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Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-954-3
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Himmelhund an Bord!

Chalid will auf der „Santa Barbara“ dabeisein – koste es, was es wolle

Die Dachkammer war stickig heiß.

Chalid Abu Bakir lag flach auf dem Boden. Das Kinn in die Hände gestützt, blickte er durch das kleine Gaubenfenster.

Da unten war der Hafen von Bagdad.

Und da lag das Schiff, das den Fluß heraufgesegelt war.

Ein majestätisches Schiff. Es fuhr über die Weltmeere.

Chalid wandte sich wieder dem Modell zu, das er heimlich zu bauen begonnen hatte. Liebevoll strich er über den Rumpf, der die Länge seines Unterarmes hatte und aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt war.

Er hatte nur einen Tag dafür gebraucht.

Ein Krachen, wie ein Schuß, riß den bulligen jungen Mann aus seinen schwärmerischen Gedanken. Die Tür war aufgeflogen.

Der Mann stand breitbeinig da.

„Habe ich dich endlich, du Nichtsnutz“, sagte er grinsend.

Die Hauptpersonen des Romans:

Chalid Abu Bakir – Der Sohn des reichsten Mannes von Bagdad hat sich in den Kopf gesetzt, die Welt kennenzulernen – aber als Kapitän der „Santa Barbara“.

Hassan Al’Aram – Der Bürovorsteher im Handelshaus des alten Abu Bakir nennt Chalid einen Nichtsnutz und löst damit eine Kette haarsträubender Ereignisse aus.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf muß sich diplomatisch verhalten, denn schließlich genießt er ein Gastrecht in der Hafenstadt am Tigris.

Ben Brighton – Hasards Erster Offizier meldet – was die Weiterreise auf dem Tigris betrifft – Bedenken an.

Edwin Carberry – Der Profos muß sich als Durchklopfer betätigen, was er in bewährter Manier erledigt.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Chalid schnellte vom Fußboden hoch. Mit seinen Muskelpaketen war er beweglich wie eine Feder. Er hatte den Schreck überwunden. Wut war jetzt sein stärkeres Empfinden. Sprungbereit blieb er stehen, mit hängenden Armen. Doch seine Hände ballten sich langsam zu Fäusten.

„Dein Vater sucht dich seit zwei Stunden“, sagte der Mann in der Tür, und sein Grinsen nahm einen höhnischen Zug an. „Die Hälfte der verfügbaren Arbeitskräfte sind gebunden, weil sie nach dir suchen müssen. Zehn Personen zu jeweils zwei Stunden – das summiert sich auf zwanzig Stunden. Die wirst du abarbeiten müssen, mein lieber Chalid. Zwanzig Stunden zusätzlich zur regulären Arbeitszeit!“

„Ist deine Ansprache jetzt zu Ende?“ fragte Chalid schroff. Er hatte diesen Kerl noch nie leiden können.

Hassan Al’Aram hieß er und war der Bürovorsteher im Handelshaus seines Vaters. Ein großer, knochiger Mann, fünfzehn Jahre älter als er, Chalid. Dieser Hundesohn hatte sich herangeschlichen und dann so plötzlich die Tür aufgestoßen, daß ihm der Schreck in alle Knochen gefahren war.

Chalid dachte an das Schiff, wie er so voller Wut dastand.

Er dachte an das Schiff und an seine Zukunft.

Beides gehörte zusammen. Das war die Erkenntnis, die Allah ihm an diesem heutigen Tag gegeben hatte. An diesem Tag im Mai des Jahres 1597, wie es die Ungläubigen bezeichneten. Oh, er wußte alles über ihre Gewohnheiten und Gebräuche. Er hatte sich lange genug damit befaßt.

Jetzt, nach seiner Erkenntnis, hatte er es nicht mehr nötig, die Schikanen eines Hassan Al’Aram hinzunehmen, der nichts weiter als ein katzbuckelndes Werkzeug seines Vaters war.

„Du hörst nicht gern zu, wenn man dir etwas zu sagen hat, nicht wahr?“ Hassan zog sein Grinsen bis zu den Ohrläppchen hoch. „Das ist dein größter Fehler, mein lieber Chalid. Du solltest dir angewöhnen, ein bißchen lernen zu wollen. Dann kommst du besser zurecht im Leben.“

„Ich lerne das, was mir paßt. Und ich bin nicht dein lieber Chalid. Klar?“

Das Grinsen schwand aus dem Gesicht des knochigen Mannes.

„Eine solche Sprache möchte ich nicht von dir hören“, sagte er drohend.

„Dann halte dir die Ohren zu.“

Hassan Al’Aram sperrte den Mund auf, sein Kinn sackte vor Fassungslosigkeit noch ein Stück tiefer.

„Bist du verrückt geworden?“ keuchte er. „Was fällt dir ein, so einen Ton anzuschlagen? Beim Propheten, du kannst doch nicht so sehr den Verstand verloren haben, daß du nicht mehr weißt, wen du vor dir hast.“

„Möchtest du dir mein Schiff ansehen?“ fragte Chalid mit einem gleichmütigen Gesichtsausdruck, der besagte, daß er nichts von den Worten des älteren Mannes gehört, geschweige denn zur Kenntnis genommen hatte.

Der Knochige lief rot an.

„Ich soll was?“ brüllte er.

„Mein Schiff ansehen“, erwiderte Chalid, immer noch ruhig und sogar mit einem freundlichen Lächeln. „Es liegt im Hafen, und ich bin dabei, es nachzubauen.“

Hassan Al’Aram starrte ihn an, als hätte er es mit einem Verrückten zu tun.

„Du kommst jetzt sofort mit“, sagte er scharf. „Ich habe den Auftrag, dich an deinen Arbeitsplatz zu bringen. Und ich werde den Auftrag ausführen, darauf kannst du dich verlassen.“

„Versuche es“, entgegnete Chalid und grinste wieder.

Al’Aram sah aus, als würde er jeden Augenblick von einer inneren Explosion in Stücke gerissen. Er atmete pumpend ein und aus.

„Chalid!“ Seine Stimme war noch schärfer. „Beweg dich! Ich habe keine Lust, mir deinen Unsinn länger anzuhören.“

Chalid hob die Schultern und winkte verächtlich ab. Er drehte sich um und tat, als kümmere er sich nicht weiter um den Bürovorsteher seines Vaters.

Es erfolgte die Reaktion, die er erwartet hatte.

Schritte polterten hinter ihm. Die Fußbodenbretter knarrten. Al’Aram, kurz zuvor noch ein perfekter Schleicher, schien in seinem Zorn doppelt schwer zu werden. Und er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle.

Chalid wartete, bis er drei Schritte gehört hatte. Dann wirbelte er herum. Seine Haltung war etwas geduckt, der Oberkörper vorgeneigt, die Fäuste wie große, kantige Hämmer erhoben.

Al’Aram prallte zurück. Seine Augen schienen von innen her aus den Höhlen gedrückt zu werden.

„Bist du wahnsinnig?“ keuchte er.

Er holte mit der Rechten aus und wollte dem erwachsen gewordenen Jungen eine Ohrfeige verpassen, wie er das noch immer gewohnt war. Omar Abu Bakir hatte ihn, Al’Aram, ausdrücklich und wiederholt dazu autorisiert.

Chalid wich der flachen Hand mit einer blitzartigen Bewegung aus. Im selben Moment jedoch zuckte sein linker Unterarm hoch und fing den Schlag ab.

Hassan Al’Aram schrie auf, denn jäher Schmerz durchfuhr ihn. Er hatte das Gefühl, gegen Eisen geschlagen zu haben. Beim Propheten, dieser unverschämte junge Kerl hatte seine Muskeln gestählt, daß es eine Ungeheuerlichkeit war!

Noch bevor Al’Aram den Schmerz überwunden hatte, noch bevor er zurückweichen konnte, schloß sich plötzlich eine eiserne Klammer um sein Handgelenk.

Abermals schrie er, denn diese Klammer war so stark, daß sie sein Gelenk zu durchtrennen schien. Seine Hand, eben noch zur Ohrfeige bereit, wurde schlaff und gehorchte nicht mehr. Al’Aram zerrte, doch der Schmerz verstärkte sich dadurch nur.

Er sah Chalids kantigen Schädel mit dem kurzgeschorenen Haar, seinen bullig gebauten Körper, wie er ruhig und überlegen dastand, und aus seiner Fassungslosigkeit wurde Widerstand. Er, der rechtmäßige Angreifer, mußte sich verteidigen. Unerhört!

War er denn nicht Hassan Al’Aram, der Stellvertreter Omar Abu Bakirs, auf dessen Kommando jeder genauso zu hören hatte wie auf die Weisungen des Alten selbst? Und war er denn ein Schwächling, der sich von einem hergelaufenen Lümmel veralbern ließ?

Er ließ die Linke vorschnellen und war schon sicher, daß der unverschämte Kerl diesmal zu spüren kriegte, was es hieß, den Unwillen eines Hassan Al’Aram herauszufordern.

Doch da war sie plötzlich, die zweite Eisenklammer, die Hassan einen erneuten Schrei ausstoßen ließ und ihn in den Abgrund unendlicher Demütigung schleuderte.

Chalid hielt ihn mit beinahe spielerischer Leichtigkeit – wie ein übermächtiger Vater das trotzige kleine Kind. Al’Aram glaubte, sich mitten in einem Alptraum zu befinden. Dies konnte keine Wirklichkeit sein! Wie war es nur möglich, daß sich der kleine freche Chalid ganz unbemerkt zu einem solchen Muskelprotz entwickelt hatte? Zu einem, dem selbst ein kräftiger ausgewachsener Mann nichts entgegenzusetzen hatte.

Hassan Al’Aram starrte in die schmalen Augen des jungen Mannes, und dort stand klar und deutlich, daß Chalids Haß nicht vorgetäuscht war.

Al’Aram erschauerte. Abermals erwachte sein Widerstandswille, diesmal jedoch aus Angst. Dieser Verrückte brachte es fertig, ihn totzuschlagen. Immerhin mußte er den Verstand verloren haben, wie schon festgestellt. Hassan Al’Aram erinnerte sich daran, daß man mit einem hochgerissenen Knie eine Menge ausrichten konnte.

Chalid erkannte die Absicht des knochigen Mannes schon im Ansatz. Er riß die Arme Al’Arams nach beiden Seiten auseinander und schmetterte ihm in selben Atemzug beide Fäuste auf den Brustkasten.

Der Knochige dachte nicht mehr an sein Knie, das er so wirkungsvoll hatte einsetzen wollen. Die Wucht des Doppelhiebes trieb ihn rückwärts. Er ruderte mit den Armen. Vergeblich. Der Länge nach schlug er auf die Bodenbretter. Es krachte, als breche er ins daruntergelegene Stockwerk durch.

Chalid ließ dem verhaßten Schinder keine Chance mehr. Al’Aram schaffte es nicht einmal, sich halb aufzurichten. Chalid war bereits zur Stelle, zog ihn am Kragen hoch und versetzte ihm mit Handfläche und Handrücken eine Serie von schallenden Ohrfeigen, die seinen Kopf hin und her warfen. Al’Aram schrie und wimmerte. Chalid riß ihn auf die Beine und nagelte ihn mit Fausthieben an der Wand neben der Tür fest.

Al’Arams Schmerzenslaute wurden leiser. Er verdrehte die Augen und gab nur noch ein kaum hörbares Ächzen von sich.

Chalid hielt inne und betrachtete ihn grinsend. Das Gesicht des Knochigen war bereits verquollen und von blutigen Striemen gezeichnet. Die Bewußtlosigkeit würde ihm jetzt die Schmerzen ersparen.

„So nicht, mein lieber Hassan“, sagte Chalid kalt und brachte den Mann mit einer neuen Ohrfeigenserie in die Wirklichkeit zurück.

Al’Aram riß die Augen weit auf, blinzelte heftig und schnappte nach Atemluft.

Chalid packte ihn im Nacken, trat zur Seite und schleuderte ihn in den Raum. Wieder krachte es. Al’Aram rutschte der Länge nach über die rauhen Bretter, bis er mit dem Gesicht kurz vor dem halbfertigen Schiffsmodell liegenblieb.

Der Knochige stöhnte nur noch und war nicht mehr imstande, sich aufzurichten.

Chalid stellte sich breitbeinig über ihn, bückte sich und packte ihn erneut. Mühelos schob er ihn mit dem Kopf bis an das kleine Gaubenfenster.

„Nun wirst du dir mein Schiff ansehen“, sagte er mit herablassendem Hohn. „Sieh es dir genau an und beschreibe es mir. Es ist das größte Schiff dort unten im Hafen.“

Al’Aram stöhnte nur.

Chalid drückte ihm das Kinn auf den Boden. Mit aller Kraft. Der Knochige hatte das Gefühl, sein Unterkiefer würde zerquetscht. Ein gurgelnder Schmerzenslaut drang tief aus seiner Kehle.

„Beschreibe es!“ befahl Chalid eisig und hob den Kopf Al’Arams ein wenig an.

„Es – es hat – drei Masten“, stammelte der Bürovorsteher mit gequälter Stimme. „Es ist ein Schiff, wie es – wie es die Ungläubigen benutzen. Diesen Typ nennen sie – Karacke, glaube ich.“

„Falsch“, sagte Chalid spöttisch. „So was will leitender Mann in einem altehrwürdigen Handelshaus sein! Kann nicht mal eine Karacke und eine Galeone auseinanderhalten.“

„Doch, doch, natürlich!“ beeilte sich Al’Aram zu versichern. „Es lag mir auf der Zunge. Ich habe mich nur im Wort vergriffen. Klar, daß das dort im Hafen eine dreimastige Galeone ist.“

„Weiter!“ forderte Chalid.

„Die – die Armierung ist außergewöhnlich“, sagte Al’Aram rasch, denn er spürte schon wieder die Faust seines Gegners im Nacken. „Es dürfte kein reines Handelsschiff sein, weil es so viele Geschütze an Bord hat.“

„Quatsch“, knurrte Chalid. „Glaubst du, die Handelsfahrer wagen sich waffenlos auf die Weltmeere? Da treibt sich viel zuviel Gesindel herum, gegen das man sich wehren muß. Du bist wirklich ein ahnungsloser Hundesohn, Hassan.“ Er zog den am Boden liegenden ein Stück zurück. „Jetzt sieh dir das Modell an. Was sagst du dazu?“

„Sehr gelungen“, stöhnte Al’Aram. „Es stimmt genau mit dem Original überein, in jedem Detail.“

„Speichellecker“, sagte Chalid verächtlich. Er richtete sich auf und stellte dem Unterlegenen einen Fuß auf den Rücken. Dazu verschränkte er die Arme wie ein stolzer Jäger vor dem erlegten Wild. „Du glaubst, du kannst mir mit so einer dümmlichen Aussage schmeicheln? Kein Mensch kann mit einem kurzen Blick feststellen, ob ein Modell dem Original entspricht. Dazu muß man schon sehr genau hinsehen und immer wieder vergleichen, vergleichen, vergleichen. Aber es entspricht deinem schleimigen Wesen, daß du versuchst, mir Honig um den Bart zu schmieren. Nur so und nicht anders hast du es im Geschäft meines Vaters zu etwas gebracht. Es ist ein Jammer, daß der Alte deinen wahren Charakter nicht erkannt hat.“ Chalid holte Luft. „Nun, ich muß mir überlegen, was ich mit dir anfange. Du mußt bestraft werden, völlig klar. Vielleicht nehme ich dich als Diener mit, wenn ich an Bord meines Schiffes gehe. Keine schlechte Idee.“

Al’Aram sperrte über dem staubigen Bodenbrett Mund und Augen auf. Es mußte so sein, wie er schon zu Anfang vermutet hatte: Chalid hatte den Verstand verloren. Der arme Omar Abu Bakir war zu bedauern, daß er einen solchen Sohn hatte.

„Dein Vater wird das nicht zulassen“, sagte Al’Aram matt, denn er konnte trotz aller Schmerzen und Demütigung nicht einsehen, daß er Chalids hirnrissiges Gefasel länger ertragen sollte.

„Mein Vater wird nicht erst um Erlaubnis gefragt“, entgegnete Chalid kühl. „Denn mein Weg ist vorgezeichnet. Allah hat mir die Erleuchtung gegeben. Ich weiß jetzt, wie meine Zukunft aussieht. Das Schiff dort unten im Hafen heißt ‚Santa Barbara‘, und Allah hat es mir geschickt. Ich bin mir meiner heiligen Pflicht bewußt, die ich zu erfüllen habe. Ich werde meine Aufgabe als Seefahrer wahrnehmen, wie Allah es von mir verlangt. Keine lächerliche Krämerseele namens Omar Abu Bakir wird mich daran hindern.“

„Und der Kapitän des Schiffes?“ fragte Al’Aram vorsichtig. Er spürte, wie sich Chalid in eine Art Wahn redete. Vielleicht steigerte er sich immer weiter hinein, und dann gab es eine Chance zur Befreiung.

„Der Kapitän?“ wiederholte Chalid verdutzt. „Was soll mit dem sein?“

„Vielleicht hat er etwas dagegen, daß du sein Schiff übernimmst.“