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Robert Heymann

Laïs. Die Hetäre

 

Saga

Lais’ Grab

hellas, unbezwungen in Kämpfen und strahlend in Kriegsruhm,

Beugte willig das haupt vor deiner Schönheit Gewalt!

Lais! Die dich Eros erzeugt und Korinthos genährt hat,

Schlummerst den ewigen Schlaf jetzt in Thessaliens Flur.

Anthol. III. 284.

Den Heiden der Liebe gewidmet!

Ich stehe auf dem Gipfel einer fast zweitausendjährigen Kultur und schaue, die Brust von Sehnsucht geschwellt, in die Niederungen einer alten versunkenen Welt.

Lasst mich euch grüssen, Heiden der Liebe!

Längst sind die Feuer der Vesta erloschen, verwüstet liegt der Hain Bellerophons, verrauscht sind Adonis’ glänzende Feste zu Alexandria, und nicht mehr steigen die Gebete der Wollust, würzigen Düften gleich, in den Tempeln zu Babÿlon, Memphis und Paphos.

Lasst mich Thränen vergiessen auf den Gräbern der Schönheit! Denn ich liebe euch, ihr Heiden, liebe euch heisser, als der oberste der Götter die schöne Jo geliebt, derentwillen der Gerechteste falsch geschworen; ich liebe euch, ihr Heiden, die ihr so göttlich schamlos wart und so fromm in den Sünden der Liebe! Armer Publius! Deine glühenden amores trägt der Steppenwind über den Pontus, und deine Julia welkt in der Einsamkeit der kaiserlichen Hofburg!

Küsse mich, Anakreon, Vater des Weines und der Liebe, und du, um dessen Ruhm sich sieben der Städte streiten, künde mir von dem Vielverschlagenen und den Geschenken der goldenen Aphrodite!

Leihe mir Deinen Witz, kluger Horatius, deine Liebenswürdigkeit, schöner Vergilius, deinen Pinsel, o Juvenal„ mit dem du Agÿpten nach Rom gezaubert!

Wie glücklich preise ich deine Zeit, witziger Chrÿsippus! Wohl dir, dass nur dein Name zwei Jahrtausende überlebte!

Wie oft ergötzten mich euere lieblichen Frechheiten, Petronius und Lucianus, reizender fast als die Geschichten des Athenäos, leidenschaftlicher als die Tais Menanders! Die Sterne weinen um deine Lieder, herrliche Sappho, denn mit deinem Leibe haben sie ihren Duft verloren. Klagt nicht Erinna noch im Grabe um ihren Liebling?

Warum musstest du Staub werden, Praxiteles, der du die lieblichste der Göttinnen in erhabenster Freiheit unsterblich machtest?

Wo blieb die herrliche, deren Marmor noch lebt? Wo die goldene Parthenos und die eherne Promachos, o Pheidias?

Wo deine Bilder Apollos?

War die Aphrodite von Melos stärker in Stein denn in Liebe?

Apollo ist tot, und nur sein Ruhm lebt in den Schöpfungen seiner Jünger. Wer kennt nicht den Phöbus von Tenea und Belvedère?

Götter, weshalb versetzet ihr mich Dürstenden in die Zeit der Barbaren?

Um mich ist eine grosse Wüste, da die Finsternis wie die ewige Nacht des hades auf der Seele brütet und die Feigenblätter gedeihen wie die Lotos am Nil.

Und nirgends ein Mensch! Diogenes hat sein Fass verlassen, und das Licht seiner Laterne ist längst erloschen.

Ich stehe auf einem Kartenhause, dessen Geschöpfe mit runzligen Leibern und kahlen Köpfen bauen und sinnen, sinnen und bauen . . .

Und unter ihnen schläft die Kultur der Liebe!

Die Nadeln der Kleopatra zu Persepolis flammen im Glanze des Morgens gen Himmel, und in den Pÿramidengräbern zu Memphis stört ein mächtiges Volk den Schlaf von Weltenkönigen. An den üppigen Ufern des sÿrischen Nils thront Babÿlon, die Königin der Städte, und in Blüte stehen die Gärten der Semiramis.

Glücklicher Herodot, der du mit eigenen Augen die Wunder des Altertums schauen durftest, deren heiligstes zu Borsippa, der Tempel des Gottes Nebo, in die Wolken ragte!

Können uns die Ruinen Birs Nimrud die Erhabenheit einer gestorbenen Welt ersetzen?

Wohin versanken die goldenen Treppen zu Baalbeck?

Wann barst der Altar, den Kinÿras der Schaumgeborenen geweiht?

Auf den Trümmern der Akropolis weint Klio um ihre erhabenen Söhne.

Auf den Kindern des Kreuzes aber liegt der Alp des Elends. Sie kasteien ihre Seelen mit Verzweiflung und ihre Leiber mit Einsamkeit.

Denn auf den Himmeln sitzt einer, der die Dornenkrone getragen im Namen der Liebe . . . . . .

Glückliches Hellas! Beneidenswertes Agÿpten! Mächtiges Sýrien! Stolzes Roma!

Eure Götter sind begraben in den Schatten der Feigheit!

Warum logst du, Hesiodos? Nicht Gäa, Tartaros und Eros vereinigten sich zum Leben.

Einer schuf alles aus nichts.

Der Donnerer versank und mit ihm die Tritogeneia Phöbos, Aphrodite, Poseidon und Demeter, Hades, Hera, Hestia, Hephaistos, Ares und Hermes.

Alle Helden schweigen von Troja bis Achaja!

Ennius ist vermodert und mit ihm die Zwölfgötter.

Nicht mehr segelt Ra auf goldener Barke durch die Fluten der Himmel, und Pthas Geliebte Sechmet floh samt ihrem Glanze aus Memphis.

Apis ist Stier geworden, und kein Serapium weckt den gestorbenen auf.

Libÿens Neith und Pelusiens Bastet wachen nicht mehr über die Katzen zu Bubastis, und Ammon erstarrte in der Glut seiner Wüste.

Geb und Nut haben Osiris dem Tode gezeugt, und Isis klagt längst nicht mehr auf dem Grab zu Abÿdos.

Osiris, sagen zwar die Zauberer, ist scheintot, und die Seelen der Gestorbenen wandern durch den Weltenraum von Körper zu Körper.

Wandern und wandern . . . . .

Mögen die Priester des Feigenblattes in Schweinen wohnen und die Götter der Liebe in den Tigern Persiens.

Baal allein lebt, denn Baal ist die Sonne, und die Sonne stirbt nicht, wenn auch die Menschen des zweiten Jahrtausends ihr fluchen.

Astarte aber liegt unter dem Schutte von Tÿros, im Schlafe überrascht mit dem Sohne der Bacchis, dem mächtigen Priap.

Wie?

Wir hätten nicht alles verloren und vieles gewonnen?

Wir haben Landstrassen, Kanäle, Eisenbahnen, Schiffe, Industrie und Künste?

Und besassen die Babÿlonier nicht herrliche Segler, sandten die Phönikier ihre Schiffe nicht bis nach Afrika und zu den Kassiteriden?

Baute man nicht Tempel aus Gold?

Schnitzte man nicht Götter aus Elsenbein?

Gingen die Karawanen Borsippas nicht nach Indien?

Und schickte nicht Babÿlon seine kunstgestickten Teppiche nach Phönikien und Hellas?

Liefen nicht Kunststrassen von der Hauptstadt Assÿriens bis nach Baktrien und Medien, Persien und Indien, Armenien und Arabien?

Und wer hätte das Land zwischen dem Euphrat und Tigris zum Paradiese geschaffen, wenn nicht Nebukadnezar durch den grossartigen Kanal der Könige?

Wie? Wir weben Leinwand und fertigen Glas?

Und wäre unser Webstoff je schöner gewesen als das Leinen Sidons?

Wären unsere Becher glänzender als das grüne Glas Phönikiens?

Haben wir schimmernderen Purpur als ihn Tÿros aus Kermes geschaffen?

Besitzen wir süssere Salben als die Athener, härtere Waffen als die Spartaner, und ist das Gewebe aus Bÿssos nicht das zarteste gewesen zu allen Zeiten?

Welche Schleier wären je durchsichtiger gewesen als die Gewande der babÿlonischen Königinnen?

Und ist der Weihrauch und alle Salben unseres Jahrhunderts mit der Mÿrrhe und der Narduswurzel zu vergleichen?

Duften unsere Veilchen schöner als die Krokus Assÿriens?

Sind unsere Lilien weisser als die Rose von Kÿpros? Tragen unsere Frauen blitzendere Steine, als der Diamant von Paphos gewesen, schwerere Reife als die Spiralen, welche die Ägÿpterinnen sich um die Schenkel wanden?

Wie? Wir fertigen Bücher mit schwarzen Lettern? Und ist unsere Schwarze tote Schrift etwa schöner als die Inschriften auf den Gräbern der Achämeniden zu Persepolis und den Felsen von Behistun?

Sind die Hieroglÿphen auf den Grabsteinen von Medun nicht Beweise einer erhabenen Kunst?

Und woher hätten die Griechen ihr Alphabet, wenn nicht von dem Davanagari, das die Phönikier erfanden, die Latiner annahmen und die Germanen und Kelten mit ihren Runen nachahmten?

Glücklicher Perikles, dem Aspasia zur Omphale sich schenkte, die Göttin der Hetären, um deren Liebe selbst Sokrates vergeblich werben musste!

Wo ist die Zeit, da Phrÿne mit dem Erträgnisse ihrer Schönheit Theben wieder aufbauen wollte?

Wo ist die Zeit der Künste, da Milet eine Akademie besass, darin man die Liebeskunst und die Wissenschaft der Wollust den Frauen gelehrt?

Der brummige Aristoteles schmähte nicht umsonst die Kinder des Genusses, und ein Perikles weinte Thränen vor den Richtern um den Leib einer BuHlerin!

Apelles, Diogenes und Aristippos liebten Lais, Isokrates liebte Metanira, Hÿperides und Praxiteles liebten die Kapernleserin, und die Nacktheit rettete Phrÿne vor dem Urteil der heliäa.

Menander liebte Glÿcera, Lamia besass einen Tempel zu Theben, und der glücklichen „Axt“ ward Venus zugleich Libitina.

Ja, sie hatten die Liebe!

Es war ein goldenes Zeitalter, die Kultur der Liebe.

Denn es herrschte die Sonne und die Nacktheit.

Gott war die Kraft, die Schönheit war Ebenmass, und das Leben war Genuss.

Es war ein Fest, wenn Phrÿne sich nackt am Meere dem Volke zeigte, und unsere schönsten Statuen verdanken wir diesem Genusse.

Alles, alles hatten sie schöner als wir.

Wohl hatten sie keine Eisenbahnen und keine Elektricität, keine Guillotinen und keinen Tabak.

Aber sie hatten die Liebe!

Sie hatten die Liebe, die Liebe in tausend Gottheiten, die Liebe in tausend Variationen, und doch in einem und allem.

Ja, sie hatten die Liebe!

Und wir?

Wir haben die Feigheit!

Wir haben die Keuschheit!

Wir haben die Moral und goldene Eheringe!

Auf einem Throne lauterster Wollust sass Astarte oder Belitis oder Aphrodite, wie ihr sie nennen wollt, und hielt ihren glänzenden Spiegel, verziert mit schwellenden Priapen, über die Menschheit, auf dass jede Sekunde ihres herrlichen Genusslebens in tausend Reflexionen sich in der weissen Mÿthe der Göttin spiegelte.

Zeus liebte Semele, Leda den Schwan, Venus den Adonis, Priapos die Nymphen.

Und die Helden vor Troja waren Söhne der Götter.

Ja, sie hatten die Liebe, die Alten, und sie hatten die Frauen, welche der Schönheit huldigten, in deren Schosse sie Götter wurden wie ihre Ahnen.

Herodot sagte einmal, die Frau ziehe mit dem Kleide die Ehrbarkeit aus, und Plato behauptet, die Frau ziehe an Stelle des Kleides die Ehrbarkeit an. Und sie hatten doch weder Ehrbarkeit noch Kleider, die Heiden der Liebe, sondern sie waren nackt, splitternackt, und nichts besassen sie als ihr Gebet. Das aber hiess Liebe.

Unser Beten heisst Fürchten.

Unsere Schönheit heisst englische Mode.

Unsere Weisheit heisst Phrase.

Unsere Liebe heisst Ehrbarkeit.

Wir besitzen Bordelle mit abgelebter Ware, Frauen mit stilisierter Moral um die Nüstern, Geheimräte und Sittenpolizisten.

Und wir besitzen Staatsanwälte, die über die Zucht der Bürger, über die Unschuld der Bürgerinnen und die Nächte der Kinder der Belitis wachen.

Und wir besitzen goldene Eheringe.

Sie aber besassen Nacktheit, goldene, freche Nacktheit.

Lasst mich euch grüssen, ihr Heiden!

Lasst mich Thränen vergiessen um mich, nicht mit euch geliebt und mit euch gestorben zu sein!

 

München, Frühjahr 1902.

 

Der Verfasser.

Lais; die Hetäre.

Von Robert Heÿmann.

Band 1:

Die Brautnacht der Priesterin

 

Band 2:

Das Fest der Belitis

 

Band 3:

Die Hetäre.

Die Brautnacht der Priesterin.