Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen

 

 

Carl Hauptmann

Die goldnen Straßen

Tobias Buntschuh

Gaukler, Tod und Juwelier

Musik

 

 

 

Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Tobias Buntschuh Gaukler, Tod und Juwelier Musik

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

ISBN 978-3-7437-0501-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0481-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0482-4 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Trilogie. Erstdruck von »Tobias Buntschuh«: Leipzig (Wolff), 1916. Erstdruck von »Gaukler, Tod und Juwelier«: Leipzig (Wolff), 1917. Erstdruck von »Musik«: Leipzig und München (Wolff), 1919. Erstdruck der vollständigen Trilogie: München (Wolff), 1919. Uraufführung von »Tobias Buntschuh« im März 1917, Deutsches Theater, Berlin. Uraufführung von »Gaukler, Tod und Juwelier« am 20.03.1920, Schauspielhaus, Düsseldorf. Uraufführung von »Musik« am 29.11.1920, Altes Theater, Leipzig.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig: Kurt Wolff Verlag, 1918.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Tobias Buntschuh

Eine burleske Tragödie in fünf Akten

Personen

Tobias Buntschuh

 

Philipp Wendelborn

 

Fräulein Luisa, Kunstreiterin und Drahtseiltänzerin

 

Radiana, Schlangenmädchen

 

Vater Buntschuh

 

Mutter Buntschuh

 

Clown Odebrecht

 

Clown Ambrois

 

Der Sekretär

 

Diener Franz

 

Diener Jakob

 

Ein dritter Diener

 

Ein Arzt

 

Ein Herr

 

Eine Dame

 

Ein Jüngling

 

Stallmeister

 

Ein Kellner

 

Clowns

 

Allerlei Zirkusherren, Zirkusdamen, Diener, eine Musikkapelle[6]

 

Erster Akt

Garderobenstube im Zirkus. Auf einem Schube hockt ein blondes Mädchen von sehr bestimmten, aber sanften Gesichtszügen. In einem Teufelskostüm. Sie brütet nur melancholisch vor sich hin. Von draußen hört man die Gavotte Louis XIV.

 

Erste Szene

EIN CLOWN schlendert achtlos herein. Den grauen Zylinder in den Nacken geschoben. In höchst elegantem, fleischfarbenen, langschößigen Frack. Eine große Rose im Knopfloch. Pluderhose Weste und Schuhe sind von derselben silbergrauen Farbe wie der Hut. Er spielt mit einem kurzen Stöckchen in der linken Hand, während er sofort in Unruhe auf- und niedergeht. Nach einer Weile. Was hockst du hier, Bestie ... was willst du hier ...

RADIANA. Fräulein Luisa bedienen ...

DER CLOWN. Fräulein Luisa bedienen ... dieses Fräulein Luisa bedienen ... so ... dieses Fräulein Luisa muß wohl alle Welt bedienen ... Er pfeift ungeduldig vor sich hin, während hinter der Szene starker Applaus ausbricht. eine solche Raserei wieder ... da muß ja dieses Fräulein Luisa vollends verrückt werden ... ist denn dieser Nabob ... dieser große Arbeiterkönig ... dieses Erfindergenie heute auch wieder unter der heulenden Menge ...

RADIANA. Das weiß ich nicht ... ich kenne den Menschen nicht ... ich habe den Menschen noch niemals gesehen ...

DER CLOWN. Natürlich ... du Katze ... du hast den Menschen noch niemals gesehen ...

RADIANA. Ich lüge niemals ... ich habe den Menschen noch niemals gesehen ...

 

Wieder großer Applaus hinter der Szene.

Radiana ist sofort aufgesprungen und kramt aus einem großen Schranke einen kostbaren Mantel aus, den sie ausbreitet, um gleich damit wie ein wartender Lakei dazustehen.

 

Zweite Szene

EIN STALLMEISTER reißt die Tür auf und schreit herein. Hinaus ... hinaus aus dem Weiberwinkel ... Odebrecht ... es ist hier kein Aufenthalt für die Herren ... es ist ausdrücklich untersagt, daß die Herren in der Garderobe der Damen getroffen werden ... ich sage Ihnen das heute nur noch einmal ...

 

Er wirft die Tür wieder zu.

 

DER CLOWN schreit in Wut. Quatschen Sie nicht, Krause ...

DER STALLMEISTER reißt die Tür neu auf. Mögen Ihre Beziehungen zu der Dame noch so intime sein ... oder meinetwegen auch schon gewesen sein ... mein lieber Odebrecht ... also bitte ...

 

Der Clown entfernt sich pfeifend sogleich hinter dem Stallmeister her. Die Musik schweigt eine Weile. Unterdessen stürmischer Applaus. Dann Tusch.

 

Dritte Szene

Luisa kommt völlig erhitzt und erschöpft, fast nur mechanisch noch mit einer Art eleganten Sprunges und dem stereotypen Lächeln. Sie ist in einem äußerst schlanken Trikot als Drahtseiltänzerin. Radiana wirft ihr dienstbeflissen den Mantel um.

 

LUISA hat sich sofort in einen großen, unbezogenen Lehnstuhl geworfen, der neben dem kleinen Holztische steht, atmet nur hastig, den Kopf zurückgelehnt, und schließt die Augen. Runter, runter ... das Fußzeug erst runter ... und aufschnüren, aufschnüren ... Liebchen ... aufschnüren ... wo ist denn nur Anne ...

RADIANA. Sei nicht böse, Luisa ... ich war so traurig ... ich mußte etwas zu tun haben ... ich habe deine Zofe heimgeschickt, ich will dich bedienen ...[10]

LUISA. Strählchen ... Sonnenblume ... kleine Schlange ... hahahaha – – du möchtest mich bedienen ... du witterst wohl auch jetzt den Goldregen in meinem Schoße ...

RADIANA. Pfui ... daß du alles immer vergiften magst ...

LUISA. Weißer Hase ... Lilie ... Unschuld ... sorge, daß endlich der Kellner kommt ...[11]

 

Vierte Szene

In diesem Moment hat der Kellner auch schon die Tür geöffnet und schwenkt auf einem Tablett einen Teller dampfender Suppe und ein großes Glas Bier herein.

 

LUISA. Machen Sie rasch – – – unschuldig war auch ich einmal ... machen Sie rasch, daß Sie wieder hinauskommen aus dem Weiberwinkel ... darüber sind sich doch aber die Menschen jetzt einig geworden, daß das ewige Unschuldiggetue furchtbar langweilig ist ... hahahaha ... ach, du wirst auch bald deine Nebenbuhlerin am liebsten erdrosseln, wenn der sogenannte Jugendflaum von den Flügeln noch vollends herunter ist ... ich sage dir ... bist du erst einmal oben, da wirst du auf deine kleinen Sünden auch nur gnädig herablächeln ...

 

Der Kellner ist wieder verschwunden.

 

Fünfte Szene

Der Clown kommt wieder herein. Er stellt sich sofort mit den Händen rückwärts an einen kleinen Kachelofen, während er dann und wann Luisa prüfend ansieht.

 

LUISA hat gierig zu essen angefangen.

RADIANA hat sich wieder auf den Schub gehockt.[11]

DER CLOWN. Du ... scherst dich jetzt ... einfach ...

RADIANA erhebt sich zögernd. Er droht mir mit dem Stocke ... soll ich gehen, Luisa ... befiehlst du es ...

LUISA. Ha ... gehe nur ... meinetwegen ...

RADIANA geht gedehnt und zögernd zur Tür.

DER CLOWN spielt mit seinem Stöckchen an der Fußspitze und seufzt.

LUISA ruft Radiana nach. Du kommst wieder, sobald ich klingle ...

 

Radiana ab.[12]

 

Sechste Szene

DER CLOWN mit verzehrtem, starrem Blick jetzt. Luisa ...

LUISA essend und trinkend. Geh ab, Kanaille ... ich sage dir ... stier mich nur an ... millionenmal rennt das alles so verführerisch in der Welt rum ... und liegt wie rote Apfelsinenschalen ausgesogen in allen Gemüllhaufen ... was willst du eigentlich von mir ... falle mich nur wieder an wie gestern ... als ich heimging ... denn du maskierter Laffe warst es doch ... man sollte es wahrhaftig nicht denken ... ein Clown ... ein Allerwelts-zum-Lachenbringer ... ein Bojazz ... ein Schwelger ... ein Männchen »Überall« – – – und ein Frömmler dazu, der aus Aberglauben jeden Sonntag in die Kirche rennt und die Papageireden anhört ... das ewige Nachgeplärre aus der Bibel ... damit ja der liebe Gott die Sprünge über zehn Pferde segne ... und den[12] blöden Volksapplaus reichlich spende ... und das gute Wachstum der Gage gelingen lassen möge ... damit die tollen Freuden in den Wochennächten üppig aufsprießen wie die giftigen Pilze ... Immer erregter. Teufel ... mit den überfüllten Tränendrüsen ... schmachte ... meinetwegen ... du ... ich gerate in Wut ... ich werfe dir das leere Glas an den Schädel Sie hat das Glas, das zerklirrt, nach ihm geworfen. ... ich sag es dir ... ich bin nicht für meinesgleichen ... ich bin eine Kunstreiterin ... eine Athletin ... eine Tochter der Anmut und der Kraft ... ja ...

DER CLOWN ohne sich irgendwie zu bewegen, ganz trocken. Du bist wie alle ...

LUISA. Ich habe dich im Leben weiß Gott genug genossen ... ich habe nun einmal Zigeunerblut ... ich bin von einer Zigeunerin, die schwarzhaarig war, aber von einem englischen Vater aus Liebe erzeugt ... und vereinige die Kälte mit der Glut ... ich hasse alle Männer, die nichts sind als Clowns und Seiltänzer und Lustigmacher ... es ist ein Schandgewerbe ... lächerlich ... dein Glotzen ... nackt hast du mich hundertmal gesehen ... du kannst doch nicht verlangen, daß ich mit dir in einer Dauerehe lebe und womöglich solche Clowns zeuge, wie du bist ... und solches teuflisches Weibsgezücht wie ich selber ... bitte ... wenn ich schon Kinder haben soll, sollen sie in einer Bauernhütte aufwachsen ... wie Blumen auf dem Felde ... oder besser noch in einem Palaste des Reichtums ... und das sage ich dir ... jeder meiner zehn Diener soll mit einem Prügel jeden wahnsinnigen Artisten von der Schwelle treiben ... denn wenn ihr Pack hört, daß einer eurer Kollegen in einem Palaste wohnt, da lauft ihr doch Sturm gegen seinen Reichtum ... bis ihr ihm mit Süßlichkeiten oder Gewalt seinen letzten Pfennig wieder abgeknöpft habt ...

DER CLOWN. Ambrois' dressierte Beuteltiere machen eben ihre letzten Hupfer ... also ...

LUISA. Ach ... laß mich in Ruh mit Ambrois' dressierten Beuteltieren ... alle Menschen sind dressierte Beuteltiere ...[13]

DER CLOWN ganz phlegmatisch. Hahahaha ... ja ... du bist wie alle ... und ich könnte dich hassen ... wenn nicht eben der Zufall es gefügt hätte, daß ich dich liebe ...

LUISA. Und du bist auch wie alle ... und ich könnte dich lieben ... hahahaha ... wenn nicht eben der Zufall es gefügt hätte, daß ich dich hasse ... und heute nur noch Männer ertragen kann, die nicht nur wie ein gekaufter Papagei auf der Stange sitzen ... sondern die gewissermaßen eine Sicherheit haben ... die mit mir hinter versilberten Eichentüren in einem seidenen Himmelbett schlafen ... wo eine goldene Klingel am Bette steht ... mit der meine Hand dann hell bimmelt, wenn ich am Morgen den Kakao auf Silbertablett serviert ans Bett wünsche ...

DER CLOWN in Luisa vertieft. Und wenn ich dich hundertmal nackt sehe ... nämlich ... was geht mich alles Nackte an ... ich sehe dich eben gar nicht nackt ... ich sehe auch nicht mehr, daß du eine Kanaille bist wie alle ... ich sehe auch nicht mehr, daß du aus Gier zusammengesetzt bist und nur einen Goldregen in deinen Schoß ersehnst ... wie heißt denn die berühmte – – ... Danae ... ich sehe dich wie eine Göttin ... wie eine unsägliche Erfüllung meiner Sehnsucht ... du kannst mich totschlagen ... Luisa ... nur wenn du mir einmal mit deiner kleinen, sanften Hand so ganz leise über mein Gesicht und mein Haar streicheln wolltest ... so etwas raubtierhaft Sicheres und Süßes hast du in deinen Händen ... wie es überhaupt dein ganzer geschmeidiger Leib ausströmt ...

LUISA. Hahahaha ... so streicheln ... wie ich dem Meister Wendelborn zehnmal über Gesicht und Hände streicheln könnte, wenn nur dieser lächerlich zopfige Kerl es vertrüge ...

DER CLOWN. Wendelborn ... auch den möchtest du liebkosen ...[14]

LUISA. Ja ... – wenn er mir nur einmal unter die Finger käme ... hahahaha ... natürlich muß man da Unterschiede machen ... du ... soll ich dir jetzt einmal einen seligen Blick zuwerfen wie einem Geliebten ... soll ich ... oder wie einem, der mich mit Perlen und Gold behängt ... Schmachtend. soll ich dir Liebe zeigen, als wollte ich mit dir ins Reich der Träume fahren ... so entrückt, weißt du ... in eine süße Rosenlaube ... oder soll ich dich unbarmherzig an mich reißen, daß du wähnst, meine Liebe sei eine Tigerkatze ... und wenn du dich ihr nicht gutwillig ergibst, zerfleische ich dich ...

DER CLOWN ganz sanft. Was geht mich all dein Gerede an ... hinter all deinem Gerede sitzt eben doch nur ein Mensch ... ein Mädchen ... noch ein schamhaftes, gutes, liebendes Kind ... mit einem Schmetterling auf der Schulter ... mit einer weißen Rose im Haar ... mit einer Lilie in der Hand ... mit einer Stimme, die schweigt ... mit Augen, die sich nach Mond und Sternen sehnen ... die das Morgenlicht anweinen ... verflucht wie ich ... zerrissen wie ein Clown ... Luisa ...

LUISA will seinen Kopf nehmen, herunterbeugen und küssen.

DER CLOWN sträubt sich. Ganz sanft redend. Nein ... nein ... Luisa ... küsse mich jetzt nicht, wo du so freche Worte, einen ganzen Strom, aus dir herausgeschüttet hast ... wo dein Herz zu all den Gemeinheiten hart geschlagen hat ... du erweckst mich aus meiner Seligkeit ... aus meiner Blindheit ... aus meinem heiligen Wahnsinn ... der mich allein noch glücklich macht in diesem verfluchten Narrengeschäft ...

LUISA psalmodiert melancholisch.

Auf einer Flur,

wo fetter Klee

und Gänseblümchen

stand ...[15]

 

Odebrecht ... ist doch dein veritabler Name ... hör mich ... Odebrecht ... ich sage dir ja ... wenn ich einmal ganz in mich hineinverschwinde ... ohne Kleider bin ... womöglich überhaupt nicht mehr weiß, daß ich noch das sündige Fleisch auf mir habe ... nur ganz in mich verkrochen bin ... da denke ich noch immer nur an dich ... Odebrecht ... Plötzlich auftrumpfend. aber man kann doch so verkrochen nicht leben, mein Junge ... man braucht doch das Gold auch ... du willst doch auch dein Leben genießen ... du ... Odebrecht ... sage es doch ... du hast gar keinen Grund, mich zu verachten ... nein ernstlich ... bitte ... sei mir ja nicht böse ... gib mir einen Handkuß ... gib mir einen Kuß auf die Stirn ... gib mir einen Kuß auf das rechte Augenlid ... hahahaha ... der bucklige Krösus ... dieser große Erfinder fängt doch den lieben Gott aus dem Himmel ein ... zwingt ihn richtig, wie er es selbst sagt, in seine Metallplatten und Glasplatten hinein wie den Teufel in die Flasche ... um zu sehen, was der liebe Gott eigentlich für die Menschen leisten kann ... da ist er natürlich dadurch reich geworden ... ganz unsinnig ... daß er sich sogar einen Meister Wendelborn halten kann ... und gleich drei Goldsäcke auf einmal ausschüttet, wenn seine leere Brunst auf ein Weib fällt ... hahahaha ... du ... den küsse ich auf die Augenlider, damit er nichts sieht ... und lasse mein Herz pochen wie einen Hammer ... aber dich küsse ich sanft, Odebrechtlein ... mit deiner Seelenjämmerlichkeit ...

 

Sie küßt ihn, ohne daß der Clown sich rührt.

In diesem Augenblick wird der vor der Tür hängende Vorhang weggezogen. Ein Mannesgesicht guckt durch den Spalt, gerade als der Clown vor Luisa niederkniet und sie umfassen will.

 

DER CLOWN plötzlich wütend. Schreit. Verfluchte Neugier ... was gibts denn wieder ...[16]

 

Siebente Szene

LUISA unterdessen sich der Vorhang wieder geschlossen hat, ruft, die Lage sofort erkennend. Wir küssen uns nämlich nur, weil wir uns eben kräftig den Magen gefüllt haben ... und einstweilen noch nichts Besseres vorhanden ist ...[16]

WENDELBORN zieht den Vorhang wieder zurück und steht, als vornehmer Weltmann gekleidet, mit dem hohen Hute in der Hand da. Ein sanftes, bartloses Gesicht mit sehr gütigen, aber sehr bestimmten Augen. Darf ich, Fräulein Luisa ...

DER CLOWN schroff und gereizt. Bleiben Sie gefälligst draußen, Herr Wendelborn ... verfluchte Unsitte, in die Garderoben zu dringen ... das ist niemand gestattet ... ich werde Sie hinausschmeißen, Sie Schmarotzer ...

LUISA lachend. Ich haue dir doch mit deiner eigenen Reitpeitsche eins ... du Mißgeburt ...

WENDELBORN arglos entschieden und nur ganz freundlich. Tritt näher.

LUISA. Kommen Sie nur getrost in unseren Käfig herein ... eifersüchtige Tiere werden hier mit der Knute sicher gebändigt ... willst du wohl sanft sein zu Herrn Wendelborn, Herr Clown ... wenn ich dir nicht meine Gnade auf der Stelle kündigen soll ...

WENDELBORN. Von dieser Gnade sagen Sie nur ja nicht auch nur den geringsten Muckser Herrn Tobias Buntschuh ... von Eifersucht und Mißtrauen hat sein Blut leider im Leben schon genug auszustehen ...

LUISA. Nun ... willst du nicht Abbitte tun, mein Freund ...

WENDELBORN. Ist er denn wirklich auch Ihr Freund, der lustige Max ... Zum Clown. Sie wollten mich eigentlich kränken ... es reizt Sie, daß auch ich gerade[17] von Buntschuhs Reichtum lebe ... Gott ja ... das ist wahr ... ein Künstler wie ich ... der sich auf das Ausrechnen des Goldwertes seiner Phantasiegespinste gar nicht recht eingelassen hat ... sich nie recht gekümmert hat um das sogenannte Geschäft ... ums Einheimsen ... der nur glücklicherweise immer des Schaffens voll war ... durch diesen göttlichen Zufall immer frei und reich aus seinen Phantasiequellen hinausgeben konnte ... nun erlauben Sie einmal ... Sie kennen Buntschuh und mein Verhältnis nicht ... ich werde Ihnen beschreiben, wie mein Freund Tobias Buntschuh eigentlich ist ... Er kramt ein Schmuckstück aus seiner Tasche hervor und hüllt es aus. Tobias Buntschuh ist der scharfsinnigste Mathematiker ... und Physiker ... und auch ein glänzender Chemiker ... hat den Kopf sozusagen voll der feinsten Ideengespinste, die wie die Sonnenstrahlen innig fein alle Welt durchsetzen ... verstehen Sie ... ich verstehe es nämlich selbst gar nicht ... berechnet aufs spürsinnigste ... und hat auf diesem Wege wirklich vermocht, schon manchen von unseres Herrgotts einäugigen Riesen aus ihren Weltenhöhlen hervorzustöbern, um sie in unsere menschlichen Geschirre zu spannen ... das ist natürlich nur ein Bild, wissen Sie ... und daß er für solchen Zauber ein unsinniges Geld einheimst, das begreifen Sie völlig ... aber die Sache hat eine Kehrseite ... es bleibt ihm gar keine Zeit für Schönheit und Anmut ... oder vielleicht ist auch gleich sein Scharfsinn so kolossal geraten, daß für die anderen Organe seines Leibes und seiner Seele gar kein Stoff mehr übrigblieb ... Sie verstehen schon ... über seine drollige Leiblichkeit brauche ich ja doch nicht erst zu reden ... Gott schafft auch Höckertiere ... nicht das Sichtbare seiner Körpergestalt kommt bei ihm als Hauptsache in Betracht ... nur das Unsichtbare ... die unerhört raffinierte Gehirnsubstanz ... hahahaha ... er sieht vom ewigen Denken gelb aus wie eine Zitrone ... aus der nur die hungrigen Augen herausbrennen ... ja ... nun sehen Sie einmal her, Fräulein Luisa ... das ist ein neuer Schmuck für Sie ... den ich Ihnen nur heute in Buntschuhs Auftrag abgeben sollte ... Tobias Buntschuh arbeitet nämlich schon seit Tagen wieder wie besessen an seiner höchsten und letzten Idee ... da ... Er hat ein zweites Etui aus seiner Tasche geholt und reicht es dem Clown. Herr lustiger Max ... das ist für Sie ...[18]

DER CLOWN nimmt das Etui und öffnet es, genau mit demselben Erstaunen wie auch Luisa ihrem Kästchen ganz behutsam einen kostbaren Schmuck entnommen hat.

WENDELBORN steht dabei ganz achtlos.

LUISA. Das ist aber ein großartiges Entgelt für die Tage meiner gänzlichen Witwenschaft ...

DER CLOWN beim Betrachten des Schmuckes. Mein Name ist Odebrecht, wenn ich einen solchen Diamanten anstarre, heiße ich nur wie ein Weltmann Odebrecht ...

WENDELBORN. Ja ... diesen großen Diamanten hat Buntschuh ausdrücklich für Sie ausgesucht – ... und befohlen, ihn in eine ausgelassene Fasson einzurahmen ... nicht wahr ... das ist ein köstliches Ding ... eine sehr gelungene Ersinnung ... ein kleiner Sarg aus Gold und Steinsplittern ... der Sarg ist aufgeklappt ... ein Frauengerippe mit kostbarem Goldröckchen darin ... und einem Goldhütchen ... und an der Stelle, wo das Herz liegt, da steckt dieser kostbare Stein ...

DER CLOWN. Wissen Sie ... dreitausend Mark ... für dreitausend Mark könnte ich mir diese Agraffe nicht beschaffen ... ja ... nur simuliere ich immer ... es ist wohl ein Sinnbild ... es soll wohl gar eine Anspielung sein ... ich merke jetzt schon, wo das hinaus will ...

LUISA. Was heißt denn das ... was merkst du denn wieder ... warum sprichst du denn plötzlich wieder gereizt ... Herr Gott ... vor solchen Schätzen ... ich dächte, die könnten dir doch den Mund jetzt stopfen ...

DER CLOWN. Ja, ja, ... es ist eine sinnreiche, köstliche Sache ... ich begreife es völlig ... dieser aus Elfenbein gebildete Clown, der neben dem entwichenen Weibe[19] steht, das soll wohl ich sein ... nicht wahr ... Herr Wendelborn ... Sie werden mir doch nicht etwa einreden wollen, daß dieses große Erfindergenie sich auch noch solche Kunstwerke ausdenkt ... das tut doch nur sein Goldschmied Wendelborn ... sagen Sie es mir nur gefälligst offen ins Gesicht ... dieser hoffnungslose Weibersklave und Clown soll ich sein ...

WENDELBORN lacht harmlos. Tja ... haben Sie etwas dawider, daß ein Künstler wie ich aus Ihrem Leben Schmuckstücke macht ...

LUISA mit zappelnden Abwehrbewegungen. Ich kann diesen Menschen nicht hören und sehen ... er ist ewig melancholisch ... und nimmt sich immer furchtbar wichtig ... als ob es auf einen solchen Kobolzschießer in dieser Welt überhaupt ankäme ...

DER CLOWN guckt wieder in das Etui und lacht plötzlich clownhaft. Hahahaha ... ich soll wohl einen dreifachen Salto mortale machen ... ja verflucht ... wenn solche Steine reden ... da schweigen in der Tat für einen Augenblick die anständigsten Gefühle ... Luisa ... mach dich nicht großartiger, als du bist ... du weißt ... wenn ich meine Sauen tanzen lasse, bin auch ich ein Herr und Gebieter ... und fuchtle mit meiner Peitsche herum ... also ... Im anderen Tone. entschuldigen Sie vielmals ... mein tiefstes Kompliment, Herr Wendelborn, an Herrn Buntschuh ... meine tiefste Ergebenheit ... meine ganze Ehrerbietung ... meine untertänigste Dankbarkeit ... das ist wirklich ein großartiges Geschenk ... Sie haben mich mißverstanden ... konnten Sie denn wirklich denken, ich wollte Sie aus diesem jämmerlichen Rückzugswinkel für armselige Artisten vertreiben ... wenn ich wirklich, ohne zu wissen, wer ...

LUISA. Red dich nicht raus ... das ist erbärmlich ... wenn du auch in deinem ernsten Lebensgeschäft ein Clown bist, bist du doch auch ein Mann ... und[20] hast also nicht feige zu sein ... du wußtest sehr gut, wer den Vorhang aufhob ... du hattest schon vorher Herrn Wendelborn einen Schmarotzer genannt ... und schriest wieder Schmarotzer ...

WENDELBORN sehr gütig. Nein bitte ... es lohnt sich ja gar nicht, weiter darüber zu sprechen ... was wahr ist, muß wahr bleiben ... ich bin erst durch Buntschuhs Reichtum wirklich der berühmte Goldschmied geworden ...

 

Radiana schleicht sich wieder herein, hockt sich scheu auf ihren Schub hin.

 

LUISA. Mach deinen Fußfall, Kanaille ...

WENDELBORN in Gedanken weiterredend. Obwohl ich im übrigen immer ein Mensch war, der nur für die Idee der Kunstarbeit Leidenschaft besaß ... für diese herrliche Idee, das grauingraue Leben der Pflicht- und Zweckmenschen ins Fröhliche und Bunte und Sinngebende zu verfärben ...

LUISA. Mach deinen Fußfall ... ich bestehe darauf ...

DER CLOWN. Herr Wendelborn, den Kleidersaum küsse ich Ihnen ...

 

Er wendet sich zum Gehen.

 

WENDELBORN während ihn Radiana scharf anstarrt. Nein nein ... gehen Sie ja nicht ... oder ich gehe wenigstens mit Ihnen, Herr Odebrecht ... ich muß nämlich unbedingt in Buntschuhs Nähe sein, wenn er wieder neu zum gemeinen Leben aufwacht ...

DER CLOWN steht und bestarrt neu den Schmuck.[21]

LUISA steht jetzt vor dem Spiegel. Sehen Sie wenigstens mich erst einmal ordentlich an ... wie diese Perlen meinen federweichen Frauenhals geradezu betörend schmücken ...

WENDELBORN lacht und tritt vor den Spiegel. Ja ... das habe ich für meinen geliebten Buntschuh vortrefflich gemacht, nicht ...

LUISA. Berauscht Sie nicht ein solcher Anblick völlig, Herr Wendelborn ... Buntschuh ist ein Verschwender ...

WENDELBORN ganz achtlos. Ja, ja ... freilich ... ein Verschwender ist er ... aber vor allem ist er fein und zart und grundgütig ... hat eine reine Kindsseele ... und deshalb sage ich es Ihnen auch immer wieder ... Sie müssen ihm die erdenklichste Zärtlichkeit zeigen ... wenn man Buntschuh seit der Jugend kennt wie ich, weiß man, daß er volle Liebe verdient ... adjüs, Fräulein Luisa ... auch Ihnen, Herr Clown, sage ich das ausdrücklich ... auch Sie vergessen mir das ja nicht ... zärtlich ... natürlich voller Ehrerbietung zu Herrn Buntschuh ... aber zärtlich ... nennen Sie mich dann, wie Sie wollen ... mich stört das gar nicht ... hahahaha ... ich habe in diesem Punkte noch immer das beste Gewissen ... ja ... ich habe Buntschuh schon leidenschaftlich geliebt, als er noch ein ganz armer Teufel war ... aber natürlich schon mit dem unglaublichsten göttlichen Scharfsinn alles überglänzte ... schon in der Schulzeit ... schon damals war es mir ordentlich ein Glück, sein heißbegehrter Schmarotzer zu sein ...

 

Radiana springt auf, läuft sprunghaft zu Wendelborn, der schon die Vorhangsfalte in der Hand hat, küßt ihm die Hand und läuft wieder auf ihren Schub zurück.

 

WENDELBORN. Ih ... dumme Kleine ... was hat's denn nur ...[22]

LUISA. Hocken bleibst du ... sie ist ein verrücktes Ding ...

WENDELBORN lachend und winkend. Adjüs, adjüs ... Ab.[23]

 

Achte Szene

DER CLOWN wie Wendelborn hinaus ist, starrt nur den Schmuck lange an ... Mir ist himmelangst ...

LUISA. Wovor denn ...

DER CLOWN. Vor mir und vor dir ...

LUISA steht noch immer vor dem Spiegel. Von solchem Schmuck bin ich richtig besoffen, als hätte ich eine ganze Buddel Sekt auf einmal heruntergestürzt ...

DER CLOWN. Oh du Gott der Gaukler ... für Diamanten und Gold verhandeln wir unser Leben ...

LUISA. Hahahaha ...

DER CLOWN. Luisa ... ich liebe dich ... mehr als alle Reichtümer ... und ich verachte dich ... mehr als alle Reichtümer ...

LUISA. Ach quatsch nicht ... geh jetzt ... du bist jetzt dran ...

DER CLOWN. Ich will dir auch gerne diesen Schmuck noch schenken ... da ... nimm ihn ... Wie Luisa sich nicht darnach wendet. meinetwegen auch in die Ecke damit ... Erde zu Erde ... Er hat den Schmuck in den Winkel geworfen.[23]

LUISA. Behalte hübsch den offenen Sarg mit dem Totengerippe eines Frauenzimmers ... ich weiß schon ... du möchtest mir einen Zauber antun ... so eine kleine Vorbedeutung meines Todes mir geschickt ins Blut hineinspritzen ... damit ich womöglich vom Drahtseil falle ... mich Herrn Buntschuh gar nicht mehr hingeben könnte ... in der Manege einfach verreckte ... und du dann dastehen könntest als etruskische Tränenflasche ... dich vor den Leuten als trauernder Liebhaber satt flennen könntest ... den Gefallen tu ich dir nicht ...

DER CLOWN hebt seinen Schmuck wieder auf. Für kalte Steine verhandeln wir unser Leben ... Ab.

LUISA hinter ihm drein lachend. Hahahaha ...[24]

 

Neunte Szene

LUISA noch immer vor dem Spiegel. Die Augenlider werde ich ihm küssen dafür ... die Füße werde ich ihm küssen dafür ...

RADIANA. Wem ...

LUISA. Ein Weib darf niemals das letzte sagen ... du bist wohl schon eifersüchtig ... du willst mir wohl schon in die Karten sehen ...

RADIANA. Inwiefern ihm die Augenlider küssen ... ist denn das der Herr, der eben ging ...

LUISA. Quatsch ... Unsinn ... frag nicht so albern ... das weißt du alleine ... das wäre mir so einer ... der ... ist selber nur ein Schmarotzer ... der[24] berühmte Goldschmied Wendelborn bringt doch den Schmuck nur im Auftrage von Herrn Tobias Buntschuh ... der sein Herr ist ...

RADIANA. Und für die kalten Steine und das gelbe Gold willst du dich diesem Herrn Buntschuh zu Füßen werfen ... und seine hingebende Sklavin sein ...

LUISA. Fällt mir nicht ein, Sklavin sein ... Herrin bin ich immer ...

RADIANA. Ist der so mächtig, daß er sich einen solchen Herrn Wendelborn halten kann ... oh, Herrn Wendelborn möcht ich liebkosen ...

LUISA. Hahahaha ... Gott ... ein Mädel wie du ... das möchte manche, jetzt wo er durch Buntschuhs Gnade auch immer Geld hat ...

RADIANA. Ach ... der hat eine Freundseele ... mit dem Herrn Wendelborn möchte ich auch nur einen einzigen Augenblick auf der Blumenwiese der Seligkeit spielen ...

LUISA plötzlich zornig. Gar nichts hast du dich um diese Männer zu kümmern ... um beide nicht ... meinetwegen hat sich dieser Herr Wendelborn den herrlichen Schmuck ausdenken müssen ... nicht deinetwegen ... meinetwegen hat Buntschuh diesen Menschen hierher geschickt ... nicht deinetwegen ... fang nur mit solchen Frechheiten an ...

 

Eine lustige Stakkatomelodie beginnt hinter der Szene, während Luisa ihren Schmuck erregt in das Kästchen legt und dann in eine Handtasche sorgfältig einschließt.

 

Der Vorhang fällt.[25]

 

Zweiter Akt

Ein runder, sehr vornehmer Gartensaal in dem Stadthause des Tobias Buntschuh. Rechts zwei Haupttüren. Zur Linken tiefer eine Haupttür. Mehr vorne eine Tapetentür. Die gläserne Flügeltür in der Tiefenwand führt ohne Stufen in den weiten blühenden Garten. Alle Türen sind geschlossen. Sofa, Tisch und Sessel in sehr wohliger Form an der linken Hand. Vornehme Pfeilertischchen, eins mit Standuhr, andere mit sonstigen Kostbarkeiten. Schwerer, heller Teppich.

 

Erste Szene

Ein runzliges Mannesgesicht guckt behutsam und scheu zur rechten, vorderen Tür herein. Leise und verschmitzt lachend.

 

Hahahaha ... es ist ja noch Totenstille hier ...

 

Jetzt tritt er in Pantoffeln schlürfend herein. Es ist der

 

VATER BUNTSCHUH ein etwa achtzigjähriger, sonderbarer, dürftig mit einer Eisenbahnarbeitermütze und verschabtem Jackett angetaner Mann, mit langem strähnigen, weißen Haar. Er steht wieder still und guckt sich nur pfiffig amüsiert um. Dabei spricht er flüsternd für sich. Nu ja ... es ist ja noch Totenstille hier ... und warum sollte denn hier auch nicht Totenstille sein ... da wohnt doch der König Herodes ... da wohnt doch der König aus dem Mohrenlande ... ja ... der hat Vater und Mutter ... der hat Mohren aus dem Mohrenlande ... und seine Mutter ist wunderbar schön ... und sein Vater ist wunderbar köstlich ... und der Sohn selber ist wunderbar köstlich ... ach so wunderbar köstlich ... und die Gartenbäume sind wunderbar köstlich ... und der ganze Morgenhimmel ist doch wunderbar köstlich ...

 

Zweite Szene

In diesem Augenblick kommt behutsam, aber eilig die

 

MUTTER BUNTSCHUH eine alte, etwa sechsundsiebzigjährige, noch rüstige, aber gebeugte Frau, in einfacher Kattunjacke und einem Chenillennetz über dürftigem Haar, einen Handbesen in der Hand. Vater ... du sollst doch nicht immer fortrennen ... du sollst mir doch helfen ... bleib gefälligst oben in der Stube bei mir ... du störst doch Tobias ... er steckt ja noch tief in der Arbeit ... komm nur wieder ...

 

Dritte Szene

DIENER FRANZ erscheint wie aufgescheucht aus der Tapetentür. Oh ... man schläft richtig ein, wenn Stunde um Stunde so totenstill hingeht –

MUTTER BUNTSCHUH. Wie lange geht's denn schon wieder ...

DIENER FRANZ. Seit drei Uhr nachts ... wo der gnädige Herr aus seinem Schlafzimmer in seine Arbeitsräume hinüber schlürfte ...

MUTTER BUNTSCHUH. Ja, ja ... schlürfte ... im Nachthemde womöglich ... halb nackt und bloß ... hatte er wenigstens den Schlafrock um ... und die Pantoffel an den Füßen ... Sie geht zur Gartentür. macht nur die Tür auf, damit die schöne Luft reinkommt ... Bei diesen Worten hat sie selber die Tür aufgeriegelt und weit geöffnet. es geht ja schon auf zwölf ...

DIENER FRANZ. Ja ... es geht schon auf zwölf, wie ich eben sehe ... und wer weiß noch, wie lange es weiter geht ...

MUTTER BUNTSCHUH. Du kommst jetzt, Vater ...

DIENER FRANZ. Gehen Sie nur ja, Herr Buntschuh ...

VATER BUNTSCHUH mit abwehrendem, verächtlichem Blick gegen den Diener, zu Mutter Buntschuh gehend und ihre Hand fassend. Ach ... Herr Buntschuh ... Blödsinn ... wenn auch mein Sohn mein Sohn ist ... ganz gleichgültig ... nennen Sie mich gefälligst Siebenhaar ... wie mein alter Onkel Siebenhaar hieß ... der sein ganzes Leben lang nur immer mühsam auf dem Schusterschemel hockte ... ja ... Mutter Buntschuh[30] führt ihn und zieht ihn behutsam durch die rechte, vordere Tür fort, während er noch zurückspricht. und überhaupt nicht eine Minute übrig hatte in seinem Leben, sich seine sieben Haare wieder zum Beispiel rot zu färben ... nicht ... Mutterle ... Beide ab.[31]

 

Vierte Szene

Diener Franz guckt durch das Schlüsselloch in der rechten, tieferen Tür. Da klopft es an der Tapetentür vorn. Er geht hin und öffnet sie. Es steht ein reich livrierter, Mohr mit Silbergeschirr auf einem Silbertablett sichtbar davor.

 

DIENER FRANZ. Nein nein ... ih bewahre ... immer noch nicht ... immer noch nicht ... für Napoleon mußte man auch erst immer zwölf Hühner braten, ehe er eins verschlingen konnte ... wenn die Schlacht ging, sagt Herr Buntschuh ...

 

Er schließt wieder die Tür.

 

Fünfte Szene

DER SEKRETÄR ein Mann von etwa 28 Jahren, kommt aus der rechten, vorderen Haupttür. Eilig. Es fehlt ja doch nicht mehr viel zu zwölf Uhr ... und der gnädige Herr halten die üblichen Empfangsstunden schon wieder nicht ein ...

 

Sechste Szene

Gleich dahinter erscheint.

 

PHILIPP WENDELBORN Nun ... wie steht es ... noch nicht ...