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Taceant colloquia. Effugiat risus.

Hic locus est ubi mors gaudet succurrere vitae.

(Schweigen sollen die Gespräche, entfliehen soll das Lachen.

Hier ist der Ort, wo der Tod sich freut, dem Leben zur Hilfe zu eilen.)

Giovanni Battista Morgagni
(1682–1771)

Roland Sedivy

AUTOPSIE

LEITFADEN

Grundlagen
der Totenbeschau
und Obduktion

unter Mitarbeit von
Marlene Leoni

Wegen stilistischer Klarheit und leichterer Lesbarkeit wurde im Text auf die sprachliche Verwendung weiblicher Formen verzichtet. Die Verwendung der männlichen Form gilt inhaltlich für alle Geschlechter gleichermaßen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2020

facultas Universitätsverlag, Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien, Austria

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Umschlagbild: © Pablo_K – istockphoto.com

Quellenverzeichnis:

S. 28, 30, 31, 53: © R. Sedivy/R. Biermayer

S. 99: © Pathologisch-Anatomische Sammlung des NHM Wien im Narrenturm

S. 101, 104, 150-158: © M. Leoni

Umschlaggestaltung: Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Marcus Balogh

Lektorat: Stefan Preihs, Wien

Typografie und Satz: Florian Spielauer, Wien

Druck: Finidr, Tschechien

ISBN 978-3-7089-1885-3

Auch als ebook erhältlich: ISBN 978-3-99030-894-3 (epub)

Vorwort

Erst durch die Obduktion tritt die Krankheit
vom Dunkel des Lebens in das Licht des Todes
.

Michel Foucault, Die Geburt der Klinik 1963

Es ist nun 21 Jahre her, dass das kleine Büchlein „Klinisch-Pathologisches Praktikum“ erstmals erschienen ist. Seither hat sich nicht nur in den rechtlichen Belangen einiges geändert. Neue Aspekte wie die Virtopsie oder ein anderes Herangehen an die Hinterbliebenen sind hinzugekommen. Daher war eine Überarbeitung schon überfällig. Nicht geändert hat sich, dass die Obduktionszahlen stetig sinken, dennoch gibt es nach wie vor den Wunsch nach einer praktischen Anleitung, wie eine Obduktion konkret durchgeführt wird. So habe ich das Thema neu aufgegriffen, überarbeitet und ergänzt. Da heute vielfach keine pathologisch-anatomischen Praktika mehr durchgeführt werden, war es mir ein Anliegen, aus der alleinigen technischen Beschreibung eine Übersicht des Ganzen zu geben. Der „Autopsie-Leitfaden“ soll helfen, einen Überblick zur Autopsie und Totenbeschau zu geben, indem sich dieser Faden vom Sterbeprozess bis zur Betreuung der Hinterbliebenen spannt. Gesetzliche Rahmenbedingungen und rechtliche Problemfelder sowie der technische Ablauf, aber auch Menschliches wie die Bedürfnisse der verschiedenen Religionsgemeinschaften sollten nun in einem solchen Buch Platz bekommen.

Danke möchte ich an dieser Stelle jenen Menschen sagen, die mich unmittelbar unterstützt haben. Rebekka Gabi, die Frau an meiner Seite, hat neben ihrer liebenswerten menschlichen Unterstützung ihre Erfahrungen vonseiten der technischen Assistenten in der Prosektur eingebracht. Frau Dr. Marlene Leoni hat einerseits den Anstoß zur Überarbeitung gegeben und andererseits mit viel Esprit ihre fachlichen Erfahrungen aus der Prosektur und dem Hörsaal einfließen lassen. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Gerald Höfler, Vorstand der Grazer Universitätspathologie, und insbesondere Herrn Prof. Walter Rabl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtsmedizin, die freundlicherweise bereit waren, Geleitworte zu verfassen. Zuletzt möchte ich meinen Dank an Frau Dr. Neulinger vom Facultas Universitätsverlag ausdrücken, die mit Humor und Verständnis das Werden werden hat lassen.

Wien, im August 2019

Univ. Prof. Dr. Roland Sedivy, MLS

Geleitworte

Die Obduktion übt seit langer Zeit eine Faszination aus. Berühmt sind in der Kunstgeschichte die Obduktionen, die Michelangelo und Leonardo da Vinci selbst durchgeführt haben. Ihnen ging es in erster Linie um die korrekte Darstellung des menschlichen Körpers. Neben dem Skelettsystem und der Muskulatur interessierte sich Michelangelo besonders auch für die Gefäß- und Nervenstränge, auch wenn ihm deren Bedeutung noch nicht ganz klar war.

Obduktionen stehen in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Pathologie, die mit Morgagni verbunden ist. Seine Veröffentlichung De sedibus et causis morborum per anatomen indagatis basiert maßgeblich auf mehr als 700 Obduktionen, die er selbst durchgeführt hatte. Durch dieses Werk findet eine Abkehr von der „Säftelehre“ der Antike als Ursache der Erkrankungen statt.

Die Obduktion löst aber auch oft ein gewisses Unbehagen in der Bevölkerung aus, wobei Unklarheiten betreffend Beweggründen und Indikationen für eine Leichenöffnung bestehen. Aus diesem Grund wird im vorliegenden Buch ausführlich auf die verschiedenen Formen der Obduktion (Spitalsobduktion, sanitätspolizeiliche und gerichtsmedizinische Obduktion) eingegangen, des Weiteren werden auch ethische und religiöse Fragestellungen beleuchtet.

In der modernen Pathologie haben Obduktionen nach wie vor einen bedeutenden Stellenwert in verschiedener Hinsicht. Durch eine sorgfältig durchgeführte Leichenöffnung werden oftmals zu Lebzeiten nicht oder nur ungenügend erkannte Erkrankungen entdeckt. In der Ausbildung von Medizinern können die komplexen Zusammenhänge von Erkrankungen eindrucksvoll auf eine morphologische Basis zurückgeführt werden. Zahlreiche wissenschaftliche Fragestellungen wie die Heterogenität einer metastasierenden Tumorerkrankung können nur im Rahmen einer Obduktion untersucht werden.

Den Studierenden der Medizin kann ich dieses Buch zur Vorbereitung auf die Sezierübungen sowie als Nachschlagewerk uneingeschränkt empfehlen. Auch für in Ausbildung stehende gleich wie erfahrene klinisch tätige Pathologen stellt dieses Werk einen ausführlichen und in dieser Form einzigartigen Leitfaden dar, der in der Praxis einen hohen Stellenwert erlangen wird.

Graz, im August 2019

Univ.-Prof. Dr. Gerald Höfler

Vorstand Institut für Pathologie Universität Graz und Past-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pathologie

Der vorliegende Leitfaden beschäftigt sich in vielfältiger Form mit medizinischen, rechtlichen, ethischen und nicht zuletzt auch technischen Aspekten der Obduktion. Die Obduktion/Autopsie ist anerkanntermaßen die medizinische Diagnostik mit der bei Weitem höchsten Effizienz. Trotzdem ist die Obduktionsquote in Österreich – obwohl die gesetzlichen Grundlagen der Bedeutung der Obduktion entgegenkommen würden – seit Jahrzehnten im Sinken begriffen. Dies hängt zum Teil auch damit zusammen, dass sich die zuständigen behandelnden Ärzte über die rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten einer Obduktionsanordnung nicht im Klaren sind. Das vorliegende Werk zeigt in ausführlicher Weise die gesetzlichen Grundlagen der verschiedenen Obduktionsanordnungen auf, erklärt die Kompetenzen, Stärken, Unterschiede und Kontaktpunkte der medizinischen Sonderfächer Pathologie und Gerichtliche Medizin und befasst sich aber auch mit medizinisch-ethischen Fragen und der Bedeutung und Bewertung der Leichenöffnung in verschiedenen Glaubensrichtungen.

Neben einer detaillierten praktischen Anleitung zur fachlich korrekten Durchführung einer Obduktion werden damit in erschöpfender und in dieser Klarheit und Zusammenfassung einmaliger Art und Weise sämtliche Aspekte von Obduktionen zusammengefasst.

Dieser Leitfaden darf nicht nur den Studierenden der Medizin, Fachärzten für Pathologie und Gerichtliche Medizin, sondern allen Medizinern, aber auch anderen Fachdisziplinen (z. B. Juristen, Tatortbeamten) zur Lektüre empfohlen werden. In diesem Sinne wünsche ich dem neu überarbeiteten Werk eine möglichst große Verbreitung und darf zum Wohle der Allgemeinheit hoffen, dass damit ein Beitrag geleistet wird, der Obduktion wieder etwas von der eminenten Bedeutung zurückzugeben, die ihr in medizinisch-fachlicher Hinsicht zukommen sollte.

Innsbruck, im August 2019

Univ.-Prof. Dr. Walter Rabl

Präsident der Österr. Gesellschaft für Gerichtliche Medizin und
stv. Direktor des Institutes für Gerichtsmedizin Innsbruck

Inhalt

1Grundlagen der Totenbeschau und Leichenöffnung

Der Tod

Der biologische Tod und seine Feststellung durch Totenbeschau (AT)/Leichenschau (DE)/Legalinspektion (CH)

Sicherung des biologischen Todes/Ausschluss Scheintod

Schätzung des Todeszeitpunktes

Klärung der Todesursache

Ausschluss von Fremdverschulden

Hinweise für einen nichtnatürlichen Tod

Die Leichenöffnung (Autopsie/Obduktion)

Aufgaben der klinischen Obduktion

Aufgaben der gerichtsmedizinischen Obduktion

Aufgaben der sanitätspolizeilichen Obduktion

2Grundlegende Rechtsnormen der Autopsie

Spitalsobduktion

Sanitätspolizeiliche Obduktion

Gerichtliche Obduktion

Spezielle Hinweise auf unklare gesetzliche Formulierungen

Exkurs: Herzstich und Thanatopraxie

3Spezielle Rechtsfragen in der Praxis

Totenbeschau

Privat versus Staat

Kann eine Obduktion durch eine Patientenverfügung ausgeschlossen werden?

Übungsoperationen an der Leiche

4Spezielle Problematik der sanitätspolizeilichen Obduktion – der außergewöhnliche Sterbefall

Exkurs: Gerichtsmediziner versus klinischer Pathologe

Indikation sanitätspolizeiliche Obduktion

Unklare Todesursache

Gründe der öffentlichen Gesundheitsfürsorge/-pflege

Tote haben keine Lobby

5 Bedeutung der Virtopsie

6 Problematik Tot- und Fehlgeburten

7 Autopsie und die Weltreligionen

8 Verabschiedung – Angehörigengespräch

9 Technisch-praktischer Abschnitt

Allgemeine Grundsätze

Kriterien der Organbefundung

Ausführung der Leichenöffnung

Obduktionsprotokoll

Zusatzuntersuchungen: Histologie, Molekularpathologie, Mikrobiologie, chemisch-toxikologische Analyse

Obduktion infektiöser Leichen

Nachwort – wozu Autopsie?

Anhang

Fotodokumentation einer Autopsie

Anzeige des Todes

Todesbescheinigung

Ausgewählte Literatur

Stichwortverzeichnis

Zum Autor

1 Grundlagen der Totenbeschau und Leichenöffnung

Der Tod

Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.

Ludwig Wittgenstein – Tractatus logico-philosophicus

Auch wenn der Tod kein Ereignis unseres Lebens zu sein scheint, so ist er jedenfalls ein integraler Bestandteil unseres diesseitigen Denkens. Wie wir dem Tod gegenüber eingestellt sind, ob tabuisierend-verdrängend, ängstlich oder gefasst, ob wir ihn philosophisch, theologisch oder rein biologisch betrachten, seine Definition ist gerade für den Arzt von großer Bedeutung.

Doch bevor dieser irreversible Moment eintritt, durchlaufen wir Menschen bestimmte Phasen des Sterbens.

Das Sterben kann in vier Phasen der Agonie eingeteilt werden.

Die Agonie ist grundsätzlich eine kritische Lebensphase, die einen labilen Gleichgewichtszustand zwischen Leben und Tod darstellt und deren Ausgang oft der Tod, aber durchaus auch eine Restitution im Sinn einer Genesung sein kann. Richtung Tod ist dieser unterschiedlich lange Zeitraum von einer zunehmenden Dysfunktion der großen regulatorischen Körpersysteme und deren abnehmenden Koordination gekennzeichnet. Diese zunehmende Devitalisierung bewirkt als finale Krise den Tod. Klinisch entspricht dieser Vorgang einem allgemeinen, zunehmenden Versagen von Atmung und Kreislauf, mit zunehmender Schwäche des Körpers.

Laves und Berg publizierten eine ausführliche Studie, aus deren Einteilung in vier Typen der Autor dieser Zeilen eine 4-P-Regel formte:

Typ 1:

Perakute Agonie. Der Tod tritt schlagartig ein, z. B. bei Hochgeschwindigkeitstraumen. Die Agonie kann gänzlich fehlen oder ultrakurz sein.

Typ 2:

Progrediente akute Agonie. Ein plötzliches, dynamisch zunehmendes Geschehen (z. B. innere Blutung bei Aneurysmaruptur, Embolien, Intoxikationen …) führt zum Tod.

Typ 3:

Protrahierte Agonie. Eine protrahierte, chronische Erkrankung (z. B. Malignomleiden) bewirkt ein längeres Andauern, ein sich Rauszögern des Todes.

Typ 4:

Prolongierte Agonie: Diese spezielle Form ist eine durch Reanimation verlängerte Agonie.

Der klinische Tod entspricht dem Stillstand von Atmung und Kreislauf, wobei abhängig von der Überlebenszeit der Gehirnzellen (Hirnhypoxie > 2 min) die Möglichkeit zur Reanimation besteht. Ein klinisch toter Mensch kann daher ins Leben „zurückgeholt“ werden. Ob dies gelingt, ist von vielen Begleitfaktoren abhängig: Einer dieser Faktoren ist z. B. die Umgebungstemperatur, da Kälte den Zellmetabolismus verlangsamt und damit ein längeres Überleben der Zellen gewährleistet. Dies hat heutzutage auch in der operativen Medizin eine Bedeutung, wo bewusst eine Unterkühlung des Patientenkörpers als therapeutische Hypothermie verwendet wird. Die Hypothermie vermindert die Stoffwechselaktivität und erhöht damit die Ischämietoleranz der Gewebe, ein Umstand, der bei größeren Operationen am Herz oder Gehirn eingesetzt wird. Ferner wird diese neuroprotektive Wirkung der Hypothermie nach stattgehabter Reanimation ausgenutzt.

Auch Comorbiditäten sind mitentscheidend, denn Vorerkrankungen z. B. der Lunge, des Herzens oder der Niere nehmen Einfluss, wie schnell der Tod einsetzt.

Pforten des Todes

Der Weg zum Tod kann auf sehr vielfältige Weise beschritten werden, die terminalen Endstrecken sind aber auf wenige integrierbar.

Hier gilt es, zunächst das Gehirn zu nennen. Es ist bezüglich einer Hypoxie das empfindlichste Organ unseres Körpers. Seine Reaktion ist auf die auslösenden Noxen (z. B. Trauma, Blutung, Entzündung, Hypoxie) relativ gleich, nämlich in Form eines Ödems (Schwellung). Damit startet ein Circulus vitiosus, denn durch die Schwellung wird beispielsweise mechanisch die Mangeldurchblutung verstärkt. Durch die weiter zunehmende zelluläre Hypoxie und Azidose wird die Permeabilität der Blutgefäße erhöht, womit die Blut-Hirn-Schranke „aufweicht“ – dies mit der Konsequenz, dass das Hirn weiter anschwillt. Eine Grenze setzt hier zum einen das Foramen occipitale magnum und der Tentoriumsschlitz. Die zunehmende Einengung des Hirnstamms bewirkt eine Druckirritation in Form der ödematösen/hypoxischen Zelldystrophie mit einer ansteigenden Beeinträchtigung des Atem- und Kreislaufzentrums. Sobald der point of no return der aeroben Glykolyse überschritten ist, wird das Gewebe nekrotisch (Abb. 1), das lebenswichtige Atem- und Kreislaufzentrum fällt aus und der Tod setzt ein. Die Todesursache findet sich dann in Hirnstammnekrosen und/oder -blutungen. Zudem können am Hirn die vorderen bzw. auch hinteren tentoriellen Druckzeichen gefunden werden (siehe später).

Abb. 1: Hypoxie, Anoxie und Nekrose

Zum anderen bietet die gesamte knöcherne Schädelhöhle generell nur wenig Platz für eine Expansion. Liquorräume und Gefäße werden dadurch allgemein sehr bald erheblich eingeengt – die Folge ist ein erhöhter Hirndruck. Klinisch ist dafür die einseitige oder beidseitige Mydriasis ein Indikator. Auftreten von Nekrosen und Blutungen zerstören zunehmend die Hirnsubstanz, sodass letztlich der Tod durch multifokalen Funktionsverlust eintritt. Dies wird u. U. von einem vitalen „Restorganismus“ begleitet, sodass hier zunächst vom sogenannten dissoziierten Hirntod und danach vom Hirntodsyndrom (nach Hirntoddiagnostik) gesprochen wird.

Atmungsstörung

Der Hauch/Atem des Lebens ist sprichwörtlich und der Sauerstoff unabdingbare Voraussetzung für ein Funktionieren unseres Körpers. Die Lunge ist damit unser zentrales Organ und ermöglicht, dass der notwendige Gasaustausch stattfindet. Fehlt der Sauerstoff in der Atemluft oder kann er nicht in die Lungenbläschen oder in das Blut und letztlich in die Zelle eingeschleust werden, ist eine kritische Phase die Folge. Dabei wird eine Störung, die mit Beeinträchtigung des pulmonalen Gasaustausches bei intakter alveolärer Ventilation einhergeht, z. B. die Hypoxämie bei niedrigem Luftdruck in großen Höhen bzw. verminderter O2-Gehalt in der Luft, vom Sauerstoffmangel bei Störungen mit defekter alveolärer Ventilation unterschieden. Dieser geht mit Hypoxämie und Hyperkapnie einher, z. B. ist das bei Atemlähmung, Thoraxkompression, Atemwegsverlegung oder auch beim Ertrinken der Fall. Letztlich zählt auch die gestörte alveoläre Ventilation mit zusätzlicher cerebraler Ischämie hinzu, beispielsweise beim Erhängen bzw. Erdrosseln/Erwürgen.

Herz

Der akute Herzstillstand ist ein plötzlicher Abfall/Ausfall der Pumpfunktion und ist die häufigste Todespforte. Dabei tritt zu 80 % ein Kammerflimmern auf, wobei durch die unkoordinierte, elektrische Aktivität im Reizleitungssystem ein funktioneller Stillstand ohne hämodynamisch wirksamer Ventrikelentleerung zustande kommt. Lediglich in 20 % kommt es zu einem „echten“ Herzstillstand mit extremer Bradykardie/ Asystolie.

Der kardiogene Schock ist gekennzeichnet durch den Ausfall funktionstüchtigen Myokards. Dabei ist neben der Nekrosegröße/Infarktfläche die Dehnbarkeit des geschädigten Myokards für das Ausmaß der Pumpbeeinträchtigung ausschlaggebend: Bei nicht dehnbarem, defektem Myokard korreliert die Größe des Infarktes linear mit dem Pumpversagen, bei verstärkter Dehnbarkeit bewirken paradoxe Kammerwandbewegungen eine systolische Dyskinese, die das Schlagvolumen erheblich verringern kann.

Neben diesen klassischen atria mortis ist das Multiorganversagen zu nennen, das durch progressive und kumulative Dysfunktion lebenswichtiger Organe (Niere, Lunge, Herz, Leber) und Systeme (Kreislauf, Gerinnung, Komplementsystem, Immunsystem) geprägt ist. Auslöser, wie eine Sepsis, ein Polytrauma, ein hämorrhagischer Schock oder auch eine nekrotisierende Pankreatitis bewirken dabei eine Aktivierung humoraler und zellulärer Mediatorsysteme, die den Systemzusammenbruch auslösen.

Vita reducta – Vita minima (Scheintod) – intermediäres Leben

In der Agonie wird durch die akute Krise (Vita reducta) der unmittelbare Sterbensprozess eingeleitet, der zur finalen Krise (Vita minima) voranschreitet (Abb. 2). In dieser Zeit können Respiration und Zirkulation derart darniederliegen, dass diese bei oberflächlicher Untersuchung nicht wahrgenommen werden können – der sogenannte Scheintod.

Klassische Auslöser für den Scheintod sind als A-E-I-O-U-Regel beschrieben worden:

A – Anämie, Anoxämie, Alkohol

E – Epilepsie, Elektrizität (auch Blitzschlag)

I – Injury (Schädel-Hirn-Trauma)

O – Opium (steht für alle Betäubungsmittel)

U – Urämie (und andere Stoffwechselentgleisungen), Unterkühlung

Die Phase, die zwischen dem klinischen Tod, dem eigentlichen Individualtod (Hirntod), und dem biologischen Tod steht, wird intermediäres Leben genannt. Dieser Zeitraum ist nach wie vor von unsicheren Merkmalen des Todes geprägt: lichtstarre weite Pupillen, Areflexie, fehlende Herzaktivität, fehlende Atmung, abgekühlte Körpertemperatur. Mit Einsetzen der Totenflecke ist diese Phase schließlich zu Ende.

Abb. 2: Ablauf der Agonie

Der biologische Tod hingegen ist der irreversible Zusammenbruch der Gesamtfunktion von Gehirn und Herz-Kreislauf-System, sodass ein Weiterleben unmöglich ist.

In früheren Zeiten genügte der Herzstillstand, um einen Menschen für tot zu erklären, dies hat sich aber seit Längerem bereits geändert und ermöglichte erst die Transplantationsmedizin. Im forensischen Sinne wird der Tod heute mit dem Eintritt des Hirntodes gleichgesetzt und mit ihm endet die Rechtsfähigkeit des Menschen.

Zunächst wird ad hoc der Tod durch Notärzte festgestellt. Es lassen sich die Merkmale des klinischen Todes erkennen, das sind Atem- und Kreislaufstillstand, Bewusstlosigkeit und 0-EKG.

Danach ist die Feststellung des Hirntodes – insbesondere auf Intensivstationen – von Bedeutung, wobei die Diagnose des Hirntodes die Grundlage für den Behandlungsabbruch darstellt und die Möglichkeit der Organtransplantation eröffnet. Die Transplantationsmedizin, deren Erfolge unzweifelhaft sind, ist immer wieder Gegenstand heftiger Diskussionen. Falsche Vorstellungen, unbewusste Ängste sowie das „Nicht-wahrhaben-Können“ des Todes eines nahen Angehörigen führen zu einem heftigen Widerstand, vor allem unter Laien. Natürlich ist es für jeden Angehörigen nicht einfach realisierbar, dass ein scheinbar schlafender, atmender, warmer Körper mit regulärem Hautkolorit von den behandelnden Ärzten plötzlich für tot erklärt wird. Getragen von den verständlichen Hoffnungen, seinen Lieben nicht zu verlieren, wird die Tatsache negiert, dass künstliche Beatmung und Intensivpflege dem Körper des Patienten nur eine scheinbare Vitalität bei Zustand des Hirntodes verleihen.

In der Krankenanstaltengesetzenovelle (KAG-Novelle) 1982 wurde gemäß § 62 a Abs. 1 das sogenannte Widerspruchsmodell eingeführt. Seit dem Jahr 2012 sind die entsprechenden Regelungen im Bundesgesetz über die Transplantation menschlicher Organe (Organtransplantationsgesetz, OTPG) zusammengefasst. Damit ist die Explantation von Organteilen, soweit sie nicht eine die Pietät verletzende Verunstaltung darstellen, auch ohne ausdrückliche Einwilligung immer zulässig, wenn dem Arzt der Widerspruch des Verfügungsberechtigten unbekannt blieb. Mit dieser Novelle wurde das Delikt des § 190 Strafgesetzbuch (StGB, Störung der Totenruhe), das die Pietät gegenüber dem Toten und dessen Würde als geschütztes Rechtsgut betrachtet, für die spezifische Situation einer Organtransplantation eingeschränkt. Dennoch, die Tötung eines Menschen zwecks Gewinnung eines transplantierbaren Organs stellt den Tatbestand für Mord nach § 75 StGB als auch die Störung der Totenruhe nach § 190 StGB dar. Somit ist für die Zulässigkeit der Organentnahme der Umfang der Entnahme, der Widerspruch, der Zweck der Entnahme und die Vorgangsweise bei der Organentnahme zu beachten.

Das Hirntodkriterium – sogenannter Harvard-Bericht

Das bis Mitte des 20. Jahrhunderts geltende Todeskriterium, der Herztod (Stillstand von Atmung- und Herzaktivität), verlor angesichts der modernen intensivmedizinischen Maßnahmen zur Wiederbelebung an Bedeutung. Ein weiteres Kriterium zur Feststellung des Todes wurde eingefordert, wobei hier ein Komitee der Harvard Medical School federführend war, deren Diskussionsergebnis 1968 im sogenannten Harvard-Bericht veröffentlicht wurde.

Hirntod = ein Zustand des irreversiblen Erloschenseins der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bei künstlich kontrollierter Beatmung mit künstlich aufrechterhaltener Herz-Kreislauf-Funktion. Die Hirnfunktionen gelten als irreversibel verloren, wenn für zumindest 10 min das Gehirn keine Blut- und Sauerstoffversorgung erhält.

Trotz der künstlichen Kreislauf- und Atmungstätigkeit ist das Gehirn von der Durchblutung abgekoppelt und dessen Nervenzellen zerfallen, selbst wenn der restliche Körper künstlich durchblutet und mit Sauerstoff versorgt wird. Daher besteht beim Hirntoten noch die Möglichkeit, seine intakten Organe zu Transplantationszwecken zu entnehmen.

Die Unterscheidung von tief komatösen und hirntoten Patienten ermöglicht die Prüfung der Hirnstammreflexe, die beim bewusstlosen Patienten noch, bei Hirntoten nicht mehr auslösbar sind. Dazu zählen:

1. Der Pupillenreflex: Beide Pupillen sind bei noch Lebenden im Regelfall gleich weit und verengen sich bei Lichteinfall. Bei Hirntoten fehlt dieser Reflex, die Pupillen reagieren nicht mehr auf Lichteinfall.

2. Das Puppenkopf-Phänomen (okulozephaler Reflex): Schnelles Drehen oder Kippen des Kopfes ist bei Lebenden mit einer langsamen Gegenbewegung der Augen verbunden. Bei Hirntoten verbleiben die Augen starr ohne Veränderung ihrer Ausgangsstellung.

3. Der Hornhautreflex: Berührung der äußersten Augenschicht (Hornhaut) löst den Lidschlussreflex aus – die Augen schließen sich reflektorisch.

4. Schmerzreaktionen im Gesicht: Lebende reagieren auf Schmerzreize im Gesicht mit erkennbaren Muskelzuckungen und Abwehrreaktionen der Kopf- und Halsmuskulatur. Hirntote zeigen keine Reaktion.

5. Der Würge- und Hustenreflex (Tracheal- und Pharyngealreflex): Berührungen der hinteren Rachenwand lösen bei Lebenden ein Würgen/Husten aus. Hirntote zeigen keine Reaktion.

Die Ergebnisse dieser Reflexprüfungen sind nur dann verwertbar, wenn zuvor die Maßnahmen der medikamentösen Analgosedierung beendet wurden! Wenn alle fünf Reflexprüfungen auf einen Hirntod hinweisen, wird auf eine vorhandene Spontanatmung überprüft, denn das unbewusste Atmen stellt einen lebenswichtigen Reflex dar. Wird nun die maschinelle Beatmung eingestellt, verbraucht sich der Blutsauerstoff sehr rasch, der Gehalt an Kohlendioxid steigt rasant an, womit üblicherweise das Atemzentrum des Gehirns aktiviert wird und die Atmung auslöst. Setzt daher die Eigenatmung nicht ein, kann von einem gänzlichen Ausfall des Atemzentrums ausgegangen werden.

Als letzter Schritt gilt es, die Irreversibilität der Hirnschädigung apparativ mithilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) festzustellen. Allerdings kann das EEG nur den Funktionsstoffwechsel prüfen, d. h. den Ausfall der Nervenzelle. Die Strukturqualität – die Vitalität der Zelle – kann damit nicht überprüft werden! Zudem prüft das EEG nur die Funktion der Großhirnrinde. Daher kann bei einer 0-Linie der Hirnstamm noch funktionstüchtig sein. Wiederholte EEG-Ableitungen sind daher in der Hirntoddiagnostik nur ein Puzzlestein und können nur in der Gesamtheit mit den übrigen Maßnahmen interpretiert werden.

Die Diagnose des Hirntodes in Österreich

Die Diagnose des Hirntodes ist grundsätzlich an folgende Leitsymptome gebunden: tiefes Koma, Herz-Kreislauf-Stillstand, Apnoe, weite lichtstarre Pupillen, Fehlen cerebraler Reflexe (z. B. Kornealreflex, Okulofacialisreflex usw.). Sie ist auch apparativ zu verifizieren, wie durch ein EEG und/oder eine Karotisangiographie, um den cerebralen Zirkulationsstillstand zu illustrieren.

Der Hirntod eines Menschen ist per definitionem dann eingetreten, wenn die gesamten Funktionen des Groß- und Kleinhirns sowie des Hirnstammes irreversibel erloschen sind. Damit wird heute medizinisch, ethisch und gesetzlich der Individualtod eines Menschen definiert.

Dennoch kann der Körper eines hirntoten Menschen weiterhin biologisch aktiv sein, sofern die Herz- und Kreislauf-Funktionen künstlich aufrechterhalten werden. Dies ist notwendig, um die Blutversorgung der Organe und damit ihre Funktionsfähigkeit für eine Transplantation aufrechtzuerhalten. Daher muss innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nach der Explantation das Organ des Spenders entnommen und dem Empfänger implantiert werden (sog. kalte Ischämiezeit des Organs). Beim Herzen beträgt diese Ischämiezeit etwa 4 h, bei der Leber 12 und bei der Niere 24 h.

Ausnahmslos darf der Hirntod eines Menschen nur durch einen Arzt (mit ius practicandi) festgestellt werden, die nicht an der Entnahme oder Implantation beteiligt sein dürfen.

Die genaue Diagnostik und deren Vorgangsweise wurde vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) nach Beschluss des Obersten Sanitätsrates als „Empfehlung zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme“ veröffentlicht und kann von der Website der Austrotransplant heruntergeladen werden.

Liegt eine primäre oder sekundäre Hirnschädigung vor, so werden zunächst Vorgeschichte und Befunde erhoben, um vor allem die Verabreichung hoher Dosen cerebral/neurogen wirksamer Medikamente/Drogen/Substanzen auszuschließen.

Danach folgen zwei klinische Untersuchungen, wo das Koma (keine motorische Reaktion auf Schmerzreize) festgestellt sowie das Fehlen sämtlicher Hirnstammreflexe überprüft und der Apnoetest (Messung der Blutgase bei Atemstillstand) durchgeführt wird. Anschließend erfolgt die Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns per EEG. Die Untersuchungsergebnisse müssen allesamt genau dokumentiert werden.

Mit der Diagnose des „Hirntodsyndroms“ ist auch der Hirntod festgestellt und dokumentiert.

Der biologische Tod und seine Feststellung durch Totenbeschau (AT)/Leichenschau (DE)/ Legalinspektion (CH)