Andreas Otto

Erwachtes Leben

Eine etwas andere
Afrika-Reise

Books on Demand

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Wie oft haben Sie sich die Frage gestellt: ›Wie wäre es, wenn …‹, und dann den Satz mit Ihren Träumen oder Wünschen vollendet? Wer hat sich nicht schon oft, durch einen Film animiert oder durch ein Buch in den Bann gezogen, gedacht: ›Ich würde auch gerne mal …‹ oder ›So hätte ich gern gelebt, geliebt oder gefühlt‹? Ich glaube, jeder hat das schon tausende Male getan.

Auch ich fragte mich häufig: Warum sollte ich nicht auch einmal das tun, wovon ich träume? Ich ergriff die Möglichkeit, die sich ergab, und lebte endlich das aus, was in mir seit Jahrzehnten kochte. Ich wurde wach und lebte meinen Traum.

Tauchen auch Sie doch einmal aus Ihren Träumen auf und versuchen Sie, einen davon zu realisieren. Sie werden vielleicht erkennen, dass Sie schon viel zu lange zwei Leben geführt haben, ein reales und ein unerfülltes. Vielleicht erweckt dieses Buch auch Ihr aufgespartes Ego, um endlich mal das zu tun, was Sie schon immer wollten, nämlich den Teil Ihrer Persönlichkeit auszuleben, der noch in Ihnen schlummert.

Vor einiger Zeit ahnte ich noch nicht, dass ich mir jemals einen Lebenstraum erfüllen würde. Es war nicht die Erfüllung ›Viele Millionen auf dem Konto‹, von denen viele so träumen. Es war auch keiner der Träume, wie sie uns in den Medien so vorgelebt werden. Nein, mein Traum war ein ganz anderer. Und die Erfüllung dieses Traums ermöglichte mir, mich selbst zu entdecken.

Ich möchte Sie nun mitnehmen auf meine Reise des Erwachens, durch ein Land, das mein Leben gravierend verändert hat.

KAPITEL 1

Kaffeeträume

Unmerklich erschien ich auf einer Leinwand, die sich Leben nennt und war auf einmal um die vierzig. Vorher war ich irgendwie Kind, Jugendlicher und später ganz toll erwachsen. Ich wurde geheiratet, wurde auch Vater und hatte nach all dem Normalen eine innere, immer anhaltende Traumwelt in mir aufgebaut.

Oft verschwand ich in diese Welt, zog mich innerlich zurück, um mit meiner Welt, diesen Träumen allein zu sein. Da spielten sich die tollsten Erlebnisse ab, meist in anderen Ländern, wohin ich mich permanent sehnte. Es war mir meistens ganz egal, wohin ich mich auf dieser Welt sehnte. Hauptsache weg, weit weg und frei, in der Natur leben und ohne jede Verpflichtung.

Ich war ein alt gewordener Träumer, der zusah, wie seine Kinder größer wurden und sich sorgte, regelmäßig seine Rechnungen zu bezahlen. Na, eben eine ganz normale Großstadt-Marionette der Gesellschaft, angepasst, unauffällig und gewöhnlich.

Ich sah jeden Morgen in den Spiegel und fand mich selbst zum Kotzen. Wie sehr ich diese ganze Sch… hier hasste. Jeder Tag war gleich. Er begann mit Straßenlärm, der mich jeden Morgen verfolgte, wohin ich auch ging, bis ich jeden Morgen, wie immer so gegen 5:30 Uhr, am Arbeitsplatz ankam. Halb verschlafen, aber immer stets freundlich, begrüßte ich meine Kollegen und sie mich. Der ganz normale Wahnsinn nahm also zum abermillionsten Male seinen ganz normalen Lauf.

Gedanklich bei einer Fernsehwerbung vom Vortag, in der es um Sonne, Strand und Meer ging, mit einem Automatenkaffee in der Hand, schob ich mich durch das Büro, bis ich meinen Schreibtisch erreichte. Was für ein spannender Augenblick. Ich döste so vor mich hin, dachte immer noch an diesen Werbegag, der am Abend im Fernseher gelaufen war. Da wurde eine Frau gezeigt, die an einer Bushaltestelle steht, im Regen natürlich, und sich an einen Strand in die Karibik wünscht. Und schwupp – man glaubt es kaum – lag diese Süße doch wirklich am Strand ihrer Begierde. Mich machte diese Werbung wahnsinnig. Es war ja klar, was durch diese Werbung provoziert werden sollte. Logisch – Bedürfnisse! Und was für Bedürfnisse? Auch logisch – Urlaub! Aber bei mir löste diese Werbung nur Frust aus. Jedem zweiten Zuschauer wurde spätestens an dieser Stelle klar, was für ein armes Schwein er ist – kein Geld, keine Zeit, kein Urlaub! Da waren sie wieder, meine drei Probleme.

Mich überkam ein kurzer, aber gewaltiger Aggressionsschub, der sich anschaulich dadurch bemerkbar machte, dass ich meinen ach so geliebten Automatenkaffee auf dem Schreibtisch vergoss. Ein irrer Tagesbeginn, dachte ich nur und holte erst mal richtig Luft – um mich im nächsten Augenblick schon wieder der beneidenswerten Werbetante zuzuwenden, die es geschafft hatte, einfach mal soeben an den Strand zu verschwinden. Ich träumte noch so circa vier bis fünf Minuten vor mich hin, verlor die soeben entfachte Aggression, winkte meiner Lieblingskollegin zu und verlor auch so langsam den Verstand. Nein – nicht wegen der Kollegin!

Oh Mann, und das um kurz vor sechs. Warum musste ich nur ein solches Leben führen? Ich bin doch blöd, waren meine letzten Gedanken, und im selben Augenblick war ich am Strand. Blödsinn! Schön wär’s.

Ich wandte mich meiner Arbeit zu und war wie immer. Einer von Milliarden auf diesem Planeten. Boh, wie aufregend mein Leben doch war.

Am Abend, auf dem Heimweg, hielt ich bei meiner Mutter an und versprühte den Rest meiner Liebenswürdigkeit. Wie hielten Small Talk über dies und das, als würden wir ein Telefonat führen, als meine Mutter plötzlich sagte: »Hör mal, mein Junge, ich hatte dir vor einigen Monaten angeboten, eine Reise zu machen, die ich dir schenken möchte. Nur für dich, mal ohne Familie. Ich stehe noch zu meinem Angebot. Wie sieht’s aus?«

Ich war auf einmal hellwach. Innerlich lehnte ich mich ganz cool zurück, schob mir einen Zigarillo zwischen die Zähne und sah mich selbst als Clint Eastwood. Äußerlich hingegen legte sich meine Stirn in Falten, und Schweißperlen traten behutsam auf dieselben.

Es war vor etwa einem halben Jahr, als mich meine Mutter das erste Mal fragte, ob ich nicht einen Traum hätte, den ich mir gern mal erfüllen möchte. ›Na klar, hunderte‹ war damals meine erste Reaktion, und im selben Augenblick fielen mir mindestens zweihundert Gegenargumente ein. Da waren nicht zuletzt meine Kinder und meine Frau … Ich hatte zwar einen ganz gesunden Egoismus, den ich hin und wieder mal auch auslebte, jedoch so eine große Sache, wie ich sie mir vorstellte, kam überhaupt nicht in Frage. Na, wie auch immer, ich verwarf den Gedanken, träumte meine Träume und dankte meiner Mutter, die damals regungslos meine Entscheidung hinnahm.

Natürlich wusste meine Mutter nicht, warum ich abgelehnt hatte. Denn meine Vorstellungen, die ich hätte verwirklichen wollen, hätten wohl jedes Verständnis für Abenteuer im Keim erstickt. Wir sprachen zwar noch über meine nie ausgelebte Gier nach Freiheit und Abenteuer, der ich mein gesamtes Leben nachhinkte, ohne jemals darüber nachzudenken, ihr zu folgen und mein Leben zu leben.

Meine Mutter sah mich noch lange lächelnd an, dachte wohl an meinen verstorbenen Vater und sagte am Ende:

»Na, was ist? Du kannst es dir ja noch überlegen.«

Wie liebevoll diese Worte mich damals berührten. Nie werde ich vergessen, wie lange ich darüber gegrübelt habe, ob ich doch mal mein Ding machen sollte. Raus, endlich mal raus aus meiner Gesellschaftsjacke, die nicht nur viel zu eng war, sondern auch überhaupt nicht zu mir passte.

Als Kind war ich damals in Berlin aufgewachsen, hatte die Ferien in den Kärntner Bergen verlebt, dort unmerklich eine Hülle aus Naturenergien gebildet, die stärker und stärker wurde, um gewaltige Dinge zu durchleben. Jetzt, in einem Trümmerhaufen aus Muskeln, die ehemals trainiert worden waren, um bei körperlich herausfordernden Abenteuern nützlich zu sein, schleppte ich mich nun von Tag zu Tag einer gereiften Depression entgegen.

Wenn da nicht diese meine Gier nach Freiheit und die wiederholt gestellte Frage meiner Mutter gewesen wären – diese Frage, die mir nachhallte, als wäre ich in einer Höhle, durchbohrte meinen Bauch und mein Hirn. Ich war meinem Traum so nahe. Ich brauchte nur ›Ja‹ zu sagen! Was war denn daran nur so schwierig? Also nahm ich all meinen Mut zusammen, befragte meine Mutter, was ich an Möglichkeiten hätte und welchen finanziellen Spielraum sie mir geben wollte. Tausend Dinge schossen mir durch den Kopf. Ich musste sehr genau überlegen, was ich meiner Mutter erzählen würde, welche Art von Abenteuer ich mir so vorgestellt hatte, ohne ihr vor den Kopf zu stoßen. Das Gespräch ging dann noch circa zehn Minuten hin und her, bis wir beide wussten: Hier werden Männerträume wahr.

Mein Leben lang habe ich darauf gewartet, dass mich eine Kinoleinwand aufsaugt und in ein Abenteuer entführt. Meistens aber hoffte ich, dass mich irgendwie eine glückliche Fügung dahin bringen würde, wo ich mein halbes Leben lang hinwollte – in die Wildnis von Afrika!

Vielleicht denken Sie jetzt gerade ›Klar wäre es schön, seine Träume zu verwirklichen, aber wie?‹ Ich hoffe an dieser Stelle, dass es nicht am Geld liegt, was Sie daran hindert, denn das ist wirklich das größte Hindernis, das es zu überwinden gilt, um seine Träume zu erfüllen. Sollte sich jedoch herausstellen, dass nur Ihr eigener Wille oder Ihre Ängste sich dahinter verbergen, Ihre Träume zu verwirklichen, dann bitte ich Sie:

Legen Sie das Buch für kurze Zeit zur Seite, nehmen Sie sich einen Stift und schreiben auf ein großes Blatt Papier:

ICH ERFÜLLE MIR MEINEN TRAUM!

Hängen Sie dieses Papier gut sichtbar irgendwo in Ihren vier Wänden auf – und tun es einfach. Gehen Sie los und realisieren Sie Ihren Traum. Es wird wahrscheinlich niemand kommen, der Ihnen Ihre Ängste nimmt oder Ihnen eine Tüte Zeit vorbeibringt!

Nehmen Sie sich die Zeit, planen Sie in aller Ruhe, was Sie erfüllt haben wollen, und setzen Sie es in die Tat um. Sie werden sehen, Ihr Leben ändert sich ab sofort. Sollte irgendetwas dazwischenkommen, halten Sie weiter daran fest. Den Zweifel gibt es ab sofort nicht mehr!

Finden Sie selbst Lösungen, wenn sich in Ihrer Planung Fragen ergeben, auf die Sie selbst keine Antwort haben. Holen Sie sich Rat und Informationen, wenn Sie Hilfe benötigen. Machen Sie auch mal Kompromisse, wenn Sie glauben, dass Ihre gesteckten Ziele Sie überfordern und überwältigen. Stecken sie sich in Ihrer Planung kleine Ziele, um Ihrem Traum Schritt für Schritt immer näher zu kommen, und Sie werden sehen, alles geht, wenn Sie nur wollen.

Afrika –was für ein Wort, wie oft habe ich davon geträumt, in Afrika zu sein, die Wärme zu spüren, Gerüche wahrzunehmen, Laute zu hören und Situationen zu durchleben, die sonst nur in den spannendsten Filmen vorkamen.

Selbstverständlich waren dieses Wort AFRIKA, das damit verbundene Abenteuer und alles, was dann im Vorfeld an Planung und Vorbereitung noch kam, ein Reizthema für meine Frau. Denn als ich an diesem Abend nach Hause kam, gab es nur noch ein Thema. Natürlich hatten wir oft über mein Vorhaben gesprochen, auf das meine Frau jedoch sehr zurückhaltend reagierte und für das sie jedes Verständnis vermissen ließ.

Nun musste ich mir anhören, dass ich in einer Midlifecrisis stecken würde, dass ich undankbar und wahrscheinlich sogar depressiv war.

Vielleicht stimmten ja all die Vorwürfe. Aber niemand dachte darüber nach, dass mir einfach nur was fehlte. Diese Lust nach Freiheit, zu spüren, dass man lebt, richtig lebt! Und nicht nur das triste Dasein einer Wohlstands-Marionette zu führen, zu der ich hin erzogen wurde, ohne mich zu wehren.

Meine eigene Erkenntnis, zu wissen, was mir in meinem Leben noch fehlte, kam nur sehr langsam. Es waren persönliche Niederschläge, die ich habe verdauen müssen, ohne dass immer jemand anderes hierfür verantwortlich war. Da waren meine Scheidung, der Verlust meiner Arbeit, permanente Geldsorgen, schwere Erkrankungen, der Tod meines Vaters und noch viele kleine Nackenschläge, die mich oft innerlich zusammenfallen ließen. Wenn da nicht immer und immer wieder meine Familie gewesen wäre, die mir den Rückhalt in meinem Leben gab und dafür sorgte, dass ich trotz allem ein schönes Leben hatte. Und dennoch wuchs in mir eine Person, die etwas mehr wollte.

Afrika – endlich sollte ich ich selbst sein dürfen, denn darauf kam es mir an. Endlich würde ich sehen, was mir jahrelang verborgen blieb. Endlich würde ich spüren dürfen, was in mir steckt und wer ich eigentlich bin. Nie konnte ich leben, wie ich gerne leben wollte. Und nur mal so am Rande: Jeder Dritte, so glaube ich, lebt ein Leben, das überhaupt nicht zu ihm passt.

Nach meiner intensiven Unterredung mit meiner Mutter durfte ich mich nun über eine Menge finanzieller Zuwendung erfreuen und begab mich auf die Suche nach einem geeigneten Partner, der mit mir gemeinsam die Reise meines Lebens planen sollte.

KAPITEL 2

Die Planung

Draußen schneite es das erste Mal. Es war Anfang November, und ich hatte nicht einmal vier Monate Zeit, um mich vorzubereiten. Die folgenden Tage und Wochen verbrachte ich damit, mich körperlich und geistig auf diese Reise einzustellen.

Es war schon geplant, ein richtiges Abenteuer zu durchleben, ohne jedoch zu wissen, wie das eigentlich geht. Im Kino oder im Fernseher war das immer so einfach: Die Guten überlebten, und alles wurde gut. Ich verwarf meine verdrehten Gedanken über Abenteuer und Kinoquatsch und motivierte mich mit meinem Ziel, frei zu sein. Ich wollte endlich einmal frei sein, von was auch immer, und lebend in Deutschland wieder ankommen. Selbst wenn diese Freiheit nur einige Wochen und Monate dauern sollte.

Von da an war ich immer gut gelaunt, hatte Energien, die ich in meinen abendlichen Waldläufen voll einsetzen konnte, und meine mir zuvor angedichtete Midlifecrisis war auf einmal verschwunden. Ich ging dreimal in der Woche ins Fitness-Studio, wo ich neben meinem Ausdauertraining auch meine Muskelkraft verbesserte. Selbst wenn dieses Training nur wenige Wochen und Monate dauern würde, so war ich jedenfalls besser in Form als zuvor.

Nie hätte ich einen Gedanken daran verschwendet, eine lustige Fernreise zu planen, wie es übermüdete, träge Möchtegern-Helden durchziehen. Ich war mir meiner Ziele und der darin enthaltenen Aktivitäten ganz sicher und nahm mir vor, drei oder vier Länder per Auto, zu Fuß und mit dem Kanu zu bereisen.

Mein erster Planungsabschnitt bestand anfänglich darin, eine Reiseroute zu wählen, die mich zeitlich und finanziell in einem Rahmen hielt. Selbstverständlich dachte ich immer dabei an meine Familie. Denn die machte sich mehr und mehr Sorgen, nachdem sie mitbekommen hatte, was ich da vorhatte. Die weitere Planung beschränkte sich darauf, die Ausrüstung zusammenzustellen und mich über jede Menge Bücher herzumachen, die mir theoretisches Wissen vermittelten. Pflanzen, Tierkunde, Klima und so weiter waren die Hauptthemen. Bereits bei der Lektüre der Bücher verfiel ich in eine Art Trance.

In Wirklichkeit war ich schon längst nicht mehr in Deutschland. Immer und immer wieder ertappte ich mich dabei, Fehler bei der Arbeit zu machen, meiner Frau nicht richtig zuzuhören und meinen Kindern zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken. War ich ein schlechter Ehemann? Ständig plagte mich mein Gewissen. All die Dinge, die ich jahrelang pflegte und gerne lebte, waren nun in einem nebligen Dunst der Unwichtigkeit gehüllt. Ich konnte mich nicht so richtig dagegen wehren. Immer war ich in Gedanken bereits in Namibia oder Botswana. Und wenn ich ehrlich bin – ich war auch ganz froh darüber, denn sonst hätte ich das Loslassen von meiner Familie nicht bewältigt. Loslassen – ein Abnabeln der besonderen Art.

Meine Vorbereitungen im logistischen Bereich gestalteten sich schwierig. Keiner konnte mir sagen, wie viel Wasser oder Trockenfleisch ich für eine gewisse Strecke benötigen würde. Am Anfang würde ich ganz alleine unterwegs sein – eine nicht ganz zu unterschätzende Tatsache. Vor allem die allgemeine Sicherheit rückte immer mehr in den Fokus.

Ein erster Schritt war ein spezielles Überlebenstraining, welches ich mit einigen ehemaligen Soldaten der US-Armee durchführte, die noch zum Teil in Berlin leben und hin und wieder diese Survival-Trainings anboten. Das Training bestand darin, Hindernisse zu überwinden, in voller Marschausrüstung zu marschieren und sumpfiges Gebiet zu durchqueren, gewisse Verhaltensmuster in der Natur zu verinnerlichen und zu lernen, sein Leben in der Abgeschiedenheit selbst zu meistern. Dieses Belastungstraining sollte auch meine Psyche stärken. Regelmäßig schluckte ich Dreck, holte mir blaue Flecken an allen Stellen des Körpers und verbarg schlammige Reste in jeder nur erdenklichen Ritze. Es war eine Lehre, die ich nicht mehr missen möchte. Ich lernte, was alles essbar ist, wo überall Flüssigkeiten versteckt sind und wie man mit Hilfe eines Schilfhalmes keimfreies Wasser trinken kann. Unterweisung im Kleintierfallenstellen und Waffenkunde hingegen gab es nur wenig. Wir wurden zwar im Gebrauch mit Waffen geschult, jedoch nur für den Fall der Verteidigung, wie uns immer wieder eingebläut wurde.

Dieses Wissen über die Dinge, die einem das Leben in der Natur garantieren oder zumindest annähernd garantieren, war eine wichtige Ruhequelle.

Meine Familie sah dem ganzen Treiben recht gelassen zu, wobei sie keine Gelegenheit ausließ, mich zu veräppeln. Jedenfalls tat sie oft so, als hätte ich sie nicht alle. Oft auch fast gleichgültig, als wäre ich mal eben für eine Woche an der Ostsee.

Die gesamte Tour hatte ich mit einer Agentur geplant, die bekannt dafür war, Survival-Trips zu organisieren.

Die meiste Aufmerksamkeit für solche ›Allein-Touren‹ galt der Gesamtsicherheit in verschiedenen Ländern und Regionen. Natürlich gab es im Irgendwo kein Klo oder jede Menge Tankstellen, wenn man mal eine benötigen sollte. Meine Planungsagenten hatten jedoch immer dafür gesorgt, mir feste Ziele einzubauen, die ich zu erreichen hatte, um über Funk nach einigen Tagen eine Nachricht zu hinterlassen. Somit war für jede Woche eine Situation eingeplant, wo ich eventuell Wasser, Proviant oder andere lebenswichtige Dinge zum Überleben bekam – so weit die theoretische Planung. Doch was war zu tun, wenn ich mit dem Wagen liegen blieb, mich verirrte oder unterwegs krank werden würde?

Während der Besprechungen, die oft mehrere Stunden gingen, erwähnten sie, auf was ich dann besonders zu achten hätte, um nicht noch tiefer in Schwierigkeiten zu versinken oder gar die Kontrolle zu verlieren. Das klang jedes Mal alles sehr einleuchtend und logisch. Aber keiner konnte mir natürlich im Vorfeld sagen, was wirklich kommen würde. In dieser Einsamkeit zu verschwinden und nie gefunden zu werden, war so wahrscheinlich und möglich wie die Tatsache, dass Elefanten nun mal nicht fliegen können.

Wenn ich so richtig überlege, verging eigentlich keine Besprechung ohne diese Horrorszenarien, die jeder von denen bereits hinter sich hatte. Einige von ihnen waren in freier Natur tagelang ohne Nahrung gewesen und hatten sich mit dem, was die Natur so hergab, selbst versorgen müssen. Andere verirrten sich so sehr, dass sie nur durch viel Glück gefunden wurden. Einer von ihnen war während einer Tour so schwer verletzt worden, dass er Fieber bekam und von Einheimischen zwei Monate lang versorgt werden musste.

Und so reihte sich eine Story an die andere. Das gab diesen Meetings immer so eine besondere Note, von der ich meiner Frau nie etwas erzählt habe. Dennoch lachten wir ausgelassen und verpackten diese Storys mit jeder Menge beruhigender Argumente. Man gab mir immer wieder zu verstehen, dass das Leben nie einfach so aufhört. Denn die, die zu Tode kamen, hatten bereits aufgehört zu existieren, als sie nicht darüber nachdachten, was es heißt, zu überleben. Überleben war also das Zauberwort.

Nach diesen Belehrungen war es absolut schön, so viele neue und nette Leute mit den gleichen Gefühlswelten kennengelernt zu haben.

Die Schulungsräume selbst, wo wir planten, waren voll mit Mitbringseln aus verschiedenen Ländern, sodass jeder, der hier geschult wurde, einen tiefen Einblick in die Kultur der unterschiedlichsten Völker bekam. Die Wände waren bestückt mit übergroßen Landkarten von Namibia, Botswana und den angrenzenden Staaten.

Ich wusste ganz genau, wo ich überall hinwollte. Meine Route sollte wie folgt verlaufen: Von Berlin über Frankfurt am Main nach Windhoek in Namibia. Eine Strecke, die vor mir bereits millionenfach geflogen wurde. In Windhoek dann wollte ich mir einen Geländewagen mieten, der mich durch Namibia bringen sollte. Erst nördlich durch den Etosha National Park und dann quer durch den Caprivi. Zwischendurch ein paar Tage nach Angola und dann ab nach Botswana.

Der Caprivi ist ein Gebiet in Namibia, welches an Angola im Norden und Botswana im Osten grenzt, die beiden Länder, in die ich ebenfalls reisen wollte. Große, bekannte Flüsse trennen zum Teil diese Länder voneinander, zum Beispiel der Okawango, der Kwando oder der Linyanti, um nur einige von ihnen zu nennen. Angola wollte ich nur für ein bis zwei Tage besuchen und Botswana dann im Anschluss, wo ich die meiste meiner Zeit verbringen wollte. In Botswana liegt das Okawango Delta mit seinen unzähligen Flüssen, Seitenarmen, Sumpfgebieten und den ebenfalls unzähligen Moskitos, oft mit sehr anstrengenden Passagen und Hindernissen, die weder vorher einzuplanen noch später zu umgehen waren.

Na klar, es war wichtig zu wissen, was für negative Einflüsse dort auf einen warteten. Daher war es für mich ebenso selbstverständlich, gesundheitliche Vorsorge zu treffen, mir die notwendigen Medikamente in Berlin zu besorgen und meine Impfungen gegen diverse Krankheiten wie Malaria, Tollwut und andere Infektionen abzuholen. Es gibt in Afrika unzählige Bakterien, die unser europäischer ›Wohlstandskörper‹ nicht kennt. Besonders in den sehr zentral gelegenen Ländern, ohne Ausnahme.

Während dieser Zeit der Vorbereitung trafen wir bei einer größeren Festlichkeit in Berlin auf zwei entfernte Bekannte, die seit Jahren bereits Südafrika für sich entdeckt hatten. Die beiden sympathischen Weltenbummler, die im Gegensatz zu vielen anderen Reichen, die wir so kennen, etwas anderes von der Welt sehen wollten als nur den Strand von Mallorca, wussten genau, wovon ich so träumte. Diese zwei redeten mich in Grund und Boden, als ich von meinen Plänen zu erzählen begann. Es war herrlich! Die Flut an Informationen und die vielen Erfahrungen, die sie in ihren Reisen bereits gesammelt hatten, versuchte ich aufzusaugen. All die vielen Erlebnisse, die sie bereits erlebten, auch wenn das nichts war im Vergleich mit dem, was ich vorhatte, bereicherten mich enorm. Alles an diesem Abend verschwamm um mich herum in den Gedanken an Afrika. Die zwei gaben mir noch eine Adresse eines deutschstämmigen Farmers in Namibia, wo ich unbedingt auch noch hin sollte. Alle meine Fragen, die ich geradezu überschlagartig hintereinander stellte, sodass die zwei kaum zum Luftholen kamen, wurden sorgsam und immer mit einer gewissen belächelnden Skepsis beantwortet.

So richtig geglaubt haben die zwei mir wohl eher nicht, wenn ich tiefer ins Detail meiner Abenteuerreise ging, zum Beispiel wenn ich erzählte, dass ich per Einbaum und zu Fuß allein oder mit einem Guide unterwegs sein wollte. Es war für sie ein Unding, allein durch Afrika zu reisen, ohne Gruppe und ohne Reisegesellschaft, mit all dem Pipapo. Ich würde ihrer Meinung nach nie wieder nach Hause kommen. Sie fragten mich natürlich auch Dinge, die sie sehr wohl für wichtig und erwähnenswert hielten. Meine Antworten hingegen waren für sie oft nicht nachvollziehbar, vor allem weil ich sehr locker mit allem umging, Gefahren abtat, als hätte ich bereits ihre Erfahrungen. Da waren zum Beispiel meine Ausflüge ins Nichts ohne die gewohnte Sicherheit, die sie für sich immer mit einplanten. Ansonsten fanden sie meine Reise ganz interessant, da sie selbst bereits mehrfach in den meisten dieser Länder gewesen waren und auch gerade dabei waren, eine außergewöhnliche Kongoreise fürs Folgejahr zu planen. Es war für mich ein besonderer Abend, den ich so schnell nicht vergessen werde.

In den folgenden Tagen plante ich diese Zwischenstation auf der Farm der deutschen Familie in Namibia mit ein. Dadurch verschoben sich einige andere zeitlich eingeplante Abschnitte; das war mir aber irgendwie auch völlig schnuppe. Ich tauchte immer tiefer in meine Planung und versank für Tage in Landkarten, die mittlerweile den größten Teil unserer kleinen Wohnung bedeckten. Es war schon fast eine Sucht, die Wohnung in ein Planungscamp zu verwandeln – ein Zustand, der zu Hause nicht immer auf Zustimmung traf. Meine Planungen und mein Training dauerten circa vier Monate, jeden Tag.

Die letzten Tage vor meiner Abreise vergingen dann wie im Flug. Ob ich auch alles bedacht und eingeplant hatte? Wenn nicht, dann musste ich eben sehen, wie ich weiterkam. Ansonsten war ich auf meine Improvisationskünste angewiesen. Übrigens ein Talent, das ich wirklich besitze. Immer, wenn es richtig dicke kommt, wie wir in Berlin sagen, dann komme ich so richtig in Fahrt.

Ein beruhigendes Gefühl, wenn man seine Qualitäten kennt. Dies war auch ein wesentlicher Bestandteil meines mentalen Trainings: sich selbst zu kennen und zu erkennen. Selbstsicherheit darf jedoch nicht in Selbstüberschätzung abdriften. Selbsteinschätzung basiert auch auf der Tatsache, dass Schwächen nicht ignoriert werden. Bei aller Euphorie bremste ich mich hin und wieder und hoffte, dass ich meine Energien ohne spektakuläre Actionszenen in Afrika einteilen könnte.