image

image

Kevin Hardcastle

Im Käfig

Aus dem kanadischen Englisch von Harriet Fricke

Herausgegeben von Wolfgang Franßen

image

Die deutsche Übersetzung wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung des Canada Council for the Arts.

image

Copyright by Kevin Hardcastle 2017

Originaltitel: In the Cage

Kevin Hardcastle’s »In the Cage« was first published in 2017 in English by Biblioasis

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2019

Aus dem kanadischen Englisch von Harriet Fricke

© 2019 Polar Verlag. Stuttgart

www.polar-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Eva Weigl, Claudia Denker

Umschlaggestaltung: Robert Neth, Britta Kuhlmann

Coverfoto @ GVS/adobestock

Autorenfoto: © Katrina Afonso 2017

Satz: Martina Stolzmann

Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck, Deutschland

ISBN: 978-3-945133-85-9
eISBN: 978-3-945133-86-6

Inhalt

Erster Teil

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Zweiter Teil

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Dritter Teil

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Vierter Teil

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Zweiunddreißig

Dreiunddreißig

Vierunddreißig

Fünfunddreißig

Sechsunddreißig

Siebenunddreißig

Achtunddreißig

Fünfter Teil

Neununddreißig

Vierzig

Einundvierzig

Zweiundvierzig

Dreiundvierzig

Vierundvierzig

Fünfundvierzig

Dank

Erster Teil

Im Cage kämpfte Daniel zum ersten Mal an seinem siebenundzwanzigsten Geburtstag. Er hatte als Amateur geboxt, mit einer Bilanz von zweiundzwanzig zu zwei, davon zwanzig Siege durch Knock-out. Die beiden Niederlagen waren Punktentscheidungen gewesen, und er war bei den Kämpfen nur ein einziges Mal verletzt worden, verlor darüber aber kein Wort. Der Boxzirkus war nicht sein Ding, aber bevor Daniel ins Profilager gedrängt werden konnte, landete sein Trainer im Fenbrook-Gefängnis, weil er krumme Geschäfte für den örtlichen Motorradclub gemacht hatte. Er kam nicht wieder. Daniel ging nicht mehr ins Gym, dann sah er im Fernsehen einen Muay-Thai-Fight und wusste, dass sich das Boxen für ihn erledigt hatte. Im folgenden Jahr bestritt er zwölf nach nordamerikanischen Regeln durchgeführte Wettkämpfe im Kickboxen und gewann sie alle durch Knock-out. Er kämpfte in Quebec und Alberta und auf dem Territorium der First Nations, einige der Kämpfe landeten nicht in seiner Bilanz, einige wurden nach Thai-Regeln durchgeführt, und die dünnen Matten in den Ringen wurden wieder und wieder mit dem Blut von Männern besprenkelt.

Im südlichen Alberta fand er ein Gym, eher einen Lagerraum mit Bodenmatten, wo er mit zwei Weißen Jiu-Jitsu trainierte, die eine Armeleutevariante von einem Tagelöhner mit brasilianischen Wurzeln gelernt hatten. Wieder in Ontario entdeckte Daniel ein Gym, in dem Männer mit zweifelhaften Verbindungen zu Kämpfern aus Rio de Janeiro und Curitiba echtes Brazilian-Jiu-Jitsu trainierten, und sie schlugen Daniels Ohren blutig, verdrehten ihm die Glieder, und er träumte jede Nacht davon, wenn er mit Schmerzen am ganzen Körper in seinem Ein-Zimmer-Loch im Osten der Stadt lag. Mit seinem Vater redete er nicht mehr, er fuhr auch nicht mehr in den Norden, wo er geboren und aufgewachsen war. Der Alte wollte, dass er nach Hause kam und als Schweißer arbeitete, aber der Junge wollte von diesem Leben nichts wissen. Man hatte ihm Jobs in weit abgelegenen, zugefrorenen Orten ohne Fight-Gyms angeboten, aber die waren längst vergeben, also putzte Daniel die Flure und Klos der Uni, an der er nun doch nicht studierte, manchmal schippte er auch Schnee aus den Einfahrten und streute Salz auf die pockennarbigen Stufen der Vordertreppen.

In einem Cage in der Nähe von Fort McMurray wurde er siebenundzwanzig. Sein Gegner hatte einen riesigen Mutantenkopf mit Blumenkohlohren und eingedelltem Nasenrücken. Mit seinen einhundertundzwei Kilo war Daniel dem Mann gewichtsmäßig unterlegen, aber er hatte keinen Manager mehr, und der Fight wurde kurzerhand als Catchweight-Kampf eingestuft, und wenn er abgehauen wäre, hätte er kein Geld gesehen. Der einzige Schlag des Riesen ging daneben, dann musste er eine Zweierkombination einstecken, ging zu Boden, wurde von Daniel umtänzelt, eine Augenbraue platzte unter Ellbogenschlägen auf, und sein Kopf prallte auf die Matte, während er die Unterarme hochzureißen versuchte.

Daniel kämpfte in einer Legion Hall in Lethbridge und ließ einen amerikanischen Ex-Wrestler, eine Rippe gebrochen, das linke Auge zugeschwollen, zusammengekrümmt am Käfiggitter zurück. Er kämpfte in Red Deer und Grande Prairie, und beide Gegner waren jünger, hielten aber nicht länger als eine Minute durch, und als er zu seinem nächsten Kampf in einem Billig-Kasino in Lloydminster kam, war der Gegner nicht da. Der Promoter wollte ihm kein Geld geben, rückte es am Ende aber doch raus, später saß Daniel allein in seinem Motel-Zimmer und vertrank jeden unverdienten Cent. Er kämpfte in einem Reservat hinter Vancouver, und sein Gegner brach ihm die Nase mit einem regelwidrigen Kopfstoß, den der Ringrichter nicht sah, und Daniel spuckte zwischen den Runden Blut und Dreck und sein Ohr schmerzte, weil ihm der andere mit dem Rücken seines Handschuhs das halbe Ohrläppchen abgerissen hatte. Die zweite Runde lief noch keine Minute, da lag der andere Mann nach einem Kopftritt bewusstlos auf dem Bauch und Daniels Schienbein brannte, während er mit erhobenen Fäusten am Rand des Cage entlanglief und sein Cutman versuchte, ihm die Nasenlöcher zu tamponieren. Er kämpfte in Olympia und Portland und auf einer Ranch in Montana, wo Cowboys und Rednecks draußen auf den Holztribünen saßen und Bier tranken, als wären sie bei einem Footballspiel der Highschool. In Lincoln, Nebraska, krachte er mit seinem Gegner durch die Käfigtür, und als sie auf dem kalten Beton auftrafen und die wenigen Zuschauer zurückwichen, wussten sie zuerst nicht, was sie tun sollten. Zurück im Cage brachte Daniel den Gegner mit einer rechten Overhand zu Boden und bekam Angst, weil der andere eine halbe Ewigkeit brauchte, um wieder zu sich zu kommen. Er fuhr in eine kleine Stadt kurz hinter Kansas City, Missouri, an deren Namen er sich nicht erinnerte, und dort musste er sich aus der Hintertür der Gemeindehalle rausschleichen und kämpfte danach nie wieder so weit im Süden. In Quebec fanden jetzt auch Fights statt, er kämpfte dort oft und gewann zwei im Fernsehen übertragene Wettkämpfe. In Ontario gab es eigentlich keine legalen Fights, aber er kämpfte in den Reservaten der Akwesasne und Rama und fuhr dann weiter Richtung Westen.

In einem Provinzkrankenhaus hinter Medicine Hat klammerte eine Schwesternhelferin mit langen roten Haaren seine Augenbraue und nähte eine Platzwunde an seinem Schienbein mit siebzehn Stichen. Sie fragte ihn, was er mit seinem Leben anfinge, und er stellte ihr dieselbe Frage. Sie war einundzwanzig, ihre Familie kam aus den Vereinigten Staaten, aber sie war auf der kanadischen Seite des neunundvierzigsten Breitengrads geboren, warum wusste sie nicht oder wollte sie nicht sagen. Mit ihrer älteren Schwester hatte sie ein paar Jahre in British Columbia gelebt, bis ihre Schwester nach Hause zurückgekehrt war, um den kranken Vater zu pflegen. Wie sie Daniel erzählte, war sie, wie alle anderen und er auch, wegen eines Jobs nach Alberta gekommen. Er zuckte beim ersten Stich zurück, aber sie ließ nicht locker. Ein Mann, der sich für ein Trinkgeld ins Gesicht schlagen ließ, aber Angst vor Nadeln hatte. In Medicine Hat kämpfte er nicht noch mal, aber er ging wieder ins Krankenhaus, um sich die Fäden ziehen zu lassen, und danach erfand er neue Verletzungen und abenteuerliche postoperative Beschwerden. Bevor der erste Schnee des Jahres gefallen war, hatte er noch zweimal gekämpft, und sie heirateten, als der kalte, bittere Winter kam, das Land veröden ließ und nur die Lichter einzelner Häuser in der dunklen Prärienacht über kahle Felder und leere Straßen hinwegbrannten.

In der finsteren Jahreszeit bekamen sie eine rothaarige Tochter. Über acht Pfund schwer, und sie trat und schrie. Wenn er geglaubt hatte, zu wissen, was Liebe war, dann hatte er sich geirrt. Jemanden zu lieben, nur weil er lebte. Jemanden bis zur Verzweiflung zu lieben, nur weil er diesen winzigen Raum einnahm. Das war die Liebe, die er für das Mädchen empfand, und manchmal konnte er sie kaum ansehen, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte.

Eins

Sie fuhren durch ein Maisfeld, die aufgehende Sonne weiß glühend in den Seitenspiegeln. Der Streifenwagen krängte hin und her wie ein Boot beim Einsetzen eines Sturms, ständig versanken die Reifen im zähen Schlamm und drehten sich wieder frei. Wortlos waren sie schon eine ganze Weile gefahren. Halme lagen wie zerhäckselt herum, und der Wagen folgte der Schneise der Zerstörung, anderthalb Meter hohe Wände aus reifem Mais hinter beiden Türen. Raus kamen sie auf einer Lichtung, die aussah, als wäre ein Tornado niedergegangen. Und dort fanden sie Daniels Pick-up.

Der Wagen lag auf der Seite, die Beifahrertür im Boden eingesunken. Maisstängel hatten sich im Kühlergrill und in den vorderen Kotflügeln verfangen und ragten unter den verbogenen Scheibenwischern empor. Halme hatten sich um beide Achsen gewickelt und zu einer Art grobem Seil verdreht, schmutzig und zerfasert. Die Windschutzscheibe war nach vorne gedrückt und lappte heraus wie die Zunge an einem alten Schuh. Der Streifenwagen hielt, Daniel stieg aus und ging zum Autowrack, bei jedem Schritt wühlten seine Stahlkappenstiefel den durchweichten Boden auf und kamen schwer von Matsch wieder hoch. Im Näherkommen betrachtete er den hochkant stehenden Pick-up. Daniel ging in weitem Bogen um die halb eingedrückte Kabine, bis er die Ladefläche sah. Dann blieb er stehen.

Constable Smith kam jetzt ebenfalls herbei und hatte Mühe, die Schuhe nicht zu verlieren. Er rief etwas, aber Daniel hörte nicht hin. Das Schweißgerät war verschwunden. Daniel kniete sich hin und fuhr mit der Hand über die Innenseite der Box, über die Bolzenlöcher im Blech. Er stand auf und sah die tiefen Narben in der Ladefläche, wo das Schweißgerät aus der Verankerung gerissen worden war. Seine Hände umklammerten die Kante der Box. Als sich die Knöchel weiß färbten, ließ er eine Hand sinken und schaute über das Feld. Der nahe Wald stand schwarz und still. Nebelschwaden hingen wie Geister an den Tannen.

Daniel versetzte dem Pick-up einen Stoß und spürte, wie der Wagen leicht schwankte. Er ging herum und betrachtete den Unterboden. Griff nach oben, drehte den Hinterreifen. Nabe himmelwärts. Er legte den Kopf in den Nacken, und ein Schwarm verspäteter Wildgänse flog in ständig wechselnder V-Formation laut schnatternd vorbei. Innerhalb von Sekunden wurden sie am südlichen Himmel kleiner, und nachdem sie fort waren, bewegte sich lange Zeit nichts mehr.

Der Constable stand gut drei Meter vom Pick-up entfernt und beobachtete den Mann.

»Hey, Sie gehen besser nicht näher ran«, sagte Smith, »falls das Ding umkippt.«

»Wär mir fast lieber«, sagte Daniel.

»Was?«

Daniel sagte nichts. Stand einen Moment nur da und ging dann wieder ums Autowrack herum. Trat einen Schritt zurück und rammte einen Stiefel ins Dach. Der Pick-up neigte sich noch weiter, ächzte und rutschte weg. Dann ging alles sehr schnell. Die Reifen landeten auf dem Boden, das Fahrzeug bockte nicht, erzitterte aber doch so stark, dass es eine Radkappe verlor.

Zwei

In der dunklen, pissnassen Seitenstraße stand Daniel unter einer kargen Lampe. Eine einsame Glühbirne stak in einer Fassung im modrigen Stein, schwach oranger Schein, hohes, leises Summen. Regen fiel darauf und verdampfte zischend. Die Hände in den Jackentaschen, starrte Daniel ausdruckslos auf die keine drei Meter entfernte Mauer. Seit sie den Pick-up gefunden hatten, waren vier Tage vergangen, er hatte den Wagen zum Mechaniker gebracht und zusammenflicken lassen. Daniel parkte einen Block weiter und hoffte, durch die Karosserie würde kein Wasser eindringen. Autos fuhren an der Straßenmündung vorbei, trieben Kies aus flachen Schlaglöchern und schickten Regenwasser auf den Bordstein, das sofort wieder in die Löcher zurückschwappte. Das Prepaid-handy in Daniels rechter Hand klingelte und vibrierte. Als er darauf schaute, bog ein schwarzer Van von der Straße ab und ruckelte auf ihn zu. Er steckte das Handy in die Hosentasche und hakte die Daumen unter das Gürtelleder. Der Wagen hielt mit offener Seitentür, Daniel stieg ein, zog die Tür hinter sich zu, und der Van fuhr tiefer in die Gasse, hinein in die wartende Dunkelheit.

Sie waren in einem unfertigen Lagerhaus aus Betonstein und Stahlblech, in etwa so groß wie die Sporthalle einer Highschool. Fünf Männer insgesamt. In der Mitte des Raums ein Tisch mit einem Matchsack obendrauf. Sonst nicht viel mehr. Clayton saß am Tisch, die Arme verschränkt. Sehnig, breite Schultern, schmale Taille, Klamotten wie ein Manager, der versucht, sich leger zu kleiden. Kurzes graues Haar ohne Scheitel, die gefurchte, alte Haut an Wangen und Kinn glatt rasiert. Ein Mann saß ihm gegenüber und rauchte. Asselin, ein Dealer, der Französisch sprach. Wallace King saß neben Clayton, blätterte Bündel von Scheinen durch und legte das gezählte Geld beiseite. Clayton starrte Asselin über den Tisch hinweg an. Der Mann stieß den Rauch zu laut aus und klopfte Asche von seiner Zigarette, selbst wenn es keine abzuklopfen gab. Unter der Lederjacke war er unbewaffnet, aber sein Bodyguard neben der Tür hatte eine halb automatische Pistole im Holster stecken, Klettverschluss geöffnet. Daniel stand auf der anderen Seite des stählernen Türrahmens, beobachtete den Tisch, das Zählen und den Mann Clayton gegenüber. Aus dem Augenwinkel behielt er auch den Bodyguard im Blick.

»Ich kenn dich«, sagte der Bodyguard.

Daniel schaute kurz zu ihm hin. Der Mann trug ebenfalls Leder, aber wie Daniel tippte, hatte man für eine Jacke in seiner Breite eine halbe Rinderherde abschlachten müssen. Seine Haut hatte die ungesunde rosa Farbe eines mit gekauftem Testosteron vollgepumpten Mannes. Seinen richtigen Namen kannte Daniel nicht, aber die anderen nannten ihn Bole, wohl wegen der vielen Anabolika, die er schluckte.

»Im Cage braucht man eher keine Pistole, oder?«, sagte Bole.

»Was soll das Scheißgelaber?«, fragte Daniel.

Bole grinste und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Versuchte, sich größer zu machen.

Am Tisch legte Wallace King das letzte Geldbündel zur Seite und schaute zu Clayton. Niemand sagte was. Clayton nickte, nahm Asselins Hand, schüttelte sie und hielt sie einen Moment lang fest, bevor er sie wieder losließ. Der Mann warf die Kippe auf den Boden und trat sie beim Aufstehen aus. Sein Bodyguard setzte sich in Bewegung. Nach wenigen Schritten merkte Bole, dass Daniel nicht mehr neben ihm war. Er blieb stehen, blickte sich um. Daniel verließ seinen Posten neben der Tür, holte Bole ein und ging mit ihm weiter. Clayton und Wallace standen jetzt. Wallace hatte das Geld in den Matchsack geschoben, und dieser hing schwer an seiner rechten Faust. Der Bodyguard baute sich neben seinem Boss auf, sodass Bole und Daniel sich erneut gegenüberstanden, nun getrennt durch den Tisch. Wallace wollte Clayton den Matchsack geben, Clayton griff danach, doch dann kam seine andere Hand nach vorne und hielt ein Messer, und es glitt durch Asselins Wange, zog eine Linie durch die Haut. Die Linie wurde breiter, die Haut teilte sich, für einen Moment sah man rotes Fleisch und weiße Zähne, dann lief Blut.

Asselin taumelte rückwärts, sein Bodyguard sah den Schnitt nicht gleich, doch seine Hand bewegte sich schon zum Holster. Daniel trat gegen den Tisch, dieser traf Bole oben am Bein, und seine Hand wischte an der Waffe vorbei. Dann war kein Tisch mehr zwischen ihnen, und Daniel feuerte eine kurze Rechte gegen Boles Kinn, und als der Mann sich krümmte, legte er mit einem linken Haken und einer rechten Geraden nach. Boles Augen rollten nach hinten, bis nur noch das zuckende Weiß zu sehen war. Der Bodyguard ging zu Boden, Daniel hechtete hinterher und packte die Pistole, noch bevor Bole der Länge nach auf dem kalten Beton aufschlug. Die Waffe in der Hand, kam Daniel wieder hoch, drehte sich um und sah, wie Clayton auf den Mann mit dem Schlitz in der Wange einredete. Er hatte einen Revolver unter der Jacke hervorgezogen und drückte ihn an Asselins Schläfe. Asselin kauerte am Boden und versuchte, sein Gesicht zusammenzuhalten, während Blut durch seine Finger sickerte und über Unterarm und Ärmel lief. Er zuckte unter der Waffe hin und her, sein Blut tanzte über den Beton und malte seltsame Muster.

Daniel hielt die Waffe des Bodyguards, und als er darauf schaute, hatte er den Finger nicht mal am Abzug. Wallace kam zu ihm und streckte ihm eine große, haarlose Hand entgegen.

»Die nehm ich, Fighter«, sagte er.

Daniel gab ihm die Pistole, und Wallace reichte ihm den Matchsack mit dem Geld. Wallace checkte das Patronenlager, ließ den Schlitten zurückfahren und ging dorthin zurück, wo sein Boss Asselin die Waffe an den Kopf hielt. Clayton sagte etwas zu dem Mann, plötzlich weiteten sich Asselins Augen, er riss die Hand von der Wange und griff nach seiner Schulter, seinem Nacken. Dann kippte Asselin um.

Clayton senkte die Waffe und schaute auf den Mann. Er blickte zu Wallace, der schüttelte den Kopf.

»Was hast du mit ihm gemacht?«, fragte er.

»Nichts«, sagte Clayton. »Also, danach nichts mehr.«

Wallace trat gegen Asselins Stiefel. Der Mann rührte sich nicht. Daniel ließ den Matchsack fallen und lief zu ihnen. Kniete neben dem Mann nieder. Hielt eine Hand über Asselins Mund und Nase und beugte sich vor. Blut sickerte unaufhörlich aus dem klaffenden Spalt im Gesicht des Mannes.

»Wolltest du ihn umbringen?«, fragte Daniel laut.

»Eigentlich nicht«, sagte Clayton.

Daniel schaute von Clayton zu Wallace.

»Ihr verdammten Idioten«, sagte er.

Er beugte sich wieder über Asselin und hielt das Ohr an dessen Mund. Horchte einige Sekunden, drehte den Kopf, legte Zeigefinger und Daumen ringförmig über Asselins Lippen und blies. Die Wange des Mannes klaffte auf, es sprudelte rot.

»Scheiße«, sagte Daniel. »Ich glaub, der Typ hat ’ne Herzattacke.«

Er drückte fest auf das Brustbein des Mannes, zählte bis dreißig, beugte sich vor, horchte. Beatmete ihn.

»Hör auf«, sagte Clayton.

Daniel versuchte es weiter.

»Was machen wir, wenn er wieder zu sich kommt?«, fragte Clayton. »’Nen Scheißkrankenwagen rufen?«

Daniel hatte erneut fast bis dreißig gezählt, als Clayton ihn und Asselin umrundete und seine Pistole auf den Bodyguard richtete. Er schoss Bole drei Mal ins Herz und jagte ihm eine weitere Kugel in den Kopf.

Der Van stand auf einem etwas breiteren Lehmpfad, keine zehn Meter von der schmalen Bucht entfernt. Auf der zum Wasser zeigenden Seite krümmten sich Zweige von Banks-Kiefern am Blech des Wagens. Eine Rampe war über die flachen Felsen und den Strand gebaut. Sie führte zu einem baufälligen Steg, der zwar niemandem gehörte, aber je nach Bedarf ausgebessert und erweitert wurde. Die drei Männer saßen schweigend im Van, während die blauen Ziffern auf dem Armaturenbrett die Minuten hochzählten. Ansonsten Dunkelheit. Nicht lange und sie hörten das entfernte Knattern eines kleinen Motors.

»Das ist er«, sagte Wallace.

Er stieg aus, einen Müllbeutel in der Hand, der leicht hin und her schwang, während er über die Rampe ging. Bis zu der Stelle, wo der Steg den Strand verließ. Das einfahrende Boot hatte einen Scheinwerfer, der abrupt ausging. Der Motor tuckerte leise. Wallace stand auf den Bohlen, wartete. Bückte sich und hob etwas auf. Im Dunkeln stieg ein Mann vom Boot und fing an, Seile um Klampen zu schlingen. Er richtete sich auf, die beiden redeten. Wenige Sekunden später pfiff Wallace gerade so laut, dass etwas aus dem Gestrüpp neben dem Van hochschreckte.

Clayton fuhr rückwärts über die Rampe bis zum Ende des Strands. Auf den letzten Metern des Gefälles lockerer Sand. Er stoppte und zog die Handbremse an. Die Hecktür ging auf, und Wallace griff nach der Plastikplane, in die die kleinere Leiche gewickelt war.

»Willst du nicht aussteigen und ihm helfen?«, fragte Clayton.

Daniel rutschte auf dem Sitz nach vorne, stieg aber nicht aus. Ein roter Schimmer auf seinen Händen. Er hatte sie im Lagerhaus waschen wollen, aber in dem Rohbauskelett keine Seife gefunden. Der metallische Geschmack von Blut geisterte wieder durch seinen Mund.

»Ich glaub nicht«, sagte er.

»Nein?«

»Auf keinen Fall.«

Clayton musterte ihn und stieg aus. Warf die Tür zu. Er ging zum Heck, wo Wallace bereits einen Gitterwagen aus der Halterung an der Bordwand gelöst hatte. Mit etwas Kraftaufwand setzte er den Wagen auf den Steg, dann drehte er sich um und zerrte eine eingewickelte Leiche raus. Schob die Hände unter die Spanngurte, die das Plastik hielten, und wuchtete den Mann auf den Boden des Gitterwagens. Bei der zweiten Ladung hockte Clayton hinten im Van und schob mit an. Er sprang auf den Steg und half Wallace, den Toten in den Käfig zu befördern. Wallace bugsierte den Wagen über die Bohlen und bei jeder Lücke klapperten die Räder. Clayton bedankte sich höhnisch bei Daniel und folgte Wallace zu dem Mann mit dem Boot.

Sie schauten zu, wie das Boot mit seiner Fracht im Dunkeln verschwand. Hörten es kaum. Landeinwärts sahen sie winzige Lichter auf der Hügelkette. Auf der Insel den entfernten Schein von Lampen. Clayton hatte eine Ahnung, wo die Fähre das Wasser überquerte, konnte es aber nicht genau erkennen. Er war zu einem Viertel Mohawk, aber seine Leute hatten keine direkten Verbindungen zu den First Nations, die in der Bucht lebten.

»Wann war er das letzte Mal da draußen?«, fragte Clayton.

»Dan?«, sagte Wallace. »Keine Ahnung. Muss Jahre her sein.«

»Hatte was mit diesem Mädchen am Laufen.«

Wallace nickte.

»Der Familie hat das nicht gepasst. Haben versucht, es ihm auszureden«, sagte Clayton.

Er spuckte ins Wasser.

»So kann man’s auch nennen«, sagte Wallace.

»Einen Bruder hat er blutig geprügelt. Und noch ein paar abgewehrt, bis sie ihn überwältigt haben. Haben ihn richtig fertiggemacht. Konnte froh sein, dass er lebend von der Insel runterkam.«

»Woher weißt du das alles?«, fragte Wallace.

»Sein Alter und ich haben ihn am Fähranleger aufgesammelt. Arthur wollte rüber und jemandem den Schädel einschlagen.«

»Hab gehört, sein Vater hatte Ojibwa-Vorfahren?«

Clayton zuckte mit den Schultern.

»Ist dem nie auf den Grund gegangen. Hat deshalb immer komisch reagiert.«

Die Männer warteten darauf, dass der Scheinwerfer des Bootes wieder anging. Er blieb aus. Wallace setzte sich in Bewegung. Zog den Gitterwagen hinter sich her.

»Soviel ich weiß, hat ihn einer, den er kannte, auf die Fähre gesetzt«, sagte Clayton.

»Hätt’s nicht fair gefunden, wenn sie ihn umgebracht hätten«, sagte Wallace.

Wallace kam als Erster beim Van an. Jetzt stieg Daniel doch aus, schnappte sich eine Kante des Gitterwagens und hievte ihn im Schein der Innenbeleuchtung auf die Ladefläche. Schweiß lief Wallace über Stirn, Wangen und Nacken. Clayton stand noch auf dem Anleger und versuchte zu erkennen, wo das Boot abgeblieben war. Daniel und Wallace setzten sich auf die Stoßstange und der Van sackte ein paar Zentimeter nach unten.

»Hast ja ganz schön viel Vertrauen zu dem Typen und seinem Schrottboot«, sagte Daniel.

»Ist mein Cousin.«

Daniel schüttelte den Kopf.

»Weiß nicht, wie du dir das vorstellst, aber wenn die Cops erst mal rauskriegen, dass im Reservat ein paar Leichen vergraben sind, werden deine Leute die nicht so schnell wieder los.«

»Danke für die Rückendeckung«, sagte Wallace.

Daniel stand auf. Schaute zum Wasser, in die Dunkelheit. Zu dem Mann, der auf den schiefen Bohlen des Anlegers stand.

»Ich hab von dem ganzen Scheiß die Schnauze voll«, sagte er.

Wallace lächelte verhalten. Und sagte nichts mehr.

Daniels Pick-up kroch die Einfahrt hoch. Unter den schweren Reifen knirschte Kies. Im Fahrerhaus kein Licht. Beulen im Blech, wo sich der Rahmen beim Aufprall verzogen hatte und auf der Hebebühne der Werkstatt mit Galgen und Zugkette wieder halbwegs in Form gebracht worden war. Daniel ließ den Wagen ausrollen, stellte den Hebel auf Parken und saß fast eine Stunde lang da, die Hände zitternd auf dem Lenkrad, die Brust wie zugeschnürt. Der Nebel seines Atems auf der Windschutzscheibe. Angekommen war er gegen fünf Uhr morgens, als der Himmel sich aufhellte, und er blieb sitzen, bis der schmale gelbe Streifen am Horizont breiter wurde. Ein paar Mal ballte er die Hände zu Fäusten, dann zog er am Türgriff. Er musste die Tür mit der Schulter aufstoßen, das Blech knarrte, und auch beim Schließen half er mit der Schulter nach. Die Tür fiel zu laut zu. Er schaute zum Haus, wartete, ob ein Licht anging. Nichts. Eine Hand auf dem zerbeulten Pick-up, sah er zu, wie die Welt Formen annahm. Präriegrasfelder und ein schmaler, gewundener Fluss. Dahinter der Waldrand. Nichts davon gehörte ihm.

Er öffnete leise die Haustür und war schon fast beim Kühlschrank, als ihm die Stiefel einfielen, deshalb kehrte er um und zog sie aus. Er ging durch die Küche und nahm ein Bier aus dem Kühlschrank. Seine Hände zitterten noch leicht, aber er drückte den Handballen auf den Deckel und drehte ihn so auf. Hob die Flasche fast senkrecht an die Lippen und trank, bis nur noch Tropfen übrig waren. Er stellte die Flasche auf die Arbeitsplatte. Seine Augen begannen zu tränen. Er hatte das Gefühl, niesen zu müssen, konnte es aber unterdrücken. Rülpste leise gegen einen Handrücken. Er blinzelte, bis er die Flasche auf der Arbeitsplatte wieder deutlich sah. Schüttelte den Kopf und überlegte, ob er irgendwo noch Whiskey hatte. Sekunden später öffnete er den Kühlschrank erneut, nahm sich das nächste Bier und als er nach einer halben Stunde ins Schlafzimmer ging, standen fünf Flaschen ordentlich aufgereiht neben dem Toaster.

Im Schlafzimmer sah er Sarah im Bett liegen, auf dem Rücken, den Kopf zur Seite. Die roten Haare aufgefächert auf beiden Kissen. Ihre rechte Hand lag mit der Fläche nach oben in der Matratzenmulde, wo seine Hüften jede Nacht ruhten. Daniel betrachtete sie im Dämmerlicht, die schmale Nase, zu beiden Seiten Sommersprossen, die sich auf den hohen Wangenknochen verflüchtigten. Über dem Tanktop sah man ihre Schlüsselbeinknochen. Die unebenen Narben von der Operation der angerissenen Rotatorenmanschette. Bei jedem Atemzug hob sich ihr Brustkorb leicht. Daniel stützte sich mit einem Unterarm am Türrahmen ab und senkte das Kinn auf die Beuge des Ellbogens. Sarah bewegte sich und öffnete die Augen. Sie blinzelte. Lächelte ihn an.

»Hi«, sagte sie.

»Hey.«

»Was machst du da draußen?«

»Meine Schicht hat länger gedauert.«

»Ich meinte, was stehst du noch da draußen rum.«

»Gute Frage.«

Sarah stützte sich auf einen Unterarm.

»Siehst aus, als hättest du dich heute in was reinziehen lassen.«

»Ja?«

»Ja.«

Er schaute auf seine Füße. Uralte Arbeitssocken mit fadenscheinigen Stellen. Im Zimmer Stille. Er blickte wieder hoch zu Sarah.

»Was ist passiert?«, fragte sie.

Daniel sah sie nur an.

»Komm her«, sagte sie.

»Ich muss noch duschen«, sagte Daniel. »Mir alles abwaschen.«

»Okay. Danach kommst du aber ins Bett.« Sie warf die Überdecke zurück. »Und deine dreckigen Pfoten behältst du schön bei dir.«

»Versprechen kann ich das nicht.«

»Ich weiß.«

Sie ließ sich auf die Matratze fallen. Rieb sich mit beiden Händen über die Augen. Legte die Hände in Bauchhöhe auf die Decke. Daniel zog den Arm vom Türrahmen weg, ging aber nicht ins Zimmer.

»Hey«, sagte er leise.

»Was denn?«

»Muss erst noch nach dem Mädchen sehen.«

Sarah hatte die Augen geschlossen.

»Wusste ich auch.«

Madelyn schlief in einem Durcheinander aus Kissen und Laken. In der Nacht hatte sie die Tagesdecke bis zum Kinn hochgezogen und trug sie nun wie eine Toga. Arme und Beine ausgestreckt, dünne Schenkel im zerknitterten Schlafanzug. Bald würde sie aus dem kleinen Bett rauswachsen. Daniel schüttelte den Kopf.

»Mein Gott.«

Er beugte sich über sie und legte eine Hand auf ihre Stirn. Die Haut ganz weich unter seiner rauen Handfläche. Er strich ihr Haar glatt und sah seine Pranke mit den geschwollenen Knöcheln neben ihrem Kopf. Daniel schob die rechte Hand in die Hosentasche und küsste Madelyn sanft auf den Kopf, dann richtete er sich auf und ging raus. Ließ die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Er zog die Hand vom Türknopf und verschwand im Flur, den Kopf gesenkt.

Er hatte wieder den Traum, an den er sich jedes Mal erinnerte. Ein Käfig aus schwarzem Maschendraht, dahinter die Zuschauer. Ein Gewirr aus Stimmen. Er kämpfte gegen einen wesentlich größeren Mann, hatte aber keine Angst. Auf der Matte bewegte er sich gut, er positionierte sich in der Mitte und sie begannen den Schlagabtausch. Nun war der Gegner schneller, und Daniels Fäuste schlugen so langsam, als bewegten sie sich durch Wasser. Er machte trotzdem weiter und sah auf dem rechten Auge plötzlich nichts mehr. Er befand sich am Rand des Käfigs, ein Knie dort aufgesetzt, wo sich Matte und Maschendraht trafen. Er wollte die Deckung hochziehen, konnte den Arm aber nicht heben. Mit dem guten Auge sah er zwei Männer vor dem Ring. Der Mann, der wie Daniel aussah, zeigte auf ihn. Das andere Auge versagte. Er hörte seinen Herzschlag, seinen Atem. Den Aufprall von Fingerknöcheln auf seinem Gesicht, seinen Rippen.

Beim Aufwachen sah Daniel das Mädchen im Schneidersitz am Fußende sitzen. Durch die Decke hindurch hatte er ihren Arm gepackt. Es schien sie nicht zu stören.

»Hey«, sagte er und ließ los.

»Alles okay, Dad?«

»Wie lange sitzt du da schon?«

Sie zuckte mit den Schultern. Daniel hustete und fuhr sich mit einer Hand durchs kurze Haar. Stemmte sich hoch und lehnte den Rücken gegen das Kopfteil des Betts. Er trug kein T-Shirt und das Mädchen musterte seinen Oberkörper.

»Du hast ganz schön lange geschlafen«, sagte sie.

»Ja?«

»Ja.«

»Werd dich dran erinnern, wenn du später selbst arbeiten gehst und Samstag ist.«

Einen Augenblick lang saß Madelyn still da. Sie hatte die Haare zusammengebunden, trug Basketball-Shorts und ein Raptors-T-Shirt. Athletischer Körperbau, in der Entwicklung. Knapp zwölf, aber ihre Augen ließen sie älter wirken. Sie rümpfte die Nase.

»Mein Gott, miefst du, Dad«, sagte sie.

Daniel drehte ihr langsam das Gesicht zu. Sie äffte ihn nach.

»So fühl ich mich auch«, sagte er.

»Was?«

»Nichts.«

Daniel setzte sich auf. Suchte sein T-Shirt und entdeckte es vor dem Bett. Das Mädchen langte danach und gab es ihm.

»Ist nicht so schlimm«, sagte sie.

»Danke.«

»Mom hat gesagt, ich soll dich nicht wecken.«

»Hast du nicht.«

»Du hast komische Sachen gesagt und im Schlaf gezuckt. Hast du was Schlimmes geträumt?«

Daniel überlegte.

»Weiß nicht mehr.« Er warf die Decke zur Seite. »Wir stehen jetzt besser auf und schauen mal, was sonst so los ist.«

»Okay.«

Er streifte das T-Shirt über und stand neben dem Bett. Madelyn lief zur Tür. Daniel holte sie ein und boxte ihr leicht auf die Schulter. Sie blieb ruckartig stehen, stellte sich breitbeinig hin. Daniel schubste sie ein bisschen, und sie hielt sich am Türrahmen fest. Als ihre Kraft nachließ, machte sie ein paar schnelle Schritte nach vorne, um nicht hinzufallen.

Sarah saß am Küchentisch und las Zeitung, eine Dose Cola Light in der Hand. Als sie Daniel und Madelyn sah, stand sie auf, ging zum Herd und öffnete die Klappe.

»Hinsetzen«, sagte sie.

Daniel setzte sich. Das Mädchen auch. Sie schob sich die Haare hinter die Ohren und nippte an Sarahs Cola.

»Madelyn, du hast schon gefrühstückt«, sagte Sarah. »Geh raus und üb. Ich komm gleich nach.«

»Lass sie doch«, sagte Daniel.

Sarah zog einen Teller mit Speck und Würstchen aus dem Ofen, ging zur Mikrowelle und schaltete sie ein, bevor sie das Fleisch auf einen kalten Teller gab. Dann ging sie zum Toaster und drückte die Taste, wartete auf das Klingeln der Mikrowelle und zog eine dampfende Schüssel mit Rührei raus. Probierte eine Gabel voll und schob den Rest auf den Teller. Stellte ihn vor Daniel hin.

»Sag, ob’s schmeckt.«

»Ja, Ma’am.«

Sie ging zum Toaster, fischte das Brot raus und trug es auf einem Teller zum Tisch. Daniel nahm ein Messer und schmierte ein dickes Stück Butter auf eine Scheibe. Madelyn beobachtete ihn.

»Ganz schön viel«, sagte sie.

»Das krieg ich von ihr gleich noch mal zu hören, also lass gut sein.«

Sarah holte einen Becher aus dem Schrank, goss Kaffee ein und stellte ihn vor Daniel hin.

»Dass ich so lang schlafe, hätte ich nicht gedacht«, sagte er. »Wie spät?«

»Nicht so spät«, sagte Sarah. »Iss jetzt.«

Sie setzte sich an den Tisch, nahm die Zeitung und las weiter. Ab und zu schaute sie Daniel über den Rand hinweg an. Madelyn goss Saft in ein Glas und las die Rückseite der Zeitung. Bericht über ein Feuer in einem nahe gelegenen Lagerhaus, das auf ein Sojafeld übergegriffen hatte und noch nicht gelöscht war, als die Zeitung in Druck ging. Sarah hatte den Artikel nicht gesehen. Bald hörte sie auf zu lesen und legte die Zeitung weg.

»Komm«, sagte sie zu Madelyn.

Sarah stand auf, ging ins Schlafzimmer und kehrte in Jogginghose zurück. Laufschuhe in der Hand. Madelyn ließ ihren Vater allein, fand ihre zerbeulten Schuhe im Flur und schlüpfte rein, ohne die Schnürsenkel zu lösen. Sarah schnaubte, sagte aber nichts. Sie gingen raus und ließen die Tür zufallen. Aufprall des Basketballs auf hartem Kies. Daniel hatte ein Korbbrett aus Sperrholz gezimmert, einen Metallring daran befestigt und das hässliche Ding an die Dachkante gehängt. Während er aß, sah er Frau und Tochter hinter dem Fenster. Madelyn übte Freiwürfe, wobei sie merkwürdig weit nach hinten ausholte und den Ball über die rechte Schulter nach vorn katapultierte. Meistens hörte Daniel nur das Netz oder den Metallring, wenn sie einen Korb versenkte. Sarah fing den Ball auf oder lief ihm hinterher und warf ihn dem Mädchen wieder zu. Daniel schluckte und senkte den Kopf. Messer und Gabel zitterten leicht in seinen Händen und er schaute einen Augenblick lang darauf, während draußen Turnschuhe Kies aufwirbelten.

Drei

Daniel stand in der Einfahrt und schaute zum Pick-up. Selbst aus ein paar Metern Entfernung konnte man die kleinen Lücken erkennen, wo die Frontscheibe nicht mehr bündig mit dem Rahmen abschloss. Die Ladefläche hatte sich hinter der Fahrerkabine vom Gestell gelöst und war wieder festgeschweißt worden. Die Bremslichter funktionierten nicht mehr. Aber der Mechaniker hatte die Verkehrssicherheit in einem Gutachten bestätigt, das Daniel mit einer Flasche Whiskey und einer Stunde bezahlt hatte, in der sie die Flasche in der Werkstatt gemeinsam leerten. Daniel spuckte aus, ging zum Pick-up und schaute auf die Box und die Spuren im Blech, wo bis vor Kurzem das Schweißgerät befestigt gewesen war, das für ihren Lebensunterhalt gesorgt hatte. Er konnte nicht mal so tun, als wäre es nie da gewesen, denn er hatte das Heck zum Gewichtsausgleich höhergelegt und ohne Schweißgerät ragte das Hinterteil nach oben, als wollte er mit der Karre bei einem irren Dragster-Rennen für Hinterwäldler starten.

Er wischte den Schweiß weg, der sich an seinem Haaransatz gebildet hatte. Das T-Shirt klebte an seinem Rücken. Sie hatten den Ball auf der Ladefläche des Pick-ups liegen lassen, er fischte ihn raus und ging zum Haus zurück. Auf halbem Weg blieb er stehen und schaute zum blassblauen Himmel hoch. Eine einsame Wolke zog weiße Schlieren hinter sich her. Daniel dribbelte den Ball beidhändig über den Kiesweg.

Als die Haustür aufsprang, hörte er auf und machte sich mit einem Räuspern bemerkbar. Er balancierte den Ball auf der rechten Hand und streckte sie leicht vor. Madelyn lief aus dem Haus und versuchte, ihm den Ball zu entreißen. Daniel wich aus und hielt den Ball so hoch, dass sie ihn nicht mehr erreichen konnte. Das Mädchen forderte ihn auf zu werfen. Er schaute zum Korb, zielte und lieferte einen peinlichen Wurf ab. Nichts hatte gestimmt. Der Ball verfehlte den Ring, prallte gegen das Brett und sprang seitlich weg.

»Mein Gott«, sagte er.

Madelyn lachte und lief zum Pick-up. Als sie an Daniel vorbeikam, zog er schnell einen Zehner aus seiner Tasche und drückte ihn ihr in die Hand. Sie sagte nichts und schaute nicht auf ihre Hand, sondern schob sie in die Tasche ihrer Jeans. Sie kletterte hinten auf die Stoßstange des Pick-ups und schwang die Beine nacheinander auf die Ladefläche. Setzte sich auf die Box, wartete, blickte zur Landstraße.

Sarah kam aus dem Haus, die Autoschlüssel baumelten an ihrem rechten Zeigefinger. Sie pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn, schaute zu Daniel hin.

»Sie wird sich langweilen, bevor ihr überhaupt da seid«, sagte Daniel.

»Ich weiß.«

»Würd’ ja mitkommen, aber ich muss zu dem Mann da draußen.«

»Glaubst du, er war das mit dem Pick-up?«

»Erfahr ich dann.«

»Wie kommst du hin?«

»Ich geh später zu Murray. Er hat gesagt, er leiht mir sein Auto.«

Sarah schnalzte mit der Zunge, legte die Arme um Daniels Nacken und küsste ihn auf den Hals. Flüsterte ihm was ins Ohr und seine feinen Härchen richteten sich auf. Sie zog die Arme weg. Stieg in den Pick-up, machte die Tür zu und ließ das Fenster runter.

»Können wir, Maddy?«, rief sie.

Madelyn kletterte von der Box und winkte Daniel zu.

»Bis später«, sagte er.

Er ging zur Fahrertür und wartete, bis Sarah den Kopf eingezogen hatte. Sarah wollte die Tür zumachen, aber sie schloss nicht richtig, deshalb drückte er mit der Schulter dagegen. Er half mit der Hand nach, dann schaute er zu seiner Frau hoch. Versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht ganz. Er trat einen Schritt zurück, schaute zur Straße, ob ein Auto kam. Es kam keins. Wie immer.

»Hey«, rief Sarah.

Er drehte sich zu ihr um.

»Wir sind bald wieder da. Mach nichts kaputt.«

»Kann ich nicht versprechen.«

Er wollte zum Haus zurück, aber Madelyn rief ihm hinterher: »Dad, du blutest.«

Sie hielt eine Hand hoch und zeigte auf die Knöchel. Er hob ebenfalls die Hand. Ein Pflaster hatte sich gelöst. Eine rote Spur zog sich über die Länge des Zeigefingers.

»Nur ein Kratzer«, sagte er. »Schon okay.«

Das Mädchen lehnte sich zurück. Der Pick-up rollte die Einfahrt runter. Daniel hielt sich die Hand und schaute ihnen nach. Sarah hatte einen Arm hinter Madelyns Sitz gelegt und blickte über ihre Schulter zur Straße. Das Mädchen schaute zu Daniel. Er wartete, bis sie rückwärts auf die Straße eingebogen waren, und ging zum Haus. Er hörte, wie das Getriebe in den zweiten Gang schaltete, drehte aber nicht den Kopf, um sie wegfahren zu sehen.