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T. Stern

A Devil's Toy 6

Luzifer & Satan





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel

Anmerkung

 

Die Hölle ist nach traditionellen Vorstellungen des Christentums ein Ort der Qual, an welchen Übeltäter nach dem Tod gelangen, bevölkert von Dämonen und dem Teufel. In modernen christlichen Glaubenslehren ist diese Vorstellung allerdings in verschiedener Weise modifiziert oder auch ganz fallen gelassen worden. Andere Religionen und Kulturen hatten bzw. haben teilweise ähnliche Vorstellungen eines jenseitigen unwirtlichen Ortes der Verdammnis.

 

 

 

 

(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hölle )

Handlung

 

Schon seit geraumer Zeit ist Luzifer mit der Entwicklung himmlischer Ansichten unzufrieden. Simpel, weil es dabei keine Entwicklung gibt, sondern einen stetigen Stillstand. Luzifer, der schönste aller Engel und rechte Hand Gottes, ist erfüllt von Skepsis und Zweifeln. Hinzu kommt, dass er sich schon seit Längerem zu niemand Geringerem als Satan, dem Herrscher der Unterwelt, hingezogen fühlt.

So schleicht er heimlich in die Hölle, trifft sich mit Satan und lernt Ruhanor kennen.

Satan, der endlich wieder sein eigen nennt, was ihm schon immer gehörte, will Luzifer nicht mehr gehen lassen, wissend, dass es dessen Ende bedeuten würde.

Ein Kampf entfacht, der Himmel und Hölle auf den Kopf stellt. Es geht dabei nicht nur um die Liebe zwischen Satan und Luzifer, sondern um das Schicksal aller drei Sphären.

Weshalb beugt sich der mächtigste Drache der Unterwelt, Ruhanor, ausgerechnet einem Engel? Was hat Satan zu verbergen? Warum schweigt Gott? Und wieso ist Luzifers Leben geprägt von silbergrauen Augen?

Vorwort

 

Mit „A Devil’s Toy 6: Luzifer & Satan“ geht es weiter. Wieder unter dem Banner Fantasy, wieder geht es um die Hölle und deren Bewohner. Noch immer ein sehr interessantes Themengebiet und wie immer haben meine kleinen Tagträumereien die Handlung bestimmt.

Der sechste und eigentlich geplant letzte Band ist ein Prequel und spielt thematisch weit vor den Bänden 1 bis 5.

Es gibt Drama, Sex und wieder eine große Portion mehr Fantasy als bei den Anfängen der Buchreihe. Wie eng Band 5 und Band 6 miteinander verbunden sind, dürfte dem ein oder anderen sicherlich auffallen.

Auch bei Band 6 gilt: In meiner Hölle herrschen meine Regeln und ebenso verhält es sich bei der Welt, in der A Devil's Toy spielt.

Die mir eigenen Macken wird es natürlich auch wieder geben. Mein schräger Humor, diverse Ausschweifungen der gedanklichen Tiefe und ganz gewiss auch den ein oder anderen zig wiederholten Gedankengang.

Es ist Fantasy … man möge also ein wenig den Drang nach Realität beiseiteschieben und zur Kenntnis nehmen: Ich möchte hiermit weder eine Religion noch ihre gläubigen Anhänger diskreditieren.

 

Ich wünsche euch ein höllisch heißes Lesevergnügen, Spaß und Freude mit Luzifer und seinem Satan und Ruhanor.

Danksagung

 

Tausend Dank an Energy-Drinks & Kaffee!

 

Zutiefst herzlicher Dank wieder mal an die Elite-Gruppe, die mir in der Arbeitsgruppe zur Seite stand und deren Begeisterung aus einem Kater einen kleinen Drachen gemacht hat. Habt vielen Dank für eure Zeit, euer Engagement, für Worte, Lob und anregende Kritik, viele Lacher und noch mehr wunderschöne Momente. Ölle!

Außerdem gilt mein herzlichster Dank Petra Schütze, die kurzerhand den Kampf gegen chaoskaterliche Fehler gewagt hat.

Wie immer gilt, sollten es Fehler ins Buch geschafft haben, nehme ich diese auf meine Kappe. Denn auch wenn alle Fehler ausgemerzt wurden, neige ich immer dazu, beim finalen Überarbeiten deren Verlust mit neuen auszugleichen.

Katerliche Katernasenstupser geht diesmal vor allem an die Fantasy-Pusher raus. Jene, die mich seit geraumer Zeit ermutigen der Realität gänzlich die Mittelkralle zu zeigen, egal wie viele letztlich ihr Fehlen anprangern. Love to you!

 

Und wie eh und je – lieber Leser – natürlich dir, für deine Unterstützung. <3

Für...

 

Diana, Traude, Angelika, Ellie, Tirsi, Ramona, Nakia, Nadja, Petra, Luna, Laura

 

Ohne euch würde ich manchmal vergessen, dass ich fliegen kann.

Danke für alles!

1

 

Vertieft in mein Buch, sitze ich in den himmlischen Gärten und lausche dem Rascheln der dichten Laubkronen, ebenso aber auch den freudigen Lauten der jungen Engel, die gerade wild durch das satte Grün der Gräser toben. So wirklich kann ich mich nicht mehr auf die niedergeschriebene Lektüre konzentrieren, denn das Herumwirbeln der Kleinen reißt mich immer wieder aus dem Lesefluss.

Seufzend klappe ich das Buch zu und richte mein Augenmerk auf die wild Tobenden, die sich gerade in einem Spiel verlieren, lausche grinsend und beobachte sie, wie einer den Rest über die Wiese scheucht und immer wieder betont, er wäre der böse Satan.

Fast ist es sogar amüsant, wenn es nicht irgendwo so verdammt bitter wäre.

Diese Ansicht, dass Satan das böse Monster ist, wird jedem Engel schon sehr früh eingetrichtert. Ob es stimmt oder nicht, scheint dabei gänzlich nebensächlich. Aber wer fragt mich schon? Ausgerechnet mich, der besagtes Monster besser kennt als jeder Einzelne von ihnen, die diese infamen Ansichten als die Wahrheit verbreiten und lehren.

„Satan wird euch alle holen!“, krakelt der böse Verfolger und treibt alle anderen vor sich her. Wild stoben sie auseinander und lachen, freuen sich einfach um der Freude willen, genießen es, Kind sein zu können. In der wenigen Zeit, die ihnen dafür bleibt, verlieren sie sich gerne in der Welt ihrer eigenen Fantasie, leben ihre Vorstellungen aus, flüchten sich in die Illusion ihres Erfindungsreichtums.

Ob ich auch mal so war? Eine wirklich gute Frage. Ich erinnere mich nicht. Es gibt vieles, an was ich mich nicht erinnern kann. Sehr zu meinem Leidwesen. Während sich jeder andere Engel an das Gesicht der Person erinnert, welche er bei seiner Geburt erblickte, scheide ich schon da aus. Egal, wie angestrengt ich versuche, mir das Antlitz dieses einen Engels vor Augen zu führen, bisher ist es mir nie gelungen. Auf meine Frage, warum das so ist, war Schweigen die aussagekräftigste Antwort.

Was mich diese trübsinnige Tatsache erneut durchdenken lässt, ist der Fakt, dass ich gerade in letzter Zeit wieder vermehrt daran denken muss. Immer wieder ertappe ich mich dabei, mich selbst zu fragen, warum ich mich nicht an diesen Engel erinnern kann. Er oder sie müsste mir heilig sein. Dieses Wort verdeutlicht die Bedeutung am ehesten, erklärt vielleicht auch, warum diese eine kleine Frage mich mein ganzes Sein lang schon begleitet. Wirklich abschütteln konnte ich das Interesse nie, egal wie oft ich belehrt wurde, dass es vermessen wäre, diese eine Person über meinen Herrn zu stellen. Sie alle reden leicht, schließlich kennen sie ihren Seelenverwandten. Die Person, die bei der Geburt dabei war und deren Gesicht man erblickte, als man seine Augen das erste Mal geöffnet hat.

„Haha! Habe ich dich erwischt, Engelchen! Jetzt reiße ich dich hinab in die ewigen Feuer der Tiefe!“ Mit diesen Worten schlingt der junge Engel die Arme um sein geschnapptes Opfer und dieses schreit lachend auf, als es die brutalen Flammen einer Kitzelattacke über sich ergehen lassen muss.

Die Kleine kann einem schon leidtun. Es muss schrecklich sein, so durchgekitzelt zu werden.

Aber das freudige Lachen aller, klingt wie liebliche Musik in meinen Ohren. In meinen Augen symbolisiert es Hoffnung.

Darauf, dass die alten Geschichten irgendwann verstummen und der Wahrheit Platz machen. Jener, welche kaum jemand in Worte fassen will, weil man Strafen fürchtet.

Vermehrt wurden solche ausgesprochen, wagte ein Engel, vor allem höheren Ranges, nicht den alten Floskeln zu huldigen. Infame Intrigen werden gesponnen, um die Neuorientierung des Zeitgeistes zu stoppen und die Wahrheit hinter verschlossener Tür zu verbergen.

Meine Hoffnung liegt darin, dass sich all das irgendwann ändern wird und kein kleiner Engel mehr fürchten muss, eine Frage zu stellen, welche den bösen Herrscher der Unterwelt betrifft, der gar nicht so böse ist, wie man immer sagt.

Aber wie schon erwähnt: Wer fragt mich schon.

Aus meiner kleinen Grübelphase werde ich ziemlich harsch gerissen, als eine laute Stimme das friedliche Beisammensein jäh unterbricht.

„Nenne nie wieder diesen Namen so leichtfertig im Reich deines Herrschers! Ich zeige dir sonst gerne die Hölle und lass dich bei diesem Verdammten! Dann wirst du auf ewig in den Fegefeuern brennen und all das Grausame sehen, was dieser Verfluchte den armen Seelen dort antut!“

„Aber es war doch nur ein Spiel“, begehrt ein anderer kleiner Engel auf und versucht, seinen Freund in Schutz zu nehmen.

Michael interessiert das nicht. Habe ich schon erwähnt, dass ich mir einen Wandel im Zeitgeist wünsche? Ja? Michael ist jemand, der die Uhr lieber tausend Jahre zurückdrehen würde, statt anzuerkennen, dass die Zeit nicht still gestanden hat, nur weil es ihm am liebsten wäre.

Hastig springe ich auf und eile den Engelchen zu Hilfe. Kaum erblicken sie mich, ersuchen sie schon meinen Schutz, erbitten Beistand, flehen um meine starke Stimme für ihre schwachen Gemüter.

„Michael! Du übertreibst!“, mische ich mich ein, ruhig, aber sehr bestimmt. Es dauert nicht mal einen Herzschlag, schon eilt die Meute auf mich zu, versteckt sich hinter mir. Alle, bis auf diesen einen kleinen Engel. Er möchte zu gerne zu mir, doch Michael verwehrt es ihm, hält ihn am Kragen fest und spuckt ihm Gift und Galle entgegen. Verzweifelt sieht der Kleine mich an und versucht stark zu sein, doch gelingt es ihm nicht wirklich.

Michael ist ein Erzengel. Seine Erscheinung ist imposant, eher einschüchternd für so ein kleines Engelchen.

„Übertreiben? Natürlich! In deinen Augen übertreibt jeder, der sie auf das vorbereitet, was sie erwarten wird! Ewiger Krieg und endlose Kämpfe gegen das Böse! Wir werden nie den ewigen Frieden finden, solange dieser Verdammte und seine verfluchte Hölle existieren! Wenn dieser Bursche hier denkt, es wäre lustig, kleine Engel einem solchen Monster zum Fraß vorzuwerfen, dann werde ich ihm gerne einen Einblick in die Hölle geben! Mal sehen, ob er dann immer noch so große Töne spuckt und den Namen dieses Engelsmörders hier durch die heiligen Gärten brüllt!“

Die Panik und Angst in den tränenerfüllten Augen des armen Engelchens sind nicht zu übersehen. So stark und mutig er auch gerne wäre, er fürchtet die Hölle so sehr, dass der bloße Gedanke daran ihn schluchzen lässt.

„Michael! Es reicht! Lass deinen Frust nicht an den Kleinsten aus!“, tadelt Raphael ihn schroff.

Innerlich danke ich Raphael mal wieder für seinen Beistand. Michael und ich stehen uns seit geraumer Zeit nicht wirklich wohlgesonnen gegenüber. Eben auch aus dem Grund, den er gerade wieder einmal zur Schau stellt.

Immer, wenn etwas nicht nach seinem engstirnigen Querschädel geht, schnappt er sich die kleinsten und schwächsten und macht diese nieder. Diesen Umstand bin nicht nur ich leid, mittlerweile auch Raphael und Uriel. Gabriel darf hiervon nicht erfahren, sonst entbrennt ein erneuter Streit zwischen den beiden, der den Himmel beben lässt.

Alle kleinen Engelchen sind Gabriels Schützlinge. Sie versucht alles ihr Mögliche, um die Jungengel trotz aller Widrigkeiten harmonisch und behütet aufwachsen zu lassen. Wüsste sie, dass Michael sich gerade nicht nur verbal an einem der Kleinen vergreift, sie würde ihm mit allem drohen, was ihr spontan einfällt. Und das wäre nicht wenig, wenn ich das anmerken darf.

„Er beschmutzt die Heiligkeit dieses Ortes mit dem Namen dieser Bestie!“, verteidigt Michael sein völlig überzogenes Handeln.

„Es sind KINDER! Lass sie spielen. Komm jetzt. Unser Herr erwartet uns“, appelliert Raphael erneut an Michaels Vernunft.

Ebenso gut hätte er das übrigens einem Baum erzählen können. Der wüsste mehr mit der Aussage anzufangen, als Michael.

Mit wütendem Gesichtsausdruck beugt sich dieser zu dem Kleinen und zischt ihn an: „Sagst du noch einmal diesen Namen, sorge ich dafür, dass du in die Höl...“

„Wage es, Michael!“, begehre ich auf und unterbinde das Finalisieren seiner Worte.

„Was willst du tun? Zu Gott rennen und petzen, oh du Liebling unseres Herrn? Bilde dir nichts drauf ein, dass du der Schönste bist. Du hast sonst nichts zu bieten außer gutes Aussehen und ein verweichlichtes Gemüt! Ich verstehe nicht, weshalb Gott so einen Narren an dir gefressen hat! Du bist ...“

Lautes Grollen ertönt und bringt Michael endlich zum Schweigen. Ich schiebe mich zwischen ihn und den kleinen Engel, halte seinem erbosten Blick stand, recke das Kinn höher, lasse ihn wissen, dass mich seine Worte kein Stück kümmern.

„Ich bin was?“, frage ich ruhig und lächle ihn nur an. Doch wagt er nicht weiterzusprechen, denn er weiß um Gottes Gehör. Unser Herr hat ihn für sein Handeln gerügt und lässt ihn gerade wissen, dass er zuhört.

Michael rückt mir dichter auf und knurrt mich an: „Sei froh, dass du sein Lieblingsschoßhündchen bist!“

„So siehst du mich? Das bin ich in deinen Augen? Sein Lieblingsschoßhündchen? Oh Michael, hinter deinem eigentlich hübschen Gesicht verbirgt sich die schreckliche Fratze purer Verbitterung. Neid ist eine Sünde. Das solltest du wissen“, entgegne ich unbeeindruckt.

„Du bist der nutzloseste Engel der hohen Riege!“, spuckt Michael mir entgegen. „Genauso nutzlos wie diese Brut! Rennen hier herum und spielen dumme Spielchen, statt etwas Sinnvolles zu lernen!“

„Es muss schrecklich für dich sein, dass ausgerechnet der nutzloseste Engel der hohen Riege Gottes Lieblingsschoßhündchen ist und nicht du, der du es dir sicherlich verdient hättest, dass Gott in ewigker Dankbarkeit eine Lobeshymne für dich singen lässt.“

Meine Worte scheinen Michael noch mehr zu erzürnen, kommt er noch näher und zischt mich an: „Spotte nicht unserem Herrn, du undankbares Miststück!“

Meine Kraft offenbart sich, denn beleidigen lasse auch ich mich nur bis zu einem gewissen Grad. Michael hat diesen gerade überschritten.

Meine Schwingen erscheinen, entfalten sich und ich präsentiere mich als der, der ich bin, ob es Michael passt oder nicht.

„Achte auf deine Zunge, Erzengel! Du überspannst den Bogen meiner Geduld! Maße dir nie wieder an, so vor kleinen Engeln zu sprechen! Nie wieder, Michael!“ Das Grollen in meiner Stimme wirkt. Michael weicht einen Schritt zurück und auch wenn in seinem Blick weiterhin purer Hass weilt, so weiß er, dass er mir nichts entgegensetzen kann.

Es ist nicht meine Art, meinen Rang als Argument zu nutzen, ebenso wenig meinen Status in Gottes Augen. Aber Michael schafft es wirklich regelmäßig, mich in Wut verfallen zu lassen. Seine Art, mit anderen Engeln zu sprechen, ist immer von oben herab. Außerdem nervt mich seine abwertende Haltung gegenüber der höllischen Seite. Ich habe noch nie einen Dämon so herablassend über den Himmel und seine Bewohner reden hören, wie Michael es selbst in Anwesenheit der Dämonen über die Unterwelt tut.

Dauernd stellt er Satan als das ultimative Monster hin, beschreibt ihn als eine hässliche, grausame Bestie, deren bloßer Anblick jeden Engel erblinden lässt. Seine Nähe wäre wie Gift, welches den Körper eines Engels befallen und langsam von innen heraus zerfressen würde.

Ich kann versichern, dass Satan weder ein Monster noch eine hässliche, grausame Bestie ist. Dafür, dass ich ihn schon tausendmal erblickt habe, sehe ich noch sehr gut. Auch hat mich nie etwas von innen heraus zerfressen, wenn ich in seiner Nähe war. Alles Schwachsinn.

Das einzige Monster, welches ich seit geraumer Zeit immer deutlicher erkennen kann, ist Michael.

Zerfressen von Hass, geblendet von Neid, entstellt durch sein mittlerweile rachsüchtiges Gemüt.

Seufzend erinnere ich mich an die Zeit, als Michael noch ein stolzer und herzensguter Krieger war. Lange liegt diese zurück. Die Erinnerungen daran wirken mittlerweile verblasst, wenn ich mir vor Augen führe, was für ein abartiges Monster er geworden ist.

In seiner Ehre gekränkt dreht sich der Erzengel weg und grummelt irgendwas von Konsequenzen, während er davoneilt.

Mein Blick haftet noch eine ganze Weile auf ihm, spüre ich einfach, dass besagte Konsequenzen nicht mehr lange auf sich warten lassen. Michael sinnt mir gegenüber auf Rache.

 

 

2

 

„Luzifer?“, reißt mich die bebende Stimme eines kleinen Engels aus meinen Gedanken, richte ich meinen Blick auf das neben mir stehende Persönchen. Kaum ist er sich meiner Aufmerksamkeit bewusst, schluchzt er und fragt kleinlaut: „Komme ich wirklich in die Hölle, weil ich seinen Namen gesagt habe?“

Sanft schüttle ich den Kopf, gehe in die Hocke und lege eine Hand auf die Schulter des Jungen. Eindringlich schaue ich ihm tief in die Augen, flüstere beruhigend: „Nein. Ganz gewiss nicht.“

„Warum sagt Michael immer so böse Dinge?“, höre ich eine weitere Stimme leise fragen, blicke zu dem Engelchen, dem sie gehört.

„Ich weiß es nicht“, sage ich, denn ich möchte diese armen jungen Seelen nicht verängstigen. Nicht noch mehr, als sie es ohnehin schon sind.

„Na kommt, ich lese euch eine Geschichte vor, wenn ihr wollt“, schlage ich vor, um die allgemeine Situation etwas zu entschärfen. Nicht nur für die jungen Engel, sondern auch für mich. Die Gedanken in meinem Kopf drehen sich gerade alle viel zu schnell. Überwiegend um Satan.

Der Weg zu meinem vorherigen Sitzplatz ist nicht weit. Seufzend sinke ich nieder und bin diesmal nicht alleine. Umringt von einer Meute doch ziemlich verunsicherter Kinder sitze ich da und mustere ihre noch immer schockierten Gesichter.

„Luzifer? Sieht Satan wirklich aus wie ein Monster?“

Diese Frage lässt mich zuerst überrascht dreinschauen, ehe ich mich selbst beim Grübeln ertappe. Sieht er aus wie ein Monster?

„Wie definierst du ein Monster?“, frage ich und gehe im Kopf alle Treffen mit Satan durch. Aber so wirklich gesehen habe ich ihn eigentlich nie. Ich weiß, dass er groß ist. Seine Stimme ist tief und löst bei mir manchmal regelrechte Schauer auf dem Rücken aus. Seine Nähe hingegen schafft es regelmäßig, mein Herz schneller schlagen zu lassen. Satans Präsenz ist von enormer Macht geprägt. Allerdings empfand ich sie nie als feindselig.

Jede mit ihm geführte Sitzung verlief ruhig, sieht man von Michaels endlosen Provokationen ab oder gar von seinen hysterischen Wutanfällen, wenn Satan sich eben nicht provozieren ließ. Selbst die Dämonenfürsten, die anwesend waren, wenn Satan selbst teilnahm, verhielten sich reservierter als sonst.

Im Grunde sind die Fürsten sogar leichter reizbar als Satan. Zumindest empfand ich es immer so. Wobei ich nie die Konfrontation mit ihnen suchte.

Der Sinn der Sitzungen ist es schließlich, für Himmel und Hölle gemeinsame Lösungen zu finden. Nicht etwa, sich gegenseitig zu zerfleischen, auch wenn Michael das wohl am liebsten wäre. Ginge es nach dem Erzengel, dann würde wieder Krieg herrschen, wie damals vor zweitausend Jahren. Eine wirklich schreckliche Zeit. Ich möchte sie nicht noch einmal erleben müssen. Es starben unzählige Engel und Dämonen. Bis heute ist nicht wirklich klar, warum dieser Krieg damals überhaupt geführt wurde. Wer den Anfang machte. Was der Grund für all das war. Gott und Satan schweigen darüber gleichermaßen. Übrigens sehr hartnäckig.

Ich habe noch immer keine Antwort gefunden und beschließe, das Thema kurz und bündig zu halten, damit nicht noch mehr solcher Fragen kommen.

„Ich weiß nicht, wie Satan aussieht. Zwar habe ich ihn schon häufig auf Sitzungen getroffen und auch schon mehrmals mit ihm gesprochen, sein Aussehen aber ist mir unbekannt. Was ich aber mit aller Sicherheit weiß, ist, dass ein Monster niemals an Frieden interessiert wäre. Und Satan arbeitet immer an friedlichen Lösungen für alle drei Sphären. Er weiß, dass Himmel, Hölle und die Erde einander brauchen.“

Trotz meiner Worte, die zugegeben nicht gerade aufklärend sind, weilen weiterhin neugierige Blicke auf mir.

„Es mag sein, dass manche ihn für ein Monster halten. Ich kann nicht sagen, wie sie ihn sehen und wahrnehmen. Ich für meinen Teil beurteile ihn nicht nach seinem Aussehen, sondern nach seinem Wesen. Und dieses ist mir bisher nie feindlich gesonnen gewesen.“ Damit scheine ich die Gemüter etwas besänftigt zu haben, was mich beruhigt.

„Aber Satan hat den Himmel angegriffen und viele Engel töten lassen. Wenn er so nett ist, wie du findest, warum hat er das dann gemacht?“

Es wäre zu schön gewesen, wäre das Thema schnell abgehakt.

Tief hole ich Luft und lasse meinen Blick durch die Gesichter der Engelchen schweifen, die um mich herum sitzen und allesamt vom Wissensdurst gepackt scheinen.

„Merkt euch bitte eins, meine Kleinen: Niemand ist frei von Fehlern. Ja, Satan hat den Himmel angreifen lassen und dabei starben viele Engel. Aber auch Gott hat einst die Hölle angreifen lassen und dabei starben viele Dämonen. Krieg ist nie eine Lösung. Er fordert nur Opfer. Auf beiden Seiten. Der große Krieg vor zweitausend Jahren hat beide Sphären stark geschwächt. Seither herrscht eine Art Friedensabkommen zwischen Himmel und Hölle. Seitdem gibt es die Sitzungen, in denen auserwählte Engel und Dämonen hohen Ranges versuchen, für alle Probleme einen friedlichen Kompromiss zu finden.“

Ein leises Räuspern erweckt meine Aufmerksamkeit und ich schaue auf, erkenne Metatron. Er lächelt und blickt milde gestimmt auf mich und die Engelchen herab.

„Hört gut auf Luzifer, ihr kleinen Engel“, richtet er das Wort an die Kleinen und tritt näher.

„Aber Michael will Krieg mit Satan haben“, murmelt ein leises Stimmchen.

„Michael ist ein Monster!“, kommt es bestimmt von einer weiteren.

„Sag das nicht, sonst schickt er dich in die Hölle“, nuschelt der kleine Nebenmann aufgebracht.

Mein Fokus richtet sich auf Metatron und ich erkenne, wie schwer es ihm fällt, sein Lächeln aufrecht zu erhalten.

„Niemand schickt hier irgendwen in die Hölle. Ihr seid alle aufgebracht, weil Michael vorhin gemein zu euch war. Das verstehe ich. Aber habt keine Angst mehr.“ Ob mein Versuch der Beruhigung überhaupt etwas bringt, kann ich nicht sagen. Noch ehe ich es überprüfen kann, ertönt eine Glocke, welche die Meute aufgeregt aufspringen lässt.

„Danke“, sagt der kleine Engel, den ich vor Michaels harschen Worten schützen wollte, ehe auch er sich umdreht und den davon stürmenden nacheilt.

„Tja, Luzifer“, seufzt Metatron und lächelt mich an. „Gegen heiße Milch und Kekse kannst auch du nicht gewinnen.“

Amüsiert schmunzelnd erhebe ich mich wieder, strecke kurz meinen Körper und sehe dann zu meinem Nebenmann, der sicherlich nicht grundlos aufgetaucht ist.

„Ich mache mir Sorgen, Luzifer“, setzt Metatron auch schon an. Ich wusste doch, dass er nicht einfach so gekommen ist.

„Wegen was?“, frage ich sofort und vernehme das leise Rascheln einer Windböe in den vollen Laubkronen der Bäume um uns herum.

„Ich hatte eine Vision“, wispert der Seraph und über sein Gesicht legt sich der Schleier der Trauer. Selbst ich kann erahnen, dass diese nichts Gutes vorhersagte.

„Ich habe nicht den Auslöser gesehen, doch sah ich Satan im Zorn. Denselben, den er vor zweitausend Jahren das letzte Mal walten ließ. Was auch immer geschehen wird, Luzifer, es wird die friedlichen Bande zwischen Himmel und Hölle auf ewig schwächen. Die Unterwelt versinkt in tiefer Dunkelheit und viele weiße Flügel werden in schwarzem und rotem Regen getränkt.“

Metatrons Worte sorgen auch bei mir sofort für innere Unruhe. Allerdings nicht, wie man vielleicht erwarten würde, weil Satans Zorn erwähnt wurde, sondern weil ich befürchte, den Grund dafür zu kennen.

„Metatron“, flüstere ich vorsichtig und schaue zu dem Seraph, der zu ahnen scheint, was ich ihm sagen will. „Hab ein Auge auf Michael. Seine Entwicklung macht mir Sorgen. Er ist besessen. Sein Denken ist nicht mehr dasselbe, wie das des einst goldenen Kriegers. Er hat sich verändert, und zwar nicht zum Guten. Betrachte ich deine Vision und füge Michaels derzeitiges Verhalten hinzu, dann glaube ich, den Grund dafür bereits zu kennen.“

„Du spürst es auch, nicht wahr?“, haucht er leise.

Mit einem milden Lächeln hebe ich die Hand, lege sie Metatron auf die Wange und sehe ihm tief in die Augen: „Ich spüre es nicht nur, mein Freund, ich weiß es.“

Metatron schüttelt verzweifelt den Kopf, greift mit beiden Händen nach meinem Handgelenk und schmiegt seine Wange gegen meine Handfläche: „Lass mich dir helfen, es zu verhindern. Der Gedanke, dass es eintreffen könnte, schmerzt meinem Herzen mehr, als ich es formulieren könnte.“

Vorsichtig mache ich einen Schritt auf ihn zu, greife mit der freien Hand nach seinem Kopf, halte ihn leicht fest und beuge mich zu seiner Stirn. Zärtlich drücke ich meine Lippen auf diese, löse mich wieder von ihm und schaue in seine unbeschreiblichen Iriden.

„Verhindere Schlimmeres, Metatron. Sei ein guter Engel, aber bewahre dir dein eigenes Denken. Triff Entscheidungen niemals, weil dich jemand beeinflusst hat, sondern bilde dir dein eigenes Urteil. So, wie du es bisher immer getan hast. Schütze den Himmel, die Erde und die Hölle gleichermaßen. Du weißt, dass das Dreigestirn immer drei Sphären benötigt.“

„Warum unternimmt er nichts, Luzifer? Ist er uns leid geworden?“, begehrt Metatron zu erfahren.

„Niemand kann unser aller Leben leben. Es ist unsere Aufgabe zu lernen. Und das können auch wir nur, wenn wir eigene Erfahrungen machen. Diese basieren auf dem, was wir erleben und aus Situationen mitnehmen. Wir entwickeln uns, weil wir es müssen. Die Zeit schreitet voran, nicht mehr lange und der Mensch formt sein Leben neu. Es ist unsere Aufgabe, Schritt zu halten. Stillstand ist ein Todesurteil. Gott weiß das und gibt uns den Freiraum. Er beobachtet und schlussfolgert für sich selbst, welche seiner einst getroffenen Entscheidungen wirklich richtig waren und welche er überdenken sollte. Wir sind nichts anderes, als Dämonen oder Menschen. Lebewesen, die ihren eigenen Weg gehen müssen. Wir haben den Himmel anvertraut bekommen wie die Dämonen die Hölle und die Menschen die Erde.“

Der Seraph seufzt, hält noch immer meine Hand an seine Wange gedrückt.

„Es gibt einige Engel, die munkeln, dass wir Gott egal wären. Er hätte nur noch Augen für die Menschen.“

Leise lache ich und erwecke Metratrons volle Aufmerksamkeit. Er sieht mich ein wenig überfordert an.

„Wir sind Gott nicht egal. Aber ja, er hat ein wachsameres Auge auf die Menschen. Das ist doch wohl auch verständlich. Sie haben weder unsere Mächte noch unsere Gaben. Ihre Lebensspanne ist von so kurzer Dauer, dass es für uns ein Herzschlag ist. Sieh uns an, Metatron. Wir sind Jahrtausende alt, besitzen magische Fähigkeiten, können uns heilen, beherrschen unvorstellbare Kräfte. Wenn wir geboren werden, so stets gesund und in einem sicheren Umfeld. Es mangelt uns an nichts. Ein Menschenkind wird von einem verletzlichen Leib geboren. In eine Welt, in der es keine Sicherheit gibt. Krankheiten lauern an jeder Ecke. Gefühle wie Kälte, Hitze, Müdigkeit, Angst, Hunger, kennen wir nicht. Wie vermessen ist es von uns Engeln, zu denken, Gott möge uns nicht, wenn wir betrachten, was wir alles haben. Was uns nie sorgen muss.“

Der Seraph nickt verstehend und wagt einen Schritt auf mich zu. Er sinkt nach vorne und lehnt seinen Kopf an meine Brust.

„Zweifle nicht an dir selbst, Metatron. Gib niemandem diese Macht über dich. Gott hat dich erwählt, weil er weiß, wie willensstark du bist. Sicher hat dein Eigensinn auch dazu beigetragen. Er verlässt sich auf dein Urteilsvermögen, auf deine Fähigkeit, rational zu denken und in jeder Situation die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ungeachtet, um wen es sich dabei handelt. Ob Engel, Dämon oder Mensch, ob gut oder böse, letztlich erleben wir alle einen Anfang und irgendwann ein Ende.“

Sanft gleitet meine Hand über seinen Kopf, spüre ich sein weiches Haar unter meinen Fingern.

„Du bist wahrlich der Lichtträger, Luzifer. Der helle Schein der Hoffnung in jeder dunklen Stunde.“

Leise lache ich und schüttle den Kopf: „Machst du mir gerade ein Kompliment?“

Metatron weicht von mir, sieht mich an und seufzt: „Ich glaube schon. Aber wer würde beim schönsten Engel des ganzen Himmelreiches nicht ab und an schwach werden und ihm sagen wollen, wie unfassbar wunderschön er ist.“

Auch wenn mich Metatrons Worte ehren, sie führen mir wieder einmal vor Augen, als was ich gesehen werde.

Als der Schönste. Manchmal kommt es mir so vor, als würden alle denken, ich hätte sonst nichts zu bieten, außer Schönheit.

„Wahre Schönheit kommt von innen, Metatron. Aussehen ist nicht alles. Es kann täuschen. Der schönste Engel kann das schrecklichste Monster sein, während das grässlichste Biest im Herzen reine Liebe trägt.“

„Bist du sicher, dass du zur Sitzung gehen willst?“, will der Seraph wissen und ich ziehe beide Augenbrauen tiefer.

„Wieso nicht?“, begehre ich den Grund für seine Frage zu erfahren.

„Weil Michael sicherlich wieder Theater machen wird. Du hast dich heute schon einmal mit ihm gemessen, ihm demonstriert, wer du bist. Bestimmt wird er dir das einige Zeit nachtragen.“

Damit hat Metatron sicher recht. Mittlerweile kennen wir Michael gut genug, um zu wissen, dass er ein sehr nachtragendes Wesen geworden ist.

„Er hat sich so sehr verändert“, flüstere ich leise und senke den Kopf. Die Gedanken an seine abwegige Wandlung schmerzen. Mir war Michael einst ein guter Freund. Jetzt sieht er mich als einen Feind. Einen unerwünschten Nebenbuhler um die Gunst unseres Herrn.

„Wir können alles verhindern, Luzifer?“, wispert der Seraph mir zu, schüttle ich den Kopf, sehe ihn klar an und lächle.

„Nein. Es muss geschehen. Das weißt du. Du hast es gesehen in deiner Vision. In beiden. Um das Schlimmste abzuwenden, ist das Schlimme das kleinere Übel.“