Völlig unerwartet

Völlig unerwartet

Nicole S. Valentin

Inhalt

Ein Geschenk für dich

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

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Ein Geschenk für dich

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1

„Mensch Jonas, kannst du nicht mal deinen Kram wegräumen? Ich breche mir irgendwann nochmal die Hacken, weil ich ständig über deine Latschen fliege.“ Ich bin wirklich schlecht gelaunt. Und dass mein Mitbewohner seine Plörren ständig überall liegen lässt, wo er sich ihrer entledigt, nervt mich heute noch mehr, als es unter normalen Umständen bereits der Fall ist.

Und dass er mir nicht antwortet, bringt mich erst so richtig in Fahrt. „JOOOONAS? Hörst du nicht? Kannst du jetzt vielleicht auch mal helfen, die Wohnung aufzuräu…“, weiter komme ich nicht. Ich reiße die Tür zu seinem Zimmer auf … und blicke auf zerwühlte Laken, Füße, und von jedem zu viel nackte Haut für eine einzelne Person. Schockiert kneife ich die Augen zu, aber das Bild hat sich bereits in meinem Hirn festgefressen. Diese auf und ab wippenden Brüste im Gesicht meines Mitbewohners.

„Ohh, Verzeihung, ich wollte nicht stören.“ Aber ich störe anscheinend überhaupt nicht. Die beiden unterbrechen ihr Intermezzo nicht und ich trete den Rückzug an.

Ist er noch nicht mal in der Lage, einfach abzuschließen???

Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit, meine Wohnungssituation mal zu überdenken. Mit fast Mitte 30 bin ich wohl doch schon zu alt für den gelebten Studententraum. Und mit traumhaft hat es tatsächlich nur noch wenig zu tun, wenn alles an einem selbst hängen bleibt. Vom Wäschewaschen bis zum Kloputzen.

ES REICHT!

Manchmal komme ich mir vor, als würde ich Jonas hier ein Hotel Mama ermöglichen. Seine Pflichten beschränken sich irgendwie nur noch auf Müll entsorgen, Spülmaschinendienst und Einkaufen. Ohne dass wir das jemals abgesprochen hätten, versteht sich. Abgesprochen war hälftige Miete und hälftige Übernahme der Putzpflichten.

Na, Mahlzeit.

Also werde ich meinen freien Tag mal wieder damit verbringen, diesen Schweinestall in Ordnung zu bringen, während sich der Prinz hofieren lässt.

Pah, ich glaube ich spinne!

Ich schnappe mir meinen Mantel und meine Tasche, die ich eigentlich gerade erst abgelegt habe und schmeiße die Wohnungstür geräuschvoll hinter mir ins Schloss.

Nein, mein Lieber. Dieses Mal nicht.

Heute kann er mich mal kreuzweise.

Auf der Straße krame ich nach meinem Handy und nehme mir fest vor, den Tag heute sinnvoll zu nutzen. Vielleicht ein frisches Bierchen irgendwo in einer schönen warmen Spelunke? Oder mal wieder eine ausgiebige Shoppingtour, gerne auch auf Pauli? Irgendwas wird sich doch finden lassen um mich wieder zu erden.

„Hanna? Wolltest du nicht eigentlich einen Couchtag einlegen, nach dem Stress der letzten Wochen?“ Meine Freundin Pia ist hörbar überrascht.

Na, mit Sicherheit nicht weniger, als ich es bin.

„Denkste, Puppe. Jonas hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er lässt sich gerade die neuesten Trends in Sachen Brustimplantate vorführen. Ich kann dir sagen, diese Aufgabe füllt er wirklich äußerst zuverlässig aus, während er sie in Augenschein nimmt.“

Sie kichert. „Du hast ihn beim Vögeln erwischt?“

Ich liebe meine beste Freundin. Sie weiß immer sofort, worauf ich hinaus will.

„Ja, ich bin mitten reingeplatzt. Das Vorspiel hatten die beiden jedenfalls schon hinter sich.“ Jetzt muss ich auch schmunzeln. „Gehen wir was trinken? Ich weiß es ist kurzfristig, aber…“

Sie fällt mir ins Wort. „Gerne! Wo sollen wir uns treffen? Soll ich dich irgendwo abholen?“

Sie klingt ja fast erleichtert darüber, dass ich sie anrufe. Ich runzle meine Stirn und sehe auf meine Uhr. „Am Hafen? In einer halben Stunde? Das müsste ich hinbekommen.“ Und schon ist das Gespräch beendet und ich freue mich auf einen Weibernachmittag. Wie in alten Zeiten.

Seitdem Pia mit meinem Chef verheiratet ist, kommen wir viel zu selten dazu.

Umso schöner ist es, dass sie spontan zugesagt hat.

Keine 35 Minuten später sitze ich mit meiner Freundin in unserem Lieblingscafé am Hafen.

„Wirklich Pia, es wird allerhöchste Zeit, dass ich mir eine eigene Wohnung suche. Sonst bringe ich Jonas entweder um oder mutiere noch zur Mutter des Jahres, weil der Junge immer frisch gewaschene Unterhosen im Schrank liegen hat.“

Pia lacht und nimmt einen großzügigen Schluck von ihrem alkoholfreien Weizen. Ich verziehe das Gesicht. „Wirklich Schätzchen, dann braucht man auch gar kein Bier zu trinken.“

„Ich muss noch fahren, Hanna. Es reicht, wenn du dich betrinkst. Ich bringe dich sicher nach Hause.“

„Nach Hause? Ich bin mir gar nicht sicher, dass ich da hin zurück möchte.“

„Vielleicht kennt Alexander ja jemanden, der jemanden kennt, der schick und günstig vermietet.“

„Klar. Hier in Hamburg. Du glaubst auch noch an die gute Fee.“ Ich schüttele ungläubig meinen Kopf. Pia ist wirklich niedlich. Eine bezahlbare Wohnung … in Hamburg … bestimmt! Ich hätte damals ihre alte Wohnung übernehmen sollen, als sie zu Alexander Hofer gezogen ist. Die war günstig und wirklich nett. Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht vor, eine häusliche Trennung von meinem Mitbewohner in Betracht zu ziehen. Aber mittlerweile …

„Nein, Hanna, ich meine das ernst. Er kennt doch Gott und die Welt. Es würde mich wundern, wenn er dir nicht bei deiner Suche nach einer bezahlbaren Wohnung helfen kann.“

„Wenn ich schon auf Vitamin B zurückgreifen kann …“ Mit einem Augenzwinkern schiebe mir einige Erdnüsse in den Mund, die vor uns auf dem Tisch stehen. „Ich freue mich übrigens, dass du heute tatsächlich Zeit hast“, ich grinse sie an und sie verdreht lediglich die Augen.

„Na hör mal, für dich habe ich immer Zeit. Mal ganz davon abgesehen, dass du mich irgendwie gerettet hast. Alexander ist noch immer mit diesem Hotelmanager zugange und ich habe vor lauter Langeweile darüber nachgedacht, die Fenster zu putzen.“

Ahh ja, der Hotelmanager. Der hat mich auch einiges an Nerven gekostet in der letzten Zeit. Irgend so ein reicher Arsch plant ein Event der Extraklasse seines schicken Hotels in Hamburg. Entsprechend will der rote Teppich gefeiert werden. Die Kalkulation hat mich einige schlaflose Nächte gekostet.

„Ich dachte, die Party steht bereits?“ Etwas verwundert greife ich nach meinem Bier.

„Ja, das dachte Alexander auch. Aber irgendwie…“ Sie bringt den Satz nicht zu Ende und zuckt lediglich mit ihren Schultern.

Ich belasse es dabei. Von der Arbeit habe ich für heute genug.

Drei Stunden später ist die Wohnung verlassen, jedoch nicht weniger unordentlich. Im Gegenteil, irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass Jonas’ Betthäschen sich an meinem Schokoladenvorrat bedient hat. Und die leere Weinflasche ist ebenfalls nicht mein Werk.

Hinter meiner Schläfe beginnt es zu pochen und eine unbeschreibliche Wut macht sich in mir breit, während ich liegengelassene T-Shirts, Hosen, Pullover und sogar den einen oder anderen Schuh vom Wohnzimmer- oder Küchenboden aufklaube und alles kurzerhand auf Jonas` Bett verfrachte.

„Es reicht, mein Freund. Ich habe jetzt wirklich die Schnauze voll. Jeder andere zahlt seiner Putzfrau zumindest einen Zehner die Stunde.“ Um meinen ungehörten Worten Nachdruck zu verleihen, stecke ich die leere Flasche samt benutzter Gläser mitten in den Wäscheberg und streue das Zellophanpapier meiner jetzt nicht mehr vorrätigen Lieblingsschokolade über dieses skurrile Gebilde. Damit werfe ich die Tür lautstark ins Schloss und lasse mir mein wohlverdientes Bad einlaufen.

Gibt es denn nur noch Idioten um mich herum?

Das heiße Wasser entspannt mich und die Zigarette, die ich mir gönne, tut ihr übriges.

Das wütende „Hanna!“ aus dem Nebenraum lässt mich vermuten, dass die kleine Schlampe wieder zu Hause ist. Ebenso wie das kurz darauf folgende Klopfen an der Badezimmertür.

„Hanna, was soll der Scheiß? Hast du keine anderen Hobbys, als mich zu tyrannisieren?“

Jonas` Stimme klingt dumpf durch die geschlossene Tür. So gar nicht beeindruckend. Ich ziehe noch ein letztes Mal an meiner Zigarette.

„Ich bin nicht deine polnische Perle, mein Freund. Räume gefälligst deinen Scheiß alleine weg.“

„Das hätte ich jetzt sicherlich getan. Aber du musst ja mal wieder übertreiben, indem du alles auf mein Bett wirfst. Der Rest Wein aus der Flasche ist in meinen Klamotten. Shit, Hanna, jetzt muss ich alles waschen und das Bett beziehen.“ Seine Faust schlägt kurz an die Tür. „Sag mal, du rauchst doch nicht wieder in der Wanne, oder? Es stinkt.“

„Sei doch nicht so unentspannt, ich dachte, du hattest gerade Sex.“ Mit einem Grinsen im Gesicht ziehe ich den Stöpsel und mit einem Gluckern bildet sich ein feiner Strudel gen Abfluss. „Ich mache gleich die Lüftung an.“

Diese neuen Nichtraucher machen mich wahnsinnig. In den ersten Monaten halten sie ihre Nase in jede blaue Dunstwolke, die ihren Weg säumt, nur um die Gier nach Nikotin auf indirektem Weg zu befriedigen und wenn sie dann endlich meinen, über den Berg zu sein, verachten sie alle anderen, die dem Glimmstängel noch nicht gänzlich abgeschworen haben. „Du lässt deinen Scheiß überall rumfliegen und ich rauche, wenn ich fertig bin mit putzen. Finde dich damit ab.“ Ich fische nach dem Frotteehandtuch, welches auf dem Klodeckel für mich bereit liegt.

„Ehrlich, Hanna, suche dir endlich was Neues fürs Bett. Du bist unerträglich launisch. Ich kann dein ewiges Rumgezicke nicht mehr ertragen.“ Und noch ehe ich hierauf eine passende Antwort geben kann, höre ich seine Tür zufallen.

„Du Riesenarschloch.“

Ich war laut. Er muss es noch gehört haben.

Mit dem Zipfel meines Handtuchs wische ich über den beschlagenen Spiegel. Meine blonden, schulterlangen Locken umrahmen mein blasses, viel zu schmales Gesicht. Die Ränder unter meinen Augen stehen für die Anstrengungen der letzten Wochen. Mein Schlüsselbein zeichnet sich spitz unter meiner Haut ab und auch sonst habe ich nicht mehr viel Fleisch auf den Rippen.

Aber ich bin auf dem Wege der Besserung. Wirklich. Es geht mir wieder gut. Zumindest fast.

Die Abstände, in denen ich noch verzweifelt versuche, Sebastian zu hassen, werden größer, die Träume seltener.

Es ist ein halbes Jahr her, dass er mich über seinen neuen Job in den Staaten informiert hat. Und mich darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass es seine Frau sein wird, die er über den großen Teich mitzunehmen gedenkt.

Tja, Hanna, so kann es gehen, wenn man sich mit dem Status der Geliebten zufrieden gibt. Man wird aussortiert.

Immerhin wusste ich von seiner Frau, und ich habe es hingenommen, immer nur bereit zu stehen. Bereit für die schnelle Nummer zwischendurch, für die langen Abende und Nächte, die seine Frau, ihres Zeichens Chirurgin, lieber im OP als zu Hause verbracht hat, für all die Kongresse und Tagungen, bei denen ich im Hotelzimmer darauf gewartet habe, dass er nach einem schicken Essen oder einer Gala für ein paar Stunden mir gehörte.

All das war am Ende nichts wert und egal, wie sehr man sich einredet, Teil einer funktionierenden Beziehung zu sein, zum Schluss gewinnt immer die Ehefrau.

Aber das ist jetzt vorbei. Nie wieder werde ich mich von einem Mann derart abhängig machen, nie wieder werde ich einem Mann gestatten, mich emotional so zu vereinnahmen.

Nein, so wahr ich Hanna Seiler heiße. Die Sebastians dieser Welt können mir gestohlen bleiben. Ab jetzt bestimme ich die Regeln. Ich sage, wo es lang geht.

Wenn ich denn jemals wieder einen Mann finde, der mich überhaupt genug interessiert, um meine neuen Vorsätze direkt an ihm auszuprobieren.

Mein derzeitiges Wohnproblem ist doch um einiges akuter und es wird höchste Zeit für eine Veränderung. Pia hat recht.

Mit einem kapitulierenden Aufseufzen schlüpfe ich in meinen Pyjama und verziehe mich in mein Zimmer.

Für heute fehlt mir eindeutig die Kraft, mich länger als nötig mit meinem Mitbewohner auseinanderzusetzten.

2

Leider finde ich die gute Laune auch am nächsten Tag nicht wieder. Ich bin genervt. Und nicht mehr in der Lage, das mit einem aufgesetzten Lächeln zu vertuschen.

Jonas´ benutzter Teller und die halbvolle Kaffeetasse auf dem ansonsten völlig verwaisten Küchentisch ist nur der Tropfen, der das Fass letztendlich zum Überlaufen bringt. Wutschnaubend pfeffere ich alles in die Spüle, während meine Finger bereits Pias Telefonnummer aktivieren.

„Hanna, alles …?“

„Wo genau waren diese Wohnungen, die Alexander über irgendjemanden besorgen kann? Ich zahle jeden Preis. Zur Not schiebe ich Überstunden.“

„Du liebes Bisschen, jetzt wird es aber brenzlig. Lebt Jonas denn noch?“ Sie kichert.

Mir ist nicht nach Kichern.

„Pia, das ist nicht lustig! Überhaupt nicht lustig. Ich bin fast Mitte 30 und räume hinter einem Mann her. Einem Mann, der noch nicht mal mein eigener ist. Versteht du mein Dilemma, Pia-Schatz?“ Ich atme tief in den Brustkorb. „Ob er noch lebt, war die falsche Frage …“

„Du weißt, ich helfe dir bei der Beseitigung seiner Leiche …“ Sie grunzt. Ich schnaube.

„Hol mich sofort hier raus, dann kommen wir alle mit einem blauen Auge davon.“

„Mir fällt spontan nur dieses kleine Hotel ein, bei dem die Agentur ein Zimmer zur Verfügung hat. Du weißt schon, bei dieser Freundin von Alexanders Mutter. Der Schlüssel ist sogar im Büro. Ich gebe ihn dir. Im Moment wird es ja nicht benutzt.“

„Ein Hotel?“ Sie spinnt.

„Wohl eher eine Pension. Zumindest ist es eine vorläufige Fluchtmöglichkeit, Hanna. Bis das mit der Wohnung geklärt ist. Und wer weiß … vielleicht reicht der vorläufige Abstand zueinander ja erstmal aus?“

Sie ist ja so fürchterlich optimistisch, meine Freundin.

„Zumindest könnte ich es versuchen.“

„Solange wir es für die Agentur nicht brauchen, kannst du das Zimmer auch kostenlos nutzen.“

„Ach Pia …“

„Schon gut, immerhin musst du dich auch irgendwie verpflegen. Und die Miete für die gemeinsame Wohnung mit Jonas läuft ja weiter. Sieh es einfach als einen kleinen Urlaub an.“

Jetzt muss ich lächeln.

„Nimmst du das Angebot an? Ich suche gleich den Schlüssel raus.“

„Himmelherrgott, natürlich. Wer könnte dazu schon nein sagen? Aber bitte sprich mit Alex über die Wohnung. Das Hotel ist nur eine Übergangslösung, klar? Ich muss auf jeden Fall hier ausziehen.“

Mein Puls normalisiert sich wieder und ich spüre, wie sich ein Gefühl der Erleichterung in mir ausbreitet.

Endlich raus hier.

„Meinst du, ich könnte schon packen?“

Schallendes Gelächter dringt an mein Ohr. „Ach Hanna, ich liebe dich.“ Damit legt sie auf.

Etwas versöhnt mit meiner Situation räume ich Teller und Tasse aus der Spüle in die Spülmaschine und begebe mich in mein Zimmer, um den Inhalt meines Kleiderschrankes in einen Trolly zu packen.

Ja, der Trolly wird erstmal reichen.

Ich kann ja zum Waschen und Wäsche wechseln jederzeit in meine WG zurückkehren.

Keine zehn Stunden später betrete ich das Zimmer, das ich gegen eine nervtötende Wohngemeinschaft eingetauscht habe. Die Pension liegt direkt in St. Georg an der Außenalster. Ein wunderhübscher Altbau mit alten, deckenhohen Holzrahmensprossenfenstern, kein Kunststoff. Zimmer 014 ist lichtdurchflutet. Ein frischer duftender Blumenstrauß steht auf dem Biedermeiertischchen, an dem zwei elegante, schlanke Stühle nur darauf zu warten scheinen, dass ich eben genau dort meine Teatime zelebriere.

Ich trinke wirklich selten Tee, aber es klingt verlockend.

Der wunderschöne antike Kleiderschrank ist gerade groß genug, um den Inhalt meines Köfferchens zu beherbergen und selbst das Bett aus Nussholz erinnert an eine längst vergangene Zeit. Ein romantischer Betthimmel in demselben Altrosaton wie die Bezüge der Stühle rundet das Gesamtbild ab.

Ein Blick aus dem Fenster lässt mich kurz verzückt aufjauchzen. Ich sehe tatsächlich direkt auf die Alster.

Pia ist brillant, das ist tatsächlich wie Urlaub.

Gut, dann werden wir unsere zukünftigen Treffen eben ausnahmsweise mal am Jungfernstieg abhalten und nicht am Hafen. Das hat doch auch was. Und an Stelle von Pauli gibt es hier eben die Mönkebergstraße zum Shoppen.

Himmlisch.

Das Schellen des hölzernen Nostalgietelefons auf meinem neuen Nachttisch holt mich aus meinen Gedanken. Auch hier fügt sich jedes Detail in das Ambiente des Zimmers. Der Hörer liegt schwer auf einer Messinggabel. Es hat tatsächlich noch eine Wählscheibe und lässt mich vermuten, dass mancher Gast dieses Zimmers tatsächlich erst einige Sekunden darüber nachdenken musste, wie dieses Ding wohl funktionieren mag.

„Hallo?“ Die Hörmuschel kühlt mein Ohr und das Gewicht des Telefonhörers ist tatsächlich nicht zu verachten.

„Guten Tag, Frau Seiler. Mein Name ist Thea Andresen und ich begrüße Sie in meiner kleinen Pension Schmilinsky. Ich hoffe, Ihnen gefällt das Zimmer. Frau Hofer hat mich über Ihr Kommen unterrichtet.“

„Hallo Frau Andresen. Es ist wunderschön hier.“ Ich atme tief ein.

„Sollten Sie einen Wunsch haben, dann wählen Sie einfach die 12 auf der Wählscheibe. Die Rezeption kümmert sich gerne darum. Ansonsten wünsche ich Ihnen einen erholsamen Aufenthalt.“

Der beruhigende Klang ihrer Stimme und der nette Empfang nehmen mich sofort für Frau Andresen ein.

„Ich bin in diesem Moment wunschlos glücklich.“

Sie lacht. Leise und freundlich. „Das höre ich gerne. Frühstück gibt es ab 6:30 Uhr.“

„Vielen Dank.“

Ich beende das Gespräch und fahre mit dem Zeigefinger über das glänzende Messing der Wählscheibe. Ich stecke mitten in einem Traum, ganz bestimmt. Und wehe dem, der es wagt, mich zu kneifen!

Ich unterrichte Pia kurz über mein Wohlbefinden, jedoch lieber mit meinem Handy, ehe ich meinen Koffer leere und mich genießerisch in die freistehende Badewanne des Badezimmers gleiten lasse. Der Badeschaum umschmeichelt meine Haut und ich schließe die Augen, mit dem festen Vorsatz, mich nie wieder mit weniger zufrieden zu geben.

Ein Scheppern aus dem Nachbarzimmer lässt mich blinzelnd ein Augenlid öffnen, ein erneutes Rummsen sowie das darauf laut folgende „Scheißdreck, verdammter“ senkrecht aufsetzen.

Super! Hellhörige Wände sind genau das Richtige in meiner derzeitigen Verfassung.

Mit einem Seufzen lege ich mich wieder zurück, allerdings ist es vorbei mit meiner Ruhe. Der Gedanke, mein unmittelbarer, eindeutig männlicher Nachbar könnte sich Werweißwas angetan haben, lässt mich nicht mehr in die tiefenentspannte Starre verfallen, die mich gerade noch so fest im Griff hatte.

„Hallo? …“ Zögerlich folge ich meinem Drang, mich zu vergewissern, dass nichts wirklich Schlimmes im Nebenzimmer passiert ist.

„HALLO?“

Nicht doch … zwinge mich nicht, diesen wundervollen warmen Ort zu verlassen und antworte mir gefälligst …

„IST ALLES IN ORDNUNG BEI IHNEN?“ Ich horche in die Stille. Gerade als ich mich erheben will um nachzusehen, ob Hilfe benötigt wird, klopft es an die Wand.

„Haben Sie mich etwa gehört?“ Dumpf klingt die Männerstimme zu mir herüber.

Blitzmerker.

„Nein, ich rufe nur aus bloßem Interesse. Wie witzig, dass es funktioniert.“ Kopfschüttelnd widme ich mich wieder meinem verführerischen Badeschaum.

„Nichts für ungut.“ Ein letztes entschuldigendes Klopfen, dann herrscht wieder Stille.

Meine erste Nacht im Paradies ist viel zu schnell vorbei und ehe ich mich versehe, klingelt mich mein Wecker aus den schönsten Träumen. Aber der Gedanke an Kaffee lässt mich letztendlich doch aus den Federn kriechen. Und ein Frühstücksbuffet hat ja auch seinen ganz besonderen Reiz. Man braucht nichts selbst vorzubereiten, nichts abzuräumen, wegzuräumen, aufzuräumen.

Einfach fantastisch!