Dr. Marcus Stiglegger (Jahrgang 1971) ist ein deutscher Kultur- und Filmwissenschaftler mit österreichischem Pass. Er lehrt(e) an den Universitäten Mainz, Siegen, Mannheim, Ludwigsburg, Köln, Regensburg sowie Clemson/SC, USA, und ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen über Medientheorie, Filmgeschichte und Filmästhetik. Seit 2002 gibt er das Kulturmagazin :Ikonen: heraus (www.ikonenmagazin.de). Stiglegger promovierte zum Thema Faschismus und Sexualität im Film (1999) und habilitierte zur Seduktionstheorie des Films (Ritual & Verführung, Berlin 2006). Aktuelle Publikationen: Terrorkino. Angst/Lust und Körperhorror (Berlin 2010, 4. Aufl.), Nazi Chic und Nazi Trash. Faschistische Ästhetik in der populären Kultur (Berlin 2011), David Cronenberg (Hrsg., Berlin 2011), Global Bodies (Mit-Hrsg., Berlin 2011), Dario Argento. Anatomie der Angst (Mit-Hrsg., Berlin 2013), Gendered Bodies (Mit-Hrsg., Siegen 2013), Auschwitz-TV. Reflexionen des Holocaust in Fernsehserien (Wiesbaden 2014), Verdichtungen. Zur Ikolonologie und Mythologie populärer Kultur (Hagen 2014) und Kurosawa. Die Ästhetik des langen Abschieds (München 2014). Zudem ist er Mitglied der Fipresci sowie der GfM (AK Filmwissenschaft, AK Populärkultur und Medien, AK Genre). Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Körpertheorie und Performativität des Films sowie die Dialektik von Mythos und Moderne.

Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hat Stiglegger Kurzfilme gedreht, Drehbücher geschrieben (u.a. zur TV-Serie Der Fahnder), produziert DVD-Bonusmaterialien und spielt in mehreren Folk- und Ambient-Bands.

Mythos|Moderne

Kulturkritische Schriften

Herausgegeben von Marcus Stiglegger

Band 2

Mythos und Moderne bilden von Beginn an ein dialektisches Paar, das als unvereinbarer Gegensatz erscheinen mag, und doch in engem Verhältnis steht. Die vorliegende kulturkritische Schriftenreihe betrachtet diese Dialektik als einen Schlüssel zum Verständnis unserer Gegenwart, die sich in ihren Kommunikationsmedien spiegelt. Die Beiträge untersuchen Artefakte der populären Kultur mit analytischem Blick auf dieses Verhältnis, vorrangig in Film, Literatur und Musik, aber auch in Fotografie, Theater und Computerspielen.

4. Auflage, 2. Auflage dieser Version

© 2016 Marcus Stiglegger | www.ikonenmagazin.de

Einbandgestaltung: Susanne Schattmann, Nürnberg, www.wohlgestalt.de, nach einem Konzept von

Michaela von Aichberger, Erlangen,

www.michaela-von-aichberger.de

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung und Verlag: BoD Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7412-1200-0

Inhalt

Vorbemerkung zur 3. Auflage

Diese Arbeit wurde 1999 an der Universität Mainz im Fach Filmwissenschaft als Dissertation angenommen. Der vorliegende Haupttext entspricht bis auf kleine Korrekturen und Aktualisierungen in der Rechtschreibung der Erstveröffentlichung der Dissertation. Ergänzt gegenüber den ersten beiden Auflagen von 1999 und 2000 wurden die Vor- und Nachworte. Der Bibliografie wurden einige wichtige Neuerscheinungen seit 1999 hinzugefügt.

Vorwort

Der Faschismus ist im Grunde genommen nichts anderes als das politische Projekt, die Welt in Kino zu verwandeln. Umgekehrt ist die Kinematographie eine Technologie, die im Kino eine faschistische Ästhetik entfaltet. Die Verschränkungen zwischen beiden sind nie aufzuheben.

QRT, Zombologie. Teqste

Die Ära des Nationalsozialismus zur Zeit des Zweiten Weltkrieges erweist sich als beständiges Thema im Filmschaffen Europas und Amerikas. Neben zahlreichen auf Authentizität angelegten Historiendramen und Fernsehserien entwickelte sich jedoch – angefangen möglicherweise mit dem antifaschistischen Propagandafilm Hollywoods der Kriegsjahre – eine Tendenz, die den deutschen Faschismus als eine vornehmlich sexuell motivierte Bedrohung charakterisierte. Ein in Deutschland wenig bekanntes Beispiel dafür ist Hitler‘s Children (1943) von Edward Dmytryk1: Diese Geschichte eines Jungen und eines Mädchens im Dritten Reich stellt einen der ersten Versuche dar, zum Zwecke der Propaganda nationalsozialistische Schandtaten in Kontext eines Spielfilms auszuwerten. Die Sexualisierung nationalsozialistischer Stereotypen fasste auch im europäischen Film der späten 1960er und frühen 1970er Jahre Fuß, und zwar sowohl im ambitionierten Kino Luchino Viscontis, Pier Paolo Pasolinis und Louis Malles als auch im kommerziellen, exploitativen Kino Frankreichs und Italiens. Diese Strömung lässt sich rückblickend geradezu als kommerzieller Trend2 betrachten, bemerkt man die Häufung derartiger Produktionen in den Jahren 1975 bis 1979. Die Gründe hierfür lassen sich nicht eindeutig rekonstruieren. Es ist zu vermuten, dass die zeitliche Distanz von den historischen Ereignissen einerseits und von den antifaschistischen Filmströmungen der Nachkriegszeit andererseits im Zusammenhang mit einer deutlichen Lockerung der Zensurbedingungen innerhalb der Filmindustrie Ende der 1960er Jahre die Entstehung eines neuen Zugangs zu diesem Thema begünstigten. Gerade in Italien begann eine junge Generation von Filmemachern mit durchaus politischen Ambitionen das Erbe des Neorealismus abzuschütteln: Bernardo Bertolucci, Lina Wertmüller und Liliana Cavani gehörten dazu. Hinzu kommt die eher pornographisch orientierte Unterhaltungsproduktion, die zu jener Zeit sämtliche Tabus des Kinos ausreizte. Unter einem Exploitationfilm verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht etwa ein Genre, sondern eine Produktionskategorie, wenn man so will einen Inszenierungsstil, der sich auf Filme bezieht, die aus einer reißerischen Grundidee ein Höchstmaß an visuellen Schauwerten beziehen. Oft dienen dem Exploitationfilm aktuelle oder historische Ereignisse (wie im Fall des SadicoNazista) als Ausgangspunkt, sie werden in der Inszenierung spekulativ ausgeschlachtet, daher auch die Herleitung von dem englischen Begriff ›exploitation‹, der ›Ausbeutung‹ bedeutet. Beliebte Themenbereiche sind demnach politische oder weltanschauliche Systeme, die auf Unterdrückungs- und Zwangssituationen basieren, wie Sekten, Gefangenenlager oder etwa der Straßenstrich. Hier werden Szenarien entworfen, die möglichst viele Vorwände für Nacktheit, Folter, Vergewaltigung und Exekution bieten. All diese Kategorien sind Standardsituationen, die auch im seriösen SadicoNazista vorkommen. Häufig werden auch allgemein Filme mit exzessiver Sex- und Gewaltdarstellung als exploitativ bezeichnet.3

Die vorliegende Studie »SadicoNazista« stellt den Versuch dar, zu zeigen, welches Bild vom Nationalsozialismus durch die analysierten Werke vermittelt wird, und auf welche Weise dieses Bild und seine Stereotypen bis in die Medienwelt der jüngsten Gegenwart nachwirken. Die Studie belegt die Macht des Kinos, Mythen zu generieren. Diese dritte und leicht aktualisierte Auflage des Buches optiert für eine modifizierte Schreibweise des ursprünglichen Titels (mit großem N in der Mitte), um den besonderen Status der Arbeit zu belegen: Es handelt sich bis heute um die weltweit einzige Monografie zu diesem Thema, und zugleich um die erste akademische Studie, die diesen Begriff in die Diskussion einführte, wo er heute immer wieder aufgegriffen wird. Zudem erschien inzwischen eine englischsprachige Zusammenfassung der Schlüsselthesen in der amerikanischen Publikation von Elizabeth Bridges, Dan Magilow und Kris Vander Lugt: »Nazisploitation. The History, Aesthetics and Politics of the Nazi Image in Low-Brow Film and Culture« (2012). Die ersten beiden Auflagen von »SadicoNazista« waren im Gardez! Verlag erschienen, die vorliegende dritte Auflage im Eisenhut-Verlag garantiert die Verfügbarkeit des Buches auch für die Zukunft und kontextualisiert es im Rahmen der Reihe »Mythos|Moderne. Kulturanalytische Studien« als das, was es ursprünglich bereits war: eine Arbeit zur modernen Medienmythologie. Im Rahmen meiner eigenen Forschungsarbeit erschien 2011 noch der Band »Nazi Chic & Nazi Trash. Faschistische Ästhetik in der populären Kultur« als Ergänzung zu »SadicoNazista« und erweitert das Blickfeld in Richtung Popkultur (Mode und Musik).

Es wird deutlich, dass sich die dramaturgischen Konstruktionen dieser Filme, die dort als Erklärungsansätze für das historische und ästhetische Phänomen Faschismus herhalten müssen, in Form oberflächlich überzeugender, aber inhaltlich fragwürdiger Trugbilder und Medienkonstrukte – also moderner Mythen – in der Populärkultur etabliert haben. Zu zeigen, wie diese Filme funktionieren, heißt in erster Linie zu fragen: Wie gehen die Regisseure jeweils mit dem Phänomen des Faschismus um? Zeigt sich ein Problembewusstsein oder dient die historische Epoche nur als pittoresker Hintergrund? Werden historische Fakten zugunsten der filmischen Dramaturgie offensichtlich verändert oder verfälscht? Die Auswirkungen der Sadico-Nazista-Tendenz auf das Kino der Gegenwart wird vor allem die Beschäftigung mit dem Werk von Steven Spielberg verdeutlichen. Ich werde zeigen, auf welch drastische Weise Steven Spielberg den zunächst gewagt erscheinenden Sprung vom Comic-Nazi in Raiders of the Lost Ark (Jäger des verlorenen Schatzes, 1981) zur ernsten Geschichtsbewältigung in Schindler‘s List (Schindlers Liste, 1994) wagt. Wie er hier mit längst bekannten und etablierten Stereotypen arbeitet, weist einem zukünftigen Kino zumindest ansatzweise den Weg zu einer neuen Authentisierung der Filmerfahrung nach einer Zeit der spielerischen Simulation.

»Faschismus« ist ein in der öffentlichen Diskussion vielseitig umgedeuteter Begriff, und es scheint arg verallgemeinert, im filmwissenschaftlichen Zusammenhang von ›stereotypen Bildern vom Faschismus‹ zu sprechen. Betrachtet man die angeführten Beispiele, thematisieren sie zunächst einmal den deutschen Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 – abgesehen von einigen Ausnahmen, die in der Weimarer Republik spielen, wie The Serpent’s Egg (Das Schlangenei, 1977) von Ingmar Bergman. Es handelt sich also um ›Stereotypen vom Nationalsozialismus‹. Berücksichtigt man jedoch, dass es sich bei den meisten der Filme um italienische Produktionen handelt, also Filme aus einem Land, das seinerseits eine totalitäre, faschistische Vergangenheit vorzuweisen hat, ist es interessant, dass sich nur sehr wenige italienische Filme dem eigenen Faschismus-Phänomen zuwenden. Die Werke von Liliana Cavani, Luchino Visconti und Lina Wertmüller bieten stattdessen eine italienische Perspektive auf die deutsche Vergangenheit. Einige der interpretatorischen Missverständnisse und Ungereimtheiten, die diesen Filmen von der Kritik vorgeworfen werden, sind letztlich auf diesen spezifischen Blick zurückzuführen: der Projektion des italienischen Faschismus auf den deutschen Nationalsozialismus. Dieser Blick ist nie wirklich treffend, da der italienische Faschismus, wie ihn Mussolini vertrat, weder mit den Verfolgten der politischen und intellektuellen Opposition, noch mit Kunst und Literatur oder Sexualität derart rigoros abrechnete wie der nach Eugen Kogon u.a. bürokratisch-kalte deutsche SS-Staat. Die von den selbsternannten ›Moralhütern‹ scheinbar angestrebte Domestizierung und Eliminierung der Triebhaftigkeit kann nur – so die italienische Perspektive – zu einer unterdrückten Sexualität geführt haben, die dann in Akten perverser Dekadenz hemmungslos nach Abreaktion drängte. Immer wieder kommt es dabei zu einer Auseinandersetzung mit der Figur Adolf Hitler:

Später […] verfielen nicht wenige Filmemacher, die das Phänomen Hitler emotional, analytisch oder visuell zu deuten versuchten, auf die Idee, ihm eine verdrängte Sexualität zu unterstellen. Dieser Mann, der sich nach außen hin streng, asketisch, scheinbar geschlechtslos und ohne privat-individuelle Züge darstellte, konnte nur ein Wüstling sein, der sein wahres Ich geschickt zu tarnen verstand. Deshalb spielen diese Filme immer wieder auf der Geige der Lust, der hemmungslosen Geilheit, die sich in ausschweifenden Orgien hinter verschlossenen Türen austobte.4

Nach diesem einfach strukturierten freudianischen Modell ist z.B. die Welt des SS-Bordells Salon Kitty beschaffen, die Tinto Brass in seinem gleichnamigen Film zeigt. Viele Italiener verbinden mit dieser Idee der Dekadenz oft eine latente Homosexualität (wie Rossellini in Roma, citta aperta [Rom, offene Stadt, 1945] und Bertolucci in Il conformista [Der große Irrtum, 1970]), oder einen destruktiven Sadismus (wie Liliana Cavani in Il portiere di notte [Der Nachtportier; 1973]). Vor allem Bernardo Bertolucci lässt in seinen Filmen Il conformista und Novecento / 1900 (1975) auch italienische Faschisten auftreten, die beide Züge aufweisen. Es findet also bereits in den zur Diskussion stehenden Filmen eine Vermischung der historischen Faschismusbegriffe statt.

Der Begriff der »Stereotypen von Faschismus und Nationalsozialismus« sollte im sozialpsychologischen Kontext verstanden werden, nicht nur als Verweis auf inhaltsleere, kolportierte Elemente. Wie im Bereich der Vorurteilsforschung, wo die Abgrenzung einer kulturellen Gruppe gegenüber einer anderen durch reduzierte, selektive Wahrnehmung (Vorurteile) gewährleistet wird, werden hier – im Film – kulturspezifische und historische Auffälligkeiten zu etablierten Perspektiven, eben historischen Stereotypen. Da man von einer allgemeinen Verbreitung historischer Stereotypen ausgehen kann – u.a. durch Presse und Propaganda –, bietet sich dem Künstler die Möglichkeit, diese Elemente für seine Zwecke einzusetzen. Vor allem in der Populärkultur begegnet man kulturellen und historischen Stereotypen immer wieder: das treuherzige schwarze Kindermädchen, der todesverachtende japanische Krieger oder etwa der mitleidlose SS-Scherge. Der Filmemacher kann mit den Publikumserwartungen spielen, indem er dem Zuschauer bekannte, stereotype Elemente präsentiert, diese jedoch in einen neuen, verfremdeten Kontext setzt. Das käme einer Umcodierung von Zeichen gleich. Andererseits kann er die kulturellen und historischen Vorurteile seines Publikums auch nutzen, um allgemeinverständlich auf Sachverhalte zu verweisen, die inhaltlich darüber hinaus gehen. Stereotype Bilder vom Nationalsozialismus sind nicht zuletzt immer wieder modische Beigaben populärer Medienproduktionen, da sie eine bestimmte Atmosphäre politischen Terrors auf den Punkt bringen. So eignen sich einige Subkulturen wie der Bikerkult, die Punk-, Gothic- oder etwa die BDSM-Szene diverse Versatzstücke an, um sich in einen klaren Gegensatz zu den aufgeklärt-humanistischen Werten der jeweiligen Gesellschaft zu stellen und sich mit dem vermeintlich morbiden Kitzel von Domination und Genozid zu umgeben.5 Die Arbeit mit derartigen Stereotypen in der Kunst ist weit verbreitet: in der Literatur durch Michel Tournier, Alain Robbe-Grillet und Jean Genet, im Film durch Ken Russell, Derek Jarman und Hans Jürgen Syberberg, in der Musik durch Leonard Cohen (»Flowers for Hitler«), Laibach (»Geburt einer Nation«), Nico (»Das Lied der Deutschen«), Death in June (»The Wall of Sacrifice«, »Rose Clouds of Holocaust«) und in der Bildenden Kunst etwa durch Anselm Kiefer, der in den siebziger Jahren Aufsehen erregte, als er sich auf einer Italienreise mehrfach mit Reithose und Führergruß fotografieren ließ, sowie natürlich Jonathan Meese mit seiner »Diktatur der Kunst«.

Zahlreiche Personen standen mir bei der Entstehung dieses Buches mit Rat und Tat zur Seite. Mit tiefem Respekt danke ich meinem Doktorvater Thomas Koebner für seine tatkäftige Unterstützung und die vielen Türen, die er über die Jahre geöffnet hat. Für ihre Hilfe und Inspiration möchte ich folgenden Personen danken: Bernd Kiefer, Karsten Rodemann, Marisa Buovolo, Vera Thomas, Jörg Buttgereit, Danilo Vogt und natürlich dem Historiker und Freund Robert Sommer. Wie stets las Nadine Demmler das Manuskript intensiv Korrektur und diskutierte bereitwillig die Inhalte, wofür ich ihr von Herzen danke. – Ich widme diese Arbeit weiterhin meinen Eltern Ingrid und Rudolf Stiglegger, ohne deren wohlwollende Unterstützung und Kritik ihr Entstehen kaum möglich gewesen wäre.

Marcus Stiglegger

Mainz, im September 2014


1 Halliwell’s Film Guide bemerkt positiv das wenig stereotype Bild, das hier von den Nazis gezeichnet wird (1996, S. 532).

2 siehe auch Keßler 1997, Cruz 1998.

3 Exploitationfilme sind nicht nur im westlichen Kommerzkino eine beliebte Geldquelle, sondern werden auch in der Türkei, Mexiko und auf den Philippinen produziert. Einige heute renommierte Regisseure begannen ihre Karriere im Exploitationkino, z.B. Francis Ford Coppola (Dementia 13, 1964), Martin Scorsese (Boxcar Bertha, 1972) und Jonathan Demme (Caged Heat, 1974).

4 Heinzlmeier / Schulz 1989, S. 159.

5 Beispiele hierfür sind unzählig, u.a. in Kenneth Angers Scorpio Rising, Julian Temples The Great Rock’n’Roll Swindle. Siehe hierzu auch Stiglegger 2011.

Faszinierender Faschismus?

Der schwarze Orden unterm Totenkopf gilt seit den Tagen des Dritten Reiches als die Inkarnation des Bösen schlechthin. Das Außergewöhnliche seiner Schreckensherrschaft und seines äußeren Erscheinungsbildes erschwert die analytische Distanz und erregt bis heute die – nicht zuletzt sexuellen – Phantasien der Nachwelt.

Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches

Nur wenige Jahre, nachdem in der finnisch-deutschen Satire Iron Sky (2012) von Timo Vuorensola die auf den Mond geflüchteten Nazis auf die Erde zurückkehrten, um sie ein für allemal zu übernehmen, bietet sich ein Blick in die Vergangenheit an, der zeigen mag, woher das popkulturell anmutende Bild des Faschismus stammt, das in Filmen, Musikvideos und Comics der letzten drei Jahrzehnte immer wieder auftaucht. Ich will bei diesem Überblick weniger eine rückwirkende Kritik formulieren, wie es der Historiker Saul Friedländer in »Kitsch und Tod« unternimmt, noch sexuelle Beweggründe im ästhetischen Kontext bloßlegen, wie es Susan Sontag in ihrer Darstellung subkultureller Phänomene in »Fascinating Fascism II« tut6. Vielmehr geht es mir darum, den Blick zu schärfen für eine klarere Einschätzung des Faschismusbildes, das der Film heute wie damals transportiert. Es geht um die filmische Darstellung des Faschismus als eine Art »phallischer Neurose« mit sadomasochistischen Akzenten, eine beispielhafte Sexualphantasie also, wie sie von Wilhelm Reich7 und später Klaus Theweleit8 formuliert wurde. Nicht zuletzt die zeitgenössische Exilliteratur wirft immer wieder einen deutlich sexuellen Blick auf die Nationalsozialisten, man denke an Klaus Manns Aufsatz »Homosexualität und Fascismus«9 aus dem Jahr 1934 oder Romane wie »Der Augenzeuge« (1939/1940) von Ernst Weiß10, in dem der Autor eine Rede Hitlers als sexuelle Überwältigung der Zuhörer beschreibt. Die Künstler der 1970er Jahre begaben sich somit in einen latenten Faschismusdiskurs. Die ausgewerteten Filme habe ich weitgehend in der anschließenden Filmografie kurz kommentiert, der Haupttext jedoch wird die Entwicklung des Phänomens, das ich nach seinem italienischen Namen »SadicoNazista« benannt habe – der eigentlich italienische Pulpliteratur mit ähnlichen Themen bezeichnet –, anhand exemplarischer Beispiele verfolgen, die sich auch heute noch einiger Popularität erfreuen. Der eigentlich sehr eng eingegrenzte Begriff »SadicoNazista« scheint mir dienlich, da er bereits in einem Begriff zusammenfasst, was die meisten dieser Filme andeutungsweise vereinigen: »Sadismus« und »Faschismus«. Ich benutze den Begriff also in einem weiter gefassten Zusammenhang als üblich.

Die erste umfassende Abhandlung über das vorliegende Thema lieferte der Historiker Saul Friedländer 1986 mit seinem großen Essay »Kitsch und Tod – Der Widerschein des Nazismus«, in dem er, ausgehend von einigen Schlüsselwerken aus Literatur und Film, einen neuen Diskurs über den Faschismus zu eröffnen versucht:

[…] gegen Ende der 1960er Jahre begann sich das Bild des Nazismus in der ganzen westlichen Welt zu verändern. Nicht grundlegend und nicht einhellig, aber doch hier und da, in der Linken wie in der Rechten, so merklich und so bezeichnend, dass es erlaubt ist, von einer neuen Sicht zu sprechen, von einem neuen Diskurs über den Nazismus.11

Als erste bedeutende Beispiele dienen ihm Michel Tourniers Roman »Le Roi des aulnes«12 und Luchino Viscontis Film La caduta degli dei. Er versucht im Folgenden »die Erscheinungsformen dieses Wandels zu erfassen und ihre innere Logik zu erklären«13. Drei Rezeptionskategorien scheinen den neuen Diskurs möglich zu machen:

  1. eine bewusste Verzerrung historischer Fakten zur Umbewertung der Vergangenheit (die Strategie der ›neuen Rechten‹);
  2. ein »freies Spiel eingebildeter Phantasmen«14 im Sinne von Trugbildern – also durchaus vergleichbar der Simulakren-Theorie Baudrillards; und
  3. ein Bemühen um besseres Verständnis der geschichtlichen Fakten sowie ein »Exorzismus«, ein Austreiben der historischen Schuld: Hans Jürgen Syberbergs Experiment Hitler – Ein Film aus Deutschland (1977) mag für diesen Versuch stehen, sich von der historischen ›Erbschuld‹ zu befreien: »Der Kosmos, der beginnt in den Abgründen des Leidens und der Schuld und in die Unendlichkeit der Moral führt, jener Trauer-Ritus der ästhetisierbaren Ethik wenigstens zeitweiser Rettungsversuche. […] ist es möglich, Hitler, […], durch einen Film aus Deutschland zu besiegen?«15

Auch Friedländer drängte sich die Erkenntnis auf, der neue Diskurs vereinige zwar Kunstwerke höchst unterschiedlicher Qualität, Zielsetzung, Gattung (Roman, Dokumentation, Spielfilm, usw.) und Nationalitäten – vorwiegend aus Italien, Deutschland und Frankreich –, doch es lasse sich eine gemeinsame Grundstruktur erkennen. Diese Struktur existiere scheinbar jenseits ökonomischer und politischer Prozesse: Es handle sich um eine »psychische Dimension«16, die einer Eigendynamik im Rahmen der »imaginären Ebene« des Faschismus folge. Friedländer gesteht den untersuchten Werken zu, dass ihre Argumentationslinien an der Oberfläche rational nachvollziehbar sind, doch darunter wird eine symbolische Energie wirksam, die jenseits von Ideologie und Doktrin funktioniert. Seine Untersuchung richtet ihren Blick folglich bewusst auf die durch die entsprechenden Werke erweckten »Bilder und Gefühle«17. Nicht zuletzt weil es sich um unterbewusste Prozesse handelt, wird für ihn die ideologische Intention der jeweiligen Künstler irrelevant. Es geht ihm nicht darum, Künstler wie Fassbinder, Visconti oder Tournier als ideologisch suspekt zu diffamieren, doch zeigt Friedländer sehr deutlich, wie hier die vermeintlich kritische Verarbeitung des Faschismus an der bei ihm vorausgesetzten Attraktivität (s.u.) des eigenen Themas krankt. Gleichzeitig sieht der Autor hierbei indirekt die Chance, einen neuen Zugang zum Faschismus zu finden, indem dessen Faszination bewusst werden könnte; das hängt freilich von der Rezeptionshaltung ab. Dies betont die Möglichkeit, eine mythische Interpretation des deutschen Faschismus wie etwa Viscontis Film könnte Elemente fassbar machen, die dem nüchternen Dokumentaristen verborgen bleiben. Friedländer geht davon aus, dass sich solche Elemente aus dem gros der vorliegenden Werke filtern lassen und letztlich Rückschlüsse auf die ästhetischen Strategien des historischen Faschismus ermöglichen.

Genauer: Unter den sichtbaren Themen entdeckt man den Auslöser eines Reizes, das Vorhandensein eines Verlangens und die Manöver eines Exorzismus. Jede dieser drei Bedeutungsschichten ist von tiefen Widersprüchen durchzogen: Der ästhetische Reiz wird ausgelöst durch den Gegensatz zwischen Kitsch-Harmonie und permanenter Beschwörung der Themen Tod und Zerstörung; das Verlangen wird durch Erotisierung der Macht, der Gewalt und der Herrschaft geweckt, aber gleichzeitig auch durch Darstellung des Nazismus als das Zentrum aller Entfesselungen der unterdrückten Affekte; der Exorzismus schließlich setzt – heute wie damals – sein ganzes Bestreben darein, durch die Sprache Distanz zu halten gegenüber der Realität des Verbrechens und der Vernichtungspolitik, durch Verkehrung der Vorzeichen eine andere Realität zu behaupten – und letztlich uns zu beschwichtigen durch den Beweis, dass die elementaren Moralgesetze immer befolgt worden seien, weshalb es auch dort noch eine Logik und eine Erklärung gebe, wo man bisher nur Chaos und Grauen sah.18

Die scheinbar unleugbare Faszination des Faschismus qualifiziert ihn als Thema immer neuer Abhandlungen und Fiktionen. Das Analysemodell, das Friedländer hier anbietet, ist aufschlussreich und hauptsächlich anwendbar auf die Hauptobjekte seines Interesses, Syberbergs Hitler-Film und Tourniers »Erlkönig«, doch Friedländer bleibt eine filmanalytische Beweisführung schuldig; Tatsächlich fühlt er sich selbst nicht qualifiziert dafür.19 Es mag sein, dass der Exorzismusgedanke eine gewisse Rolle gespielt haben mag (bei Syberberg war es zweifellos der Fall, vor allem, wenn man dessen Aufsätze über den eigenen Film beachtet), doch beispielsweise Pasolini dürfte dies sehr fern gelegen haben, als er Salò inszenierte, denn er hatte vor, den latenten Faschismus der Gesellschaft offenzulegen, nicht ihn auszutreiben. Auch Luchino Viscontis späte Werke (Il gattopardo / Der Leopard, 1960, Caduta degli dei, Morte a Venezia/Der Tod in Venedig, 1971, Ludwig, 1972, und L‘innocente / Die Unschuld, 1975) tragen trotz ihrer aristokratischen Wehmut eher die Züge der Agonie denn der Abrechnung und Erlösung:

Der Nazi-Tod ist bei Visconti – wie bei so vielen anderen – Schauspiel, prunkvolle Inszenierung, Spektakel. Und für die Zuschauer heißt das Faszination, Erschauern, Ekstase.20

Ein Exorzismus scheint mir hier zweifelhaft, die Ekstase (ein sehr extremer Begriff) bleibt den Neigungen des Betrachters überlassen; mit dem (zugegeben) apokalyptischen Brodeln der Essenbeckschen Stahlschmelze, das dem Vor- und Abspann des Films unterlegt ist, hinterlässt der Film den Hauch der Vernichtung. Auch Liliana Cavanis Portiere di notte mag den faschistischen Kontext in den Bereich sexueller Obsession transportieren, als effektive Verarbeitung taugt er jedoch kaum. Mit der These der »Negativ-Transzendenz«21 – der fatalen Zerstörung, die über den »Helden« dieser Epen lauert – leitet Friedländer schließlich einen Mythenexkurs ein, der die bedeutende Rolle des Kitsches im modernen Mythos betont (aus diesen Zitaten lässt sich auch die »Kitsch«-Definition des Autors ablesen, die vor allem auf einem Essay von Hermann Broch22 basiert):

Was also hier wirksam wird […] ist die Juxtaposition entgegengesetzter Bilder von Harmonie (Kitsch) und Tod, mithin das unmittelbare Nebeneinander hart widerstreitender Gefühle von Rührung und Entsetzen.23

Der Kitsch ist eine heruntergekommene Form des Mythos, aber noch immer bezieht er aus der Mythensubstanz einen Teil seiner emotionalen Durchschlagskraft.24

Der Autor erläutert so den Titel seiner Studie (»Kitsch und Tod«) einigermaßen einleuchtend an einer Beschreibung von Rainer Werner Fassbinders Melodram Lili Marleen (1981). Die Vorgehensweise der Regie, die hier durch repetitive semiotische Motivketten und Kumulation25 – vor allem in der Ausstattung und der Häufung weiterer bekannter Versatzstücke der Alltagskultur jener Zeit, also Volksempfänger, Reden, Musik – ein deutlich von Kitsch und Tod bestimmtes Bild des nationalsozialistischen Deutschlands entwirft, beschreibt er als Methode der »Invokation und Hypnose«26, zwei Begriffe aus dem metaphysischen, religiösen Bereich (Hypnose z.B. als Manipulation des Sekten-Jüngers), die mir hier durchaus zutreffend erscheinen. Gerade angesichts des Bezugs zur großen Oper bei Visconti und – mit Einschränkungen – bei Fassbinder und Syberberg wirkt diese Invokation (durchaus im Sinne von ›Heraufbeschwörung‹) als Verführung des Rezipienten. Die behandelten Kunstwerke entlehnen hier ästhetische Strategien der faschistischen Ästhetik, um in dem Zuschauer eine diffuse Leidenschaft zu wecken27. An Filmen wie Cavanis Portiere di notte und Louis Malles Lacombe Lucien wird nun einerseits mit Pascal Bonitzer durchaus unzutreffend kritisiert, alle Welt glaube »mit Madame Cavani, dass der Nazismus eine verrückte Libertinage gewesen sei«28; andererseits stellt Friedländer richtig fest, Cavanis und Malles Filme zeigten, »wie jenseits der Ideologie die überwältigende Macht der Leidenschaft beschworen wird«29, doch darin liege eine Gefahr für den Rezipienten gerade wegen des historischen Hintergrundes. Friedländer vernachlässigt dabei die Vielschichtigkeit beider Werke, die an sich nur sehr oberflächlich vergleichbar sind (die Liebe zwischen Henker und Opfer). Malle scheint mehr an einer realhistorisch geprägten Korrektur der französischen Kriegsgeschichte zu liegen, die aufgrund eines ganz anderen ›Mythos‹ (nämlich desjenigen der ›umfassenden französischen résistance‹, wie sie zeitweise von Franzosen behauptet wurde) zum Skandal wurde. Cavanis philosophischer, hauptsächlich von Friedrich Nietzsche geprägter Zugang erfordert zudem eine sehr große Aufmerksamkeit und Vorbildung vom Zuschauer. Der Skandal um Cavanis Film spielte sich mehr auf den Feuilletonseiten als in der populären Filmlandschaft ab. Meine Analyse des Films wird zeigen, dass nur eine Reduktion auf vereinzelte Reizszenen des Films den Vorwurf einer einseitigen Faschismus-Sexualisierung ermöglichen kann. Auch Friedländer begnügt sich mit der Reduktion beider Filme auf denselben Nenner unter dem Vorwand, das Hauptaugenmerk seiner Analyse gelte der gemeinsamen Grundstruktur.

Jean Baudrillard beschwört die oben formulierte »Gefahr« in der Wirkung einiger Filme der frühen 1970er Jahre auf ihr Publikum in seinem Aufsatz »L‘Histoire, un scénario rétro«, um bei einem weniger moralistischen Schluss zu enden. Friedländer beschließt die um ein Nachwort ergänzte Taschenbuchausgabe von »Kitsch und Tod« mit folgenden Worten:

Dieser Widerschein [des Faschismus‹, d.A.] kommt heutzutage in dieser direkten Form weniger häufig vor als noch vor wenigen Jahren, obwohl man ihn auf außereuropäische Phänomene ähnlicher Art verlagert findet, wie zum Beispiel in Liliana Cavanis ›Leidenschaften‹ oder in Paul Schraders ›Mishima‹. Diese Permanenz dunkler Phantasien scheint mir eine ständige Gefahr für unsere Kultur und möglicherweise für die menschliche Existenz überhaupt zu sein und sollte als solche nicht unterschätzt werden, wie ich es in den letzten Absätzen dieses Buches zum Ausdruck zu bringen versuchte30.

Diese Warnung vor dem kulturellen Verfall (»Gefahr für die menschliche Existenz überhaupt«!) scheint mir von ähnlicher Panik geprägt wie »bekehrende« Rezensionen aus den 1970er Jahren (z.B. Claudia Alemann über Portiere di notte in Medium, März 1975), wobei Friedländers Befürchtungen auf den ›latenten Faschismus‹ in jedem Menschen anzuspielen scheinen. Auf jeden Fall ist seine Ausdrucksweise hier etwas ungenau. Zudem scheint er Inferno Berlinese (Leidenschaften, 1985) von Cavani nicht gesehen zu haben, da sich dieser Film tatsächlich nahtlos einreiht in den »neuen Diskurs« der 1970er Jahre, geht es doch nicht um ein außereuropäisches Land, sondern um Diplomatenkreise im Berlin der 1930er Jahre (adaptiert nach einem japanischen Roman von Junichiro Tanizaki). Saul Friedländers Essay hat angesichts seiner Einzigartigkeit in der Behandlung dieser Thematik dennoch kaum etwas an Qualität als Diskussionsgrundlage eingebüßt und erweist sich trotz der zuvor formulierten Kritik gerade für die Filmanalyse als ergiebige Stichwortsammlung.


6 Sontag 1980.

7 Reich [1933] 1986.

8 Theweleit [1977] 1995.

9 Mann 1934 in: Mann, Klaus und Tucholsky, Kurt: Homosexualität und Faschismus, Kiel 1989 / 1990, S. 5 ff.

10 Weiß 1939; weiterführende Gedanken zu diesem Thema finden sich in: Bock, Sigrid und Manfred Hahn (Hrsg.): Erfahrung Exil. Antifaschistische Romane 1933-1945, Berlin / Weimar 1981, sowie Thomas Koebner: Unbehauste. Zur deutschen Literatur in der Weimarer Republik, im Exil und in der Nachkriegszeit, München 1992, S. 220-236.

11 Friedländer 1986, S. 8.

12 dt. Der Erlkönig, 1972.

13 Friedländer 1986, S. 8.

14 a.a.O.

15 Syberberg 1978, Klappentext.

16 Friedländer 1986, S. 10.

17 a.a.O., S. 11.

18 a.a.O., S. 14 f.

19 a.a.O., S. 13.

20 a.a.O., S. 38.

21 a.a.O., S. 39.

22 Hermann Broch: Anmerkungen zum Problem des Kitsches, in: Schriften zur Literatur 2, Frankfurt 1975; Friedländer nennt außerdem Rolf Steinberg: Nazi-Kitsch, Darmstadt 1975, und Ludwig Giesz: Phänomenologie des Kitsches, München 1971.

23 Friedländer 1986, S. 44.

24 a.a.O., S. 43.

25 nach: Walter Killy: Deutscher Kitsch, Göttingen 1961, S. 14.

26 Michel Foucault zit. n. Friedländer 1986, S. 45.

27 Besonders Friedländers Ausführungen über Caduta verdeutlichen diesen Ansatz.

28 Zit. n. Friedländer 1986, S. 67: Bonitzer 1974, S. 33; auch Foucault 1974, S. 12, äußert sich zu diesem Problem: »Ce problème est en effet très difficile et il n’a peut-être pas été assez étudié, même par Reich. Qu’est-ce qui fait que le pouvoir est désirable et qu’il est effectivement désiré? On voit bien les procédés par lesquels cette érotisation se transcend, se renforce, etc. Mais pour que l’érotisation puisse prendre, il faut que l’attachement au pouvoir, l’acceptation du pouvoir par ceux sur qui il s’exerce soient déjà érotiques.«

29 a.a.O., S. 69.

30 a.a.O., S. 125.

Die Uniform als Fetisch

In pornographic literature, films, and gadgetry throughout the world, especially in the United States, England, France, Japan, Scandinavia, Holland, and Germany, the SS has become a referent of sexual adventurism. Much of the imagery of far-out sex has been placed under the sign of Nazism. Boots, leather, chains, Iron Crosses on gleaming torsos, swastikas, along with meat hooks and heavy motorcycles, have become the secret and most lucrative paraphernalia of eroticism. […] But why? Why has Nazi Germany, which was a sexually repressive society, become erotic?31

Susan Sontag widmet sich in ihrer zweiteiligen Untersuchung zum medialen Bild vom Faschismus in ihrem Aufsatz »Fascinating Fascism« zunächst der ehemaligen Nazi-Filmemacherin Leni Riefenstahl, deren in ihren frühen Propagandafilmen dokumentiertes Körperbild sie in den späteren ethnologischen Untersuchungen bei den Nuba reflektiert sieht. Im zweiten Teil geht sie dann von einem Militaria-Bildband zum Thema »SS-Regalia« aus, um über die erotische Ausstrahlung nationalsozialistischer Symbole und Versatzstücke (Uniformen, Waffen etc.) nachzudenken. Von einer kurzen Beschreibung kommt sie schließlich zur zentralen Frage: Was ist an den Veräußerlichungen eines bürokratisierten, hygienefanatischen, totalitären Systems erotisch?

Dass militärische Uniformen bisweilen zu einem sexuellen Fetisch erhoben werden, ist bekannt und des öfteren in Fachpublikationen aus dem Bereich der sexuellen Phänomenologie knapp behandelt worden (in der Tat wird diesem recht verbreiteten Fetisch stets sehr wenig Raum zugestanden), doch eine eingehende Analyse dieses Phänomens blieb bisher aus. Einen diskussionswürdigen Ansatz liefert Valerie Steele in ihrem Buch »Fetish«:

Military Uniforms are probably the most popular prototype for the fetishist uniform because they signify hierarchy (some command, others obey), as well as membership in what was traditionally an all-male group whose function involves the legitimate use of physical violence.32

Was den ›Appeal‹ der Uniform also ausmacht, ist scheinbar die Abstraktion des Martialischen in Form eines Modegegenstandes. Sie symbolisiert die Zugehörigkeit zu einer Elite und konkretisiert Dominanz und kanonisierte Attraktivität – falls es sich nicht um rein funktionalisierte Felduniformen handelt. In Kombination mit der erotisch konnotierten Farbe Schwarz haben sich vor allem folgende Uniformen für eine sexuell motivierte Rezeption angeboten: die Totenkopfhusaren mit ihren bedrohlich geschmückten Pelzmützen, die Panzerfahrer der deutschen Wehrmacht und die Allgemeine SS. Vor allem die schwarze SS-Uniform stellt den ambitionierten Versuch dar, exzentrischen Schick, elitäre Eleganz und Todessymbolik zu vereinen.

Die schwarze SS-Uniform, wie sie in zahlreichen der behandelten Werke auftaucht33, präsentiert sich wie folgt: Schirmmütze mit weißer oder silberner Borte und gelacktem Schirm sowie Lederriemen oder Aluminiumkordel; als Embleme sind der Reichsadler mit Hakenkreuz und der SS-Totenkopf aus Metall zu sehen; die Jacke ist mit silbernen Metallknöpfen, samtenen Kragenspiegeln mit den bekannten Sig-Runen, weißer oder silberner Kragenpas-pellierung und einer Schulterklappe versehen; die von geknöpften Hosenträgern gehaltenen Reithosen fallen durch weit geschnittene Oberschenkelpartien auf; der Koppel mit silbernem Schloss wird durch einen schmalen Schulterriemen ergänzt; Reitstiefel mit hohem, engem Schaft; am linken Ärmel ist die schwarz-weiß-rote Hakenkreuzarmbinde befestigt; am Gürtel wird entweder der schwarze Dienstdolch mit der Klingenätzung »Meine Ehre heißt Treue« getragen oder aber die Dienstpistole.34 Ergänzende Kleidungsstücke sind der Dienstmantel aus schwarzem Filzstoff in vergleichbarer Ausführung sowie seltener der doppelreihig geknöpfte Ledermantel, der eher zum »Markenzeichen« der zivilen Gestapo wurde. Diese Uniform wurde von der Allgemeinen SS – nicht der militärischen Waffen-SS – in der Zeit zwischen 1933 und 1938 getragen. Bereits 1935 wurde alternativ die graue Uniform eingeführt, die während des Krieges und von Angehörigen der Waffen-SS getragen wurde und wesentlich verbreiteter war. Die schwarze Uniform taucht jedoch angesichts ihrer offensichtlichen ästhetischen Wirksamkeit recht häufig an historisch nicht korrekten Orten auf, so z.B. in Matteis KZ 9 – Lager di stermino (1977), J. Lee Thompsons The Passage (1978) und zahlreichen Hollywood-Kriegsfilmen. Besondere Freiheit in dieser Hinsicht leisten sich natürlich die nachlässig recherchierten Exploitationfilme der 1970er Jahre, die teilweise Phantasieuniformen präsentieren, z.B. Ilsa – She-Wolf of the SS (1974), in dem eine wahre Inflation an SS-Totenköpfen herrscht. Die historische Entwicklung der SS-Uniform lässt sich gut in der semidokumentarischen Höß-Biografie Aus einem deutschen Leben (1977) von Theodor Kotulla verfolgen, da dieser Film die Karriere eines Konzentrationslager-Kommandanten von der Weimarer Republik bis zum Ende des Krieges nachvollzieht. Es ist auffällig, dass vor allem die Historien- und Kriegsfilme der 1980er und 1990er Jahre – wie Schindler‘s List (1994), Hasenjagd (1994) oder Mutters Courage (1996) – eine wesentlich größere Sorgfalt auf die Recherche historischer Details verwenden und auffällig das »fetischistische Potential« der Kostüme außer Acht lassen.

Susan Sontag geht in ihrem Essay »Fascinating Fascism II«35 auf die Sexualisierung faschistischer Stereotypen ein. Obwohl ich ihrem Urteil bezüglich bestimmter subkultureller Phänomene, die sie beschreibt, nicht in dieser Konsequenz folgen möchte, gibt sie ein interessantes Phänomen zu bedenken:

There is a general fantasy about uniforms. They suggest community, order, identity […], competence, legitimate authority, the legitimate exercise of violence. But uniforms are not the same thing as photographs of uniforms – which are erotic material and photographs of SS uniforms are the units of a particularly powerful and widespread sexual fantasy.36

Die Autorin sagt dies bezüglich eines Militaria-Bestimmungsbuches, angesichts der spezifischen Verwendung von SS-Uniformen im Spielfilm ist aber eine Übertragung dieses Gedankens sehr aufschlussreich37. Tatsächlich wird der Uniformträger im Unterhaltungskontext offenbar anders rezipiert als etwa im Dokumentarfilm. Der Medienwechsel vom Foto zum Spielfilm scheint diese Veränderung zu bedingen: Die filmisch projizierte Uniform wird ihrerseits zur Projektionsfläche sexueller Wünsche und Phantasien. Die sexuelle Konnotation der Uniform rührt von der offensichtlichen sexuellen Erregung her, die einige Leute mit Gewalt und dem damit einhergehenden Verhältnis von Dominanz und Unterwerfung verbinden38. In diesem sexuellen Kontext wird es zumindest nachvollziehbar, warum immer wieder auf das Klischee der Uniformierung nach den Vorgaben der faschistischen Ästhetik zurückgegriffen wird, wenn es um die Dämonisierung von Charakteren geht. Susan Sontag vermutet, die SS-Uniform bietet sich vor allen anderen an, da die SS ihren Herrschaftsanspruch ins Dramatische überhöhte, indem sie sich gewissen ästhetischen Regeln unterwarf: »SS uniforms were stylish, well-cut, with a touch (but not too much) of eccentricity«39. Auch Filme anderer Genres greifen immer wieder – nicht selten mangels Originalität – auf das sexuell aufgeladene Potential dieser Kleidungsstereotypen zurück: Star Wars / Krieg der Sterne, (1976) von George Lucas, Ken Russells Mahler (1976), Alan Parkers The Wall (1981), Richard Loncraines Richard III (1995), Paul Verhoevens Starship Troopers (1997) oder etwa die Casablanca-Parodie Barb Wire (1995) von David Hogan, um nur einige zu nennen. Während einige Filme tatsächlich nur zur Ausbeutung der Fetischwirkung militaristischer Elemente produziert wurden (z.B. Train spécial pour Hitler, 1978, oder SS Girls, 1976), gelingt es einem Filmemacher im besten Fall, mit der Wirkung dieser Stereotypen bewußt zu spielen: In Caduta degli dei z.B. spielt Visconti sehr deutlich die proletarisch plumpe Ausstrahlung der braunen SA-Uniformen mit ihren Kepis40 gegen die dämonische Bedrohlichkeit der eleganten SS-Unifor-men aus und bereitet den SA/ SS-Konflikt bereits auf sym-bolischer Ebene vor; sowohl in Caduta als auch in Cavanis Portiere di notte wird der Uniform in Verbindung mit den jeweiligen Trägern – hier Charlotte Rampling, dort Helmut Berger – ein spezieller Travestiecharakter zu eigen, der wiederum den sexuellen Aspekt dieses speziellen Designs bestätigt. Dieses Travestieelement kann auch zu unfreiwillig komischen Entgleisungen führen, wie z.B. Bergers affektierte Auftritte in Salon Kitty zeigen. In der bizarren Musikerbiographie Mahler konstruiert Ken Russell aus fetischisierten Faschismussymbolen den religiösen Konflikt, in den der Komponist durch die Antisemitin Cosima Wagner getrieben wird, die hier als Wagnersche Walküre mit Hakenkreuzpanzer auftritt. Der Versuch, den Uniformfetisch als sexuelles Reizmittel zu nutzen, ist auch im Bereich des Pornofilms nachweisbar, wie Joe D‘Amatos Film Le bambole del Führer (Frauengefängnis 3, 1996) zeigt. Er verkommt in diesem Zusammenhang jedoch lediglich zum unreflektiert eingesetzten Beiwerk41.

Einen Schritt weiter gehen einige der schon erwähnten Romane der 1940er bis 1960er Jahre, indem sie die Begegnung mit dem SS-Mann nicht primär als sexuelles, sondern gar mystisch-religiöses Erlebnis schildern. Derartige Momente gibt es in Tourniers »Le Roi des aulnes«, Genets »Pompes funèbres«, am deutlichsten jedoch in Jerzy Kosinskis »The Painted Bird« (1965): Aus der Sicht des verfolgten, gequälten jüdischen Jungen beschreibt er dieses Erlebnis mit folgenden Worten:

Bald darauf betrat ein SS-Offizier in rußschwarzer Uniform den Hof. Noch nie hatte ich eine so eindrucksvolle Uniform zu Gesicht bekommen. Über dem blanken Mützenschirm prangte ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen, während blitzähnliche Aufschläge den Kragen verzierten. […] Der Offizier rückte etwas beiseite. Jetzt war sein Gesicht in der Sonne und strahlte eine reine, gewinnende Schönheit aus, fast wächsern, mit Flachshaaren so glatt wie die eines Kindes. Einst hatte ich in einer Kirche Gesichter von solcher Schönheit gesehen. Sie waren auf Wände gemalt, von Orgelklängen umbraust und wurden nur von dem Licht berührt, das durch bunte Fenster rieselte. […] In seiner ganzen Erscheinung lag für mich etwas Übermenschliches. […] In einer Welt, wo die Gesichter der Menschen zerfurcht waren, zerschlagene Augen und blutige, zerschundene Gliedmaßen hatten, […] stellte er etwas Vollkommenes dar, das nicht zu besudeln war. […] Der granitene Klang seiner Sprache war wie geschaffen dafür, Todesurteile über minderjährige, hilflose Geschöpfe zu verhängen. Etwas wie Neid packte mich […]. In Gegenwart eines so strahlenden Wesens, ausgestattet mit allen Symbolen der Macht und Größe, schämte ich mich meines Aussehens. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn er mich getötet hätte.42

Kosinski nimmt deutlich Friedländers »neuen Diskurs« bereits Mitte der 1960er Jahre vorweg, indem er einerseits den Auftritt der SS zur Erfahrung des absoluten, verlockenden Bösen macht (»Neid«), und andererseits die stumme Hingabe an das tödliche Schicksal als staunende Ergebung deutet (»ich hätte nichts dagegen gehabt …«). Audiovisuelle Entsprechungen zu derartigen Texten, die im Zusammenhang mit den jeweils kontrastierenden Handlungselementen durchaus Sinn machen können, zumindest aber irritieren, würden auf der filmischen Ebene unweigerlich zur platten Verherrlichung oder aber zur peinlichen Klamotte führen. Solche Momente finden sich tatsächlich in Salon Kitty und einigen der exploitativen SadicoNazista-Filme. Auch Alain Robbe-Grillet führt in seiner autobiografischen Trilogie mystische Nazifiguren als negative Doubles seines alter ego Henri de Corinthe ein:

Er reitet näher heran und erkennt an diesem jungen Oberleutnant ohne sichtbare Verwundung alsbald die schwarze Uniform der deutschen Panzerdivisionen […]. Sein Tier, das sich genausowenig bewegt, bläst den warmen Nebel seines Atems durch die Nüstern, als suchte es die reglose[,] mit dem breiten schwarzweißroten Band eines Eisernen Kreuzes dekorierte Brust zu wärmen. Auf dem dünnen Wollstoff ist kein weißer Staub zu sehen, so wenig wie auf den schwarzen Stiefeln und Handschuhen oder auf dem ruhigen Gesicht des Toten. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass der schöne Oberleutnant von einer verirrten Kugel getroffen wurde, als es fast aufgehört hatte zu schneien.43

Diese Schilderung des Erhabenen, des Unantastbaren, die in Robbe-Grillets spätem Werk direkt neben explizit sadomasochistischen Phantasmagorien steht, ist demnach ein weiteres Beispiel für eine französische Perspektive, die aus der Ferne das nationale Trauma der Besetzung von Paris reflektiert. Erneut formuliert sich die Bewunderung für und Identifikation mit dem Aggressor, bei Robbe-Grillet sehr deutlich als mythisches Double klassifiziert.

Volker Schlöndorff sah sich bei seiner Tournier-Verfilmung Der Unhold schließlich gezwungen, die ›erhabenen Figuren‹ satirisch zu demontieren, was den Film (im Gegensatz zum Roman) gelegentlich zur ›Klamotte‹ macht. Die angeblich existierende Adaption von Genets Liebesgeschichte zwischen einem französischen Resistance-Mitglied und einem deutschen Panzerfahrer, Pierre Grimblats Arrestation d‘un tireur des touts (1962), wäre in diesem Zusammenhang höchst interessant, die Existenz dieses Film lässt sich jedoch nicht verifizieren.44 Das quasireligiöse Charisma der SS wird deutlich in der Bad-Wiessee-Sequenz aus Viscontis Caduta evoziert, als das Schwarze Corps einem Gottesgericht gleich aus der Nacht herangleitet und -dröhnt. 1983 drehte der amerikanische Kinoästhet Michael Mann einen mystischen Horrorfilm mit dem Titel The Keep (Die unheimliche Macht), in dem er den SS-Mann Kaempffer (Gabriel Byrne) als Prinzip des absoluten Bösen dem irrealen Monster des Films gegenüberstellt. Trotz einiger Ausnahmen bleiben diese mythischen Adaptionen jedoch letztlich die Ausnahme. Bis in die Gegenwart hat sich das Klischee des dekadenten, sadistischen SS-Folterknechtes jedoch gehalten, z.B. Jürgen Prochnow in Anthony Minghellas The English Patient (Der englische Patient, 1996).

Eine Anmerkung zu den Begriffen Sadismus und Masochismus wird nötig sein, um diese in der Sekundärliteratur inflationär benutzten Worte auf eine differenzierte Weise angemessener zu benutzen. Laut dem »Vokabular der Psychoanalyse«45 von Jean Laplanche ist Sadismus »eine sexuelle Perversion, bei der die Befriedigung an das dem anderen zugefügte Leiden oder an dessen Demütigung gebunden ist«. Insoweit ist auch verständlich, wie diese von Richard von Krafft-Ebing eingeführte Begriffsschöpfung auf die Schriften des Marquis de Sade zurückzuführen ist: Dessen literarische Protagonisten, Männer wie Frauen, leben ihre Souveränität auf der Basis des Leides der anderen 46Portiere di notte