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John Steele

Ravenhill

Roman

Aus dem Englischen von Robert Brack
Herausgegeben von Wolfgang Franßen

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Copyright by John Steele 2017

First published by Silvertails Books in 2017

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2019

© 2019 Polar Verlag, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Christine Laudahn, Claudia Denker

ISBN: 978-3-945133-77-4

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© Belfast Tourist Info

Inhalt

Kapitel 1: 1993

Kapitel 2: Mittwoch

Kapitel 3: 1993

Kapitel 4: Donnerstag

Kapitel 5: 1993

Kapitel 6: Donnerstag

Kapitel 7: 1993

Kapitel 8: Donnerstag

Kapitel 9: 1993

Kapitel 10: Freitag

Kapitel 11: 1993

Kapitel 12: Freitag

Kapitel 13: 1993

Kapitel 14: Freitag

Kapitel 15: 1993

Kapitel 16: Freitag

Kapitel 17: 1993

Kapitel 18: Samstag

Kapitel 19: 1993

Kapitel 20: Samstag

Kapitel 21: 1993

Kapitel 22: Samstag

Kapitel 23: 1993

Kapitel 24: Samstag

Kapitel 25: 1993

Kapitel 26: Samstag

Kapitel 27: 1993

Kapitel 28: Samstag

Kapitel 29: 1993

Kapitel 30: Sonntag

DANKSAGUNGEN

ANMERKUNG DES AUTORS

Anmerkungen zu »Ravenhill«

Kapitel 1

1993

Stephen Armstrong hatte sich immer für einen anständigen Kerl gehalten. Die Einsicht, von einem Geheimnis zu wissen, das ihn sein Leben kosten könnte, überraschte ihn daher ziemlich. Er grübelte gerade darüber nach, als Archie Sinclair die Stimme hob, um das Radio zu übertönen.

»Während einer Ermittlung auf einem Friedhof in West Belfast heute am späten Vormittag wurde ein als Grab getarntes Waffenlager entdeckt. Die Polizei erklärte, bei den gefundenen Waffen handele es sich unter anderem um eine abgesägte Schrotflinte, zwei Handfeuerwaffen und ein automatisches Gewehr.«

»Das war einfach grandios, als der Typ sich in Metall verwandelt hat und all das. Ich sag dir, in Zukunft wird es vor allem Comic- Verfilmungen geben.«

Stephen blickte durch das Schaufenster von East-End-Video auf den vorbeiströmenden Feierabendverkehr und hinüber zum Ormeau Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es war ein schöner Nachmittag im Februar und noch immer nicht dunkel, dabei war es schon beinahe halb fünf. Schmale Lichtstreifen fielen durch die kahlen Bäume und warfen ein blassgoldenes Streifenmuster auf die Spazierwege.

»Der war eindeutig besser als dieser andere Film, den du mir empfohlen hast. Ich interessiere mich eigentlich nicht für Science-Fiction, aber wenn Arnie mitspielt, kann’s eigentlich nicht schlecht sein, oder?«

»Die Polizei ermittelt im Fall einer Schießerei in einer Taxi-Firma an der unteren Newtownards Road in East Belfast, die sich heute Nachmittag ereignet hat.«

Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte Stephen hinter den Baumwipfeln das Ashby-Hochhaus der Queen’s University an der Stranmillis Road erkennen. Er fragte sich, ob Donal vielleicht dort herumhing und in der Studenten-Cafeteria einen Espresso trank. Donal hatte gestern Abend erwähnt, er würde Maschinenbau oder etwas in der Art studieren, und Stephen hatte so eine Ahnung, dass der Fachbereich sich im Ashby-Gebäude befinden könnte. Auch wenn er noch nie in seinem Leben eine Universität betreten hatte.

»In der vergangenen Nacht wurden im Market Quarter Schüsse auf einen katholischen Mann abgegeben. Er wurde am Kopf getroffen und starb wenig später im Krankenhaus. Die Kriminalpolizei vermutet, dass die Ulster Volunteer Force für den Anschlag verantwortlich ist …«

»Wee Minty behauptet, der Typ, der den Bösen spielt, soll angeblich schwul sein, aber ich meine, dass ist totaler Schwachsinn. Der ist doch viel zu brutal für einen Homo.«

Oje, wenn du wüsstest, dachte Stephen. Tag für Tag saß er hier auf diesem hohen Hocker hinter dem Tresen des Videoverleihs und wurde von allen als harter Bursche angesehen. Er war groß und ziemlich kräftig, hatte im Laufe der Jahre einige handfeste Auseinandersetzungen durchgefochten und hübsche Narben davongetragen.

Stephen war mit Männern zur Schule gegangen, die Verbindungen zu den Loyalisten hatten. Mit Männern also, die solche Anschläge guthießen, von denen gerade im Radio berichtet wurde. Männer, die nicht die leiseste Ahnung davon hatten, dass Stephen hundertprozentig schwul war und sehr zufrieden damit. Wenn sie davon Wind bekämen, würde sein Laden garantiert nicht länger von den Schutzgeldzahlungen ausgenommen werden, die andere hier in der Straße leisten mussten. Außerdem würde man ihn in seiner Stammkneipe bestimmt nicht mehr fragen, ob er sich nicht einer der paramilitärischen Einheiten anschließen wollte. Er hatte derartige Angebote immer ausgeschlagen, ohne groß darüber nachzudenken, aber die Reaktion seines jeweiligen Gegenübers war jedes Mal schwer vorhersehbar gewesen und hatte immer irgendwo zwischen freundschaftlich und aggressiv gelegen. Schließlich mied er seine Stammkneipe und besuchte lieber eins der anderen Lokale an der unteren Ravenhill Road oder My Lady’s Road, bloß um sich diesen Blödsinn vom Leib zu halten. Aber in jeder Bar saß einer von denen herum und suchte nach jungen Kerlen, die bereit waren, für Gott und Ulster in den Krieg zu ziehen.

»… der Mann hatte eine protestantische Freundin in der Lisburn Road. Die Polizei vermutet, dass dies der Grund für seine Ermordung sein könnte.«

Diese Männer ahnten ja nicht, dass Stephen heute Morgen im Bett eines sechsundzwanzigjährigen Studenten aufgewacht war. Ein sehr attraktiver, sehr männlicher, sehr katholischer Student aus Warrenpoint, der Donal hieß und zurzeit in Belfast auf die Uni ging. Für Stephen war es Liebe auf den ersten Blick gewesen.

»Der arme Kerl, bloß weil er katholisch war. Und seine Freundin tut mir auch leid«, sagte Archie.

Archie hatte keinen blassen Schimmer von Stephens Sexleben. Aber Archie hatte von vielen Dingen nicht den geringsten Schimmer. Er war mit sechzehn von der Schule abgegangen ohne irgendeinen Abschluss in der Tasche. Und jetzt, mit einunddreißig, war er gerade mal eine Woche älter als Stephen und arbeitslos. Jedenfalls im formalen Sinn. Archie war so etwas wie der stille Teilhaber dieses Videoverleihs und holte alle vierzehn Tage pünktlich und gewissenhaft seine Arbeitslosenunterstützung ab. Falls irgendein übereifriger Staatsbeamter ihn hier hinterm Tresen neben Stephen herumlungern sah, würde er behaupten, er sei bloß gekommen, um seinem Kumpel Gesellschaft zu leisten.

Stephen und Archie waren tatsächlich Freunde. Archies Vater war Seemann bei der Handelsmarine gewesen und hatte die Familie verlassen, als sein Sohn noch klein war. Von ihm hatte Archie seinen schmächtigen Wuchs geerbt. Er war eine einfache Seele und immer zu klein für sein Alter gewesen, weshalb er in der Schule ständig herumgeschubst wurde. Einige der Schlägereien, in die Stephen während seiner Teenagerzeit geraten war, hatten dazu gedient, Archie zu verteidigen. Einer seiner frühesten Gegner war inzwischen ein wichtiger lokaler Vertreter der UDA.

»Ja, es hört einfach nie auf«, sagte Stephen.

Archie kratzte sich an seiner gebrochenen Nase, dem prägnantesten Aspekt seines sonst eher tumben Gesichts. »Ich hab neulich abends den Film gesehen, in dem dein Typ auftritt.«

»Mein Typ?«

»Von dem du geredet hast, der mit der Schauspielerei aufgehört hat und Boxer wurde. Der hat in diesem heißen Film gespielt, zusammen mit dieser Tussi, dieser Basinger. Du hast mir mal ’nen anderen Film von ihm geliehen, irgendwas mit ›A Prayer‹ oder so.«

»Ach den Typen meinst du.«

»Totaler Scheißfilm. Handelt von einem IRA-Mann, verstehst du? Da spielt er die Hauptrolle, ist aber total schlecht drauf, weil er bei einem Bombenanschlag aus Versehen eine Menge Kinder umgebracht hat. Und dann wird er den ganzen Film lang als beschissenes Opfer gezeigt. Und wir sollen auch noch Mitleid mit ihm haben.«

»Ts-ts«, machte Stephen. »Aber die Yankees sehen das vielleicht wirklich so.«

Jetzt trat eine Kundin an den Tresen, Diane Hunter. In der Hand hielt sie eine Kassette mit einer Beziehungskomödie.

Archie redete weiter: »Und er hat den Akzent nicht hingekriegt. Er klang total behindert, als wäre er leicht betrunken oder so. Schätze, die Amerikaner denken sowieso, dass wir alle ständig besoffen sind.«

Diane schaltete sich ein: »Meinst du den Film über die IRA, wo dieser Typ mitspielt? Dieser Boxer?«

Stephen und Archie antworteten wie aus einem Mund: »Ja, genau.«

»Mein Cousin ist Bulle, wisst ihr. Und wenn ein Schauspieler oder so herkommt, um zu recherchieren, dann muss die Polizei ihn mit einem Land Rover durch Belfast eskortieren. Mein Cousin ist am Donegal Pass stationiert und soll also diesen Typen herumführen, und sie fahren die Sandy Row hoch. Dort sind überall Union Jacks und Parolen von der UVF an den Mauern zu sehen. Und der Typ fragt: ›Wieso sind da überall diese britischen Malereien an den Wänden?‹ Und mein Cousin erklärt ihm ganz höflich: ›Das hier ist eine protestantische Gegend, die Leute hier wollen im Vereinigten Königreich bleiben.‹ Darauf der Typ: ›Ich wusste gar nicht, dass es Protestanten in Irland gibt!‹ So ein Vollidiot.«

»Schade, dass dein Cousin ihm nicht den korrekten Akzent beigebracht hat«, sagte Archie.

Diane wandte sich wieder den Regalen zu, wo zwei ungefähr acht Jahre alte Mädchen sich gerade die grellbunten Cover in der Zeichentrickabteilung anschauten. Archie folgte ihrem Blick. Sein Bein fing an zu zucken und schlug rhythmisch gegen den Hocker. Er fummelte an seiner Zigarettenschachtel herum und sein Gesichtsausdruck wechselte mehrfach zwischen Panik, Verwunderung und Verwirrung.

Die Mädchen kicherten und zogen hastig Videokassetten heraus und stellten sie wieder ins Regal.

»Jane, reiß dich zusammen und beeil dich«, sagte Diane. »Wir müssen nach Hause zum Tee. Und du auch, Becky Breslin, du sollst spätestens um sechs zu Hause sein, hat deine Mutter gesagt.«

Sie musste nicht besonders laut sprechen. Der Laden bestand aus mehreren Räumen, die ursprünglich zum Wohnen gedacht waren. Das Haus war eins der vielen identisch aussehenden Reihenhäuser aus Backstein, die die Ravenhill Road säumten, in Reih und Glied wie Soldaten. Das obere Geschoss war verschlossen und leer.

Jane und Becky ließen enttäuscht die Köpfe hängen und schlurften zum Tresen. Jane besaß die gleichen widerspenstigen pfirsichfarbenen Locken wie ihre Mutter, aber den rosigen Kirschmund und die großen blauen Augen hatte sie von ihrem Vater geerbt. Archies Bein zuckte immer heftiger. Sein kleiner Mund spannte sich an.

»Wie alt ist Jane denn jetzt?«, fragte Stephen mit einem Seitenblick auf Archie, der sich schlagartig in den Text auf der Kassette eines Actionfilms vertiefte.

Diane legte ihrer Tochter einen Arm um die Schulter und drückte sie stolz an sich.

»Sie ist fast acht. Nächsten Monat hat sie Geburtstag. Stimmt’s, Liebling?«

Jane nickte. Archie hustete.

Archie und Diane waren kurze Zeit mal zusammen gewesen. Es hatte nicht lange gehalten, aber sie waren im Guten auseinandergegangen. Das musste jetzt ungefähr acht Jahre her sein. Diane zog Jane allein auf, wie viele Mütter in dieser Gegend. Allerdings war sie älter als die meisten anderen. Sie hatte nie jemandem erzählt, wer Janes Vater war. Stephen und Archie hatten ein bisschen herumgerechnet und hätten darauf gewettet, dass es Archie sein musste.

Stephen wandte sich an das Mädchen: »Die Schöne und das Biest ist ein guter Film. Hab ich recht, Archie?«

Archie sah aus, als hätte er Bauchschmerzen und spähte verängstigt über den Tresen wie ein kleiner Junge.

»Ja, klar, das ist ein guter Film, Jane.« Er warf Diane einen bedeutungsvollen Blick zu und wandte sich wieder an das Mädchen. »Wenn du ihn ausleihst, darfst du ihn zwei Tage behalten. Vielleicht kann ich ja vorbeikommen und ihn mit dir zusammen anschauen, natürlich nur wenn du Lust hast.«

Diane reagierte auf diesen Vorschlag mit peinlich genau abgemessener Gleichgültigkeit. »Das würde mir auch ganz gut passen. Dann könnte ich mal einen Abend mit Sharon ausgehen. Was hältst du davon, Jane?«

Das Mädchen schaute sich die Videohülle noch mal an und sagte: »Ja, das wäre nett.« Ganz leise, aber sie lächelte dabei.

Mark Wilson lächelte ebenfalls. Er befand sich in der Abteilung für Kriegsfilme und Western und warf seinem Freund Danny Gourling einen Blick zu. Sie standen vor einem Regal mit Filmklassikern über den Zweiten Weltkrieg, die Hände in den Taschen, rein zufällig, wenn man so will. Auf den Regalbrettern ganz oben über den Kriegsfilmen standen Filme mit weitaus exotischeren Titeln.

Sie hielten die Köpfe so, dass sie in einer Höhe mit John Wayne und James Coburn waren, und starrten ein Cover an, auf dem sich eine Blondine mit monströser Oberweite und ausgestrecktem Hintern auf einer Harley-Davidson räkelte und sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, als hätte sie großen Durst. Marks Eltern waren für ein paar Tage nach Schottland gereist, um Verwandte zu besuchen. Da er schon sechzehn war, hatte niemand etwas dagegen, wenn er allein zu Hause blieb. Nur dass er nicht lange allein bleiben würde. Sieben seiner Kumpels aus der Schule, darunter auch Danny, würden ihm Gesellschaft leisten. Mark hatte deshalb seinen älteren Cousin bestochen, für ihn in den Alkoholladen zu gehen, um Bier und ein paar Schachteln Zigaretten zu besorgen. Nun fehlte nur noch der passende Unterhaltungsfilm für einen gelungenen Abend.

Mark und Danny waren nicht allein. Ein großer Mann, wahrscheinlich Mitte zwanzig, mit dunklen Bartstoppeln, stand nicht weit entfernt von ihnen. Im Gegensatz zu ihnen schaute er sich das nackte Fleisch unverhohlen an und blickte gelegentlich auf seine Uhr. Er trug eine blaue Baseballmütze, dazu eine Lederjacke und kaute schmatzend auf einem Kaugummi herum. Er merkte, dass die Jungs ihn anstarrten und erwiderte ihren Blick, ohne den Kopf auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Dann zwinkerte er ihnen zu und fuhr fort, die Pornos durchzusehen.

Mark und Danny tauschten Blicke aus und kicherten. Sie kannten den Mann nicht, aber es war durchaus üblich, dass Leute, die im oberen Teil der Straße wohnten, hinter dem Ormeau Park und den anliegenden Golfplätzen, sich hier bei East-End-Video unters gemeine Volk mischten. Es gab nun mal keinen zweiten Videoverleih in der Straße und die an der Castlereagh oder Newtownards Road waren nicht so leicht zu erreichen wie dieser.

Stephen wurde auf das Kichern der Jungs aufmerksam und beobachtete sie von seinem Platz hinterm Tresen neben dem Ladeneingang. Als die beiden es merkten, bemühten sie sich, ihr Grinsen zu unterdrücken. Sie mochten Stephen. Er wurde in der Nachbarschaft geschätzt und behandelte sie wie Erwachsene. Wie Männer. Er war nie herablassend, sondern gab ihnen das Gefühl, auf gleicher Ebene zu stehen, wenn sie über Neuerscheinungen oder Fußball oder diesen Schauspieler oder jenes Mädchen sprachen. Aber sie hatten noch nie zuvor versucht, einen von diesen Filmen auszuleihen. Um nicht den Eindruck zu erwecken, als wollten sie in seinem Laden irgendwelchen Unfug anstellen, mussten sie Stephen auf ihre Seite ziehen.

Der Mann neben ihnen drehte sich ebenfalls zu Stephen um. Er lächelte freundlich. Offen und ehrlich. Stephen erwiderte sein Lächeln.

Die Ladentür ging auf, das elektronische Klingeln ertönte, und das Lächeln des Mannes erstarb. Den Jungs kam es so vor, als würde sein Gesichtsausdruck sich schlagartig verhärten oder wie bei einem Standbild einfrieren. Anstatt sich wieder den Videos zuzuwenden, steckte er eine Hand in seine Jackentasche.

Zwei Mädchen in Schuluniform betraten den Laden, und die Jungs mussten sich geschlagen geben. Ihre Jagd nach Pornos war damit beendet. Die Mädchen, Sharon Montgomery und Kim Clarke, gingen auf ihre Schule und waren eine Klasse unter ihnen. Beide waren, wie Mark zugeben musste, ziemlich hübsch. Vor allem Kim, die älter und erwachsener wirkte als ihre Klassenkameradinnen.

Die Anspannung des Mannes in der Lederjacke schien sich etwas zu lösen, aber die Jungs spürten deutlich seine Nervosität. Noch immer hatte er die eine Hand in seiner Jackentasche verborgen. Kim tätschelte kurz Janes und Beckys Kopf. Ihr langes schwarzes Haar umrahmte ihr markantes Gesicht, als hätte sie einen Schal umgelegt. Sharon tauschte einen kurzen Gruß mit Diane aus. Dann gingen die Mädchen auf die Jungs zu.

Die Ladenklingel ertönte erneut.

Sharon begrüßte die Jungs: »He, hallo, ihr beiden.« Ein zweiter Mann in Bomberjacke und schwarzen Jeans betrat den Laden. Er trug eine Sporttasche und warf dem Mann in der Lederjacke einen vielsagenden Blick zu, den dieser erwiderte. Sie nickten einander zu – ein verabredetes Zeichen. Der Mann in der Lederjacke drehte sich daraufhin wieder zum Regal. In der Drehung straffte sich seine Jacke derart, dass seine Hand ein Stück zu weit aus der Tasche rutschte. Mark erkannte etwas Schwarzes, Metallisches darin. Das Ding schien schwer zu sein. Der Junge dachte bei sich, dass er solche Szenen bisher nur aus Filmen kannte, nicht aber aus dem wahren Leben.

Auch Stephen hatte den schwarzen Pistolengriff in der Hand des Mannes bemerkt, der sich deutlich von dessen weißen Knöcheln abgezeichnet hatte. Hastig drehte sich der Lederjacken-Typ wieder um und fixierte Stephen. Er begriff sofort, dass dieser das Ding in seiner Hand gesehen hatte. »Fuck!«, entfuhr es ihm. Er zog die Waffe ganz aus der Tasche und legte den Finger um den Abzug. Stephen rutschte von seinem Hocker. Diane nahm Jane die Videokassette aus der Hand. Das hübsche kleine Mädchen schenkte Archie ein scheues Lächeln. Becky betrachtete etwas an ihren Fingern und nagte an einer Strähne ihres gelockten Haars. Über Sharons Gesicht zuckte ein Ausdruck des Entsetzens, als sie sah, wie der Mann seine Pistole auf Stephen richtete. Kim warf Danny einen bedeutungsvollen warmen Blick aus ihren haselnussfarbenen Augen zu. Danny war, genau wie sie, völlig abwesend und erwiderte ihren Blick mit einem linkischen Grinsen.

Der Mann mit der Tasche starrte den Mann mit der Pistole an und fluchte ebenfalls: »Scheiße!«

Der Mann mit der Pistole rief: »Ganz ruhig bleiben! Keiner bewegt sich!«

Der Mann mit der Tasche sagte: »Die Operation ist gestorben. Wir müssen abbrechen.«

Es gab einen Blitz, als die Sporttasche in der Hand des Mannes plötzlich explodierte und er praktisch in der Mitte entzweigerissen wurde. Die Explosion jagte durch den ganzen Laden, durch Stephen, Archie, Jane, Kate und Becky, bevor sie den Mann mit der Waffe, Mark und Danny erfasste. Die grellweiße Hitzewelle verschluckte auch Sharon und Kim und brachte die Decke zum Einsturz.

In wenigen Sekunden waren sie alle tot.

Elf Todesopfer bei Bombenexplosion an der Ravenhill Road

Versuchter Bombenanschlag der IRA auf die UDA reißt Unschuldige in den Tod

Von Jim Bryson

Am gestrigen Nachmittag explodierte im East-End-Videoverleih an der Ravenhill Road eine Brandbombe und tötete neun Zivilisten und zwei Angehörige der Provisorischen IRA. Vier der Opfer waren Schüler der Sekundarstufe, zwei waren acht Jahre alt.

Nach Informationen aus zuverlässigen Quellen gingen die IRA-Terroristen fälschlicherweise davon aus, dass in den Räumen über dem Videoverleih ein Treffen der loyalistischen paramilitärischen Organisation Ulster Defence Association stattfinden sollte. Die Räume im ersten Stock des Gebäudes waren unbewohnt. Beamte der Royal Ulster Constabulary vermuten, dass die Brandbombe vorzeitig zur Explosion gebracht wurde.

Unter den Getöteten sind auch Stephen Armstrong, der Besitzer des Ladens und sein Freund Archie Sinclair. Keiner der beiden war Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Kim Clarke und Sharon Montgomery (beide 15), Mark Wilson und Danny Gourling (16 und 17, Diane Hunter und ihre Tochter Jane Hunter (8) sowie ihre Freundin Becky (8) wurden getötet, als die Bombe explodierte. Die Identität der Attentäter konnte noch nicht festgestellt werden, allerdings hat die Irisch-Republikanische Armee die Verantwortung für den Anschlag übernommen.

Der Bombenanschlag hat die Bewohner dieses Teils der Ravenhill Road zutiefst verstört. Alle politischen Parteien haben den Anschlag verurteilt, mit Ausnahme von Sinn Fein, die eine Kommentierung des Ereignisses zu diesem Zeitpunkt abgelehnt hat.

Die Kriminalbeamten der RUC-Reviere Willowfield und Castlereagh fordern mögliche Tatzeugen auf, sich zu melden und, falls erforderlich, ihre Aussagen anonymisiert über die Confidential Telephone Line zu übermitteln. Der Chief Constable ruft zu Ruhe und Besonnenheit auf und warnt die loyalistischen Gruppen vor Vergeltungsmaßnahmen.

Kapitel 2

Mittwoch

Jackie Shaw umklammert die Lehnen seines direkt am Gang gelegenen Sitzplatzes im Airbus A319, als das Flugzeug über der grauen, aufgewühlten Irischen See in die Querlage geht. Er betet darum, nicht ausgerechnet heute sterben zu müssen. Unzählige Male schon hat er Gott gebeten, ihn zu verschonen, so wie jetzt. Und das, obwohl ihm vor den kommenden fünf Tagen graut. Ein Begräbnis pro Woche ist nun wirklich genug, auch wenn seine Schwester Sarah ihm wahrscheinlich keine Träne nachweinen würde. Er schaut aus dem Fenster zu seiner Linken, legt den Kopf nur minimal zur Seite, als fürchte er, die kleinste Bewegung könne das Flugzeug in den gierigen Meeresschlund abstürzen lassen.

Die Frau neben ihm, eine attraktive Blondine Mitte dreißig, schenkt ihm ein mitleidvolles Lächeln. Das hilft ihm zwar nicht sonderlich, aber die Aufmerksamkeit einer hübschen Frau ist allemal ein Gewinn.

Er ist ein freundlich dreinblickender Mann mit dem kantigen Gesicht eines Menschen vom Land und dichtem Haar, das nur ganz dezent von hellen Strähnen durchzogen wird. Seine Statur ist kräftig, sein Bauch flach. Eher so der bäuerliche Typ, wie sein Vater zu sagen pflegte. Er trägt ein schlichtes T-Shirt, dazu Jeans und Stiefel.

Das Flugzeug fliegt nun über die trichterförmige Bucht des Belfast Lough auf das Industriegelände der Harland & Wolff-Werft zu, Richtung Hauptstadt. Der Trichter zwischen den Bergen wirkt wie ein Windkanal für die Küste der Countys Down und Antrim. Der A319 gerät erneut in eine Turbulenz und wird hin und her geworfen, als ob der Allmächtige sich vorgenommen hätte, die Passagiere noch mal besonders stark durchzuschütteln, so wie den Rest in einer fast ausgetrunkenen Flasche. Jackies T-Shirt ist im Rücken schweißnass. Er schließt die Augen.

»Ich mag Ihren Ring«, sagt die Blondine. »Der ist wirklich sehr hübsch.« Er öffnet die Augen und stellt fest, dass sie ihn mit einer besonderen Intensität anschaut. Eine Engländerin, wahrscheinlich aus den Midlands.

»Das ist ein Claddagh.« Er blickt auf seine Hände und stellt überrascht fest, dass er mit dem Daumen über das Schmuckstück reibt, das am Ringfinger seiner rechten Hand steckt. Der Blick der Frau wandert zu seiner Linken, an der er keinen Ring trägt.

»Er ist typisch irisch.« In seinen Ohren klingt es wie ein Tadel, was ihm leidtut. Beinahe entschuldigend fügt er hinzu: »Ich komme aus Belfast.«

Die Frau ist nicht so leicht zu entmutigen und lächelt ihn an. »Wer hätte das gedacht. Hat der Ring eine besondere Bedeutung? Ich finde, er sieht ganz schön symbolistisch aus.«

»Die Hände stehen für Freundschaft, die Krone für Loyalität und das Herz für die Liebe.« Er findet, dass er wie ein Museumsführer klingt. Um die Unterhaltung zu beenden, fügt er bedeutungsvoll hinzu: »Er ist ein Geschenk.«

Ihr Lächeln wirkt jetzt leicht gezwungen und sie senkt die Stimme: »Wie ich schon sagte, er ist wirklich sehr hübsch.«

Er folgt ihrem Blick, der sich nun der knotigen Narbe an seinem rechten Unterarm zugewandt hat. Sie sieht hässlich und schwielig aus und gab unter seinen Arbeitskollegen Anlass zu zahlreichen Mutmaßungen. Für jene, die sich noch an die Verhältnisse in seiner Heimatstadt während der Siebzigerjahre erinnerten, war sie auch ein Grund zur Vorsicht gewesen. Jackie legt den Kopf zurück und umklammert erneut die Stuhllehne. Die Frau wendet sich wieder von ihm ab und blickt aus dem Fenster.

Er kneift die Augen zu, beißt die Zähne zusammen, versucht gleichmäßig zu atmen. Das Flugzeug ruckelt immer noch hin und her wegen der heftigen Windböen, die über den Lough hinwegfegen. Er hört, wie die Triebwerke ächzen und stöhnen. An dieser überwältigenden Flugangst leidet er schon seit er Mitte zwanzig ist. Früher, als er noch jünger war, reiste er gern. Es war aufregend und führte ihn direkt ins Herz der Dinge. Wer ihn damals länger nicht gesehen hatte, ging davon aus, dass er bestimmt im Ausland unterwegs war, und fragte sich, was er wohl diesmal Spannendes unternahm.

Bekannte erkundigten sich bei seiner Mutter in der Kirche: »Habt ihr was von euerm Jackie gehört?«

Fragten seinen Vater auf dem Fußballplatz oder im Pub: »Wie geht’s denn euerm Jackie so?«

Er war immer stolz darauf gewesen, dass seinen Eltern so viel Aufmerksamkeit zuteilwurde. Sogar Sarah hatte ihn damals bewundert und beneidet. Heute jedoch hat er Angst, er könnte sterben, ohne vorher einige wichtige Dinge geklärt zu haben. Denn manches auf seinem persönlichen Konto steht noch im Soll. Seine Mutter ist jetzt schon seit vielen Jahren tot, sein Vater vor drei Tagen ebenfalls gestorben. Und seine Schwester hat genug mit sich selbst zu tun.

Schwerer noch wiegt, dass er in der Vergangenheit Fehler begangen hat. Fehler, die man nicht einfach entschuldigen kann. Er hat keine Albträume deswegen, ist nicht zum Alkoholiker geworden, schleppt im Alltag kein gigantisches Schuldgefühl mit sich herum. Aber wenn er fliegt, wenn sein Leben sich in der Hand eines Piloten befindet, den er nie gesehen hat – also in den Händen des Schicksals oder irgendeines Gottes, wie dem auch sei –, erinnert er sich daran, dass er Blut an den Händen hat. Und er möchte nicht sterben, bevor man ihm dafür die Absolution erteilt hat.

Das Flugzeug befindet sich nun im Sinkflug, und er sieht, wie seine Mitreisenden aufgeregt rechts und links aus den Fenstern spähen. In der gegenüberliegenden Sitzreihe stößt ein chinesisch aussehendes kleines Mädchen glucksende Laute aus. Er fragt sich, ob sie lacht oder weint, bis die ältere Frau, die mit ihr reist, lächelnd etwas zu ihr sagt, was in seinen Ohren wie Mandarin klingt. Dabei beugt sie sich vor, sodass er die Kleine sehen kann. Aber selbst da ist er sich nicht sicher, ob der Glanz in den Augen des Mädchens Fröhlichkeit oder Trauer ausdrückt. Er spricht ein bisschen Kantonesisch, aber kein Mandarin. Um sich abzulenken, tippt er auf dem Prepaidhandy herum, dass er sich für die Reise besorgt hat. Er kann diese Geräte nicht leiden, aber es ist ein notwendiges Übel, um mit Sarah Kontakt aufzunehmen.

Und dann kommt East Belfast ins Blickfeld.

Er hat in einigen der größten Städte der Welt gelebt: London, New York, Tokio, Hongkong. Alle wuchsen in die Höhe und versuchten Platz zu gewinnen, ihre Gebäude schienen sich ineinander zu verkeilen. Aber als sie jetzt über Holywood und Sydenham fliegen, fällt ihm auf, dass Belfast nie diese Tendenz gehabt hat. Vielleicht haben die Bombenangriffe der Deutschen im Zweiten Weltkrieg und die Anschläge während des Nordirlandkonflikts die Architektur derart ausgelichtet. Jedenfalls kann man in dieser Stadt atmen.

Und trotz der Geschehnisse in der Vergangenheit und trotz seiner düsteren Vorahnungen bezüglich des Begräbnisses, ist er froh, wieder zu Hause zu sein.

Einen kurzen Moment lang trauert er um Gordon.

Fragt sich, ob Billy und Rab immer noch dort sind. Fragt sich, ob sie noch leben.

Fragt sich, ob Eileen immer noch dort ist. In Ravenhill.

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Jackie verlässt die Gepäckausgabe durch die Tür mit der Aufschrift »Arrivals« und betritt die Halle. Auf einem Schild steht: Willkommen am George Best Belfast City Airport. Als Jackie das letzte Mal hier war, trug der Flughafen noch nicht Georgies Namen, und egal welche Meinung er von Mr. Best auch haben mochte, für ihn würde das hier immer der gute alte City Airport bleiben. Es ist eigenartig, nach all den Jahren wieder diesen typischen Akzent zu hören. Er verlangsamt seine Schritte und lässt alles auf sich einwirken.

Dann bleibt er abrupt stehen. Sieht den Namen J. Shaw, der mit lässiger Hand auf ein Stück Pappe geschrieben wurde. Der Mann, der es hochhält, ist ziemlich groß, größer noch als Jackie mit seinen 1,76 m. Er trägt eine braune Cordhose, ein graues Hemd und ein dunkelgraues Jackett. Das Jackett ist zugeknöpft, und Jackie bemerkt die Ausbeulung der Waffe unter dem linken Arm des Mannes, wahrscheinlich ein Schulterhalfter.

»Willkommen zu Hause, Mr. Shaw.« Sein geschliffener Akzent klingt nach Public School, er hat einen eigenartigen, leicht nasalen Ton.

Es ist später Nachmittag, ein Mittwoch. Jackies Vater wird Freitagmorgen beerdigt und Jackie hat einen Rückflug für Sonntagabend gebucht. Vor knapp zwanzig Minuten hat er nach zwei Jahrzehnten zum ersten Mal wieder den Fuß auf heimatlichen Boden gesetzt, und schon wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert.

Er seufzt und sagt: »Es fühlt sich an, als wäre ich nie weg gewesen.«

Der Mann hat große, leicht hervorquellende Augen, ein weiches fleischiges Gesicht mit schon erschlafften Wangen und einer ausdrucksvollen Kinnpartie. Der schüttere Teppich aus kurzen drahtigen Haaren auf seinem Schädel bewegt sich leicht nach vorn, als er lächelt. Sein Gesicht erinnert Jackie an einen To-by-Jug, den man im Westen Englands in zahllosen Antiquitätenläden kaufen kann.

Mit nasalem Unterton erwidert der Mann: »Ausgezeichnet, ausgezeichnet. Dann können wir ja losgehen, würde ich vorschlagen.«

Daraufhin geht er auf den Schalter der Autovermietung zu. Jackie zieht seine Jacke an und wirft sich die Reisetasche über die Schulter, mit etwas mehr Schwung als eigentlich nötig. Der Mann bleibt vor einem Kiosk stehen und faltet das Pappschild gewissenhaft zusammen. Knickt es so, dass scharfe gerade Linien die weiße Oberfläche durchschneiden, während Jackie mit ausdruckslosem Gesicht zu dem Schalter der Autovermietung schlendert, um den notwendigen Papierkram zu erledigen. Einen Toyota Corolla hat er online reserviert. Gemeinsam gehen sie dann zum Auto, und als sie eingestiegen sind, bricht Jackie das Schweigen.

»Ihrem Akzent nach zu urteilen, gehören Sie nicht zur Special Branch, also sind Sie wahrscheinlich vom Secret Service.«

»Gut erkannt.«

Dann bist du vom MI5, denkt Jackie, also ein Wichser.

Weiß, mit welchem Flug ich ankomme, weiß, bei welcher Autovermietung ich gebucht habe. Womöglich weiß dieser Schnüffler mehr darüber, was mich in den nächsten Tagen hier erwartet als ich selbst.

Jackie versucht, noch ein bisschen mehr aus dem Fremden herauszubekommen. »Und wie heißen Sie? Oder besser gesagt, welchen Namen benutzen Sie heute?«

»Stuart William Hartley, aber Stuart genügt. Und herzlich willkommen zu Hause, Jackie. Wie ich hörte, sind Sie eine ganze Weile weg gewesen.«

Eine verdammt lange Zeit, denkt Jackie, über zwanzig Jahre. Und doch war er, als er durch das Fenster des Airbus nach draußen schaute, überrascht gewesen, wie wenig sich verändert hatte. Jedenfalls von oben betrachtet.

Er fragt weiter: »Und welche Rolle spielen Sie? Die meines Reisebegleiters?« Er schaut Hartley von oben bis unten an und lächelt schief: »Oder meines Bodyguards?«

»Oh, nein, um Himmels willen. Zu allererst mal bin ich Ihr Empfangskomitee. Wollen wir dann los? Zum Hotel dauert es gut zwanzig Minuten, und der Verkehr wird immer dichter.«

Er möchte mich glauben machen, dass er alles unter Kontrolle hat, denkt Jackie. Dass er alles weiß, was er wissen muss. Mistkerl. Jackie schaut in den Spiegel, legt den Rückwärtsgang ein und konzentriert sich aufs Ausparken. Auf keinen Fall möchte er irgendwelche Gefühle zeigen.

»Der britische Nachrichtendienst ist also fleißig gewesen«, sagt er. »Ich hätte nicht gedacht, dass man sich so viel Mühe wegen mir macht. Sollten die nicht besser die russische Botschaft überwachen oder den E-Mail-Verkehr der iranischen Diplomaten?« Er schaltet in den ersten Gang und nickt vor sich hin. »Na klar, heutzutage werden doch die E-Mails von allen überwacht.«

Hartley schweigt, schaut mit geringschätzigem Gesichtsausdruck durchs Fenster, während sie sich in den Verkehr einfädeln. Die Straßen sind noch nicht allzu verstopft, wenn man bedenkt, dass es kurz vor fünf an einem Mittwochnachmittag ist. Während sie auf der A55 Richtung Belfast fahren, spielt Hartley mit einem Stift herum und zupft ständig an seinem Jackett. Nachdem sie die Gegend von Clarawood und Braniel erreicht haben, die Wohngebiete rechts und links der Ringstraße, beginnt Hartley, sich den Mund mit einem Papiertaschentuch abzutupfen, als hätte er gerade etwas Säuerliches gegessen.

Draußen ist ein einziges Durcheinander an Farben und Symbolen zu sehen: Union Jacks, Ulster-Fahnen, Patrickskreuze. Sie flattern an Masten und Fahnenstangen, manchmal auch zu siamesischen Drillingen kombiniert. Rote, weiße und blaue Wimpel hängen quer über den Straßen und sorgen für ein buntes Farbenmeer, die Bordsteine sind in den gleichen Farben bemalt, sogar die Briefkästen. Es ist ein klarer Nachmittag, eine kräftige Brise weht. Alle Fahnen flattern straff im kalten Wind.

»Was ist denn los?«, fragt Jackie. »Wir haben doch Oktober.«

»Ja«, bestätigt Hartley. »Diese Art von Dekoration ist nicht mehr allein den Sommermonaten vorbehalten, wenn die Umzüge stattfinden. Das wird jetzt das ganze Jahr über praktiziert.«

Praktiziert?, denkt Jackie. Meine Güte. In welchem Mayfair-Club hat der Idiot denn dieses Wort aufgeschnappt?

»Sie sind wohl nicht mehr auf dem Laufenden bezüglich der Entwicklungen hier, seit sie sich da draußen herumtreiben?«, merkt Hartley an. Sein herablassender Tonfall nervt.

»Das wissen Sie selbst sicherlich am besten. Sie haben mich ja die ganze Zeit über im Auge behalten.« Jackie stellt fest, dass er diesen Kerl schon nach kürzester Zeit zutiefst verabscheut.

»Die Lage hat sich zugespitzt, seit die Stadtverwaltung beschlossen hat, die Anzahl der Tage zu begrenzen, an denen der Union Jack aufgezogen werden darf. Die Loyalisten sind der Auffassung, dass dies die Kultur der protestantischen Unionisten untergräbt. Aber ich würde nicht sagen, dass die Lage so problematisch ist wie damals, zu den schlechten alten Zeiten.«

»Waren Sie denn damals hier, zu den schlechten alten Zeiten?«

»Um Himmels willen, nein. Ich war damals in verschiedenen Botschaften beschäftigt und habe mich mit den europäischen Verbündeten herumgeschlagen.«

Daddy hat wohl gewusst, an welchen Strippen er ziehen muss, nachdem Mami darauf bestanden hat, dass der gute Stuart von diesen Wilden auf der anderen Seite der Irischen See ferngehalten wird, denkt Jackie.

»Sie hätten nicht zurückkommen sollen, Jackie«, erklärt Hartley. »Begräbnis hin oder her. Sie waren raus, haben sich sauber gehalten und waren lange genug verschwunden, um vergessen zu werden. Sie haben dieses Leben hinter sich gelassen. Aber wenn man jetzt auf Sie aufmerksam wird, dann gibt es keine Garantie, dass Sie Ihren Rückflug kriegen – oder überhaupt irgendeinen Flug.«

»Es ist das Begräbnis meines Vaters. Was würden Sie an meiner Stelle tun?«

»Mein Vater lebt in Cheltenham und verbringt seine Tage damit, Tee mit Sahne zu trinken und in den Cotswolds herumzufahren. Er ist schon lange tot.«

Sie schweigen eine Weile, während sie auf die Castlereagh Road wechseln, die von der Stadt in die Berge führt.

»Sind sie immer noch hier? In Belfast?« Oder sind ein paar von ihnen wenigstens im Lough gelandet, fragt er sich.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Hartley schnaubt. »Sie leben alle noch in der gleichen Straße.«

Scheiße, denkt Jackie.

»Billy Tyrie lebt jetzt im wohlhabenderen Teil am Ravenhill Park. Wahrscheinlich, weil er dann schneller bei seinem Anwalt ist, der nur ein paar Häuser weiter wohnt. Es heißt, Billy hätte den größten Garten dort in der Gegend, weil er Platz braucht, um die vielen Leichen zu vergraben. Wir glauben, dass siebzig Prozent der Gewaltverbrechen und neunundsiebzig Prozent der illegalen Geschäfte in East Belfast auf sein Konto gehen. Das Einzige, womit wir ihn noch nicht in Verbindung bringen können, ist der Drogenhandel – erstaunlich angesichts der Tatsache, dass er Brigadegeneral der UDA von East Belfast ist. Stellen Sie sich mal vor, wie der Pate der Organisierten Kriminalität von East Belfast an einem Treffen der Nachbarschaftswache teilnimmt …«

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Jackie parkt den Corolla vor dem La Mon Hotel & Country Club. Von hier aus sind es sechs Meilen und zwanzig Minuten bis zum Haus seines Vaters, in dem er aufwuchs. Für Belfast war das eine ziemliche Strecke, damals, als man schon sein Leben riskierte, wenn man die Straßenseite wechselte – und zwar nicht wegen des Verkehrs. Das Hotel ist weit genug entfernt, um anonym unterzukommen, aber nahe genug, um Kirche und Friedhof rasch erreichen zu können.

Er sieht, wie fünfzig Meter entfernt ein schwergewichtiger Mann mit Kurzhaarschnitt aus einem dunkelblauen BMW steigt. Der Mann lehnt sich gegen den Wagen und bemüht sich sehr darum, unauffällig zu wirken. Jackie hätte darauf gewettet, dass der Wagen gepanzert ist. Der Mann womöglich auch – so breit, wie er ist – und garantiert trägt er die gleiche Waffe wie Hartley bei sich. Der hat sich deutlich entspannt.

Das La Mon ist ein angenehmes, gut geführtes Hotel am Rand von East Belfast. Es liegt in einer hübschen, ländlich anmutenden Gegend zwischen den Castlereagh Hills. Genau wie damals, 1978, als die Provisorische IRA eine Bombe zündete, die zwölf Tote und dreißig schrecklich verstümmelte Verletzte im »Peacock Room«, dem Restaurant des Hotels, zurückließ. Die Opfer waren bei lebendigem Leib verbrannt. Die Bombe hatte man so konstruiert, dass sie einen Cocktail aus Benzin und Zucker entzündete, dessen Stichflamme zwölf Meter hoch und achtzehn Meter breit gewesen war. Sie hatte allen, die mit ihr in Kontakt gekommen waren, die Haut weggeschmolzen. Die zwölf Toten, die dieser Napalm-ähnliche Feuerball verschluckt hatte, waren Protestanten gewesen. Obwohl Jackie damals noch jung war, erinnert er sich sehr gut an die aufgebrachten Reaktionen: an die finsteren Bemerkungen der Freunde seines Vaters, an die leeren Rachedrohungen nach mehreren Bieren. Einer der Toten war ein Polizist gewesen, aber außerdienstlich vor Ort, die anderen waren Zivilisten.

Er streicht sich mit der Hand übers Gesicht, legt den Kopf zurück, schließt die Augen. Ohne sie zu öffnen, fragt er Hartley: »Wissen Sie von dem Bombenanschlag, der hier in den Siebzigern stattfand?«

»Natürlich. Das muss eine grauenhafte Sache gewesen sein.«

»Hieß es damals nicht, zwei Angehörige der Gruppe, die den Anschlag durchführte, seien Informanten des MI5 gewesen?«

»Wie ich vorhin schon sagte, das alles war vor meiner Zeit.«

Jackie seufzt, öffnet die Augen und sieht wieder das Hotel vor sich. Familien und Geschäftsleute gehen in die Lobby oder kommen heraus. Eine gut aussehende Blondine joggt an ihrem Auto vorbei und läuft dann weiter Richtung BMW. Aber der Mann, der dort wartet, verschwendet keinen Blick an sie.

»Der da gehört sicherlich zu Ihnen«, stellt Jackie fest.

»Schon, aber das ist keiner von den Raufbolden, mit denen Sie sich damals abgegeben haben. Ich bleibe übrigens dabei: Sie hätten nicht zurückkommen sollen. Allerdings vermuten wir, dass Tyrie nicht weiß, dass Sie hier sind. Dabei sollte man meinen, dass er angesichts der Ereignisse darauf kommen könnte. Er wohnt jetzt nur eine Meile vom Haus Ihres Vaters entfernt, ein Stück die Straße weiter hoch. Und Simpson lebt auf halber Strecke dazwischen. Wir können nur hoffen, dass sich Ihre Wege nicht kreuzen.«

Jackie schiebt die Tür auf und steigt aus dem Wagen, etwas weniger lässig, als er es in Gegenwart von Hartley beabsichtigt hatte. Der Mann vom Sicherheitsdienst steigt betont lässig aus und streckt sich. Jackie deutet mit dem Kopf zum BMW und dem Mann daneben.

»Sie können Ihrem Kumpel ausrichten, dass er sich ein bisschen zu auffällig benimmt. Ich habe ihn schon nach zwei Sekunden erkannt. Sie können sich vorstellen, wie sehr er erst den Dissidenten ins Auge fallen wird.«

»Darum geht es ja gerade«, sagt Hartley. »Das verhindert, dass sie mich aufs Korn nehmen.« Er lächelt dünn und geht auf den BMW und seinen Kollegen zu.

Meine Güte, stöhnt Jackie innerlich. Ich hab mich vor Jahren aus diesem Leben abgesetzt und nun, nach nur zwanzig Minuten, stecke ich schon wieder bis über beide Ohren in dieser widerlichen Scheiße.

Er streicht sich mit der Hand über den Stoppelhaarschnitt, zieht die Jacke gerade und hängt sich seine Tasche über die Schulter. Als er auf den Eingang zugeht, hört er hinter sich wieder die Stimme mit dem näselnden Public-School-Akzent.

»Ach, eine Sache noch, Jackie – Eileen hat jetzt Kinder. Sie lebt ihr eigenes Leben, also vergessen Sie sie lieber. Gehen Sie zum Begräbnis, halten Sie sich bedeckt und hauen sie schleunigst wieder ab. Seien Sie ein braver Junge.«

Kapitel 3

1993

Das Durchladen der Automatik neben ihm auf dem Beifahrersitz klang in Jackies Ohren wie das Kratzen eines Nagels über die Oberfläche einer Wandtafel. Er lenkte den Ford durch die Gegend zwischen der Woodstock und der Ravenhill Road. Das Licht der Natriumdampflampen und der Nieselregen verliehen den Straßen einen orangefarbenen Glanz, aber die Bereiche zwischen den Straßenlaternen blieben duster und diffus.

Belfast war nachts eine sehr dunkle Stadt. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er dies als Vorteil empfunden, für sich und den neben ihm sitzenden Marty, heute aber nicht.

Er beugte sich über das Lenkrad, während er die verlassene Cherryville Street entlangfuhr, und suchte nach Shanty McKee und seinem verdammten Jack-Russell-Terrier. Er umklammerte das Lenkrad und versuchte, den Drang zu unterdrücken, Marty einen Schlag zu verpassen, weil der nicht aufhörte, mit seiner Knarre herumzuspielen. Sie mussten McKee finden, um ihm mit besagter Knarre eine 9-mm-Kugel in jedes Knie zu schießen.

Jackie warf einen Blick in den Rückspiegel und sprach so ruhig er konnte mit dem Jungen, der hinter ihnen saß.

»Harold.«

Nicht ruhig genug offenbar. Harold zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte. Armer Kerl, dachte Jackie. Ich würde auch zusammenzucken, wenn ich unterwegs wäre, um meinem besten Kumpel einen Knieschuss zu verpassen, weil mir andernfalls dasselbe blühen würde. Harold wohnte in Chesham, einer Enklave mit freistehenden Häusern, und hatte sich mit seinem Freund Shanty auf Hauseinbrüche verlegt. Shanty war mit einem Mädchen von der Woodstock Road zusammen gewesen. Sie hatte ihn verlassen, nachdem er sie dazu gezwungen hatte, auf ein Kondom zu verzichten, als sie eines Abends zur Helen’s Bay gefahren waren, um ein bisschen Rücksitzgymnastik zu machen. Offenbar hatte Shanty die Zurückweisung nicht so gut verkraftet, denn er war in das Haus des Mädchens eingebrochen, um die bereits verdauten Reste seines Abendessens vom Vortag auf dem Bett des Mädchens zu hinterlassen. Harold hatte er dazu überreden können, vor dem Haus Schmiere zu stehen. Als der Onkel des Mädchens, der Mitglied der dortigen UDA war, von Shantys Hinterlassenschaft Wind bekam, hatte er die Fühler ausgestreckt und den armen Harold als Shantys Komplizen ausfindig gemacht. Shanty machte sich unsichtbar, aber Harold wusste, dass er eine Schwäche hatte: seinen Jack-Russell-Terrier Ally, der seit dem Zwischenfall bei seiner Schwester untergebracht war. Shanty ging jeden Abend mit ihm Gassi, damit der Hund einen geordneten Tagesablauf hatte. Ein Hund sollte doch eigentlich ganz nach seinem Herrchen kommen, dachte Jackie.

»Na, Harold, wo ist er denn nun?«, fragte er. »Wir fahren jetzt seit einer halben Stunde hier herum.«

Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf Harolds dicken Brillengläsern, die aussahen wie zwei kleine orangefarbene Fenster. »Ich schwör’s, er ist immer hier unterwegs«, sagte er. »Er glaubt, dass ihn in der Dunkelheit keiner erkennt, wenn er mit dem Hund rausgeht.«

Schließlich legte Marty die Pistole auf den Fahrzeugboden, schnallte den Sicherheitsgurt ab und drehte sich zu Harold um, die Hände zu Fäusten geballt. Jackie hatte keine Zeit, sich um Marty Rafferty zu kümmern. Er hätte ihn gern zur Schnecke gemacht, weil er so nachlässig mit der Pistole umging. Aber Martys Vater bekleidete einen der obersten Ränge in der lokalen Hierarchie der Organisation. Im Rückspiegel sah Jackie, wie Harold sich ganz klein machte, in Erwartung der Abreibung, die er gleich bekommen würde. Jackie stieg auf die Bremse, als sie das Ende der Cherryville Street erreichten. Harold war wegen der bevorstehenden Strafe so angespannt, dass er sich kaum bewegte, als der Wagen ruckartig zum Stehen kam. Marty hingegen wurde nach vorn geschleudert und knallte mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe.

»Verdammte Scheiße!«, schrie er. Jackie wandte seinen Blick zu Marty. Dieser schimpfte wütend weiter: »Du Arschloch! Willst du diesem Scheißkerl Gesellschaft leisten? Soll ich dir heute Abend auch noch ein paar Kugeln in die Beine ballern?«

Marty Rafferty war zwei Jahre jünger als Jackie Shaw, der mit Anfang zwanzig noch ein Novize in den Reihen der bewaffneten Mitglieder der UDA von Ravenhill war. Trotzdem war Jackie der Ansicht, dass er rangmäßig über Marty stand.

»Hör zu Marty, ich hab bloß ein bisschen zu scharf abgebremst, okay? Ich hab nach einem Jungen mit einem Hund Ausschau gehalten und deshalb nicht gemerkt, dass wir schon so dicht an My Lady’s Road sind.«

»Na klar, und du wirst auch ganz bestimmt nicht merken, wenn ich mich von hinten an dich ranschleiche und dir eine Kugel in den Schädel jage.«

Jackie entgegnete ruhig und freundlich: »Wie willst du denn so nah rankommen, nachdem ich dir deine beschissenen Beine gebrochen habe? Außerdem wirst du ganz schön laut sein wegen des Schlauchs, durch den du atmest.«

Harolds weit aufgerissene Augen leuchteten im Licht der Straßenlaternen. Jackie konnte ihn im Augenwinkel sehen, er wirkte klein und verloren mit seinen dicken Brillengläsern und ein wenig unentschlossen.

Marty straffte die Schultern, zögerte aber, während Jackie Harolds Blick folgte, der zwischen ihnen hindurch auf My Lady’s Road gerichtet war, genauer gesagt auf die einmündende Canada Street direkt gegenüber von ihnen. Dort lief ein Mann, bekleidet mit Jeans und Parka, und führte einen kleinen Russel-Terrier an der kurzen Leine. Niemand sonst war zu sehen.

Auch Marty folgte Harolds Blick und bemerkte den Spaziergänger.

Jackie jagte den Motor hoch und schoss mit Vollgas über die Straße, ignorierte die Bordsteinkante und brachte den Wagen direkt vor dem Mann und dem Hund auf dem Gehweg zum Stehen.

Er musste zugeben, dass Marty alles richtig machte, indem er sich die Pistole schnappte und aus dem Wagen sprang, die Waffe im Anschlag, aber leicht nach unten gerichtet. Wortlos bedeutete sein Kumpel dem Mann mit dem Hund, er sollte einsteigen. Shanty reagierte angemessen. Er schrie nicht, rannte nicht weg, stieß auch keine Drohungen aus, nahm einfach seinen Hund hoch, zuckte mit den Schultern und öffnete die hintere Tür des Fords. Als er Harold sah, verzog er das Gesicht, setzte sich aber ganz ruhig neben ihn. Jackie, inzwischen vollgepumpt mit Adrenalin, fuhr rückwärts vom Gehweg und lenkte den Wagen Richtung Ravenhill Road zur Lagan Lodge Bar.

Die Tagesschicht der Trinker – alte Männer, Arbeitslose, Taugenichtse, Alkoholiker – war von der Nachtschicht abgelöst worden: die gleiche Mischung plus Männer, die Feierabend hatten, dazu die üblichen Paramilitärs, die sich unter sie gemischt hatten. Auch Frauen fand man in der Kneipe. Viele von ihnen standen den Männern in nichts nach und schütteten ein Glas nach dem anderen in sich hinein. Es herrschte eine Atmosphäre des harten, konzentrierten Trinkens. Ab und an durchschnitt lautes Gelächter die dicken Schwaden von Zigarettenrauch. In einer Ecke saß eine lange, ungepflegte Gestalt mit einem großen Glas Bier in der Hand und unterhielt sich mit zwei Schlägertypen. Die Haare des Mannes waren strähnig und zerzaust, er hockte auf seiner Bank wie eine Krähe in Ruhestellung. Zwei kleine Knopfaugen schimmerten wie polierte Rosinen in seinem abgestumpften Gesicht, das wie eine Karikatur wirkte. Rab Simpson.

Rab beriet sich mit zwei Typen, die doppelt so breit waren wie er und deutlich älter aussahen. Sie trugen dichte Schnäuzer und dazu Dreitagebärte. Ihre Körpersprache drückte Respekt für den dünnen Mann mit dem schmutzigen Ramones-T-Shirt aus.