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Martina André

Robolove #2 - Operation: Copper Blood

 

Für Rosie

RoboLOVE: Operation Copper Blood

Personen, Namen und Ereignisse in diesem Roman sind frei erfunden und entspringen der Fantasie des Autors und bilden nicht die Wirklichkeit ab. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Ereignisse in der Story, zumal in Verbindung mit tatsächlich vorhandenen Orten und Organisationen, haben keinen Bezug zu wahren Begebenheiten.

Prolog – Ewige Schuld

 

Kapitel 1 – Ein ganzer Kerl

 

Kapitel 2 – Emma

 

Kapitel 3 – Partygirl

 

Kapitel 4 – Gebrochenes Herz

 

Kapitel 5 – Copper Blood

 

Kapitel 6 – Familienbande

We’re born alone, we live alone, we die alone. Only through our love and friendship can we create the illusion for the moment that we’re not alone.

(Orson Welles)

Prolog

Ewige Schuld

Februar 2056 Panamerikamische Staaten/Killingfields

 

»Gottverflucht, Rachel!«, brüllte Lennox aus knapp zweihundert Yards Entfernung, als er sah, wie die Situation eskalierte. »Gib den Idioten endlich die verdammte Tasche!«

Er hatte seine heißbegehrte Position an der Essensausgabe der Sozialstation längst aufgegeben und rannte so schnell er konnte zu seiner Frau, die im Schatten einer Mauer auf ihn gewartet hatte. Doch sie war zu weit weg, als dass er auf der Stelle hätte eingreifen können.

In einer trainierten Routine fasste er an seine rechte Seite und vermisste seine Pistole, die er dort noch Wochen zuvor in einem Holster getragen hatte. Aber mit seiner Entlassung als Cop hatte er sie an seine Dienststelle zurückgeben müssen und Privatpersonen war es in Detroit bei Strafe verboten, eine Waffe zu tragen.

»Verdammt!«, fluchte er, während Rachel ihren Rucksack weiterhin mit einem Arm umklammerte, als ob er ihr Leben wäre. Mit dem anderen Arm holte sie aus und schlug einem der Angreifer mit der Faust so hart ins Gesicht, dass er fluchend zurücktaumelte und sich die blutende Nase hielt.

Lennox wusste, dass Rachel selbst dann noch kämpfte, wenn der Sieg aussichtslos war. Aber diese Kerle würden nicht aufgeben, so viel war klar.

Die Angreifer bemerkten Lennox erst, als er fast bei ihnen war. In Panik zückte einer der Vermummten eine altmodische Pistole. Doch er schoss nicht auf ihn, sondern auf Rachel.

Lennox erinnerte sich nicht mehr, ob es der Schuss gewesen war oder das Aufblitzen des Feuers, das seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte. Er sah immer nur das Bild vor Augen: wie Rachel fiel – in Zeitlupe – mit einem großen blutigen Loch in der Brust. Das lange schwarze Haar folgte ihrem sterbenden Körper wie eine wehende Fahne im Wind.

Einer der Kerle entriss ihr, kaum dass sie am Boden lag, den Rucksack und rannte mit den restlichen Typen davon.

Als Lennox endlich auf dem heißen Asphalt neben ihr kniete und vergeblich versuchte, die Wunde in ihrer Brust mit bloßen Händen zu schließen, schaute sie ihn aus ihren großen, gebrochenen Augen an, als ob sie nicht glauben konnte, was soeben passiert war.

Er schrie ihren Namen. Doch sie antwortete nicht. Stattdessen hörte er laut und deutlich seine innere Stimme: Sie ist tot, Len. Verdammt nochmal, sie ist tot.

 

Drei Monate später …

 

Hastig schlang Lennox seinen Bohnenschotenbrei in sich hinein, obwohl das Zeug genauso geschmacklos war wie das Insektenmehl, das Ed ihm gewöhnlich servierte und von dem er behauptete, es würde seine Muskeln eher stählen als Fleisch. Aber er musste etwas essen, sonst konnte er bei den Boxkämpfen, mit denen er sich nach Rachels Tod regelrecht selbst bestrafte, nicht bestehen.

Ed Pakorski, ein glatzköpfiger Endfünfziger mit einer mehrfach gelifteten Visage, die ihn aussehen ließ wie ein Alien aus der Area 51, stand hinter ihm und mahnte zur Eile. Er hatte Lennox nach Rachels Tod unter einer Brücke in Detroit aufgelesen und – obwohl er zu diesem Zeitpunkt ziemlich abgemagert gewesen war – sofort sein Potential als Boxer erkannt. Lennox war Mitte Zwanzig, über Eins Neunzig groß, Linkshänder und seine Arme hatten eine außergewöhnliche Reichweite. »Mit ein paar Proteinen mache ich wieder einen richtigen Kerl aus dir«, hatte Ed ihn bequatscht und ihm nicht nur eine trockene Bleibe in seinem Apartment versprochen, sondern auch einen Job als Streetfighter in seinem Club, in dem er hauptsächlich Menschen gegen Maschinen antreten ließ. Lennox, dessen Ersparnisse inzwischen vollkommen aufgebraucht waren, hatte nicht lange überlegt und zugestimmt. Pakorski, der früher mal eine große Nummer im Drogengeschäft von Detroit gewesen war, betrieb seinen »Club« im Kellergeschoss eines abbruchreifen Industriegebäudes, wo er die illegalen Schaukämpfe organisierte und ein ebenso illegales Wettbüro betrieb, in dem die Zuschauer ihre letzten Credits auf den Ausgang eines Kampfes setzen konnten.

Am liebsten sahen die Leute, wenn Lennox gegen ausrangierte Robocops antrat und sie spektakulär in ihre Einzelteile zerlegte. Er selbst hatte nichts dagegen, diesen tumben Blechbüchsen das ausdruckslose Gesicht zu polieren. Schließlich hatten sie ihn nicht nur um seine Anstellung als Polizist gebracht, sondern in seinen Augen auch Rachels Tod zu verantworten. Außerdem waren sie schuld, dass er nun halbnackt in dieser heruntergekommenen Küche saß.

»Komm her, Len.« Ed gab ihm einen Wink. »Hol dir deinen Schuss ab, Schätzchen. In einer halben Stunde geht’s los. Dann solltest du aggressiv genug sein, um sämtliche Gegner des Abends auf ihren lang verdienten Schrotthaufen zu schicken.«

»Ja doch«, brummte Lennox und genehmigte sich noch einen Schluck Whisky. Das Einzige, was ihn in dieser Hölle halbwegs bei Laune hielt.

Sein Kopf dröhnte und der Magen rebellierte. Dazu schmerzten die unzähligen Blessuren vom Vortag, die trotz eingesetzter Nanotechnik noch nicht restlos verheilt waren.

Ed erledigte das übliche Doping mit der Gelassenheit einer Krankenschwester, indem er eine unscheinbare Impfpistole mit grüner Flüssigkeit aus einer Ampulle aufzog und ihn aufforderte, am Tisch Platz zu nehmen.

»Der Stoff ist gut«, bemerkte Ed beiläufig, als Lennox sich nur mit Shorts bekleidet verkehrt herum auf einen Küchenstuhl hockte und ihm mit einem kehligen Knurren seine ungeschützte Halsvene darbot.

Ohne lange zu fackeln, setzte Ed die Injektionspistole an die pulsierende Ader und jagte ihm das grüne Teufelszeug mit einem Zischen in den malträtierten Körper. »Kommt direkt aus der Hexenküche von Raphael Salazar«, schwärmte Ed regelrecht. »Hat mich eine schöne Stange Geld gekostet. Angeblich spritzen sie das Zeug irgendwelchen menschlichen Söldnern, die im Krieg gegen die Robots eingesetzt werden.«

»Was redest du da für eine gequirlte Scheiße«, raunte Lennox durch seine zusammengebissenen Zähne, weil die Einstichstelle nach der Injektion noch eine Weile wie verrückt brannte. »Seit wann kämpfen Menschen an der Front? Die würden keinen Tag lang überleben. Du kannst die dortigen Kampfroboter nicht mit den Blecheimern vergleichen, gegen die ich in deinem verlausten Keller antrete.«

»Ich habe es aus einer sicheren Quelle«, murmelte Ed verschwörerisch, während er Lennox mit einem zerfetzten Handtuch das Blut abwischte, das aus der Injektionswunde sickerte. »Aber wehe, du verlierst auch nur ein Wort darüber. Dann sind wir beide am Arsch. Hörst du? Ich vertraue dir, mein Sohn.« Er klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter.

Für Lennox das Zeichen, sich sein knappes Muskelshirt überzuziehen und Ed zu seinem verbeulten Wagen zu folgen, der sie drei Straßen weiter zu dem ehemaligen Industriekomplex bringen würde, in dessen unterirdische Hallen sich normalerweise weder die Cops noch Mitarbeiter der Steuerbehörden verirrten.

Kaum dass sie über einen Hintereingang kommend am Ring eingetroffen waren, brandete das erwartungsfrohe Johlen des meist männlichen Publikums auf. Ein paar ehrenamtliche Ordner hatten die Zuschauer zuvor auf Waffen durchsucht und dafür gesorgt, dass sie sich in einem angemessenen Abstand um den Ring verteilten.

Bevor es losging, konnten die Wetten über ein Holoboard abgeschlossen werden. Die meisten Teilnehmer hatten bereits auf Lennox gesetzt. Wobei es nicht nur darum ging, ob er siegte, sondern vor allem, wie schnell er seine Gegner von der Matte schickte.

Im Vorbeigehen hatte Lennox sich die bedauernswerten Robots angesehen, bei denen er nicht sicher war, ob sie tatsächlich keinerlei Bewusstsein besaßen. Ihre Konstrukteure hatten sich zwar um ein menschliches Aussehen bemüht, doch weder Stimme noch Gesichtsausdruck waren mit einem Menschen zu vergleichen. Umso erstaunlicher war es, dass manche von ihnen versuchten, sich heimlich davonzumachen, scheinbar um dem Kampf zu entkommen. Allerdings wurden sie von Eds Gehilfen gnadenlos wieder eingesammelt.

Nachdem Lennox sich warm geboxt hatte, wollte er gerade in den Ring steigen, als die zuvor sorgfältig verschlossenen Türen der mit Menschen überfüllten Halle unvermittelt aufsprangen. Für einen Moment glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen, als mehrere schwer bewaffnete Kriegsroboter hereinstürmten und rücksichtslos alles beiseiteschoben, was sich ihnen in den Weg stellte. Die Typen waren gut zwei Meter groß, breitschultrig wie ein Schrank und trugen speziell angefertigte Kampfanzüge, die ihre ausgeprägte Muskulatur besonders zur Geltung brachten.

Lennox kannte sie nur aus den Holo-Nachrichten. Normalerweise wurden sie ausschließlich auf den Killingfields eingesetzt und es war strengstens verboten ein ausrangiertes Modell auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Umso mehr fragte er sich, was sie in Eds verlaustem Keller zu suchen hatten. Ihre Gesichter, von denen man nur Nase, Mund und Kinn zu sehen bekam, weil sie einen Helm mit Schutzbrille trugen, wirkten um einiges menschlicher als die Gesichter der Robocops.

Dachten die Zuschauer zunächst noch, es handele sich um einen gut gemachten Scherz, begriffen sie schließlich, dass mit diesen Typen nicht zu spaßen war. Spätestens als die Robots damit begannen, jedem, der eine einigermaßen athletische Figur besaß, elektronische Fesseln anzulegen, brach Panik aus. Diejenigen, die noch eine Chance sahen zu fliehen, drängten zu einem offenstehenden Kellerschacht, der jedoch zu schmal war, um den Robots entkommen zu können.

»Lass uns abhauen«, zischte Ed, der unten am Ring den Coach mimte und nun zum Hinterausgang deutete, der den anderen durch eine Barriere versperrt war. »Hier stimmt was nicht.«

»Keine Frage«, murmelte Lennox und beeilte sich Ed zu folgen. Kurz vor dem Ausgang stellte sich ihnen ein riesiger Kämpfer in den Weg, der keinen Helm trug und so menschlich wirkte, dass Lennox zweimal hinsehen musste, ob es sich tatsächlich um einen Robot handelte. Der Kerl machte Anstalten, auch ihn festnehmen zu wollen. Aber Lennox war noch vollgepumpt mit Eds Drogencocktail und aggressiv genug, um sich zur Wehr zu setzen.

»Mach ihn fertig!«, brüllte Ed in der Hoffnung, dass er den Kerl aus dem Weg räumen würde.

Zuerst schlug Lennox dem Robot die Waffe aus der Hand und dann die Fessel. Als der Robot zurückschlug, wich Lennox dem Schlag geschickt aus und trat ihn vor die Kniegelenke. Der Robot verlor daraufhin das Gleichgewicht und krachte zu Boden.

Lennox wartete keine Sekunde und schnappte sich dessen Laserpistole. Dann packte er Ed, der noch ganz fasziniert zu sein schien, am Ärmel und zog ihn schwungvoll in Richtung Ausgang. Fast hätten sie es bis auf die Straße geschafft, als sie ohne Vorwarnung von vier weiteren Söldnern umstellt wurden.

Lennox hatte genug grünen Kraftverstärker getankt, um sich auch diesen Idioten entgegenzustellen, zumal er nun eine Waffe besaß. Doch seine Gegner waren schneller und hatten Ed mit ihren Lasergewehren in Sekundenbruchteilen in mehrere Einzelteile filetiert, noch bevor Lennox auch nur einen Schuss hatte abgegeben können. Er selbst war so schockiert von Eds unvermitteltem Anblick und all dem Blut, dass er für einen Moment seine Aufmerksamkeit verlor und einen Schlag gegen den Kopf kassierte, der ihn sofort in die Bewusstlosigkeit schickte.

 

Nachdem er wieder zu sich gekommen war, lag er völlig nackt auf einer Art Fließband. Arme und Beine waren mit Stahlklammern fixiert, was ihm jegliche Möglichkeiten nahm, sich zu rühren. Das Band machte an verschiedenen Stationen halt, an denen Robots ohne Gesicht ihn offensichtlich auf eine Operation vorbereiteten. Seine Brust wurde mit einer blauen Strahlung sterilisiert und einer dieser gesichtslosen Assistenten jagte ihm eine Injektion in die Armvene. Was wohl eine Narkose sein sollte, die bei Lennox jedoch nicht vollständig wirkte. Er dachte, er würde sterben, als sie seinen Körper unter Einsatz langer Kanülen mit winzigen Nanobots bombardierten, die gut spürbar in seinen Eingeweiden herumschnippelten und dort irgendetwas erledigten, von dem er nicht die leiseste Ahnung hatte.

Nach dieser Tortur war er froh, noch am Leben zu sein. Aber damit war die Folter längst nicht beendet. Danach wurde er wie ein gefährliches Tier in einen Stahlkäfig gesperrt , der für die kommenden Wochen sein Zuhause sein sollte. Am nächsten Tag wurde er gezwungen, ein muskelaufbauendes Training aufzunehmen, indem man ihm weitere Substanzen spritzte und ihn unter Zwang an diversen Maschinen trainieren ließ, bis sich seine Muskulatur auf die dreifache Größe aufgepumpt hatte. Man wolle ihn – so viel hatte er inzwischen herausgefunden – zu einem Hybridsöldner umfunktionieren. Eine unselige Mischung aus Mensch und Maschine, die man gemeinsam mit den Robots auf den Killingfields einsetzen würde.

Ed hatte also recht gehabt. Menschen kämpften sehr wohl an der Front. Oder sollte er lieber sagen: Männer. Denn es waren keine Frauen unter den zukünftigen Hybridsoldaten auszumachen, obwohl er sich schwach erinnerte, einige wenige in den Zellen gesehen zu haben, die ebenso abwesend ins Leere gestarrt hatten wie die verschleppten Männer.

Doch bei Lennox liefen die Dinge offenbar ein wenig anders. Während er noch immer hellwach war, wirkten seine Leidensgenossen unter dem Einfluss der Drogen wie paralysiert und waren überhaupt nicht mehr ansprechbar. Wobei ihm klar war, dass er sich nicht anmerken lassen durfte, dass die Drogen bei ihm keine Wirkung zeigten.

Schließlich kam der Tag, an dem man ihn zusammen mit seinen umgewandelten Kameraden im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste schickte. Zuvor hatte man sie noch einmal mit Salazars Drogen vollgepumpt. Vielleicht war das der Grund, warum sie bei Lennox schwächer wirkten. Er war durch Eds Behandlung an das Zeug gewöhnt gewesen.

Ein menschlicher Offizier der Panamerikanischen Staaten mit hohen Rangabzeichen war die Reihen der Neuzugänge abgeschritten, als ob es sich um echte Soldaten handelte und nicht um seelenlose Zombies, die man für miese Zwecke missbrauchte.

Lennox hätte sich am liebsten vor Angst in die Hose gepinkelt, doch wenn er eins gelernt hatte in der kurzen Zeit, so war es, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Also setzte er eine völlig gleichgültige Miene auf und dachte an nichts, als diese Aasgeier, wie er sie nannte, mit ihren Kontrollgeräten auftauchten, um ein weiteres Mal ihre Reaktionen zu prüfen.

Lennox hatte gespürt, wie der Mann neben ihm zu zittern begann. Er hatte ihn schon die ganze Zeit beobachtet, doch er hatte sich strikt verboten ihn anzusprechen. Er war sich darüber im Klaren, dass der Kerl ihn am Ende verraten würde, wenn er auch nur einen Funken Empathie für ihn zeigte.

Nur wenige Sekunden später offenbarte sich, wie richtig er mit dieser Einschätzung gelegen hatte. Das Gerät des Robots zeigte mit einem holografischen Signal an, dass der Mann zumindest noch teilweise ein eigenes Bewusstsein besaß.

»Eliminieren«, sagte eine kalte Stimme aus dem Off. Der Robot zückte seine Waffe und setzte sie dem Mann an den Kopf, der nun hemmungslos zu schreien begann. Eine Sekunde später sackte er in sich zusammen. Tot.

Lennox versenkte sich geistig ins Nirgendwo und blickte stur geradeaus, als der Robot vor ihm stand und ihm mit eiskaltem Blick in die Augen starrte, während er ihm das Messgerät an die Schläfe hielt.

Er war versucht aufzuatmen, als der Robot unverrichteter Dinge weitermarschierte. Aber selbst das gönnte er sich nicht.

Danach steckte man sie in einen intelligenten Kampfanzug, der seine Wärmeregulation automatisch den klimatischen Bedürfnissen anpasste, und verfrachtete sie in mehrere Transportgleiter.

Der Flugzeit nach zu urteilen waren sie ein paar tausend Meilen ostwärts geflogen, bevor sie zur Landung ansetzten. Niemand von seinen sogenannten Kameraden hatte während des Fluges auch nur eine Silbe gesagt. Man würde sie alle in den Tod schicken, fuhr es ihm durch den Kopf. Und niemand dort draußen würde je davon erfahren, weil man ihnen mit einem ausgelöschten »Ich« die Möglichkeit zur Kommunikation genommen hatte.

Lennox speicherte alles, was er sah, in seiner Erinnerung, die noch komplett vorhanden war. Er musste einen Weg finden, dieser Hölle zu entkommen. Und das lebend. Hatte er noch vor Monaten, nach Rachels Tod, einfach sterben wollen, so war er nun fest entschlossen, die Welt vor der Regierung der Panamerikanischen Staaten und deren Helfershelfern zu warnen. Die Leute dort draußen mussten wissen, was hier geschah. Jeder von ihnen konnte jederzeit selbst Opfer dieser skrupellosen Machenschaften werden.

Doch an Flucht war nicht zu denken. Bereits kurz nach ihrer Ankunft steckte man sie in streng überwachte Mannschaftsunterkünfte, wo sie der Kontrolle kompromissloser Kampfroboter unterstanden. Diese seelenlosen Typen waren genauso groß und so muskulös wie die Kerle, die ihn verschleppt hatten. Er hatte keine Ahnung, ob sie selbstständig dachten oder ob sie auch von außen gelenkt wurden.

Am nächsten Tag schickte man Lennox und seine Zombie-Kameraden, wie er die anderen nannte, in ihren ersten Einsatz auf einen heiß umkämpften Wüstenhügel. Dort sollten sie auf die Kämpfer der Panasiatischen Front treffen. Lennox und seine Leidensgenossen bildeten eine Art Vorhut, damit die nachfolgenden Kampfroboter die Strategien des Gegners berechnen konnten und damit ihre Verluste reduzierten.

Dummerweise standen die asiatischen Robots den panamerikanischen Modellen in nichts nach. Lennox wurde von der Wucht dieser menschenähnlich aussehenden Maschinen regelrecht überrannt und ließ sich noch vor dem ersten Feindkontakt zu Boden fallen. Die Robots metzelten mit ihren Laserwaffen alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte.

Auch nachdem die erste Angriffswelle in der gleißenden Wüstensonne über ihn hinweggestürmt war, blieb Lennox erst einmal liegen und hoffte, man hielte ihn für tot.

Wie betäubt atmete er den Geruch des frischen Blutes ein, das binnen Minuten im heißen Sand verdampfte. Nur ganz wenig hob er den Kopf und schaute sich um. Vom Anblick herumliegender Körperteile regelrecht gelähmt, wartete er ab, bis die Meute weitergezogen war. Erst nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihn niemand beobachtete, rannte er in geduckter Haltung zu einem naheliegenden Felsplateau und drückte sich in eine Nische zwischen zwei massiven Felsbrocken. Erstaunt nahm er hinter sich einen schmalen Spalt wahr, durch den er sich, wenn auch mit ein wenig Mühe, hindurchdrücken konnte. Dahinter verbarg sich eine erlösende Dunkelheit, die in ein kleines Höhlensystem führte. Erleichtert atmete er auf.

Doch er war nicht allein. Unvermittelt hatte er die Mündung eines Lasergewehrs im Gesicht. Lennox zückte instinktiv seine Laserpistole und bedrohte den Gegner mit der gleichen Intensität. Auge in Auge standen sie sich im schwachen Lichtschein, der durch den Felsspalt hereinfiel, gegenüber. Bei genauer Betrachtung sah er sich mit einem Kriegsroboter der Panamerikanischen Staaten konfrontiert.

Der Robot trug keinen Helm und war nur wenig größer als Lennox. Er hatte ein smartes, kantiges Gesicht ohne Bart und helle, fast silberblaue Augen. Passend dazu war sein kurz geschnittenes Haar von silberblauen Strähnen durchzogen. Wer auch immer ihm ein solches Design verpasst hatte, musste einen kreativen Tag gehabt haben. Doch Lennox ließ sich davon nicht beeindrucken und entsicherte den Abzug seiner Waffe mit einem gut hörbaren Summen.

»Ganz ruhig, Kumpel«, raunte die Silbersträhne ihm zu. »Wenn du die Pistole weglegst, tue ich dir nichts.«

Der Robot musste den Schock und die Angst in seinen Augen bemerkt haben. Eine gefährliche Situation. Denn schließlich konnte seinem Gegner nicht entgangen sein, dass er trotz der Drogen Gefühle empfinden und noch selbstständig denken konnte. Andererseits stellte sich ihm die Frage, warum der Robot hier war und nicht draußen auf dem Schlachtfeld.

Überraschenderweise legte sein Gegenüber ebenfalls die Waffe zu Boden, nachdem Lennox seiner Aufforderung gefolgt war.

»Und jetzt?«, fragte Lennox tonlos und in der sicheren Erwartung, als Deserteur von dem anderen getötet zu werden. »Machst du mich fertig? Falls ja, bitte schnell und ohne zu leiden.« Er kniff die Augen zu, doch es passierte nichts. Als er sie wieder öffnete starrte der Robot ihn immer noch an.

»Warum bist du nicht wie die anderen?« Der Robot hob eine Braue.

Eine Frage, die keinesfalls zu einem Blecheimer passte, wie Lennox die Robots nannte. »Was geht dich das an?«, konterte er, nachdem er seine Angst hinuntergeschluckt hatte und den fordernden Blick seines Gegenübers in gleicher Weise erwiderte. »Dasselbe könnte ich dich fragen. Warum lebe ich noch und warum bist du hier und nicht dort draußen bei den anderen Blecheimern?«

»Ich bin kein Blecheimer«, knurrte der Andere sichtlich verstimmt. »Und du, beantworte meine Frage, wenn du leben willst!«

»Uh.« Lennox hatte zu seinem Galgenhumor zurückgefunden und grinste müde. »Versprich nicht, was du nicht halten kannst! Wir sind doch schon tot. Wir wissen es nur noch nicht.«

»Ich weiß, wie wir hier rauskommen können, ohne zu sterben«, erwiderte der Robot ohne einen Anflug von Zweifel in der Stimme.

»Wir? Oder meinst du dich? Denn wozu brauchst du einen abgefuckten Hybridsöldner, der lediglich zum Sterben hierhergeschafft wurde?«

»Da haben wir mehr gemeinsam, als du denkst, Bruder.«

»Bruder? Ich bin nicht dein Bruder! Ich bin ein Mensch!«, insistierte Lennox entschieden.

»Du bist ein Mensch, aus dem man einen Robot gemacht hat oder zumindest machen wollte. Und ich bin ein Robot, aus dem man einen Menschen gemacht hat, zumindest äußerlich.«

»Und innerlich?« Lennox grinste sarkastisch. »Sag nur, da haben wir auch was gemeinsam?«

Der Robot schaute ihm geradewegs in die Augen. »Wir haben beide ein Bewusstsein, weil wir beide ein hochentwickeltes Gehirn besitzen. Du ein biologisches und ich ein biotechnisches.«

»Das glaubst du doch selbst nicht!« Lennox war ehrlich schockiert. Falls der Kerl tatsächlich ein Bewusstsein besaß, würde er eine größere Gefahr für die Menschheit bedeuten als der Krieg und seine Folgen.

»Du kannst es glauben oder es lassen«, murmelte der Robot mit einer arroganten Gleichgültigkeit in der Stimme. »Aber eins sollst du wissen: Du kennst nun mein Geheimnis und ich kenne deins. Also werden wir gemeinsame Sache machen oder gar nichts.«

»Und was wäre gar nichts?«

»Gar nichts wäre, dass ich dich eliminieren müsste, wenn du dich weigerst, mich zu unterstützen. Doch das wäre in Anbetracht der Lage nicht klug. Schließlich sitzen wir im selben Boot.«

»Und von was für einem Boot sprichst du, wenn ich fragen darf? Wir sitzen mitten in der Wüste und es gibt weder ein Boot noch ein Meer, über das wir entkommen könnten.«

»Lass das meine Sorge sein«, raunte der Robot. »Ich bin schließlich nicht zufällig hier.«

»Egal was du vorhast«, protestierte Lennox aufgebracht, »sie werden uns schnappen. Sie haben uns einen Chip implantiert, über den sie uns jederzeit orten können. Ein Wunder, dass sie noch nicht hier sind.«

»Kein Wunder, weil wir von einem Felsgestein umgeben sind, das die Signale absorbiert. Und im Übrigen habe ich meinen Chip bereits entfernt.«

»Wie hast du das denn hinbekommen?« Lennox starrte ihn ungläubig an.

»Komm her!«, forderte der Robot ihn auf.

Lennox folgte nur zögernd seiner Aufforderung und ging näher zu ihm hin. Er traute dem Robot nicht. Vielleicht war das alles eine Falle, um die Wirksamkeit der Drogen zu testen, die man ihm verabreicht hatte. Vielleicht war er von dem Zeug auch nur high und träumte das alles. Auch schon egal, dachte er, als der Robot zwei Finger der linken Hand an seine Schläfe legte.

Der kurze Stromstoß war schmerzhaft und legte für einen Moment all seine Sinne lahm.

»Was war das denn?«, murmelte er mit schwerer Zunge, als er kurz danach auf dem Boden lag und wieder zu sich kam. Dabei hielt er sich noch immer die Stelle, die der Robot unter Strom gesetzt hatte.

»Ich habe deinen Chip eliminiert. Nun können dich die Systeme unserer Verfolger nicht mehr orten.«

Lennox glotzte ihn ungläubig an. »Und was ist der Plan?«

Der Robot erwiderte mit ausdruckslosem Gesicht seinen Blick. »Wenn der Angriff vorbei ist, werden sie Aufräumeinheiten schicken. Wir werden uns einen ihrer Transporter kapern und lautlos verschwinden. So einfach ist das. Ich werde so tun, als ob ich dich eingesammelt hätte und zum Lager zurückbringe. Das ist weniger auffällig.«

»Ah, nun kommen wir der Sache schon näher. Ich bin dir nützlich. Und kaum haben wird unser Fluchtvehikel erreicht, lässt du mich fallen wie eine ausgelutschte Bohnenschote und verschwindest ohne mich. Na, vielen Dank auch.«

»Nein, werde ich nicht«, gab der Robot stoisch zurück. »Warum verdammt nochmal müsst ihr Menschen immer so misstrauisch sein?«

»Vielleicht weil das, was hier gerade abläuft, nicht unbedingt vertrauenerweckend auf mich wirkt?« Lennox gab sich keine Mühe den Sarkasmus in seiner Stimme zu unterdrücken.

»Daran kann ich nun mal nichts ändern«, widersprach ihm der Robot mit einem müden Grinsen, das ganz und gar nicht zu einem Kampfroboter passte. »Du hast eben ausgesprochenes Pech, dass bei dir die Drogen versagen. Sonst würdest du einfach meinen Befehlen gehorchen. Fragt sich, warum das bei dir nicht funktioniert?«

»Fragt sich, warum du wie ein Mensch reagierst?«

»Anscheinend«, erwiderte der Robot mit einem düsteren Blick, » hat mein Gehirn unvorhergesehen ein stabiles Bewusstsein kreiert. Fakt ist, das Oberkommando wird mich eliminieren, wenn sie dahinterkommen. Und Fakt ist auch, dass ich dieses Bewusstsein behalten möchte.«

»Das heißt, du sitzt tatsächlich in der gleichen verfickten Scheiße wie ich?«

»Wenn du es so nennen willst. Ja. Ich sagte doch, wir haben mehr gemeinsam, als du denkst.«

»Okay«, sagte Lennox gedehnt. »Ganz gleich was du vorhast - ich bin dabei.«

 

Als er wenig später mit dem Robot die Höhle verließ, schien der Plan zunächst aufzugehen. Es war schon Nachmittag und die Sonne stand tief. Überall lagen zerstörte Körper herum, die meisten davon getötete Hybridsoldaten. Ein paar gesichtslose Robots schwirrten eifrig herum und lasen die abgetrennten Körperteile auf und warfen sie in metallische Körbe, deren Inhalt sie von Zeit zu Zeit mit einem Laser verbrannten. Der Geruch nach verkohltem Fleisch und verbrannten Haaren lag in der Luft. Auch ein paar Robots waren unter den Gefallenen, aber deren Teile wurden sorgsam geborgen und in separate Kisten gelegt, weil man sie im Zweifel wieder zusammenflicken konnte.

Tatsächlich standen ein paar verlassene Transportgleiter herum, die Lennox’ neuer Verbündeter ins Auge gefasst hatte, um einen von ihnen zu kapern.

Umsichtig marschierten sie vorwärts, bedacht darauf niemandem aufzufallen, der sie aufhalten konnte. Als sie fast den nächststehenden Transporter erreicht hatten, erfüllte ein zischendes Geräusch die Ebene.

»Fuck!«, fluchte der Robot ausgesprochen menschlich und blickte zum Himmel. »Drohnen der Panasiatischen Front! Eine zweite Angriffswelle! Runter! Verdammt!«

Während der Robot sich unter den Transporter warf, zückte Lennox seine Waffe und nahm die anfliegenden feindlichen Drohnen heldenhaft ins Visier, in der Angst, sie könnten den Transporter zerstören und damit seine einzige Chance, dieser Hölle zu entkommen. Er gab mehrere Lasersalven ab und brachte zwei der Drohnen zum Absturz, doch da war eine dritte und eine vierte, die zu weit weg waren, um sie mit einem simplen Gewehr vom Himmel zu holen. Sie feuerten aus einiger Entfernung zurück und brachten Lennox zu Fall. Er spürte rein gar nichts, aber als er aufstehen wollte, versagten ihm die Beine den Dienst und seine Arme wollten nicht so, wie er wollte.

»Fuck!«, fluchte der Robot, der inzwischen unter dem intakten Transporter hervorgekrochen kam, noch einmal und hob ihn mühelos auf. Als Lennox an sich herabschaute, sah er, was der Robot meinte. Die Drohne hatte ihm mit ihrem Laser beide Unterarme abrasiert und ein Bein auf Höhe des Oberschenkels gekappt.

Er würgte und übergab sich – dem Robot direkt vor die Füße.

»Wir kriegen das wieder hin«, versuchte er Lennox vergeblich zu beruhigen und hievte ihn an Bord des verwaisten Gleiters. Lennox, oder das, was von ihm übriggeblieben war, fand sich unvermittelt auf einer weißen Pritsche wieder. Überall war Blut und es roch nach Kupfer. Copper Blood, dachte er noch, bevor es dunkel wurde und ihn eine gnädige Ohnmacht von seinem eigenen Anblick erlöste.