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Jens van Tricht

WARUM FEMINISMUS GUT FÜR MÄNNER IST

Aus dem Niederländischen von Christina Brunnenkamp und Isabel Hessel

Ch. Links Verlag

Die niederländische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Waarom feminisme goed is voor mannen« im Verlag Uitgeverij Atlas Contact, Amsterdam.

Die Übersetzung entstand mit freundlicher Unterstützung des Nederlands Letterenfonds/Dutch Foundation for Literature

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, September 2019

entspricht der 1. Druckauflage von September 2019

© Jens van Tricht, 2018

© der deutschen Ausgabe: Christoph Links Verlag GmbH, 2019

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; mail@christoph-links-verlag.de

Umschlaggestaltung: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag

ISBN 978-3-96289-055-1

eISBN 978-3-86284-458-6

INHALT

Vorwort

Männer und Feminismus

Intermezzo: Begriffsklärung

Ein Mann in der Frauenforschung

Feminismus in Wellen

Feminismus und Neoliberalismus

Intermezzo: Feminismus, Diversität, Rassismus und Intersektionalität

Gender und Männlichkeit

Nicht gegen, sondern mit Männern – nicht gegen, sondern mit Frauen

Jenseits der Männlichkeit

Die Emanzipation des Mannes

Männer und Männlichkeit in Bewegung

Wahrheit und Wirklichkeit

Wissen über Männer und Männlichkeit

Sozialkonstruktivismus: Männlichkeit als Konstrukt

Biologischer Essentialismus: Männlichkeit als Fakt

Intermezzo: Interpretationen wissenschaftlicher Studien zu Gleichheit und Unterschiedlichkeit

Persönliche Entwicklung

Die Man Box

Männlichkeitsnormen

Den Mann als solchen gibt es nicht

Männer und Männlichkeitsprobleme

Männlichkeit, das Patriarchat und das Tabu der Selbstreflexion

Männer in der Krise – oder Männlichkeit in der Krise?

Männliche Gewalt

Arbeit und Kindererziehung

Beziehungen, Intimität und Sexualität

Vom Mann zum Menschen

Bildergeschichte: Von der Männlichkeit zur Menschlichkeit

Warum Feminismus gut für Männer ist

Eine Welt tut sich auf

Was haben Männer von der Emanzipation?

Die Beziehung zu sich selbst

Die Beziehung zu anderen Männern

Die Beziehung zu Frauen

Die Beziehung zu LebenspartnerInnen

Die Beziehung zu Kindern

Die Beziehung zur Welt

Zu guter Letzt: Emancipator – für Männer und Emanzipation

Anhang

Dank

Quellen

Anmerkungen

Autor und Übersetzerinnen

Für Lune und Yona,
damit ihr in dieser Welt vor allem Menschen sein dürft.

The first act of violence that patriarchy demands
of males is not violence toward women. Instead,
patriarchy demands of all males that they engage in
acts of psychic self-mutilation, that they kill off
the emotional parts of themselves. If an individual
is not successful in emotionally crippling himself,
he can count on patriarchal men to enact rituals
of power that will assault his self-esteem
.

– bell hooks, The Will to Change1

VORWORT

Nachdem ich mich fünfundzwanzig Jahre lang auf vielerlei Weise mit dem Thema »Männer und Feminismus« beschäftigt hatte, befand ich mich vor ein paar Jahren plötzlich an einem Wendepunkt. Es ließ sich ganz klar ein wachsendes öffentliches Interesse an diesem Thema erkennen, dem ich gewissermaßen mein Leben gewidmet habe.2

Die Zeit war reif, nun alle gewonnenen Einsichten und Erfahrungen zu bündeln, und damit einen Beitrag zu dem gewachsenen Interesse von Männern am Feminismus und des Feminismus an Männern beizusteuern. Ich fing an, ein Buch zu schreiben, und Pläne für die Gründung einer Organisation zur Emanzipation des Mannes zu schmieden. Sie existiert heute unter dem Namen »Emancipator« und nun ist also auch dieses Buch erschienen.

Feminismus ist gut für Männer, lautet dessen Quintessenz. Diese Ansicht widerspricht dem allgemeinen Denken – zu Unrecht, wenn man mich fragt. Männer und Feminismus benötigen einander. Der Feminismus braucht Männer, damit die Welt eine bessere wird, Männer wiederum brauchen Feminismus, damit ihr Leben ein besseres wird. Im vorliegenden Buch zeige ich, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.

Über das Thema Männer und Feminismus ist schon viel gesagt beziehungsweise geschrieben worden.3 Dieses Buch ist mein Versuch, die gewonnenen Erkenntnisse zu ordnen und sie anhand meiner persönlichen Erfahrungen in puncto Männer und Feminismus zu deuten, als Mann und als Feminist. Ich werfe sozusagen einen Stein ins Wasser und bin gespannt, welche Kreise er ziehen wird.

Dabei gehe ich von mir als einem weißen heterosexuellen Mann mittleren Alters mit hohem Bildungsabschluss in den Niederlanden des Jahres 2018 aus. Meine Sicht auf Männer und Feminismus unterscheidet sich aller Wahrscheinlichkeit nach grundlegend von beispielsweise der eines jungen, nicht-binären Genderqueers aus den Slums Brasiliens, Burundis oder Indiens. Aber meine Sichtweise unterscheidet sich auch deutlich von der anderer niederländischer Männer. Sie stimmt weit häufiger mit der von Frauen oder Personen jenseits der üblichen Gender-Zweiteilung überein. Das ist meine Erfahrung in den fast dreißig Jahren, in denen ich mich mit diesem Thema auseinandersetze – in den Niederlanden wie auch international.4

Als weißer Mann ein solches Buch zu schreiben ist eine spannende Angelegenheit. Wer bin ich schließlich, um mich zu diesem Thema zu äußern? Das ist eine Frage, die ich mir noch täglich stelle. »Es gibt Dinge, die man tun muss, selbst wenn es gefährlich ist, […], weil man sonst kein Mensch ist, sondern nur ein Häuflein Dreck«, würde Jonathan Löwenherz5 sagen. Mir ist es wichtig, meinen Überzeugungen Ausdruck zu verleihen und etwas zu dem Diskurs beizusteuern, an den ich glaube, ohne dass ich dabei einen finalen Geltungsanspruch erhebe.

Ich wollte ein Buch für alle Menschen schreiben, die das Verhältnis von Männern und Feminismus betrifft, und ich hoffe, es ist das Buch geworden, das ich guten Gewissens empfehlen kann, wenn man mich nach relevanter Lektüre zu diesem Thema fragt. Möge der Leser beurteilen, ob mir das gelungen ist.

Selbstverständlich hoffe ich, dass dieses Buch sinnvoll dazu beitragen wird, dass sich Jungen und Männer für den Feminismus stark machen. Denn das ist dringend erforderlich, für sie selbst, für Mädchen und Frauen, und für die ganze Welt. Emanzipation geht nicht im Alleingang, sondern nur zusammen. Dieses Buch beschäftigt sich vor allem mit Jungen, Männern und Männlichkeit, ist aber ausdrücklich für alle geschrieben, die es etwas angeht – also gerade auch für Mädchen, Frauen und eigentlich jeden Menschen.

MÄNNER UND FEMINISMUS

2017 war es hundert Jahre her, dass Frauen in den Niederlanden das passive Wahlrecht erworben hatten. 2019 ist es hundert Jahre her, dass sie sich das aktive Wahlrecht erstritten haben. Auch in Deutschland wählte die weibliche Bevölkerung im Januar 1919 zum ersten Mal, nachdem sie sich das aktive wie auch passive Wahlrecht im November des Vorjahres erfolgreich erkämpft hatte. Einen Monat später sprach die Sozialdemokratin Marie Juchacz als erste Frau vor einem deutschen demokratisch gewählten Parlament. Oft wird davon ausgegangen, dass damals nur Frauen mehr Rechte bekommen hätten, dabei wurde das allgemeine Wahlrecht für Männer in den Niederlanden ebenfalls erst 1917 eingeführt. Davor war es den vornehmen Herren vorbehalten, die einen Mindestbetrag an Steuern zahlten, das sogenannte Zensuswahlrecht. Dadurch konnte nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung zur Urne gehen. Erst nach der Russischen Revolution und den vielen sozialen Unruhen, die damit auch in anderen Ländern einhergingen, ließ die niederländische Regierung auch Arbeiter an der Politik teilhaben. Anschließend folgten die Frauen.1

Diese positive Entwicklung war hauptsächlich ein Erfolg der Frauenbewegung, die in den vergangenen hundert Jahren viel erreicht hatte. Frauen erhielten vermehrt Zugang zu öffentlichen Bereichen, die seit jeher Männerdomänen waren, wie Politik, Hochschulen oder der Arbeitsmarkt. Denn in diesen Bereichen werden gesamtgesellschaftliche Entscheidungen getroffen, die Weichen für wirtschaftliche Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gestellt und genau dort konzentrieren sich gesellschaftlicher Status und Macht. Frauen durften auch immer mehr über ihren eigenen Körper bestimmen (»Mein Bauch gehört mir«) und bekamen mehr Freiheit, ihr Leben und ihre Zukunft selbst zu gestalten.

Lange konnten Frauen in der Gesellschaft nur dann von einem Mann unabhängig vorankommen, wenn sie sprichwörtlich selbst ihren Mann standen. Sie entwickelten Fähigkeiten, die wir für gewöhnlich mit Männern beziehungsweise Männlichkeit assoziieren, das heißt Führungsqualität, Durchsetzungsvermögen, Tatkraft … Aus diesem Emanzipationsgedanken heraus lancierte das niederländische Ministerium für Arbeit und Soziales Ende der 1980er Jahre verschiedene Kampagnen, um den Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, denn auch sie seien technisch begabt.

Anno 2018 ist die Lage in Westeuropa komplex. Einerseits wird eine Gleichstellung der Geschlechter sowohl vom juristischen Standpunkt als auch gesellschaftlich als wünschenswert angesehen, andererseits liegt tatsächliche Gleichberechtigung in der Praxis oft noch in weiter Ferne. Ob es um gleiche Bezahlung, medizinische Versorgung oder Gewalt gegen Frauen geht: Wir sind noch längst nicht am Ziel. Und unterdessen nimmt der weltweite Widerstand gegen Emanzipation und Gleichberechtigung zu. Viele Männer fühlen sich bedroht oder sehen sich in einer Krise, sorgen sich um ihre Zukunft beziehungsweise Identität, fürchten Veränderungen, die sie persönlich betreffen könnten.

In den USA wurde 2017 ein afroamerikanischer Mann, der als Präsident die Stellung der Frauen verteidigte, von einem unverhohlen sexistischen weißen Mann abgelöst. Dieser Paradigmenwechsel kommt gewiss nicht von ungefähr. Weltweit wird der Ruf nach starken Männern wieder lauter, geraten Frauenrechte unter Druck. Schon seit Anfang der Neunziger wurde vor der knallharten Reaktion dominanter und privilegierter Gruppen auf den Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen, Menschen, die sich als LGBTQI2 verstehen, und anderen diskriminierten Gruppen gewarnt. Viele Weiße, Männer und Heterosexuelle – zumeist in Kombination, also mehrfach privilegierte Menschen – widersetzten sich der Kritik an ihrer Vormachtstellung.3

Gleichzeitig sprechen sich auch immer mehr Männer für Frauenrechte und die Emanzipation des Mannes aus. Die globale Bewegung MenEngage4 engagiert sich zusammen mit der internationalen Frauenbewegung für Gleichberechtigung (Gender equality) und Gendergerechtigkeit (Gender justice). Die HeForShe-Kampagne von UN Women – von der Schauspielerin Emma Watson ins Leben gerufen – spricht Männer auf ihre Verantwortlichkeit an und macht sie darauf aufmerksam, inwiefern sie persönlich von gelebter Emanzipation profitieren würden. Auf diese Weise entsteht eine Bewegung, bei der Frauen und Männer zusammen an einer besseren Welt bauen, indem Männer in die Emanzipationsarbeit miteinbezogen werden. Aus der Überzeugung heraus, dass Männer und Frauen sowohl einander als auch Emanzipation brauchen, wird gemeinsam nach gleichen Chancen und Rechten gestrebt. Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass Männer nicht nur einen notwendigen Beitrag zu leisten, sondern auch eine Menge zu gewinnen haben, wenn es um Emanzipation und Gendergerechtigkeit geht.

INTERMEZZO:
BEGRIFFSKLÄRUNG

GESCHLECHT UND GENDER

Während früher das Wort »Geschlecht« gebräuchlich war, wird heutzutage immer öfter »Gender« verwendet. Ersteres meint den biologischen Aspekt und impliziert, dass Unterschiede zwischen Frauen und Männer ebenso eindeutig wie unabänderlich sind. Mit »Gender« sind vor allem die kulturellen Normen, Werte und Auffassungen gemeint, die dem biologischen Geschlecht zugeordnet werden. »Geschlecht« meint »Natur«, während »Gender« »Kultur« meint. Spricht man von »Geschlecht«, wird davon ausgegangen, dass zumindest feststeht, was ein Männerkörper beziehungsweise ein Frauenkörper ist,5 während es bei »Gender« um die Bedeutungen und die Rollen geht, die diesem Körper zugesprochen werden.

Gender strukturiert wesentlich unsere Realität. Es geht nicht nur um das Konzept von Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit, das wir an Männer- und Frauenkörpern festgemacht haben. Gender-Denken wirkt in verschiedenerlei Hinsicht, und zwar, indem Körpern, aber auch Dingen, Phänomenen, Symbolen und Handlungen eine gewisse Bedeutung zugemessen wird.

Wir verbinden alle möglichen Begriffspaare mit »Männlichkeit« und »Weiblichkeit«, wie zum Beispiel:

Männlich

Weiblich

hart

weich

rational

emotional

stark

schwach

kompetitiv

verbindend

überzeugen

verstehen

arbeiten

versorgen

penetrieren

empfangen

sprechen

zuhören

wissen

fragen

tun

sein

Macht

Ohnmacht

Ein Beispiel: Wenn ein Mann und eine Frau in einem Café oder einem Restaurant einen Kaffee und einen Tee bestellen, wird der Mann eher den Kaffee, die Frau den Tee serviert bekommen. Bier geht an den Mann, Wein an die Frau. Salat bekommt die Frau, Steak der Mann. Und das geschieht nicht nur so beim Essen, sondern auch bei Farben, Kleidung und eigentlich allem. Sobald man einmal darauf achtet, wird immer deutlicher, dass die Welt entlang einer rosafarbenen und blauen Gendergrenze verläuft. Und wir sind dauernd damit beschäftigt, diese Grenzen festzulegen, indem wir bestimmte Begriffe verwenden und Bedeutungen zuschreiben.

Auch bei der jüngsten Debatte über genderneutrale Anredeformen bei der Bahn sowie bei den Stadtverwaltungen geht es um ebendiese Fragen. Es ist nicht nur begrüßenswert, eine Inklusion aller, die nicht in die binäre Gender-Zweiteilung passen, anzustreben, sondern auch wichtig, dass wir uns der Genderstereotype bewusst sind, die mit solchen Begriffen wie »Damen« und »Herren« einhergehen. Studien zufolge entwickeln Schüler, die als Gruppe (Kinder) angesprochen werden, weniger genderstereotype Leitbilder, als wenn sie entsprechend ihres Geschlechts angesprochen werden (Jungen / Mädchen).6

NATURE VERSUS NURTURE / NATUR VERSUS KULTUR

In aktuellen Debatten zum Thema Männer und Frauen spielt »nature« – die Vorstellung von naturgegebenen Unterschieden – eine bedeutende Rolle. Es kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass »nurture« – also der Einfluss von Erziehung, Sozialisation und Kultur – ebenfalls nicht zu unterschätzen ist. Wir können aller Wahrscheinlichkeit nach davon ausgehen, dass beides, also Natur und Kultur eine Rolle dabei spielen, wer wir sind beziehungsweise werden, doch dann stellt sich die entscheidende Frage, welche Rolle das genau sein soll. Mein Ausgangspunkt ist, dass wir immerhin einen Einfluss auf alles haben, was wir als Menschen tun. So entscheiden wir selbst, wie wir mit dem Aspekt Natur umgehen, indem wir mithilfe von Gendervorschriften Jungen zu Männern und Mädchen zu Frauen erziehen. Wenn wir damit aufhören, wird sich am Ende zeigen, was von nature übrigbleibt; dann können wir immer noch weitersehen.

MÄNNLICH(KEIT) UND WEIBLICH(KEIT)

Wenn in diesem Buch von Männlich(keit) beziehungsweise Weiblich(keit) die Rede ist, dürfen Sie das immer so verstehen, als stünde es in Anführungszeichen. Dann geht es mir um angebliche oder sogenannte »männliche« beziehungsweise »weibliche« Eigenschaften, nicht um meiner Ansicht nach tatsächliche, feststehende oder biologische Eigenschaften. Wenn ich von sozialen und kulturellen Konstrukten oder Auffassungen spreche, möchte ich diese Begriffe nicht als feststehende, eindeutige oder biologische Fakten verstanden wissen.

GLEICHHEIT UND UNTERSCHIED

Sind Männer und Frauen »einfach« gleich oder »nun einmal« unterschiedlich? Das ist eine ewig wiederkehrende Diskussion, wenn es um Feminismus geht. Laut Wörterbuch wird Gleichheit folgendermaßen definiert: »völlig miteinander übereinstimmend«, »in Rang, Stand oder Macht übereinstimmend« beziehungsweise »in Rechten und Pflichten übereinstimmend«. Dementsprechend geht es in der feministischen Frage meist um Gleichheit im Sinne von »identisch« und Gleichberechtigung als »gleichwertig«, wobei die verschiedenen Auffassungen und Argumente übrigens oft nicht klar voneinander zu unterscheiden sind. Der Kampf um das Frauenwahlrecht wurde einerseits mithilfe von Argumenten geführt, die betonten, dass Frauen und Männer gleich seien und dementsprechend gleiche Rechte bekommen müssten. Andererseits wurde jedoch behauptet, Frauen müssten gerade wegen ihrer Andersartigkeit das Wahlrecht erhalten. Eben deshalb würden sie einen anderen, wertvollen Beitrag zur politischen Debatte leisten können. Dieser Standpunkt wird auch vertreten, wenn es um den Zugang von Frauen zu (Spitzenämtern auf) dem Arbeitsmarkt geht, um die Bedeutung engagierter Vaterschaft (Väter müssen für ihre Kinder sorgen, weil sie das genauso gut oder eben ganz anders als Mütter tun) und um die Situation von Jungen im Unterricht (Jungen müssen anders behandelt werden, weil sie sich so von Mädchen unterscheiden, beziehungsweise Jungen müssten geradezu stimuliert werden, soziale Fächer und Berufe zu wählen, weil sie darin genauso gut und ebenso nötig sind wie Mädchen).

Argumente, die die Unterschiedlichkeit betonen, werden oft herangezogen, um Frauen und Männer in puncto angeblich grundlegender und biologischer, also inhärenter, Eigenschaften festzuschreiben. Somit können Frauen als »anders« im Vergleich zu Männern gesehen und, der Logik des Patriarchats entsprechend, dessen Hierarchie über Terminologisierung funktioniert, als »minderwertig« eingestuft werden. Viele FeministInnen haben sich dem widersetzt. Im Endeffekt müssen wir anerkennen, dass Frauen und Männer über dieselben menschlichen Eigenschaften verfügen, egal, ob wir diese als »männlich« oder als »weiblich« bezeichnen. Und wir werden lernen müssen, diese sogenannten männlichen und weiblichen Eigenschaften als gleichwertig zu sehen. Wenn wir die Unterschiedlichkeit zwischen Männern und Frauen als Ausgangspunkt nehmen, werden wir sie auch unterschiedlich behandeln, mit den entsprechenden Konsequenzen. Mehr zu diesem Thema lesen Sie im Intermezzo: Interpretationen wissenschaftlicher Studien zu Gleichheit und Unterschiedlichkeit auf Seite 71.

FEMINISMUS UND EMANZIPATION

Beide Begriffe werden manchmal synonym verwendet, sie können sich überschneiden, aber auch unterschiedliche Bedeutungen haben. Feminismus meint sowohl Theorie als auch Praxis. Für mich ist Feminismus zum einen der analytische Rahmen und zum anderen die Ideologie, die Perspektive, an der sich Emanzipation orientieren kann; Emanzipation ist sowohl der Akt der Befreiung7 als auch die Entwicklung hin zu Gleichheit und Gerechtigkeit.

PATRIARCHAT

Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, in der Männer beziehungsweise Männlichkeit als menschliche Norm gelten. Alles Übrige wird daran gemessen und hierarchisch in Machtpositionen eingeteilt, die als selbstverständlich erscheinen. Alles, was mit Männern oder Männlichkeit assoziiert wird, wird höher gewertet als das, was mit Frauen beziehungsweise Weiblichkeit assoziiert wird. Natürlich hat sich in dieser Hinsicht im Laufe der Jahre sehr viel geändert, aber unterschwellig wirkt dieser Mechanismus noch stark fort.

Das Patriarchat unterscheidet zwischen Männern und Frauen, und ordnet diese Unterschiede in Hierarchien ein. Unterschiedlichkeit allein genügt nicht, sie muss immer auch bewertet werden. Ausgangspunkt dieses Buches ist die Feststellung, dass das Patriarchat Männern zwar gewisse Vorteile bietet, sie dafür aber auch einen ziemlich hohen Preis zahlen. Der Feminismus zielt darauf ab, uns vom Patriarchat zu befreien, damit wir uns alle als Mensch – statt als Mann oder Frau – entwickeln können.

EIN MANN IN DER FRAUENFORSCHUNG

Anfang der Neunziger schrieb ich mich für das Studienfach Frauenforschung an der Universität Amsterdam ein. Ich erinnere mich noch gut an das Poster, das dort an der Tür hing: »Wo bleiben die Männer in der Frauenforschung?« Da stand ich nun. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich war dort gewiss nicht der erste und auch nicht der einzige Mann, aber doch einer von sehr wenigen. Und dann war ich auch noch einer der wenigen Heteromänner. Die meisten Männer hatten Frauenforschung als Nebenfach gewählt, ich hatte es als Hauptfach. Ich habe mich immer besonders willkommen gefühlt.

Ich kannte die Geschichten von grundunzufriedenen, verbitterten, klagenden Feministinnen, von unbeugsamen, wütenden Männerhasserinnen. Von solchen Frauen sind mir nicht viele begegnet. Womit ich aber durchaus in Berührung kam, waren höchst ärgerliche und unbequeme Fragen8, die zumeist gravierende Auswirkungen für die Betroffenen hatten. Ich bin mir daher auch des persönlichen Schmerzes der Frauen bewusst. Gleichzeitig erlebte ich sie als kampfbereit und widerstandsfähig, es herrschte viel Fröhlichkeit. Diese Frauen ließen sich nicht auf der Nase herumtanzen, machten das Beste aus ihrer Lage und kämpften weiter für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Leider kenne ich auch die abstreitenden, defensiven und verletzenden Reaktionen von Männern auf die angeprangerten Punkte.

Ich lernte, dass die Frauenforschung als Ergänzung zur regulären Wissenschaft entstanden war, die gerade erst als »Männerwissenschaft« demaskiert worden war. Die Wissenschaft erhob für sich den Anspruch, neutral und unparteiisch zu sein, aber dort, wo es um Menschen ging, ging es insgeheim eigentlich immer um Männer – als Norm, als Ausgangspunkt, als der universelle Mensch, an dem alles andere gemessen wurde. Wenn ein Autor – der wiederum meistens männlich war – ein bestimmtes Thema, ein Volk oder eine Kultur behandelte, bezogen sich die Schlussfolgerungen in den meisten Fällen auf Männer; die Kapitel behandelten dann zum Beispiel die Wirtschaft des Volkes, die Entscheidungsfindung des Volkes, die Sitten des Volkes und die Sprache des Volkes. Zu guter Letzt gab es ein Kapitel zur Frau in diesem Volk.