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Hannes Bahrmann

Francos langer Schatten

Diktatur und Demokratie in Spanien

Ch. Links Verlag, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, März 2020
entspricht der 1. Druckauflage von März 2020
© Christoph Links Verlag GmbH
Prinzenstraße 85 D, 10969 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0
www.christoph-links-verlag.de; mail@christoph-links-verlag.de
Umschlaggestaltung: Eugen Bohnstedt unter Verwendung eines Fotos von Pablo Blazquez Dominguez
(Getty Images): Rechtsextremisten entbieten am 15. Juli 2018 den faschistischen Gruß vor der Grabstätte Francos im »Tal der Gefallenen« und protestieren gegen die geplante Umbettung des Diktators
Satz: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag

ISBN 978-3-96289-077-3
eISBN 978-3-86284-472-2

Inhalt

Prolog

Wie alles begann

Spanien verliert den Status einer Großmacht – Das Militär wird zum Staat im Staate – Krieg in Spanisch-Marokko – Ein junger Oberleutnant macht Karriere – Spanien feiert Franco als Kriegsheld – General Primo de Rivera erhebt sich zum Militärdiktator – Deutsches Giftgas gegen die aufständischen Berberstämme – Franco wird zum jüngsten General Europas befördert

General Franco wird politisch

Kolonialkrieger übernehmen die Führung der Streitkräfte – Das Ende von Diktatur und Monarchie – Aufruhr in der Zweiten Republik – Franco schlägt den Aufstand in Asturien nieder – Der Anarchismus auf dem Vormarsch – Die Rechten schließen sich zusammen – Der Putsch beginnt

Hilfe in auswegloser Lage

Deutsche Flugzeuge transportieren Kolonialtruppen nach Spanien – Die Legion Condor greift aktiv in die Kämpfe ein – Spanien wird zum Erprobungsfeld der deutschen Luftwaffe – Hitler liefert Waffen gegen Rohstoffe

Der Kampf beginnt

Brutale Legionäre erobern die Extremadura – Franco räumt seine Konkurrenten aus dem Weg – Madrid bleibt in der Hand der Republikaner: »No pasarán« – Internationale Brigaden greifen in die Gefechte ein – Málaga kapituliert vor Mussolinis Truppen

Der Republik zu Hilfe!

Jagd auf Anhänger der Putschisten – Checas terrorisieren unter dem Deckmantel der »revolutionären Justiz« – Stalin stärkt die KP Spaniens – Die Hilfe der UdSSR reicht nicht zum Sieg – Der sowjetische Geheimdienst verfolgt ideologische Feinde – Spanien muss Waffen zur Verteidigung der Republik mit seinem Goldschatz bezahlen

Dem Krieg folgt die Gewalt

Franco wird zum unumschränkten Herrscher Spaniens – Das halbe Land wird unter Generalverdacht gestellt – Frauen werden zu Freiwild erklärt – Massenhafter Raub von Kindern – Säuberungswelle in der Verwaltung – Selbst den Fußball trifft die Verfolgung – Freimaurer werden zu Hauptfeinden erklärt – Spanien wird mit einem Netz aus Konzentrationslagern überzogen

Der Preis des Sieges

Admiral Canaris präsentiert die Rechnung – Hitler verzweifelt am Widerstand Francos gegen die Einnahme Gibraltars – Die División Azul zieht in den Krieg gegen die Sowjetunion

Bewaffneter Widerstand gegen die Diktatur

Der Verfolgungsdruck steigt – Die Guerrilla organisiert sich in den Bergen und Wäldern – Hauptgegner wird die Guardia Civil – Stalin stellt abrupt die Hilfe ein – Ein anarchistischer Unternehmer wird zum Helden des Widerstands

Die verlorene Heimat

Republikaner flüchten nach Frankreich – Interbrigadisten und Soldaten werden interniert – Hunderttausende gehen ins Exil – »Maulwürfe« vergraben sich in Spanien – Hunderttausende Gastarbeiter kommen nach Westeuropa

Franco-Spanien (fast) allein

Die UNO isoliert Franco – Eine Dürre verschärft das Leben der Spanier – Der Diktator erhebt sich zum Regenten – Die USA nutzen Spanien im »Kampf gegen den Kommunismus« – Mit dem Konkordat erhält die katholische Kirche umfassende Privilegien

Die Unternehmensberater Gottes

Der Siegeszug des Opus Dei – IWF und Weltbank finanzieren die wirtschaftliche Entwicklung Spaniens – Der Wirtschaftsliberalismus verändert das Land – Der »Metasa«-Skandal: Export von Steinen statt Maschinen

Der Bikini verändert das Land

Strände und Sonne sollen neue Märkte erschließen – Westliche Freizügigkeit trifft auf erzkatholische Vorbehalte – Der Massentourismus macht Spanien reich und bringt seine Ressourcen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten

Widerstand und Terror

Die neuen Gewerkschaften werden zur stärksten politischen Kraft – Spaltung in der KP Spaniens – Die ETA als Katalysator des Endes der Diktatur – Die größte Bombe Spaniens durchkreuzt Francos Nachfolge

Das Ende der Diktatur

Die Macht beginnt zu bröckeln – Skandale erschüttern das Land – Ein ehemaliger DDR-Bürger wird hingerichtet – Francisco Franco stirbt – Der neue König wird zum legitimen Erben des Diktators

Francos Nachfolger profiliert sich

Prinz Juan Carlos löst eine Krise in Marokko – Franco macht den künftigen König zu seinem offiziellen Erben – Der Caudillo hinterlässt sein Land »gut und fest verschnürt«

Bruch oder »paktierter Übergang«?

Aufbau der Demokratie auf dem Fundament der Diktatur – Amnestie im Interesse der Mehrheit – Ermittlungsakten gegen die Verteidiger der Republik – Waffenstillstand der Parteien

Der Pakt des Vergessens

Keine Partei hat Interesse an historischer Aufarbeitung – Angst vor den Streitkräften – Die ETA versetzt das Land in Angst und Schrecken – Die Aufbruchstimmung ist vorbei

23-F: Der Putsch

Die Spanier verfolgen den Staatsstreich live im Fernsehen – König Juan Carlos versichert sich der Loyalität der Truppen – Der Sieg über die Putschisten bildet den Abschluss der transición

Siegreiche Sozialdemokraten (deutsch geprägt)

Die SPD unterstützt den Aufbau der PSOE als Gegengewicht zu den erstarkenden Kommunisten – Felipe González siegt mit dem Wahlslogan »100 Jahre Ehrlichkeit« – Die Partei der Sozialdemokraten versinkt im Sumpf der Korruption

Terror und Gegenterror

Die PSOE wird zum Ziel des Terrors – Rechte Todesschwadronen verfolgen die ETA –Drahtzieher sind der sozialdemokratische Innenminister und sein Geheimdienstchef – Die ETA stellt den bewaffneten Kampf ein

Die Rechte kehrt an die Macht zurück

Ein Spross aus höchsten franquistischen Kreisen wird Premier – Seine Wirtschaftserfolge bringen ihm die absolute Mehrheit und Spanien den Euro – Die Partido Popular versinkt im Morast der Korruption

Der reiche König

Die Leidenschaften von Juan Carlos: Die Frauen, die Jagd und das Geld – Die Quellen eines Milliardenvermögens – Seine Ex-Geliebte: »Er unterscheidet nicht zwischen dem, was legal ist und dem, was illegal ist«

Die Profiteure des Unrechts …

Francos Reichtum durch »Geschenke« – Raubzug der Ehefrau durch die Juwelierläden – Die Enkel und Urenkel erfreuen sich eines diversifizierten Imperiums

… und die verschuldeten Untertanen

Franco initiiert eine riesige Immobilienspekulation – Der Wohnungskauf wird zur spanischen Altersvorsorge – Die Finanzkrise 2008 ruiniert viele Haushalte – Die Arbeitslosigkeit steigt rasant

Die »paktierte Demokratie« stößt an ihre Grenzen

Die grassierende Korruption delegitimiert die Demokratie – Die Bereicherung geht von der Spitze des Staates bis ins Bürgermeisterbüro einer kleinen Küstengemeinde – Sozialisten verraten ihr Ziel »Hundert Jahre Ehrlichkeit« – Die Rechtskonservativen stehen ihnen in nichts nach

Ein Richter reißt die Gräben auf

Die spanische Justiz verfolgt weltweit Menschenrechtsverletzungen, nur nicht zuhause – Verbrechen aus der Franco-Zeit bleiben ein Tabu – Ermittlungsrichter Garzón erhält Berufsverbot

Anmerkungen eines UN-Beobachters

Keine Politik der Wahrheitsfindung in Spanien – Defizite in der Justiz – Kein freier Zugang zu den Archiven – Amnestiegesetz unvereinbar mit Spaniens Verpflichtungen

Die Nachgeborenen klagen an

Die Suche nach den »Verschwundenen« stört – Die Parteien wollen die Kontrolle über die Vergangenheit behalten – Die Archive behindern die Aufklärung

Epilog

Anhang

Verzeichnis der Abkürzungen

Chronik

Quellen und Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Der Autor

»Kein Winkel der Vergangenheit war vollkommen unschuldig. Wenn man nicht auf eine Leiche stieß, stieß man auf Schweigen, auf Vergessen, auf die unerbittliche Rechtfertigung des Laufs der Dinge.«

Jorge Semprún, Überlebender des KZ Buchenwald, Ex-Politbüromitglied der KP Spanien und international erfolgreicher Romancier in seinem Buch »Der zweite Tod des Ramón Mercader«

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Prolog

Das Mausoleum des Führers war das größte Europas. 18 Jahre lang schufteten hier 20 000 Häftlinge aus Konzentrationslagern. Über der riesigen Anlage ragt ein Kreuz 152 Meter in die Höhe. Es ist 200 000 Tonnen schwer. Eine Stiftung erinnert an Leben und Werk des Führers, Plätze sind nach ihm benannt, ganze Ortschaften. Hunderte Straßen tragen bis heute die Namen seiner Generäle. Berüchtigte Folterer erhalten Ehrenpensionen und Auszeichnungen. Seine toten Gegner haben hunderttausendfach keine Namen. Sie liegen in Massengräbern oder in Straßengräben verscharrt. Gerichtsurteile aus der Zeit der Diktatur sind heute, mehr als vier Jahrzehnte nach ihrem Ende, weiterhin gültig.

Der spanische General Francisco Franco putschte sich 1936 mithilfe Adolf Hitlers und Benito Mussolinis an die Macht und entfesselte einen Bürgerkrieg, aus dem er 1939 siegreich hervorging. Man nannte ihn El Caudillo (der Führer). Seine Diktatur hielt fast vier Jahrzehnte. Franco prägte sein Land durch Terror und Angst. Konzentrationslager, Gefängnisstrafen, Vertreibung und Benachteiligung prägten das Leben der Besiegten. Der Tod ereilte den 82-Jährigen 1975 im Bett. Der Befund lautete alterstypisch multiples Organversagen.

Die nach seinem Tod neu zugelassenen demokratischen Parteien beschlossen, die Toten und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Sie vereinbarten den Pacto de Olvido – den Pakt des Vergessens. Mit dem Amnestiegesetz von 1977 sollten die Straftaten der Vergangenheit ungesühnt bleiben. Man errichtete die spanische Demokratie auf dem Fundament der Diktatur.

Der Amnestie folgte die Amnesie, ein Vierteljahrhundert des kollektiven Gedächtnisverlusts. Der alte Apparat der Diktatur blieb unangetastet. Richter, Beamte, Polizisten, Geheimdienstler, Archivare, die Armeeführung – sie alle blieben in ihren Ämtern. Die Regierungen wechselten zwischen den Sozialisten von der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und der (von Franco-Leuten initiierten) rechtskonservativen Partido Popular (PP).

Die PP war gegen jede Aufarbeitung der Vergangenheit. Auch die PSOE zeigte kaum Interesse. »Der Bürgerkrieg ist kein Ereignis, dessen man gedenken sollte, auch wenn er für die, die ihn erlebten und erlitten, eine entscheidende Episode in ihrem Leben darstellt. Der Krieg ist endgültig Geschichte, ist nicht mehr lebendig und präsent«, befand der sozialistische Regierungschef Felipe González zum 50. Jahrestag des Putsches der Generäle.

Erst die Enkelgeneration der entführten und ermordeten Verteidiger der Republik fing nach der Jahrtausendwende an, lauter zu fragen, wo ihre Großeltern geblieben waren. Mit ihrem Drängen stößt sie bis heute bei offiziellen Stellen auf Hindernisse. Die Türen zu den Akten blieben lange Zeit für die an einer kritischen Aufarbeitung Interessierten verschlossen. Im Zweifelsfall kam das Gesetz über den Schutz von Staatsgeheimnissen aus der Franco-Zeit zur Anwendung, das bis heute gilt. Wer sich den Zugang in die Archive erkämpfte, erlebte ein gestaffeltes System der Verhinderung: Akten waren verschwunden, verlegt, nicht auffindbar. Die relevanten Archive in Spanien sind bis heute systematisch unterbesetzt. 2018 arbeiteten in den 23 Archiven des Militärs 28 Archivare.

Spanien ist nach Kambodscha weltweit das Land mit den meisten Massengräbern. Sie sind über das ganze Land verteilt. Eine offizielle Kartierung gibt es bis heute nicht. Eine staatliche Datenbank mit der DNA der »Verschwundenen« existiert nicht. Das ist der Grund, warum die Opferzahlen für die Franco-Diktatur eine große Schwankungsbreite haben. Ging man im Jahr 2000 z. B. noch von 30 000 Verschwundenen aus, sind es jetzt weit mehr als hunderttausend, von denen bis heute jede Spur fehlt. Und es werden immer noch mehr.

Den Spaniern, die nach 1975 eine Schule besucht haben, wurde das wahre Ausmaß der Verbrechen nicht vermittelt. Ein Team der Universität von León untersuchte die Lehrmaterialien im Fach Geschichte der Mittel- und Oberstufe. Die Wissenschaftler kamen nach dreijähriger Arbeit zu folgenden Schlussfolgerungen: Die Ursachen für den Ausbruch des Bürgerkriegs werden oft falsch dargestellt. Landläufig wird erklärt, »das Chaos in der Zweiten Republik« sei die Ursache gewesen, nicht der Putsch der Militärs um Franco. Es wird von »Erhebung« gesprochen oder von einem »Bruderkrieg«, nicht vom Putsch der Generäle.

Die Zeit der Diktatur nach dem Ende des Bürgerkriegs und die Verfolgung und Unterdrückung der unterlegenen Republikaner werden im Schulunterricht weitgehend ausgeblendet. Die Diktatur wird als eine »nichtdemokratische Regierung« umschrieben. Franco wird mit seinem Titel als »Generalissimus« geführt, nicht der Diktator genannt. Ausgespart wird die Rolle der Kirche als Unterstützerin der Diktatur ebenso wie der Widerstandskampf gegen Franco. Eine der Folgen: Die faschistische Hymne ist einer der beliebtesten Titel bei Spotify Spanien und wird – vor allem von jungen Leuten – millionenfach heruntergeladen.

Noch heute erscheinen Bücher, die von der Zensur der Diktatur verschandelt wurden. Der spanische Philologe Jordi Cornellà gibt als Beispiel die spanische Ausgabe von Ernest Hemingways Roman »Über den Fluss und in die Wälder« an. Im Original steht die Dialogzeile »Sind Sie lesbisch?«, in der spanischen Ausgabe »Sind Sie normal?« Spanische Verlage verkaufen die zensierten und zusammengestrichenen Texte von weltbekannten Autoren wie George Orwell, Ian Fleming, Henry Miller oder James Baldwin bis heute.

Spanier lesen in den Nachschlagewerken wie dem Diccionario Biográfico Español de la Real Academia de la Historia in der Ausgabe von 2011, dass Diktator Franco ein »verdienter Militär« war und die Diktatur »autoritär, aber keinesfalls totalitär« gewesen sei. Der Autor des biografischen Artikels war der frühere Hofbiograf Francos, Luis Suárez Fernández.

Unzählige Mythen sind über Franco im Umlauf. Er sei der Vater der Sozialversicherung, da sind sich viele Spanier sicher. Er war es nicht. Sie wurde bereits im Jahr 1883 eingeführt. Da war er noch gar nicht geboren. Franco habe den bezahlten Urlaub eingeführt – hat er nicht. Das entsprechende Gesetz stammt von 1918. Auch die staatliche Rente führte Franco nicht ein, sie datiert aus dem Jahr 1919. Die ihm zugeschriebene systematische Bewässerung Spaniens fußte auf dem Plan Gasset, und der stammt aus dem Jahr 1902. Franco gründete auch keine großen Unternehmen, weder die Telefónica (1924) noch die Fluglinie Iberia (1927). Auf ihn gehen weder die Unterstützung kinderreicher Familien noch die Alphabetisierung, der Schutz der Blinden, der Mindestlohn, die Witwenrente, die Berufsausbildung oder die Schulpflicht zurück. Aber viele Spanier glauben weiter fest daran.

An vielen Orten stößt man auf Symbole der Diktatur. Das Emblem an den Kasernen der paramilitärischen Guardia Civil zeigt bis heute das faschistische Rutenbündel. Man sieht das franquistische Wappen an Rathäusern. Denkmäler preisen den »glorreichen Kreuzzug« der Franco-Armee, und Hunderte Straßennamen halten das Gedenken an die Diktatur lebendig. In vielen Orten gibt es noch die Plaza del Caudillo, mit der Franco gehuldigt wurde. Der Schlachtruf der Franquisten »Arriba España« findet sich ebenso wieder, wie Straßen nach der División Azul benannt sind, die Franco an Hitlerdeutschland zur Unterstützung im Krieg gegen die Sowjetunion auslieh.

Das furchtbarste Monument der Diktatur befindet sich eine Autostunde außerhalb Madrids: El Valle de los Caídos, das Tal der Gefallenen. Offiziell ist es Mahnmal und Grabstätte für die Toten des spanischen Bürgerkrieges. Den Ort für das Bauwerk in der kastilischen Hochebene hatte Franco unmittelbar nach Ende der Kämpfe 1939 persönlich ausgesucht. Zwei Jahre später begannen die Arbeiten auf dem 1400 Hektar großen Gelände. Hunderttausende Tonnen Fels wurden gesprengt, um Platz für die Basilika, ein Kloster, Pilgerunterkünfte und Ähnliches zu schaffen. Die Bauarbeiten dauerten insgesamt 18 Jahre und kosteten nach heutiger Kaufkraft 3,5 Milliarden Euro.

Zum 20. Jahrestag des Sieges der Franquisten weihte der Diktator das Monument ein. »Der Bürgerkrieg war kein Bruderkrieg, sondern ein Kreuzzug für das wahre Spanien«, sagte er damals in seiner Eröffnungsrede. »Unser Sieg war ein Sieg für die Einheit des spanischen Volkes.« Deshalb sollten an diesem Ort die Gebeine der Toten von beiden Bürgerkriegsparteien beerdigt werden. Platz genug hatte man geschaffen. Bis zu 150 000 Tote konnten hier ihre letzte Ruhe finden. Niemand wollte zunächst seine Angehörigen ins »Tal der Gefallenen« bringen lassen. Die Sieger nicht und die Besiegten erst recht nicht. Doch Franco setzte seinen Willen durch. Aus allen Teilen Spaniens ließ er die sterblichen Überreste der Toten des Bürgerkrieges heranschaffen. Insgesamt sind es die Gebeine von 34 000 Menschen.

War die Ankündigung zur Versöhnung wenig glaubhaft, machte die unterschiedliche Behandlung der Toten die Absicht der Sieger deutlich. Die 22 000 toten Franco-Anhänger sind namentlich erfasst und registriert, die sterblichen Überreste der 12 000 toten Republikaner schüttete man namenlos zu einem Berg Knochen in die Gruften. Lediglich zwei Gräber waren namentlich gekennzeichnet: das des 1975 verstorbenen Diktators sowie des 1936 erschossenen Gründers der faschistischen Falange José Antonio Primo de Rivera.

Am 24. Oktober 2019 wurde der Leichnam Francos nach mehreren vergeblichen Versuchen auf einen kleinen Friedhof am Stadtrand von Madrid umgebettet. Der Diktator liegt nun in Mingorrubio, nahe der gleichnamigen Kolonie, die für die Leibgarde Francos und deren Familien errichtet wurde. Unweit befindet sich der Palast, in dem Franco zu seinen Lebzeiten den größten Teil des Jahres verbrachte.

Nicht wenige fürchten, dass Mingorrubio zur nächsten Pilgerstätte der Rechtsradikalen werden könnte. Bis heute findet am Todestag des Caudillos in vielen spanischen Kathedralen die Totenmesse statt, bei der für die Seele des Diktators gebetet wird. Jahr für Jahr kommen im ganzen Land Anhänger Francos zusammen, die ihm mit dem faschistischen Gruß, dem hochgereckten rechten Arm, huldigen.

Was wäre geschehen, wenn es in Spanien einen Bruch mit der Vergangenheit gegeben hätte? Die Institutionen der Diktatur wären verboten worden; man hätte die Schuldigen zur Verantwortung gezogen und ihr Eigentum beschlagnahmt; ihre Ideologie wäre Gegenstand des Geschichtsunterrichts, man hätte ihre Symbole verboten. Dies wäre einhergegangen mit der Aufarbeitung der Unterdrückung während der Diktatur, mit der Anerkennung und Entschädigung ihrer Opfer. Sie hätten Anspruch auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

Das alles ist bislang unterblieben.

Wie alles begann

Spanien verliert den Status einer Großmacht – Das Militär wird zum Staat im Staate – Krieg in Spanisch-Marokko – Ein junger Oberleutnant macht Karriere – Spanien feiert Franco als Kriegsheld – General Primo de Rivera erhebt sich zum Militärdiktator – Deutsches Giftgas gegen die aufständischen Berberstämme – Franco wird zum jüngsten General Europas befördert

Spanien war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in großer Not. Die Staatsfinanzen waren ungeordnet und die innenpolitischen Verhältnisse chaotisch. In 120 Jahren registrierte man mehr als 100 Regierungen, zwei Dutzend Militärputsche und zwei Bürgerkriege. Weltpolitisch war die einstige Großmacht nahezu bedeutungslos geworden.

Das Land hatte eine bewegte Vergangenheit: Im Jahr 711 drangen Araber in das christliche Reich der Westgoten ein. Im 8. Jahrhundert hatten sie die Iberische Halbinsel besetzt. Ihr Erfolg war wesentlich auf die Stärke ihrer Kampftruppen zurückzuführen, die mehrheitlich in Nordafrika rekrutiert wurden. Die indigene Bevölkerung Marokkos, Tunesiens und Algeriens fasst man unter der Bezeichnung Berber zusammen. Sie selbst benennen sich nach ihrer Stammeszugehörigkeit z. B. als Rif-Kabylen oder Tuareg.

Nach der Eroberung der Iberischen Halbinsel wurden sie in Spanien sesshaft. Man nannte sie dort Moros (Mauren). Sie errichteten einen eigenen Staat. Die arabische Aristokratie reklamierte nach dem militärischen Sieg durch die Berber den Führungsanspruch aber für sich. Es kam zu zahllosen Aufständen. Jahrhundertelang versuchten die Christen, das Land zurückzuerobern, was ihnen Stück für Stück gelang. 1492 ergab sich der letzte maurische Herrscher im übrig gebliebenen Andalusien.

Spanien kam unter die Herrschaft der Habsburger, die mit gezielter Hochzeitspolitik ihren Erzrivalen Frankreich schwächen wollten. 1496 heiratete Philipp I. von Österreich Johanna von Kastilien, seine Schwester den spanischen Thronfolger. Philipps Sohn Karl I. wurde mithilfe des Finanziers Jakob Fugger auch »Erwählter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches«. Danach teilten sich die Habsburger: Sohn Philipp II. wurde König von Spanien, sein Onkel Ferdinand wurde römisch-deutscher Kaiser.

Mit der Eroberung Amerikas im 16. Jahrhundert war Spanien zur europäischen Großmacht aufgestiegen. Drei Jahrhunderte lang beutete es seine Kolonien aus, schaffte Tausende von Tonnen Silber und Gold mit Schiffen nach Europa. Im 17. Jahrhundert befand sich das Land auf dem Höhepunkt seiner Macht. Spanien hatte die Herrschaft über Portugal und seine überseeischen Kolonien in Amerika und Asien übernommen, weil der letzte König ohne Nachkommen gestorben war. Ein Weltreich zu verteidigen kostete sehr viel Geld. Spanien führte Kriege gegen Osmanen, Franzosen, Engländer und Niederländer.

Zum Verhängnis wurde den Habsburgern, dass sie ihre beiden Linien immer wieder miteinander verheirateten – Macht ging vor Gesundheit. 200 Jahre herrschten sie in Spanien, dann zahlten sie den Preis für die fortwährende Inzucht: 1700 starb mit Karl II. die Linie der Habsburger in Spanien aus. Seine Eltern waren Nichte und Onkel, der Inzuchtfaktor hatte mit ihrem Sohn den Spitzenwert erreicht. Er lernte erst mit acht Jahren laufen und litt unter Infantilismus und Geistesschwäche. Im Volk hieß er El Hechizado (der Verhexte). Auch ging das Gerücht um, er wäre ein Mädchen, weil es den Eltern nicht gelungen sei, einen Thronerben zur Welt zu bringen.

In geistiger Umnachtung vererbte Karl II. das spanische Königreich dem Enkel des französischen Königs Ludwig IV., dem Bourbonen Philipp von Anjou. Diese Ausdehnung des französischen Einflussgebiets löste in Europa schwere Konflikte aus, die im Spanischen Erbfolgekrieg mündeten. Aus diesem gingen die Bourbonen siegreich hervor. Auch sie herrschten 200 Jahre und ihre Nachfahren stellen das heutige spanische Königshaus. Waren die Habsburger an ihren hervorstehenden Unterkiefern, der gewölbten Unterlippe und einer weit nach unten reichenden Nase zu erkennen, so stellten die Hofmaler wie Goya die Bourbonen vor allem in ihrer Korpulenz dar.

Anfang des 19. Jahrhunderts begannen sich die lateinamerikanischen Untertanen gegen die spürbar geschwächte spanische Herrschaft aufzulehnen und nach dem Sieg ihre Unabhängigkeit zu erklären. Kurz vor der Jahrhundertwende verlor Spanien 1898 noch die letzten Besitzungen Kuba, Puerto Rico und die Philippinen an die aufkommende Großmacht USA. Das besiegelte das Ende Spaniens als Großmacht. Vor allem das Militär sorgte sich um seine künftige Rolle, denn es hatte in den Kolonialkriegen versagt.

Anstatt die Ursachen in der desolaten Organisation und Ausbildung der Truppe zu suchen, machten die Generäle die Politiker für das Kolonialdesaster verantwortlich. Die Regierung wich vor dem Druck der Armee zurück. Sie verabschiedete 1906 ein Gesetz, mit dem das Militär jede Form von Kritik an den Streitkräften und der Missachtung ihrer Symbole zur Anklage bringen und verurteilen konnte. Damit war die Armee zum Staat im Staate geworden. Zur völligen Wiederherstellung ihres alten Ruhmes fehlte ein Sieg auf dem Schlachtfeld. Geeignet erschien dafür die einzig noch verbliebene Kolonie im Norden von Marokko.

Seit 1497 war das marokkanische Melilla in spanischem Besitz. Häufig kam es zu Auseinandersetzungen mit den Berberstämmen. Die Konferenz von Algeciras 1906 teilte Marokko zwischen Frankreich und Spanien auf. Frankreich hatte ursprünglich den Anspruch auf ganz Marokko erhoben, war damit jedoch auf den Widerspruch Großbritanniens gestoßen, das die Meerenge von Gibraltar kontrollierte und keinen Konkurrenten duldete. Spanien war derart bedeutungslos, dass die Briten kein Problem damit hatten, die einstige Großmacht als Platzhalter ihrer Interessen zu tolerieren.

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Traditionelle Reiterspiele der Berber-Krieger

1909 kam es in der Nähe von Melilla wieder einmal zu Aufständen der Berber. Die spanische Armee wollte ihre Stärke dort unter Beweis stellen. Die Bedingungen dafür waren aber alles andere als gut: Die Truppe war schlecht ausgebildet, mangelhaft ausgerüstet und kopflastig: 18 000 Offiziere kommandierten 80 000 Soldaten. In ihren prunkvollen Uniformen waren die zahlreichen Kommandeure vor allem Operettendarsteller mit einem grenzenlosen Dünkel. Die Soldaten waren vor allem Analphabeten, die mit abgelegten Waffen aus dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, abgerissenen Uniformen und löchrigen Bastschuhen in den Kampf gegen die aufständischen Berber zogen.

Nach Melilla schickte die Militärführung zunächst vor allem Reservisten aus Katalonien, die eigens zu diesem Zweck einberufen worden waren. Wenige Tage nach ihrer Ankunft waren 500 von ihnen bereits gefallen und Tausende verwundet. Das rief Massenproteste in der Heimat hervor. In Barcelona kam es zur »Tragischen Woche«, bei der die Armee gegen die Demonstranten eingesetzt wurde und 120 von ihnen erschoss. Im Nachgang wurden mehr als 1700 verurteilt, mehrere von ihnen zum Tode.

Zur Verstärkung entsandte das Kriegsministerium Zehntausende reguläre Soldaten nach Marokko. Einer der Offiziere, die nach Nordafrika übersetzten, war der 19-jährige Oberleutnant Francisco Paulino Hermenegildo Teódulo Franco y Bahamonde Salgado Pardo. Seine Herkunft war schlichter, als der Name vermuten ließ: Der Vater war Zahlmeister der Marine im galizischen Ferrol. Sein Sohn war kleinwüchsig, schmal und wirkte schüchtern. Entsprechend fiel sein Spitzname aus: Cerrillita – das Streichhölzchen. Mit 14 Jahren war er zur Militärakademie nach Toledo geschickt worden. Was er aus den nachfolgenden Jahren des Drills und der patriotischen Gehirnwäsche mitnahm, waren vor allem der Glaube an die Überlegenheit Spaniens, blinder Gehorsam und heroischer Mut, für das Vaterland zu sterben. Sein Studienabschluss war hingegen mehr als mittelmäßig: Er belegte in den Prüfungen Platz 251 von 312.

Das waren seine Ausgangsbedingungen, als der 1,65 Meter große Franquito, der kleine Franco, wie er auch genannt wurde, 1912 in Melilla von Bord des Truppentransporters ging. Wie sollte er seine Soldaten, zumeist kräftige Bauernburschen, die ihm an Körpergröße deutlich überlegen waren, mit seiner leisen Fistelstimme kommandieren? Franco fand das einzige Mittel, aus diesem Dilemma herauszukommen: Er wurde ein pingeliger Kommandeur. Schnell hatte er drakonische Strafen bei der Hand, um keine Zweifel an seiner Führungsfähigkeit aufkommen zu lassen. Einen Soldaten, der einem Vorgesetzten aus Protest die Suppe über die Hose gekippt hatte, ließ er kurzerhand erschießen.

Bereits beim ersten Gefecht stellte der schmächtige Oberleutnant fest, dass er angstfrei war. Auf dem Pferd blieb er noch hochaufgerichtet, wenn die Kugeln um ihn herumflogen. Bald sprach sich herum, dass ihm von einem Scharfschützen die Kaffeetasse aus Hand geschossen worden war. Die einzige Reaktion sei gewesen, dass er mit ruhiger Stimme um eine neue bat. Das brachte ihm bei Mannschaften und Offizierskameraden Respekt, gar Hochachtung ein.

Er wechselte zu den Regulares, einem Verband des spanischen Heeres, der seine Soldaten vor allem in der einheimischen Bevölkerung von Spanisch-Marokko, den Moros, rekrutierte. In der neuen Einheit zeigte sich eine weitere Eigenschaft, die Franco sein Leben lang begleitete: Er war mitleidlos. Was er bei seinen Soldaten im Gefecht beobachtete, hätte schwächer besaiteten Charakteren den Magen umgedreht. Den Feinden wurden erst die Ohren und dann der ganze Kopf abgeschnitten. Die Ohren wurden als Trophäen aufgefädelt, die Köpfe aufgespießt. Eine besonders schreckliche Tötungsart der Regulares war es, dem Feind erst den Bauch aufzuschlitzen, um ihn anschließend mit seinen eigenen Därmen zu erdrosseln. Gefangene wurden nicht gemacht.

Franco bemerkte, dass diese Rituale bei den Feinden Panik erzeugten. So wie sich seine Einheit im Kampf durch Grausamkeit hervortat, so folgte sie in der Kaserne jedem Befehl ihres kleinen Kommandeurs in blindem Gehorsam. Dafür sorgte Franco mit gnadenloser Härte und erzeugte jene Angst, die er fortan als probates Mittel zur Machtausübung einsetzte. Das fiel seinen Vorgesetzten auf, und er wurde zum jüngsten Hauptmann der spanischen Armee befördert.

Nur ein Jahr später sollte Franco auf Vorschlag des Hochkommissars für Spanisch-Marokko aufgrund neuer Verdienste im Feld zum Major befördert werden. Gleichzeitig wollte man ihn mit dem höchsten Militärorden Spaniens, dem Gran Cruz Laureada de San Fernando, auszeichnen. Dagegen legte das Verteidigungsministerium in Madrid ein Veto ein. Die Karrieresprünge des 23-jährigen Franco hatten wie ein Lauffeuer in Spanien die Runde gemacht. Den Offizieren ohne Fronteinsatz waren sie besonders sauer aufgestoßen, denn bei ihnen erfolgte die Beförderung streng nach dem Dienstalter.

Franco wandte sich vorschriftswidrig direkt an seinen Oberbefehlshaber König Alfonso XIII., um die Beförderung zu bekommen. Der ließ sich über den kecken Offizier berichten und stimmte dem Anliegen zu. Franco wurde der jüngste Major in Europa. Den Orden bekam er nicht. (Er verlieh ihn sich 1939 selbst.) Die Beförderung durch den König steigerte die Empörung. Die Zukurzgekommenen gründeten Juntas de Defensa (Verteidigungsräte), eine Art Offiziersgewerkschaft, die sich um Angleichung von Sold und Beförderungschancen an die Africanistas, die in Marokko dienenden Offiziere, kümmern sollte.

Franco hatte einen Dienstgrad erreicht, für den es in Marokko keine Verwendung mehr gab. Er kehrte 1917 in die Heimat zurück. Hier erwartete ihn eine Überraschung: Man empfing ihn wie einen lange vermissten Helden. Der Bürgermeister der asturischen Hauptstadt Oviedo verlieh ihm den Goldenen Schlüssel der Stadt. Hier heiratete er 1923 seine Verlobte Maria del Carmen. Der König stellte dem Hochzeitspaar den Militärgouverneur von Oviedo als seinen persönlichen Trauzeugen zur Seite. Eine riesige Menschenmenge feierte das Paar. Aus allen Landesteilen kamen Glückwünsche. In Madrid titelte eine Zeitung ihren Bericht »Die Hochzeit eines heroischen Caudillos«. Der Titel eines Führers (Caudillo) wurde Francos Markenzeichen.

In den Bergen des Rif-Gebirges hatten die Kabylen, ein Berberstamm, Abd el-Krim zu ihrem lokalen Anführer gewählt. Er war Kadi (der oberste lokale Richter) in Melilla und arbeitete als Herausgeber der arabischsprachigen Beilage der spanischen Zeitung »Telegrama del Rif«. Zunächst war er ein Gefolgsmann der Kolonialherren, wollte gemeinsam mit ihnen das unwirtliche Gebiet erschließen und dort einen modernen Staat errichten.

In Europa tobte der Erste Weltkrieg. Der deutsche Konsul im spanisch-marokkanischen Tetuán, Walter Zechlin, nahm Kontakt zu Abd el-Krim auf. Er sagte ihm Unterstützung im Kampf um die Unabhängigkeit in ganz Marokko zu. Das wertete Frankreich als deutsche Kriegsaktion und beschuldigte den Diplomaten der Aufwiegelung von Einheimischen. Zechlin wurde auf Bitten der spanischen Regierung an die Botschaft in Madrid versetzt. Abd el-Krim kam ins Gefängnis.

1919 drohte Frankreich, Spanien solle sein Protektorat nicht nur an wenigen Punkten, sondern flächendeckend verwalten. Andernfalls müsse es damit rechnen, seinen Teil an Frankreich zu verlieren. 1921 begann Spanien eine militärische Offensive, die auf den erbitterten Widerstand der Rif-Kabylen stieß. Die Spanier setzten vor allem die Regulares ein. Der Vormarsch war unkoordiniert und ohne funktionierende Kommunikation, sodass die Truppen schnell in die Defensive gerieten.

Abd el-Krim, dem Führer der kabylischen Guerrilla, gelang es, die spanischen Soldaten einzukreisen. Panisch zogen sie sich zurück. Die Aufständischen nahmen über 20 spanische Stützpunkte ein und töteten deren Besatzungen. Die gesamte spanische Militärstruktur in Spanisch-Marokko brach zusammen. Ein Teil der Truppen wurde mit Kriegsschiffen evakuiert, ein anderer floh in die französische Zone. Es verblieben einzig die spanischen Brückenköpfe Melilla und Ceuta.

Der Hochkommissar des spanischen Protektorats handelte mit der Führung der Rif-Kabylen die Kapitulation aus. Das spanische Militär erlitt eine demütigende Niederlage. Ein Bericht des Parlaments listete die beschämenden Details der Niederlage auf: 13 363 Spanier wurden getötet oder vermisst. Die aufständischen Berber hatten nur 1000 Mann verloren, erbeuteten aber 20 000 Gewehre, 400 Maschinengewehre und 129 Artilleriegeschütze.

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Der Anführer der Rif-Kabylen, Abd el-Krim (1882–1963)

Nach dem großen Sieg wählten die Stämme des Rif Abd el-Krim zum Emir. 1923 rief er die unabhängige Republik aus, schaffte eine Vertretung aller Stämme und begann mit dem Bau von Straßen, Brücken und Telefonverbindungen. Weltweit wurde der Berberführer zum Idol des antikolonialen Kampfes. Wer in Spanien Sympathien mit dem Kampf der Rif-Kabylen äußerte, den verfolgten die Behörden wegen feindlicher Propaganda und Hochverrats. Die Kommunistische Partei wurde verboten. Innenpolitisch hatte das militärische Desaster in Marokko gravierende Folgen. Erneut überdeckte das Militär seine Niederlage und schob die Schuld den Politikern in die Schuhe.

Spanien war zu dieser Zeit ein Land, in dem die Ungerechtigkeit bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zum akuten Problem geworden war. Auf dem Land war der Grundbesitz zunächst die traditionelle Basis der alten Eliten. Mit ihren Gewinnen diversifizierten sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in die Schifffahrt, den Bergbau oder den Handel. In der parlamentarischen Demokratie hatten sie jene Regierungsform gefunden, die ihre Interessen angemessen vertrat. Doch mit dem Anwachsen der organisierten Arbeiterschaft in Industrie und Landwirtschaft wurde die Frage akut, ob das künftig noch gelten würde. Die russische Revolution von 1917 war in Spanien auf viel Zustimmung gestoßen und bot die Blaupause, um die scheinbar auf Ewigkeit angelegten Verhältnisse zu ändern.

Die alten Familien, die im Land herrschten, forderten daher das Eingreifen des Militärs zur Absicherung ihrer Macht. Der Generalkapitän von Katalonien, General Miguel Primo de Rivera, putschte 1923 und errichtete mit Zustimmung des Königs eine Militärdiktatur, die bis 1930 dauerte. Die spanische Verfassung aus jener Zeit sah vor, dass der König befugt war, die zivile Regierung durch die Machtübergabe an das Militär abzulösen.

Der Diktator Primo de Rivera brauchte zur Legitimierung seiner Herrschaft einen Sieg in Marokko. Dazu bedurfte es neuer schlagkräftiger Truppen. Oberstleutnant Millan Astray, ein Held der Kolonialkriege auf den Philippinen, hochdekoriert und mit Kriegsverletzungen übersät, schlug vor, eine Fremdenlegion nach französischem Vorbild zu schaffen. Mit dieser Truppe wollte er die militärische Lage in Nordafrika nachhaltig verbessern. Er erhielt das Kommando. Als er den jungen Kriegshelden Franco in Madrid traf, bot er ihm an, sein Stellvertreter zu werden. Der nahm das Angebot mit Freuden an.

Söldner wurden in der ganzen Welt angeworben. Das größte Kontingent stellten die benachbarten Portugiesen, das zweitgrößte die Deutschen. In deutschen Zeitungen erschienen Anzeigen, die auf das Hauptanwerbebüro in Hamburg verwiesen. Die Söldner mussten sich für fünf Jahre verpflichten. Der Gründer der spanischen Legion hatte einen umfangreichen Katalog von Prinzipien, Regeln, Bekleidungsvorschriften und Vorgaben zur Bewaffnung ausgearbeitet.

Zwölf Gebote hatten die Legionäre zu befolgen. Sie sollten stets versuchen, die Distanz zum Feind auf Messerlänge zu verkürzen. Ein Kamerad durfte nie auf dem Gefechtsfeld zurückgelassen werden. Auf seinen Ruf »Zu mir, Legion« war einem Bedrängten zu Hilfe zu eilen. Der Leitsatz lautete: »Die Legion fordert den ständigen Kampf, ohne Pause und ohne die Tage, die Monate oder die Jahre zu zählen!« Die größte Ehre für einen Legionär war es, zu sterben. Daraus entwickelte sich ein regelrechter Todeskult.

Aus diesem ideologischen Überbau entwickelte sein Stellvertreter Franco die Praxis im Alltag des Krieges. Er forderte unbedingten Gehorsam, ahndete wie vordem gnadenlos jeden Verstoß und ließ dafür seinen Soldaten freie Hand beim Umgang mit den Feinden. Bald hatte die Legion die gleichen grausamen Praktiken des Ohren- und Kopfabschneidens und Schändens der Leichname übernommen, wie sie die Regulares ausübten.

Der Militärdiktator Primo de Rivera machte sich 1925 auch zum Hochkommissar von Spanisch-Marokko. In dieser Eigenschaft wandte er sich an die deutsche Reichswehr mit der Bitte, ihm bei der Beschaffung von Giftgas zum Einsatz gegen Abd el-Krim und seine Rif-Kabylen behilflich zu sein. Deutschland war weltweit die erste Adresse für diesen Kampfstoff. Entwickelt hatte ihn der Chemiker und Nobelpreisträger Fritz Haber vom Kaiser-Wilhelm-Institut. Tausende Tonnen wurden im Ersten Weltkrieg produziert, ausreichend, um die gesamte Menschheit zu vernichten.

Der Versailler Vertrag von 1919 ordnete die Vernichtung der Giftgasbestände an. Wenige Monate nach Vertragsabschluss ereignete sich im Giftgas-Sammellager Breloh eine Großexplosion. Bis heute hält sich der Verdacht, dass sie von den Militärs inszeniert wurde. Das Ergebnis war ein komplettes Chaos, niemand wusste mehr, was explodiert und was noch übrig geblieben war.

Deutschland lieferte Spanien heimlich 500 Tonnen Giftgas. Flugzeuge versprühten es über dem Rebellengebiet im Rif-Gebirge. Es war der erste Aerochemische Krieg der Menschheitsgeschichte. Die Deutschen arbeiteten eine spezielle Verseuchungsstrategie für Spanisch-Marokko aus: Das Giftgas wurde vor allem im Hinterland über den Feldern und Dörfern versprüht. Ziel war es, die zivile Unterstützungsbasis der Guerrilleros von Abd el-Krim zu zerstören. Viele Rif-Kabylen starben. Die Überlebenden mussten ihre Siedlungsgebiete verlassen.

Auch französische Truppen griffen in den Kampf gegen die Rif-Guerrilleros ein. Sie waren überrascht, dass die Berber nicht panisch vor ihnen flohen, sondern im Gegenangriff die französischen Linien durchbrachen und kurz davorstanden, Fès einzunehmen. Der Kommandeur der französischen Truppen in Afrika, der Held des Ersten Weltkriegs Marschall Philippe Pétain, vereinbarte daraufhin mit Primo de Rivera ein koordiniertes Vorgehen gegen die Berberrebellen.

Spanien entsandte 75 000 Mann. Oberst Franco führte die Vorhut an. Planungsfehler und eine chaotische Organisation führten schnell zum Zusammenbrechen des Angriffs. Franco hielt sich nicht an den Rückzugsbefehl und errichtete mit seinen Legionären einen Brückenkopf, der zum Ausgangspunkt der Vereinigung mit den französischen Truppen wurde. Gemeinsam gingen sie gegen die Berbertruppen vor.

Angesichts der militärischen Übermacht musste sich Abd el-Krim im Mai 1926 ergeben. Er wurde auf die französische Insel Réunion im Indischen Ozean verbannt, wo er starb. Franco wurde mit 33 Jahren zum jüngsten General Europas befördert. Zurück in der Heimat erhielt er das prestigeträchtige Kommando über die 1. Brigade der 1. Division in Madrid.

General Franco wird politisch

Kolonialkrieger übernehmen die Führung der Streitkräfte – Das Ende von Diktatur und Monarchie – Aufruhr in der Zweiten Republik – Franco schlägt den Aufstand in Asturien nieder – Der Anarchismus auf dem Vormarsch – Die Rechten schließen sich zusammen – Der Putsch beginnt

In Madrid begrüßte man den jungen Kriegshelden ebenso begeistert wie zuvor in Oviedo. Er war bald ein gern gesehener Gast bei den exklusivsten Gesellschaften und genoss das Leben in den Offizierskasinos und Herrenclubs. Er nutzte die Zeit, sich mit Generälen zu treffen, und etablierte ein breitgefächertes persönliches Netzwerk. Es bildete sich eine Bruderschaft der Africanistas. Ihre Mitglieder waren Heerführer, die den Krieg in Marokko miterlebt hatten und sich absetzten von den Etappenhengsten, die sie verachteten. Der Krieg in Marokko hatte eine neue Führungsschicht in der spanischen Armee geschaffen. Angesichts der unübersichtlichen Lage im eigenen Land sah sie die Lösung in der Übernahme der direkten Verantwortung durch das Militär.

Die Diktatur von Primo de Rivera hatte sich als unfähig erwiesen, die Probleme des Landes zu lösen. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 versetzte der schwachen spanischen Ökonomie einen harten Schlag. Die Verschuldung des Staates stieg sprunghaft an, die spanische Währung befand sich im freien Fall, und die Arbeiterschaft protestierte gegen den sozialen Niedergang. Missernten beeinträchtigten die Versorgung, und die politischen Parteien aller Richtungen befanden, dass sechs Jahre Militärherrschaft genug seien. Am 30. Januar 1930 trat Primo de Rivera zurück.

Quer durch alle politischen Parteien bildete sich eine Bewegung, die nicht nur die Diktatur, sondern auch die Monarchie in Spanien beenden wollte. Das Militär war in dieser Frage gespalten. Die Offiziersgewerkschaft, die das Heimatheer vertrat, tendierte gegen den König, die Africanistas hielten ihm die Treue. Die Trennung ging quer durch die Familie Franco: Der General war königstreu, sein Bruder Ramón, ein Militärflieger, der wegen Ungehorsams entlassen worden war, hielt es mit den Verschwörern. Er flog am 15. Dezember 1930 über den Königspalast mit der Absicht, den Regenten mit einer Bombe zu töten. Der Plan misslang. Ramón Franco floh nach Paris.

Bei Wahlen im April 1931 siegten die Gegner der Monarchie. König Alfons XIII. erkannte das Votum an und ging nach Paris ins Exil. Auf den Thron verzichtete er nicht. Zum Abschied sagte er: »Die abgehaltenen Wahlen führen mir klar und deutlich vor Augen, dass ich heute nicht mehr die Liebe meines Volkes habe. Mein Gefühl sagt mir allerdings, dass diese Verirrung nicht von Dauer sein wird.«

Die Zweite Republik (die Erste Republik wurde 1873 ausgerufen und bestand nur 23 Monate) hielt Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung ab. Daraus gingen die Parteien der Linken und der Mitte mit 400 Abgeordneten gegen 80 Sitze für die Rechte siegreich hervor. Hauptziel ihrer Politik wurde es, eine Agrarreform auf den Weg zu bringen, mit der sie sich den Widerstand der Landbesitzer und der mit ihnen verbündeten Kräften zuzogen. In der neuen Verfassung verankerten sie die Trennung von Kirche und Staat. Das war in einem der katholischsten Länder der Welt ein klarer Affront, der die Gesellschaft tief spaltete. Der dritte Schritt, eine Militärreform mit dem Ziel einer radikalen Verkleinerung des aufgeblähten Offizierskorps, rüttelte an der wichtigsten Säule der traditionellen Machtverhältnisse Spaniens.

General Franco spürte die Folgen gleich in mehrfacher Hinsicht: Seine Karriere, die bislang glanzvoll verlaufen war, geriet deutlich ins Stocken. Es war ein offenes Geheimnis, das er der nächste Hochkommissar für Spanisch-Marokko werden wollte. Der neue Kriegsminister Manuel Azaña sorgte dafür, dass er den begehrten Posten nicht erhielt. Der Intellektuelle aus reichem Haus wurde zum persönlichen Widersacher des Kriegshelden. Die zahlreichen Auseinandersetzungen, die er sich fortan mit Franco lieferte, führten zu dessen wachsender Abneigung gegen die Republik.

Den nächsten Stich versetzte ihm Azaña, der mittlerweile zum Ministerpräsidenten aufgestiegen war, mit der Ernennung des ungeliebten Bruders Ramón Franco zum Generaldirektor für Luftfahrt der Republik. Dann traf es die Africanistas, die bei der Reduzierung des Offizierskorps überproportional ausgesondert wurden. Das belastete deren Verhältnis zur neuen Regierung schwer. Wer den Abschied bei vollen Bezügen wollte, musste sich binnen eines Monats entscheiden. Andernfalls verfielen alle Ansprüche auf Soldfortzahlung. Der nächste Schritt Azañas war es, die Militärakademie zu schließen, deren Direktor Franco mittlerweile geworden war. Er erhielt dennoch 80 Prozent seiner Bezüge.

Ungeachtet aller dieser Vorfälle hielt sich Franco in der folgenden Zeit von allen Putschplänen fern. Das erkannte der Regierungschef an. Azaña ernannte ihn zum Militärgouverneur von La Coruña und zum Kommandeur der Infanterie in Galizien. Es war eine besondere Geste, denn kurz darauf erging der Erlass, dass jeder Offizier ohne Dienststellung die Armee zu verlassen hatte. Franco revanchierte sich. Er lehnte es ab, der monarchistischen Unión Militar Española beizutreten, und weigerte sich, die Verteidigung des Anführers des Putsches von 1932, General José Sanjurjo, zu übernehmen. Diesem sagte er ins Gesicht: »Ich denke, dass Sie die Todesstrafe verdient haben.« Franco erhielt sogar das Angebot, Kriegsminister zu werden. Er lehnte ab, weil er glaubte, dass sich die Regierung nicht mehr lange halten würde. Azaña reagierte umgehend und stufte ihn auf der Beförderungsliste vom ersten auf den 24. Platz zurück.

1934 kamen die Rechten bei Wahlen an die Macht. Sie hatten gelernt, dass das neue Wahlsystem Koalitionen förderte, und sich zum Spanischen Bund Autonomer Rechtsparteien (CEDA) zusammengeschlossen. Ihr Hauptziel war es, die Maßnahmen der Vorgängerregierung zurückzunehmen. Das stieß auf den wütenden Protest derjenigen, denen sie zugutegekommen waren: den Landarbeitern, den nach Autonomie strebenden Regionen Katalonien und Baskenland sowie der Arbeiterschaft in Asturien und in den großen Städten. Der Generalstreik wurde ihr probates Mittel des Widerstands.

Die rechte Regierung verhängte das Kriegsrecht. In Katalonien und in Asturien begann ein sozialistischer Aufstand, die Regierung hob deren Autonomierechte auf. In Asturien hatten sich streikende Bergarbeiter bewaffnet und mehrere Städte angegriffen und besetzt. Am 5. Oktober 1934 marschierten sie in die Provinzhauptstadt Oviedo, die schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Universität, Banken und Regierungsgebäude wurden niedergebrannt, Brücken gesprengt, Straßen aufgerissen und viele Gebäude schwer beschädigt.

In Madrid suchte Franco den neuen Kriegsminister zum Antrittsbesuch auf. Der teilte ihm die Beförderung zum Generalmajor mit und bat ihn, bei der Aufstandsbekämpfung behilflich zu sein. Franco empfahl, seine kampferprobten Legionäre und Soldaten der Regulares aus Marokko zu holen. Das war ein schwerer Tabubruch angesichts der jahrhundertelangen arabischen Besetzung. Die Moros gegen Spanier in deren Heimatland einzusetzen, stieß selbst bei vielen Befürwortern eines harten Vorgehens gegen die Bergarbeiter auf Widerstand.

Franco setzte sich durch, und die Truppen aus Nordafrika kämpften in gewohnter Weise: Sie mordeten, verstümmelten und vergewaltigten. Binnen kurzer Zeit brach der Widerstand zusammen. Zurück blieben demoralisierte Arbeiter. Es war die Generalprobe für den Bürgerkrieg. Francos Methode, Angst und Schrecken zu verbreiten, hatte erneut funktioniert. 1335 Tote, 3000 Verletzte und 30 000 Inhaftierte waren die Bilanz. Viele verloren ihre Arbeit.