WILD

 

JUNE

MAYBERRYS

ERSTER

FALL

 

von

JULES MARCH

 

 

 

 

 

 

 

 

Sowas wie ein Krimi.

 

 

Image

TRACKLIST

 

Leona | Millencolin

Loyalty. | Kendrick Lamar feat. Rihanna

Stay The Same | Bonobo

She’s Lost Control | Joy Division

How To Disappear Completely | Radiohead

Cigarettes & Alcohol | Oasis

Space Oddity | David Bowie

Ego Brain | System Of A Down

Sam, As In Samantha | Tiger Lou

Takk… | Sigur Rós

Lullaby | Dillon

Forest | Deine Lakaien

You Don’t Know Me | Son Lux

Murmuration | GoGo Penguin

Mr Lonely | Portugal. The Man

Desired Constellation | Björk

A Stranger | A Perfect Circle

Whiteout | Warpaint

Land Of All | Woodkid

Stumbleine | The Smashing Pumpkins

03.45 : No Sleep | The Cardigans

 

 

gewidmet

 

Helena + Allison + Cosima + Sarah

 

 

 

01 | LEONA

Der Percy Circus im Norden von Londons Viertel Clerkenwell war kein guter Ort, wenn man zu viel getrunken hatte. Die kreisrunde Straße, die für die britische Hauptstadt typisch einen kleinen, von einem schwarzen, eisernen Zaun umsäumten Grünbereich einfasste, schien in alle Richtungen eine Steigung zu haben. Zumindest kam es June Mayberry so vor, als sie sich noch immer schwankend auf den Weg nach Hause machte. Über die King’s Cross und Farringdon Road wäre es nur ein Fußmarsch von fünfzehn Minuten gewesen, doch der Londoner Verkehr war auch jetzt, mitten in der Nacht, kaum weniger aktiv als am Tag, und June konnte den Lärm der Hauptstraßen beim besten Willen nicht ertragen.

Die Kopfschmerzen hatten eingesetzt, noch bevor sie aufgestanden war. Wäre sie zu Hause in ihrem Bett gewesen, sie hätte ihren körperlichen Zustand ignoriert und bis zum nächsten Abend durchgeschlafen, doch das war in dieser Nacht in mehrerlei Hinsicht keine Option.

Es war schon nach halb fünf am frühen Morgen, als June in einem völlig zerwühlten Hotelbett aufgewacht war. Die Tatsache, dass es nicht ihr eigenes Zimmer war und ein fremder Arm auf ihrem Rücken lag, war dabei nicht der schockierendste Aspekt, denn dieses Erlebnis hatte June beileibe nicht zum ersten Mal. Doch der Umstand, dass sie sich im ersten Moment an gar nichts seit dem Vorabend erinnern konnte, alarmierte sie.

Sie legte den schmalen, fremden Arm zur Seite und stellte erleichtert fest, dass das tiefe, gleichmäßige Atmen in der Dunkelheit neben ihr dadurch nicht gestört wurde. Im Licht, das durch einen Spalt zwischen den zugezogenen Vorhängen fiel, sammelte sie mühsam ihre Klamotten zusammen, die vor dem Bett auf dem Boden lagen, in einem Durcheinander mit Kleidern, die definitiv nicht ihre waren.

Sie machte ein paar vorsichtige Schritte zur Tür des kleinen Badezimmers und kämpfte dabei gegen die horizontale und vertikale Orientierungslosigkeit an, die das überwältigende Schwindelgefühl in ihrem Kopf auslöste. Im Bad angekommen, knipste sie das Licht an und zog die Tür hinter sich zu. Wankend stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich, während das Pochen in ihren Schläfen die Sekunden runterzählte, bis ihr Gehirn schließlich feststellte, dass es ihren Gleichgewichtssinn beim besten Willen nicht mit dem Bild vor ihren Augen in Einklang bringen konnte. June spürte das Unausweichliche.

Der Klodeckel war oben, und das war ein Glück, denn ihr Körper ließ ihr kaum Zeit zur Reaktion. June fiel auf die Knie und warf den Kopf nach vorne, während sie sich schmerzhaft übergab. Ihr Herz raste, als sie Augenblicke später gegen die nachhallenden Magenkrämpfe ankämpfte. Sie fluchte innerlich, als sie ihre völlig durchwühlte Masse an Haaren sah, die rund um ihr Gesicht im Porzellan hing.

Dies, dachte June, ist dann wohl ein neuer Tiefpunkt meiner Existenz. Anstatt wie ein weiblicher Casanova nachts aus dem Zimmer einer Liebhaberin zu fliehen, kotze ich mir beim Fluchtversuch in die Haare.

Sie setzte sich auf den kalten, gefliesten Boden und lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Wand. Immerhin hatte ihr Körper nun für einen hoffentlich andauernden Moment das Gefühl, sich der Giftstoffe entledigt zu haben. Ihr Magen beruhigte sich, und mit einigen tiefen, bewussten Atemzügen schaffte es June, ihren Puls zu normalisieren.

Seufzend stand sie auf, zog die Duschabtrennung von der kleinen Badewanne zurück und griff nach der Brause. Sie wollte nicht riskieren, dass sie beim Duschen Lärm machte und die Person im Bett aufweckte, doch sie musste sich die Haare waschen, bevor sie das Zimmer verließ, daran ging kein Weg vorbei.

Sie trocknete ihre wellige, voluminöse Haarpracht, so gut es ging, mit einem Handtuch und warf es dann achtlos auf den Boden, dann griff sie nach ihrer Kleidung. June musste einen Fluch unterdrücken, als sie feststellte, dass ein entscheidendes Stück fehlte. Für einen Augenblick überlegte sie, ob sie zurück in das Hotelzimmer gehen und nach der fehlenden Unterhose suchen sollte, doch sie wollte nicht riskieren, vor ihrem Verschwinden entdeckt zu werden. Also schlüpfte sie mit einem Seufzen direkt in ihre Hose und zog die restliche Kleidung an. Sie stopfte ihre feuchten Haare unter die große Kapuze ihrer schwarzen Weste mit dem aufgestickten Sex-Pistols-Schriftzug auf dem Rücken, tastete dann die hinteren Taschen ihrer Jeans ab, um sicherzugehen, dass Portemonnaie und Handy an ihrem Platz waren, und warf noch einmal einen prüfenden Blick in den Spiegel. Immerhin, der schwarze Lidstrich saß, und der Mascara war kaum verschmiert, sodass June nun äußerlich ein Bild bot, das nach einer langen Samstagnacht akzeptabel war.

 

Sie nahm die Steigung zum Percy Circus hinauf, vorbei an der Nummer 16, in der Lenin mit seiner Frau vor einhundertzwölfeinhalb Jahren für einige Wochen für den dritten Kongress der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands residiert hatte. June hielt an, um die nahenden Lichter eines Autos passieren zu lassen, bevor sie Great Percy Street überquerte und den Circus südwärts zum Prideaux Place umrundete.

Der Blick zu Nummer 16 und den neueren Gebäuden nördlich des Circus’ brachte eine Erinnerung zurück. Sie hatte Stunden zuvor hier gestanden mit einer anderen Frau ...

 

»Lenin hat schon vorher hier in Clerkenwell gewohnt, aber nicht am Percy Circus, sondern am Holford Square«, sagte Leona, »das war 1902 oder so. Er musste aus Munschen abhauen, weil ihm die Polizei dort auf den Leib rückte wegen der Zeitung, die er rausbrachte.«

»Meinst du München?«, fragte Jessica lachend und sprach den Namen der Stadt in akzentfreiem Deutsch aus.

»So, genau das nämlich«, bestätigte Leona unbeirrt und zog sich die Kapuze vom Kopf. Ihre dunkelbraunen Haare fielen ihr in welligen Strähnen bis auf die Schultern.

»Du weißt viel über Lenin und seine Bande«, stellte Jessica fest und stützte sich auf der Motorhaube eines parkenden Kleinwagens ab. »Wir sind gleich in meinem Hotel, ich kann mich auch kaum noch auf den Beinen halten.«

»Du hast zu viel getrunken«, Leona rülpste geräuschvoll, »aber ohne Stoff keine richtige Party, oder?«

»Benimm dich.« Jessica kicherte gleichermaßen schockiert und fasziniert von der Fremden. Leona war für sie ein Geschenk des Himmels in dieser Nacht. Jessica hatte früher am Abend Informationen erhalten, die in Kürze ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen würden. Ein Leben, das sie sich mühsam erarbeitet hatte. Und das nur, weil sie der falschen Person vertraut hatte. Trotz aller Vorsicht.

»Man hat Lenin sogar ein Denkmal errichtet am Holford Square«, führte Leona weiter aus, »später, als er es an die Macht geschafft hatte. Der damalige russische Botschafter in London – ich hab’ seinen Namen vergessen ... vielleicht Strugatzky oder so? Jedenfalls der hat sein Denkmal enthüllt.«

»Ist das weit von hier?«, fragte Jessica.

»Nicht geografisch«, gab Leona zurück.

»Hä?«

»Aber zeitlich«, erklärte Leona, »die Nazis haben es dem Erdboden gleichgemacht. So wie auch den ganzen Holford Square. Gib’s nich’ mehr!«

Jessica schwieg. Wenn das Gespräch auf die in London allgegenwärtig scheinenden Narben des Zweiten Weltkriegs kam, hielt sie sich zurück, das hatte sie in ihrer Jugend gelernt.

»Wo ist dein Hotel?«

»Komm mit«, Jessica atmete erleichtert auf, »nur noch ein paar Schritte.«

 

June ging die Fernsbury Street entlang in Richtung Wilmington Square. Die Oktobernacht war angenehm mild, auch wenn June bei knapp über zehn Grad froh war, unter der Weste ein langärmeliges Shirt zu tragen. Die Bewölkung des Vortags löste sich nach und nach auf, und für einen Moment gab sich June der Illusion hin, nach einigen Stunden Schlaf zu Hause frisch und munter in einen ruhigen Sonntag zu starten.

Auch wenn Clerkenwell beileibe kein Geheimtipp war und die Straßen der Gegend von hippen Geschäften und verwöhnten, finanziell bessergestellten Neueinwohnern überliefen, so hielt Junes Liebe zu dem Viertel noch immer. Der linke Geist vergangener, radikalerer Tage, als sich Lenin und Trotzki in den Gassen Londons trollten und die Pubs leer soffen, weil alle Gehirne großer Denker in Junes Welt Alkohol als Treibstoff und Trostpflaster gleichermaßen brauchten, war in Clerkenwell präsent, wenn man um ihn wusste.

Natürlich machte sie sich keine Illusionen, zu was die Ideologie dieser Köpfe am Ende geführt hatte. June war nicht direkt ein Fan, sie war nur fasziniert von diesem Teil der Geschichte und wünschte sich, dass mehr Menschen, die sich heutzutage, da viele Teilzeitlinke es sich im Bürgertum bequem gemacht hatten und ihre halbgaren Statements über die sozialen Netzwerke in die Welt pusteten, bewusst wurden, wie die Vordenker wie Lenin mit seiner Arbeit für die Zeitung Iskra für ihre Ideologie gekämpft hatten. Spätestens im nüchternen Zustand hatte June zu dieser eindeutig nostalgischen Einstellung natürlich auch differenziertere Gedanken, doch das interessierte sie in diesem Moment nicht so sehr.

June spürte erneut ein flaues Gefühl im Magen. Es wuchs bereits, seitdem sie den Percy Circus verlassen hatte. Anfangs versuchte sie es zu ignorieren, doch bald war es zu stark dafür. Sie hielt am Wilmington Square an und lehnte sich gegen einen der klobigen, schwarzlackierten Mülleimer, die das Tor zur kleinen Parkanlage flankierten. Sie hatte nicht das Gefühl, sich erneut übergeben zu müssen, doch irgendetwas stimmte nicht. Ihr Puls war wieder schneller, und sie merkte, dass sie trotz der leichten Kleidung und mäßigen Temperaturen schwitzte.

Vorsichtig ging sie weiter ostwärts entlang der Tysoe Street. Das Schwindelgefühl und der schwankende Gang hatten nachgelassen. June war Alkohol gewöhnt und konnte auch mit heftigeren Abstürzen wie dem in dieser Nacht mit einer gewissen Routine umgehen. Doch das ungute Gefühl, das sich in ihr breitmachte, hatte eine andere Ursache. Und zwar keine körperliche, wie ihr kurz darauf klar wurde.

Körperlich hingegen war ein ganz anderes Problem. Vor den stärkeren Drinks, die sie in der Nacht mit Sicherheit gehabt hatte, konnte sie sich noch an einen Pub und diverse Pints Pale Ale erinnern, die sich nun meldeten.

Vor einigen Jahren hatte June an einem anderen Sonntagnachmittag verkatert vor ihrem Computer gehangen und aus Langeweile Informationen zum Thema Penisneid gegoogelt. Sie hatte dieses Phänomen – so es denn überhaupt existierte – nicht nachvollziehen können, mit einer rein praktikablen Ausnahme: Die Anatomie hatte eindeutig Männer darin begünstigt, nachts betrunken in die Grünanlage zu pissen. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit war das, fand June.

Als sie zwei Minuten später auf den Fußweg durch den Spa Fields Park abbog, steckte sie die Hände in die Taschen ihrer Weste und ertastete neben Kleingeld, zwei Tampons, ihrem Schlüssel, zwei Kronkorken und einem Pappbierdeckel, von dem sie keine Ahnung hatte, wie dieser dort gelandet war, eine fast leere Packung Taschentücher.

Sie warf einen Blick in die Umgebung, schickte eine Danksagung gen Himmel an die Stadtplaner von Clerkenwell für die Berücksichtigung mehrerer Grünanlagen und schlug sich in die Büsche.

 

»Hat dich deine Freundin hier sitzen lassen?«, fragte die Fremde und platzierte sich kurzerhand auf dem Stuhl neben Jessica an dem kleinen, runden Tisch in der Ecke des Pubs.

»Sie ist nicht meine ...«, Jessica schüttelte den Kopf, »ach egal.«

»Cool«, kommentierte die Frau. »Ich setze mich hierhin, ist doch okay, oder?«

»Äh«, entgegnete Jessica perplex. Abgesehen davon, dass die Unbekannte sich bereits gesetzt hatte, bevor sie die Frage stellte, war sie nicht gerade daran interessiert, jetzt alleine zu sein. »Ist okay.«

Sie sah die Fremde interessiert an. Sie war etwa in ihrem Alter, vielleicht ein paar Jahre jünger, aber das konnte auch daran liegen, dass sie sich offensichtlich nicht um ein besonders erwachsenes Outfit scherte.

»Weißt du, dass sich an diesem Tisch Lenin und Stalin zum ersten Mal getroffen haben?«, fragte die Fremde.

»Bitte was?«, entgegnete Jessica verwirrt.

»Lenin und Stalin kennst du? Zwei tote Russen?«

»Stalin war Georgier, oder?«, konterte Jessica und stellte zufrieden fest, dass es in den Augen der Unbekannten erfreut aufblitzte.

»Besserwisser!«, urteilte sie.

Jessica lachte. »Du brichst das Eis, indem du völlig unvermittelt mit irgendwelchen historischen Fakten kommst, aber nennst mich einen Besserwisser?«

»Es hat funktioniert«, die Fremde grinste, »du machst nicht mehr so ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter!«

»Es war nur ein anstrengender Tag, nichts Besonderes«, log Jessica, »aber ja, du hast recht. Du hast es geschafft, mich mit deinem Bullshit aufzuheitern.«

»Was heißt hier Bullshit?«, fragte die Fremde mehr interessiert als empört.

»Dieser Tisch ist ganz sicher noch keine hundert Jahre alt.« Jessica klopfte auf die hölzerne Tischplatte.

»Möbelexpertin?«

»Gesunder Menschenverstand«, entgegnete Jessica.

»Der wird überbewertet«, die Frau lachte rau, »aber du hast natürlich recht. Es war nicht dieser Tisch, die beiden saßen sicher an der Bar.«

»Aha«, gab Jessica skeptisch zurück.

»Doch, kannste nachlesen, hier ist irgendwo eine Plakette, auf der das steht, ... und Plaketten lügen nicht, oder?«

»Wenn du das sagst«, kommentierte Jessica unbestimmt.

»Mein Bullshit kann sehr unterhaltsam sein, wenn man den gesunden Menschenverstand mal ausschaltet. Es ist Samstag, das ganze Viertel macht sich bereit für die Wochenendpartys, ... oder wie die gentrifizierende Masse ihre abendlichen Wochenendaktivitäten sonst so nennt.«

»Wie wäre es«, schlug Jessica vor, ohne zu ahnen, welchen Pfad sie und die Fremde damit betraten, »wenn du mir einen Drink ausgibst? Du scheinst den Pub hier zu kennen, ich bin nicht mal aus London.«

»Du trinkst, was ich dir bestelle?«, fragte diese und bleckte die Zähne. Sie wirkte gefährlich auf Jessica, aber gerade so sehr, dass sie die richtige Gesellschaft für den Abend war.

»Du zahlst, ich trinke«, bestätigte Jessica heroisch, »und wenn du es übertreibst, musst du dafür sorgen, dass ich später zurück zu meinem Hotel finde.«

 

Die Clerkenwell Close zog sich durch die alten Häuser bis zum südlich angrenzenden Clerkenwell Green. Dabei war das Green historisch nicht begrünt gewesen, sondern hieß nur so, weil es dem Vorbild anderer Greens – einer Art Dorfanger – folgte, die in den Ortsteilen und Vororten Londons üblich waren.

Vom Green war es nur noch ein Katzensprung bis zur Turnmill Street, in der June zu Hause war. In elisabethanischen Zeiten, als Clerkenwell noch außerhalb der Stadtgrenze Londons lag, war der Straßenzug berüchtigt für seine Bordelle. Die puritanischen Gesetze endeten am Rand der Hauptstadt, was den Vororten eine Grundlage für ihre ganz eigenen Geschäftszweige gab. Dass sich in einem Ort, der nach der frühen Präsenz von Geistlichen benannt war, eine Halbwelt befreit von strengen Gesetzen gebildet hatte, stellte sich June gerne als Ursprung einer freiheitlichen, anarchischen Grundhaltung vor. Vermutlich war es in Wahrheit in erster Linie ein Nährboden für zwielichtige Gestalten, die den eigenen Vorteilen und nicht einer Ideologie folgten, doch June wusste, dass die Anfänge revolutionärer Gesellschaftsumbrüche nicht selten den Preis florierender Verbrechen mit sich brachten.

Sie stellte sich gerne vor, dass sich Lenin und Stalin wirklich im Crown & Anchor, der heutigen The Crown Tavern, am südlichen Ende des Greens getroffen hatten, auch wenn es gute historische Gründe gab, die dieser Legende widersprachen. Der radikale Idealist Lenin trinkt ein Pint dünnes Ale mit dem Ganoven aus Georgien, nicht wissend, dass der seine Ideologie Jahre später, als Lenin, von Schlaganfällen gezeichnet, sein Wort bei seinen eigenen Gefolgsleuten gegen Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili alias Stalin nicht mehr durchsetzen konnte, in eine Schreckensherrschaft verwandeln würde.

Lenin war sicher kein Heiliger – auf welchen Revolutionsführer traf das schon zu? –, doch June dachte oft über eine alternative Realität nach, in der er Stalin nicht getroffen und stattdessen seinen Gefährten Trotzki in seiner Nachfolge gestärkt hätte. So hatte das Pub in Junes unmittelbarer Nachbarschaft die Atmosphäre weltpolitischer Tragik. Zumindest in ihren Augen.

 

»Wie heißt du eigentlich?« Jessica war sich alles andere als sicher, ob sie die Fremde schon nach ihrem Namen gefragt und diesen wieder vergessen hatte, oder ob ihr diese Idee bisher noch nicht gekommen war. Sie hatten sich mittlerweile aus ihrer Kneipenecke hervorgewagt und saßen nun am Ende der langen Bar in unmittelbarer Nähe zu den Zapfhähnen.

»Alpha Leonis.«

»Na klar ...«, Jessica lachte, »ich nenne dich Leona.«

»Davon würde ich dir abraten.«

»Warum?«

»Laserkanone.« Die Fremde klopfte beiläufig auf die speckige, dunkelbraune Aktentasche, die sie achtlos auf den Barhocker neben sich geworfen hatte.

»Dann nicht Leona.« Jessica griff nach der Hand der Fremden und führte sie von der vermeintlichen Laserkanone weg. »Aber ich werde dich nicht Alpha Leo... sowieso nennen.«

»Gut.« Die Unbekannte seufzte theatralisch und zog ihre Hand nicht zurück. Zum ersten Mal. »Ich bin Harey. Harey Kelvin.«

Jessica hob die Brauen. »Harry?«

»Ja, nenn mich Harry.« Die Fremde zuckte mit den Schultern und schob sich die ins Gesicht gerutschte Kapuze ein Stück zurück, wodurch mehr von ihrer voluminösen dunklen Haarpracht hervorquoll.

Jessica nahm ihren Drink und biss auf den Strohhalm, bevor sie die letzten, verwässerten Reste ihres Cocktails, an dessen Namen sie sich schon nicht mehr erinnern konnte, zwischen den Ruinen der Eiswürfel hervorsog.

Die Fremde passte optisch in das Ambiente. Sie zeigte eindeutig eine gewisse Punk-Attitüde in ihrem Sex-Pistols-Hoodie mit den abgeschnittenen Ärmeln, dem breiten Nietenband um ihr Handgelenk, der kunstvollen, aber etwas farblosen Tätowierung eines Löwen auf dem Oberarm, den mit roten Bändern hochgeschnürten Stahlkappenstiefeln und der engen Hose aus schwarzem Lederimitat. Und gleichzeitig waren da die kleinen Zeichen eines intellektuellen Hintergrunds, den man in einem solchen Pub irgendwo zwischen Islington und Bloomsbury erwartete.

»Leona«, versuchte es Jessica erneut, nachdem sie entschieden hatte, dass diese ihre Laserkanone nicht zücken würde, solange sie deren Hand festhielt, »ich bin Jess.«

»Ja.«

»Was?«

»Das sagtest du bereits vor ein oder zwei Drinks.« Die Fremde, die nicht Leona genannt werden wollte, lachte.

»Oh, whoops.« Jessica war von Leonas dreckigem Lachen sofort angetan. »Hab ich vergessen.«

Vergessen war ein gutes Stichwort. Es funktionierte ganz gut an diesem Punkt. Und Jessica wollte vergessen mehr als alles andere.

Sam vergessen. Antonia vergessen. Das Abendessen, das Gespräch, die Enthüllungen. Und den Plan, den sie zu fassen noch nicht ganz bereit war.

»Was machst du für ein Gesicht?«, fragte Leona. »Ich lass dir das mit dem Namen für heute Nacht ausnahmsweise durchgehen. Aber nur, weil ich schon betrunken bin.«

»Ich muss dich also nicht Harry nennen?«

»Nope.«

»Was für eine Erleichterung!«

»Warum? Ist Harry ein Stimmungskiller?« Erneut das dreckige, heisere Lachen.

»Oh, Harry wäre immer und definitiv ein Stimmungskiller.« Jessica grinste, konnte aber nicht verhindern, dass ihr Gesichtsausdruck erneut kurz versteinerte.

»Hey«, Leona zog ihre Hand zurück und drehte Jessicas Barhocker zu sich, »irgendwas auf dem Herzen? Wenn ja, dann sag es mir jetzt, bevor ich wieder so nüchtern bin, dass mich anderer Leute Probleme einen Scheiß interessieren.«

»So schnell wirst du bestimmt nicht wieder nüchtern.« Jessica deutete auf die leeren Gläser, die vom Barkeeper, der sich am anderen Ende der Theke durchgehend im Gespräch mit seinen Stammgästen befand, nicht weggeräumt worden waren.

»Bis morgen früh ganz sicher«, entgegnete Leona ungerührt.

»Was meinst du damit?«, fragte Jessica und spürte einen leichten, angenehmen Anfall von Schwindel. »Willst du etwa die Nacht mir mit verbr...«

»Shhht!«, zischte Leona. »Mach die anderen nicht neidisch!«

Jessica sah sich irritiert um. Niemand saß in Hörweite. Und außerdem taten die Manic Street Preachers mit ihrem Motorcycle Emptiness aus den basslosen Boxen der Musikanlage des Pubs ihr Übriges.

»Aber ernsthaft, erst der Spaß, dann das Vergn... nee... oder so ähnlich?« Leona verzog albern das Gesicht. »Was hast du auf dem Herzen?«

Jessica seufzte. »Willst du jetzt wirklich darüber sprechen?«

»Warum nicht?«

»Weil ... also erstens, das Thema killt definitiv jede deiner Hoffnungen für heute Nacht, und –«

»Hey!«, unterbrach Leona und deutete auf das Löwentattoo auf ihrem Oberarm. »Siehst du das? Das ist das Zeichen einer Göttin, die für Krieg und Sex steht. Die hat mich noch nie im Stich gelassen.«

»Äh ... klar ...«, Jessica fragte sich, ob sie den Geisteszustand der Fremden nicht doch etwas zu optimistisch eingeschätzt hatte, »aber ... zweitens: Wenn ich dir von dem erzähle, was mich beschäftigt, dann müsste ich dir eine Frage stellen, die zu beantworten du später bestimmt bereuen würdest.«

»Wetten, dass nicht!«, entgegnete Leona und schlug ihr zur Verdeutlichung mit der flachen Hand auf das Knie.

Jessica sah die Unbekannte an. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihr, dass Leona – oder wie sie auch heißen mochte – wohl so ziemlich alles ernst meinte, was sie sagte. Der feste, direkte Blick, ihr wildes Aussehen, hinter dem Jessica so viel mehr vermutete als nur einen rebellischen Pseudo-Punk aus der Bürgerschicht, die permanente Anspannung, die die Muskeln an Armen und Schultern verrieten und die im Kontrast zu ihrer zur Schau getragenen coolen Gleichgültigkeit stand ...

»Ich stelle dir die Frage«, sagte Jessica schließlich, »aber nicht jetzt. Später. Hast du eine Wohnung in der Nähe?«

»Ja, aber die kommt nicht infrage«, sagte Leona trocken.

»Freundin?«

»Nope.«

»Freund?«

»Nope.«

»Was dann?«

»Neugierige Mitbewohner und mein echter Name auf dem Klingelschild.«

Jessica lachte erleichtert. Das war ein rationaler Grund, den sie verstehen konnte. Sie selbst war hier in London fast völlig anonym. Die wenigen Kontakte, die sie noch hatte und die sie erkennen würden, waren in dieser Gegend mit großer Wahrscheinlichkeit nicht anzutreffen. Und der kleinen Ort, an dem sie ihr echtes ... reguläres Leben führte, würde hier wohl niemandem etwas sagen.

»Ich habe ein Hotelzimmer«, sagte Jessica und spürte ihr Herz pochen und das Blut in den Ohren rauschen. Das geschah immer, wenn sie dabei war, etwas zu tun, das sie sonst nicht tat. Und eine fremde Frau aus einer Bar abgeschleppt hatte sie schon seit langer Zeit nicht mehr.

»Ich besorge uns einen Wagen.« Leona rutschte vom Barhocker, wühlte sich durch die welligen Haare und zog die Kapuze zurecht. Dann ging sie zum anderen Ende der Bar und wechselte einige Worte mit dem Barkeeper, den sie offenbar kannte.

 

Die Crown Tavern war beleuchtet. June beobachtete den jungen Mann, der beneidenswert behände den Boden wischte. Er würde ganz sicher nicht den halben Sonntag mit dem Kampf gegen einen kolossalen Kater verbringen. Andererseits war es früher Sonntagmorgen, und er musste Geld verdienen. Das war nur aus Junes jetziger Situation eine verlockende Aussicht.

Hier hatte die Nacht begonnen.

June hatte durchaus vorgehabt, einige Bier zu trinken und sich wehrlosen Fremden aufzudrängen, immerhin war Clerkenwell ihr Revier. Doch dass es so heftig werden würde, hatte sie nicht erwartet.

Sie war sich mittlerweile ziemlich sicher, dass das Hotelzimmer, in dem sie orientierungslos erwacht war, auf eine Frau namens Jessica gebucht war. Und vermutlich war es ebendiese Jessica gewesen, deren ruhigen Atem sie neben sich im Dunkel gehört hatte, als sie das Hotelbett verließ.

Doch warum war sie so abgestürzt? June behielt gerne einen letzten Rest Kontrolle über sich. Irgendetwas musste sie aus dem Konzept gebracht haben.

Während sie darüber nachdachte, meldete sich das flaue Gefühl in der Magengegend wieder. Es war so, als hätte sie irgendetwas unglaublich Dummes angestellt, ohne dass sie sagen konnte, was es war.

Sie lehnte sich an die Hausecke gegenüber der Crown Tavern und warf einen Blick die Straße zurück auf die Kirchturmuhr von St. James. Kurz vor fünf.

Was für ein Glück ist die Existenz von Kirchen doch für Betrunkene, dachte June, wenn ich in diesem Zustand mein Handy aus der Tasche holen müsste, um die Uhrzeit zu checken, würde es mir bestimmt auf den Boden fallen. Und in tausend Stücke zerbrechen.

June fasste an ihre Wange. Der Gedanke an ein hypothetisch zerbrochenes Handy hatte ihr Tränen in die Augen getrieben.

»Scheiße, June!«, sagte sie halblaut zu sich selbst. »Geh nach Hause, dein Kopf fängt an, verrücktzuspielen.«

Doch ein Gedanke hatte sich festgesetzt.

Ihr Handy!

Wenn sie die Dunkelheit, die ihre jüngere Erinnerung umgab, richtig durchdrang, dann hatte sie einen Freund angerufen, als sie den Pub verlassen hatte, oder?

 

»Okay, jetzt die Frage«, sagte Leona, als sie mit Jessica kurze Zeit später in einem Uber zum Hotel saß.

»Die Sache ist nicht für fremde Ohren bestimmt.« Jessica warf einen schnellen Blick auf den Fahrer.

»Yo, Rizhwan ist ein Freund«, entgegnete Leona, schob sich dann aber auf der Rückbank näher an Jessica heran, »außerdem spricht er wie alle Uber-Fahrer nur gebrochen Englisch und hat bald keinen Job mehr, wenn die Stadt den Laden dichtmacht.«

Jessica schluckte. Meinte die Fremde das ernst?

»Fick dich!«, rief der Fahrer nach hinten, doch sein Tonfall war eher belustigt.

»Hör mal«, Leona sah Jessica tief in die Augen, »was ich da gerade gesagt habe, war rassistischer Scheißdreck, und dafür hättest du mir sofort eine reinhauen müssen, klar?«

»Äh«, entgegnete Jessica. Sie hatte auf einmal wieder das Gefühl, sich auf die falsche Person einzulassen.

»Ich habe dir doch gesagt, dass die Leute deinen Humor nicht verstehen, Harey«, meinte der Fahrer in akzentfreiem Englisch.

»Dann heißt du wirklich Harey?« Jessica war von sich selbst überrascht, dass ihr ausgerechnet diese Frage am wichtigsten schien.

Die Fremde lächelte, streckte eine Hand aus und griff nach Jessicas Kinn. Jessica spürte wieder ihr Herz klopfen. Worauf ließ sie sich gerade ein? Eine Nacht in einem mittelmäßigen Londoner Hotel mit einer betrunkenen Verrückten, die sich zudem für eine Wegstrecke von knapp zwei Kilometern einen Fahrer kommen ließ – Jessica war sich längst nicht mehr sicher, dass es wirklich ein Uber war –, den sie persönlich kannte. Und doch hatte der Griff der Fremden an ihr Kinn etwas eindeutig Verführerisches in diesem Moment.

»Die Frage, die du mir stellen wolltest ...«

Jessica blinzelte, als Leona – oder Harey? – sie losließ und auffordernd ansah. Was sollte sie jetzt tun? Sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich auf diesen ganzen Abend, die fremde Frau, die Drinks und die Einladung ins Hotel nur eingelassen hatte, weil es ihr beim Vergessen half. Und jetzt fragte diese Fremde nach dem Grund für all das.

Sicher, Jessica hätte sich irgendeine Geschichte einfallen lassen können, zumindest wenn sie etwas nüchterner gewesen wäre, aber andererseits war sie nun an einem Punkt angelangt, an dem sie sich genauso gut Rat von einer irren Fremden mit komischem Namen holen konnte.

»Wenn jemand, den du lange kennst, etwas Schlimmes tut, ... seit langer Zeit, was machst du?«

»Darf ich Rückfragen stellen?«, fragte Leona. »Oder muss ich mir die Begleitumstände selbst zusammenreimen?«

»Entschuldige«, Jessica nickte und starrte auf die Kopfstützte des Fahrersitzes vor ihr, »ich weiß nicht, was ich dir erzählen soll und was nicht ...«

»Schon okay.« Die Fremde lehnte sich zurück, und ihr Gesicht verschwand im Schatten der Kapuze. Nach einigen Sekunden fragte sie: »Das Schlimme, was die Person, die du schon lange kennst, getan hat, betrifft dich selbst?«

»Hm.« Jessica dachte nach. »Ja, ein bisschen schon.«

»Ein bisschen?«

»Es betrifft mich in einem Ausmaß, sodass ich die Freundschaft kündigen würde, weil ich der Person nicht mehr vertraue, aber ich könnte die Sache damit abhaken.« Jessica merkte, dass sie mit der Antwort nicht zu viel preisgegeben hatte.

»Aber du bist nicht die Einzige«, vermutete die Fremde unter ihrer Kapuze richtig, »andere sind betroffen. Und sie sind so betroffen, dass du davor nicht die Augen verschließen kannst.«

»Genau.« Jessica konzentrierte sich darauf, sachlich zu bleiben, auch wenn sie die Erinnerung an das, was ihr Antonia gezeigt hatte, noch immer den Tränen nahebrachte.

»Ist das Schlimme, von dem du sprichst, eine Straftat?«, fragte die Fremde.

»Ich könnte zur Polizei gehen«, sagte Jessica zur Bestätigung, »aber ... es fühlt sich nicht richtig an. Es fühlt sich so an, als müsste ich mehr tun. Als sei ich irgendwie mitschuldig, weil ich es nicht früher bemerkt habe.«

»Ich verstehe«, entgegnete die Fremde und klang plötzlich sowohl nüchtern als auch mitfühlend. Beides kam für Jessica unerwartet. »Ich kann dir nur sagen, was ich tun würde.«

»Und das wäre?«, fragte Jessica.

»Ich würde es selbst in die Hand nehmen.«

 

June entschied sich dagegen, Rizhwan in dem Moment anzurufen, als die Erinnerung schemenhaft zurückzukehren begann. Sie war zu betrunken, müde und verwirrt. Doch sie dachte noch daran, nachdem sie es irgendwie durch das Treppenhaus bis zu ihrer Wohnungstür geschafft hatte, sich eine Notiz zu machen, dass sie ihn am nächsten Tag anrufen musste. Vielleicht hatte er etwas von dem mitbekommen, was sie mit dieser Jessica besprochen hatte?

Sie schaltete das Display ihres Handys aus und ließ es auf den runden Teppich im Flur fallen. Mühsam schleppte sie sich die letzte Treppe in ihrer zweistöckigen Wohnung nach oben. In ihrem Zimmer angekommen, schaffte sie es gerade noch, aus ihrer Hose zu schlüpfen, dann fiel sie vornüber auf ihr Bett und bewegte sich bis zum fortgeschrittenen Sonntagnachmittag nicht mehr.

 

 

 

02 | LOYALTY.

»Brauchst du jetzt wieder so lange mit deiner Technik, bis das Essen kalt ist?«, fragte Matt und schaufelte Kartoffeln in die beiden Schüsseln auf dem Wohnzimmertisch. Missbilligend beäugte er dabei einen ringförmigen Wasserfleck. Sicher war June wieder dafür verantwortlich. Warum konnte sie nicht zumindest eine von Anoushkas unzähligen Zeitschriften und Heften, die auf dem Sofa verteilt lagen, unter die Kaffeetasse stellen, wenn ihr die Untersetzer aus Kork zu spießig waren?

»Ich bin gleich so weit, eigentlich müsste das ...«, hörte er Anoushkas Stimme aus dem Kabelgewirr hinter dem großen Flat Screen hervordringen und wieder verebben.

Matt seufzte. Er liebte seine beiden Kolleginnen, doch sie machten ihn fertig. Wobei man sagen musste, dass es bei Anoushka nur die kleinen Eigenheiten waren, die man bei jemandem, der den Großteil seiner Lebenszeit vor Bildschirmen verbrachte, wohl erwarten durfte. June hingegen war ein ganz anderer Fall. Und zwar einer, über den er nicht mit leerem Magen nachdenken wollte.

»Nouuuu«, sagte er gedehnt, »vergiss doch die blöden Nachrichten und iss mit mir! Es muss doch nicht immer der Bildschirm laufen, wenn wir essen.«

Der Flat Screen flackerte auf, und der Livestream eines Nachrichtensenders, dessen Kürzel Matt in wenigen Minuten wieder vergessen haben würde, erhellte den Raum.

»Ging doch ganz schnell«, behauptete Anoushka. Sie klopfte sich den Staub von ihrem grünen, weiten Strickkleid und ließ sich im Schneidersitz neben Matt auf dem Sofa nieder.

Bilder eines schwelenden Hausbrands erschienen auf dem Bildschirm. Offensichtlich handelte es sich um einen großen Wohnblock. »Leytonstone« verriet die am unteren Bildrand durchlaufende Schlagzeile über die Lage des Gebäudes.

»Ein zweiter Grenfell Tower?« Matt fühlte sich sofort an den verheerenden Brand in einem Londoner Hochhaus vor einigen Monaten erinnert. »Mach mal den Ton an, Nou!«

»Nicht nötig«, sie winkte ab und griff nach ihrem Teller und ihrer Gabel, »die Nachricht läuft seit Stunden in Schleife. Irgendein Häuserblock ist abgebrannt. Leerstehend.«

»Leerstehend?« Matt nickte und zerlegte mit der Gabel eine Kartoffel in mundgerechte Teile.

»Peacock Place«, sagte Anoushka mit Verzögerung, da sie erst zu Ende kauen und herunterschlucken musste. Sie hätte nie mit vollem Mund gesprochen oder hastig, ohne gründliches Kauen, Essen heruntergeschluckt. Matt vermutete die strenge Erziehung ihres indischen Vaters als Ursache, sprach das aber nie aus, denn eigentlich war das nur eine auf Stereotypen basierende Annahme, für die er sich bisweilen vor sich selbst schämte.

»Nie gehört«, entgegnete er.

»Sozialwohnungsprojekt«, erläuterte Anoushka, »hätte vor Monaten fertig sein sollen. Aber seit Grenfell checken die Brandschutzmaßnahmen und Bausubstanz gründlicher, und der Investor hinter dem Projekt hat die Arbeiten gestoppt. Jetzt sind da endlich neue Wohnungen im Rahmen des Programms für erschwinglichen Wohnraum, und sie werden nicht fertiggestellt.«

»Eigentlich doch ganz gut, wenn man den Brand bedenkt«, warf Matt ein.

»Der Peacock Place ist seit dem Sommer berüchtigt dafür, dass sich dort Dealer und Junkies eingerichtet haben«, entgegnete Anoushka abfällig, »wetten, dass Rivalitäten zwischen denen für den Brand verantwortlich sind? Hätte es nie gegeben, wenn der Investor nicht kalte Füße bekommen hätte.«

»Ich weiß nicht, Nou«, er deutete mit einem aufgespießten Backfischstück zum Bildschirm, was ihm einen missbilligenden Blick von Anoushka einbrachte, »wenn ein fast fertiges Gebäude so ausbrennt, dann war das Zögern vielleicht berechtigt.«

»Auf der Straße leben ist keine sonderlich gute Alternative«, entgegnete sie.

Matt schob sich die Gabel in den Mund und schwieg. Er kannte Anoushka mittlerweile seit fast einem Jahr, doch er wusste noch immer nicht besonders viel über ihren Hintergrund. Ihre Mutter war als Flüchtling aus Mali gekommen, ihr Vater illegal aus Indien eingereist. Das ließ auch Anoushkas rechtlichen Status im Unklaren. Sie hatte laut eigener Aussage nie längere Zeit ohne Obdach gelebt, doch ihre Kindheit und Jugend musste sich zu einem großen Teil auf der Straße abgespielt haben. Oder besser: in Kellern und Internet-Cafés, denn dort hatte sie gelernt, mit Computern und anderen elektronischen Dingen umzugehen.

»Zwei Leichen wurden in dem Gebäude gefunden«, ergänzte sie, während auf dem Schirm die Bilder vom ausgebrannten Peacock Place in Schleife liefen, »ein Teenager, ein Junkie.«

»Der Jugendliche war kein Junkie?«, fragte Matt.

»Meine Quellen sagen jedenfalls, er war nicht als Junkie bekannt.« Anoushka deutete mit dem Kinn in Richtung ihres Laptops. Matt wusste, dass sie über Social Networks und ihre sonstigen Online-Kontakte meistens besser informiert war als die Nachrichtensender. Manchmal allerdings stellten sich die Informationen als nicht besonders zuverlässig heraus. »Der Junge war angeblich nicht mal aus London ... weiß nicht, wie gesichert diese Info ist.«

»Hmm ...« Matt brummte wenig überzeugt.

»Der Junkie ist aber viel interessanter«, sagte Anoushka und ließ die Gabel auf ihren Teller sinken, »der war nicht verbrannt, lag aber im abgefackelten Haus.«

»Der ist nach dem Brand ins Haus gegangen und hat sich da einen tödlichen Schuss gesetzt?«, fragte Matt.

»Tödlicher Schuss«, sie nickte, »aber nicht selbst gesetzt. Und auch nicht aus einer Spritze.«

»Wie?« Matt blickte interessiert auf. »Jemand hat ihn nach dem Brand erschossen?«

»Scheint so.« Anoushka sah Matt zufrieden, dass ihre Informationen sein Interesse geweckt hatten, an und griff nach ihrem Smartphone. Kurz darauf erklang der Ton der Nachrichtensprecherin, die gerade zu einer neuen Meldung übergegangen war.

»... wird seit Montag vermisst. Die Robert Graves High School in Taunton wandte sich an die örtliche Polizei, nachdem die Lehrerin nach dem Wochenende nicht mehr an ihrer Arbeitsstelle erschienen war. Nach Aussage der Polizei in Taunton gibt es Anzeichen für eine mögliche depressive Erkrankung der Vermissten. Sachdienliche Hinweise auf den Verbleib von Jessica L. können an die Taunton Police unter der eingeblendeten Telefonnummer übermittelt werden.«

Das Bild einer Frau, die Matt auf Mitte bis Ende dreißig schätzte, wurde eingeblendet. Sie trug das blondierte Haar kurz in einem modischen Schnitt und ein schwarzes, elegantes Kleid mit einer schlichten Halskette. Einzig der etwas zu auffällige, glitzernde Stecker im linken Nasenflügel brach den dezenten Stil. Matt war sofort klar, warum diese vergleichsweise unspektakuläre Nachricht es zwischen zwei Beiträge zum Top-Thema des Tages gebracht hatte. Das Gesicht von Jessica L. hatte etwas Puppenhaftes, ihr Blick regte im Betrachter das unterschwellige Gefühl, dass es um eine junge, hübsche Frau ganz besonders schade war, wenn sie vermisst wurde oder ihr womöglich etwas zugestoßen war. Matt widerten solche Gedanken an, auf die sich die Medien verließen, wenn sie ihre Schlagzeilen nach Wichtigkeit sortierten, doch er konnte auch nicht leugnen, dass sie funktionierten. Auch bei ihm selbst.

»Laaaaangweilig«, murrte Anoushka und schob den leeren Teller von sich weg, »kommen wir zurück zu dem erschossenen Junkie. Man hat an ihm Blut gefunden, das nicht seins war!«

Matt war froh, dass die Nachrichtensendung ebenfalls zurück zum Brand in Leytonstone wechselte und er Jessica L.s Puppengesicht nicht mehr vor Augen hatte.

»Einen Fall wie diesen bräuchten wir«, fuhr Anoushka fort, »stattdessen bekommen wir fast nur langweiliges Zeug.«

Matt hielt dem Reflex stand, ihr zu widersprechen. Es war gerade ein Jahr her, seitdem sie ihre Detektei gegründet hatten. Es war Junes Idee gewesen – natürlich. Sie hatte Anoushka und ihn bei einer Silvesterparty einander vorgestellt, betrunken gemacht und gegen sechs Uhr am Neujahrsmorgen davon überzeugt, dass sie zu dritt eine Detektei eröffnen sollten.

Matt hatte kurz vorm letzten Weihnachten seinen Job aufgegeben und sich darauf eingestellt, ein Jahr Auszeit zu nehmen, die Welt zu bereisen oder sich ein Hobby zu suchen. Doch die erste Woche des neuen Jahres war noch nicht um, da lud ihn June zu sich ein und legte ihm seinen Arbeits- und Gesellschaftervertrag für die Detektei Mayberry & Shields vor. Anoushka war ebenfalls dort und mindestens genauso perplex wie er. Der Unterschied war nur, dass sie einen neuen Job finanziell brauchte, während Matt vor allem Ruhe gebraucht hätte.

Doch June war überzeugend gewesen, und er hatte schließlich zugesagt – wenn auch nur deshalb, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass die Detektei für mehr als drei Monate durchhalten würde. Außerdem war er in Junes absurde Art, ihr Leben zu bestreiten, verliebt. Die Aussicht, für eine Zeit Teil ihres inspirierenden Wahnsinns zu werden, hatte damals etwas Anziehendes.

Und nun, zehn Monate später, sah die Unternehmung wirtschaftlich gar nicht übel aus. Dafür mussten sie eigentlich dankbar sein, doch er musste Anoushka recht geben. In der Zwischenzeit waren die ständigen Hintergrundchecks, die bei ihnen in Auftrag gegeben wurden, und die gelegentlichen Überwachungen zu einer wenig aufregenden Routine geworden.

»Wir müssen einfach Geduld haben«, sagte Matt schließlich, »wir machen uns erst mal einen Namen in Sachen Zuverlässigkeit und Professionalität, dann wird irgendwann auch mal ein interessanter Fall an die Tür klopfen.«

Anoushka schaffte es nicht mehr, ihre sichtbare Skepsis zu äußern, denn Matts Handy begann zu vibrieren. Er warf einen Blick auf das Display und hielt es in ihre Richtung.

»Siehst du? Vielleicht meldet sich da schon der Fall internationaler Spionage.«

»Ich sehe nur, dass sich unser Assistent meldet«, entgegnete Anoushka.

Matt seufzte und nahm das Gespräch an. »Mr. O, was gibt es?«

Will Orange war von June bereits kurze Zeit nach Gründung der Detektei eingestellt worden, da sie die Diskussion, wer sich um die formalen Schritte der Unternehmensgründung, die Buchhaltung und Ablage und – Zitat June – »den sonstigen Scheiß« kümmern sollte, gar nicht erst führen wollte. Streng genommen war Will Orange, den sie seit dem ersten Tag nur »Mr. O« nannten, Junes persönlicher Assistent, denn er lief nicht auf der Gehaltsliste der Detektei. Matt wollte gar nicht so genau wissen, wie June ihn angestellt hatte, doch der praktische Nutzen von Mr. O war unbestreitbar.

 

Außer es ging um August. In dem Fall konnte Matt auf den Nutzen des Assistenten gut und gerne verzichten. August war Junes Sohn, ein pubertierender Junge. Und Mr. O – obwohl ansonsten ein umgänglicher Mensch – hatte höchst antiquierte Ansichten, was gesellschaftliche Rollenbilder anging. In dieser Hinsicht erinnerte er Matt an seinen eigenen Vater, und das war das Letzte, was er einem Heranwachsenden zumuten wollte. Und da June sich äußerst schwer damit tat, August eine gute Mutter zu sein, sprang Matt in dieser Funktion ein, wann immer der Junge zu Besuch war.

August lebte bei seinem Vater und dessen neuer Familie, doch jeden Freitag nach der Schule kam er in der Detektei vorbei, um den Abend mit seiner Mutter zu verbringen. Und nicht selten war June nicht da. Anfangs beschäftigte Mr. O als guter Assistent den Jungen, bis Matt irgendwann einschritt, als er hörte, wie dieser seine Lehrer als »behindert« und »gay« beschimpfte und Will Orange offensichtlich nicht daran dachte, ihn zurechtzuweisen. Matt stellte den Assistenten zur Rede. Seitdem war August Matts Aufgabe, wann immer June nicht anwesend war.

So auch jetzt. Mr. O informierte Matt einsilbig, dass der Junge angekommen wäre. Im geräumigen Eingangsbereich in der unteren Etage der zweistöckigen Wohnung, die außer Junes Räumlichkeiten und dem Wohnzimmer im oberen Geschoss die Arbeitszimmer von Anoushka, Mr. O und Matt, den Besprechungsraum und die Küche enthielt, warteten August und Mr. O bereits. Die Stimmung schien eigenartig gedrückt, als Matt die Treppe hinunterkam.

»Ich habe August im Innenhof getroffen, als ich den Müll rausgebracht habe«, berichtete der Assistent, »es geht offensichtlich um ein Thema, bei dem meine Expertise nicht gefragt ist.«

Mr. O machte eine Geste, als würde er seinen Mund mit einem Schlüssel verschließen, verbeugte sich und ging zurück in sein Büro. August musste über die alberne Show lachen.

»Hi August«, begrüßte Matt den Jungen, »was liegt denn an? Wieso hast du im Hof gewartet? Du weißt doch, dass du zu uns reinkommen kannst.«

Matt hielt es für unnötig ihn darüber zu informieren, dass seine Mutter noch nicht aufgetaucht war. Eigentlich war das Gegenteil der Fall. Wäre sie bereits anwesend, wäre das die eindeutig größere Schlagzeile gewesen.

»Ich habe noch telefoniert«, entgegnete August in heiserem, noch nicht ganz aus dem Stimmbruch zurückgekehrtem Ton.

»Als würdet ihr jungen Leute das Smartphone noch freiwillig zum Telefonieren nutzen.« Matt schüttelte den Kopf, dann deutete er auf eine nahe Tür. »Na komm. Ich mache dir was zu essen.«

In der modern eingerichteten, großzügig geschnittenen Küche schmiss August seine Tasche in die Ecke und setzte sich an den langen Esstisch. Matt warf einen Blick in die Töpfe. Er hatte genug gekocht, um nicht nur Anoushka und sich satt zu kriegen, auch für den Jungen sollte es noch reichen.

»Soll ich dir helfen?«, fragte August mehr aus Höflichkeit als aus Überzeugung.

»Geht schon«, entgegnete Matt und füllte einen Teller, den er kurz darauf in die Mikrowelle verfrachtete, »erzähl mir lieber, was dir auf der Seele liegt.«

»Nichts«, unternahm August einen halbherzigen Ausweichversuch.

»Selbst Mr. O hat mitbekommen, dass etwas nicht stimmt.« Matt lehnte sich gegen die Kante der Arbeitsplatte und verschränkte die Arme. »Du glaubst doch nicht, dass du mich so leicht abwimmeln kannst, oder?«

»Es ist wirklich nichts«, brummte August, »nicht mit mir. Ein Freund von mir hat Ärger.«

»Und welchen Ärger hat dieser Freund?«

»Er hat Stress mit so ein paar Mädels aus der Schule.« August zuckte beiläufig mit den Schultern, doch Matt wusste, dass da mehr dahinter war. Und er war wieder einmal froh, dieses Thema nicht Mr. O überlassen zu haben.

»Und was hast du damit zu tun?«, fragte er forschend.

»Nichts«, sagte August.

»Natürlich«, entgegnete Matt sarkastisch, »deshalb guckst du auch wie ein Dackel, dem man befohlen hat, auf einem Barhocker Platz zu nehmen.«

»Na ja«, August zuckte erneut beiläufig mit den Schultern, »ich war halt dabei, und jetzt denken die, ich wäre blöd.«

»Warum das?«, fragte Matt.

»Ich habe Anthony zur Seite gestanden.« August starrte auf den Tisch vor sich. Es war klar ersichtlich, dass dahinter noch mehr steckte, was dem Jungen unangenehm war, und Matt überlegte, ob er es besser dabei belassen sollte. Doch sein Vater hatte früher, als Matt jung gewesen war, bei erster Gelegenheit schwierige Gespräche vermieden. Rückblickend war das nicht das, was Matt damals gebraucht hätte.

»In Ordnung«, Matt drehte sich auf das Piepen der Mikrowelle hin um, »was genau hat dieser Anthony getan, dass er jetzt Stress mit den Mädels hat?«

»Er hat sich über Theresa Woodrows Kleidung lustig gemacht«, erklärte August und bekam rote Ohren.

»Das ist nicht nett«, entgegnete Matt und stellte dem Jungen den Teller hin, »aber ich glaube nicht, dass das alles war.«

August nahm die Gabel und begann so schnell zu essen, dass er sich die Zunge verbrannte.

»Gehe ich richtig in der Annahme, dass es dir nicht egal ist, dass die Mädchen jetzt sauer auf dich sind?«, fragte Matt.

Der Junge zuckte die Schultern.

»Lass mich raten«, Matt lächelte, »zumindest bei einer der Damen ist es dir nicht egal, richtig?«

August nickte fast unmerklich und ließ die Gabel noch schneller zwischen Teller und Mund wandern, sodass er sich verschluckte. Matt musste innerlich lachen. Die Pubertät war eine Zeit, die er definitiv nicht noch ein zweites Mal erleben wollte. Man benahm sich albern und dumm, war aber alt genug, sich dessen schon bewusst zu sein.

Ein Geräusch aus dem Eingangsbereich ließ ihn aufhorchen. Es war ein leises, unauffälliges Klicken im Schloss der Wohnungstür, gefolgt von einem hörbaren Quietschen und einem ebenso hörbaren Fluchen.

»Iss in Ruhe«, sagte Matt zu August, »wir sprechen gleich weiter.«

Er verließ die Küche, so lautlos er konnte. Im dämmrigen Eingangsbereich sah er einen Schatten an der Garderobe vorbei zur Treppe schleichen. Matt bewegte sich seitwärts zum Lichtschalter, atmete tief ein, dann betätigte er diesen und schrie: »Hab dich!«

»Fick dich, Matt!«

Die Antwort kam erwartungsgemäß, der Anblick hingegen überraschte ihn. June war bereits einige Stufen hochgegangen. Es war nicht ungewöhnlich für sie, dass sie sich erst mal die Treppe zu ihrer Wohnung hochschlich und sich umzog, um dann den anderen unter die Augen zu treten, doch jetzt bot sie ein Bild, das Matt kurzzeitig die Sprache verschlug.

Sie sah schlimm aus. Ihre Kleidung war dreckig, die Hosenbeine schlammverkrustet und an den Knien zerschlissen. Junes normalerweise schon kaum zu bändigende Haare waren völlig durcheinander, an Stirn und Wange hatte sie blutige Schrammen, und sie war leichenblass. Matt waren mit einem Mal alle vorher zurechtgelegten sarkastischen Bemerkungen entfallen. Besorgt ging er auf sie zu, doch June hielt die Hände abwehrend hoch.

»Bleib weg, Matt! Ich bin nicht in der Stimmung, irgendjemanden zu sehen. Nicht jetzt!«, fauchte sie.

»Ach wirklich?«, gab er zurück. »Also auch nicht deinen Sohn? August sitzt in der Küche und könnte eine Mutter gerade sehr gut gebrauchen.«

June warf Matt einen Blick zu, als wäre es seine Schuld, dass sie in einer so unpassenden Gelegenheit ein Kind hatte. Matt war nicht zum ersten Mal beeindruckt, wie bedrohlich June mit ihren 1,65 m Höhe wirken konnte, wenn sie ihn so anstarrte. Andererseits galt ihre geringere Körpergröße in diesem Moment nicht, denn sie befand sich auf der Treppe vier Stufen über ihm.