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MARK PIETH

GOLDWÄSCHE

DIE SCHMUTZIGEN GEHEIMNISSE DES GOLDHANDELS

INHALT image

Weshalb dieses Buch?

01imageZWEI SEITEN DER MEDAILLE

La Rinconada: der dreckigste Ort der Welt

Glanz und Gloria

Eine fatale Attraktion

02imageDIE GESCHICHTE DES GOLDES

Im alten Ägypten

Das Römische Reich und das Mittelalter

Das Zeitalter der Entdeckungen

Die spanische Eroberung Lateinamerikas

Die Reaktion der konkurrierenden europäischen Nationen

Die Auswirkungen der Goldlawine auf die Wirtschaft

Goldrausch

Der Goldstandard

Großbritannien

USA

Finanzierung der Nazi-Kriegsanstrengungen

Unterstützung des Apartheidregimes

Vorgeschichte

Rekrutierung der nötigen Arbeitskräfte

Gehilfen des Apartheidregimes

03imageDIE LIEFERKETTE

Die Dimensionen des Goldhandels

Wo kommt das Gold her?

Industrieller Goldabbau

Exploration und Erwerb der Abbaurechte

Tagebau

Untertagebau

Tiefseeabbau

Verarbeitung am Minenstandort

Artisanaler Goldabbau

Dimensionen

Oberflächenabbau

Artisanale Untertageminen

Ausbaggern von Wasserläufen

Zwischenhändler

Recycling

Grandfathered Stock

Raffinerien

Was tun Goldraffinerien eigentlich?

Der Raffinierungsprozess

Ankunft, wägen, analysieren

Schmelzen und gießen

Blockchain

Der Goldhandel

Die Konsumenten

Die sich wandelnde Rolle der Zentralbanken

Investoren

Juweliere und Uhrmacher

04imagePROBLEMGOLD

Umweltprobleme

Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei und Schmuggel

Das Beispiel Kolumbien

Von Drogen zu Gold

Geldwäscherei

Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Menschenhandel

Zwangsarbeit

Sexuelle Ausbeutung

Kinderarbeit

Enteignung und Vertreibung

Konfliktgold

Die Demokratische Republik Kongo

Die Kongokriege

Plünderung und Völkermord

Händler und Raffinerien

Die Probleme des Kongo sind nicht vorüber

Sudan

Goldwäsche

05imageEINE VERANTWORTLICHE LIEFERKETTE SCHAFFEN

Konzernverantwortlichkeit für Menschrechtsverletzungen?

OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen

Internationale Regeln gegen Wirtschaftskriminalität

UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte

Regulierung der Mineralienlieferkette

Unmittelbare Reaktion auf den Genozid im Kongo

OECD Due Diligence Guidance

Das OECD Supplement on Gold

Regionale und nationale Regeln

Dodd-Frank Act 2010

Die EU-Verordnung

Chinesische Sorgfaltsrichtlinien

Initiativen privater Wirtschaftsverbände

London Bullion Market Association

Responsible Jewellery Council

World Gold Council

Dubai Multi Commodities Centre

Die Reputationskatastrophe

Evaluation der neuen DMCC-Regeln

Was bewirken Industriestandards in der Praxis?

Multi-Stakeholder-Initiativen zur Formalisierung und Zertifizierung von artisanalen Minen

Zertifizierung

Der Fairmined-Standard

Der Fairtrade-Standard

Die Better Gold Initiative

Entwicklungszusammenarbeit

Welche Vorzüge und welche Schwächen haben die Multi-Stakeholder-Initiativen?

Zusammenfassung: Verantwortliche Herkunft?

06imageWAS FUNKTIONIERT, WAS NICHT?

Die Attraktivität der freiwilligen Standards

Nehmen die Unternehmen ihre Risiken ernst?

Sind Raffinerien so sauber, wie sie behaupten?

Wie gehen sie mit Kritik um?

Argor-Heraeus

Probleme mit Gold aus dem Kongo

Aktuelle Situation

Metalor

Probleme in Peru

Probleme in Kolumbien?

Probleme in Eritrea?

Probleme in Ghana?

MKS PAMP

Valcambi

Probleme in Peru

Probleme in Burkina Faso?

Probleme mit Dubai?

Kaloti

Rand Refinery

Woran fehlt es bei den Sorgfaltsstandards?

Schritt 1: Nachhaltiges Managementsystem einrichten

Schritt 2: Identifizieren und evaluieren der Risiken in der Lieferkette

Schritt 3: Strategie im Umgang mit den identifizierten Risiken entwickeln und umsetzen

Schritt 4: Sorgfaltspflichtpraxis der Raffinerie einem unabhängigen Audit unterwerfen

Schritt 5: Berichterstattung über die Sorgfalt in der Lieferkette

Sorgfaltsstandard für Downstream-Unternehmen

Weshalb die Umsetzungslücken?

07imageWIE WEITER IN DER GOLDINDUSTRIE?

Der Rohstofffluch

Der Nachholbedarf im Goldsektor

Minen

Industrielle Minen

Artisanale Minen

Händler

Raffinerien

Überwachung der Lieferkette

Zusätzliche Aufmerksamkeit

Auditing und Reporting

Downstream-Unternehmen

Unrechtmäßige Finanzflüsse

Selbstregulierung oder verbindliches Recht?

Industrieregulierung

Zwingendes Recht

Die künftige Rolle der OECD

08imageDIE SCHWEIZ, WELTZENTRUM DER GOLDRAFFINERIEN

Was ist so speziell an der Schweiz?

Hohes Risiko, schwache Regulierung

Edelmetallkontrolle

Zollregulierung

Geldwäschereiabwehr

Strafrecht

Strafbarkeit des Unternehmens

Zivilrechtliche Haftung: Der Kampf um die Konzernverantwortungsinitiative

Ist die Konzernverantwortungsinitiative so exotisch?

Wozu ist die offizielle Schweiz bereit?

Wie weiter?

DANK image

ANHANG image

Korrespondenzen

Endnoten

Literatur

Materialien

Bilder

Grafiken

Abkürzungen

Stichwörter

WESHALB DIESES BUCH?

Ich habe mich im Laufe der letzten 25 Jahre sowohl theoretisch als auch praktisch mit der Regulierung zur Eindämmung von internationaler Korruption und Geldwäscherei beschäftigt. Als Schweizer Strafrechtsprofessor konnte ich nicht übersehen, dass mein Herkunftsland nicht nur im Finanzsektor, sondern auch im Rohstoffhandel und speziell im Bereich des Handels mit und der Verarbeitung von Gold eine weltweit einzigartige Rolle einnimmt: Nach wie vor werden Jahr für Jahr circa 3000 Tonnen Gold in die Schweiz importiert, und nahezu dieselbe Menge wird wieder exportiert. Es soll sich um 50–70 Prozent der weltweiten Goldproduktion handeln. Angesichts der enormen Problembelastung der Goldgewinnung – von Menschenrechtsverletzungen bis zu schwerer Umweltzerstörung – kommt die Schweiz nicht umhin, sich mit der Risikoexposition von bei ihr ansässigen Unternehmen und mit dem Rufrisiko für das Land auseinanderzusetzen. Die mit der Schweizer Rolle im Goldhandel verbundenen Risiken replizieren und verstärken ähnliche Risiken, mit denen sich die Schweiz gegenwärtig beschäftigen muss, insbesondere im Finanzsektor (Geldwäscherei, Potentatengelder, Steuerhinterziehung usw.), im Rohmaterialhandel (Korruption und Spekulation), beim Waffenexport in Krisengebiete, angesichts der Organisationsmängel hier ansässiger Sportdachverbände und vieler Expositionen mehr.

Motivation zu diesem Buch, das uns sowohl zur glitzernden Welt der Goldverarbeitung als auch zu den übelsten Minenregionen der Welt geführt hat, war das fehlende Bewusstsein der Schweizer Öffentlichkeit und der Regierungsstellen für die Rolle unseres Landes in einer der heikelsten Lieferketten. Natürlich steht die Schweiz nicht alleine in der Pflicht. Problematisch ist aber ihre Bereitschaft, die Augen zu verschließen.

Mein Anliegen ist es, die internationalen Bemühungen zur Regulierung der Goldlieferkette, einschließlich der nicht verbindlichen Instrumente (»Soft Law«) und der Selbstregulierung der Branche, kritisch zu beleuchten. Wie dieses Buch zeigen wird, ist es uns bis heute noch nicht gelungen, die Menschenrechte in diesem Bereich auf glaubwürdige Weise zu schützen.

ZWEI SEITEN DER MEDAILLE image

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LA RINCONADA: DER DRECKIGSTE ORT DER WELT

Bis zu 70 Prozent der Goldproduktion der Welt werden von Schweizer Unternehmen vermarktet, ein Großteil davon wird in Schweizer Raffinerien physisch verarbeitet1. Die Schweiz ist auch der größte Abnehmer von Gold aus Peru, das inzwischen zum fünftgrößten Goldexportland der Welt avanciert ist2.

Wo kommt das peruanische Gold her? Zum einen aus großen Minen wie Yanacocha (Newmont Mining) oder Pierina (Barrick Gold), zum anderen aus kleinen, sogenannten artisanalen (handwerklichen) Minen. Im Hinterland des Amazonas, in Madre de Dios, geht der Goldabbau mit großflächigem illegalem Abholzen des Regenwaldes einher und wird von kriminellen Organisationen kontrolliert. In der südlichen Andenregion Puno finden sich weitere Abbauorte auf großen Höhen. Das Gold dieser Kleinminen wird von Kollektoren (»collectors«) gesammelt. Es gelangt dann über lokale Zwischenhändler und Exporteure fast ausschließlich in Schweizer Goldraffinerien3.

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Da La Rinconada keine funktionierende Infrastruktur hat, stapelt sich der Müll kilometerweit.

Die Minenstadt La Rinconada liegt im Grenzland von Südperu und Bolivien, unweit des Titicacasees, und gilt als der »dreckigste Ort der Welt«4. Wie kommt sie zu diesem Ruf? Innerhalb weniger Jahre ist die Population dieses Minencamps auf über 60 000 Personen angewachsen. Es liegt zwischen 5000 (Lunar de Oro) und 5500 Metern über Meer an den höchsten Stellen (La Rinconada). Im Winter fallen die Temperaturen bis auf minus 25 Grad Celsius. Man muss sich den Ort wie eine Favela von Rio de Janeiro im Hochgebirge vorstellen: Das Trinkwasser wird aus einem nahe gelegenen Gletscher bezogen und ist – wie die Luft – schwer quecksilberbelastet. Die Stadt verfügt weder über eine Abwasser- noch über eine Abfallentsorgung. Kilometerweise türmen sich entlang der Anfahrtsstraße die Abfallberge. Die Plastiksäcke werden von Geiern und anderen Tieren zerfetzt. Der Ort stinkt im wahrsten Sinne zum Himmel.

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Der Weg zum Eingang der Mine führt über gefrorenen Schlamm, Eis und Felsen.

Die Arbeitsbedingungen der Mineure sind hoch problematisch. Zwar gibt es auch professionell eingerichtete Minen – wie die der Corporación Minera Ananea –, die meisten Stollen sind aber sehr improvisiert, entsprechend groß ist die Einsturzgefahr. Das Besoldungssystem ist ebenso archaisch. Die Mineure erhalten keinen Lohn und sind weder gegen Krankheit noch gegen Unfall versichert. Sie arbeiten nach dem uralten, »cachorreo« genannten System 28 Tage für die Mine und erhalten dann zwei Tage für sich, an denen sie so viel Material aus der Mine mitnehmen dürfen, wie sie tragen können5. Was sich wie die Sklavenarbeit zur Zeit der Inkas und später der Spanier anhört, wird erstaunlicherweise von den Mineuren auch heute noch akzeptiert. Sie haben sich sogar gegen die Einführung eines Sozialversicherungsobligatoriums zur Wehr gesetzt, weil sie befürchten, etwas vom unsicheren Verdienst abgeben zu müssen, ohne vom Staat eine reale Gegenleistung zu erhalten. Sie ziehen offensichtlich das »Kasinoleben« der Glücksritter einem geordneten Arbeitsverhältnis vor6.

Während die organisierten Minen das ausgebrochene Gestein in großen Mühlen pulverisieren, verarbeiten die einzelnen Mineure das im »cachorreo« gewonnene Material in sogenannten »quimbaletes«: In einem Steinbecken wird der Ausbruch durch einen größeren Stein zerkleinert, auf dem die Mineure stehen und hin- und herwippen. Dann gießen sie Quecksilber, das sie in Tassen an einer Bude gekauft haben, in die »quimbalete«. Anschließend rühren sie den zermalmten Sand und das Quecksilber mit bloßen Händen in einer Pfanne, bis sich die ausgebrochenen Goldkörnchen mit dem Quecksilber amalgamieren. Die so entstandenen Klumpen werden danach zu improvisierten Werkstätten (»entables«) gebracht, wo Frauen das Quecksilber mit Lötbrennern abdampfen. Es entweicht durch einen Schornstein, der außen am Haus auf der Höhe des zweiten Stockwerks endet. Diese Werkstätten stehen in einer langen Reihe Haus an Haus. Die Luft davor ist quecksilbergeschwängert. Wenn es regnet oder schneit, fällt das Quecksilber am Boden und in den offenen Abwasserläufen auf der Straße aus. Die Mineure können gegen Entgelt statt der »quimbaletes« auch eine Art Waschmaschine verwenden, in der das ausgebrochene Gestein mithilfe von Stahlkugeln weiter zerkleinert und dann, abermals mittels zugesetzten Quecksilbers, das Gold durch Amalgamation aus dem Gesteinspulver gelöst wird. Es gibt richtige »Waschsalons« mit 20 bis 30 solcher Zentrifugen.

La Rinconada ist nicht nur von den Arbeitsbedingungen her gefährlich. Beamte, die – als Polizisten oder Lehrer – hierhin entsandt werden, verwandeln sich quasi über Nacht in Minenarbeiter: Zu attraktiv ist der Traum vom großen Goldfund angesichts des Hungerlohnes, der sie als Beamte erwartet. Die Folge ist, dass in La Rinconada auf 60 000 Bewohner maximal 10 Polizisten kommen. Es ist offensichtlich, dass sie keine Sicherheit gewährleisten können. Das ist besonders problematisch, da das Gewaltpotenzial in La Rinconada enorm ist. Das horrende Klima, die Höhe, der Erfolgsdruck und das hohe Maß an Frustration tragen dazu bei, dass die Mineure in dieser Männergesellschaft schwer trinken und häufig aggressiv reagieren. In der Folge bewaffnen sich die Stadtbewohner. Schusswaffen sind mit oder ohne Lizenz in der nahe gelegenen Stadt Juliaca problemlos zu erhalten. Die Mordrate in La Rinconada ist erschreckend hoch, und die Bewohner üben immer wieder Lynchjustiz. Fotos von an Laternenpfählen aufgeknüpften Mineuren zeugen davon7.

Ein Besuch in La Rinconada durch Außenstehende ist denn auch nicht unproblematisch. Die Mineure haben kein Interesse an zusätzlicher Medienaufmerksamkeit. Sie befürchten staatliche Intervention. Wohl zu Recht werden Touristen oder Forscher vor einem Besuch gewarnt. Wie also kommt man als Fremder nach La Rinconada? In unserem Fall war die katholische Kirche unser Sicherheitsdispositiv: Auf dem Altiplano unweit des Titicacasees lebt Priester Markus Degen (Padre Marcos), der 1968 aus dem schweizerischen Oberwil ausgewandert ist. Er hat die wohl heikelsten Zeiten Perus – die Auseinandersetzung mit der Terrorgruppe Sendero Luminoso (»Leuchtender Pfad«) – am Ort des Geschehens miterlebt, um im Anschluss daran Gefängnisgeistlicher im Hochsicherheitsgefängnis für Terroristen in Puno zu werden. Später hat er ein Priesterseminar geleitet, bevor er sich in Arapa als Gemeindepriester niedergelassen hat. Er hat den Goldrausch in seiner Umgebung von der problematischsten Seite miterlebt. Immer wieder musste er im Laufe der letzten 20 Jahre Mineure beerdigen, die Opfer von Grubenunfällen oder gewaltsamen Auseinandersetzungen geworden sind. Padre Marcos, der die Dorfbewohner zur Errichtung einer Forellenzucht und zum Anbau sowie zur Verarbeitung von Heilkräutern ermuntert hat, verfügt durch seine früheren Tätigkeiten über ein umfassendes Netzwerk an Kontakten. Er hat seinen Freund Padre Pio in Putina, einem Ort, der bereits wesentlich näher bei La Rinconada liegt, gebeten, uns einen »Geleitschutz« zu vermitteln. Die Männer von Putina arbeiten in der Regel in den Minen. Die katholische Kirche befindet sich in einer ambivalenten Situation zur Goldthematik: Dass die Bevölkerung, die sie betreut, vom Goldabbau lebt, ist eine Tatsache, an der sie nicht vorbeikommt. Die Kirche steht den Familien, besonders den Hinterbliebenen verunfallter Minenarbeiter, bei. Umgekehrt sind glückliche Mineure auch bereit, die Kirche mit Spenden zu unterstützen. Padre Pio hat Willy Cruz, einen in La Rinconada als »Ingenieur« tätigen Freund und ehemaligen Mitarbeiter, als unseren Begleiter aufgeboten. Er ist bei der Mine eine jener Personen, die den Minenarbeitern sagen, wie das goldhaltige Gestein verläuft und wo abzubauen ist. Mit seinem Anzug ist seine Funktion für jedermann erkennbar. Er erwies sich als der sicherste »Fremdenführer« in wenig freundlichem Terrain.

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Bergleute zerkleinern goldhaltiges Gestein mit primitiven Steinmühlen (»quimbalete«).

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Verkaufsladen für Quecksilber in La Rinconada, betrieben von Frauen ohne Handschuhe und Masken

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»Goldwaschmaschinen«

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Werkstätten zum Abdampfen von Quecksilber in La Rinconada

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Gold für Waffen, eine gefährliche Kombination

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»Pallaqueras« auf der Suche nach Spuren von Gold im Minenabraum

Ein Thema war besonders problematisch: die Stellung der Frauen in La Rinconada. Bereits die Anthropologin Eugenia Robles Mengoa hatte deutlich gemacht, dass hier eine extreme Männergesellschaft herrscht8. Frauen dürfen aus Aberglauben die Minen nicht betreten, da sie sonst die Eifersucht der »Mutter Erde« wecken würden. Sie dürfen als sogenannte »pallaqueras« die Abraumhalden nach Verwertbarem durchpflügen9. In den Quecksilberabdampfschuppen werden sie auch geduldet. Im Übrigen sind Frauen vor allem als Ladenpersonal und in Bars tätig. La Rinconada gilt nach Angaben des Obersten Staatsanwalts von Peru – neben Madre de Dios – als eines der Zentren der Zwangsprostitution. Frauen, insbesondere aus armen ländlichen Gegenden Boliviens und Perus, werden unter falschen Versprechungen in die Minencamps gelockt, wo ihnen die Ausweise abgenommen werden und sie sich unter Zwang prostituieren müssen10. Studien gehen davon aus, dass allein von den 60 000 Bewohnern von La Rinconada bis 4000 Zwangsprostituierte sind11. Über 50 Prozent dieser Mädchen sollen minderjährig sein, einzelne gar nur 12 Jahre alt12. Sie sind extrem exponiert und werden oftmals zu Opfern von Gewalttaten.

Laut lokalen Bewohnern und Priestern angrenzender Gemeinden kommt es in La Rinconada zudem noch immer zu Menschenopfern, um die Berggottheit günstig zu stimmen13.

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Leiche von Susy Delgado Quispe, ermordet in La Rinconada

GLANZ UND GLORIA

Weltweit werden 50 Prozent der Goldproduktion zu Uhren und Schmuck verarbeitet. Bis vor Kurzem war die Uhren- und Schmuckmesse Baselworld der Ort, an dem sich die Branche alljährlich traf. Die Großen der Industrie, wie zum Beispiel Swatch, gaben für ihre Marken bis zu 50 Mio. Schweizer Franken pro Ausstellung aus. Auch kleinere Aussteller ließen sich die Veranstaltung locker 1 Mio. Franken kosten. Die Gäste wurden teuer verköstigt. Hotelpreise verdoppelten sich über Nacht. Die Baselworld war der ultimative Ausdruck von Luxus. Woher das Gold stammte, war bislang kein Thema14. Während bis vor einem Jahr 1500 Firmen aus 40 Ländern zu den Ausstellern zählten, ist die Teilnehmerzahl aktuell stark eingebrochen. Es scheint, dass mit dem »Bazar der Eitelkeiten« übertrieben worden ist: zu teuer, zu elegant und zu arrogant15?

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Die Uhren- und Schmuckmesse Baselworld

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Hostessen auf der Baselworld 2016

Allerdings nutzen gewisse Juweliere den Tempel des Luxus auch für ein politisches Statement: Chopard etwa lud auf der Baselworld 2018 zu einer Pressekonferenz. Die Ko-Präsidenten, die Geschwister Scheufele, gaben bekannt, dass die Firma fortan ausschließlich fair gewonnenes Gold verarbeiten wolle16. Juliane Kippenberg von Human Rights Watch (HRW) reagierte aber zurückhaltend: Während sie die Fairmined-zertifizierten Bezugsquellen anerkannte, gab sie sich enttäuscht, dass nicht die gesamte Lieferkette offengelegt wird17. Der Hinweis auf das Zertifikat des Responsible Jewellery Council (RJC) lässt viel Deutungsspielraum. Das Zertifikat ist, wie wir sehen werden, weit davon entfernt zu überzeugen KAP. 5.

EINE FATALE ATTRAKTION

Seit 6000 Jahren sind wir von Gold fasziniert. Gold ist Statussymbol und Schmuck der Mächtigen und Reichen. Doch was macht dieses glänzende Metall so unwiderstehlich? Es scheint von geringem praktischem Nutzen, wenn man von neusten industriellen Verwendungen mal absieht (im Medizinalbereich, als Halbleiter in elektrischen Apparaten usw.).

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dem Gold ein Wert beigemessen wird, der den Gebrauchswert weit übersteigt KAP. 2. Die Gier nach Gold befeuerte die Kolonisierung Lateinamerikas und Kriege zwischen europäischen Staaten. Wo immer Gold entdeckt wurde, entbrannte ein Goldrausch (etwa in Kalifornien um 1848, in Amerika um 1852, in Südafrika um 1886 oder in Australien um 1851). Gold wurde zur Basis der Weltwährungen (Goldstandard). Noch heute spielt der Goldhandel eine bedeutende Rolle im Bankgeschäft KAP. 3.

Bei aller Anziehungskraft hat die Gewinnung von Gold über Jahrtausende hinweg der Menschheit unbeschreibliches Leid beschert. Von den alten Ägyptern über die Inkas und die Spanier bis zum aktuellen Ostafrika wurden und werden Menschen zur Zwangsarbeit in den Minen gezwungen. Hunderttausende von schwarzen Minenarbeitern arbeiteten zu Hungerlöhnen in den südafrikanischen Minen der Apartheidzeit. Mit der Goldgewinnung gehen Umweltschädigungen, Landenteignung, organisiertes Verbrechen, Kinderarbeit und Bürgerkriege einher KAP. 4.

Es ist schwer nachzuvollziehen, dass die Risiken von der Industrie nicht erkannt werden. Noch immer streiten Nichtregierungsorganisationen und Raffinerien um die Größenordnung der Probleme. Zwar bemühen sich internationale Organisationen (wie die OECD) und Branchenverbände (LBMA, RJC, WGC, DMCC) um eine Regulierung der Lieferkette KAP. 5, doch drängt sich die Frage auf, ob diese tatsächlich greift KAP. 6. Im Verlauf der Lieferkette geht der problematische Ursprung verloren. Zum Teil beziehen Raffinerien Gold, das die strikten Kontrollen umgangen hat, um es umzuschmelzen und als »sauber« zertifiziertes Gold zu verkaufen. Das Problem heißt »Goldwäsche« und ist nicht neu: Es war zur Zeit der Nazis aktuell, zur Zeit der Apartheid und ist jetzt bei der Umsetzung der Sicherungen gegen Konfliktgold aus dem Kongo oder aus Darfur erneut von erheblicher Bedeutung.

Kenner der Szene geben es zu: So sagte Dr. Jürgen Heraeus, Eigner der Raffinerie Argor-Heraeus, in einem Interview: »Es gibt keine Möglichkeit in dieser Branche, sauberes Gold zu raffinieren […].«18 Und doch müssen die Bestrebungen verstärkt werden. Die Haltung der Schweizer Regierung, einmal mehr allein auf Selbstregulierung zu setzen, überzeugt angesichts der Herausforderungen nicht KAP. 8. Demgegenüber hat die EU beschlossen, die OECD-Richtlinien zu verbindlichem Recht zu erklären KAP. 7.

Insgesamt ist der Goldhandel nur ein besonders markantes Beispiel aus der Welt der Rohstoffe: Es ist paradox, dass die rohstoffreichsten Länder der Welt die ärmsten Bevölkerungen aufweisen. Rohstoffreichtum geht oft mit schwerer Korruption, illegaler Bereicherung und einer enormen Diskrepanz zwischen Arm und Reich einher – man spricht vom »Rohstofffluch«. Es ist höchste Zeit, international zu reagieren.

DIE GESCHICHTE DES GOLDES image

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02 image

IM ALTEN ÄGYPTEN

Gold spielte bereits in der frühen Antike eine wichtige Rolle, vor allem in Ägypten1 und in Mesopotamien2. Bereits um 5000 v. Chr. fanden erste Siedler im Niltal Nuggets in ausgetrockneten Flussläufen (»Wadis«). Sie hämmerten das glänzende Metall zu Blattform. Die ersten Schmuckstücke wurden in Gräbern gefunden3. Die metallurgischen Fertigkeiten entwickelten sich rasch ab der frühen Pharaonenzeit (ab 3500 v. Chr.)4. Unter den Pharaonen erlangte Gold eine wichtige religiöse Bedeutung5: Es wurde als das Metall des Sonnengottes betrachtet und dem Monopol des Pharaos unterstellt. Tempel bewahrten es auf und führten über Lieferungen genauestens Buch6. Den Höhepunkt erlangte die Goldproduktion im alten Ägypten zur Zeit von Thutmosis III. (1479–1425 v. Chr.)7. Das bekannte Grab des jugendlichen Pharaos Tutanchamun (von 1323 v. Chr.) enthielt 110 Kilogramm reines Gold8.

Die Goldgewinnung entwickelte sich bereits damals zu einer hoch organisierten Aktivität. Man geht heute davon aus, dass die alten Ägypter die Fundstellen in ihrem Einflussbereich systematisch ausbeuteten9 und während der Pharaonenzeit geschätzte 7 Tonnen abbauten10.

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Die Totenmaske von Tutanchamun

Allerdings wurde Gold in Ägypten nicht zu Währungszwecken verwendet. Das geschah erst später unter König Krösus von Lydien (560–546 v. Chr.)11 und den Römern. Die Pharaonen setzten Gold allenfalls als Tauschmittel für edle Materialien (wie Elfenbein) im Handel mit dem östlichen Afrika ein12.

Gold wurde zunächst in der östlichen Wüste bei Assuan und später überwiegend in der nubischen Wüste gewonnen13. Die ägyptische Hieroglyphe für Gold soll man gar »nub« ausgesprochen haben14. Während man in den ersten Jahren hauptsächlich in ausgetrockneten Flussläufen nach Gold suchte15, wurde die Minentechnologie in der Pharaonenzeit rasch weiterentwickelt: Die Ägypter begannen mit dem Abbau unter Tage, indem sie Gräben in Hügel schnitten und Schächte gruben16. Die Ausgrabungswerkzeuge blieben aber mit Hammer und Meißel primitiv17. Weiter entwickelte sich hingegen die Verarbeitung, die sich an den Minenstandorten konzentrierte. Von archäologischen Funden kennt man den Einsatz ganzer Batterien von Mörsern18 und modern anmutender Drehmühlen (vergleichbar mit neueren Mehlmühlen)19. Von Grabinschriften und frühen Schriftquellen20 wissen wir einiges über die Methoden der Trennung von Metallen und Gestein. Das goldhaltige Pulver wurde mit Wasser auf einem schrägen Steintisch über ein Fell gerieben, in der Erwartung, dass sich das schwerere und kantige Metall verfangen werde. Das Fell wurde anschließend verbrannt, und die Goldpartikel wurden so isoliert21. Nicht zufällig ist in der Argonautensage die Rede vom »goldenen Vlies«22.

Die Weiterverarbeitung mutet modern an: Zunächst mussten die Edelmetalle herausgelöst werden. Das Material wurde zusammen mit Blei, Zinn und Hopfen in einem tönernen Topf unter starker Sauerstoffzufuhr erhitzt und mehrere Tage »gekocht«. Die minderwertigen Metalle verbanden sich mit dem Keramiktopf, während Gold und Silber ausfielen (Kuppellation)23. Wie heute war es schwieriger, Gold von Silber zu trennen. Es scheint, wie der griechische Geschichtsschreiber Diodor berichtet, durch Zementation geschehen zu sein: Bei diesem Verfahren wird das Gold- und Silberamalgam zusammen mit Salzen erhitzt. Nach ein paar Tagen verbindet sich das Silber mit den Salzen und trennt sich vom Gold24. Die Metallurgen des Altertums erreichten bisweilen eine Reinheit von über 90 Prozent.

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Grab von Rechmire, Handwerker beim Metallguss

Weniger bekannt ist, dass bereits die alten Ägypter in den Minen überwiegend Kriegsgefangene und Sklaven einsetzten. Die Arbeitsbedingungen müssen entsetzlich gewesen sein. Auf Menschenleben kam es nicht an25. Die Ägypter nahmen damit eine Entwicklung vorweg, die später immer wieder zu beobachten war.

DAS RÖMISCHE REICH UND DAS MITTELALTER

Im alten Ägypten hielt der Pharao das Monopol auf Gold. Der Handel mit Gold, um Waren aus anderen Ländern Afrikas oder des heutigen Nahen Ostens zu erwerben, war ein hoheitliches Vorrecht. Die ptolemäischen Invasoren Ägyptens und später das Römische Reich nahmen eine ganz andere Haltung ein: Sie verwandelten Gold in Währung und prägten Goldmünzen für hochwertiges Geld26.

Die intensiven Abbauaktivitäten des alten Ägyptens wurden im Mittelalter nicht im selben Maße wiederaufgenommen. Neuankömmlinge, insbesondere die Araber ab etwa 640 n. Chr., konzentrierten sich auf die Reaktivierung einiger der bekannten Minen und auf die Plünderung von Gräbern27. Die Produktion blieb niedrig.

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Münzen des Römischen Reiches

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Der Alchemist, Kupferstich von Philippe Galle nach dem Bild von Pieter Bruegel (16. Jahrhundert)

Dennoch erbte das Mittelalter die Goldwährung von den Römern. Qualität war natürlich ein Thema. Die Worshipful Company of Goldsmiths in London, heute The Goldsmiths’ Company, begann bereits ab 1300 mit der Analyse von Edelmetall (Bewertung seiner Zusammensetzung) und der Kennzeichnung (Qualitätsgarantie)28. Doch schnell waren die bekannten Minen in Europa erschöpft, was im 14. und 15. Jahrhundert zu einem Mangel an Edelmetallen führte. Man spricht von der »Great Bullion Famine«29.

Im Laufe des Mittelalters versuchten die Alchemisten, den ständigen Hunger nach Edelmetallen dadurch zu stillen, dass sie nach dem »Stein der Weisen« suchten – einem Material, das Basismetalle künstlich in Gold oder Silber verwandeln konnte30.

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Ein Goldschmied in seiner Werkstatt, von Petrus Christus (1449)

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Ein englischer Wechsel von 1873

Auch die Bankschecks, die viele Menschen heute noch verwenden, haben ihre Vorläufer im späten Mittelalter. Die Zeiten waren hart. Ehemalige Soldaten und verzweifelte Menschen, die aus ihren Häusern vertrieben worden waren, lebten gesetzlos im Wald. Es wurde für Händler immer gefährlicher, mit Säcken voller Gold und Silber zu Messen zu reisen. Viel bösartigere Charaktere als Robin Hood lauerten hinter jedem Baum. Einige unternehmungslustige frühe Bankiers begannen daher, Zertifikate anzubieten, die als Wechsel bekannt sind. Sie bewahrten das Gold des Händlers in ihrem Tresor auf und überreichten ihm ein Zertifikat, das von einem Korrespondenzbankier am Ort der Messe anerkannt wurde, der dann den erforderlichen Betrag an den Händler auszahlte. Wieder zu Hause bezahlte der Kaufmann von seinen Beständen bei der Bank zurück, einschließlich einer zusätzlichen Gebühr. Dieses private Sicherungssystem wurde im Laufe der Zeit zur Grundlage der öffentlichen Währungen31.

DAS ZEITALTER DER ENTDECKUNGEN

Die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahre 1492 kam in mehr als einer Hinsicht zur rechten Zeit. Sie beendete die Goldknappheit und gab auch den spanischen Monarchen die Möglichkeit, ihre Kriege zu finanzieren und eine Flotte aufzubauen32. Sie hat den Lauf der Weltgeschichte grundlegend beeinflusst.

DIE SPANISCHE EROBERUNG LATEINAMERIKAS

Schon im 15. Jahrhundert entdeckten portugiesische und niederländische Seefahrer neue Länder, als sie an der Küste Afrikas und weiter bis nach Asien segelten. Spanien war durch die »reconquista«, seinen jahrhundertelangen Kampf um die Rückeroberung des Südens Spaniens von den muslimischen Mauren, zurückgehalten worden. Nachdem diese erfolgreich vertrieben waren, wurden die sogenannten Katholischen Könige (»Reyes Católicos«) Isabella I. und Ferdinand II. schließlich überredet, eine Expedition des italienischen Entdeckers Christoph Kolumbus zu finanzieren, um die Westpassage nach Indien zu suchen. Kolumbus’ ursprüngliches Ziel war es – wie das von Vasco da Gama aus Portugal –, Handelswege zu öffnen. Erst als er mit Gold und Perlen aus der Karibik zurückkehrte, weckte er die Gier der Monarchen und die Erkenntnis, dass sie das Gold zur Finanzierung von Kriegen zu Hause verwenden konnten. Schnell wechselte das Paradigma vom Handel zur Eroberung. Jetzt schickte König Ferdinand II. Expeditionen von Konquistadoren – vom spanischen Wort für Eroberung »conquista« – nach Westen. »Hol dir Gold«, befahl er, »menschlich, wenn du kannst, aber hole um jeden Preis Gold.«33

Während die frühen Seeleute auf den Antillen mit Geschenken begrüßt wurden, schlug die Stimmung der Ureinwohner rasch um, als klar wurde, dass die Eroberer gekommen waren, um zu rauben und zu töten. Einer der schlimmsten Mörder war Alonso de Ojeda, ein niedriger, aber ehrgeiziger Adliger, der als einer der Beobachter des Königs an der Expedition von Kolumbus teilgenommen hatte. Er begann seine eigene Expeditionsreihe um 1499. Sein Ziel war es, so viele Güter wie möglich für den König und für sich selbst zu rauben. Als Begleiter berühmterer Eroberer wie Francisco Pizarro war er mäßig erfolgreich bei der Suche nach Gold. Er fand aber seine wahre Berufung als brutaler Mörder34.

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»Christoph Kolumbus landet auf Hispaniola«, von Theodor de Bry

Es ist erstaunlich, dass es diesen kleinen und schlecht ausgerüsteten Armeen in so kurzer Zeit gelungen ist, riesige Imperien zu erobern. Der spanische Konquistador Hernán Cortés brauchte nur wenige Jahre und ein paar hundert Soldaten, um das mexikanische Aztekenreich einzunehmen, das 1521 unter seine Kontrolle gelangte35. Einige Jahre später, 1533, fiel das Inkareich – das heutige Peru – an Pizarro. Er soll sich mit seinen etwas mehr als 100 kranken und müden Fußsoldaten und 62 Reitern 80 000 Inka-Kriegern gegenübergesehen haben. Schließlich täuschte er den Inka-Herrscher Atahualpa mit dem Angebot einer freundlichen Begegnung, sperrte ihn ein und schlachtete sein Gefolge ab36. Was auch immer sich in Wahrheit zugetragen haben mag, in der Folgezeit wurden riesige Mengen an Gold, Silber und Edelsteinen geplündert. Der Legende nach hat der gefangene Atahualpa sogar zugestimmt, einen großen Raum mit Gold zu füllen, um seine Freilassung zu erreichen. Die Spanier warteten, bis das Gold geliefert war, und richteten ihn dann trotzdem öffentlich hin37. Diese Goldbeute, die über den Hafen von Sevilla nach Spanien geschickt wurde, markierte den Beginn einer langen Prozession spanischer Schiffsladungen, die Lateinamerika sein Gold und Silber entzogen. Es wird geschätzt, dass in diesem Zeitraum 185 Tonnen Gold und 16 000 Tonnen Silber in Sevilla angekommen sind. Ein Fünftel der Beute – »el quinto« – gehörte dem König38.

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»Amerigo Vespucci auf dem Kontinent«, von Theodor de Bry

Es mag für uns heute schwer vorstellbar sein, aber Gold hatte keinen Wert als Währung für die indigenen lateinamerikanischen Völker, die es gewonnen hatten. Wie im alten Ägypten wurde es hauptsächlich für dekorative und religiöse Zwecke verwendet. Tragisch und höchst bedauerlich ist es, dass dieser Überfall auf das Gold Lateinamerikas nicht nur Tod und Zerstörung gebracht, sondern auch dazu geführt hat, dass wunderschön gearbeitete Artefakte von den Spaniern zu Barren geschmolzen worden sind.

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Goldartefakt, ausgestellt im Museo Larco in Lima, Peru

DIE REAKTION DER KONKURRIERENDEN EUROPÄISCHEN NATIONEN

Da die Führer Spaniens und des Heiligen Römischen Reiches das Gold zur Bezahlung ihrer europäischen Kriege verwendeten, gefährdete der Goldsegen die Position anderer großer europäischer Nationen, insbesondere Englands, Frankreichs und der Niederlande. Das erklärt zum Teil, warum das elisabethanische England mit aggressiven Angriffen auf die spanischen Interessen begann. Die Forscherin Barbara Fuchs spricht von »einer eher verzweifelten Bereitschaft, Spanien in den elisabethanischen Jahren anzugreifen«39. Denn England hatte damals keine organisierte Marine und nur eine schwache Armee. Der Berater der Königin, der Magier John Dee, schlug deshalb vor, dass Elisabeth I. »die Piraten einbinden und von ihren Fähigkeiten profitieren« sollte40. Piraten, die bereit waren, für ihr Land als Freibeuter zu arbeiten, erhielten ein offizielles Mandat, Schiffe einer feindlichen Nation anzugreifen; sie durften bis zu 50 Prozent der Beute behalten41. Eine brillante Idee, dachte die Königin. England organisierte zwischen 1570 und 1577 13 Expeditionen in die Karibik42. Andere Marinemächte wie Frankreich und die Niederlande verfolgten eine ähnliche Politik.

Die Freibeuter waren also eine Reaktion auf die Goldgier der Länder. Sie waren tollkühn, und ihre Aktivitäten konnten durchaus den Lauf der europäischen Geschichte verändern. Sir Francis Drake, einer der bekanntesten Freibeuter, überfiel 1587 sogar den Hafen von Cádiz auf dem spanischen Festland. Innerhalb eines Jahres kam es aber zum ausgewachsenen Krieg, und die spanische Armada setzte Segel, um England zu erobern. Ihre katastrophale Niederlage im Ärmelkanal war ein großer Rückschlag für die spanischen Interessen und half Großbritannien, sich zur führenden Seemacht zu entwickeln. Tatsächlich war Spanien, trotz des massiven Goldzuflusses, am Ende des 16. Jahrhunderts bankrott.

Während Freibeuter, die zur Verteidigung ihres Landes eingesetzt wurden, verherrlicht wurden43, wurde die Piraterie zu einem Problem, als Spanien und England 1604 unter Jakob I. einen Friedensvertrag schlossen. Der rasch expandierende internationale Handel und größere koloniale Bemühungen führten zu einem radikalen Wandel in der Einstellung zur Piraterie44. Die Virginia Company und die East India Company, aufstrebende große Handelshäuser, die ihre Monopole erhalten wollten, waren besonders gegen die Piraterie eingestellt. Auch wenn Dörfer in West-England und Irland noch einige Zeit vom Handel mit Freibeutern – sprich aus heutiger Sicht vom Umgang mit gestohlenen Waren – lebten, überwogen die wirtschaftlichen Interessen des aufstrebenden British Empire: Die Marine verteidigte nun die Handelsflotte45. Bei einer groß angelegten Aktion in der Karibik im Jahr 1710 sollen gar 500 Piraten von den Briten getötet worden sein46.

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Der englische Freibeuter Sir Francis Drake

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Nachbildung von Francis Drakes »Golden Hinde« in Brixham

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Porträt von Sir Walter Raleigh, von Nicholas Hilliard (1585)

Sir Walter Raleighs Lebensgeschichte veranschaulicht die sich wandelnde soziale und politische Einstellung Englands im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Als Abenteurer, Seemann, Dichter und Höfling erforschte und beanspruchte er unter anderem für die englische Königin Elisabeth I. den heutigen US-Bundesstaat Virginia. Zum Zeitpunkt des Krieges mit Spanien war er eine heroische Figur und eine der Schlüsselfiguren am englischen Hof. Er agierte sowohl als Freibeuter wie auch als Soldat. Bei aller Nähe zur Königin mochte ihr Nachfolger James I. ihn nicht und warf ihn ins Gefängnis. Er wurde allerdings begnadigt und dazu beordert, El Dorado zu suchen, eine angebliche »Goldstadt« in Südamerika. Als seine Männer jedoch ein spanisches Fort angriffen und damit gegen den Friedensvertrag zwischen England und Spanien von 1604 verstießen, wurde er erneut verhaftet und nach England zurückgebracht, wo er auf Wunsch Spaniens von James I. umgehend hingerichtet wurde47.

DIE AUSWIRKUNGEN DER GOLDLAWINE AUF DIE WIRTSCHAFT

Die spanischen Monarchen begnügten sich mit einem Fünftel des Goldsegens, um ihre imperiale Politik in Europa und Lateinamerika weiterzuentwickeln. Was aber ist mit den anderen vier Fünfteln der Beute passiert? Die spanische Wirtschaft war damals keineswegs in der Lage, den Zufluss solcher Mengen an Edelmetall zu verarbeiten. Spanien war ein verarmtes Agrarland, das aus religiösen Gründen gerade eben die jüdische und muslimische Bevölkerung – und damit auch die Bankiers – vertrieben hatte. Ausländische Bankiers, insbesondere aus Italien und den Niederlanden, hatten Schwierigkeiten, sich zu etablieren. Zu Recht sagt Hart, dass das Gold und das Silber von der spanischen Wirtschaft nicht aufgenommen werden konnte48. Stattdessen half der Goldzustrom in den frühen Zeiten der Industrialisierung der gesamten europäischen Wirtschaft zu wachsen.

. Es ist kein Zufall, dass praktisch zeitgleich die ersten Zentralbanken entstanden sind: die Amsterdamer Wechselbank (1609), die Bank of England (1694) und die Banque générale de France (1716)50