Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek

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Sadhu Arunachala (A.W. Chadwick):

Ramana Maharshi: Erinnerungen eines Sadhus

2. Auflage 2017

Titel der Originalausgabe:

Sadhu Arunachala (A.W. Chadwick): A Sadhu’s Reminiscences of Ramana Maharshi, 8th ed. – Tiruvannamalai, 2012

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7448-2756-0

Umschlaggestaltung: BoD

Fotos mit freundlicher Genehmigung des Sri Ramanashram

Printed in Germany

Ramana Maharshi

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Übersetzerin

Der Engländer Alan Chadwick, der sich später „Sadhu Arunachala“ nannte, diente im Ersten Weltkrieg als Major in der britischen Armee. Durch Paul Bruntons berühmtes Buch „A Search in Secret India“ hörte er zum ersten Mal von Ramana Maharshi. Er erkannte in ihm seinen seit langem gesuchten spirituellen Meister. 1935 reiste er zu ihm nach Tiruvannamalai in Südindien, ohne zu ahnen, dass er nie wieder in seine Heimat zurückkehren würde.

Gleich nach seiner Ankunft im Ashram fand er zu einer Vertrautheit mit dem Maharshi, die in ihrer Art einmalig war. Sri Ramana verhielt sich ihm gegenüber ausgesprochen offen und interessiert. Sie führten lange Gespräche miteinander, was sehr ungewöhnlich war, da der Maharshi normalerweise wenig mit den Besuchern sprach. Auch war es nicht üblich, dass ein Besucher für längere Zeit im Ashram wohnen durfte, doch Chadwick wurde ganz selbstverständlich Dauergast. Man baute für ihn das erste private Häuschen auf dem Ashramgelände. Den Grund für diese bevorzugte Behandlung kann man in einem Ausspruch Sri Ramanas finden, der über Alan Chadwick folgendes sagte: „Chadwick war schon früher [in einem früheren Leben] bei uns. Er war einer von uns. Er trug den Wunsch in sich, im Westen geboren zu werden, und das hat sich erfüllt.“

Nachdem Ramana Maharshi 1950 gestorben war, verließ er den Ramanashram nicht, wie so viele andere, sondern blieb bis zu seinem Tode dort. Er starb kurz vor dem Osterfest 1962. Seine letzten Worte waren: „Ich weiß, es sind noch fünf Tage, aber es ist schon Ostern.“ Man begrub ihn mit allen Ehren wie einen Hindu-Sadhu im Ashram.

Major Chadwicks Büchlein muss deshalb für alle, die sich mit Ramana Maharshi befassen, von Interesse sein. Es vermittelt dem Leser einen intimen Blick in das Leben des Maharshi und in die vielfältigen Geschehnisse im Ashram jener Tage. Chadwicks spirituelle Betrachtungen zeugen von Reife und Verstand und sind eine gute Hilfe, die Lehren Sri Ramanas besser zu verstehen. Auch zeigt er ein gesundes Maß an Kritikfähigkeit und war in seiner Treue zu Bhagavan einer, der den Mut fand, auch auf Missstände und falsche Deutungen der Lehre seines Meisters aufmerksam zu machen.

Ich habe der Übersetzung hin und wieder einige erklärende und ergänzende Fußnoten sowie einen kurzen tabellarischen Abriss des Lebens von Ramana Maharshi beigefügt, um die Orientierung und Einordnung der Ereignisse für den Leser zu erleichtern. Das ursprüngliche Glossar von Alan Chadwick habe ich erweitert. Sämtliche im Text kursiv gedruckten Sanskritbegriffe finden sich dort erläutert.

Chadwick selbst hat betont, dass sein Buch weder chronologisch noch vollständig ist. Deshalb ist es sinnvoll, zunächst eines der biografischen Bücher (s. Literaturverzeichnis) zu lesen.

Mein besonderer Dank gilt Sri V.S. Ramanan, dem Präsidenten des Ramanashram, der seine freundliche Zustimmung für diese Übersetzung und den Abdruck der Fotos von Sri Ramana und Arunachala gegeben hat. Die Fotos vom heutigen Ashram stammen von mir.

Ich möchte mit demselben Wunsch schließen, mit dem auch Alan Chadwick sein eigenes Vorwort beendet hat:

„Möge das Büchlein ein Licht sein, das wenigstens ein paar Leser zu Bhagavans Füßen führt.“

Gabriele Ebert

Vorwort von Alan Chadwick

Venkataraman, der spätere Ramana Maharshi, wurde Ende 1879 geboren und starb im April 1950. In seiner Heimat Tamil Nadu und in anderen Teilen Indiens war er sehr bekannt und hatte in Europa und Amerika eine beträchtliche Anhängerschaft.

Er war ein vollkommen selbstverwirklichter Weiser, was bedeutet, dass er sich seiner Einheit mit dem namenlosen Höchsten immer bewusst war, obwohl er wie ein normaler Mensch handelte und reagierte. Seine körperliche Verfassung unterschied sich in nichts von der unseren, außer dass er vielleicht schwächlicher war als eine gewöhnliche Person.

Geboren wurde er in einem kleinen Dorf etwa 32 km von Madurai entfernt, wo er die ersten Jahre seines Lebens verbrachte. Nach dem Tod seines Vaters zog er zu seinem Onkel nach Madurai. Er war ein normaler Junge, der gerne spielte, doch am Schulunterricht nicht sehr interessiert war. Wenn er aufpasste, konnte er sich aber alles sehr gut merken.

Sein Schlaf war ungewöhnlich tief. Einmal musste man die Tür zu seinem Zimmer aufbrechen, bevor man ihn aufwecken konnte. Seine Freunde nutzten diesen ungewöhnlichen Umstand aus. Wenn er schlief, zerrten sie ihn aus seinem Bett und nahmen ihn mit sich. Sie schubsten ihn hin und her und stellten alles Mögliche mit ihm an, was sie nicht gewagt hätten, wäre er wach gewesen. Er war nämlich ein für sein Alter kräftiger Junge und sehr wohl in der Lage, sich zu verteidigen. Meiner Meinung nach muss zwischen seinem tiefen Schlaf und seiner späteren Selbstverwirklichung ein Zusammenhang bestanden haben, da darin seine gewaltige Konzentrationsfähigkeit zum Ausdruck kam.

An Religion war er nicht sehr interessiert, wenn er auch die für jeden Hindujungen üblichen Tempelbesuche machte.

Für seine Familie war er eine ziemliche Enttäuschung. Sie rechnete damit, dass er im Leben gut vorankommen, eine einflussreiche Stellung erhalten und damit zum Familienunterhalt beitragen würde. Freilich war es noch zu früh, schon etwas Endgültiges zu sagen, denn er war noch sehr jung. Es mochte ja sein, dass er seine Verpflichtungen später erkennen würde. Aber alle Zukunftspläne gingen in die Brüche, als er im Alter von sechzehn im Obergeschoss des Hauses seines Onkels das große Erlebnis hatte, das alles verändern sollte. Doch lassen wir ihn selbst darüber berichten:

„Es war etwa sechs Wochen bevor ich Madurai für immer verließ, als sich die große Wandlung in meinem Leben ereignete. Das geschah ganz plötzlich. Eines Tages saß ich allein im ersten Stock des Hauses meines Onkels. Ich war wie immer gesund. Ich war selten krank. Ich schlief aber ungewöhnlich tief. Als ich 1891 in Dindigul1 war, hatte sich eine große Menschenmenge vor dem Zimmer versammelt, in dem ich schlief. Sie versuchten, mich durch Rufen und Klopfen an der Tür zu wecken. Alles war vergeblich. Erst als sie in mein Zimmer eindrangen und mich heftig schüttelten, erwachte ich aus meiner Lethargie. Dieser tiefe Schlaf war aber eher ein Zeichen für eine gute Gesundheit.

Während der Nacht verfiel ich auch in Zustände von halbwachem Schlaf. Meine gerissenen Spielkameraden, die es nicht wagten, mit mir zu spaßen, wenn ich wach war, kamen zu mir, wenn ich schlief. Sie zerrten mich auf die Beine, schleppten mich auf dem ganzen Spielplatz herum, schlugen mich, ohrfeigten mich, trieben mit mir ihre Späße und brachten mich dann in mein Bett zurück. Ich ließ mir das alles mit einer Duldsamkeit, Ergebenheit, Versöhnlichkeit und Widerstandslosigkeit gefallen, wie es für mich in wachem Zustand unvorstellbar gewesen wäre. Wenn dann der Morgen anbrach, erinnerte ich mich an keinen der nächtlichen Vorfälle mehr. Aber diese Anfälle machten mich nicht schwächer oder weniger lebenstüchtig und können schwerlich als Krankheit gelten.

So war also an diesem Tag, als ich alleine im Zimmer war, mit meiner Gesundheit alles in Ordnung. Dennoch überkam mich eine plötzliche und unmissverständliche Todesfurcht. Ich spürte, dass ich sterben müsse. Kein körperliches Empfinden war dafür die Ursache. Ich konnte es mir damals selbst nicht erklären, warum ich so fühlte. Ich bemühte mich jedoch erst gar nicht herauszufinden, ob die Angst überhaupt begründet war. Ich spürte einfach: ‚Ich sterbe jetzt’. Sofort fing ich an, darüber nachzudenken, was ich nun tun sollte. Weder Ärzte noch Erwachsene, ja nicht einmal Freunde wollte ich um Rat fragen. Ich spürte, dass ich das Problem selbst lösen musste, hier und jetzt.

Der Schock der Todesangst bewirkte, dass ich meine Aufmerksamkeit sofort nach innen wandte. Ich sagte zu mir im Geist: ‚Jetzt ist der Tod gekommen. Was bedeutet das? Was ist es, das stirbt? Dieser Körper stirbt.’ Sofort spielte ich die Todesszene. Ich streckte meine Glieder aus und hielt sie steif, als hätte die Totenstarre eingesetzt. Um meine weitere Untersuchung möglichst ‚realistisch’ zu machen, spielte ich eine Leiche. Ich hielt den Atem an und presste die Lippen fest zusammen, sodass ihnen kein Laut entweichen konnte. Weder das Wort ‚ich’ noch irgendein anderes Wort sollte gesagt werden! ‚Nun gut’, sagte ich zu mir, ‚dieser Körper ist tot. Er wird steif zum Verbrennungsplatz getragen. Dort wird er verbrannt, und von ihm bleibt nur Asche übrig. Aber bin auch „ich“ mit dem Tod des Körpers gestorben? Ist dieser Körper „ich“? Dieser Körper ist still und unbeweglich, aber unabhängig von ihm spüre ich die ganze Kraft meiner Person und sogar den Klang „ich“ in mir. Also bin „ich“ Geist (spirit), etwas, das den Körper transzendiert. Der materielle Körper stirbt, aber der ihn transzendierende Geist kann vom Tod nicht berührt werden. Deshalb bin ich unsterblicher Geist.’

All dies war kein rein intellektueller Prozess, sondern traf mich wie ein Blitz als lebendige Wahrheit und war etwas, das ich sofort und fast ohne eine Begründung erkannte. ‚Ich’ war etwas Wirkliches, in dem Zustand das einzig Wirkliche überhaupt, und die gesamte bewusste Aktivität, die mit meinem Körper verbunden war, war jetzt daraufhin konzentriert. Von diesem Zeitpunkt an hielt eine machtvolle Faszination meine gesammelte Aufmerksamkeit am ‚Ich’ oder meinem ‚Selbst’ fest. Die Todesangst war ein für alle Mal verschwunden. Das Verschmolzensein im Selbst hat von diesem Moment an bis heute fortbestanden. Andere Gedanken mögen kommen und gehen wie die verschiedenen Noten bei einem Musiker, aber das ‚Ich’ besteht fort wie die Grundnote, die alle anderen Noten begleitet und sich mit ihnen vermischt. Mochte der Körper mit Sprechen, Lesen oder etwas anderem beschäftigt sein, ich war immer auf das ‚Ich’ konzentriert.

Vor dieser Krise hatte ich keine klare Wahrnehmung von meinem wahren Selbst und wurde nicht bewusst zu ihm hingezogen. Ich hatte auch kein spürbares Interesse daran, noch weniger irgendeine dauerhafte Neigung, in ihm zu verweilen.

Die Folgen, die sich aus dieser neuen Gewohnheit für mein Leben ergaben, wurden bald bemerkt.“

(B.V. Narasimha Swami: Self Realization, Kapitel 5)

Soweit es die Erwartungen der Familie betraf, ging danach alles schief. Venkataraman verlor noch das letzte Interesse am Schulunterricht, saß herum, wenn er seine Hausaufgaben machen sollte, und starrte lieber in die Luft als zu lernen.

Wir wollen für einen Augenblick innehalten und darüber nachdenken, was ihm widerfahren war.

Als er auf dem Boden lag, war der Tod zu ihm gekommen. Was anderes war diese Todeserfahrung als der Tod des Egos? Das individuelle Ich als solches ist gänzlich illusorisch, wie die Buddhisten sagen. Aber angenommen, es hätte eine Art Existenz, so wäre sie doch nicht von Dauer, denn das Ego verändert sich in jedem Augenblick. Das Ego beschließt, am nächsten Tag etwas Bestimmtes zu tun, aber wenn es dann soweit ist, hat ein anderes Ego die Verantwortung übernommen und weigert sich es auszuführen. So verändern wir uns tagtäglich, oder vielmehr sind es die Egos, mit denen wir uns verbinden, die sich verändern. Doch hinter jedem von ihnen steht der unwandelbare Zeuge. Der Zeuge ist aber nicht darauf beschränkt, nur die Taten des kleinen Egos zu beobachten. Er ist der höchste Zeuge oder das, was Bhagavan das „Selbst“ nennt. Es gibt nur ein Selbst, und es ist das einzig Dauerhafte, das es überhaupt gibt. Doch hier ist nicht der Ort, dies ausführlich zu behandeln. Später wird darüber noch mehr gesagt werden.

Venkataraman war also gestorben. Danach hatte er keinen Namen mehr. Er unterschrieb nichts mehr und betrachtete keinen Namen mehr als den seinen. Die Leute nannten ihn „Ramana“, und er wusste, dass sie damit ihn meinten. Aber selbst wenn sie ihm einen anderen Namen gegeben hätten, hätte er auch diesen akzeptiert.

Als er bald darauf von Zuhause wegging, hinterließ er eine Nachricht ohne Unterschrift, um die Familie über seine Abreise zu informieren.2

Venkataraman war gestorben. Doch was genau war eigentlich geschehen? Das Selbst hatte völlig von ihm Besitz ergriffen. Zweifelsohne bestand der Körper Venkataramans und alles, was die Menschen damit verbanden, weiter wie bisher. Seine Mutter rief ihn bei seinem Namen. Er ging zur Schule, er aß, aber sein wahres Selbst verband sich nicht mehr damit. Er beobachtete das alles, wie man einer Filmvorführung zuschaut, und wusste darum, dass es nur eine Vorstellung war.

Dies ist sicherlich für jeden, außer für einen Selbstverwirklichten, schwer zu verstehen. Wir sehen einen Menschen vor uns, der handelt, isst, schläft und all die Dinge tut wie wir, und doch sagt man uns, dass er überhaupt nichts tut. Alles geht wie bisher weiter, aber er identifiziert sich in keiner Weise damit. Er ist von uns völlig verschieden, obwohl er im Grunde wie einer von uns zu sein scheint. Welchen Unterschied könnte man finden? Bhagavan pflegte zu sagen, dass in Wahrheit keiner verstehen könne, was eine selbstverwirklichte Seele sei, außer der Selbstverwirklichte selbst.

Venkataraman war in dieser kurzen Stunde in jenem Zimmer im Obergeschoss eine völlig selbstverwirklichte Seele geworden. Nun war er Gott-verwirklicht. Von diesem Tag an verlief sein Leben aus profaner Sicht ziemlich ereignislos. Kurz darauf ging er von Zuhause fort und ließ sich in Tiruvannamalai nieder, wo er für den Rest seines Lebens blieb. Mit der Zeit wurde er weithin bekannt, obwohl er so lange wie möglich das Licht der Öffentlichkeit mied. Nicht dass er sich gewünscht hätte, bekannt oder unbekannt zu sein. Für einen Selbstverwirklichten gibt es keine Wünsche mehr. Er ist befreit. Die Ereignisse geschehen lediglich. Er wurde berühmt, da es sein Prarabdha war, anderen auf dem Weg zu dieser Freiheit zu helfen, die er jetzt ständig genoss.

Als ich nach Tiruvannamalai kam, hatte Bhagavan die mittleren Jahre schon weit überschritten. Er war weithin bekannt und hatte sich vor dreizehn Jahren im Sri Ramanashram am Fuße des Berges niedergelassen. Berichte über sein Leben und Bücher über seine Lehre sind beim Ashram erhältlich und geben dem Leser ein vollständiges Bild seines Lebens. Dieses Büchlein will weder umfassend noch chronologisch sein. Bhagavan möge es segnen. Möge es ein Licht sein, das wenigstens ein paar Leser zu Bhagavans Füßen führt.

* * *


1 In Dindigul ging der zwölfjährige Ramana für etwa ein Jahr zur Schule.

2 Am 29.8.1896, etwa sechs Wochen nach seiner Erleuchtung, verließ Venkataraman heimlich und für immer sein Zuhause und brach zum heiligen Berg Arunachala nach Tiruvannamalai auf. Die Nachricht, die er seiner Familie hinterließ, lautete: „Ich bin fortgegangen, um meinem Vater zu suchen, wie er befohlen hat. Dieser [sich selbst meinend] hat nur ein tugendhaftes Vorhaben begonnen. Deshalb soll sich niemand um ihn sorgen. Es soll kein Geld ausgegeben werden, um ihn ausfindig zu machen. […]“ Statt der Unterschrift machte er einen langen Strich.

Erinnerungen eines Sadhus

Ich kam am 1. November 1935 in den Sri Ramanashram. Ich hatte von Bhagavan durch Bruntons Buch „A Search in Secret India“3 erfahren und war sofort davon überzeugt, dass er mein Guru ist. Meine Angelegenheiten konnte ich auf der Stelle regeln. Ich gab mein Haus und meine Besitztümer in Mallorca auf und kehrte nach England zurück, um meine Schwestern zu besuchen, bevor ich endgültig nach Indien aufbrach.

Auf dem abendlichen Heimweg von der Arbeit hatte ich viele Jahre lang immer wieder meditiert. (Zu jener Zeit war ich in Chile beschäftigt.) Nachdem ich mich schließlich zur Ruhe gesetzt hatte, meditierte ich zu Hause weiter. Wie sich herausstellte, war meine Art der Meditation der sehr ähnlich, die ich später in Tiruvannamalai lernte. Ich vertrat folgenden Standpunkt: Wenn Gott die Welt erschaffen hat – irgendwann musste sie ja entstanden sein, und dafür war ein Schöpfer nötig – so konnte Er sie nur aus sich selbst heraus erschaffen haben. Wäre ein anderer, von ihm Getrennter, der Schöpfer gewesen, konnte Er nicht der unumstrittene und allmächtige Gott sein.

Ich kam deshalb zu dem Schluss, dass der Sucher selbst Gott ist oder das „Selbst“, wie Bhagavan es nannte. Meine Meditationsmethode bestand damals darin, den Geist dazu zu bringen, sich selbst nicht mehr als individuell zu betrachten und lediglich in seiner Göttlichkeit zu ruhen. „Denke nicht, sei!“ Ich erkannte natürlich die Gefahr einer geistigen Leere und machte mir darüber keine Illusionen, dass solch eine Leere Ziel oder Ende in sich sein konnte.

Seit 1924 übte ich also gelegentlich diese Meditationsform, bis ich elf Jahre später nach Tiruvannamalai kam. Aber es lagen auch Zeiten dazwischen, in denen ich überhaupt nicht meditierte.

Ich war damals der Überzeugung, dass ich nicht ein weltliches Leben führen und gleichzeitig spirituelle Ziele anstreben konnte. Die beiden Dinge waren für mich unvereinbar. Damals hatte ich die Wahrheit des Advaita noch nicht verstanden, dass es keine Trennung solcher Art geben kann und dass das weltliche Leben so unwirklich wie das nicht weltliche ist oder gleichermaßen wirklich, wenn man so will. Beides ist Prarabdha, das in jedem Fall abgearbeitet werden muss. In Wahrheit gibt es weder gut noch böse, nur Anhaftung. Taten sind Taten, doch dass man sich mit ihnen identifiziert, das ist es, worum es geht, und nicht um die Taten an sich.

Ich glaubte damals immer noch an die Wichtigkeit von Moral, an etwas wie absolute Maßstäbe. Deshalb konnte meine Meditation nur eine unregelmäßige Angelegenheit sein. Zweifelsohne war das in gewisser Hinsicht zumindest am Anfang so in Ordnung. In den frühen Stadien muss es irgendeine Regel oder eine Art Kodex geben, um sich bei der Stange zu halten. Aber mit der Zeit fällt diese Regel dann von selbst ab. Wie auch immer, schließlich gewann ich die Überzeugung, dass meine Einstellung falsch war. Man sollte täglich eine kurze Zeit der Meditation widmen, vorzugsweise am frühen Morgen, was für ein Leben man auch immer führen mag.

Die Methode, die ich mir ausgedacht hatte, um den Geist zu beruhigen und mich auf mein essenzielles Inneres zu konzentrieren, das nach meiner Sichtweise Gott war, unterschied sich wenig von der Methode, die Bhagavan lehrte, nämlich das Selbst durch beständige Ergründung ausfindig zu machen und den Zeugen zu suchen. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Ich hatte das Glück, dass mir die Wahrheit so mühelos in den Schoß gefallen war. Bhagavan bestätigte das, indem er sagte: „Chadwick war schon früher [in einem früheren Leben] bei uns. Er war einer von uns. Er trug den Wunsch in sich, im Westen geboren zu werden, und das hat sich nun erfüllt.“

Anscheinend hat die Erinnerung an die Lehre, die mir in einem früheren Leben zuteil geworden war, somit Früchte getragen.

* * *

Alan Chadwick

Ich kam mit dem Frühzug in Tiruvannamalai an. Es war ein strahlend klarer Tag zu Winteranfang. Die wundervolle Atmosphäre des Ortes nahm mich sofort gefangen. Man glaubt fast, man könne sie greifen, so machtvoll ist sie.

Ganapati Sastri4