Colin Crouch

Gig Economy

Prekäre Arbeit im Zeitalter von Uber, Minijobs & Co.

Aus dem Englischen von Frank Jakubzik

Suhrkamp

Für Joan

Inhalt

Danksagung

1. Der Aufstieg prekärer Arbeit

2. Das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Die Entstehung des Normalarbeitsverhältnisses

Die erweiterten Arbeitnehmerrechte und der Angriff der Neoliberalen

Die Motoren des Wandels

Die veränderte Risikoverteilung im gegenwärtigen Kapitalismus

Probleme der Dienstleistungsökonomie

Auswirkungen der Informationstechnologie

Fazit: Die ambivalente Entwicklung des Normalarbeitsverhältnisses

3. Aufstieg, Niedergang und Fortbestand des Normalarbeitsverhältnisses

Die Entwicklung der Arbeitnehmerrechte

Kündigungsschutz

Gewerkschaftliche Interessenvertretung

Einkommenssichernde Maßnahmen, Sozialversicherung und Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit

Auswirkungen der Finanzkrise

Schlussfolgerungen

4. Neue Formen der Unsicherheit

Unterschiedliche Formen von Prekarität

»Ungewollte« Teilzeitarbeit

Befristete Beschäftigung

Arbeitskräfte in selbständiger Tätigkeit

Die Schattenwirtschaft

Das den Veränderungen zugrunde liegende Muster

Eine neue Spaltung des Arbeitsmarkts?

5. Ein neuer Ansatz zur Beschäftigungssicherheit

Das Arbeitsplatzangebot von morgen

Aktive Arbeitsmarktpolitik und »Flexicurity«

Gute Beschäftigungsbedingungen schaffen

Eine Sozialversicherung auf Grundlage der »Nutzung menschlicher Arbeitskraft«

Beitragsnachlässe innerhalb der Versicherungspflicht

Sozialversicherungsbeiträge der Versicherten

Umfang des Versicherungsfonds

Arbeitnehmervertretung

Das Machtverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer neu ausbalancieren

Bibliografie

Abkürzungsverzeichnis

Danksagung

Ich danke Joan Crouch für ihre Hilfe in Bezug auf das gesamte Buch und Mark Freedland für seine Unterstützung bei juristischen Aspekten. Für etwaige Mängel des vorliegenden Endprodukts bin ich ganz allein verantwortlich.

1. Der Aufstieg prekärer Arbeit

Mit dem Tod eines dreiundfünfzigjährigen Paketzustellers, der im Süden Englands für das Logistikunternehmen DPD arbeitete, trat die dunkle Seite der sogenannten Gig Economy im Januar 2018 ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Der Mann war kein Angestellter, sondern seit neunzehn Jahren als selbständiger Subunternehmer für DPD tätig. Er starb an einem diabetischen Koma, nachdem er mehrere Arzttermine versäumt hatte – noch am Tag zuvor hatte DPD ihm eine Strafe in Höhe von 150 Pfund aufgebrummt, weil er seine Zustellquote aufgrund eines Arztbesuchs nicht erfüllt hatte. Im Kielwasser der Aufregung, die die Umstände seines Todes auslösten, änderte DPD zwar seine Politik gegenüber den Arztterminen der Arbeitskräfte – doch blieben alle grundlegenden Fragen unbeantwortet, die sich stellen, wenn ein Unternehmen Arbeitskräfte beschäftigt, die es nicht als Arbeitnehmer ansieht und denen gegenüber es sich auch nicht als Arbeitgeber mit den entsprechenden Pflichten betrachtet, obgleich es offensichtlich Strafen gegen sie verhängen kann, um sie zu disziplinieren. Die Idee eines derartigen Verhältnisses von Unternehmen und Arbeitskraft ist das grundlegende Konzept von Jobplattformen.

Das Problem ist alles andere als marginal. Viele neoliberale Politiker halten plattformvermittelte Jobs für die ideale Beschäftigungsform, die die überkommenen Anstellungsverhältnisse mit ihrer kostentreibenden Unbeweglichkeit in naher Zukunft ablösen könne. Unternehmen gewännen ein Höchstmaß an Flexibilität, wenn sie »selbständige« Arbeitskräfte ausschließlich nach Bedarf und für spezifische Aufgaben beschäftigten und entlohnten. Sie sparen sich damit nicht nur Sozialversicherungsabgaben, sondern können auch den Mindestlohn und zahlreiche andere Verpflichtungen umgehen, die ihnen das sogenannte Normalarbeitsverhältnis zuweist. Die Arbeitskräfte wiederum genössen unternehmerische Freiheit, da sie sich ihre Auftraggeber und Arbeitszeiten selbst aussuchen könnten. Nach dem Tod des zuckerkranken Kurierfahrers machte DPD seinen Zustellern das Angebot, zukünftig als Festangestellte mit Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld und Betriebsrente arbeiten zu können, wofür sie allerdings Lohneinbußen in Kauf nehmen müssten. Auf diese Weise, so wird behauptet, kommen auch Arbeitskräfte in den Genuss des höchsten Guts eines kapitalistischen Wirtschaftssystems: der Wahlfreiheit.

Doch werden Arbeitskräfte, deren ökonomische Verhältnisse es nicht einmal erlauben, dass sie sich für einen Krankenhaustermin freinehmen, wirklich bereit sein, auf bares Geld zu verzichten, um sich einen Anspruch auf Krankengeld und eine Betriebsrente in ferner Zukunft zu sichern? Allgemeiner gefragt: Kann man von jemandem, der oder die in Vollzeit für ein Unternehmen arbeitet, wirklich behaupten, er oder sie erfreue sich der Freiheit eines Selbständigen? Und wie ist es möglich, dass ein Unternehmen, das Tausende Menschen als Paketzusteller beschäftigt, nicht deren Arbeitgeber ist? Die heraufdämmernde schöne neue Welt der flexiblen Arbeitsverträge ist randvoll mit linguistischen und juristischen Unklarheiten dieser Art. Unternehmen wie die weltweit agierende Firma Uber, die die Erbringung von Fahrdienstleistungen über das Internet vermittelt, nehmen für sich in Anspruch, lediglich eine »Plattform« zur Verfügung zu stellen, was für sich genommen kein Arbeitgeber-Arbeitnehmerinnen-Verhältnis begründe. Wenn sie es geschickt anstellen, können sie ebenfalls von sich sagen, dass sie nicht einmal über eine geografisch eindeutig verortbare Niederlassung auf diesem Planeten verfügen und ihre gesamten Profite in der für sie günstigsten Jurisdiktion versteuern. Und weil das Internet Inbegriff des Neuen und Pionierhaften ist, zieht jeder, der ihre Praktiken zu kritisieren wagt, den Vorwurf auf sich, ein Hemmschuh des Fortschritts zu sein.

Dabei ist schon der Begriff »Gig Economy« eine Täuschung. Er spielt auf den »Gig« an, das Engagement eines Unterhaltungskünstlers, der an ständig wechselnden Orten auftritt, ohne langfristige Verträge mit örtlichen Veranstaltern zu haben. Unterhaltungskünstler jedoch sind immer schon Selbständige, »Freiberufler« gewesen: Sie bewegen sich in der Tat auf einem freien Markt und sind für verschiedene Auftraggeber tätig, ohne zu einem von ihnen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu stehen. Etwas völlig anderes ist die Situation von Menschen, die jeden Tag Pakete für ein (im Ausnahmefall vielleicht zwei) Großunternehmen ausliefern, von dem sie hinsichtlich ihres Lebensunterhalts vollständig abhängig sind und das ihnen die Arbeitszeiten ohne Weiteres diktieren kann und das auch tut. Einen solchen Zustand mit den »Gigs« von Musikern gleichzusetzen, gleicht eher dem zynischen Manöver, eine prekäre Beschäftigungsform mit der Romantik des Entertainmentgewerbes aufzuhübschen, als einem ernsthaften Versuch, eine neue Art Arbeitsverhältnis zu beschreiben.

Allerdings ist zweifelhaft, ob Jobplattformen tatsächlich derart wichtig sind, wie ihre Verfechter (etwa Annabel Denham [2018] in ihrem Artikel »The Gig economy is the future and women can lead the charge«, sinngemäß: »Jobplattformen bestimmen die Zukunft und Frauen können dabei die Führung übernehmen«) überschwenglich behaupten. Schätzungen der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institution zufolge verzeichnen die sich als »Vermittler von Dienstleistungen« verstehenden Jobplattformen zwar ein höheres Umsatzwachstum als Firmen mit richtigen Angestellten (zwischen 2010 und 2014 wuchsen sie etwa im Bereich der Personenbeförderung in US-amerikanischen Großstädten um 69 Prozent, klassische Arbeitgeber hingegen nur um 17 Prozent), stehen aber dennoch lediglich für 3 Prozent des Gesamtumsatzes der amerikanischen Wirtschaft (Hathaway und Muro 2016). Laut einer Studie des McKinsey Global Institute (2016) gehen in Europa und den USA bis zu 162 Millionen Menschen, also 20 bis 30 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung, einer »unabhängigen Beschäftigung« (»independent work«) nach – aber das ist, auch wenn im Titel der Studie der Begriff »Gig Economy« vorkommt, eine weit umfassendere Kategorie, unter die auch herkömmliche Selbständige und Freiberufler fallen. Trotzdem erscheint die Zahl angesichts des allgemeinen Rückgangs der Selbständigkeit in fortgeschrittenen Ökonomien, unter denen lediglich Griechenland und Spanien Anteile wie die von McKinsey behaupteten aufweisen, sehr hoch. Das ist vermutlich auf eine Überschneidung mit der (illegalen) Schattenwirtschaft zurückzuführen, in der die Beschäftigten natürlich ebenfalls nicht über den Status von Festangestellten verfügen. Außerdem sind laut der Studie etwa 40 Prozent dieser »unabhängigen Arbeitskräfte« nur »gelegentlich« tätig, bestreiten also nur einen kleineren Teil ihres Lebensunterhalts mit Erwerbsarbeit, weil es sich in der Hauptsache etwa um Studenten oder Rentnerinnen handelt, die nach den Regeln behördlicher Erhebungen »dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen«. Mit diesen Gruppen kommen wir zwar den vom McKinsey Institute genannten Zahlen näher, doch können gelegentlich jobbende Studentinnen und Rentner kaum als die endlich von den Fesseln der Festanstellung befreiten Entrepreneure einer neuen Epoche gelten.

Der Studie zufolge gehen 30 Prozent der unabhängigen Arbeitnehmerinnen dieser Form der Beschäftigung aus freien Stücken als Hauptbeschäftigung nach, während 14 Prozent dies »widerstrebend« tun, da sie lieber festangestellt wären, und weitere 16 Prozent diese Arbeit nur machen, weil sie »mittellos« sind. Der Anteil der Beschäftigten, die mit ihrer Tätigkeit in der Gig-Ökonomie zufrieden sind, lässt sich aus der Studie nicht ablesen. Dennoch ist klar, dass nicht alle »Gig-Jobber« diese Art der Arbeit uneingeschränkt bejahen. Der im Auftrag der britischen Regierung entstandene Taylor-Review über die Arbeitsbedingungen in der – von den Autoren grundsätzlich positiv bewerteten – Gig-Ökonomie konstatiert, dass sich lediglich 25 Prozent der 16- bis 30-jährigen Briten eine Beschäftigung innerhalb derselben vorstellen könnten (Taylor 2017, S. 28). Anhand eines anderen Ansatzes und aus einer eher kritischen Perspektive kam eine öffentlich-rechtliche EU-Agentur, die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound), zu dem Ergebnis, dass 17 Prozent aller formell selbständigen Arbeitnehmer in der EU aufgrund ihrer Tätigkeit für lediglich einen Auftraggeber »gefährdet« seien und weitere 8 Prozent praktisch keine oder nur geringe Unabhängigkeit genössen (Eurofound 2015).

Weitere Belege für den derzeit noch eher geringen Umfang der Gig-Wirtschaft werde ich im vierten Kapitel vorlegen. Es liegt auf der Hand, warum ihre Befürworter sie großreden wollen und ihren verheißungsvollen Zusammenhang mit dem Internet beschwören: Sie verschafft Arbeitgebern etwas, das es woanders nicht gibt, nämlich Arbeitnehmer, die der Autorität des Unternehmens vollkommen unterworfen sind, ohne dass dieses ihnen gegenüber auch nur die geringste Verantwortung übernehmen muss.

Dabei ist die Jobplattform nur eine der Formen, die der weit umfassendere Versuch von Unternehmen, neoliberalen Theoretikern und Politikerinnen annehmen kann, die Arbeitgeber von der Verantwortung für die von ihnen Beschäftigten zu befreien und zugleich deren Abhängigkeit von ihnen beizubehalten, wenn nicht gar zu verschärfen. Der angemessene Begriff für die Situation solcher Arbeitnehmer lautet »prekär« (Freedland 2016). Eine bei Arbeitgebern sehr beliebte Form ist die auch als »Null-Stunden-Vertrag« bekannte Beschäftigung auf Abruf, bei der Arbeitskräfte über längere Zeiträume in Bereitschaft stehen und kurzfristig »abrufbar« sein müssen, so dass sie weder einer anderen Arbeit nachgehen können noch wirklich Freizeit haben – und dennoch nur dann einen Lohn erhalten, wenn der Arbeitgeber sie tatsächlich benötigt. Nach einer Schätzung des Office for National Statistics (2017) arbeiten im Vereinigten Königreich um die 900 ‌000 Menschen unter solchen Bedingungen, wobei 28 Prozent von ihnen Studierende sind. Etwas Ähnliches sind die in Deutschland als »Mini-« bzw. »Midijobs« bezeichneten »geringfügigen« Beschäftigungen, bei denen die Arbeitnehmer nur wenige Stunden in der Woche zu sehr niedrigen Löhnen arbeiten, ohne dass damit Ansprüche auf Arbeitslosen- oder Krankenversicherung einhergingen. Daneben gibt es befristete Anstellungen, die regelmäßig auslaufen, bevor die Arbeitnehmer ein Anrecht auf dauerhafte Weiterbeschäftigung bzw. Festanstellung erwerben. Solche Verträge werden vor allem dort gerne abgeschlossen, wo Festangestellte erheblichen rechtlichen Schutz genießen; deshalb spielen sie in Ländern wie Großbritannien oder den USA, in denen die Rechte unbefristet Festangestellter ohnehin begrenzt sind, eine weit geringere Rolle. Und schließlich gibt es da noch die dunklen Bereiche der Schwarzarbeit, die ohnehin nicht Gegenstand rechtsgültiger Verträge sein kann.

Oft heißt es, die Zunahme dieser Form der Beschäftigung fördere eine »Spaltung« der Arbeitsmärkte, eine Teilung zwischen denen, die die uneingeschränkte Sicherheit des Normalarbeitsverhältnisses genießen, und denen, die prekären Verhältnissen anheimgegeben sind. Da ist einiges dran, und wir werden uns im vierten Kapitel näher damit befassen. Andererseits kann es sich aber auch um ein verbales Manöver handeln, mit dem man in den gegenwärtigen beschäftigungspolitischen Debatten mäßig oder schlecht bezahlte Angestellte mit Festverträgen als »privilegiert« stigmatisieren und die Prekären auf diese Weise ermutigen will, in ihnen Feinde zu sehen. So hat Maria Chiara Morandini (2017) gezeigt, dass zumindest in Italien nicht nur Manager, sondern eben auch prekär Beschäftigte und Arbeitslose eine Deregulierung des Arbeitsmarkts befürworten. Jedenfalls sind in den meisten wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern die Rechte der unbefristet Festangestellten stetig abgebaut worden. Fundamentale Unsicherheit bestimmt heute fast überall die Lage arbeitender Menschen. Viele Stellen erfordern ein hohes Maß an Fähigkeiten, und Arbeitgeber wollen fähige Mitarbeiter in der Regel halten – genau darauf zielen herkömmliche Arbeitsverträge ab. Die Angehörigen des »Prekariats« (Standing 2009, 2011) jedoch verfügen zu großen Teilen weder über eine Berufsausbildung noch über Berufserfahrung, weil sich auf dem Arbeitsmarkt niemand darum bemüht, ihnen Fähigkeiten oder auch nur Erfahrung zu vermitteln. Die Unternehmen setzen sie regelmäßig vor die Tür, bevor sie die Erfahrungen und Kenntnisse erwerben können, die ihnen Anspruch auf beruflichen Aufstieg einbringen würden (Lichtenstein 2010). Auf diese Weise bleiben ihnen auch Rechte wie etwa der Mutterschutz vorenthalten. Mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit trifft das bei Immigranten zu, denen nicht selten selbst grundlegende bürgerliche Rechte vorenthalten werden und die das oft genug nicht einmal wissen.

Daher reichen die durch die Existenz von Jobplattformen aufgeworfenen Fragen über die Problematik der Arbeitsbedingungen von Paketzustellern, Taxifahrerinnen und Essenslieferanten hinaus. Sie führen tief in Kernbereiche des sich wandelnden Verhältnisses zwischen Anbietern und Nutzern menschlicher Arbeitskraft, umfassen mehr Aspekte der Prekarisierung als nur die Scheinselbständigkeit und beeinflussen natürlich auch die Situation von Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen. Mit diesem Buch unternehme ich den Versuch, Ausmaß und Reichweite unterschiedlicher Formen prekärer Arbeit zu bestimmen und ihre Entstehung und Bedeutung zu erklären; außerdem schlage ich Änderungen der Regulierung des Arbeitsmarkts vor. Hier müssen neue Wege beschritten werden, damit Arbeitnehmer über eine hinreichend verlässliche Lebensgrundlage verfügen, um ihre Zukunft planen, neue berufliche Fähigkeiten erwerben und mit einer sich wandelnden Wirtschaft und neuartigen Technologien Schritt halten zu können. Das richtet sich in keiner Weise gegen die Forderung nach mehr Flexibilität, Innovation und Unternehmergeist. Wie der Ökonom und Sozialreformer William Beveridge anmerkte, als er dem britischen Parlament im Zweiten Weltkrieg den nach ihm benannten »Beveridge-Plan« für sozialstaatliche Maßnahmen vorlegte (Beveridge 1942): Man kann von den Menschen nur dann erwarten, einen gesellschaftlichen Wandel zu begrüßen und an ihm mitzuarbeiten, wenn sie über ein hinreichendes Maß grundlegender Sicherheiten verfügen.

Die Antwort, die ich in diesem Buch auf die (den Titel der englischen Originalausgabe bildende) Frage gebe, ob sich die Gig Economy auf ganzer Linie durchsetzen wird, lautet kurzgefasst: Nein. Die Jobplattform wird nicht das Paradigma für die Arbeitsverhältnisse in der digitalisierten Ökonomie der Zukunft werden. Allerdings könnten Unternehmen viele Dinge, die sie mittels Plattformen anstreben, auch durch andere Formen der Prekarisierung sowie durch politische Einflussnahme für den Abbau der Sicherheit herkömmlicher Beschäftigungsverhältnisse erreichen.

Alle aufgeführten Probleme fußen auf dem prinzipiellen Machtungleichgewicht im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Arbeitsvertrag soll einerseits eine Vereinbarung zweier gleichberechtigter Parteien sein, andererseits jedoch schreibt er eine ungleiche, auf Autorität hie und Gehorsam da basierende Beziehung fest. Dass Plattformjobs eine von ihrer realen ökonomischen Bedeutung nicht gerechtfertigte Prominenz erlangt haben, liegt hauptsächlich daran, dass sie dieses Machtungleichgewicht vollständig hinter dem sorgsam gepflegten Anschein von »Augenhöhe« verbergen. Im folgenden Kapitel werden wir uns näher mit dieser fundamentalen Ungleichheit und den verschiedenen Versuchen ihrer Abmilderung beschäftigen. Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts stand dabei die Idee im Vordergrund, das Ungleichgewicht der Vertragspartner zu mindern, indem man dem Arbeitnehmer bestimmte Rechte gegenüber dem Arbeitgeber zusprach. So kam es zur Herausbildung des Normalarbeitsverhältnisses, das Ersteren mit zahlreichen Rechten ausstattet. Seit dem Aufkommen des Neoliberalismus behaupten Unternehmerverbände und ihre politischen Verbündeten jedoch, Arbeitnehmerrechte stellten grundsätzlich ein Hemmnis für die ökonomische Effizienz dar und müssten deshalb abgebaut werden. Mit dieser These hatten sie, auch wenn sie sich nicht ganz und gar durchgesetzt haben, erheblichen Erfolg. Der gegenwärtige Stand der Auseinandersetzung spiegelt sich in den jüngsten Entwicklungen bezüglich des Normalarbeitsverhältnisses wider. Mit ihnen befassen wir uns im dritten Kapitel vor allem anhand statistischer Erhebungen zur Lage in den am weitesten fortgeschrittenen Industrieländern. Im vierten Kapitel versuchen wir auf derselben Grundlage, den Aufstieg der wichtigsten Formen prekärer Arbeit zu überblicken und zu bestimmen, ob tatsächlich eine Spaltung des Arbeitsmarkts stattfindet, die einen immer kleineren Kern gut abgesicherter, vor allem älterer Arbeitnehmer von einer wachsenden Menge prekarisierter Arbeitskräfte trennt. Abschließend entwickle ich im fünften Kapitel Vorschläge zur Reform des Arbeitsrechts, die eine Verminderung des Anteils prekärer Jobs und eine bessere Regulierung des Arbeitsmarkts bewirken sollen. Der wichtigste dieser Vorschläge betrifft eine Sozialversicherungsreform, die diese in eine Steuer umwandelt und nicht mehr auf der Verantwortung eines Arbeitgebers, sondern auf der Tatsache der Nutzung menschlicher Arbeitskraft beruht.