchscreen, GPS, Internet und allen Schikanen. Ein Leben ohne dieses Teil konnte sie sich überhaupt nicht mehr vorstellen. Von daher war sie die perfekte Besetzung für die Rolle.

»Zum ersten Mal stehe ich zusammen mit meiner Tochter vor der Kamera«, sagte Helmut Grevenbroich stolz. »Darauf müssen wir anstoßen. Ich hab eine Flasche extraguten Rotwein aufgemacht. Und für euch wieder einen Passionsfruchtsaft?«

»Das wäre super«, sagte Kim. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.«

Kurz darauf klirrten sechs Gläser aneinander. Helga und Tom lobten den ausgezeichneten Wein und fingen an, über technische Details der Dreharbeiten zu plaudern. Marie unterdrückte ein Gähnen. Eine Weile hörten die drei !!! noch höflich zu, dann ließen sie die Erwachsenen allein und zogen sich in Maries Zimmer zurück.

Marie ließ sich in die Polster ihres gemütlichen Sofas sinken. »Kneift mich mal! Ich kann’s immer noch nicht glauben … autsch! Doch nicht so fest, Franzi!«

»Ich kann auch noch fester zwicken«, sagte Franzi ungerührt.

»Oder sollen wir dich durchkitzeln?« Kim setzte eine unschuldige Miene auf.

»Nein, nicht!«, protestierte Marie, da stürzten sich ihre Freundinnen schon kreischend auf sie. Marie hatte nur eine Chance, die Kitzelattacke zu überstehen. Sie strampelte so lange mit Armen und Beinen, bis sie sich endlich befreit hatte. »Das reicht«, keuchte sie. »Ich hab’s begriffen. In zwei Wochen spiele ich bei der Vorstadtwache mit. Und ihr seid dabei, um mir die Daumen zu drücken.«

»Falls wir nicht gerade mit anderen wichtigen Dingen beschäftigt sind«, schränkte Franzi ein. »Zum Beispiel mit dem Licht oder den Kostümen.«

Kim setzte sich neben Marie aufs Sofa. »Oder mit Recherchen. Wir können uns sicher jede Menge Anregungen für unsere Detektivarbeit holen. Vielleicht bekomme ich auch wieder Lust, an meinem Kurzkrimi weiterzuschreiben.«

Marie verschränkte die Hände im Nacken. Ihr Bettelarmband klirrte, als sie träumerisch zum Fenster hinaussah. In ihrer Fantasie machte sie eine Zeitreise in die Zukunft. In fünf Jahren schritt sie auf einem Filmfestival über den roten Teppich. Als Nachwuchsstar der Vorstadtwache räumte sie einen Preis nach dem anderen ab. Ein Reporter stürmte auf sie zu und fragte, wie alles angefangen hätte. Marie antwortete bescheiden: »Zuerst hatte ich nur eine kleine Rolle als Komparsin …«

»Hallo, jemand zu Hause?« Kim wedelte mit einer Zeitschrift vor Maries Gesicht herum. »Gib’s zu, du träumst gerade von Jo«, sagte Franzi. »Oder von Adrian, obwohl er viel zu alt für dich ist. Oder doch von Leonard? Bei dir komme ich immer durcheinander, weil du so viele Eisen im Feuer hast.«

Marie trat gegen Franzis Schienbein. »Du liegst völlig falsch. Ich habe gerade überlegt, wie ich meine Komparsenrolle ausbauen könnte. Ich könnte zum Beispiel mit einem Freund am Tatort sein und wir springen beide über die Absperrung …«

»Gute Idee«, sagte Kim. »Leonard wäre sicher begeistert …«

Marie wurde rot. »Hört endlich auf mit Leonard! Seit dem Rock Camp haben wir uns nicht gesehen. Ich weiß nicht mal, wo er wohnt. Im Internet stand auch nichts über ihn. Da war nur dieses süße Foto vom Abschlusskonzert …«

»Aha!« Franzi kicherte. »Ich liege also völlig falsch. Verstehe.«

Marie verdrehte die Augen. »Tust du auch. Ich bin völlig frei und unabhängig. Ein bisschen Flirten wird ja nicht verboten sein. Apropos flirten: Wie läuft es eigentlich zwischen dir und Tom Jeremias? Du hast dir ja den erfolgreichsten Sänger des Rock Camps geschnappt.«

Jetzt war Franzi an der Reihe, rot zu werden. »Äh … also wir mailen uns fast jeden Tag«, gab sie zögernd zu. Wenn Franzi an Tom dachte, kribbelte es in ihrem Bauch, als ob sie zu viel Cola getrunken hätte. Aber das würde sie Marie garantiert nicht auf die Nase binden. Schnell gab sie den Ball an Kim weiter. »Und du und Michi? Seid ihr immer noch das Traumpaar?«

»Du, bei uns ist so weit alles in Ordnung«, sagte Kim und zupfte einen Fussel von ihrem Pulli.

»Oh, oh …«, unkte Marie. »Du klingst, als würdest du von deinem Computerprogramm erzählen. Tröste dich, bei einer Dauerbeziehung ist das ganz normal. Da kann schon mal Routine aufkommen. Brauchst du Tipps, wie du eure Beziehung auffrischen kannst?«

»Nein danke, kein Bedarf«, lehnte Kim ab. »Wenn wir den nächsten Fall an Land ziehen, kannst du deine Tipps gerne anbringen.«

Marie war so gut drauf, dass sie Kim die spitze Bemerkung nicht krummnahm. »Alles klar, mach ich!«

BLUME_SW_fmt.jpg

Marie im Filmfieber

Marie hüpfte wie ein Flummi über das Gelände der Filmstadt. »Endlich kann ich euch alles zeigen! Es gibt vier große Hallen. Hier vorne in Halle 1 ist der Lokalsender der Stadt untergebracht. In Halle 2 werden die Daily Soaps gedreht. Und in Halle 3 dort drüben sind die Innenkulissen der Vorstadtwache. Kommt, gehen wir rein!«

Das ließen sich Kim und Franzi nicht zweimal sagen. Von außen sah die Halle wie ein unscheinbares Industriegebäude aus, mit Flachdach und Betonplatten, die vom Regen grau geworden waren. Aber im Inneren wartete eine aufregende Welt auf sie, die Kim und Franzi heute zum ersten Mal betreten würden.

Als Marie die schwere Stahltür öffnete, sahen sie erst mal einen Wald von Stellwänden. Über den grauen Steinfußboden schlängelten sich Unmengen von Kabeln. Kameraleute und Lichttechniker liefen hektisch hin und her. Es roch nach Staub, Make-up und leicht verbrannt nach dem Licht, das die Scheinwerfer verbreiteten. Fernsehluft, Theaterluft. Maries Herz klopfte schneller. Sie spürte es ganz deutlich: Der Ruhm war zum Greifen nah!

Kim stand unschlüssig herum. Im Gegensatz zu Marie fühlte sie sich in der Showbusiness-Atmosphäre immer leicht unwohl. »Wo müssen wir denn jetzt hin?«

»Die erste Szene spielt im Präsidium, aber wir haben noch ein bisschen Zeit«, sagte Marie. »Ich führ euch herum.« Kichernd hakte sie sich bei Franzi und Kim unter.

Nach einem verwirrenden Weg durch das Labyrinth der Gänge standen sie plötzlich in der Privatwohnung von Hauptkommissar Brockmeier. Franzi erkannte auf den ersten Blick die Möbel, den Billardtisch und die Wohnküche, aber alles wirkte viel kleiner als im Fernsehen. Als hätte jemand die Wohnung geschrumpft. Franzi war fast ein bisschen enttäuscht.

Kim dagegen kam sich vor wie in einem Museum mit wertvollen Gemälden, die alle an eine Alarmanlage gekoppelt waren. Sie traute sich nicht, irgendwas anzufassen, und murmelte immer wieder: »Ist das cool …«

»Es wird noch besser«, verkündete Marie. Sie zog ihre Freundinnen weiter. »Hereinspaziert! Hier ist das Lieblingsrestaurant von Hauptkommissar Brockmeier: Piccola Italia mit der besten Thunfisch-Pizza der Stadt – nur im Film natürlich! Und gleich daneben ist die angesagte Jazzkneipe. Da spielt der Kommissar in seiner Freizeit Saxofon.« Marie zwinkerte Kim und Franzi zu. »Play-back, aber so gekonnt, dass es keinem auffällt …«

»Wer verrät hier mein streng gehütetes Geheimnis?« Helmut Grevenbroich tauchte hinter einer Stellwand auf und drohte Marie mit dem Zeigefinger. »Wenn das die Fans erfahren, sind sie todunglücklich. Die denken, ich bin ein Jahrhunderttalent.« Er grinste breit.

Marie schmiegte sich an seine Schulter. »Kim und Franzi halten dicht, keine Sorge.«

Herr Grevenbroich grinste noch breiter. »Das will ich hoffen. Aber jetzt sollten wir rüber ins Präsidium gehen. Es gibt gleich einen Begrüßungs-Umtrunk für die Crew.«

Marie zupfte aufgeregt an ihrem Schal in Leopardenoptik, den sie zu Boyfriend-Jeans und weißem T-Shirt kombiniert hatte. »Den sollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.«

Sie hörten das fröhliche Stimmengewirr schon von Weitem. Und dann waren sie mittendrin. In der nüchternen Kulisse des Präsidiums drängelten sich Schauspieler, Masken- und Kostümbildner, Kameraleute und Lichttechniker. Franzi suchte nach einem bekannten Gesicht, konnte aber weder Helga Meister noch Tom Ring entdecken.

Kim bewunderte inzwischen die jungen Schauspielerinnen, die im Vergleich zu ihr mindestens zwei Kleidergrößen kleiner trugen, und stieß einen lauten Seufzer aus. »Wenn ich doch bloß auch so schlank sein könnte, wenigstens für einen Tag!«

»Du bist schlank«, betonte Franzi. »Und vergiss nicht, was die für ihre Figur alles auf sich nehmen: Dauer-Diät, Sport bis zum Umfallen, Schönheits-OPs … Und die letzten Pfunde schmelzen dann nach dem Dreh am Computer, mit Retusche und Weichzeichner.«

»Ich weiß, ich weiß …« Kim zog den Bauch ein. Franzi hatte natürlich recht. Trotzdem spürte Kim heute mal wieder jedes einzelne Pölsterchen auf ihren Hüften.

Franzi wollte Marie gerade darum bitten, Kim ein aufmunterndes Kompliment zu ihrer Figur zu machen, da landete Maries Ellbogen ohne Vorwarnung in ihrem Gesicht. »Pass doch auf!«, beschwerte sich Franzi.

Marie reagierte nicht. Sie hatte auf Flirtmodus umgestellt, winkte »ihrer« Crew zu und flötete: »Hi, Leute! Ist das schön, euch alle wiederzusehen.« Damit tauchte sie in die Menge ein, fiel jedem um den Hals und verteilte Küsschen hier, Küsschen da.

»Und tschüss!«, sagte Kim wütend. »Als ob wir plötzlich Luft für sie wären.«

Franzi vergrub ihre Fäuste in den Hosentaschen. »Wenigstens vorstellen hätte sie uns können, wenn sie hier schon jeden kennt.«

»Darauf kannst du lange warten«, seufzte Kim. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, Toms Einladung anzunehmen. Sie hasste es, das fünfte Rad am Wagen zu sein.

Franzi zwang sich zu einem Lächeln und sagte: »Ich hol uns jetzt erst mal was zu trinken.«

Kim nickte dankbar. »Gute Idee.«

Während Franzi sich zum Tisch mit den Sekt- und Orangensaftgläsern vorarbeitete, schwamm Marie im Glück. Die meisten Leute kannte sie von der letzten Weihnachtsfeier. Da hatte Marie zum ersten Mal mitfeiern dürfen und sich unglaublich wohlgefühlt. Jetzt kam es ihr vor, als würde sie nach einer langen Reise zu ihrer Familie zurückkehren. Marie sah sich um. Inzwischen hatte sie fast jeden begrüßt. Nur eine junge Frau fehlte noch, die neu zu sein schien. Mit ihrer abgewetzten Jeans und dem verwaschenen grünen T-Shirt mit der Aufschrift Think nature stach sie aus dem gestylten Umfeld heraus. Auch der Schnitt ihrer kurzen, braunen Haare stammte sicher nicht von einem Starfriseur. Marie ging zögernd auf sie zu. »Hi, ich bin Marie. Der erste Drehtag ist immer der aufregendste, findest du nicht auch?«

Die Frau krauste ihre Stupsnase. »Nö, das seh ich anders.« Dann rief jemand »Tessa!«, die Frau drehte sich um und lief einfach davon, ohne Marie weiter zu beachten.

Marie schüttelte ungläubig den Kopf. Höflichkeit schien ein Fremdwort für diese Tessa zu sein. Dann eben nicht! Sie musste ja nicht mit jedem am Set dick befreundet sein. Marie winkte Markus zu, dem netten Lichttechniker, und ging zu ihm hinüber.

Kim und Franzi waren immer noch sauer auf Marie. Sie nippten an ihren Gläsern und bewunderten ihre Stars sehnsüchtig aus der Ferne. Alle hatten Spaß und lachten. Helmut Grevenbroich war besonders gut gelaunt. Er wurde von hübschen Schauspielkolleginnen umringt und sprühte vor Charme.

Kim musste grinsen. »Jetzt wissen wir wenigstens, von wem Marie ihr Flirt-Gen geerbt hat.«

»Allerdings«, sagte Franzi mit Grabesstimme. Plötzlich jubelte sie los: »Da ist ja Sylvie!«

Die Schauspielschülerin hatte sie im selben Moment entdeckt. »Franzi, Kim, hallo! Wie geht’s? Stellt euch vor, ich hab meine erste Nebenrolle ergattert. Ich darf die Leiche spielen!«

»Oh … die Leiche …«, sagte Kim.

Sylvie prustete los. »Keine Angst, ich werde nicht stundenlang unter Wasser liegen. Für solche Fälle gibt es ein Double, eine Stoffpuppe, die erst im letzten Moment gegen den Schauspieler ausgetauscht wird.«

»So was Ähnliches hab ich mir schon gedacht«, sagte Kim fachmännisch.

Franzi nutzte die Gelegenheit, dass Sylvie schon mal hier war, und zeigte unauffällig auf einen braun gebrannten, sportlichen Typen Mitte dreißig, der durch seine ausladenden Gesten und sein lautes Lachen hervorstach. »Kennst du den?«, raunte sie Sylvie zu.

»Hardy?« Sylvie nickte. »Natürlich. Das ist der Regisseur der Vorstadtwache. Kommt, ich stelle ihn euch vor.« Bevor Kim und Franzi wussten, wie ihnen geschah, standen sie schon vor Hardy. »Hi!«, sagte Sylvie. »Das sind Kim und Franzi. Wir kennen uns aus Berlin. Die beiden haben zusammen mit Marie, der Tochter von Helmut, einen Detektivclub, Die drei !!!

»Ach ja, Helmut hat mir davon erzählt …« Hardy gab ihnen flüchtige Küsschen auf die Wangen. »Willkommen am Set! Wir duzen uns hier alle, das ist einfacher. Wenn ihr Fragen habt: Ich hab immer ein offenes Ohr.« Er ließ wieder sein lautes Lachen hören.

Kim räusperte sich. »Wir können gerne bei den Kostümen, der Maske oder beim Licht helfen«, bot sie an und erzählte von ihren Erfahrungen aus Berlin.

Hardy hörte lächelnd zu, wurde aber zunehmend unruhiger. »Schön, schön … Das müsst ihr mit Sandra, der Maskenbildnerin, besprechen, okay? Sorry, aber jetzt muss ich mich um die erste Kameraeinstellung kümmern.« Er lief im Eilschritt auf Tessa zu.

Kim und Franzi waren enttäuscht. Sie wollten gerade Sylvie nach Sandra fragen, da joggte eine hübsche Brünette in die Kulisse hinein. Sie trug eine schwarze Laufhose und ein pinkfarbenes Shirt, das ihren durchtrainierten Oberkörper betonte. Franzi strahlte. Das war Donna Weidemann, ihre Lieblingsschauspielerin! Besonders toll fand sie Donna in ihrer Rolle als engagierte Tierärztin in Südafrika. Auf der Homepage der Schauspielerin hatte Franzi gelesen, dass Donna früher Krankenschwester gewesen war. Deshalb wirkte sie als Tierärztin auch so authentisch. Donna war mit 34 Jahren ein großer TV-Star, und jetzt stand Franzi nur fünf Meter von ihr entfernt. Sie musste sie einfach um ein Autogramm bitten. Doch sie kam nicht mehr dazu, weil Donna mit einem Aufschrei zu einer jüngeren, zierlichen Blondine rannte. Die Blondine schnappte nach Luft. Dann kreischten beide Frauen laut und fielen sich lachend um den Hals.

»Naomi! Das glaub ich jetzt nicht. Du hier?«, rief Donna aus.

Die Blondine kicherte. »Ja, ich bin’s wirklich. Mensch, ist das eine Überraschung! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Das muss mindestens ein Jahr her sein …«

»Ich wusste gar nicht, dass du auch dabei bist«, sagte Donna. »Erzähl, welche Rolle hast du?«

Naomi strahlte ihre Kollegin an. »Ich soll ab dieser Folge Hauptkommissar Brockmeier als junge Kommissarin unterstützen.«

»Gratuliere!« Donna klatschte in die Hände. »Ich freu mich so für dich. Ich spiele leider nur in dieser Folge mit, als ältere Schwester des Mordopfers.«

»Von wegen nur!«, widersprach Naomi. »Du hattest doch auch schon früher tolle Gast-Auftritte in der Vorstadtwache

Die anderen Gespräche am Set verstummten. Alle teilten mit Donna und Naomi den ergreifenden Augenblick des Wiedersehens.

Marie, die neben Kim und Franzi geschlüpft war, flüsterte: »Endlich mal zwei Schauspielerinnen, die keinen Zickenkrieg führen und sich gegenseitig unterstützen!«

Kim nickte. Dann wandte sie sich an Sylvie. »Donna kenne ich, aber wer ist die Blonde?«

»Naomi wird bald zu den ganz Großen gehören«, erzählte Sylvie. »Sie ist erst 24, hat aber in kürzester Zeit ihre zweite weibliche Hauptrolle bekommen.«

Die drei !!! lauschten wieder der Unterhaltung der Schauspielerinnen. Nach und nach erfuhren sie, dass die beiden in derselben Schauspielschule gewesen waren: Donna zwei Jahrgangsstufen über Naomi. Als Älteste im Jahrgang hatte sie Naomi oft Tipps gegeben und sie getröstet, wenn sie von den Lehrern kritisiert wurde. Nach der Schule blieben die zwei Freundinnen, doch Donna hatte wegen ihrer Blitzkarriere bald immer weniger Zeit.

Hardy verfolgte gerührt die Szene, doch irgendwann ging er zu Donna und Naomi hinüber. »Ich möchte euch nur ungern unterbrechen, aber leider ist unser Drehplan sehr straff. Naomi, du musst in die Maske. Wir starten damit, wie du zum ersten Mal Hauptkommissar Brockmeier im Präsidium begegnest. Einverstanden?«

»Alles klar!«, sagte Naomi. Sie zog aus ihrer Handtasche eine Tüte mit Pfefferminzdragees und schob sich eins davon in den Mund. Dann verschwand sie hinter den Kulissen.

»Und … Action!«, rief Hardy.

Tessa schwenkte die Kamera über die Bürotische des Präsidiums. Hauptkommissar Brockmeier kam ins Bild. Er hatte künstliche graue Schläfen, aber ansonsten sah er seinem Alter Ego Helmut Grevenbroich zum Verwechseln ähnlich. Marie rutschte an den äußersten Rand des Klappstuhls. Ihre Hände schmerzten vom Daumendrücken.

Hauptkommissar Brockmeier offenbarte seine liebenswerte Macke. Er wählte aus einem Schrank voller edler Krawatten die passende Krawatte für den Tag aus. Endlich hatte er sich für eine feuerrote Krawatte entschieden: genau die richtige Farbe, um dem Drogenboss Furcht einzuflößen, den er gleich verhören sollte. Da trat Naomi als Kommissarin Gellert auf. Sie schneite herein mit den energischen Worten: »Wir sollten keine Zeit verlieren.«

Hauptkommissar Brockmeier, der wenig erfreut war, dass sie ihm zugeteilt worden war, versuchte die junge Kollegin mit seinem Charme einzuwickeln, aber die ließ ihn abblitzen. Die Szene lief wie am Schnürchen, bis Naomi plötzlich leise stöhnte.

Hardy wedelte mit den Armen. »Cut, Cut! Naomi, was ist los?«

Die Schauspielerin drehte sich suchend um. »Hier muss irgendwo ein Luftzug sein.« Sie presste ihre Hand gegen die Stirn. »Kopfschmerzen! Die haben mir gerade noch gefehlt.«

»Brauchst du eine Kopfschmerztablette?«, fragte Donna.

»Nein danke, es geht gleich vorbei.« Naomi klopfte mit den Fingerknöcheln sanft ihre Stirn ab. »Hardy, ich bring hier alles durcheinander, sorry.« Sie lächelte den Regisseur an.

Hardy lächelte zurück. »Kein Problem. Christian, siehst du mal nach, ob irgendwo ein Fenster offen ist? Danke! Ich hol schnell mal ein Glas Wasser.« Er spurtete davon.

»Das ist echt wahnsinnig lieb von dir!« Naomi trank ein paar Schlucke. Danach gab sie das Glas der Maskenbildnerin. »So, wir können endlich wieder. Mir geht es super.«

Zehn Minuten später war die Szene samt Verhör im Kasten. Hardy rieb sich erleichtert die Hände. »Perfekt! So läuft das hier. Tolle Kameraführung, Tessa! Wie du den Drogenboss immer stärker eingekreist hast – super!« Er lachte so ansteckend, dass alle mitlachen mussten. »Helmut, Naomi, ihr seid das neue Dream-Team. Ich danke euch. Kurze Pause, Leute.«

Die drei !!! waren beeindruckt, wie echt die Szene gewirkt hatte. Der Drogenboss war richtig furchteinflößend. Marie schüttelte die beklemmende Stimmung von sich ab. Zum Glück hatten die drei !!! bei ihren Ermittlungen bis jetzt nichts mit Drogen und Mord zu tun gehabt.

»Dein Vater spielt wirklich toll«, sagte Kim. »Wenn man aus der Nähe zusieht, merkt man erst, wie genau er alles aufeinander abstimmt: Gesten, Mimik, Körpersprache.«

Marie lächelte stolz. »Er ist der Beste! So berühmt und trotzdem bescheiden und freundlich.«

»Was man von seiner Tochter nicht gerade behaupten kann«, rutschte es Franzi heraus.

Auf Maries glatter Stirn bildete sich eine Falte. »Was willst du damit sagen?«

Franzi machte ihrem Ärger Luft. »Sobald du deine Schauspielfreunde um dich hattest, waren wir dir egal. Bis auf Sylvie kannten wir niemanden hier, das war ganz schön doof.«

»Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen«, konterte Marie.

Franzi lief rot an. »Darum geht es gar nicht!«

Kim hatte keine Lust, gleich am ersten Tag einen schlechten Eindruck am Set zu machen. Es sahen jetzt schon zwei Leute neugierig herüber. »Ich glaube, Franzi meint, dass es nett gewesen wäre, wenn du uns ein paar Leute vorgestellt hättest«, versuchte sie zu vermitteln.

»Ach so, klar«, lenkte Marie ein. »Tut mir leid.«

»Schon gut …«, sagte Franzi. Eines musste man Marie lassen: So zickig sie manchmal sein konnte, nachtragend war sie nicht.

»Was haltet ihr davon, wenn wir nach dem Dreh ins Café Lomo gehen?«, schlug Kim vor.

»Super Idee«, stimmte Franzi sofort zu.

Marie schüttelte den Kopf. »Ich muss nach Hause und Adrian fragen, ob er mir Tipps für meine Rolle geben kann. Wozu hab ich schließlich einen Schauspielschüler als Nachbarn?«

»Verstehe …«, sagte Franzi. Sie konnte sich noch lebhaft daran erinnern, wie Marie damals im Castingfieber gewesen war und den Detektivclub plötzlich vernachlässigt hatte. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass sie jetzt im Filmfieber war. Das konnte heiter werden.

BLUME_SW_fmt.jpg

Schlechte Karten

Im vorletzten Stockwerk des Altbaus klingelte Marie Sturm an der Tür der WG.

Adrian machte sofort auf. Er hatte eine schwarze Lederjacke an und einen Schlüsselbund in der Hand. »Hi, Marie! Du, das ist jetzt leider schlecht. Ich muss gleich los.«

»Nur ganz kurz!« Marie lächelte zuckersüß. »Ich hab zwei klitzekleine Fragen an dich, dann lasse ich dich sofort gehen.«

Adrian fuhr sich durch die Haare, die für Maries Geschmack eine Spur zu lang waren, aber seine schönen, braunen Augen betonten. »Na gut. Komm kurz rein.« Er führte Marie in das gemütliche Wohnzimmer, das er sich mit seinen Mitbewohnern Lola und Erik teilte.

Marie setzte sich auf einen blauen Stuhl in der Essecke. »Also, ich hab eine Komparsenrolle bei der Vorstadtwache

»Echt?«, rief Adrian. »Das ist ja toll. Gratuliere!«

»Danke!« Marie tat so, als ob täglich solche Rollenangebote in ihren Briefkasten flatterten. »Um’s kurz zu machen: Ich spiele eine Schaulustige am Tatort.« Sie erzählte von der Hafenszene und fragte am Schluss: »Kannst du mir nicht ein paar Tipps geben, wie ich mich auf die Rolle vorbereiten könnte?«

Adrian überlegte. Dann hellte sich sein Gesicht auf. »Klar! Frag doch mal die redselige Verkäuferin vom Supermarkt um die Ecke nach dem neuesten Klatsch. Tratsch ein bisschen mit, damit du ins Feeling reinkommst. Und mach jede Menge Fotos mit deinem Handy, am Set, zu Hause, in der Schule, einfach überall.«

»Ja, das ist gut«, sagte Marie. Im Geiste sah sie sich schon als Klatschreporterin über das Filmgelände düsen, immer auf der Suche nach einem peinlichen Schnappschuss.

Adrian klimperte mit seinem Schlüsselbund. »Jetzt muss ich aber wirklich los.«

»Natürlich.« Marie warf ein Ende ihres Leopardentuchs über die Schulter und stand auf. »Ich will dich nicht länger aufhalten. Was hast du denn heute noch Schönes vor?«

»Ich treffe mich mit Sylvie. Sie ist nämlich gerade in der Stadt«, sagte Adrian mit leuchtenden Augen.

Marie musste sich zusammenreißen, um cool zu bleiben. Beim Theaterfestival in Berlin hatte Adrian hemmungslos mit Sylvie geflirtet, bis sich herausstellte, dass sie einen Freund hatte. Aber Sven war weit weg in Berlin, und wer wusste so genau, ob Sylvie Adrians Charme widerstehen konnte? »Na, dann viel Spaß«, brachte Marie mühsam heraus.

»Den werden wir haben«, sagte Adrian fröhlich. Er ging mit Marie zur Tür und düste sofort ab.

Maries Stimmungsbarometer sackte in den Keller. Der erste Drehtag war perfekt gewesen, und jetzt vermasselte Adrian alles. Zu Hause wartete eine leere Wohnung auf sie, weil ihr Vater noch Einkäufe erledigen musste. Die Einsamkeit lauerte gleich hinter der Tür zum Penthouse. Plötzlich bereute Marie ihre Entscheidung, nicht mit Kim und Franzi ins Café Lomo zu gehen. Sie könnte jetzt gemütlich auf ihrem Stammplatz sitzen und einen Kakao Spezial mit Vanille-Aroma schlürfen. Zu spät!

Marie pfefferte den Schlüssel auf die Kommode im Flur. Sie betrachtete ihr missmutiges Gesicht im Spiegel und streckte ihm die Zunge heraus. »Schluss mit Jammern, Marie! Was du jetzt brauchst, ist ein anständiger Wellness-Abend!«

Gesagt, getan. Als Marie in der Badewanne lag, umgeben von Teelichtern und Schaumbergen, auf dem Gesicht eine Gurkenmaske, waren Adrian und Sylvie an den Rand ihres Bewusstseins gedriftet und hatten den schönen Dingen des Lebens Platz gemacht. Marie dachte an Jo und an Leonard. Würde einer der beiden ihr Herz erobern? Und wie würde es mit den Dreharbeiten weitergehen? Welche Überraschungen hielt die Zukunft für sie bereit?

Marie richtete sich abrupt auf. Zwei Gurkenscheiben klatschten ins Wasser und lösten eine Welle aus, die über den Wannenrand schwappte. Die Teelichter flackerten hektisch. Marie stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und massierte schnell den Rest der Gesichtsmaske in die Haut ein. Danach schlüpfte sie in ihr Nachthemd und hüllte sich in Papas flauschigen Bademantel, der nach seinem Rasierwasser duftete. In eine warme Dampfwolke gehüllt, lief Marie hinüber in ihr Zimmer. Sie zündete eine rote Kerze an und öffnete die oberste Schublade ihres Schreibtischs. Da waren sie, ihre geliebten Tarotkarten. Schon oft hatten sie ihr bei wichtigen Entscheidungen geholfen und einen geheimnisvollen Ausblick in die Zukunft gegeben.

Marie spürte das vertraute, feierliche Gefühl. Sorgfältig mischte sie die Karten und konzentrierte sich dabei auf die Dreharbeiten. Dann zog sie eine Karte. Als Marie sie umdrehte, wurde ihr schlagartig eiskalt. Es war die Todeskarte!

Bedeutete das etwa, dass jemand am Set sterben würde?

Maries Herz verkrampfte sich. Mit zitternden Fingern zog sie schnell eine zweite Karte, um herauszufinden, wer vom Tod bedroht sein könnte. Die Königin der Kelche blickte sie aus sanften blauen Augen an: eine fantasievolle, musische Frau in einem wasserblauen Kleid, umgeben von Nixen. Marie strich über die glatte Oberfläche der Karte. Wer könnte das sein? Sie selbst???

Nein, Königinnen standen normalerweise für Personen von außen. Nachdenklich stützte Marie die Ellbogen auf den Tisch. Eine musische Frau … Vielleicht eine Schauspielerin? Die Kostümbildnerin? Die Maskenbildnerin? Marie fielen gleich mehrere Frauen am Set ein, die musisch begabt waren. Einem heftigen Impuls folgend, raffte sie die Karten zusammen und stopfte sie zurück in die Schublade. Eigentlich hatte sie vorgehabt, auch noch zur Liebe eine Karte zu ziehen, aber das ließ sie lieber bleiben.

Marie wollte nur noch eins: ins Bett gehen und tief und traumlos schlafen. Bibbernd zog sie die Daunendecke bis zur Nasenspitze hoch und rollte sich wie ein Igel ein. Doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Immer wenn Marie kurz davor war, wegzudämmern, zuckte ein schrecklicher Gedanke durch ihr Gehirn: Bis jetzt waren die Vorhersagen der Tarotkarten immer eingetroffen!

»Dann wollen wir mal sehen, was es hier zu trinken gibt.« Kim klappte die Karte der Personal-Cafeteria auf und überflog sie mit geübtem Blick. »Kakao mit Vanille-Aroma haben sie leider nicht, aber es gibt welchen mit Karamellgeschmack. Den nehme ich.«

»Ich auch«, sagten Franzi und Marie gleichzeitig.

Die drei !!! waren am zweiten Drehtag eine Stunde vor Drehbeginn zur Filmstadt gefahren. Um 14 Uhr würde es losgehen. So hatten sie noch ausreichend Zeit, um sich zu unterhalten, was nicht möglich war, sobald die Kamera lief. Der einzige Nachteil an ihrem VIP-Dasein.